Was können die Maddie-Ermittler nach 18 Jahren eigentlich noch finden?

Quelle: rtl.de. 9. Juni 2025

Kriminalbiologe Dr. Mark Benecke erklärt‘s

18 Jahre nach dem Verschwinden von Madeleine McCann laufen in Portugal erneut großangelegte Suchaktionen. Es ist womöglich der letzte Versuch, doch noch Beweise zu finden. Denn der einzige Tatverdächtige, Christian B., könnte schon bald aus dem Gefängnis freikommen – mangels belastbarer Spuren. Doch was lässt sich nach so langer Zeit überhaupt noch finden? RTL hat den renommierten Kriminalbiologen Dr. Mark Benecke gefragt und zusätzlich mit einem Journalisten gesprochen, der den Fall seit Tag eins begleitet.

Drei Orte im Fokus – deutsche Ermittler in Portugal

Die Suche konzentriert sich auf drei Gebiete im Süden Portugals, rund um Praia da Luz, Lagos und Atalaia. In diesem Umfeld wohnte und arbeitete Christian B. zur Tatzeit. Auch ein Haus, in dem der Maddie-Verdächtige lebte, soll nun erneut durchsucht werden. Genauso wie das Gelände, auf dem damals größere Erdarbeiten stattfanden.

Spuren am Schlafanzug?

Benecke ist kein Romantiker. Er arbeitet faktenbasiert, schnörkellos. Oft an Fällen, die andere längst abgehakt haben. Und genau deshalb lohnt sich seine Sicht auf den Fall Maddie. Aber was genau könnte heute, 18 Jahre später, überhaupt noch da sein?

„Das hängt davon ab, wie viele Menschen den Schlafanzug zwischendurch angefasst haben. Grundsätzlich würde ich auf dem Schlafanzug an Hautzellen auch von einem möglichen Täter oder einer Täterin oder Speichelspuren oder Spermaspuren oder Haare denken. Diese Spuren halten sich sehr lange, wenn allerdings viele Menschen ein Kleidungsstück bereits angefasst haben, können natürlich auch Spuren dieser Personen auf der Bekleidung anzutreffen sein.”

Es sei eine Frage der Sorgfalt, nicht der Zeit. Kleidung kann auch Fasern anderer Personen enthalten, die sich chemisch und strukturell klar zuordnen lassen. – manchmal sogar über Jahrzehnte.

Lohnt sich die Grabung nach 18 Jahren überhaupt noch?

„Ja”, sagt Benecke. „Sofern die Möglichkeit besteht, dass Spuren mit einer neuen Technik und oder aus anderen Gründen besser untersucht werden können dann lohnt es sich immer eine Nachuntersuchung zu machen.”

Benecke begleitete selbst Fälle über Jahrzehnte hinweg. Oft werden Proben gezielt konserviert, um sie später mit besseren Methoden und Technik erneut zu analysieren. Manchmal mit bahnbrechenden Erkenntnissen.

„Bei den von mir untersuchten Lampenschirmen und dem Taschenmesser-Etui aus dem Konzentrationslager Buchenwald hat sich auch erst 80 Jahre später herausgestellt, dass es sich wirklich um Menschenhaut handelt.” Dadurch wurde erst klar: Die Nazis haben Alltagsgegenstände aus Hautstücken ermordeter Häftlinge hergestellt.

Forensik 2025: Hightech oder Handarbeit?

Was vielleicht überrascht: Die spektakulärsten Funde entstehen oft nicht durch Hightech-Geräte, sondern durch schlichte Gründlichkeit. „Ich bevorzuge das klassische Abschichten, das heißt jede Schicht wird einzeln in Tüten gepackt, gesiebt und untersucht. (...) Auch die Suche nach Hautschuppen auf Kleidung ist im Grunde handwerkliche Arbeit, weil sie unter dem Vergrößerungsgerät von einzelnen Menschen durchgeführt werden muss.”

Hightech kommt erst später dazu, etwa wenn DNA vervielfältigt oder automatisiert abgeglichen wird. Der Anfang bleibt jedoch oft vermeintlich unspektakulär, dafür präzise. Und wenn man doch noch etwas findet? „Auch ein Haar oder eine Hautschuppe kann heute noch problemlos auf ihr Erbgut und weitere Eigenschaften untersucht werden. Ob das gelingt, hängt natürlich von der Lagerung der Spuren ab und davon, ob sie überhaupt gesehen werden.”

Pinkfarbener Pyjama und ein Haar aus Maddies Bürste

Auch der britische Investigativjournalist Jon Clarke, der den Fall seit 2007 intensiv begleitet und schon oft zum mutmaßlichen Tatort nach Portugal reiste, glaubt an die Bedeutung kleinster Funde. Im Gespräch mit RTL berichtet er von früheren Suchen, bei denen Materialreste gefunden, aber nicht eindeutig zugeordnet werden konnten – möglicherweise sogar aus Maddies pinkfarbenem Pyjama.

Clarke sagt, die Ermittler glauben inzwischen, dass Christian B. so ortskundig war, dass er sogar in der Nähe seines eigenen Hauses eine Leiche abgelegt haben könnte. „Direkt vor der Nase von Polizei und Familie”. Jetzt werde genau dort erneut gesucht.

Doch am Ende sind es eben nicht die großen Maschinen, sondern die kleinen Beweise, die vielleicht endlich den Durchbruch bringen. Für Benecke ist klar: „Hoffnung spielt meiner Auffassung nach keine Rolle, sondern gute Spurenarbeit.” Und dass man die Möglichkeit nutzt, wenn sie sich bietet.

Morden im Verborgenen: Der stille Serienkiller im Krankenhaus — "Todes-Engel"

Quelle: web.de

Pflege und Palliativmedizin

Von Maria Berentzen

Ein Berliner Palliativarzt steht im Verdacht, mindestens 15 Menschen getötet zu haben. Das ist kein Einzelfall. Kriminalbiologe Dr. Mark Benecke erklärt, was sogenannte Todesengel antreibt – und warum sie oft lange unentdeckt bleiben.

In Berlin ist ein Palliativarzt angeklagt, der mindestens 15 Menschen getötet haben soll. In weiteren 75 Fällen wird gegen ihn ermittelt. Der 40-Jährige soll seine Patienten getötet haben, während er für das Palliativ-Team eines Pflegedienstes arbeitete. Um die Taten zu vertuschen, legte er mehrere Brände, die schließlich zu den Ermittlungen gegen ihn führten.

Das ist kein Einzelfall: Immer wieder geraten Pflegekräfte oder Ärzte unter Verdacht, sogenannte Todesengel zu sein, die ihre Patienten absichtlich töten. Häufig geschieht das an Orten, an denen das Sterben gewissermaßen zum Alltag gehört, etwa in Kliniken, Pflegeheimen und Hospizen.

Einer der bekanntesten Fälle in Deutschland ist der des ehemaligen Krankenpflegers Niels Högel. Er tötete nachweislich mindestens 80 Menschen. Er beging diese Taten in verschiedenen Kliniken und über Jahre hinweg – bis gegen ihn ermittelt und er verurteilt wurde.

Was treibt solche Täter an? Und warum bleiben sie so lange unentdeckt? Der Kriminalbiologe und Forensiker Dr. Mark Benecke kennt die Motive hinter solchen Taten: Er hat mit mehreren Serienmördern und Todesengeln gesprochen und dabei bestimmte Muster erkannt.

"Viele von ihnen haben ein Bedürfnis nach Aufmerksamkeit und Aufregung – und wollen ein Teil davon sein", sagt Benecke. "Genau wie bei Brandstifterinnen und Brandstiftern, die das Feuer betrachten. Einige Täter bringen ihre Patienten absichtlich in Gefahr – nur um sie dann selbst wiederzubeleben, so etwa Niels Högel."

Dabei handelt es sich um ein makabres Spiel mit dem Tod, bei dem der Ausgang oft zweitrangig ist. Wichtig ist die Aufregung: Maschinen piepsen, das Personal rennt, es gibt hektische Wiederbelebungsversuche. "In diesen Momenten spüren die Täter die Aufregung", sagt der Forensiker.

Doch nicht immer geht es um Aufmerksamkeit: Hinter vielen Taten steckt auch ein Bedürfnis nach Macht und Kontrolle. "Die Täter oder Täterinnen entscheiden, wer stirbt – und wann", sagt Benecke. "Sie ziehen ihre Energie daraus oder füllen ihre innere Leere damit, dass sie anderen Menschen das Leben rauben."

Manche Täter sind zudem überzeugt davon, dass das Leben ihrer Opfer nichts mehr wert sei – und nutzen die Situation aus. "Ich habe Fälle erlebt, in denen sehr alte, schwerkranke Menschen geheiratet und dann getötet wurden, um ans Erbe zu kommen", sagt Benecke. Andere bestehlen ihre Opfer, bevor sie sie töten.

Wie Todesengel töten, unterscheidet sich von Fall zu Fall – und es sagt viel über ihre Persönlichkeit aus. "Die Vorgehensweise hängt stark von den Fantasien des Täters oder der Täterin ab", sagt Benecke. Manche suchen die große Bühne, wenn etwa im Krankenhaus der Alarm schrillt und Wiederbelebungsversuche starten. Andere dagegen töten Patienten still in ihrem Zuhause.

Auch die Mittel sind vielfältig, etwa Gifte, Medikamente und Betäubungsmittel. "Es gibt unzählige Möglichkeiten, Menschen in medizinischen Einrichtungen zu schwächen oder zu töten", sagt der Forensiker. Oft spiele der Zufall eine Rolle – oder das, was Täter zuvor gesehen, erlebt oder sich ausgemalt haben. "Eine Frau erzählte mir zum Beispiel, dass sie ihre Opfer mit Medikamenten vergiftet hat, die unter anderem Erbrechen auslösen. Die Spuren störten sie nicht." Ihre Opfer waren sehr alt, deshalb waren nach deren Ableben keine polizeilichen Ermittlungen zu befürchten.

Beängstigend ist: Viele Täter werden wohl niemals enttarnt. "Wenn jemand nur gelegentlich tötet, fällt das kaum auf", sagt Benecke. Das betrifft vor allem Bereiche und Abteilungen, in denen viele Menschen sterben, etwa in der Palliativmedizin. "Dort ist der Tod alltäglich, was die Aufdeckung erschwert."

Mathematische Analysen könnten helfen, den Tätern auf die Schliche zu kommen. So könnte man prüfen, wann welche Menschen wo und in welcher Zahl sterben – um dann Auffälligkeiten zu untersuchen. Doch solche Methoden scheitern häufig, wegen Bedenken beim Datenschutz, aus mangelnder Vorstellungskraft – oder auch aus der Angst vor dem, was man finden könnte. "Viele Einrichtungen halten es schlicht nicht für möglich, dass das eigene Personal zu so etwas fähig ist", sagt Benecke. "Überwachung wird als übergriffig empfunden."

Gelegentlich gibt es jedoch Hinweise, makabre Spitznamen zum Beispiel, wenn Pfleger in ihrer Einrichtung als "Todespfleger" bezeichnet werden, weil in ihren Schichten auffällig viele Personen sterben. Doch oft geschieht dem Forensiker zufolge auch dann nichts, sondern die Betroffenen bekommen gute Zeugnisse und werden regelrecht weggelobt – und können ihre Taten dann woanders fortsetzen. "Krankenhäuser und Pflegeheime haben kein Interesse daran, dass Untersuchungen zu Todesfällen sie in ein schlechtes Licht rücken."

So erhielt auch der Pfleger Niels Högel ein sehr gutes Arbeitszeugnis und konnte seine Mordserie zunächst unbehelligt in einer anderen Klinik fortsetzen. "Die Arbeitszeugnisse in Deutschland sind oft kaum aussagekräftig", sagt Benecke. "Niemand will einen Rechtsstreit riskieren. Also wird gelobt und nicht gewarnt."

Und selbst wenn Verdachtsmomente bestehen, schweigen die Einrichtungen meist, wenn sie zum Beispiel von einem potentiell neuen Arbeitgeber zu einer weggelobten Pflegekraft oder einem Arzt kontaktiert werden. "Kaum ein Krankenhaus würde zugeben, dass ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin im Verdacht stand oder einen entsprechenden Spitznamen hatte", sagt Benecke. "Das würde sofort rechtliche Folgen nach sich ziehen – mindestens wegen Beleidigung, oft auch wegen anderer Straftatbestände."

Die Flatterhaftigkeit des Seins

Quelle: museen.köln – Das Magazin, Ausgabe 1/2025, Seiten 60 bis 63

Text: Mark Benecke | Illustrationen: Kat Menschik

Hier gibt es das gesamte Heft mit dem Artikel

Manche stören sich am krähenden Gesang der kölschen Sittiche. Ich hingegen liebe sie, wie sie sind. Abends fahre ich sie mit meinem Klapprad am Rheinufer besuchen, wenn sie lustig schaukelnd in den Bäumen zwischen Heumarkt und Dom ihr Nachtlager beziehen. Bei Tageslicht sind sie: unfütterbar, pfeilschnell, an Menschen nicht die Bohne interessiert. Sie machen ihr Ding. Auch eine Haltung.

Die Rede ist von Alexandersittichen, die meist in Schwärmen durch Köln rasen. Laut und lebenslustig wie diese bekloppte Stadt. Schon im 14. Jahrhundert zitiert der Weltgeistliche Konrad von Megenberg seinerseits Aristoteles in seinem »Buch der Natur« mit der Feststellung, »dass der Alexandersittich gerne Wein trinke und ein sehr unkeuscher Vogel« sei. »Der Wein«, so erklärt der Priester dazu, »ist die Ursache der Unkeuschheit, Aristoteles sagt, dass der Vogel, wenn er vom Wein trunken ist, gerne Jungfrauen ansehe und sich an ihrem Anblick erfreue.« Ein echt kölscher Charakter, dieser Sittich. Und da sich niemand einen Vogel zu Hause halten sollte, halten wir sie uns alle schön gemeinsam – in unserem Veedel, in den öffentlichen Parks.

Ursprünglich lebten die grünen Edelpapageien in Afrika, Indien und Asien. Halsbandsittiche und Alexandersittiche, die ich hier wegen ihrer nahen Verwandtschaft zusammenwerfe, waren dort schon lange in Käfigen gehalten worden. »Es gibt zahlreiche literarische und Bildbelege aus der Antike und aus dem byzantinischen Einflussgebiet«, berichtet mein tierkundlicher Kollege Ragnar Kinzelbach von der Uni Rostock. »Seit dem Feldzug Alexanders des Großen vom Frühjahr 334 bis März 324 vor unserer Zeitrechnung kamen Halsbandsittiche aus dem nördlichen Indien und dem Sudan vor allem nach Alexandria und Rom. Im Mittelalter tauchte der Halsbandsittich regelmäßig als ›der Papagei‹ in Büchern über alle möglichen interessanten Wesen auf.«

Verarbeitete Halsbandsittichhäute wurden als Kopfschmuck getragen, und es galt als schick, sich wie der Vogel zu nennen: Man hieß dann offiziell »Sittich« und verwendete sein Bild in Wappenbildern. Auch ich nutze ein solches Wappenbild mit Alexandersittich als jahreszeitlich wechselnden Anhang unter E-Mails: Mal sitzt mein Sittich auf einem beschneiten, mal auf einem erblühten Birnbaum mit Früchten. Die Liebe zum als Haustier gehaltenen Halsbandsittich währte bis ins 16. Jahrhundert. »Danach«, so Kollege Kinzelbach, »traten nach der Einfuhr amerikanischer Papageien durch Kolumbus auch alle anderen jeweils verfügbaren Papageienarten auf Altarbildern, besonders zusammen mit dem Jesuskind, auf.« Zur zeitlichen Einordnung: Die heute bekannten Wellensittiche kamen erst 300 Jahre später, Mitte des 19. Jahrhunderts, nach Deutschland. Alexandersittiche, die heute zu Tausenden frei im Rheinland leben, sind also die ursprünglichen und eigentlichen »bunten Vögel«. Die knallbunten Ara-Papageien, wie wir sie noch in meiner Kindheit auf der Schulter von Piraten und Seebären im Comic kannten, erschienen erst später.

In Köln wurden freilebende Alexandersittiche erstmals Ende der 1960er Jahre gesichtet. Sie tauchten nahe und auf dem Gelände des Zoologischen Gartens auf. »Ein neuseeländischer Pfleger«, fand meine Kollegin Ulrike Ernst in den 1990er Jahren heraus, »hatte 1967 sechs Alexandersittiche gezähmt und im Kölner Zoo frei fliegen lassen. Sie kehrten nur zur Fütterung in den offenen Käfig zurück.« Bis dahin hatte die Besiedlung Kölns durch den Alexandersittich ziemliche Umwege genommen. Die ersten Tiere waren zwischen 1901 und 1908 aus dem Zoo von Gizeh in Ägypten geflohen. Sie kamen dann aber nicht vom heißen Süden her ins warme Rheinland, sondern wanderten aus dem Norden hier ein. Vermutlich hatten Seeleute die grasgrünen Gesellen als Souvenir aus der tropischen Ferne in englische Hafenstädte mitgebracht. Das passt mit der Verbreitung der Alexandersittiche in Europa zusammen – die nämlich zunächst an britischen Küstenstreifen siedelten. Weitere Gruppen hatten derweil schon nach Belgien und in die Niederlande rübergemacht. 1975 sah und hörte man sie dann lautstark erstmals im rheinischen Brühl im Schlosspark. Wie schon erwähnt, sind die Tiere ohrenbetäubend laut.. Aber ich liebe ihr fröhliches Schreien schon allein deshalb, weil es der Sound meiner Heimat Köln ist. Heute gelten Alexandersittiche in Europa als typische Stadtbewohner. In Düsseldorf heißen sie nach der schnieken und baumbestandenen Königsallee, wo sie tagsüber oft anzutreffen sind, »Kö-Papageien«. In Köln lebten sie in den 2010er Jahren in der Südstadt im Trude-Herr-Park, benannt nach der in Köln geborenen Volksschauspielerin, die um die Ecke des Parkes ihr eigenes Theater betrieb. Ich war bei Trude Herrs Trauerfeier in ihrem ehemaligen Theater, das heute ein Kino ist: Die Anwesenheit der wilden Vögel dort hätte ihr, die selber einer war, sicher gefallen.

Wie die meisten Kölner*innen verschwenden Alexandersittiche alles Mögliche, besonders ihr Futter. Das passt schon wieder, denn im katholisch gefärbten, rheinischen Karneval werfen die an den Umzügen (»Zööch«) teilnehmenden Jecken tonnenweise Süßigkeiten in die Menge. Schokolade, Bonbons, früher sogar das Duftwasser 4711. Mehr Verschwendung geht nicht.

Die Freude am Verschenken teilen Kölner*innen wirklich mit den Sittichen. Besonders, wenn die grünen Vögel verliebt sind, schenken sie sich gegenseitig Futter. Während das Füttern von Partner*innen auch bei menschlichen Tieren verbreitet ist – man denke nur an die aussterbende, bei Älteren aber noch weit verbreitete Sitte, dass Männer im Restaurant möglichst die Rechnung zahlen wollen und sollen –, geht die Nahrungsmittelverteilung bei den Sittichen deutlich weiter. Sie verstreuen die Nahrung nämlich auch in der Gegend. Weshalb die Fachliteratur Alexandersittiche als »Schlemmer und Schlamper« beschreibt.

Das finde ich lustig. Denn Alexandersittiche haben sich ausgerechnet entlang des römischen Straßennetzes verteilt, wo schmausende Lebenslust ihre Blüte erlebte. Krüge mit Fischsauce, der damaligen Entsprechung unseres heutigen Ketchups (»passt zu allem«), gelangten deswegen hunderttausendfach an den Rhein. »Schiffsladungsweise wurden die Delikatessen in Amphoren angelandet«, so das Römisch-Germanische Museum. »Die Tonbehälter, die man als antike Einwegverpackungen bezeichnen kann, wurden später zerschlagen und entsorgt. Wein kam aus Kleinasien, Griechenland und Südfrankreich, Olivenöl bezog man aus Südspanien, Portugal und Tunesien, und Garum, die beliebte salzige Fischsauce, wurde aus Spanien, Portugal und Süditalien beschafft.« Die sogenannte appische Straße der Römer*innen führte in ihren Verlängerungen aus Italien über Rom und Innsbruck (Veldidena) auch nach Wiesbaden (Aquae Mattiacorum), Köln (Colonia Agrippina) und London (Lundinium). Allsamt Orte, an denen heute Sittiche vergnügt leben.

Ob die identischen Verbreitungslinien der verschwenderischen Vögel, Römer*innen Zufall sind oder nicht – das können Sie gerne selbst entscheiden. Mir gefällt die Idee. Schließlich bin ich von Herzen Kölner und halte es mit der Lebenslust der Sittiche.

Autisten können meist eins: sich unsichtbar machen

Quelle: t-online, 1. April 2025

Sechsjähriger seit einer Woche vermisst

Wie sucht man ein autistisch veranlagtes Kind, das sich vermutlich versteckt hält? Kriminalbiologe Dr. Mark Benecke erklärt, warum die Suche schwierig ist, und spricht über mögliche Gefahren.

Seit Dienstag, 14 Uhr, sucht ein Eurofighter der Bundeswehr nach dem seit einer Woche vermissten Sechsjährigen aus Weilburg. Pawlos war am Dienstag, dem 25. März, aus seiner Förderschule davongelaufen. Seitdem fehlt von ihm jede Spur. Kriminalbiologe Dr. Mark Benecke sagt, die Wahrscheinlichkeit, den Jungen noch lebendig zu finden, lasse sich nicht einschätzen.

Wenn Kinder weglaufen, sind sie den unterschiedlichsten Gefahren ausgesetzt, die für sie tödlich enden können. Tödlich seien vor allem Verdursten, Erkrankungen, seltener auch Erfrieren, Ertrinken oder Autounfälle, erklärte Benecke t-online. Ob autistisch veranlagte Kinder im Fall von Hunger oder Durst um Hilfe bitten würden, sei schwer einzuschätzen. Manche Autisten sprächen sehr ungern. In ungewohnten Umgebungen sprächen sie womöglich gar nicht.

"Irgendwann wird es ihnen zu viel"

Die Behörden gehen aktuell davon aus, dass der Kleine sich bewusst versteckt. "Austistinnen und Autisten können meist eins: sich unsichtbar machen. Das lernen sie ihr Leben lang, weil ihre Umgebung sie oft nicht versteht und dadurch laufend in schwierige Lagen bringt." Doch wie sucht man ein autistisches Kind, das nicht gefunden werden will? "Autistinnen und Autisten nehmen sehr viel wahr, viel mehr, als es manchmal scheinen mag. Daher können sie sich oft gut verstecken", sagt Benecke. Es wurde bereits versucht, Pawlos mit in der Stadt aufgehängten bunten Luftballons aus seinem Versteck zu locken. Bislang ohne Erfolg. Da helfe nur, wie bei einer Spurensuche alles haarklein zu durchkämmen, sagt Benecke, auch Wärmebildkameras können manchmal helfen.

Laut dem Kriminalbiologen besteht die Möglichkeit, dass der Junge nicht in seine frühere Umgebung zurückkehren möchte, weil sie ihm vielleicht unangenehm ist.

"Wir haben in einer großen Studie zusammen mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung, der Goethe-Universität in Frankfurt/Main, der Humboldt-Universität in Berlin und dem Verein White Unicorn gezeigt, dass Autistinnen und Autisten in der Schule zwar oft sagen, was sie stört (Licht, Gerüche, Ordnung), aber es sehr oft nicht ernst genommen wird. Irgendwann wird es ihnen dann zu viel."

Interview mit der PARTEI MENSCH UMWELT TIERSCHUTZ

Dr. Mark Benecke im Interview mit der PARTEI MENSCH UMWELT TIERSCHUTZ - Tierschutzpartei (3.FeBruar 2025)

Hallo Mark, wir von der Tierschutzpartei bewundern ja deinen unermüdlichen und fundierten Einsatz für Tierrechte, Artenschutz, Klimaschutz und Soziales. Vor allem finden wir es auch inspirierend, dass du deine große Reichweite nutzt, um auf Tierschutzthemen aufmerksam zu machen, die sonst wenig Gehör finden.

„danke fuer EUREN einsatz“

Wir würden uns daher sehr freuen, wenn du die untenstehenden Fragen beantworten und uns deine Antworten in schriftlicher Form oder als Reel/Short zusenden könntest.

Unsere Fragen:

1. Was hat dich dazu gebracht, dich für Tiere einzusetzen?

„Fand ich selbstverständlich. Ich habe schon als Kind in einem Schul-Aufsatz geschrieben, dass ich es unangenehm und rätselhaft finde, dass Schweine in Lastwagen neben unserem Familien-Auto herfahren. Für die öffentliche Wirkung hat ein im Internet immer noch weit verbreiteter Auftritt bei der Fernseh-Sendung 'Hart aber fair' des WDR gespielt. Dort war die esoterisch angehauchte Barbara Rütting die einzige, die menschlich gesprochen hat. Die anderen Teilnehmer (alles Männer) aus der Unterhaltungs-, Tier- und Fleisch-Industrie waren wie gezeichnete Karikaturen restlos veralteter, der Wirklichkeit entrückter Herren. Später hat PeTA mich als Botschafter für Meeres-Tiere angesprochen und mir in Ruhe und Freundlichkeit immer gute Hinweise gegeben.“

2. Wie kann die Politik deiner Meinung nach aktiv dazu beitragen, Tierleid zu verringern?

„"Die Politik" sind in Deutschland die Wähler:innen. Ernähren diese sich pflanzlich, ist der allergrößte Schritt schon getan. Das andere dürfte sich dann von selbst ergeben.“

3. Was wünschst du dir für die Zukunft des Tierschutzes?

„Dass die Menschen aufhören, Katzen und Hunde lieb zu haben und die anderen Tiere aufessen, foltern lassen und so tun, als wäre nichts.“

Podcast: »DNA 🧬 War Kolumbus Spanier?«

Die ARD Madrid berichtet (oder hat zumindest im März 2025 einen Beitrag bereit gestellt): War Christoph Kolumbus Spanier oder nicht? Das Labor des Kollegen Lorente hat dazu im TV eine neue Untersuchung vorgestellt .

Hier geht es zum Podcast ↓

Meldung des MDR (ARD):

»Christoph Kolumbus stammte einer neuen Theorie zufolge nicht aus dem norditalienischen Genua, sondern aus dem spanischen Mittelmeerraum. Das wollen Forscher der Universität Granada anhand von DNA-Proben herausgefunden haben.

Über die Herkunft des Entdeckers Christoph Kolumbus gibt es eine neue Theorie. Spanische Wissenschaftler der Universität Granada wollen anhand von DNA-Proben des Seefahrers und seines Sohnes herausgefunden haben, dass der Entdecker Amerikas aus dem spanischen Mittelmeerraum stammte. Sie erklärten zudem, das Erbgut seines Sohnes Hernando enthalte auch Merkmale, die mit einer jüdischen Herkunft vereinbar seien. Lange Zeit war angenommen und gelehrt worden, dass Kolumbus aus der italienischen Hafenstadt Genua stammte.

Die spanischen Forscher um José Antonio Lorente erläuterten ihre Theorie von der spanisch-jüdischen Herkunft von Kolumbus in der Dokumentation Colón ADN, su verdadero origen (Kolumbus DNA, seine wahre Herkunft) des spanischen öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders RTVE. Das Team hatte zahlreiche Theorien zu Kolumbus' Herkunft überprüft. Unter anderem nahmen die Forscher DNA-Proben von Männern mit dem Nachnamen Colombo in Norditalien, bei denen es jedoch keinerlei genetische Ähnlichkeiten zu Kolumbus gab.

Letztlich kamen Lorente und sein Team zu dem Schluss, dass eine spanische Herkunft des Amerika-Entdeckers am wahrscheinlichsten sei.«

Rätselhafter Leichenfund bei Gröditz

Quelle: sächsische.de, 23. April 2025, 13:28 Uhr

Kriminalbiologe Benecke zum Leichenfund im Güllebecken: „Es gibt kaum Vergleichsfälle dazu“

Der Fall der beiden Gülle-Toten von Spansberg wirft Fragen auf. Einige könnten ungelöst bleiben. Nachgefragt bei Deutschlands bekanntestem Kriminalbiologen Dr. Mark Benecke.

Von Jörg Richter

Seit über 20 Jahren ist Dr. Mark Benecke, Jahrgang 1970, international auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Forensik aktiv und hat sich insbesondere der Entomologie verschrieben. Der Kriminalbiologe absolvierte nach seiner Promotion an der Uni Köln diverse fachspezifische Ausbildungen auf der ganzen Welt, so zum Beispiel beim FBI. Als Deutschlands einziger öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für biologische Spuren untersuchte er unter anderem Adolf Hitlers Schädel. Bekannt wurde er durch Fernsehsendungen, in denen er wissenschaftliche Hinweise zu realen Kriminalfällen gab. Nebenbei veröffentlichte er zahlreiche wissenschaftliche Artikel, diverse Sachbücher sowie Kinderbücher und Experimentierkästen.

Gröditz. Zwei Wochen nach dem Fund zweier Leichen in einem Güllebecken bei Gröditz tappen die Ermittler weiter im Dunkeln. Bisher ist nicht geklärt, um wen es sich bei den beiden Toten handelt. Das bestätigt ein Sprecher der Polizeidirektion Dresden.

Es ist lediglich bekannt, dass es sich bei den Leichen um einen Mann und eine Frau handelt. Wie Feuerwehrleute berichteten, seien die Körper noch relativ gut erhalten gewesen, kurz nachdem sie aus dem Güllebecken mithilfe eines Radladers geborgen wurden.

Sächsische.de fragte bei Deutschlands bekanntesten Kriminalbiologen Dr. Mark Benecke nach, wie genau sich feststellen lässt, wie lange die beiden Toten in dem Güllebecken lagen.

Herr Dr. Benecke, wann und wie zersetzt sich ein menschlicher Körper, wenn er dauerhaft mit Gülle in Berührung kommt?

Das hängt von der Durchlüftung der Gülle beziehungsweise der Schicht-Dicke und der Temperatur ab. Je wärmer es ist und umso mehr Luft an sie kommt, umso schneller zersetzen sich Leichen. In kalter Gülle versunken würde sich ein Körper besser erhalten als in einem flachen See aus Kot, an den Luft und Wärme gelangt.

Auf wie viele Monate oder Wochen genau kann man ermitteln, wie lange die beiden Leichen in der Gülle lagen bzw. schwammen?

Möglicherweise gar nicht. Es gibt kaum Vergleichsfälle dazu.

Bei dem Fall aus Spansberg wird vermutet, dass es sich um ein älteres Paar aus dem Nachbarort handelt. Sie wurden zuletzt zwischen Weihnachten und Neujahr gesehen. Wie weit kann der Zerfall fortgeschritten sein?

Wenn es eine tiefe, kalte, dicke Kot-Schicht war, dann könnten die Leichen noch vergleichsweise gut erhalten sein. Wenn sie durch Aufblähung — Bakterien bilden Gase im Körper — nach oben getrieben sind, können auch Fliegen Eier abgelegt haben. Daraus schlüpfen Maden und diese können bakteriell erweichte Leichen rasch skelettieren. Ich habe auch schon Leichen in Flüssigkeiten gesehen, die oben skelettiert waren und unten, in der Flüssigkeit, noch reich an Gewebe.

Hatten Sie schon mal einen ähnlichen Fall?

Wir hatten beim „ersten“ Tsunami (2004, Anm. d. Red.) einige Nachfragen zu Leichen, die oben, im Teil, der aus dem Wasser ragte, dunkel verfärbt waren. Unten, im Wasser, waren sie aber faulig-feucht. Einen echten Gülle-Fall kenne ich nur vom Kollegen Prokop, dem Leiter der Rechtsmedizin der Charité in Ost-Berlin (Otto Prokop 1921 - 2009, Anm. d. Red.). Der Fall ist in seiner Biografie von mir ausführlicher dargestellt. Prokop beschrieb 1951 den Tod einer Bäuerin, die bäuchlings in einer Jauche-Grube lag.

YPS: Der Herr der Maden

Quelle: Yps, Heft 1263 (1/2014), Seiten 34 bis 36

Er gilt als „Herr der Maden“, untersuchte Hitlers Schädel und half mit, entsetzliche Gewaltverbrechen aufzuklären: Deutschlands bekanntester Kriminalbiologe Dr. Mark Benecke (43) ist Spezialist für forensische Entomologie, wie das Fachgebiet des 43-­Jährigen eigentlich heißt, Experte für das Abwegige und erklärter Yps-­Fan.

Interview: Andreas Hock

Yps: Was sind Ihre Erinnerungen an Yps?

Dr. Mark Benecke: Ich bin immer zum Kiosk getigert und habe mir alle Hefte gekauft! Nur eine Zeitlang hatte ich einen Groschen zu wenig Taschengeld und konnte nur jedes zweite Yps kaufen. Ein Drama!

Irgendein Lieblings-­Gimmick?

Eigentlich mochte ich alles. Nur manchmal habe ich mich geärgert, wenn etwas nicht funktionierte. Etwa der Windmesser fürs Fahrrad. Das war Plastik-­Schrott.

Hat Yps Ihren weiteren Berufsweg denn irgendwie beeinflusst?

Ich denke schon. Denn alles, was ich heute gerne mache, kam da schon vor: messen, tüfteln, forschen. Yay!

Sie beschäftigen sich praktisch ausschließlich mit den extremen Auswüchsen der menschlichen Psyche und ihren Folgen. Woher die Begeisterung fürs Abgründige?

Ich arbeite einfach gerne am Rand des Randes, dort, wohin keiner mehr gucken mag. Das finde ich besonders spannend.

Was genau macht eigentlich ein „Kriminalbiologe“?

Zweierlei Sachen. Einerseits bin ich als Spurenkundler tätig und schaue mir vor allem die Insekten an. Danach kann ich beispielsweise sagen, wie lange das Insekt auf der Leiche gelebt hat, was den Todeszeitpunkt bestimmen helfen kann. Oder ich stelle fest, dass die Leiche zunächst nicht an der Stelle gelegen hat, wo sie gefunden wurde. Der Rest des Falles ist mir dabei vollkommen egal. Wenn es aber um den Bereich der Tatortrekonstruktion geht, hole ich mir wie ein Ermittler alle möglichen Infos heran. Dann rede ich mit jedem, der irgendetwas Relevantes wissen könnte. Ich notiere, fotografiere und katalogisiere. Dabei glaube ich aber erstmal gar nichts – nicht einmal mir selbst.

Und wie kann man bei all den furchtbaren Dingen noch ein halbwegs normales Leben führen

Ich betrachte ich das Ganze nicht von einem emotionalen Standpunkt aus, sondern eher rein wissenschaftlich. Wenn ich einen Tatort oder eine Leiche untersuche, dann habe ich dabei keine Gefühle. Schon eher, wenn ich bemerke, dass bei der Aufklärung eines Falles Fehler gemacht wurden und etwa die falsche Person verurteilt worden ist!

Kriegen Sie denn nach Feierabend die Bilder aus dem Kopf?

Ich hasse Feierabend, Urlaub und dergleichen. Außerdem habe ich zum Glück als Bilder nur die Räume oder Wege der Tatorte im Kopf, weiter nix. Sonst wäre es in der Tat ein bisschen anstrengend.

Wenn der kleine Yps-­Leser Mark gewusst hätte, was der große Dr. Benecke später macht – was hätte der gedacht?

Et is, wie et is...

Wie erklären Sie sich die wachsende Faszination, die von Gewaltverbrechen ausgeht? TV-­Serien wie „Medical Detectives“ oder „Autopsie“, wo Sie ja auch mitgewirkt haben, sind Quotenrenner, und Ihre Vorträge sind voll....

Ich schaue selbst nie fern. Insofern kann ich nicht beurteilen, was den Erfolg oder den Reiz solcher Sendungen betrifft. Aber durch sie ist natürlich schon die soziale Akzeptanz für Berufe wie meinen gestiegen. Und was die so genannte Faszination dafür angeht: Für die meisten Menschen fungiere ich wohl als Puffer, indem ich an einem „neutralen“ Ort von meinen Erlebnissen berichte. Mein Publikum freut sich wahrscheinlich, dass irgendjemand den Drecksjob macht. Oder manche Zuschauer haben selbst einen seltsamen Todesfall erlebt und wollen wissen, wie dann vorgegangen wird.

Was erwartet denn Ihre Zuschauer an einem solchen Abend?

Ein Blick auf das Ungeheuerliche. Es lohnt sich, das Tor zur Hölle mal kurz aufzureißen, um hineinzusehen. Ich mag es nicht, wenn die Leute zuhause auf dem Sofa sitzen, Chips in sich hineinstopfen und dabei eine bessere Welt fordern. Man muss auch mal dorthin schauen, wo es stinkt – und sich fragen, wo die eigene Verantwortung anfängt.

Nämlich?

In meinem Fall dort, wo Gewalttäter etwas tun, das nur sie selbst erklären können. Bevor dieses Wissen einfach untergeht, muss ich doch die Möglichkeit ergreifen, das zu erhalten und Schlüsse daraus ziehen.

Empfinden Sie selbst noch so etwas wie Ekel?

Nein, sonst könnte ich das Ganze ja auch nicht machen! Ich arbeite mit menschlichen Ausscheidungen aller Art – Kot, Sperma, Blut. Ich weiß nicht, was daran ekelhaft sein soll. Den Geruch von frischem Fleisch – etwa beim Metzger – empfinde ich als genauso fies!

Und Angst?

Höchstens vorm Autofahren oder vor einem Hubschrauberflug. Ich bin nicht besonders mutig, aber das hat mit meiner Arbeit nichts zu tun.

Sie haben sich zum Beispiel auch mit dem kolumbianischen Serienkiller Luis Garavito Cubillos befasst, der 300 Jungen zwischen 8 und 13 Jahren getötet haben soll. Haben Sie eine Erklärung dafür, wie jemand so böse werden konnte?

Zunächst gibt es genetische Faktoren. Dann kommt noch die Umwelt hinzu. Bei manchen Mördern findet man wirklich das ganze Programm – Gewalt in der Familie, Alkoholismus, sexueller Missbrauch, geringe Bildung. Andere sind lupenreine Schizophrene. Eigentlich ist also die Tat an sich das Böse und nicht der Mensch, der sie begangen hat. Wobei ich klarstellen möchte, dass ich kein Mitleid mit diesen Tätern habe, im Gegenteil. Ich habe viel mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen zu tun, die allesamt schlimme Dinge erlebt haben. Jeder einzelne von ihnen hat mehr Mumm in den Knochen als diese Typen, die immer alles auf ihre schwere Kindheit schieben! Man hat immer die Wahl.

Ist die Welt böser geworden?

Eigentlich ist die Welt durch die ständige Vernetzung und den internationalen Informationsaustausch sogar besser geworden: Je mehr kulturellen Kontakt die Menschen haben, desto toleranter sind sie im Grunde. Einzig durch sozioökonomische Umstände wird das Aufkommen von Straftaten gesteigert.

Sie ernähren sich vegetarisch. Aus beruflichen Gründen?

Nicht unbedingt. Aber ich habe ja tatsächlich viel mit den detaillierten Überbleibseln von Gewalt zu tun, etwa mit Blutresten und verwestem Fleisch. Im Klartext: Bei einem Stück Schinken sehe ich das gleiche Leichengewebe vor mir wie an einem Tatort. Das kann ich offensichtlich nicht mehr ausblenden. Was kurios ist: Ursprünglich wollte ich eigentlich Koch werden!

Sie wollten also niemals mit Maden zu tun haben?

Nein. Aber ich war schon immer der kauzige Junge mit dem Chemie-­, Physik-­ und Detektivkasten. Und mit Yps natürlich.

Mit herzlichem Dank an Andreas Hock und die Yps-Redaktion für die Freigabe und die Genehmigung zur Veröffentlichung.

Was Mark Benecke zum Thema Blut zu sagen hat

Quelle: Gießener Allgemeine, Gießen, 7. März 2025

Von Barbara Czernek

Gießen (bac). Wer es wenig blutig mag, der ist bei Dr. Mark Benecke, Kriminalbiologe, Spezialist für forensische Entomologie, Autor, Politiker und Schauspieler an der richtigen Adresse. Er gehört zu den bekannten Gesichtern, wenn es um Fragen der Forensik geht. Mit seinen Wissenschafts-Programmen »Insekten auf Leichen« oder »Blutspuren« füllt er große Säle, so auch am Donnerstagabend die beiden Säle der Kongresshalle.

In der Reihe »Blutspuren« geht es darum, welche Aussagen man anhand von Blutspuren treffen kann: Passt die vorgefundene Spurenlage zu den weiteren Informationen und Aussagen der Beteiligten Personen oder nicht? Seine Maxime lautet: »Nicht meinen, sondern messen« Benecke geht rein wissenschaftlich vor, die entsprechenden Beurteilungen und Auslegungen überlässt er seinen Auftraggebern. Daher bekam das Publikum von den vorgestellten Fällen auch nur die Informationen mitgeteilt, die für die Erläuterung und Spurenlage notwendig waren. Das mag enttäuschend für einige gewesen sein, die sich vielleicht mehr Crime-Stories erhofft hatten. Jedenfalls verließen immer wieder Personen den Saal.

Die Bilder, die er zeigte, waren jedenfalls nichts für schwache Nerven. Ob ein großer Blutfleck an einem Bretterzaun, ein blutverschmiertes Bad oder Blutspuren im Flur: Anhand dessen deckte er auf, ob die Behauptungen der Täter oder Opfer zutreffen oder nicht.

Zwei spektakuläre Fälle hatte er im Gepäck: 2004 wurde der 26-jährige Amerikaner Nick Berg vor laufenden Kameras von Mitgliedern von Al-Kaida enthauptete. Benecke sollte prüfen, ob dieses Video echt oder fake sei. Er suchte nach entsprechenden Quellen von Enthauptungen, um zu prüfen, ob die gefilmten Bewegungen der Person realistisch seien. »Da muss man einfach mal Leute fragen, die sich mit so etwas auskennen«, meinte er trocken. Da es diese Hinrichtungsmethode in Deutschland nicht mehr gibt, hat er sich umgeschaut, wie in anderen Ländern und Religionen Tiere geschlachtet werden und wurde fündig. Ergebnis war, dass die gefilmten Vorgänge der Hinrichtung realistisch waren. Der zweite bekannte Fall war die Ermordung von Nicole Brown, der Ex-Frau von O.J. Simpson. Er zeigte auf, wie Simpson zwar anhand der Spurenlage überführt wurde, jedoch von der Jury freigesprochen wurde.

»Wir kämpfen nicht für eine Seite, sondern nur für die messbare Wahrheit«. Damit räumte er zugleich auch mit gewissen Mythen auf, die sich um seinen Beruf als Forensiker ranken. »Zum Feststellen, wie der Blutverlauf war, nehmen wir keinen Laser, sondern Wollfäden und Tesa-Film«, sagte er. Für andere Ausrüstungsdinge fehlten die Geldmittel. Da dieser Beruf längst nicht so spannend sei, wie in Krimi-Serien wie »CSI« dargestellt, fehle auch der Nachwuchs.

Dr. Benecke ist ein besonderer Mensch. Er ist bekannt durch seine zahlreichen Fernsehauftritte wie »Autopsie - Mysteriöse Todesfälle«, »Akte Mord« (RTL II) und »Medical Detective«s (VOX), dennoch macht er kein besonders Aufheben um seine Person. Er saß neben der großen Bühne vor seinem Laptop und warf die Bilder auf die beiden Leinwände. Wer ihn nicht kannte, der konnte diesen dunkel gekleideten Menschen leicht mit einem Technikmitarbeiter verwechseln. Seine Präsentation gestaltete er wie einen Vortrag vor Studenten ohne Schnickschnack, aber mit strikten Vorgaben. Er mochte keinerlei Störungen und forderte die volle Aufmerksamkeit seines Publikums. Wenn jemand den Saal verlassen wollte, dann stoppte er (»Wir machen jetzt eine kurze Pause, kein Problem«) und er begann erst wieder, wenn die Personen den Saal verlassen hatten. Darauf hatte er zu Beginn aufmerksam gemacht. Strenge Regeln, die er durchzog.

Vermisster Pawlos (6) lief plötzlich weg: Autismus-Experte äußert Verdacht

Quelle: merkur.de, 28. März 2025

Pawlos stand auf und ging. Seitdem wird der Grundschüler in Weilburg vermisst. Sein Autismus dürfte mit dem Weglaufen in Zusammenhang stehen.

Von Moritz Bletzinger

Weilburg – Seit Dienstag (25. März) fehlt vom sechsjährigen Pawlos jede Spur. In Weilburg läuft eine gigantische Suche nach dem vermissten Kind, an der sich am Mittwoch laut Polizeiangaben über 600 Rettungskräfte und Freiwillige beteiligt haben. Leider bislang erfolglos.

Nach dem Mittagessen hatte Pawlos die Förderschule in Weilburg am Dienstag alleine verlassen, berichtet das Staatliche Schulamt dem Hessischen Rundfunk. Bürgermeister Johannes Hanisch erklärt der Bild: „Gegen 12.45 Uhr ist er von allein aus dem Unterricht aufgesprungen und hat die Schule verlassen.“ Warum Pawlos plötzlich weglief, aktuell völlig unklar.

Der Grundschüler ist Autist, höchstwahrscheinlich besteht ein Zusammenhang zu seinem Weglaufen. Denn: Autistische Kinder laufen häufig weg. Das zeigt unter anderem eine Studie des Cohen Children Medical Center von New York. Mehr als ein Viertel der Kinder mit Autismus-Spektrum-Störungen oder anderen Entwicklungsstörungen hatten in der Studie bereits einmal Reißaus genommen.

Aber warum laufen autistische Kinder wie Pawlos einfach weg? „Viele Autisten und Autistinnen sind in der Schule von Gerüchen, Geräuschen und Licht überfordert. Sie brauchen eine ruhige, möglichst gleiche Umgebung“, erklärt Dr. Mark Benecke bei IPPEN.MEDIA. Autistinnen und Autisten sehen von außen zwar wie alle anderen aus, ihre Nerven sind innen aber anders verdrahtet. „Sie sind für äußerliche Reize viel empfänglicher.“

Der als Kriminalbiologe bekannte Forensiker ist Forschungsleiter im Autismusverband White Unicorn und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den Bedürfnissen von Autistinnen und Autisten. In Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung, der Goethe-Universität Frankfurt und der Humboldt-Universität in Berlin unterstützt er unter anderem das Projekt „schAUT - Schule und Autismus“.

Was kann eine Autistin oder ein Autist tun, wenn ihre Bedürfnisse zum Beispiel in der Schule nicht erfüllt werden? „Die einzige Möglichkeit für sie ist, innerlich oder äußerlich durchzubrennen“, sagt Benecke. „Ihr Leben in der Schule ist oft so, wie wenn ein Mensch Durst hat, aber alle sagen: ‚Stell dich nicht so an, ich habe keinen Durst.‘ Da würdest du auch entscheiden, diese Umgebung zu verlassen.“

Ob Pawlos das im Moment vor seinem Verschwinden so verspürt hat, wissen wir nicht. Bekannt ist, dass in der Weilburger Förderschule sofort auf sein Weglaufen reagiert wurde. Das Schulamt erklärt dem hr: „Sein Fehlen wurde von den aufsichtsführenden Lehrkräften binnen einer Minute bemerkt.“ Unmittelbar sei eine Suchaktion auf dem Gelände und im Gebäude gestartet worden und eine Viertelstunde später folgte die Information an Polizei sowie Eltern. (moe)

Das Todesdatum hätte ich mit Speckkäferlarven bestimmt

Von Stefan Maus

Der Tod von Gene Hackman und seiner Ehefrau Betsy Arakawa war rätselhaft. Kriminalbiologe Mark Benecke erklärt, wie er in solchen Fällen arbeitet und was das mit ihm macht.

Welche Rolle spielt das Klima bei der Veränderung von Körpern?

Je trockener es ist, desto leichter vertrocknen die Leichen. Und je feuchter und wärmer es ist, desto mehr hat man bakterielle Fäulnis und Gasblähungen. Man kann auch gemischte Formen haben. Wenn jemand im Bett liegt und seine Hände hängen raus, dann vertrocknen die, weil die warme Luft das Wasser abtransportiert. Wir bestehen ja fast nur aus Wasser. Unter einer Bettdecke kann das Wasser aber nicht abtransportiert werden. Dann wird das dort eben faul.

In unserem Fall ist Betsy Arakawa sieben Tage vor ihrem Mann Gene Hackman gestorben.

Das kommt leider vor. Es gibt Menschen, die den Tod ihres Partners verdrängen. Sie schlafen wochenlang, teilweise sogar monatelang neben der toten Person. Und wenn man sie dann lebend antrifft und fragt, warum sie denn niemandem Bescheid gesagt haben, dann haben sie die verrücktesten Gründe für ihr Verhalten. Manche sagen: "Ich habe gedacht, uns wird dann die Wohnung weggenommen." Solche Gedanken können zu den merkwürdigsten Befunden führen.

Wie meinen Sie das?

Sagen wir mal, die Leiche liegt im Bett und fängt an zu stinken. Dann räumt der Partner sie in einen Schrank. Dann verändern sich dadurch natürlich auch die Fäulnis oder die Spuren an der Leiche. Auch der Fundort verändert sich: Plötzlich gibt es im Raum Schleifspuren, oder die Totenflecken der Leiche sind an der falschen Stelle. Manchmal gibt es auch Menschen, die wischen die Eierpakete weg, die die Schmeißfliegen in den Augen und geeigneten Stellen ablegen. Manchmal aber auch nicht. Dann hat man eben dicke Madenteppiche im Gesicht, an den Ohren, unter den Armen oder im Genitalbereich. Es gibt aber auch Partner, die die Leiche waschen. Oder es gibt Mischformen von all dem. Aus Thailand habe ich zum Beispiel einmal den Fall einer Familie erhalten, die ihre Oma einfach aufs Sofa gelegt haben. Auch die Brille haben sie ihr einfach gelassen. Der ganze Körper war mit dem Sofa verklebt. Aber die Oma gehörte eben zur Familie.

Laut Auskunft der Polizei war Betsy Arakawa zum Teil mumifiziert. Was bedeutet das?

Das Wort sollte man eigentlich nicht benutzen. Weil die Leute dann sofort an Ägypten denken. "Mumifiziert" heißt einfach nur vertrocknet. Das Klima in Santa Fe ist ja sehr trocken. Also wurde das Gewebewasser abtransportiert. So wie halt alles Leichengewebe unter bestimmten Umständen vertrocknet. Schinken, Salami: Das ist ja alles nur vertrocknetes Leichengewebe.

Was könnten Sie als Kriminalbiologe alles aus Körpern herauslesen, die schon seit 15 Tagen irgendwo liegen?

Anhand von Insekten kann ich die Leichenliegezeit bestimmen. Ich schaue, welche Insekten es gibt. Und an welchen Körperstellen sie auftreten. Gibt es ungewöhnliche Besiedlungsstellen? Zum Beispiel kann ich Leichname auf bestimmte Vernachlässigungszeichen hin untersuchen. Dann schaue ich, ob im Genitalbereich oder an irgendeiner ungewöhnlichen Stelle eine besonders starke Besiedelung durch Insekten schon vor dem Tod stattgefunden haben muss. Weil die Insekten an diesen Stellen dann viel älter sind als am Rest des Körpers. Oder weil es Tiere sind, die an Kot und Urin gehen.

Wann könnte solch eine Untersuchung von Vernachlässigungszeichen von Interesse sein?

Eine Versicherung könnte zum Beispiel sagen: "Wir haben hier Geld an eine pflegende Person ausgezahlt. Aber diese Person scheint gar keine Pflege durchgeführt zu haben. Also hätten wir jetzt gerne unser Geld zurück." Da kann eine solche Untersuchung interessant werden.

Die Todesdaten von Gene Hackman und seiner Frau wurden mit Hilfe von Daten von Videokameras und Herzschrittmachern bestimmt. Wie genau hätten Sie den Todeseintritt mit rein biologischen Mitteln bestimmen können?

Den hätte ich mit Hilfe von Schmeißfliegenlarven bestimmen können. Oder wenn die Körper tatsächlich schon länger da lagen, dann auch über andere Tiere. Zum Beispiel mit Hilfe von Speckkäferlarven.

Hätten Sie den Tod damit genau datieren können?

Das hängt davon ab, wie viele Vergleichsdaten für Insekten aus Santa Fe vorhanden sind. Es gibt in den USA eigentlich relativ gute Wachstumsdaten von den einzelnen Insekten an den jeweiligen Orten.

Wie nah wären Sie dann an das genaue Todesdatum herangekommen?

Falls es stimmt, dass die beiden Körper ungefähr ein bis zwei Wochen dort lagen, dann kann man das Todesdatum gut eingrenzen. Ungefähr auf den Vormittag oder den Nachmittag eines bestimmten Tages. Aber das hängt alles von den örtlichen Vergleichstabellen mit den Wachstumsdaten der Insekten ab.

Erstaunlich, dass Sie mit rein biologischen Mitteln eigentlich ähnlich präzise sein können wie die Ermittler mit ihren technischen Spuren.

Ja. Aber natürlich wählt man immer das einfachste Mittel. Vor Ort kämen ja immer drei Parteien für Ermittlungen infrage: Polizei, Rechtsmedizin und Kriminalbiologie - also Spurenkunde. Und wenn ich jetzt bei der Polizei bin und sowieso schon vor Ort bin, dann nehme ich natürlich die sogenannten technischen Spuren. Wozu soll ich da eine biologische Zusatzinfo einholen?

Die amerikanischen Ermittler haben etwa eine Woche lang gebraucht, um das Rätsel zu lösen: Betsy Arakawa starb an Hantavirus, Gene Hackman an Herzversagen. Haben diese Ermittler einen guten Job gemacht?

Es geht keinen etwas an, das zu beurteilen. Einfach Fresse halten. Wir waren nicht dabei.

Der Sheriff sagte einen Tag nach dem Fund, die Leichen hätten schon mindestens einen Tag vor dem Fund auf dem Boden gelegen. Nun hat Betsy Arakawa dort aber schon über zwei Wochen gelegen. Ein Tag war also eine ziemliche Fehleinschätzung. Ist es verwunderlich, dass ein Sheriff so etwas sagt?

Er hat ja gesagt: Mindestens einen Tag. Insofern stimmt es. Aber grundsätzlich gilt: Laien können Leichenliegezeit nicht einschätzen. Wenn jemand nur vom Augenschein versucht, die Liegezeit zu schätzen, geht das immer schief. Da nützt alle Berufserfahrung nichts.

Wie kommt das?

Weil es sehr stark von den Umwelt-Bedingungen vor Ort abhängt.

Haben Sie ein Beispiel?

Nehmen wir an, ich bin Coroner, Sheriff oder Priester und habe schon viele Leichen in meinem Leben gesehen. Nun komme ich aber an einen Ort mit einer seltenen Besonderheit. Nehmen wir an, der Ort ist mit einer Tür verschlossen. Aber unter der Tür ist ein Schlitz. Und auf der anderen Seite des Raumes ist durch einen baulichen Zufall auch ein Schlitz. Den aber keiner sieht, weil er hinter einem Schrank ist. Dann hat man einen Luftkanal zwischen den beiden Schlitzen wie in einem dieser Händetrockner. Und plötzlich hat man völlig andere Feuchtigkeits- und Lufttransportbedingungen. Ganz unabhängig von der allgemeinen Temperatur in dem Raum. Wenn nun die Leiche vor diesem Türschlitz liegt, dann wird das Körperwasser sehr viel schneller abtransportiert, als wenn sie auch nur einen Meter weiter links oder rechts in derselben Wohnung liegen würde. Hier nützt es mir also nichts, wenn ich schon Dutzende Tote gesehen habe. Deswegen muss man das vernünftig vor Ort untersuchen. Mit technischen oder eben biologischen Mitteln.

Gene Hackman hat gut eine Woche länger als seine Frau gelebt. Er litt an Alzheimer in einem fortgeschrittenen Stadium. Als die Rechtsmedizinerin seinen Magen untersuchte, fand sie dort kein Essen. Sie haben ein sehr nüchternes Verhältnis zur menschlichen Vergänglichkeit. Aber ist der Tod nicht einfach ein verdammtes Arschloch?

Wie meinen Sie das?

Macht Sie solch ein Fall melancholisch oder traurig?

Ja, klar. Es ist schade, dass die beiden keine Sozialkontakte mehr hatten. Aber wie ich schon am Anfang sagte: Das ist total normal. Deswegen nenne ich diese Menschen auch "Invisible People". Nach einer Geschichte des New Yorker Comiczeichners Will Eisner. Diese Invisible People sind überall. Sie sind nicht der rosa Elefant, der mitten im Raum steht. Sondern sie sind das Hintergrundrauschen auf unserer Welt. Das sind die vergessenen Leute. Sie sind das Allerhäufigste, das wir bei Wohnungsleichen sehen. So ist das halt. Das hat mit dem Tod an sich nichts zu tun. Das hat etwas damit zu tun, dass diese Menschen keine Sozialkontakte mehr haben.

Sie verabscheuen Gefühlsduselei mehr als jeden Leichengestank. Gab es trotzdem einen Fall, der Sie gerührt hat?

Es sind die Angehörigen, die mich bewegen. Vor allem, wenn sie nicht genug Informationen haben. Oft machen sich diese Menschen in ihrer Trauer etwas vor. Viele suchen dann nach einem Mörder, wo es keinen gibt. Irgendwann lädt die dann keiner mehr ein. Dann heißt es: "Du, Renate, dein Mann ist vor zehn Jahren gestorben. Wir wollen jetzt einfach Silvester feiern. Wir haben das schon vor fünf Jahren gesagt. Du sollst nicht wieder anfangen mit dem Mord an deinem Mann. Vielleicht ist er ermordet worden. Vielleicht nicht. Auf jeden Fall laden wir dich jetzt nicht mehr ein." Die Menschen kriegen Posttrauma-Störungen. Die gucken dann nur noch gegen die Wand. Oder wenn Kinder versterben. Bei erweiterten Selbsttötungen im Partnerschaftsbereich zum Beispiel. Dann suchen die Großeltern für den Rest ihres Lebens nach Antworten und geben ihr gesamtes Geld an irgendwelche windigen Pfeifen aus, die sich ihr Leben dadurch finanzieren, dass sie alte Leute ausnehmen. Das Hauptproblem ist, dass die Angehörigen keine Ansprechpartner haben.

Inwiefern?

Die Polizei ist für diese Menschen nicht zuständig. Wenn ein Mensch ums Leben kam, es aber kein Kriminalfall war, dann sagt die Polizei: "Gucken Sie mal, es ist kein Kriminalfall. Bitte. Wir haben hier solche Stapel an echten Kriminalfällen liegen. Wir sind nicht zuständig. Die Staatsanwaltschaft hat ja auch gar kein Verfahren eröffnet. Das hat Ihnen die Polizei auch alles schon erklärt. Bitte, entschuldigen Sie, aber wir möchten uns gerne um die Drogenhändler, Mörder, Vergewaltiger und die häusliche Gewalt kümmern. Verstehen Sie?" - "Nein", sagt die trauernde Person dann, "verstehe ich nicht. Ich möchte wissen, warum mein Mann getötet wurde."

Also nimmt Sie so etwas schon mit.

Klar ist das alles scheiße. Auch diese ganzen Genozide, die wir sehen, und die keinen Menschen interessieren. Aber ich kann es ja nicht ändern. Was ich aber ändern kann: dass den Menschen ihnen wichtig erscheinende Informationen nicht vorenthalten bleiben. Das kann ich als freiberuflicher Forensiker mit meinem Team vor Ort oder im Labor ändern. Hier geht es um Lösungen, nicht um weinerliches Gejammer.

Gibt es einen konkreten Fall, der nicht nur ein interessantes Rätsel war, sondern Sie auch gerührt hat?

Wir hatten einen Fall, da kam eine Familie und sagte, sie habe ein Gemälde, das weint. Aber keine Bluttränen, sondern Wasser. In der Familie war jemand ertrunken, und der Glaube war nun, dass das Gemälde nicht Tränen weint, sondern das Wasser aus dem Gewässer, wo die Person ertrunken ist. Also habe ich gesagt: "Okay, untersuchen wir, kein Problem. Vielleicht können Sie dann ja besser in die Trauerarbeit gehen. Oder können durch die Informationen innerhalb der Familie dann mal besprechen, was da los ist. Das können Sie ja dann für sich selbst einordnen. Ich kann Ihnen nur sagen, ob das Süßwasser ist, Salzwasser, Öl oder Farbe." Sobald Angehörige beteiligt sind, sind echte Gefühle im Spiel. Die sind messbar. Natürlich bemerke ich die. Und die springen dann auch über. Sie beeinflussen mich aber nicht.

Wie schützen Sie sich vor dem Grauen und dem Entsetzen des Todes?

Es ist, wie es ist. Ich kann es doch auch nicht ändern. Ich meine, ich bringe die Leute ja nicht um oder stopfe sie ins Massengrab. Ich bin nicht derjenige, der Lampenschirme aus Menschenhaut näht. Ich verwende keine Tierprodukte. Ich tue, was ich kann. Aber der Tod scheint ja keinen Menschen zu schrecken. Folter und Ausbeutung interessiert ja auch kaum jemanden. Die Leute trinken Milch und essen Butter, zerhackte Tintenfische und Schweine-Schnitzel. Es scheint fast allen Menschen scheißegal zu sein. Keine Ahnung, warum den Menschen das einfach alles so völlig egal ist. Ich verstehe das nicht. Aber ich bin ja nicht derjenige, der es tut. Ich arbeite lieber an der Lösung, anstatt herumzujammern, dass irgendwas scheiße ist und mir dann die nächste Scheibe Schinken aufs Brot zu legen. Keine Ahnung. Ist mir auch ein Rätsel, was mit den Leuten los ist.

Verursacht Ihr Beruf Ihnen Albträume?

Nö, eigentlich nicht. Das Problem ist eher der Tag. Wenn die ganzen angeblich guten und braven Menschen herumlaufen und sich unsozial verhalten. Nachts ist es eigentlich angenehmer als tags.

Für mich sind alle Fälle gleich

Quelle: Westfalenpost, Kreis Olpe, 8. März 2025

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„Für mich sind alle Fälle gleich" Dr. Mark Benecke erlangte über Kriminalfälle weltweites Aufsehen. Kurz vor einem Auftritt in Attendorn gibt er uns private Einblicke in sein Leben

Von Daniel Engeland

Attendorn. Dr. Mark Benecke klärt bei seiner Arbeit als Kriminalbiologe knifflige Kriminalfälle auf. Über viele seiner Fälle erlangte der Kölner weltweite Aufmerksamkeit. Am 13. März kommt er nun für einen Vortrag nach Attendorn. Im Gespräch mit unserer Zeitung gibt er Einblicke in sein Privatleben und seinen spannenden Lebensalltag.

Herr Benecke, am 13. März halten Sie einen Vortrag in der Attendorner Stadthalle. Gibt es Verbindungspunkte zum Kreis Olpe und der Stadt Attendorn?

Ich bin als Kölner natürlich schon als Kind öfter in Attendorn gewesen — das war damals ein zwingendes Ausflugsziel für alle Familien mit Kindern.

Worauf können sich die Besucher und Besucherinnen in der kommenden Woche bei Ihrem Vortrag freuen?

Ich werde über einige meiner Kriminal-Fälle berichten.

Sie haben selbst mehrere Bücher geschrieben, was lesen Sie eigentlich privat?

Am liebsten lese ich alte Tier-Bücher. Ich habe aber auch eine sehr große Sammlung alter rechtsmedizinischer und kriminalistischer Bücher, dort geht es beispielsweise um Gifte, Mumien sowie „Fälle", die wir heute als harmlosen Alltag ansehen und nur den Kopf schütteln. Dazu gehören Homosexuelle und Sexarbeiterinnen, die von der Polizei mit großem Ernst verfolgt wurden. Dasselbe gilt für „Migration" und „fremde Menschen", die auch früher schon hin und wieder als gefährlich angesehen wurden, obwohl die kriminalistisch erhobenen Zahlen das Gegenteil zeigten. Und ich habe auch eine ziemlich große Ecke in meiner Bibliothek, die sich nur mit Vampir-Leichen und allem drumherum befasst. Außerdem bin ich Buchpate in der Linnean Society of London, der Staatsbibliothek in Berlin und der Nationalbibliothek in Wien, sodass ich auch dort einige Schätzchen lesen darf.

Sie sind ein großer Tattoo-Fan. Wie viele Tattoos haben Sie mittlerweile? Welche Bedeutung haben sie in Ihrem Leben?

Eine Freundin hat neuerdings so um die 150 Tätowierungen auf mir gezählt. Deren Bedeutung kann sich ändern. Es sind jedenfalls immer Erinnerungen an Orte, Menschen und Erlebnisse. Es gibt sogar ein 3D-Foto von mir im Netz. Es stammt aus dem Grassi-Museum für Völkerkunde in Leipzig. Dort kann mich jeder drehen und meine Tattoos und deren Bedeutungen Klick für Klick erkunden.

Viele Menschen sind von „True Crime" fasziniert. Verspüren Sie eine ähnliche Faszination, wenn Sie als Kriminalbiologe einen Fall erleben, der sich zunächst kaum erklären lässt?

Für mich sind alle Fälle gleich. Das geht uns aber allen im Team so. Wir ärgern uns über Lügen und Geschnatter, egal von wem es ausgeht. Wir suchen die messbaren Tatsachen dazu zusammen und dann tritt meist die messbare Wahrheit zutage.

Wie gehen Sie damit um, im Alltag immer wieder mit dem Tod und schaurigen Verbrechen in Kontakt zu kommen?

Et is wie et is. Die Welt besteht nicht nur aus Zuckerguss.

Wie sieht Ihr Alltag in der Kriminalbiologie aus, gibt es überhaupt einen Alltag?

Wir schauen uns jeden Fall mit kindlichen – nicht kindischen – Augen, also unbefangen an. Daher passiert jeden Tag etwas anderes. Mal messen wir Blut-Spuren, mal Insekten, mal wälzen wir Akten, mal hängt eine oder einer von uns in einem Baum, um eine Erhängung nachzustellen, mal sind wir auf Kongressen wie gerade eben bei der größten Tagung der Forensikerinnen und Forensiker in Baltimore.

Vor der Jahrtausendwende gelang Ihnen ein echter Coup: Es gelang Ihnen nach der Untersuchung von Maden die Liegezeit einer ermordeten Frau festzustellen und so den Täter zu finden. Wie kam es dazu?

Das mache ich schon seit den 1990-er Jahren. Die Länge von Larven verrät deren Alter. So lässt sich die Zeit seit der Leichen-Besiedlung ermitteln. Es gibt auch Fälle, wo vernachlässigte Lebende besiedelt werden. Da können wir dann ausrechnen, wie lange die Pflege schon nicht mehr stattgefunden hat.

Welche Rolle spielen Tiere für Ihre Arbeit?

Wir schauen uns gerne Käfer, Fliegen, Schnecken und Wespen an, um zu verstehen, wie lange eine Leiche besiedelt wurde. Und ob eine scheinbare Messer-Wunde oder Kratzer im Gesicht einer Leiche nicht doch von Tieren stammen. Ich habe auch einen Sondervortrag über Haustiere, die ihre menschli-chen, verstorbenen „Herrchen" oder „Frauchen" gefressen haben.

Sie haben während Ihrer Arbeit einiges gesehen, gibt es einen Fall, bei dem sich auch bei Ihnen noch heute die Nackenhaare aufstellen?

Ich finde es schade, dass Menschen nicht lernen. Die Zusammenarbeit war geschichtlich, auch kriminalgeschichtlich, immer messbar besser für alle Beteiligten als das Töten oder Ausgrenzen.

Welcher Fall hat Sie bislang am meisten fasziniert?

Vielleicht der Nächste?

Sie engagieren sich neben Ihrer Arbeit auch in der Politik. Wie ist es dazu gekommen?

Das ist für mich alles eins. Ich möchte das bewirken, was in meinem Handlungs-Spielraum steht. Manche Dinge lassen sich eher politisch umsetzen als auf der Couch.

Was macht Dr. Mark Benecke eigentlich in seiner Freizeit, wenn er mal nicht Verbrechern auf den Leim geht?

Ich unterscheide nicht zwischen Arbeit und Freizeit. Das, was ich erledige, mache ich gerne. Wenn ich es nicht möchte, lasse ich es. So halten wir es im Labor alle. Von außen sieht es vermutlich so aus, als ob ich immer arbeite. Messen kann ich aber überall.

News from Meiringen

Quelle: The Baker Street Chronicle, Sommer 2014, Seiten 31-34

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Von Mark Benecke

Viele Holmes-VerehrerInnen haben beim Ausflug nach Meiringen schon die Gischt des mir Karacho herniederschmetternden Reichenbachfalles im Gesicht gespürt. Das ist auch ganz gut so, weil auf diese Weise mögliche Tränen kaschiert werden – denn ob Watsons Aufzeichnungen nach „The Reichenbach Fall“ korrekt sind, vermag wohl nicht nur ich nicht zu entscheiden.

Den vollständigen Weg zum mit einem weißen Sternli markierten Absturzpunkt Holmes’ konnten wir beim jüngsten Besuch zwar nicht antreten, da Frau Adler ihre viktorianischen Stiefeletten trug. Immerhin schafften wir es aber auf halbe Höhe. Von dort ist bereits ein knackfrisch bebrettertes Rasthaus zu erblicken, das „zwei oder drei“ Zimmer für BesucherInnen bietet, die es bis 5 p.m. nicht zur letzten Abfahrt mit dem Kabelbähnli ins Tal geschafft haben oder aus anderen guten Gründen eine Nacht über dem Reichenbachfall verbringen möchten. Das Rasthaus ist nicht die einzige Neuerung in Meiringen. Neu im Dienst ist auch die quirlige und kontaktfreudige Betreuerin des Museums, Christine Winzenried (siehe Interview I). Sie hat den Laden seit Ende April 2014 im Griff, auch wenn sie sich in den Kanon weder als Kind noch als Erwachsene eingearbeitet hat. Immerhin mag sie die aktuellen Kinofilme des Sherlock, was sie wohl mit den jüngeren BesucherInnen besser ins Gespräch bringt als kanonische Auslegungsdetails. „Es hat“ bei Frau Winzenried am Eingang schöne Souvenirs, darunter exzellente Deerstalker von Gordon Corell aus schottischer Wolle, und das zu einem – besonders für schweizer Verhältnisse – unschlagbaren Preis. Gut für mich, denn an die in München erworbene, hochwertige Melone hatte ich mich noch nicht vollständig gewöhnt, auch, weil sie naturgemäß in einer Hutschachtel reisen muss. Der Deerstalker ist ungleich praktischer und zudem in jeder Tasche zu verstauen. Noch „hat es“ im Museum auch grüne Blech-Tabakdosen, die Frau Winzenried allerdings nicht sogleich aus dem verschlossenen Spind befreien konnte. Sie ermittelte aber ein alternatives Lager und holte noch einige letzte Exemplare hervor. Die Museums-Ausstellung ist eindrucksvoll wie immer. Vor allem der im Kirchenkeller gelegene Raum wirkt, als ob Holmes und Watson wirklich nur mal eben vor der Tür gegangen wären. Mehr als einen Besucher sah ich beeindruckt schlucken, als er oder sie um die Keller-Ecke bog. Da SchweizerInnen weder Rauchverbote noch -melder ernst nehmen, konnte ich auf Holmes „Schlafzimmer“bank gemütlich Platz nehmen und eine gute, mit der Tabak-Sonderedition zum hundertjährigen Jubiläum von „Pfeifen Heinrichs“ gefüllte, irische Holmes-Peterson mit silbernem Anschlußstück rauchen. Was für ein Moment! Der vor etwa drei Jahren angeschaffte, neue Audio-Guide des Museums – von Frau Winzenried liebevoll „Walkie-Talkie“ genannt – beschreibt unter anderem unaufdringlich und nach Wunsch in allen möglichen Sprachen, daß die Projektildurchtritte am Fenster Richtung BetrachterIn die Initialen der Königin sind, die Holmes in die Flügeltür zum Schlafzimmer geschossen hat (erwähnt unter anderem in „Adventure of the Musgrave Ritual“ und dem Film „Sherlock Holmes“ (2009, Regie: Guy Ritchie)).

Das kleine Museum hat dabei klug gehandelt, nur sieben Stationen anzubieten, die auch NichtsherlockianerInnen genügend, aber nicht zu viele Informationen bieten (siehe Interwiew II). Vor der Tür des Museums ist außen zudem ein Chies-Wegeli angelegt, das Stationen aus dem Leben des Sherlock schildert. Manch einer wird auch die Statue Richtung Hauptstraße noch nicht kennen, die auf einer Metallplatte auf der Rückseite des darunterliegenden Steinsockels Symbole und Hinweise zu allen Sherlock-Geschichten trägt oder genauer gesagt tragen soll. Ich habe nach kurzem Scan keine Ahnung, was genau dort alles codiert sein soll. Da aber selbst die CIA das künsterlische Kryptogramm vor ihrer Haustür bis heute nicht zu Ende entschlüsseln konnte, und der Künstler John Doubleday sein Geheimnis nach aktuellem Stand der Dinge sogar mit ins Grab nehmen wird, drückt mich das nicht nieder.

Mir genügen die gelösten Rätsel im Kanon nebst derjenigen, die meine KlientInnen mir in die gute Stube tragen. Erwähnenswert für reifere SherlockianerInnen ist, daß der Ort Meiringen oder die Schweizer Bahn (oder beide) es mittlerweile geschafft haben, einen Bahnsteig auch zwischen den Gleisen zu errichten, so daß man aus dem Luzern-Interlaken-Expreß kommend, der nun übrigens öfters auch in der zweiten Klasse mit – angesichts der ultrapittoresken, geradezu zuckergußartigen Landschaft ausgesprochen lohnenden – Panoramawagen ausgestattet, aussteigen kann, ohne im Schotter des Bahngleises zu stehen. Großstadtlichtern und Süßwasserpiraten rate ich übrigens dringend davon ab, dem Rat von Frau Winzenried und allen anderen Ortskundigen zu folgen, und den „schönen“ Weg vom Museum zum Reichenbachfallbähnli zu Fuß anzutreten. Für 3,20 Franken fährt ein Bus beschwerdefrei und beschaulich – am Altersheim vorbei – direkt zur Talstation. Zwei Sanatorien „hat es“ dort auch gleich, so daß man eine gegebenenfalls gegebene Auszeit gleich einläuten kann. Es gibt auch schlechte Nachrichten, zumindest für sherlockianische Bekleidungsfreund/ Innen. Kabelbahnführer Hans – „ein gut aussehender Mann“ (vgl. S. 33) – hat keine Zeit mehr für die von ihm im Sherlock-Dress durchgeführten Fahrten, so daß man in gewandetem Zustand nun anstelle seiner fotografisches Ziel der angloamerikanischen, indischen, russischen und chinesischen TouristInnen wird (JapanerInnen sah ich seltsamerweise nirgendwo). Obwohl Interlakentourismus ursprünglich ein sehr schönes Angebot mit Vorträgen vorbereitet hatte, das mangels Nachfrage dann aber abgesagt wurde, kann ich eingefleischten Fans von Doyle, Watson, Holmes und natürlich allen Menschen, die ein Meer aus Uhren spannend finden (die Läden in Interlaken führen zu gefühlten 80% Uhren), eine Reise ins reichenbacher Reich dank des neuen Schwunges mehr denn je auch in Eigenregie ans Herz legen. Gerade das Kleine, Malerische, Verschlafene und Touristische in Meiringen bettet die letzte Station des Sherlock ohnehin derart ein, daß es eine Lust ist, das Ganze ermüdungsfrei zu erkunden und eigene Akzente so zu setzen, wie sie auch Holmes und Watson erlebt haben dürften. Noch eine Warnung an steinreiche LeserInnen: Das Luxus-Hotel „Victoria-Jungfrau“ in Interlaken wurde leider modernisiert, so daß es sich meiner Meinung nach nur noch von außen als Kulisse für viktorianische Schnappschüsse eignet. Andere Hotels in der Nähe des Bahnhofes Interlaken-West bieten einen sinnvolleren und deutlich preiswerteren Rahmen für Fotografien, beispielsweise die rote und beige Lobby des Hotels Krebs. Zuletzt: Wer noch nie in Meiringen war, siehe gerne auch hier: Benecke M (2002) Ein Besuch beim Sherlock. SeroNews


Exklusiv-Interview I: Museums-Betreuerin Christine Winzenried

MB: Wir sind in Meiringen und vor mir steht...

CW: Christine Winzenried.

Sie sind die neue Chefin des Museums.

Ich bin als Betreuerin angestellt. Der Kurator ist Hans Künzler. Es gefällt mir sehr gut, weil es kommen sehr viele Touristen, auch viele von England und Amerikaner. Franzosen und Russen hat es auch, und aus Japan oder China.

Sprechen Sie japanisch und russisch und englisch?

Nein, nur englisch und französisch und ein wenig italienisch. Ich hab ja das Walkie-Talkie [Audioguide] und dann frage ich „which language?“. Und dann sage ich „have a nice day“ – das verstehen alle.

Was glauben Sie denn, warum beispielsweise Russen kommen? Sind die Holmes-Geschichten in Rußland auch bekannt?

Ja, ich glaube, Sherlock Holmes ist weltbekannt. Auch die in Japan sind interessiert, das gefällt denen sehr.

Seit wann haben sie das neue Audio-System? Das war letztes Mal nämlich noch nicht da.

Seit etwa vier Jahren. Wann waren Sie das letzte Mal da?

Vor über zehn Jahren.

Nein, da hat’s keins gehabt.

Waren Sie am Anfang überrascht, was für Leute ins Museum gekommen sind?

Nein, ich habe mir das so gedacht. Es kommen verschiedene, sogar Schweizer, von überall. Ich finde das sehr schön, so multikulti. Hab’ ich gern.

Kommen Sie aus Meiringen?

Ich komme aus Meiringen und bin pensioniert.

Waren Sie schon als Kind oder Jugendliche hier im Museum?

Ja, ich war früher schon mal hier. Da hat es das Walkie-Talkie [Audioguide] noch nicht gehabt.

Haben Sie denn als Kind Sherlock-Holmes-Geschichten gelesen?

Ja, manchmal. Ich habe damals gesehen, daß da eine Einweihung war. Dann waren alle schön angezogen und es gab einen Umzug im Dorf. Das ist schon lange her.

Wann denn? 1987?

Ja genau, aber das Museum ist erst 1991 eröffnet worden.

Es ist also nicht so, daß Meiringer Eltern ihren Kindern Sherlock-Holmes-Geschichten am Bett vorlesen?

Nein, das glaube ich nicht. Eher die normalen Kinderbettgeschichten.

Ein normaler Meiringer identifiziert sich also so nicht mit Sherlock-Holmes-Geschichten?

Nein, aber vielleicht kommt das, jetzt, wo ich da bin, und wenn Sie das [Interview] ins Internet stellen.

Ja, wir packen das auch ins Internet, und in den Baker Street Chronicle. Der steht ja auch hier vorne bei Ihnen. – Wenn Sie als Kind oder Jugendliche den Wasserfall gesehen haben, haben Sie da in Sherlock Holmes gedacht?

Ich war in der Bahn [zum Reichenbachfall] und da war ich sehr beeindruckt. Man hat eine wunderbare Aussicht auf Meiringen und die Bahn ist ganz speziell, die Spur kreuzt sich in der Mitte. Das ist eine alte Bahn, und das ist supergut.

Haben Sie irgendeine Geschichte in Erinnerung behalten von Sherlock Holmes oder irgend etwas Besonderes, das Sie mit Sherlock Holmes verbinden, nachdem Sie jetzt hier arbeiten?

Bis jetzt noch nicht.

Haben Sie schon einen der Kinofilme gesehen?

Ja, den ganz modernen, ich weiß nicht, wie er geheißen hat, aber ich war beeindruckt. Ich habe gerne Action.

Dann haben Sie ja jetzt den ganzen Sommer Action, wenn die Touristen kommen.

Das glaube ich auch. Ich hoffe, es kommen immer so Leute wie Sie. Schicken Sie noch welche von Berlin?

Ja, wir schreiben jetzt einen Artikel und dann kommen bestimmt noch ganz viele.

Das ist sehr gut.

Haben Sie auch schon mal versucht, sich so wie wir anzuziehen?

Nein. Aber ich könnte.

Vor zehn Jahren ist ja jemand auf dem Bähnli verkleidet gefahren.

Ja, ein richtiger Sherlock aus Meiringen.

Fährt er immer noch?

Nein, er ist nicht mehr auf der Bahn. Hans heißt der, Hans Thöni. Ein hübscher Mann. Er läuft im Ort herum. Aber normal, nicht verkleidet.

Warum ist er nicht mehr auf der Bahn? Weil er zu alt ist?

Er hat keine Zeit mehr. Aber alle paar Jahre ist hier ein großer Umzug und die Leute kommen von überall her. Sie kommen aus ganz Europa und auch aus Übersee.

Wie sind Sie denn zu dem Job hier gekommen? Das ist ja ein ganz ungewöhnlicher Beruf.

Ich wurde gefragt. Die Leute wußten, daß ich zuverlässig bin und lustig und so weiter. Ich habe fünfundzwanzig Jahre auf [bei] einer Bank in Interlaken gearbeitet. Ich wohne eigentlich in Interlaken, aber meine Tante ist hier und ich schaue nach ihr. Sie ist fünfundneunzig.

Man hat also an Sie gedacht, weil Sie ein wenig bewegter sind und nicht so schweizerisch zurückhaltend.

Genau.

Wann haben Sie hier angefangen?

Vor drei Wochen.

Dann wünsche ich Ihnen noch ganz viele schöne Jahre mit den ganzen verrückten Touristen.

Hoffentlich kommen noch welche wie Sie.

Na klar, wir schicken noch welche vorbei.

Gerne aus Berlin. Berlin ist faszinierend!

Die Berliner mögen Sie besonders? Waren Sie schon mal in Berlin?

Ja, dreimal. Ost und West und einfach die Impulse, Theater, Musical!

Jetzt können Sie im Sommer aber nicht mehr reisen, weil Sie hier sein müssen.

Ich muß schauen, daß es nebeneinander vorbei geht.

Danke schön.

Bitte schön.


Exklusiv-Interview II: Irene Adler

Du warst gerade im Sherlock-Holmes-Museum. Was ist Dir da aufgefallen?

Ich fand sehr erstaunlich, wie dieser Mann [Doyle] diese ganzen Geschichten beschrieben hat. Und die Kriminalfälle, die wirklich passiert sind, und diese alten Zeitungen. Und die Manuskripte, diese alten Uniformen, diese Unikate, so daß man, wenn man das Museum betritt, fast in eine andere Welt reinkommt. Man macht die Tür oben zu und es ist auf einmal 1892. Es ist sehr beeindruckend.

Was meinst du mit echten Fällen?

Diese Fälle hat er zwar erfunden. Trotzdem könnten das auch reale Kriminalfälle gewesen sein. Die waren jetzt nicht so weit hergeholt

Du hast lange vor dem Wohnzimmer von Watson und Holmes gesessen. Da warst du ganz still und leise.

Ich fand atemberaubend, wie echt das aussah. Ich hab’ gedacht, ich steh in der Tür dieser Wohnung und wäre am liebsten sofort eingezogen. Das war total toll – die Möbel stehen da wie gerade verlassen, wie kurz nach dem Aufbruch, was mir ja auch [vom Audioguide] durchgegeben wurde. Aber auch, wenn ich es nicht gewußt hätte, hätte ich es genauso gefühlt. Für mich war es beeindruckend ohne Ende. Ich hätte noch eine ganze Weile verweilen können.

Was ist dir aus dem Wohnzimmer im Gedächtnis geblieben?

Der wahnsinnig tolle Kamin mit dem schwarzen Bärenfell davor. Der Stuhl, der da gestanden hat. Der große Sekretär und natürlich – nicht zu vergessen – diese wunderbare Chaiselongue, wo die Stradivari draufgelegen hat.

Möchtest du auch gerne auf dieser Chaiselongue liegen?

Ja, da hätte ich mich gefühlt wie eine Königin.

Auf dem Kamin stand ein Bild, das dir auch gefallen hat.

Ja, das sah aus wie die einzige Frau in dem Leben von Sherlock Holmes. Frau Adler, sie hatte auch ein bißchen Ähnlichkeit mit mir, ich hab mir das ein bißchen genauer angeguckt und man weiß ja nicht – vielleicht hab ich damals ja doch schon gelebt.

Deswegen hat es dir vielleicht so gut gefallen, daß du direkt dort einziehen wolltest.

Das ist gut möglich.

Und oben am Reichenbachfall, wie fandest du es da?

Feucht. In erster Linie war es sehr feucht, und zwar von oben. Es prasselte nieder, es war sehr beeindruckend. Ich hab sowas in der Form noch nicht gesehen. Auch die Stelle, wo Holmes runtergestoßen worden ist, wo wir ja leider nicht hingehen konnten, weil ich die falschen Schuhe anhatte.

Aber nein, du hast die richtigen Schuhe angehabt.

Es war ein sehr schöner Aufstieg mit dem Bähnli, das war toll, und nachher der Abstieg war auch schön.

Und man konnte das fürchterlich Brausen des Wasserfalles live erleben und kann sich vorstellen wie es ist, dort herunterzustürzen.

Ja, das konnte man sich wirklich vorstellen.

Vielen Dank.

Experte erklärt Mumifikation an Händen und Füßen

Quelle: t-online.de, 3. März 2025

Von Simone Bischof, Amir Selim

Der US-amerikanische Schauspieler Gene Hackman und seine Frau wurden tot in ihrem Haus in New Mexiko gefunden. Beide Leichen zeigten Spuren von Mumifikation. Ob sich daraus neue Erkenntnisse ergeben, erklärt der Kriminalbiologe Mark Benecke.

Nach dem Tod von Hollywood-Legende Gene Hackman und seiner Ehefrau, Betsy Arakawa, stehen die Ermittler weiterhin vor einem Rätsel. Denn nach wie vor ist unklar, wie das Paar gestorben ist. Zudem sollen beide Leichen ersten Erkenntnissen zufolge bereits Mumifikation an Händen und Füßen gezeigt haben. Während Mumifizierung eine künstlich vom Menschen betriebene Technik zur Konservierung eines Körpers ist, ist von Mumifikation die Rede, wenn eine Mumie nicht aufgrund menschlichen Eingreifens, sondern aufgrund eines natürlich ablaufenden Prozesses entsteht. Das heißt, eine Leiche vertrocknet auf natürliche Weise.

Was sich aus diesem Zustand einer Leiche "ablesen" lässt, fragt t-online den Kriminalbiologen Dr. Mark Benecke.

t-online: Wodurch entstehen Mumifikationen?

Mark Benecke: Wenn es nicht gerade knochentrocken ist, verwesen Leichen "von selbst", und zwar durch Bakterien im Körper und das "Zerfließen" der Zellen. Ohne biologische, chemische "Lebens-Energie" hält der Körper nicht mehr zusammen und löst sich von selbst auf.

Menschen bestehen fast nur aus Wasser. Vertrocknungen entstehen, wenn warme Luft das Wasser aus dem Körper aufnimmt und wegleitet. Das ist wie im Alltag, wenn wir beispielsweise ein Handtuch trocknen.

Was sagt der ausgetrocknete Zustand des Körpers über den Todeszeitpunkt aus?

Wenig bis gar nichts. Fäulnis und Vertrocknung laufen sehr unterschiedlich und je nach Lagerung, Körperbau, Bekleidung, Fundort und so weiter ab. Ganz früh können die Kolleginnen und Kollegen aus der Rechtsmedizin noch durch Muskel-Messungen, die Temperatur im Körperinneren und dergleichen den Todeszeitpunkt ermitteln. Danach lassen Schlussfolgerungen über den Todeszeitpunkt nur noch biologische Techniken zu, etwa Insekten auf der Leiche und die bakterielle Besiedlung. Vertrocknete Leichen – also Mumien – können Jahrtausende erhalten bleiben.

Gene Hackman war 95, seine Frau Betsy Arakawa 63 Jahre alt. Inwiefern hat das Alter Einfluss bei Verwesung und Mumifizierung beziehungsweise Mumifikation?

Früher waren alte Menschen meist schlank, daher sind sie nach dem Tod leichter ausgetrocknet, denn sie hatten weniger dicke Gewebeschichten. Heutzutage ist es mal so, mal so.

Foto: Claus Pütz

In Santa Fe herrschen Temperaturen über 30 Grad. Welche Rolle spielt die Hitze bei Verwesungen und Mumifizierungen sowie Mumifikationen?

Feuchte Hitze finden Bakterien gut, die zu Fäulnis führen. Trockene Hitze führt zu Vertrocknung, also Mumifizierung.

Ab welchem Grad der Verwesung wäre eine Identifizierung nicht mehr möglich?

Das ist nie ein Problem. Erbgut findet sich notfalls in den Zähnen, Knochen oder Haaren.

Zuvor vermutete die Tochter von Hackman den Tod durch eine Kohlenmonoxidvergiftung. Welche Verwesungen und Mumifizierungen können dadurch auftreten?

Das macht nur ganz am Anfang einen Unterschied beim Aussehen der Leiche: Solche Leichen haben auffallend "leuchtend" rote Toten-Flecke. Abgesehen davon spielt es keine Rolle.

Berichtet wurde auch, dass die Tür des Hauses womöglich offen war. Könnte das Kohlenmonoxid entweicht und deswegen nicht mehr nachweisbar sein?

Das kann sein, allerdings ist die Frage, wann die Türe geöffnet wurde. Wenn sie die ganze Zeit offen war, hätte das Gas durch die Türe entweichen können und wäre dann eher nicht tödlich gewesen.

Mehlwurmpulver in Lebensmitteln: Wie werden essbare Insekten unsere Ernährung verändern?

Quelle: Tagesspiegel (Berlin), 25. Febr. 2025

Mehlwurmpulver im Apfelkompott oder geröstete Grillen zum Salat? Ob sichtbar oder nicht – Insekten werden zunehmend als Nahrungsquelle genutzt. Fachleute ordnen ein, was auf dem Menü stehen könnte.

Von Kathleen Oehlke, Martin Smollich & Mark Benecke

Mark Benecke – Es ist weder eklig noch gesundheitsschädlich, Mehlwürmer zu sich zu nehmen. Wer aber meint, dass es für die Umwelt besser sei, statt Steaks und Schnitzel nun Insekten zu verspeisen, irrt. Insekten sind Tiere und egal, ob es sich um Kühe oder Mehlwürmer handelt, braucht es für deren Produktion viel mehr Landflächen, Wasser und Energie als für pflanzliche Nahrungsmittel. Deshalb empfiehlt der Weltklimarat IPCC und fast alle neuen Studien pflanzliche Ernährung und Verzicht auf tierische Produkte. Das heißt auch: keine Insekten. Anstelle von Rindfleisch Insekten zu essen, das wäre vielleicht vor ein paar Jahrzehnten noch ein kleiner, in die richtige Richtung führender Schritt gewesen. Aber die Zeit der kleinen Schritte ist im Klimaschutz längst vorbei. Zum anderen findet gerade ein dramatisches Massensterben von Insekten statt. Weltweit schrumpft sowohl die Menge der Insekten als auch die Zahl der Insektenarten. Da ist es nicht gerade hilfreich, sie jetzt als Nahrungsmittel zu etablieren.

Kathleen Oehlke – Mehlwürmer, die in der EU als neuartige Lebensmittel zugelassen sind, enthalten nach unseren Untersuchungen bis zu 30 Prozent Eiweiß, zwischen sechs und 23 Prozent Fett, bis zu 70 Prozent Wasser und etwa sechs Prozent andere Substanzen, wie Mineralstoffe. Der Eiweißgehalt kann durch gezielte Fütterung erhöht werden. Das Eiweiß enthält alle für den Menschen essenziellen Aminosäuren und ist so gut verdaulich wie das von Fisch oder Fleisch. Allerdings ist das Potenzial von Mehlwürmern zu beachten, allergische Reaktionen hervorzurufen. Der Fettanteil steigt an, je älter die Mehlwürmer werden. Er kann durch gezielte Fütterung reduziert werden. Auch die Qualität des Fettes kann stark beeinflusst werden. Fressen die Larven zum Beispiel Lein- oder Chiasamen, verändert sich das Verhältnis von Omega-6- zu Omega-3-Fettsäuren auf einen für die menschliche Ernährung günstigen Wert. Ob dies auch besonders nachhaltig mit Reststoffen aus der Lebensmittelherstellung als Futter gelingen könnte, wird gerade erforscht.

Martin Smollich – Unsere Essgewohnheiten prägen uns und Menschen sind in diesem Bereich äußerst konservativ. Deshalb werden Insekten in den nächsten Jahrzehnten in Deutschland keine große Rolle spielen. Global sieht das anders aus. Insekten werden künftig sicher häufiger verzehrt, insbesondere in verarbeiteter Form, etwa als Pulver. Was Menschen abschreckt, ist ja, wenn Insekten klar als solche erkennbar sind. In verarbeiteter Form könnten Insekten in der Nahrung hingegen akzeptiert werden – in Gummibärchen stecken schließlich auch Schlachtabfälle. Es gibt auch keinen Grund, warum Insekten prinzipiell weniger gesund sein sollten. Wenn man sich die ökologischen Folgen des Fleischkonsums vor Augen führt, ist eine nachhaltigere Alternative in Form von Insekten definitiv sinnvoll. Global betrachtet haben wir eine drastisch steigende Nachfrage nach Proteinen und Fleisch. In Deutschland allerdings stellt sich die Frage nach der Notwendigkeit von Insekten als Proteinquelle kaum, da wir bereits ein Überangebot an Fleischprodukten haben.

Sachsen-Fernsehen: Eröffnung des Tages der Seltenen Erkrankungen (ACHSE e.V.

Quelle: Sachsen-Fernsehen, Kristian Kaiser, 28. Febr. 2025

"Selten Allein" zu seltenen Erkrankungen im Dresdner Hauptbahnhof

Kunstausstellung im Hauptbahnhof Dresden 

Der 28. Februar ist "Tag der seltenen Erkrankungen". Eine neue Kunstausstellung im Dresdner Hauptbahnhof zeigt Bilder von Betroffenen, die ihre Erkrankung grafisch verarbeitet haben. Heute wurde die Ausstellung eröffnet, unter anderem dabei war auch der bekannte Kriminalbiologe und Forensiker Dr. Mark Benecke. 

Seltene Erkrankungen sind tatsächlich gar nicht so selten, es gibt davon etwa 8.000 verschiedene, manche davon mit nur einer Handvoll Patienten weltweit. Oft ist es extrem schwierig, sie zu diagnostizieren, eine wahre Detektivarbeit für Ärzte und letztlich die Patienten selbst. Dr. Marc Benecke - Deutschlands bekanntester Forensiker und Kriminalbiologe, hat heute die Ausstellung "Selten allein" als deren Botschafter im Dresdner Hauptbahnhof eröffnet. Er beschäftigt sich schon lange mit seltenen Krankheiten, betreibt unter anderem einen Youtube-Kanal, auf dem er Betroffene zu Wort kommen lässt: 

Fast 50 Kunstwerke haben Betroffene einer solchen seltenen Erkrankung in den vergangenen Monaten gestaltet, davon wurden 19 Bilder für die diesjährige Ausstellung von einer Jury ausgewählt. Die großformatigen Bilder sind an verschiedenen öffentlichen Orten in ganz Deutschland zu sehen, ab sofort auch hier im Dresdner Hauptbahnhof. Eines der Bilder wurde von Marion Seel gestaltet — sie leidet an Hypophosphatasie — einer seltenen, vererblichen Störung im Knochenstoffwechsel. Aber es wurde nicht wieder besser, der Hausarzt war ratlos. Letztendlich kam Marion Seel ihrer Krankheit selbst auf die Spur. 

Immerhin, die Diagnose sei ein wichtiger Schritt — da ist eine Heilung aber noch weit entfernt und oft auch nicht möglich — so Professor Reinhard Berner vom Centrum für seltene Erkrankungen im Uniklinikum Dresden. Für Marion Seel war die Diagnose das Ende einer fünfjährigen Ärzte-Odyssee. Jetzt kennt Sie ihren Gegner, auch wenn er sich wohl nicht endgültig besiegen lassen wird. 

In der Arbeitswelt des Kriminalbiologen Mark Benecke ist sein Gegenüber meist nicht mehr am Leben, anhand von etwa Maden oder Insekten versucht er dahinterzukommen, was der Grund dafür war. 

Zur Suche nach der Diagnose einer seltenen Krankheit sieht der Forensiker durchaus Parallelen: Da die seltenen Krankheiten jeweils nur wenige Patienten betreffen, gibt es auch weniger Studien, und weniger etablierte Therapien als etwa bei häufigen Volkskrankheiten. Medikamente speziell zur Behandlung einer seltenen Krankheit sind noch seltener, und dann oft nahezu unbezahlbar. 

Die Ausstellung "Selten Allein" ist ab so fort in der Kuppelhalle des Dresdner Hauptbahnhofes zu sehen. Alle Kunstwerke und weitergehende Informationen gibt es im Internet unter www.seltenallein.de«  


Beim Herrn der Maden ist der Gruselfaktor inklusive

Quelle: Stuttgarter Zeitung, Nr. 15, Lokales, 20. Januar 2025, Seite 17

Von Michael Käfer

Der Kriminalbiologe Mark Benecke füllt den Hölderinsaal mit 1423 Menschen, die sich für „Insekten auf Leichen“ interessieren.

Um eins vorweg zu nehmen: Dass Mark Benecke den Titel seines Vortrags nicht mit Leben gefüllt hätte, das hat dem Kriminalbiologen am Freitagabend keiner seiner 1423 Zuschauer vorgeworfen. Sie alle waren - viele zum wiederholten Mal - in den Hölderlinsaal der Schwabenlandhalle geströmt, um sich zum Thema „Insekten auf Leichen" gruselnd unterhalten zu lassen. Im Schnellsprech, fast ohne Versprecher und mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks, doziert der wohl bekannteste forensische Entomologe Deutschlands über das Vorgehen beim Auffinden von Leichen. Zu Beginn prangt das scheinbar unscheinbare Foto einer Küche auf der Leinwand. Leicht zu übersehen: rotbraune Spritzer an der Wand, auf die der gebürtige Rosenheimer mit Wohnsitz in Köln pflichtschuldigst hinweist. Blut oder doch nur Tomatensoße? Das ist hier die Frage. Ein Zimmer weiter liegt noch die Bettwäsche im Design des Fußball-Bundesligisten Bayern München neben den beiden Fernsehern, die Mark Benecke dem jüngeren Teil des Publikums halb scherzhaft als Kathodenstrahler vorstellt. Übergangslos geht es ins Wohnzimmer weiter. Dort sitzt ein toter Mann mit freiem Oberkörper in einem dunklen Sessel. Dem Zustand der Leiche zufolge hatte er es sich ganz offensichtlich nicht erst zur Tagesschau am Vorabend dort bequem gemacht. Teile des toten Körpers sind bereits in Auflösung begriffen, andere Stellen wiederum sind von weißen Maden bedeckt. „So sehen Sie auch einmal aus", sagt der 54-Jährige in das dezente Aufstöhnen seiner Zuhörer hinein. Der von Stelle zu Stelle abweichende Erhaltungszustand der Leiche erklärt sich durch das unterschiedliche Mikroklima: Manche Körperteile lagen etwas mehr im Luftzug und trockneten deshalb aus. Die Insektenlarven wiederum machen sich nur über feuchte Stellen her. Ein Befall mitten auf der Brust könnte also auf eine Verletzung hindeuten.

Woran der Mann letztlich gestorben ist bleibt allerdings unbekannt. Obwohl Mark Benecke ständig mit Leichen zu tun hat, erfährt er oftmals nicht die Todesursache. Sie festzustellen ist schließlich Aufgabe der Rechtsmediziner: „Ich bin Biologe und kein Arzt." Benecke konzentriert sich auf das Messen und Experimentieren. Die Interpretation der Ergebnisse überlässt er Polizei und Gericht. Wie strukturiert der umfangreich tätowierte Insektenkundler zu Werke geht, zeigt sich schon vor der gut dreistündigen Veranstaltung im Umgang mit den Fans, deren Schlange einmal quer durch den Saal reicht. Möglichst vielen will er ein Selfie oder ein Autogramm ermöglichen, aber eine Viertelstunde vor Beginn der Gruselshow wird abgebrochen. Ein zweiter Versuch ist erst wieder in der exakt dreißigminütigen Pause möglich, deren Ende von einem Wolfsgeheul eingeläutet wird. Nach dessen Abklingen dürfen die Besucher abstimmen, ob sie einen Kurzfilm über verwesende Ferkel sehen wollen. Erstaunlicherweise entscheidet sich die Mehrheit für das Werk, das dem Horrorfilm-Regisseur Jörg Buttgereit zu eklig war, weshalb er sich auf die Rolle des künstlerischen Leiters beschränkte. Sieben Tage lang zersetzten sich die Ferkel mit Hilfe von Maden bis auf die Knochen – beobachtet von Beneckes fast ausschließlich weiblicher und offenbar olfaktorisch abgestumpfter Studentenschar. Eine andere Art des Horrors gab es zum Schluss, als Benecke auf die medizinischen Verwendungsweisen von Maden hinwies. Bei zwei noch lebenden Frauen beispielsweise, denen die Schädeldecke entfernt worden war, beseitigten die Tiere Fäulnisspuren im Gehirn. Unbehandelte Krebserkrankungen hatten dazu geführt. Ohne die reinigenden Maden wären die Frauen – ebenso wie ein Mann mit madenüberzogenem Unterschenkel – längst gestorben. Für Andreas Mihatsch, den Chef des Tourveranstalters Expedition Erde ist Mark Benecke ein Phänomen, der mit wissenschaftlicher Präzision spannende Themen präsentiert: „Wir hätten 300 bis 400 Karten mehr verkaufen können."

Würde mein Haustier mich nach meinen Tod fressen? Ja

Quelle: Stern, Wissen, 16. Februar 2025

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Von Nicole Simon

Wer allein zu Hause stirbt, muss damit rechnen, von seinem Haustier angefressen zu werden. Katzen etwa verspeisen gern die Lippen. Doch auch ganz andere Tiere beißen zu.

Die Polizisten erwartete ein grausiges Bild, als sie die Wohnung eines 53-jährigen Mannes betraten. Die Leiche des Verstorbenen lag auf dem Rücken, Teile des Gesichts, seines Halses, seiner Brust und seines rechten Oberarms fehlten. Ein Fragment von Lungengewebe fand sich neben seinem linken Bein, während der Boden der Küche im Erdgeschoss mit Abfällen übersät war. So beschrieben vier Forschende den Fund vor Jahren in einer amerikanischen Fachzeitschrift. Und noch etwas erwähnten sie: “Ein deutscher Schäferhund, der dem Verstorben gehört hatte, befand sich am Tatort.”

Warum gerade dieses Detail so wichtig ist, ergibt sich aus dem Namen der Veröffentlichung: “Postmortale Verletzungen durch Haustiere.” Vier Fälle von Leichenfraß durch Hunde und Katzen beschreiben die Forschenden darin. Der 53-jährige Mann, der an Diabetes und Herzproblemen litt und eines natürlichen Todes starb, war einer von ihnen.

Geht man in den Datenbanken der Wissenschaft auf die Suche, findet man Dutzende dieser Berichte. Auch wenn kein Besitzer gern darüber nachdenkt, aber sollte man allein in seiner Wohnung sterben, kann der Körper für die geliebten Fellpfoten buchstäblich zu einem gefundenen Fressen werden.

“Ich habe schon einige Leichen gesehen, die von Haustieren angefressen wurden”, erzählt der Kriminalbiologe Mark Benecke. “Früher kam das häufiger vor, als es keine Pflegeversicherung gab und die Menschen auch aufgrund von psychischen Störungen, Alkoholismus oder Drogenmissbrauch noch ganz anders sozial vereinsamt sind.”

Einsamkeit und Isolation sind wahrscheinlich die wichtigsten Stichworte bei diesen Funden. Die wenigsten Haustiere machen sich direkt nachdem das Herz ihrer Besitzerin und Besitzer nicht mehr schlägt, über deren Leichnam her. In der Regel werden Verstorbene gefunden, bevor die pelzigen Gefährten zu fressen beginnen. Hunde machen zudem oft durch Bellen und Winseln auf sich aufmerksam, wenn sie sich zurückgelassen fühlen.

Was aber, wenn sich niemand Sorgen um den älteren Nachbarn macht? Wenn das Bellen nebenan zwar stört, aber niemanden alarmiert? Dann kann es tatsächlich zu Szenen wie der oben beschriebenen kommen. “Aasfresserei von Wirbeltieren an menschlichen Überresten ist ein häufiges Phänomen bei der forensischen Untersuchung von Fällen weltweit”, schreibt die Humanbiologin Sandra Lösch von der Universität Bern in der Fachzeitschrift “Forensic Science”. Genaue Zahlen fehlen allerdings, da sie nicht systematisch erfasst werden. Auch weiß man noch nicht, wie genau es dazu kommt.

Einige Forschende gehen davon aus, dass Hunde und Katzen mit Lecken im Gesicht versuchen, den Menschen zu wecken. Möglicherweise geht das Lecken irgendwann in Beißen über. Mark Benecke vermutet, dass Hunger und Durst die größte Motivation sind, den Leichnam zu fressen.

Auch spielen die Rasse und das Sozialverhalten der Tiere eine Rolle.

Was hat dich dazu gebracht, dich für Tiere einzusetzen?

Quelle: Tierschutzpartei / PARTEI MENSCH UMWELT TIERSCHUTZ

Foto: Julian Pawlowski

Dr. Mark Benecke ist nicht nur Kriminalbiologe, sondern auch eine bekannte Stimme für den Tierschutz. Wir haben ihn interviewt, weil er seit Jahren öffentlich für die Rechte der Tiere einsteht – mit klaren, direkten Worten. In den nächsten drei Beiträgen teilen wir seine Antworten auf unsere Fragen zum Tierschutz und zur politischen Verantwortung.

Heute erzählt er, warum es für ihn nie eine Frage war, sich für Tiere einzusetzen – und wie ein TV-Auftritt ihn in der öffentlichen Wahrnehmung als Tierrechtsstimme bekannt machte.

Unsere erste Frage: Was hat dich dazu gebracht, dich für Tiere einzusetzen?

Seine Antwort:

"Fand ich selbstverständlich. Ich habe schon als Kind in einem Schulaufsatz geschrieben, dass ich es unangenehm und rätselhaft finde, dass Schweine in Lastwagen neben unserem Familienauto herfahren.

Für die öffentliche Wirkung hat ein im Internet immer noch weit verbreiteter Auftritt bei der Fernsehsendung 'Hart aber fair' des WDR gesorgt. Dort war die esoterisch angehauchte Barbara Rütting die einzige, die menschlich gesprochen hat. Die anderen Teilnehmer (alles Männer) aus der Unterhaltungs-, Tier- und Fleischindustrie waren wie gezeichnete Karikaturen restlos veralteter, der Wirklichkeit entrückter Herren.

Später hat PETA mich als Botschafter für Meerestiere angesprochen und mir in Ruhe und Freundlichkeit immer gute Hinweise gegeben."