Klimawandel, Serienmörder und Vampire

Quelle: this is vegan, 14. Januar 2025

Klimawandel, Serienmörder und Vampire – Dr. Mark Benecke im Interview

Was verbindet Adolf Hitlers mutmaßlichen Schädel, Vampirismus und Veganismus? In dieser besonderen Folge des „Plantbased Podcast“ sprechen wir mit Dipl.-Biol. Dr. rer. medic., M.Sc., Ph.D. Mark Benecke, dem bekanntesten Kriminalbiologen Deutschlands, über seine spektakulären Fälle und sein Engagement für eine bessere Welt. Bekannt aus TV-Dokumentationen und als Bestsellerautor, gibt Mark uns faszinierende Einblicke in seine Arbeit, seine Einstellung zum Leben und seine Motivation, vegan zu leben. Wir sprechen über spektakuläre Fälle, die er untersucht hat – von Hitlers mutmaßlichem Schädel bis hin zu real existierendem Vampirismus – sowie über die Herausforderungen des Klimawandels und was wir aktiv dagegen tun können.

Deutschlands bekanntester Kriminalbiologe - Dr. Mark Benecke - Foto: Christoph Hardt

Mark, der für seine Ehrlichkeit und seinen wissenschaftlichen Ansatz bekannt ist, teilt auch seine Reise hin zum Veganismus und warum er HappyCow–Top-Bewerter wurde. Dieses Interview ist ein Muss für alle, die nicht nur von True Crime fasziniert sind, sondern auch an Tierschutz, Veganismus und Klimaschutz interessiert sind.

Das erwartet dich im Interview & Podcast mit Dr. Mark Benecke:

  • Warum Veganismus laut Mark Benecke eine der schnellsten Lösungen für den Klimawandel ist.

  • Was Mark Benecke in Gesprächen mit Serienmördern wie Luis Alfredo Garavito lernte.

  • Warum Mark Benecke die Nutzung tierischer Produkte in Zoos für ein großes Problem hält.

  • Lerne, warum der Kriminalbiologe den Tod als rein wissenschaftlichen Prozess betrachtet.

  • Wie Mark und seine Frau Europas größte Studie über Real-Life-Vampirismus durchführten.

  • Warum Mark findet, dass Meinungen nichts mit Wissenschaft zu tun haben.

  • Warum Mark Benecke ermahnt, dass wir uns vom Mythos des Klimawandel-Anpassens verabschieden müssen.

  • Finde heraus, wie Mark Benecke die Untersuchung von Adolf Hitlers mutmaßlichem Schädel in Moskau erlebte.

  • Warum Mark Benecke von Lebensmittelkonzernen enttäuscht ist und wie sie vegane Optionen falsch vermarkten.

  • Die Wahrheit über den Einfluss von Zoos auf den Artenschutz.


Videopodcast auf YouTube anschauen:

Faszination Tod: 1400 Fans bei Mark Benecke

Quelle: Plauener Zeitung, 6. Januar 2025, Seite 11

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Kriminalbiologe Mark Benecke sorgte mit seinem Vortrag „Bakterien, Gerüche und Leichen“ am Samstag für eine ausverkaufte Plauener Festhalle. Besucher erfuhren etwas über die Chemie des Todes - und hatten dabei oft keinerlei Berührungsängste.

Von Thomas Voigt

Grün-bläulich schimmernde Leichenhaut, Insektenlarven, die an der wabernden Wundfront Zersetzungsprozesse in Gang setzen und Gerüche, die durch Bakterien verursacht werden. All das gehört zum Kosmos von Mark Benecke. Der bekannte Kriminalbiologe, der die Toten akribisch nach dem Ausschlussverfahren analysiert, sorgte am Samstag mit seinem Programm „Bakterien, Gerüche und Leichen“ für eine ausverkaufte Festhalle. Gespannt verfolgten 1400 Besucher dem nicht alltäglichen Vortrag des Spezialisten. Bevor der 55-Jährige auf Fäulniserscheinungen, verwesende Körper und Zusammenhänge in der Natur einging, gab er dem Publikum die Gelegenheit für Autogramme und Fotos.

Auf die Einhaltung von Regeln legte der Gast großen Wert. Als alle wieder auf ihren Plätzen saßen, erklärte der bekannte Forensiker dem Publikum minutenlang, wie es sich während seiner Ausführungen verhalten sollte. Benecke betonte, dass er es nicht unfreundlich meint aber auf bestimmte Dinge, die im Saal passieren, zuweilen empfindlich reagiert. Oberste Priorität: Tuscheln verboten. Bei Störungen oder wenn jemand - aus welchen Gründen auch immer - den Saal verlassen wolle, kündigte er eine kurze Pause an. Einige Male ist es dann auch passiert. Immer verbunden mit der Frage: „Möchte noch jemand rausgehen?“ Bis auf wenige Ausnahmen hielten sich die Gäste jedoch diszipliniert an die Spielregeln. Seine Fangemeinde wusste ohnehin, was auf sie zukommt.

Noch vor der Pause blendete Benecke eine im Bett liegende Frauenleiche ein, bei der die Selbstauflösung des Körpers begonnen hatte. Bei Benecke steht stets die Messung und nicht die flüchtige Interpretation im Vordergrund. Es geht um biologische Befunde, die etwas über die Todesumstände aussagen. Anhand der Farben und Faltenmuster auf der Haut leitete der Meister seines Fachs am verfallenden Körper viele Dinge ab. Er sprach über die Chemie des Todes und Kreisläufe des Lebens.

Letztere hätten die Menschen aus seiner Sicht völlig aus den Augen verloren. „Mir geht es auf den Wecker, dass niemand mehr weiß, wie die Natur funktioniert." Die Zuhörer erfuhren etwas über Mikroklimakanten, die durch Bakterien und Insekten entstehen. Gefräßige Fliegenlarven und Käfer-Kot hinterlassen bizarre Spuren an den menschlichen Überresten. Benecke, der zuweilen auch Humor versprühte, ging auf die Gerüche des Todes ein und verglich sie gar mit einer Parfümerie. Laut dem vom FBI ausgebildeten und international arbeitenden Kriminalbiologen, gibt es rund 100 Stoffe, die während der Verwesungsphasen verschiedene Fäulnisgerüche auslösen. Der Referent verglich sie mit verfaultem Kohl, Fleischkraftbrühe, ranzigem Milchfett und frisch gemähtem Gras. Die Palette reiche bis hin zu weinartigen Nuancen.

An diesem Abend lernten die Anwesenden so einiges über Verstorbene. Beispielsweise warum ihre Fingernägel und Haare noch wachsen und warum sie nach dem Tod nicht zunehmen, obwohl sie dicker aussehen. Die Vortragsgäste wurden mit Fäulnisblasen, Fettlachen und vertrockneten Leichenmuskeln konfrontiert.

Von den gezeigten Fotos und den Bildern im Kopf ließ sich Franziska Puchta aus Hof nicht schocken. „Ich bin Krankenschwester", verriet sie. „Ich hab ich oft mit Leichen zu tun und esse danach ganz normal mein Pausenbrot.“ Wie viele andere in der Halle ließ sich die junge Frau ein Buch von Benecke signieren. Auch die kleinen Tatort-Kärtchen – falls man mal zufällig eine Leiche findet – wanderten als Mitbringsel von der Veranstaltung in die Taschen der Festhallenbesucher. Tanja Schmidt aus Mülsen ließ sich bereits vor Veranstaltungsbeginn von der Ehefrau des biologischen Ermittlers eine Fledermaus aufs Handgelenk tätowieren. „Ich gehöre jetzt zu den MARKierten“, sagte sie mit einem Augenzwinkern. Im Februar 2024 hatte siesich für die Aktion im Internet beworben. Mit der Erkenntnis „Nach dem Tod ist noch richtig was los", trat sie den Nachhauseweg an. (tv)

Stare, Krähen und Lurche: Was Berlins Wildtiere so treiben

Quelle: Berliner Morgenpost, 8. Januar 2025

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Von Iris May

Ein Buch erklärt, wie Wildtiere sich Berlins Großstadt-Dschungel anpassen. Berlins bekanntester Biologe erläutert Situation der Vögel.

Berlin hat derzeit mehr als 3,8 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner, so das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg. In der Hauptstadt leben aber nicht nur Menschen und Haustiere – in Berlin waren 2023 insgesamt 131.440 Hunde im Stadtgebiet gemeldet – „sondern 20.000 Wildtierarten“, wie Marie Parakenings in ihrem Buch „Berliner Tiere“ vermerkt. Im „Guide für Naturbanausen und Stadtkinder“ hat die Berliner Illustratorin Witziges und Wissenswertes über 91 ausgewählte Tiere in Berlin gesammelt und sie dazu gezeichnet. Die beschriebenen Tiere passen sich perfekt an das Leben im Großstadt-Dschungel von Berlin an: Spatzen polstern ihr Nest mit Zigarettenstummeln aus, die Bahnhofsmäuse fressen Döner-Reste, Wildschweine und Krähen nutzen die Rotlicht-Phasen der Ampeln. Füchse jagen Ratten im Schlossgarten von Bellevue, Blattlaus-Kolonien genießen die saftigen Blätter am Prachtboulevard Unter den Linden.

Parakenings lebt „im wuseligen Neukölln“ und arbeitet als Illustratorin in Schöneweide. Die 30-Jährige ist in Berlin geboren und aufgewachsen und nehme „die ulkigen Verhaltensweisen“ der Tiere nicht nur im Alltag unter die Lupe. Sie habe im Rahmen der Langen Tage der Stadtnatur an zahlreichen Nabu-Führungen zur Tier- und Panzenwelt Berlins teilgenommen. Auf Ausügen habe sie immer ihr Fernglas dabei. Ihre analogen Collagen aus Foto und Fineliner-Zeichnung koloriert sie digital. „Es gibt kaum ein Tier, das ich nicht liebe,“ lacht die Autorin, die Visuelle Kommunikation an der Kunsthochschule Weißensee studiert hat. „Wenn ich mich neben Staren auf drei weitere Lieblingstiere in Berlin beschränken müsste, wären das die Stadttaube, die zu unrecht als “Ratte der Lüfte” abgetan wird, der muskelbepackte Baum-Akrobat – das Eichhörnchen – oder der faszinierende Dauerflugkünstler: der Mauersegler.“

„Stare haben es mir besonders angetan“, schwärmt Buchautorin Parakenings. „Diese wunderschön lila, grün, bronze schillernden Vögel faszinieren mich sehr und ich liebe es sie zu beobachten, wie sie auf dem Vorplatz des Hauptbahnhofs oder am Alex herumtrippeln, sich in Pfützen baden oder frech Pommes von den Bistro-Tischen wegschnappen.“ Tatsächlich sind Stare begnadete Nachahmer: Sie können nicht nur das Klingeln von Smartphones täuschend echt nachpfeifen, sondern auch das Tür-Signal von Berliner S-Bahnen. Parakenings: „Dass sogar mal ein Fußballspiel abgesagt werden musste, weil Stare im Stadion die Schiri-Pfeife so originalgetreu nachgeahmt haben, dass die Spieler zu verwirrt waren, finde ich einfach verrückt und faszinierend.“ Stare kann man in Berlin in großen Schwärmen über der Museumsinsel, am Alexanderplatz oder am Hauptbahnhof sehen. Der bekannte Berliner Kriminalbiologe Mark Benecke, der seit Jahren Tiere in Berlin beobachtet und 2020 das Buch „Illustrirtes Thierleben“ veröffentlichte, erklärt: „Die Wellenbewegungen im großen Schwarm machen die Vögel weniger angreifbar.“ Für Benecke ist der Star „der coolste Vogel vom Hauptbahnhof.“ Leider stehen die 22 cm großen Zugvögel mittlerweile auf der Roten Liste bedrohter Arten, nur noch 25.000 Stare gibt es in Berlin. Vor 20 Jahren registrierte der Umweltsenat noch rund 40.000. Auch das Winterquartier der Stare in den Kastanien am Berliner Dom ist dezimiert: Berlins Stadtbäume sind gestresst, am Lustgarten mussten vor einem Jahr viele Kastanien wegen Pilzbefall gefällt werden.

Nebelkrähen haben laut „Berliner Tiere“-Buch am Hauptbahnhof einen Schaden von 11.000 Euro angerichtet, indem sie Steinchen auf die 4500 Glasscheiben fallen ließen und 2014 die Dichtungen des Glasdaches beschädigten. Die Tiere könnten dies aus Langeweile getan haben, vermutet Marie Parakenings. Laut Biologe Benecke imitieren Vögel gerne ihre Umgebung: Krähen hätten beispielsweise am Hauptbahnhof früher das Geräusch der Rollkoffer über den Pastersteinen nachgemacht. Biologe Mark Benecke beobachtet allerdings immer weniger Vögel in Berlin: „Seit zwei Jahren sieht es stockfinster aus, da nun auch die letzte Ecke zugebaut wird und Brut- und Nahrungsecken verschwunden sind.“ Das gelte auch für die Nachtigallen, die laut Benecke das Erkennungstier von Berlin waren. „Es ist still geworden in Berlin.“

Marie Parakenings beschreibt, wie intelligent Krähen Nüsse knacken: Indem sie sie bei roter Ampel auf die Straße legen und Autos drüber fahren lassen. Eigentlich bevorzugten Krähen Insekten, Spinnen, Beeren, Würmer oder Samen, so Biologe Benecke. Am Hackeschen Markt konsumierten die Krähen als „Notfall-Kost“ Reste von Zimtschnecken oder Currywurst. Er habe sie aber auch schon „Langos aus Müll-Containern oder auf dem Alex fressen sehen“.

Im Buch „Berliner Tiere“ erfährt man auch, dass Krähen Familiensinn besitzen und „in lebenslangen Partnerschaften“ leben. Ganz anders ist dies übrigens beim Rotkehlchen: „20 Prozent der Rotkehlchen bleiben ein Leben lang Single“ und leben in Männerschlafgemeinschaften, wie man an anderer Stelle im Buch lernt. Den Teichmolch aus der Familie der Schwanzlurche kann man in flachen Gewässern und Tümpeln in ganz Berlin finden. Die bis zu 11 Zentimeter langen Tiere gehen ab Februar auf Wanderschaft zu ihren Laichgewässern. Um Weibchen zu beeindrucken, legen sich die Männchen mächtig ins Zeug. Beim Teichmolch-Paartanz präsentiert das Männchen nicht nur seinen hohen gewellten Rückenkamm und den „knallorangenen Bauch“. Es fächelt dem Weibchen auch mit „peitschenartigen Schwanzbewegungen“ Sexualduftstoffe zu. Teichmolche werden bei ihren Wanderungen oft von Autos überfahren. Außerdem fallen immer mehr Kleingewässer als Lebensraum weg, wegen Zuschüttung, Müll, Dünger und Umweltgiften.

Berliner Tiere. Ein kleiner Guide für Naturbanausen & Stadtkinder, 153 Seiten, 19,90 Euro, gesehen bei Dussmann und S-Wert.

Autismus hinter den Kulissen

Hinter den Kulissen der Abschlusstagung des Projektes "SchAUT" (Schule & Autismus) 🦄 in der Humboldt-Universität Berlin (mit Goethe-Uni Frankfurt/Main & White Unicorn e.V.)

15. + 16. Mai 2024 😊

HappyCow Top Contributor Mark

Meet Mark (@markito_benecke), a longtime HappyCow explorer who’s posted over 700 reviews (and counting!). Travelling alongside his wife Ines (@azrael.ines), Mark relies on HappyCow to uncover plant-based gems—from hidden cat cafés to classic French eateries that don’t even advertise they’re vegan .

For him, every review is a way to give back and help fellow foodies discover new favorites—just like HappyCow has done for him so many times.

Find Mark on HappyCow at marky_mark

📸: @plantsofroselyn @udum.vegan @lepotagerdecharlotte @das_foersters: Fabian Neeser (Mark’s photo)

HappyCow: Tell us how it all started!

Mark: About 10 years ago, my wife Ines and I were in London near Elephant & Castle. Vegan spots were rare back then, so we relied on Happycow's listings to find decent places in our limited time.

Do you have a "HappyCow saved my life" moment?

Yes, almost every day we're on the road. As soon as we check into a hotel, we open HappyCow to find nearby vegan spots. We've discovered amazing neighborhoods just by following its listings.

Any standout places you'd recommend?

I love smaller, grassroots places — often tucked away in alternative neighborhoods. One fun option is the Katzentempel chain, where rescued cats roam around while you enjoy vegan dishes.

What's your most unforgettable meal? 

I like places that skip the big 'vegan' label yet still serve classic dishes in plant-based form. For example, there's one in Paris that does Coq au Vin, but you'd never know it was vegan.

Any destinations you want to visit next?

We sometimes joke about visiting the 'HappyCow headquarters', if that's even real. Otherwise, we're open to exploring any city that surprises us with new vegan finds.

What keeps you going as an active contributor?

I enjoy sorting everything and snapping food photos — it helps me remember what we've tried. More importantly, HappyCow saves us so much time that writing reviews is my way of giving back. I also hope people support older ecological spots in Eastern Europe so they don't vanish.

Heidi & Dracula auf der lit.cologne 2025

DEINE WELT SIND DIE ... SÄRGE!? WIE VIEL „DRACULA" STECKT IN „HEIDI"?

Mark Benecke, Peter Otto Büttner und Mavie Hörbiger über zwei Ikonen der Weltliteratur

28. März 2025 | 20:00 Uhr | Stadthalle Köln

Moderation: Tobias Rüther

Gespräch mit Kriminalbiologe Dr. Mark Benecke zu Artensterben, Bleimunition und der Zukunft der Jagd

Quelle: VGT – VEREIN GEGEN TIERFABRIKEN

Dr. Mark Benecke, renommierter Kriminalbiologe, Autor, Politiker und Schauspieler im Interview mit Dr. Rudolf Winkelmayer, Initiator des Volksbegehrens „Für ein Bundes-Jagdgesetz“. Diskutiert werden das Artensterben, die Prädatorenbejagung, Alternativen zur Bleimunition und die Zukunft der Jagd. Marks Motto: Zahlen statt Meinungen und Tiere einfach mal in Ruhe lassen!

Rudolf Winkelmayer: Den Wildtieren Österreichs geht es denkbar schlecht. Ihre Zahl schrumpfte seit 1986 um 70 %. Trotzdem sind immer noch gefährdete Tierarten als jagdbar in den Landesjagdgesetzen angeführt. Wie erlebst du das Artensterben und welche Konsequenzen hat es für Mensch, Tier und Umwelt?

Mark Benecke: Laut mehrerer Langzeitstudien ist die Biomasse der Insekten in Deutschland in den letzten 30 Jahren um 75 % zurückgegangen. Sichtbar schwinden auch Singvögel und Amphibien, ein echter Kahlschlag. Wir leben, klar gemessen, im größten Artensterben seit Menschen auf der Erde existieren. Es ist das sechste große Massensterben, seit es überhaupt Leben auf der Erde gibt.

Arten, die nicht an die Wärme und die verschwindenden Lebensräume angepasst sind, verschwinden weltweit. Ob Tiere für den Autobahnausbau, für die Jagd oder für Klopapierwälder sterben, macht biologisch keinen Unterschied. Die Zeit des Ausbeutens, Ausnützens und Ausdünnens der Tierwelt muss enden, falls wir Menschen lebenswert weiter machen möchten. Es ist wichtig, aber auch einfach, Naturräume, Tiere und Pflanzen in Ruhe zu lassen.

Wie stellt sich die gnadenlose Bejagung von Prädatoren (wie z.B. Füchsen) hinsichtlich der Auswirkungen auf Tiere und Pflanzen dar? Stichwort: Hege!

Diese Bejagung ist biologisch unsinnig. Je höher wir in der Pyramide der Lebenskreisläufe kommen, umso mehr sehen wir, dass Nahrungsnetze von Tieren an der Spitze der Nahrungspyramiden abhängig sind und in gesundem Zustand gehalten werden. Natürliche Gleichgewichte stellen sich von selbst ein und sind neben allen möglichen Winzlingen vor allem durch die jagenden Tiere gegeben. Das entzieht sich unserer menschlichen Bewertung. Mit Naturschutz und Biodiversität hat die "Hege" biologisch nichts zu tun.

Jährlich wird die Umwelt in Österreich durch Tonnen an Blei aus Munition vergiftet. Drei Schrotschüsse mit einer Standardschrotpatrone enthalten 10 dag Blei. Jäger:innen argumentieren nicht auf Stahlkugeln (nicht Stahlschrot) umsteigen zu wollen, da wissenschaftliche Grundlagen zur Wirksamkeit und Geschwindigkeit der Tötung fehlen. Was denkst du als Kriminalbiologe dazu?

Die Waffen- und Herstellerindustrie für Geschosse ist eine große und stark wachsende Industrie. Wenn es ein Problem nicht gibt, dann ist es die Neu- und Weiterentwicklung von Schusswaffen, Patronen und Geschossen. Als Kriminalbiologe rede ich manchmal mit Herstellerfirmen und Schusswaffenexpert:innen. Es ist wohl eher ein Problem der Nachfrage nach bleifreier Munition. Blei wäre garantiert ersetzbar. Wenn man Tiere in Ruhe lässt, entsteht das Problem aber erst gar nicht.

Wie kann sich die Jagdpraxis in 10 Jahren darstellen? Wie wünschst du sie dir und was ist realistisch?

Ich bin in den 1970er Jahren geboren und aufgewachsen und habe die Bemühungen von damals als Kind und Jugendlicher mitbekommen. Schon damals sagten die Menschen dasselbe, wie die weltweite Forschungsgesellschaft heute. Sichtbar ist jetzt, dass es so viele Bionetzwerks-Störpunkte und gleichsam heraus gerissene Knoten im Netz des Lebens gibt, dass nur eine Anpassung an das, was uns die Umwelt überhaupt noch erlaubt, auch im Bereich der Jagd, möglich ist. Wenn südamerikanische Wälder weiter abgeholzt und verbrannt werden, verändert sich das gesamte Waldsystem, auch das nicht abgeholzte, zu Graslandschaften. Ähnlich wie früher durch die Rodungen der Römer in Europa. Nachdem wir nun immer wieder die wärmsten Monate und Jahre seit Beginn der Aufzeichnungen haben, ist es mehr als sinnvoll, natürliche Wälder zu erhalten: Es ist das Allermindeste, was gar nicht mehr verhandelbar ist. Nur alte Wälder sind eine CO2- Senke. Aber sie sind auch eine Erholungsoase für die körperliche und geistige Gesundheit der Menschen, natürlich ohne Jagd und nur auf festen Wegen.

Tiere wie die Nosferatu-Spinne, die Blaue Holzbiene und die Gottesanbeterin sind in wenigen Jahren über tausende von Kilometern eingewandert, so etwas gab es noch nie und verdeutlicht den biologisch gesehen blitzschnellen Wandel. Ich sehe aus keinem biologischen Blickwinkel einen Sinn in der Jagd.

Vielen Dank für das Interview!

Kriminalbiologie & Klimawandel

Quelle: Acher- und Bühler Bote / Badische Neueste Nachrichten (BNN)

Von Wilfried Lienhard

Wie kommen Sie von der Kriminalbiologie zum Klimawandel?

Mark Benecke: Die Umweltveränderungen sind an Tieren und Pflanzen schon lange zu erkennen. Viele sterben, andere wandern schneller als je zuvor in die letzten noch für sie besiedelbaren Gebiete. Das betrifft mich in meiner Arbeit seit dem Jahr 2003. Damals haben wir erstmals an Leichen im Studierendenkurs super viele Wespen gesehen. Besonders die blauen "Brummer"-Fliegen, deren Larven wir zur Bestimmung der Leichen-Liegezeit gerne verwenden, hat die Hitze geschafft. Sie kennen es aber sicher auch von den seit etwa fünf Jahren auf einmal eingewanderten Nosferatu-Spinnen, blauen Holzbienen und Gottesanbeterinnen.

Ich liebe vor allem Leben. Doch nicht nur die Insekten sind weg, sondern auch Regenwürmer, Frösche und Singvögel. Es wird einsam und das ist zum Heulen.

Ich fand die Klima-Veränderungen übrigens schon immer interessant. In meinem ersten Buch von 1998 handelt bereits ein ganzes Kapitel vom Klimawandel. Es hat auch andere interessiert: Das Buch ist bis heute in Neu-Auflagen erhältlich.

Ihren Vortrag betiteln Sie „Klima: Endspiel“. Wer ist der Gegner in diesem Finale?

Der Titel stammt vom Veranstalter. Meine Serie heißt 'Time is up' mit den immer neuesten Messungen zur Umwelt. Gegnerschaft ist es nicht, sondern eine 'Ist mir doch egal'-Haltung. Das klarste Beispiel dafür sind Menschen, die Tier-Produkte verwenden. Jede und jeder weiß, wie fürchterlich die Tiere behandelt werden und welche Umwelt-Schäden dadurch auftreten. Aber die meisten juckt es nicht. Sie verzehren weiter Schinken und Kuhmilch. 

Wenn überhaupt, dann ist der Gegner des Menschen der Mensch selbst. Denn es geht ja auch uns Menschen an den Kragen.

Bei welcher Temperatur stehen wir Ihrer Meinung nach am Ende dieses Jahrhunderts?

Das hängt davon ab, wieviel Erdöl wir verbrennen, wie viele Wälder wir vernichten und ob wir vielleicht mal insgesamt weniger verbrauchen, auch Kleidung und Elektronik. 

Das angebliche 1,5-Grad-Ziel gibt es jedenfalls schon seit Jahren nicht mehr, weil es hinter uns liegt. Wir haben die Marke gerissen, und auch die Zweigrad-Marke reißen wir ganz sicher bald.

Was bedeutet das dann für das Leben auf der Erde?

Die sechste, jetzt ja schon deutlich messbare Massen-Auslöschung von Arten. Für Menschen: Schwindende Lebensqualität, um es mal sehr vorsichtig zu sagen.

Sie sind promovierter Kriminalbiologe, Spezialist für forensische Entomologie, Ausbilder an deutschen Polizeischulen, Gastdozent in den USA, Autor populärwissenschaftlicher BücherWissenschaftler durch und durch also. Spüren Sie auch die Folgen der zunehmenden Wissenschaftsfeindlichkeit?

Ich spüre eher, dass Menschen mit Lügen immer besser leben können.  

Wie problematisch ist das gerade beim Thema Klimawandel?

Das ständige Lügen und der Selbstbetrug? Es führt dazu, dass schon die kleinsten Schritte — Begrünung von Mauern und Wänden, Entsiegelung von Städten, Umstellung auf pflanzliche Ernährung und öffentlichen Verkehr — nicht stattfinden. Stattdessen zeigen viele auf ihre Nachbarn, China, die USA, "die" Politik oder irgendwen, der angeblich gerade viele schlimmer ist. 

Das ist eine Mischung aus Faulheit und Wirklichkeitsverleugnung. Kein Mensch muss Naturwissenschaften spannend finden. Aber eine Messung wie auf einer Küchenwaage, die jemand ohne schwierige Worte erklärt und die von ganz verschiedenen Messenden bestätigt ist: Die setze ich doch auch beim Backen und Kochen ohne Herumgerede ein und um. 

So ist es auch mit dem Arten-Verlust und der Erd-Erwärmung. Was dagegen hilft, versteht jedes Kind. Einfach mitmachen statt rumeiern und schwatzen.

Was müsste geschehen, um die Folgen des Klimawandels abzumildern? 

Fluten, Brände und Ernte-Ausfälle lassen sich nicht abmildern. Was hilft, ist vorzubeugen, so dass sie möglichst selten auftreten. Ist übrigens wie in der Kriminalistik: Derzeit soll ein Programm mit Intensiv-Täterinnen und -Täter eingeschmolzen werden. Natürlich kosten die Taten hinterher viel mehr als die Vorbeugung. Aber irgendwer glaubt offenbar, dass sich begangene Morde und Raubüberfälle hinterher abmildern lassen. Dazu müsste man dann aber wohl in der Zeit zurück reisen.

Letzte Frage: Wie viele Stimmen erhoffen Sie sich bei der OB-Wahl in Köln?  

Letztes Mal, das war im Jahr 2015, wurde ich dritter. Da ich diesmal auch meine Paten-Tante aus Bayern sowie eine Freundin aus dem Erzgebirge hinter mir weiß, sollte es für Platz eins reichen. 

Ehrlich gesagt gibt es außer mir auch keine Kandidatinnen oder Kandidaten mit einem vernünftigen Programm. Ich hingegen fordere bürgernah den Rückbau der Kölner Oper: Sie wird seit 2012 "saniert" und frisst alles Geld auf, was die Stadt woanders braucht. Außerdem Straßenreinigung mit Kölnisch Wasser und freie Sicht auf den Kölner Dom weltweit. 

Seit meiner Aufstellung haben wir auch schon allerhand interessante Angebote erhalten. Bei mir gilt: Ich will, was ihr wollt. Das wird also schön.


Quelle: Bühler Bote, 8. November 2024, Ausgabe Nr. 259, Seite 25

„Dr. Made“ macht klare Klima-Ansage

Der Kriminalbiologe Mark Benecke kommt für einen Vortrag über den Klimawandel nach Bühl

Von Wilfried Lienhard

Bühl. Beginnen wir mit einem steilen Vergleich: Wo Mark Benecke ist, ist der Tod nicht weit. Der Kriminalbiologe hat mit seiner Expertise manche Ermittlung aus der Sackgasse geholt. In Büchern wie „Mordmethoden“, „Mordspuren“ oder „Aus der Dunkelkammer des Bösen“ erzählt der laut Verlag „bekannteste Kriminalbiologe der Welt“ von spektakulären Kriminalfällen, in denen schon mal Maden und Larven eine wichtige Rolle spielen.

Seit Jahren treibt ihn aber ein weiteres Thema gewaltig um. Doch auch da ist der Tod nicht weit. Es ist der Klimawandel. In Vorträgen fasst der Wissenschaftler den Forschungsstand zusammen und benennt die Folgen, die eintreten können, wenn sich nichts ändert. Jetzt kommt er nach Bühl: Im Bürgerhaus Neuer Markt beginnt am Freitag, 15. November, um 18 Uhr der vom Gemeinwohl-Forum Baden veranstaltete Vortrag „Klima: Endspiel“.

Endspiel: Das klingt dramatisch. Der Titel stamme vom Veranstalter. Er selbst nennt seine Vortragsreihe „time is up“. Die Zeit ist abgelaufen. Der Endspielgegner des Menschen sei der Mensch selbst: „Denn es geht ja auch uns Menschen and den Kragen“. Da ist sie wieder, die Nähe zum Tod.

Die Umweltveränderungen seien an Tieren und Pflanzen schon lange zu erkennen: „Viele sterben, andere wandern schneller als je zuvor in die letzten noch für sie besiedelbaren Gebiete.“

Dabei liebe er vor allem das Leben: „Doch nicht nur die Insekten sind weg, sondern auch Regenwürmer, Frösche und Singvögel. Es wird einsam, und das ist zum Heulen.“

Wie es auf der Erde am Ende dieses Jahrhunderts aussehe, hänge davon ab, „wie viel Erdöl wir verbrennen, wie viele Wälder wir vernichten und ob wir vielleicht mal insgesamt weniger verbrauchen, auch Kleidung und Elektronik.“

Das angebliche 1,5-Grad-Ziel sei schon seit Jahren gerissen, „und auch die Zwei-Grad-Marke reißen wir ganz sicher bald“. Die Folgen: „Die sechste jetzt ja schon deutlich messbare Massenauslöschung von Arten. Für Menschen: schwindende Lebensqualität, um es mal sehr vorsichtig zu sagen.“

Fluten, Brände und Ernteausfälle ließen sich nicht abmildern. Vorbeugen könne helfen, dass solche Katastrophen möglichst selten auftreten. „Das ist übrigens wie in der Kriminalistik: Derzeit soll ein Programm it Intensiv-Täterinnen und -Tätern eingeschmolzen werden. Natürlich kosten die Taten hinterher viel mehr als die Vorbeugung. Aber irgendwer glaubt offenbar, dass sich begangene Morde und Raubüberfälle hinterher abmildern lassen. Dazu müsste man dann aber wohl in der Zeit zurückreisen.“

Seit 2003 ist Benecke mit dem Thema konfrontiert (ein Kapitel widmete er dem Klimawandel 1998 schon in seinem ersten Buch): „Damals haben wir erstmals Leichen im Studierendenkurs super viel Wespen gesehen. Besonders die blauen Brummer-Fliegen, deren Larven wir zur Bestimmung der leichen-Liegezeit gerne verwenden, hat die Hitze geschafft.“ Benecke ist seither auf vielen Kanälen unterwegs. Der promovierte Kriminalbiologe ist Spezialst für forensische Entomologie, Ausbilder an deutschen Polizeischulen, Gastdozent in den USA, Autor populärwissenschaftlicher Bücher und auch aus Funk und Fernsehen bekannt. „Nebenbei“ ist er seit 2011 Vorsitzender des Vereins „Pro Tattoo“, hat 2015 für „Die Partei“für das Amt des Kölner Oberbürgermeisters kandidiert und tut es jetzt wieder.

Bei so viel Wissenschaft: Bemerkt Benecke eine zunehmende Wissenschaftsfeindlichkeit, das Bestreben, gesicherte Erkenntnisse infrage zu stellen? „Ich spüre eher, dass menschen mit Lügen immer besser leben können.“ Deshalb würden schon die kleinsten Schritte wie Begrünung von Mauern und Wänden, Entsiegelung von Städten, Umstellung auf pflanzliche Ernährung und öffentlichen Verkehr nicht gegangen: „Stattdessen zeigen viele auf ihre Nachbarn, China, die USA, „die“ Politik oder irgendwen, der angeblich gerade viel schlimmer ist.“

Für Benecke ist das eine Mischung aus Faulheit und Wirklichkeitsverleugnung: „Kein Mensch muss  Naturwissenschaften spannend finden. Aber eine Messung wie auf einer Küchenwaage, die jemand ohne schwierige Worte erklärt und die von ganz verschiedenen Messenden bestätigt ist: die setze ich doch auch beim Backen und Kochen ohne Herumgerede ein und um.“ So verhalte es sich auch mit dem Artenverlust und der Erderwärmung. „Was dagegen hilft, versteht jedes Kind. Einfach mitmachen statt rumeiern und schwatzen.“


Quelle: Acher- und Bühler Bote, 18. November 2024, Seite 23

Am Oberrhein wird es am heißesten

Biologe Mark Benecke stellt in Bühl Statistiken und Messungen zur schnellen Verschlechterung des Weltklimas vor

Von Martina Fuß

Bühl. Mark Benecke schießt Sätze wie Pistolenschüsse ab. In ungeheurer Geschwindigkeit treffen seine brisanten Aussagen auf viele gespannte Zuhörerinnen und Zuhörer im Bürgerhaus Neuer Markt in Bühl. Dort spricht er über das „Klima:Endspiel". So lautet der Titel seines Vortrags, zu dem der Verein Gemeinwohl-Forum-Baden eingeladen hatte.

Dessen Vorsitzender Frohmut Menze erklärte in seiner Begrüßung, warum der Verein Benecke eingeladen hat. „Wie kommt es, dass Europa und die Welt das Wissen und die Technik, das Geld und die Institutionen haben, um den Klimawandel spürbar einzudämmen – und es passiert nichts! Schlimmer, der CO,-Ausstoß war noch nie so hoch wie in diesem Jahr. Mark Benecke wird uns zu dieser Frage einige Erkenntnisse liefern."

Nun also Mark Benecke. Eine schillernde Person mit weit gestreuten Interessen und Kompetenzen. Es gibt kaum einen gesellschaftlichen Bereich, in dem sich der promovierte Wissenschaftler keine Meriten erworben hat. Er ist Kriminalbiologe, hat in New York gearbeitet, daneben viele erfolgreiche Bücher geschrieben, im Radio und Fernsehen Kriminalfälle gelöst und Kinder-Experimentierkästen herausgegeben. Neu entdeckte Tiere sind nach ihm bekannt.

Er hat Musik und Theater gemacht und ist auch noch als Politiker für „Die Partei" auf allen Eben aktiv. „Ich zeige Ihnen heute neue Informationen, nachdem in den letzten Wochen viel passiert ist", sagt greift er zur Ausgabe der BNN an diesem Tag. Auf nahezu jeder Seite gibt es Hinweise zum Klima. Der Wald, die Wiesen, der Nationalpark, Ameisen, die Asiatische Hornisse – die Beispiele sind vielfältig. „Glauben gibt es bei mir nicht, nur Zahlen und Messungen", sagt Benecke und zeigt Statistiken und Schaubilder, über die sich alle Wissenschaftler in allen Regionen der Welt einig sind und die gemeinsam herausgegeben werden. Benecke weiß solche wissenschaftlichen Darstellungen auch für Laien nachvollziehbar zu erklären.

Demnach steigt der CO2-Gehalt exorbitant an. Sprunghaft, ohne Messfehler, in einer Geschwindigkeit, die selbst für Wissenschaftler kaum zu glauben ist. Benecke benennt das Phänomen, das insbesondere seit Mitte letzten Jahres die Wissenschaft aufschreckt.

In den vergangenen Monaten gab es Waldbrände in Griechenland, riesige ausgetrocknete Flüsse in Lateinamerika, einen Höllensturm in den USA und die „nie da gewesene Regen-Katastrophe in Spanien". Unwetter in Polen, Italien, Österreich. „Ausgetrocknet, abgefackelt und überschwemmt und alles hat eine gegenseitig verstärkende Wirkung. Das macht deutlich, was gerade hundertfach in Europa passiert. Es sind super-extreme Wetterereignisse außerhalb jeglicher bisher bekannter Aufzeichnungen", sagt Benecke und belegt die Situation mit Bildern und Messungen.

Die Katastrophe setze sich fort in der Tierwelt, im Meer, bei den Nährstoffen in den Böden, an den Erd-Polen und leider auch in Mittelbaden. „Sie verstehen das Problem, es wird auch Sie in Bühl tref-fen", sagt er und zeigt eine Vorhersage der Temperaturentwicklung in Deutschland. Die heißeste Region wird der Oberrheingraben sein. Seit 1970 werde all das vorhergesagt, aber die Schnelligkeit der Veränderungen habe niemand erwartet. Dabei wüssten die Menschen, was passiert. Zumindest wissenschaftlich gesehen. „Dennoch findet Klimaschutz nicht statt, obwohl die Menschen in Europa und insbesondere im wirtschaftlich starken Deutschland den größten Handlungsspielraum haben. Stattdessen gibt es immer noch Klima-Leugner, deren Wissen weit unterhalb von Kindergarten-Niveau liegt." Der Blick 450 Millionen Jahre zurück zeige, dass es mehrere Artensterben auf der Erde gab. Die hätten aber alle sehr lange gedauert. Nicht nur ein paar Jahrzehnte.

Die Schlussfolgerungen könne die Zuhörerschaft selbst ziehen: Der Schlüssel liege im Verbrauch durch die Menschen. Der Handlungsspielraum, den jeder Einzelne nutzen könne sei, weniger zu kon-sumieren, weniger Tierprodukte zu nutzen, weniger wegzuwerfen, im Garten ein Arten-Refugium zu schaffen und umzustellen auf erneuerbare Energien. Atomkraft? „Damit haben wir ein Problem, das noch viel größer ist und zehntausende Jahre besteht", sagt Benecke.

Er empfiehlt, umgehend zu handeln: „In der Zeit, in der ich über andere schimpfe, kann ich schon selbst vieles getan haben."



Neue Forensik mit KI: Wie Bakterien Verbrecher überführen können

Quelle: RedaktionsNetzwerkDeutschland,
4. Dezember 2024; wortgleich auch bei KStA (Kölner Stadt-Anzeiger), 12. Januar 2025

Von Lucie Wittenberg

Die DNA-Analyse hat die Kriminalarbeit revolutioniert. Eine andere Art von Fingerabdruck könnte die Jagd nach Verbrechern künftig noch beschleunigen: Das Mikrobiom. Denn jeder Mensch auf der Welt hat sein ganz eigenes Bakterienmuster. Ein Gespräch über neue Arten der Forensik.

Egal, wie sehr wir putzen oder desinfizieren: Bakterien und Viren besiedeln jeden Menschen und jedes Lebewesen. Das sogenannte Mikrobiom, also die Gesamtheit aller Mikroorganismen, ist so individuell wie ein Fingerabdruck. Das ist besonders für die Ermittlungsarbeit interessant.

Ein Forschungsteam an der schwedischen Universität Lund hat sich diese Einzigartigkeit zunutze gemacht und ein neues System zur Strafverfolgung entwickelt. Mit dem „Microbiome Geographic Population Structure“ (mGPS) können mikrobiologische Proben genau zugeordnet werden. Das funktioniert auch mit der Hilfe einer KI, die eine Probe mit hoher Genauigkeit zuordnen kann. Was die Forschungsarbeit für die Polizeiarbeit und die Forensik bedeutet, erklärt Mark Benecke. Er ist Sachverständiger für biologische Spuren und Forensiker.

Herr Benecke, was ist ein Mikrobiom eigentlich?

Mikrobiome sind die auf alle möglichen Umgebungen fein angepassten Lebensgruppen von zumeist Bakterien. Es gibt sie überall, auch auf und in Menschen. Wir bestehen sogar aus mehr Bakterien- als Menschenzellen. Aber natürlich leben sie auch in der Erde, im Wasser, als Schmierfilme auf Oberflächen aller Art und auch sonst überall.

Die Universität Lund hat ein neues KI-gestütztes Mikrobiom-Werkzeug für Polizei und Forensik entwickelt. Was steckt dahinter?

Die Zusammensetzung von superkleinen Gemeinschaften von Lebewesen, dem Mikrobiom, verrät — wenn zuvor eine Datenbank dafür aufgebaut wurde — wo sie herkommen. Es gibt ultraviele Bakterien und noch mehr Zusammensetzungen. Das kann kein Mensch und auch kein normaler Rechenweg mehr zuordnen und zusammenführen. So kam die Künstliche Intelligenz zum Zuge. Mit ihr lässt sich aus der Zusammensetzung eines „Bakterienhaufens“ bestimmen, wo er lebte und herkam.

Wie können Mikrobiome bei Ermittlungen helfen?

Sie enthalten besonders vielfältige und darum aussagekräftige Informationen. Beispiel: Wenn ich das Blatt einer Erle in einem Sack mit einer Leiche finde, nützt das nicht so viel, denn es gibt viele Erlen. Habe ich aber Blätter von zehn verschiedenen Bäumen im Sack mit der Leiche, dann gibt es vielleicht nur noch wenige Orte, wo diese Bäume gemeinsam leben. Dort kann ich dann nach Spuren der Tötung oder des Verpackens der Leiche schauen.

Das Werkzeug soll es möglich machen, den Weg eines Verdächtigen (nach-)verfolgen zu können. Wie soll das gehen?

Die verschiedenen „Bakterien-Knubbel“ bleiben in Reifen, an Taschen, Schuhen, Händen, in der Lüftung und so weiter hängen. Dort kann ich sie abnehmen und dann im Labor zuordnen, woher sie stammen, also wo jemand sich aufgehalten und die Spur aufgepickt hat. Verschiedene Orte sind durch verschieden zusammengesetzte Bakteriengruppen gekennzeichnet: Unterschiedliche Bakterien fühlen sich an verschiedenen Orten wohl.

Die Zusammenstellung der Bakterien und ihre Arten sind wie ein Fingerabdruck der örtlichen Lebensbedingungen. Es ist wie mit dem Foto einer Stadt: Häuser gibt es überall. Aber die Zusammenstellung der Gebäude gibt es nur einmal. So lässt sich eine Stadt auf einem Foto anhand der Zusammenstellung der Gebäude eindeutig erkennen. Im Kleinen geht das stattdessen mit der Zusammensetzung und der Art der Bakterien.

Hat die Methode einen Vorteil im Vergleich zur DNA oder anderen forensischen Auswertungsmöglichkeiten?

Foto: Mark Benecke

Es ist ein zusätzliches, unabhängiges Verfahren. Das ist immer gut: Wenn eins der anderen Verfahren nicht so aussagekräftig ist, dann habe ich eine weitere, sachliche, nicht von Gefühlen oder Missverständnissen oder der Erinnerung abhängige Informationsquelle.

Was sind die Nachteile?

Nachteil würde ich es nicht nennen, aber die Genauigkeit ist nicht hundertprozentig. Aus welcher Stadt eine Probe stammte, konnte in der Studie mit immerhin 92-prozentiger Genauigkeit erkannt werden. Das ist schon sehr gut. Woher innerhalb einer Stadt die Probe stammte, konnte in mehr als vier Fünftel der untersuchten Fälle festgelegt werden. Das ist wirklich eindrucksvoll. Teils lagen die Probe-Orte weniger als einen Kilometer auseinander.

Wann könnte die Technik zum Einsatz kommen?

Jederzeit. Ich wende mit meinem Team manche Verfahren nur einmal an, andere dauernd. Das ist ganz fließend: Wenn sich eine Technik polizeilich bewährt, dann wird sie öfter eingesetzt. Wenn nicht, dann seltener oder nur in sehr schwierigen oder von irgendjemandem als wichtig wahrgenommenen Fällen.

Wieso sprechen die Entwickler aber davon, dass es noch einige Jahre dauern könnte?

Weil es für gerichtliche Fälle oft wichtig ist, dass die Spuren aus sich heraus beweiskräftig sind. Dazu müssen sie getestet werden. Außerdem sind für die Bakterienabgleiche auch viele Proben, also Datenbankeinträge nötig. Und die Umwelt und damit die Bakterien ändert sich. Das Gericht muss aber sicher sagen können: Die Bakterien unter ihren Schuhen stammen sicher vom Ort, an dem die Leiche gefunden wurde.

Anders sieht es aber mit ersten Untersuchungen bei der Polizei aus, da können schon Hinweise statt Beweise die Ermittlungen in eine vernünftige Richtung oder weg von einer weniger vernünftigen lenken. Daher sickern neue Verfahren immer langsam ein: Erst in der Wissenschaft und im Labor, dann bei der Polizei in der Ermittlungsarbeit und schließlich vor Gericht als harte Spurenbeweise.

Welches Potenzial bietet KI generell für Ermittlungsbehörden und wo wird sie bereits eingesetzt?

K.I.-Anwendungen schleichen sich überall in die Arbeit, sei es bei der Bearbeitung und Verbesserung von Fotos bis hin zur Untersuchung von Texten. Beispiele sind klassisches Zusammentragen von Informationen, wie es jetzt schon viele Schülerinnen und Schüler mit Chat-GPT machen — das geht natürlich auch bei der Polizei und Geheimdiensten. Es können aber auch persönliche Eigenarten bei Schreiben erkannt werden, etwa von Erpressernachrichten.

Die beiden ersten großen KI-Anwendungen in der Kriminalistik waren Handydaten und die Verbrechensvorhersage. Aus den Hunderttausenden von Handyverbindungen und „Gesprächsknoten“ wird sichtbar, wer mit wem wann, wo und wie lange in Kontakt stand. Diese selbst mir anfangs wie Science-Fiction erscheinende Technik wurde allerdings schon im Comic vorhergesagt: Batman, der ja auch Verbrechensjäger ist, führte solche Massendatenauswertungen von Handys als erster durch.

Die zweite Anwendung, also die Vorhersage von möglichen Verbrechen, stammt aus der klassischen Science-Fiction-Literatur, der Geschichte ‚Minority Report‘ von Philip K. Dick aus den 1950er Jahren. Mittlerweile versuchen einige Kolleginnen und Kollegen, die Häufigkeit und Wahrscheinlichkeit vorwiegend von Einbrüchen in gewissen Gegenden oder zu bestimmten Zeiten zu berechnen. Beides — Handy-Massendaten und „Pre Crime“ — klappt allerdings auch ohne echte Künstliche Intelligenz, dafür reichen Gehirn- und Muskelschmalz und viel Rechnerleistung. Ob diese Verfahren eingesetzt werden oder nicht, ist eine soziale und kulturelle Frage.

Was sind die Gefahren von Künstlicher Intelligenz?

Wie bei jeder Datensammlung und -auswertung: Die Gefahren liegen darin, dass die Informationen ungefragt zusammengeführt werden und so ein allzu genaues Bild über persönliche Gewohnheiten geben. Das hat das Bundesverfassungsgericht schon 1983 im Volkszählungsurteil gut dargelegt: Menschen sollen im Kern selbst entscheiden, was über sie bekannt wird und was nicht.

"Tierleben in Köln – verschwenderische Sittiche, schwule Vögel und glitzernde Ofenfischchen"

Vortrag im Historischen Archiv der Stadt Köln am 4. Dezember 2024 von 18:00 bis 19:00 Uhr

Infos gibt es hier als .pdf

Dr. Mark Benecke mag neben Fliegen auch schwule Zootiere, kölsche und damit verschwendungssüchtige Papageien sowie alte Tierbücher. In seinem Vortrag stellt der bekannte Kriminalbiologe einige dieser fantastisch klingenden, aber wirklich lebenden Tiere und ihre Geschichten vor. Es könnten auch Ofenfischchen und rätselhafte Störche vorkommen. Und Stare, die ihren verirrten Kumpel liebevoll betreuen, bis Marks Ehefrau ihn rettet.

Der Vortrag ist Teil des Begleitprogramms zur Ausstellung "Geliebt, gehasst, gegessen: Kölner Tiere zwischen Käfig und Körbchen."

Barrieren in der Schule abbauen

Quelle: autismus verstehen 02 | 24, Seiten 12–15

Wissenschaftliche Erkenntnisse zu barrierefreien Schulen

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Interview: Marie-Louise Abele | Foto: Julian Pawlowski

Schule & Autismus: schAUT

Nicht über, sondern mit Menschen im Autismus-Spektrum, ganz im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention, war einer der Grundsätze für das Projekt schAUT. Zugrunde gelegt wurde ein neurodiverses Verständnis von Autismus als genetisch bedingte neurologische Variante.

Das Verständnis von Behinderung orientiert sich somit nicht an Diagnosen, sondern an den Barrieren in den verschiedenen Lebensbereichen. Von Juni 2021 bis Mai 2024 lief das partizipative Verbund-Projekt, das von Anfang an von Autistinnen und Autisten mitgestaltet wurde. Beteiligt waren die Partner White Unicorn - Verein zur Entwicklung eines autistenfreundlichen Umfeldes e. V., die Humboldt-Universität Berlin sowie die Goethe-Universität Frankfurt. Gefördert wurde dieses Projekt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung.

Zunächst wurde ein illustrierter Fragebogen zu den weitgehend unsichtbaren Barrieren von autistischen Schülerinnen und Schüler entwickelt. Mit diesem werden die subjektiven Einschätzungen erfragt. Das Erkennen dieser Barrieren ist Voraussetzung für deren Abbau und somit für die Inklusion und Teilhabe.

Bald stellte sich heraus, dass diese Barrieren auch für andere Kinder bestehen können. Der schAUT-Barrierefragebogen ist somit für alle Kinder und Jugendlichen ein Hilfsmittel zur barrierefreien Gestaltung des schulischen Umfelds im Klassenverband. Die Auswertung der subjektiven Einschätzungen aller ergibt Hinweise für die Gestaltung von Lernumgebungen, welche auch die Bedürfnisse der ganzen Klasse im Blick haben.

Im weiteren Verlauf des Projekts wurde eine Handreichung mit praxisbezogenen Empfehlungen zur Reduktion bestimmter Barrieren entwickelt. Diese enthält sowohl Vorschläge von Schülerinnen und Schülern als auch von Lehrkräften. Darüber hinaus wurde ein Raster zur Erhebung des Stands der inklusiven Entwicklung von Schulen erstellt. Auch digitale Fortbildungsmodule zur Handhabung dieser Materialien wurden entwickelt.

Welche Ergebnisse des Projekts schAUT können in unserem jetzigen Schulsystem übernommen werden?

Es hat mich selbst erstaunt, aber es lassen sich alle Ergebnisse übernehmen. Jede Schule kann sich heraussuchen, welche Vorschläge sie zum Abbau von Barrieren jeweils für Einzelne sowie für die ganze Klasse umsetzen möchte. Zum Beispiel ist es sinnvoll, Unterrichtsräume nur zu wechseln, wenn es zwingend notwendig ist. Bei störenden Gerüchen ist es möglich, mehr zu lüften oder die Entlüftung zu verbessern. Unangenehme Geräusche wie eine laute Schulklingel kann jede Schule einfach dämpfen, die Fenster lassen sich schließen und Kopfhörer zum Lärmschutz sind auch keine Schwierigkeit. Auch Rückzugsmöglichkeiten bis hin zum Unterricht zuhause sind hilfreich. Wer laute Gemeinschaftsräume nicht erträgt, kann in einen Ruheraum gehen.

Auch Licht lenkt oft ab, etwa durch Neonröhren, Geflackere oder blendende Lichter. Das lässt sich superleicht lösen, einfach die Kids fragen. Manche bevorzugen LED-Lampen oder dimmbare Lichter und natürlich herunter gelassene Rollläden bei Sonne. Unsere Handreichung zur barrieresensiblen Gestaltung inklusiver Schulen enthält viele Vorschläge, die direkt von den Kids kommen. Das meiste davon finden übrigens auch die nicht-autistischen Schülerinnen und Schüler angenehm.

Ein einfühlsamer Umgang untereinander hilft immer, damit sich alle gegenseitig verstehen. Autistinnen und Autisten brauchen immer einfach mehr Pausen. Das ist keine Einbildung, sondern lässt sich im Gehirn messen.

Wichtig ist auch, sogenanntes „Stimming“ zu erlauben. Das ist eine für die anderen Kinder möglichst nicht störende, beruhigende Beschäftigung wie Hände reiben, zeichnen oder ähnliches. Das lenkt Autistinnen und Autisten nicht ab, sondern erlaubt es ihnen, aufzupassen.

Gruppenarbeit ist auch nicht für alle geeignet. Autistinnen und Autisten sind vom Gruppengewirr oft überfordert. Wozu etwas erzwingen, was nur Chaos verursacht? Grundsätzlich gilt: Auf die Kids hören, wenn sie sagen, dass sie etwas stört. Nicht sagen: „Also mich und Leon und Mila stört das aber nicht.“ Und lieber einmal mehr nachfragen, wenn klar ist, dass etwas nicht stimmt.

Gibt es bereits Umsetzungsbeispiele von Schulen seit der Abschlusstagung?

Ja, beispielsweise hat das Humboldt-Gymnasium in Tegel schon einiges umgesetzt und ich habe dort auch einen Vortrag für Eltern, Lehrerkräfte und Schülerinnen und Schüler gehalten. Ist wie alles dazu auch auf Youtube zu finden.

Ich habe dort und in Vereinen ohne Fremdworte erklärt, dass Menschen im Autismus-Spektrum sich ebenso wenig „zusammenreißen“ können, wie ein Mensch der starken Durst hat oder todmüde ist. Autistische Schülerinnen und Schüler haben in ihrer Art vom Leben auf ihrer Schule berichtet. Das war erstklassig und es sind uns allen, auch mir, viele Lampen aufgegangen (für autistische Menschen: Das ist eine Redewendung).

Wie kann eine schrittweise Umstellung auf ein inklusives Schulsystem erfolgen und was ist für Sie das wichtigste Kriterium für eine gelingende Inklusion?

Einfach sofort anfangen anstatt zu diskutieren. Seit unserer Untersuchung wissen wir – aus tausenden von Informationen berechnet – ganz genau, was die Kids stört. Jede Schule kann wie gesagt anfangen, womit sie möchte: Entweder einfach das umsetzen, was am schnellsten geht oder das, wofür Fördermittel da sind oder das, worauf sich alle in der Schule gut einigen können. Handeln statt reden.

Was würden Sie verzweifelten Lehrerkräften als ersten, schnellen Schritt raten, die unter extrem angespannten Rahmenbedingungen arbeiten?

Manche Schulen unterstützen Begleitpersonen im Unterricht – und umgekehrt. Andere führen kleine Änderungen an der Beleuchtung und den Raumplänen durch. Viele erlauben es Autistinnen und Autisten, in der Pause allein in einem Raum zu bleiben. Es gibt superviele Möglichkeiten, einfach anzufangen. Wie gesagt: Mit den Kids reden und ihre Aussagen ernst nehmen, auch wenn ich persönlich anders ticke. Jede kleine Verbesserung ist besser als keine Verbesserung.

Das Allerwichtigste für verzweifelte Schulen ist es, Mobbing deutlich anzusprechen. Ein offenes und menschenfreundliches Umfeld tut allen Kindern gut. Wenn Schulen dort aufgeben oder ins „die sollen sich nicht alle so anstellen“ verfallen, ist der Rest sinnleer.

Was würden Sie sagen wäre der größte Wunsch aller an den Schulen?

Sich gegenseitig ernst nehmen. Viele Kinder geben auf, ihre Wünsche oder Bedürfnisse mitzuteilen, wenn niemand es ernst nimmt. Autistische Menschen haben oft weder einen zu ihren Wünschen passenden Gesichtsausdruck, noch sind sie zum richtigen Zeitpunkt laut genug, noch können sie sozial angepasst ihre Botschaft mitteilen.

Daher: Einfach wortwörtlich auf die Worte hören, die sie sagen oder aufschreiben oder – mit unseren gedruckten Hilfestellungen – als Bilder zeigen.

Müssten Menschen im Autismus-Spektrum weniger maskieren, wenn sie unter sich wären und nicht inklusiv an Regelschulen?

Das hängt von den Lehrerkräften ab. Wenn sie von diesen aufgefordert werden, sich zusammenzureißen oder wie alle andere zu benehmen, freundlicher zu lächeln, im Internat nachts Schnarchende im gleichen Raum zu ertragen oder ähnliches, dann würde auch eine Schule nur für autistische Menschen nichts bringen. Das wäre dann purer Fake.

An meiner Labortüre hing viele Jahre ein Schild auf dem stand „School for Gifted Youngsters“, wie bei den Marvel-Comic-X-Men. Das sollte bedeuten, dass zwar fast alle meiner Studierenden sonderlich sind, aber alle anders sonderlich. Eine Schule für Menschen im Autismus-Spektrum müsste also so wie Professor Xaviers Schule gestaltet sein: Jede und jeder ist anders mit anderen Stärken und Schwächen.

Wie haben Sie Ihren Schulalltag als Kind erlebt?

Ich fand meine städtische, ganz „normale“ Schule in der Kölner Innenstadt, das Alexander-von-Humboldt-Gymnasium, super und habe nicht eine Minute blau gemacht.

Die Lehrkräfte waren erkennbar unterschiedlich, von ultrakonservativ bis superstreng, abgeschlafft und kränklich, rein wissenschaftlich oder sozial eingestellt. Es war die beste Lernumgebung im Fach „Menschen sind verschieden, aber alle können was (anderes), auch die eigentümlichen Erwachsenen.“

Gut war, dass wir in der Oberstufe viele Fächer abwählen konnten, das war in Nordrhein-Westfalen damals normal. Manche konnten als Abi-Hauptfach Sport oder Kunst wählen, andere lieber Sprachen, andere Naturwissenschaften. Das war anders als heute und der Lehrplan war viel freier

›Der‹ Vesalius: Gunther von Hagens & Angelina Whalley

Quelle: Von Pest, Knochen & Arzneien. Medizin der frühen Neuzeit in der Marienbibliothek zu Halle an der Saale. Hrsg. Jutta Eckle, 2024, Seiten 105 – 111.

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Im Gespräch mit Mark Benecke

Die Marienbibliothek ist für mich ›das‹ Kleinod der deutschsprachigen Bibliotheken. Dort finden sich nicht nur weltweit einzigartige Buch-Ausgaben, sondern auch ›der‹ Vesalius. Der Anatomie-Atlas entstand in den Jahren von 1538 bis 1542 als De humani corporis fabrica libri septem (lat.: Sieben Bücher über den Aufbau des menschlichen Körpers) und war das Grund-Werk der heutigen Wissenschaft vom Aufbau des menschlichen Körpers. Andreas Vesal galt als ›schweigsam und melancholisch‹. Sein Werk war ein Kraft-Akt; so zergliederte er alleine in Padua während seiner Tätigkeit dort alle Hingerichteten, das waren über 1.539 Leichen. Er stellte dabei nicht nur Bekanntes in neue Zusammenhänge, sondern machte und beschrieb auch Neuentdeckungen zur Niere, zum Gehirn, den Bändern der Gelenke und weiteren Teilen des Körpers. 

Das Buch, häufig Fabrica genannt, erschien 1543 in Basel. Die Druckvorlagen seiner Abbildungen bestanden wie damals üblich aus Holz. Leonhart Fuchs bearbeitete Vesals Werk weiter und gab es 1551 in Tübingen zunächst in lateinischer Sprache heraus; diese war die damals geläufige Wissenschafts-Sprache, so wie heute Englisch. So wie Konrad Geßners ›Vogelbuch‹ (Zürich 1557) und später das ›Thierbuch‹ (Heidelberg 1606) auch als deutschsprachige Ausgaben erschienen, gab Fuchs auch eine deutschsprachige und somit allgemeiner verständliche Fassung des Vesalius heraus. 

Lieber Gunther, ich erinnere mich an den Aufbau der sehr stark besuchten Körperwelten in Köln, wo Du nicht nur ein großes, schönes Bild aus dem Vesalius im Ausstellungszelt angebracht hast, sondern mich auch gebeten hast, ein Skelett in auf Knien betender Pose im Eingangsbereich herzurichten. Als Vorlage diente Tafel 36 aus William Cheseldens ›Knochenbuch‹ (London 1733), doch im Vesalius ist schon zweihundert Jahre zuvor – im Jahr 1543 auf Seite 165 seines Buches – ein vergleichbar positioniertes Skelett abgebildet. 

Das Skelett in der Ausstellung habe ich jeden Morgen wieder gerade gedreht, sozusagen ›nachpositioniert‹, bis es eines Tages, vielleicht wegen der Wünsche gläubiger Menschen der katholischen Domstadt, verschwunden war. Seither interessiert mich die Frage, woher kommt wohl Deine so deutlich sichtbare Zuneigung für das uralte Anatomie-Buch und seinen Autor Vesalius? 

GvH: Die Fabrica von Andreas Vesalius ist das detaillierteste Anatomiebuch des ausgehenden Mittelalters, in dem mehrere Ganzkörper in aufrechter, lebensnaher Pose realitätsnah abgebildet sind. Wie könnte ich als Human-Anatom keine Bewunderung für den Begründer der modernen menschlichen Anatomie empfinden? Vesalius hat bereits das Bindegewebe und das Parenchym beschrieben und den Unterschied zwischen ihnen veranschaulicht. Das zeigt, wie viele Sektionen er selbst durchgeführt hat. Dabei zeichnete er, was er sah. Für seine Abbildungsvorlagen hat er auch schon Knochen verschraubt. Er hat der Anatomie Leben gegeben, und die von ihm verwendeten Posen waren eine Inspiration für die Körperwelten. Vesalius etablierte, was ich heute Erlebnisanatomie nenne oder auch Anatomiekunst – die ästhetisch instruktive Darstellung des Körperinneren. Er hob die Anatomie aus dem Stand der damals unterprivilegierten Barbarei auf eine wissenschaftliche Ebene, deren Credo die Autopsie, das Selbst-Sehen, war. Er etablierte damit das Authentische, das Original, als die wissenschaftliche Quelle aller Erkenntnis und schuf damit die Basis für den späteren Siegeszug der Medizin. 

Wann hast Du das Buch erstmals entdeckt und wo war das? 

GvH: Als ich in den 1960er Jahren an der Universität Heidelberg arbeitete. Damals hatte jedes Institut seine eigene Anatomie-Bibliothek

Wann und wo konntest Du den Vesalius zum ersten Mal im Original lesen? Und sind Dir Originale wichtig, obwohl es heute sogenannte ›Digitalisate‹ gibt? 

GvH: Das Titelbild der Originalausgabe der Fabrica zeigt das Talent Vesals als Showman für das Wesentliche. Darauf anatomiert er eine Frau, auf deren Gebärmutter er zeigt. Um ihn herum das dicht gedrängte, neugierige Publikum, über ihm das Skelett und sein Familienwappen. Er seziert wie Andreas Tulp in Rembrandts Gemälde mit Hut, der damals wie heute für einen unabhängigen Geist, für Eigensinnigkeit und gegen etablierte Meinung steht. Leider habe ich das Original noch nie einsehen können. 

Die christliche Marienbibliothek in Halle ist ein Bücher-Schatz auch der Anatomie. Was denkst Du darüber, dass ausgerechnet eine religiöse Einrichtung die schöne Ausgabe des Vesalius über viele Jahrhunderte gerettet hat? 

GvH: Die Kirche und die Anatomie waren so viele Jahre lang miteinander verflochten. Das Christentum hatte sich zu Vesals Zeiten als anatomie-freundlichste Religion der Welt etabliert. Italien war mit Billigung der Päpste zum Geburtsland der Anatomie der Neuzeit geworden. Päpste hatten in Padua und Bologna öffentliche Sektionen erlaubt und ließen sich sogar selbst sezieren. Von dort aus trat die Anatomie ihren Siegeszug als ›Anatomia publica‹ über ganz Europa an. Vesal machte sich die Mächtigen zum Freund. Beispielsweise widmete er die Fabrica Kaiser Karl V., der von ihm eine kolorierte Prachtausgabe erhielt. Dass sich die Kirche nie offiziell zu seinem Wirken geäußert hat, steht für ihr damaliges diplomatisches Geschick als Mittler zwischen konservativen und progressiven Wertvorstellungen. 

Du unterhältst – was vermutlich manche nicht wissen – eine der größten Privat-Bibliotheken, die zumindest ich je gesehen habe. 

GvH: Natürlich habe ich darin auch mehrere Kopien von Vesalius Werk. Anatomen schätzen Zeichnungen mehr als Texte, und auch ich schätze seine Abbildungen sehr. An dieser Stelle möchte ich die Arbeit des Illustrators von Vesalius, Jan Stephan van Calcar, würdigen, der so selten für seine Beteiligung an einigen der anatomischen Zeichnungen gewürdigt wird. 

Angelina, Du warst und bist die Gestalterin der Körperwelten-Ausstellungen. Wie seid Ihr auf die Idee gekommen, bei manchen Ausstellungen jahrhundertealte anatomische Abbildungen zu zeigen? Viele Menschen finden heutzutage ja ›Gestriges‹ langweilig. Wie denkst Du darüber? 

GvH: Historische anatomische Darstellungen hatten wir vor allem in den frühen Körperwelten-Ausstellungen, weil wir uns in der Tradition der Renaissance-Anatomen sahen. Die Anatomen jener Zeit stellten die menschliche Anatomie nicht nur in einer bis dahin ungekannten Detailtreue dar, sondern priesen auch den Körper in all seiner Schönheit und betrachteten ihn als Tempel des Geistes. Zudem ließen sie die Öffentlichkeit an ihren Erkenntnissen im Rahmen der damals üblichen Anatomischen Theater teilhaben. Die Ästhetik dieser wunderbaren Bilder hatte schließlich auch einen wesentlichen Einfluss auf unsere Exponate. Die ersten Ganzkörperplastinate sahen z. B. wie anatomische Modelle aus: aufrecht, starr und steif. Sie konnten nicht einmal von allein aufrecht stehen, sondern wurden von einem am Becken befestigten Ständer gehalten. In der allerersten Körperwelten-Ausstellung in Japan beklagten manche Besucher jedoch, dass die Exponate zwar hochinteressant, aber auch etwas zum Fürchten seien, weil sie so tot aussähen. Das ließ uns sofort an die alten Anatomiebilder denken, in denen die Körper ästhetisch und in lebensnahen Posen, und manchmal sogar in wunderschönen Landschaften stehend, dargestellt waren. Uns war in diesem Moment klar geworden, dass auch unsere Exponate über ihre wissenschaftliche Aussage hinaus eine ästhetische Dimension benötigen, wie es die alten Renaissance-Anatomen bereits begriffen hatten. Bei der heutigen Schnelllebigkeit neigen wir in der Tat oft dazu, Altes als langweilig abzutun. Doch wie das Beispiel zeigt, können wir auch von alten Meistern Wichtiges lernen. Unabhängig davon haben die historischen Bilder über Jahrhunderte hinweg nichts von ihrem ästhetischen Reiz eingebüßt. 

Was macht für Dich einen Forscher oder eine Forscherin aus, der oder die in der Geschichte der Medizin ihren Platz findet? 

AW: Es gibt viele Forscher und Forscherinnen, die Pionierarbeit leisten und deren bahnbrechende Erkenntnisse einen großen Mehrwert für die jeweilige wissenschaftliche Disziplin und die Gesellschaft haben. Doch ganz besonders bleiben uns diejenigen im Gedächtnis, die ihre Leistungen trotz widriger Umstände oder entgegen fest etablierter Lehrmeinungen und Glaubenssätze erbringen und einen Wandel auslösen. Wie Andreas Vesal, der menschliche Körper erstmals systematisch zergliederte und mit seinen Erkenntnissen die jahrhundertelang vorherrschenden Lehrmeinungen revolutionierte. Das war zu Zeiten der Inquisition vermutlich kein leichtes Unterfangen. Auch Gunther hat als Erfinder der Plastination zweifelsohne seinen Platz in der Anatomiegeschichte gefunden. Mit seiner bahnbrechenden Konservierungsmethode hat er die anatomische Lehre maßgeblich verbessert und mit den Körperwelten die Anatomie einem breiten Massenpublikum zugänglich gemacht oder, wie er selbst gern sagt, »die Anatomie demokratisiert«. Körperwelten hat den Blick der Menschen auf sich selbst nachhaltig verändert und einen wesentlichen Beitrag zur Gesundheitsaufklärung geleistet. Ich selbst habe die Ausstellung von Anbeginn inhaltlich konzipiert und gestaltet und habe damit an diesem Erfolg bedeutsamen Anteil. Doch den anfänglichen heftigen Kontroversen und Forderungen nach Verboten bis hin zu persönlichen Anfeindungen hätte ich niemals standhalten können; das ist allein Gunthers Verdienst. Mit der gleichen Unbeirrtheit und dem Durchhaltevermögen, mit dem er die Plastination – trotz scharfer Kritik und Ablehnung seiner Fachkollegen – von der initialen Idee bis hin zur Perfektion entwickelte, hat er auch diesen Kulturkampf ausgetragen. 

Hast Du alte, anatomische Lieblings-Bücher, die du besonders gerne gelesen hast oder in die Du immer noch hineinschaust – und falls ja, wo und wann hast Du sie entdeckt? 

AW: Anatomiebücher sind weniger Werke, in denen ich immer wieder gerne lese (schmunzelt). Aber manche anatomischen Darstellungen finde ich derart ästhetisch und künstlerisch gelungen, dass ich sie immer wieder gern anschaue. Dazu gehören vor allem die Abbildungen in der Fabrica von Andreas Vesal und die kunstvollen anatomischen Zeichnungen von Leonardo da Vinci. Auch die ungewöhnlichen Darstellungen des Anatomen Frederik Ruysch, der aus injizierten Blutgefäßen und klagenden Kinderskeletten kleine Landschaften schuf und diese in Zeichnungen festhielt, fand ich stets sehr bemerkenswert. Dafür näher interessiert habe ich mich eigentlich erst, als ich nach dem Medizinstudium meine erste Stelle am Anatomischen Institut in Heidelberg angenommen hatte. 

Das Interview mit Gunther von Hagens fand von Januar bis März 2024 statt und war nur durch die sehr freundliche Unterstützung von Angelina Whalley und Rebecca Brewer möglich, denen ich von Herzen danke. – MB 

Gunther von Hagens ist Anatom, Erfinder der Plastination und treibende Kraft hinter den Körperwelten-Ausstellungen mit haltbar gemachten Menschen und Tieren, die seit den 1990er Jahren weltweit zu sehen sind. Er studierte in Jena Medizin und saß wegen Republikflucht in der DDR im Gefängnis. 

Angelina Whalley konzipierte bereits 1988 die erste öffentliche Ausstellung in der AOK-Geschäftsstelle Pforzheim* und entwirft seit 1995 die Körperwelten-Ausstellungen. Sie ist Ärztin und mit Gunther von Hagens verheiratet. Körperwelten ist die besucherstärkste Ausstellung, die es weltweit je gab. Die Plastination hat die universitäre Anatomie-Lehre grundlegend verändert, da die Körperteile dabei sehr stabil sowie lebensgetreu darstellbar sind. Das Plastinarium in Guben ist sowohl Ausstellungsfläche als auch Herstellungs-Ort der Plastinate. Es ist in einer ehemaligen Hut-Fabrik untergebracht. 

Mark Benecke ist Kriminal-Biologe und Sachverständiger für biologische Spuren. Nach seiner Rückkehr vom Office of Chief Medical Examiner in New York City arbeitete er bei der Körperwelten-Ausstellung in Köln und führt bis heute Kurse im Plastinarium durch. 

Autismus to go: Fortbildungspodcast des Berufsbildungswerks Hamburg

New Podcast Episode: Im Gespräch mit Dr. Mark Benecke und Ines Fischer von White Unicorn e.V.

Der Verein White Unicorn e.V. ist ein peergestützter Verein, der sich für ein  autismusfreundliches Umfeld einsetzt. Mithilfe von Forschungs- und Aufklärungsprojekte entwickelt der Verein Materialien, um bessere, inklusive Bildungschancen für Kinder im Spektrum zu ermöglichen.

Materialien sowie Handreichungen findet ihr auf der Webseite des Vereins unter 

 https://www.white-unicorn.org/startseite

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Anmerkung von Mark: Wir bedanken uns bei allen, die mit uns seit Jahren zusammen arbeiten, darunter die Goethe-Universität Frankfurt/Main, die Humboldt-Universität Berlin (HU), Aktion Mensch, das Bundesministerium für Bildung & Forschung (BMBF) und der Verbund 'Schule & Autismus' (schAUT) 🤝

Deutschlands berühmtester Kriminalbiologe zu Besuch auf dem Erfurter Weihnachtsmarkt

Quelle: Thüringer Allgemeine, 30. November 2024

Von Martin Wichmann

Erfurt. Ein Plüsch-Rupfi für Dr. Made, das gibt’s nicht alle Tage. Wer auf dem Domplatz gesichtet wurde, verraten wir hier: Das erste Weihnachtsmarkt-Wochenende lockt am Samstag Tausende Besucher auf den Erfurter Domplatz. Und auch Erfurts lichte Fichte Rupfi stand dabei im Mittelpunkt. Denn am Nachmittag schaut auf dem Erfurter Weihnachtsmarkt Rupfis wohl prominentester Fan vorbei. Ein Mann im Gothic-Look mit schwarzem Rollkoffer zog etliche Blicke auf sich.

Es ist Deutschlands bekanntester Kriminalbiologe Mark Benecke alias Dr. Made, der es sich nicht nehmen ließ, auf seiner Reise von Fürth nach Jena, Station in Erfurt zu machen. Und das nur für Rupfi!

Benecke ist derzeit auf Vortrags-Tour, referiert über grausame Serienmorde in ausverkauften Hallen und holte sich vor seinem Auftritt am Abend im Jenaer Abbe-Hörsaal seinen persönlichen Plüsch-Rupfi an Rupfis Glühweinstube ab.

Benecke reiste mit Frau Ines mit dem Zug an, mit der Straßenbahn ging es direkt zum Domplatz. Knapp eine Stunde nahm sich Benecke Zeit.

Beneckes und Frau Ines’ Vater stammen beide aus Weimar, Ines selbst ist aus Leinefelde. “Wir sind also sehr mit Thüringen verbunden.” Und die Verbundenheit zu Rupfi? Benecke: "Ich war damals auf dem Domplatz dabei, als Rupfi fiel und habe davon ein Video gedreht. Im Folgejahr durfte ich offiziell den Erfurter Weihnachtsmarkt eröffnen.”

Bei Dr. Made ging Rupfi sogar unter die Haut. So trägt er ein Abbild der lichten Fichte seit Anbeginn als Tattoo auf seiner Wade. Und nun ist auch ein Plüsch-Rupfi mit auf Tour. Benecke: “Den nehme ich jetzt mit auf Reisen und werde so Rupfi’s außergewöhnliche Geschichte in die anderen Bundesländer tragen.” Mark Benecke drehte rund um Rupfi noch ein paar Handy-Videos, erfüllte auf dem Weihnachtsmarkt etliche Selfie-Wünsche, bevor es mit einer Tüte Nüsse und dem Plüsch-Rupfi im Gepäck weiter nach Jena ging. Am Sonntag reist Benecke zurück in seine Heimatstadt Köln.


Podcast: Trauern, Joggen, Gassi gehen — Wie verändern sich Verhaltenscodes auf Friedhöfen?

Auf mittelalterlichen Kirchhöfen herrschte ein reges Treiben: Gärtnern, Handwerkern oder Feiern waren keine Seltenheit. Erst in den folgenden Jahrhunderten entstand langsam die Idee vom Friedhof als Ort der Totenruhe. Heute befinden sich Friedhöfe wieder in einem Transformationsprozess: Es wächst eine neue Offenheit für die Auseinandersetzung mit Tod und Trauer, immer mehr Menschen begreifen Friedhöfe wieder als lebendige Orte im urbanen Leben, nutzen sie als grüne Oasen in dichten Städten. Wie stimmig sind althergebrachte pietätvolle Verhaltensnormen noch? Und wie viel Leben wollen wir auf Friedhöfen? Kicken, feiern, arbeiten – was ist neben Gräbern noch okay?

Mit:

Dr. Mark Benecke, Kriminalbiologe

Dr. Thorsten Benkel, Soziologe, Universität Passau

Anja Franczak, Kulturwissenschaftlerin und Trauerbegleiterin

Dr. Barbara Happe, Kulturwissenschaftlerin, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Matthias Meitzler, Soziologe, Eberhard Karls Universität Tübingen

Dr. Martin Venne, Landschaftsarchitekt

Tillmann Wagner, Geschäftsführer Ev. Friedhofsverband Berlin

SR kultur "Bist du behindert?" – Leben als Autist:in (mit Mark & Ines)

Quelle: tabularasa – weg mit Tabus · SR2 KulturRadio · 12. November 2024 · ARD Mediathek & SR2 Radio · https://www.ardaudiothek.de/episode/tabularasa-weg-mit-tabus/bist-du-behindert-leben-als-autist-in/sr-kultur/13881917/ · titel thesen temperamente (ttt)

Auszüge aus dem Podcast

[0:00:03]: Mark Benecke:

"Sowohl dieser Begriff der Folter, der jetzt auch garantiert empörte Zuschriften an den Sender hier hervorrufen wird als auch der Begriff dieser Umwandlungs-Behandlungen, der ist, der ist leider messbar, zutreffend, sachlich."

Host Laura:

"Das Besondere an Autismus und ein Grund, warum Diagnosen oft spät erfolgen, ist, dass es ein Spektrum ist – die Symptome treten in ganz unterschiedlicher Ausprägung und Stärke auf. Daher spricht man in der Psychologie heute von einer Autismusspektrumstörung. Warum Autismus schwer zu diagnostizieren ist und welche Überlappungen es zu anderen Formen der Neurodivergenz gibt, hat mir Mark Benecke genauer erklärt."

[0:15:41]: Mark Benecke:

Es gibt viele Überschneidungen. Es gibt nicht 'den Autisten' oder 'die Autistin'. Zum Beispiel kann jederzeit eine posttraumatische Belastungsstörung dazukommen, weil Autist*innen in ihrer Kindheit häufig von Umweltreizen genervt werden.

[0:16:29]: "Ich habe bewusst nach den Problemen von Autistinnen gefragt und nicht danach, was Autistinnen sind. Das habe ich auch die Partnerin von Mark Benecke gefragt, und sie hat ähnliche Schwierigkeiten wie ich, das zu erklären."

[0:16:44]: Ines Benecke:

"Ich finde es schwierig zu erklären, weil man Autismus immer im Vergleich zu Neurotypischen erklären muss. Und dafür muss ich mich als Autistin in eine neurotypische Sicht hineinversetzen, um den Unterschied zu erkennen. Für mich ist mein Verhalten ja normal – neurotypische Menschen finden mich komisch, nicht umgekehrt." 

[0:17:40]: Mark Benecke:

"Grundsätzlich ist Autismus eine andere Verdrahtung im Gehirn, als ob die „Drähte“ die Nerven wären. Zum Beispiel nehmen Autist:innen Reize oft viel stärker wahr. Es ist jedoch bisher nicht genau geklärt, ob die Reize wirklich intensiver ankommen oder ob bestimmte Filter nicht so funktionieren, dass die Sortierung, also das Gewicht, das einem Reiz gegeben wird, eingeschränkt ist. Es ist also nicht sicher, ob ein Geräusch tatsächlich lauter wahrgenommen wird oder ob einfach die Möglichkeit fehlt, sich davon abzulenken. Bei mir wäre das zum Beispiel das Ticken einer Uhr."

[0:42:56]: Mark Benecke:

"Es gibt allerdings auch Therapien, die ganz andere Ansätze verfolgen. Deswegen muss man da stark unterscheiden. Ines meint hier die gängigsten Angebote – dabei handelt es sich um spezielle Verhaltenssysteme, die auf Englisch bezeichnet werden, mit Lernmethoden und Verhaltenstherapien, die aber nichts mit herkömmlichen psychologischen Verhaltenstherapien zu tun haben, sondern speziell auf Autismus bezogen sind. Für Autisten und Autistinnen werden diese Methoden jedoch oft als eine Art Folter empfunden, bei der sie sich stundenlang an Reize gewöhnen sollen, an die sie sich nicht gewöhnen können."

[0:44:27]: Mark Benecke

"Aber das ist bei Autistinnen messbar. Es sind keine „Flausen“ , sondern neurologisch belegte Reaktionen, die man im Gehirnscans sehen kann: Bei bestimmten Reizen leuchten die Bereiche für Angst, Ekel oder Vermeidung auf."

[0:44:45]: Host Laura:

"Ines und Mark haben als Beispiel für solche Abneigungen Knoblauchgurken genommen. Wenn ein Autist oder eine Autistin Knoblauchgurken eklig findet, ist das absolut nachvollziehbar."

[0:44:56]: Mark Benecke:

"Das ist eigentlich gar nicht abwegig, aber ein autistisches Kind soll sich dann doch bitte an diese „blöden“ Knoblauchgurken gewöhnen."

[0:45:06]: Mark Benecke:

"Wer würde denn beim Abendessen sagen: „Damit du dich daran gewöhnst, gibt es heute nur Knoblauchgurken?“ Das würde doch niemand machen."

Mark Benecke:

"Das Verrückte an dieser Art von Therapie ist, dass nicht das echte soziale Verhalten gefördert wird, sondern nur eine angepasste, oft „verlogene“ soziale Anpassung."

[0:48:59]:

"Autisten erleben oft Traumatisierungen wie Mobbing und Ausgrenzung. Vielleicht wäre es besser, eine Therapie zu entwickeln, die darauf Rücksicht nimmt, statt auf Anpassung zu setzen." 

[0:49:21]:

"Gefühlt müsste man eher die Gesellschaft therapieren, damit sie lernt, mit Autist:innen umzugehen."

"Auch gegenseitiges Verständnis wäre hilfreich. Es geht darum, das Selbstwertgefühl von Autistinnen zu stärken und ihre Stärken zu erkennen."

[0:51:15]:

"Autismus ist offiziell eine Behinderung. Innerhalb der Betroffenen gibt es jedoch auch Stimmen, die Autismus als eine Art Superkraft sehen."

[0:51:45]: Mark Benecke: 

"Es ist auch eine Superkraft. Das meine ich wirklich. Auch wenn ich das jetzt ein bisschen lustig sage."

[0:52:07]:

"Man sagt, „kennst du einen Autisten, kennst du einen Autisten“ , und das zeigt auch die Vielfalt der Community."

[0:52:21]: Beccs

"Ich sehe Autismus nicht als Superkraft, sondern eher als Behinderung, wenn auch in einer idealen Gesellschaft."

[0:52:33]: Host Laura:

"Ich sehe sowohl Vorteile als auch Nachteile durch den Autismus. Letztlich wiegt es sich für mich aus."

[0:53:11]: Co-Host Katharina:

"Das Wort „Behinderung“ bedeutet ja, dass man an etwas gehindert wird, und das trifft in einigen Bereichen zu."

 [0:53:56]:

"In manchen Bereichen können Autist*innen jedoch glänzen."

[0:54:02]: Mark Benecke:

"Viele erfolgreiche Code-Knacker sind natürlich Autist:innen."

[0:54:14]: Host Laura:

"Wenn man keine wissenschaftliche Karriere anstrebt, kann eine Diagnose aber hilfreich sein, z. B. für Nachteilsausgleiche oder einen besonderen Kündigungsschutz."

[0:54:41]:

"Es kann auch ein Vorteil sein, Autist:in zu sein. Es gibt Fähigkeiten, die andere nicht haben. Es hängt von deinem Lebensumfeld ab, ob Autismus ein Vorteil oder Nachteil ist."

Doktor Made ermittelt

Quelle: KURIER.at, 8. November 2024

Von Birgit Seiser

Nachgefragt. Immer noch ist offen, wann der Doppelmörder Roland Drexler gestorben ist. Experte Mark Benecke erklärt, welche Faktoren für die Bestimmung des Todeszeitpunkts essenziell sind.

Fünf Tage lang suchte eine Hundertschaft an Polizisten Wälder im oberösterreichischen Bezirk Rohrbach (OÖ) nach dem mutmaßlichen Doppelmörder Roland Drexler ab. Am Samstag stand fest, dass er tot ist, seine Leiche wurde in seinem Jagdgebiet entdeckt. Mit Spannung erwartete das ganze Land das Ergebnis der Obduktion, das aber weiter Fragen offen ließ. Der genaue Todeszeitpunkt konnte nicht bestimmt werden. Nun sollen forensische Entomologen das Rätsel lösen.

Einer der bekanntesten Vertreter dieses Fachs ist Dr. Mark Benecke. Der Kriminalbiologe, der auch als "Dr. Made" bekannt ist, erklärt im KURIER, wie man den Todeszeitpunkt bestimmen kann und wie Insekten dabei helfen. Die folgenden Zeilen sind nichts für Menschen mit schwachen Mägen.

Leiche als Brutstätte

"Bei einer frischen Leiche erkennt man den Todeszeitpunkt beispielsweise über die Reizbarkeit der Muskeln mit Strom, die Auskühlung des Körpers und die Beweglichkeit der Pupillen, wenn etwas hineingetropft wird. Auch, wie sich die Gelenke biegen lassen, gibt Aufschluss über den Todeszeitpunkt", sagt Benecke. 

Ist der Tod schon vor längerer Zeit eingetreten, gibt es andere Merkmale, die zur Aufklärung beitragen können. Insekten nutzen Leichen als Brutstätte und Nahrungsquelle: "Je länger eine Leiche liegt, umso mehr zersetzt sich der Körper. Dann kann man das Alters der Larven von Schmeißfliegen verwenden, die wie eine Uhr ticken, also wachsen", erklärt der Kriminalbiologe. Käsefliegen oder Aaskäfer, die Leichen erst später besiedeln, können ebenfalls zur Bestimmung des Todeszeitpunkts beitragen. In manchen Fällen können sogar Pflanzen und deren Wurzeln untersucht werden, die über oder durch die Leiche hindurch wachsen.

Genau solche Merkmale sollen nun helfen, den Todeszeitpunkt von Roland D. festzustellen. Dass er schon länger tot gewesen sein muss - sich möglicherweise direkt nach dem Doppelmord am Montag das Leben genommen hat - kann durch das Auftreten von Insekten aber nicht zwingend abgelesen werden.

"Insekten können superschnell auf einem Leichnam zu finden sein. Ich habe es schon erlebt, dass die schwangeren Fliegen-Weibchen sofort nachdem die Leichen ins Freie gelegt wurden, beispielsweise im Studierenden-Kurs oder auf der Body Farm, angesaust kamen. Fliegen können Butanol und Methylsulfid, das aus Leichen strömen kann, sehr gut riechen."

Störfaktoren

In der forensischen Entomologie gibt es aber selbstverständlich auch Störfaktoren, die Untersuchungen erschweren können. "Wenn  eine Leiche verlagert, also von einem Ort an den anderen gebracht wurde, kennt man die jeweiligen Temperaturen der Orte vielleicht nicht. Die brauchen wir aber, um die Wachstums-Geschwindigkeit der Larven zu errechnen. Manchmal werden Leichen auch versenkt oder irgendwo eingeschlossen, wo die Tiere nicht sofort dran gehen. Oder es ist zu kalt oder regnet", sagt Benecke. 

Die Witterungsbedingungen dürften in der vergangenen Woche so gewesen sein, dass sie keine negativen Auswirkungen auf die kommenden Untersuchungen haben sollten. Die Temperaturen lagen deutlich im ein- bis niedrigen zweistelligen Bereich; an drei Tagen regnete es, aber nur sehr mäßig. Die Leiche wurde laut Polizei außerdem nicht eingeschlossen oder in Wasser versenkt, entdeckt, sondern soll offen in dem Waldstück gelegen haben. 

Kriminalbiologe Mark Benecke bestätigt: KZ-Lampenschirm ist aus Menschenhaut

Quelle: BILD, 22. März 2024

Von: Laura Meinfelder

Der Lampenschirm aus Menschenhaut und andere Präparate sind Beweise für die unfassbar grausamen nationalsozialistischen Verbrechen. Die Aufnahme entstand kurz nach der Befreiung am 16. April 1945

Weimar (Thüringen) – Viele hatten es bereits geahnt, doch jetzt ist es erschreckende Realität: Der berüchtigte „Kleine Lampenschirm“ aus dem KZ Buchenwald wurde aus Menschenhaut hergestellt! Das bestätigten nun neueste Untersuchungen.

Ein früheres Gutachten von 1992 hatte fälschlicherweise behauptet, der Lampenschirm sei aus Kunststoff. Geschichtsleugner nutzten diese Fehleinschätzung immer wieder, um die nationalsozialistischen Verbrechen zu bestreiten. Deswegen hatte sich die Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora in Thüringen entschieden, die Präparate noch einmal mit neuesten technischen Verfahren untersuchen zu lassen.

Der bekannte Kriminalbiologe Mark Benecke (53) stellte jetzt klar, dass das Material vom Lampenschirm „nur menschlich sein“ könne. Das ist das Ergebnis seiner forensischen und mikroskopischen Analyse.

Kriminalbiologe Dr. Mark Benecke wurde bei der Vorstellung der neuen Forschungsergebnisse mit Direktor Jens-Christian Wagner (links) digital zugeschaltet.

Im Hintergrund ist der kleine Lampenschirm zu sehen, der sicher aus Menschenhaut besteht und sich in einer SS-Villa befand.

Lampenschirm stammt aus KZ der Nazis

Der kleine Schirm stammt aus einem der Häuser der SS-Villensiedlung und wurde unmittelbar nach der Befreiung im April 1945 vom ehemaligen deutschen politischen Häftling Karl Straub (1898-1966) an sich genommen.

Später kam der Lampenschirm wieder zurück nach Buchenwald, wo er von 1954 bis 1990 in der Gedenkstätte ausgestellt wurden. Mittlerweile ist er aus ethischen Gründen nicht mehr öffentlich zu sehen.

Im KZ Buchenwald wurden Menschen gequält, gefoltert und getötet

„In unseren Ausstellungen zeigen wir bewusst keine menschlichen Überreste, obwohl sie sich in unserer Sammlung befinden. Eigentlich müssten diese aus humanitären Gründen bestattet werden. Da sie jedoch auch Beweise der nationalsozialistischen Verbrechen in den Konzentrationslagern sind, bewahren wir sie auf“, heißt es auf der Internetseite der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora.

Für solche Präparate benutzte die SS von Adolf Hitler bevorzugt die Haut von tätowierten Häftlingsleichen.

Direktor Jens-Christian Wagner betont, dass die Herstellung von Lampenschirmen und anderen „Geschenkartikeln“ aus Menschenhaut zeigt, wie „komplett dehumanisiert“ die SS war. In keinem anderen deutschen Konzentrationslager wurden derartige Gegenstände hergestellt.

Wetter und Temperatur spielen eine große Rolle

Quelle: t-online.de, 26. Juni 2024

Von Simone Bischof

Kriminalbiologe zum Fall Arian

In Niedersachsen wurde eine Kinderleiche gefunden. Möglicherweise ist es der vermisste Arian. Wie die Ermittler das herausfinden, erklärt der Kriminalbiologe Mark Benecke.

Am Montagnachmittag entdeckte ein Landwirt auf einer Wiese im Landkreis Stade eine Kinderleiche. Die Ermittler schließen einen Zusammenhang zu dem seit mehr als zwei Monaten vermissten sechsjährigen Arian aus Bremervörde nicht aus. Der Leichnam wurde zur Obduktion in die Gerichtsmedizin gebracht, Ergebnisse der Untersuchung sollen noch in dieser Woche bekannt gegeben werden.

Der Forensik-Experte Dr. Mark Benecke hat die Polizei schon in vielen Fällen unterstützt. Im Gespräch mit t-online erklärt er, wie die Ermittler, die mit der Aufklärung des Falls befasst sind, im Weiteren vorgehen.

t-online: Herr Benecke, Arian ist vor etwas mehr als zwei Monaten verschwunden. Vorausgesetzt, bei der gefundenen Kinderleiche handelt es sich um den Sechsjährigen: In welchem Zustand ist die Leiche nach so langer Zeit?

Mark Benecke: Das hängt von mehreren Faktoren ab. Wetter und Temperatur spielen eine große Rolle. Wenn es warm und feucht ist, zersetzen sich Leichen im Freien schnell. Weiterhin spielt eine Rolle, wie die Leiche gelagert ist – beispielsweise in einer Kiste oder in der Erde. Außerdem, ob es Tierfraß gibt. Etwa durch Ameisen, Maden oder Wildschweine.

Welche Wetterbedingungen spielen beim Zustand einer Leiche eine Rolle? Zum Zeitpunkt von Arians Verschwinden war es noch kalt. Inzwischen gab es Unwetter mit viel Regen, außerdem Hitze.

Solange es kalt ist, wachsen die Bakterien und Insekten langsam. Wenn es wärmer wird, wachsen sie schneller und lösen die Leichen dann auch schneller auf.

Wie erschwert der Zustand einer Leiche ihre Identifizierung?

Das spielt seit der Erfindung beziehungsweise Entdeckung genetischer Fingerabdrücke in Vermissten-Fällen keine Rolle mehr. In den Knochen und Zähnen ist immer genug Erbgut, um zu bestimmen, ob die Leiche die vermisste Person ist oder nicht.

Gibt es einen leichteren Weg?

Wenn es um den "ersten Blick" geht: Meist über die Bekleidung.

Wie wird eine Leiche untersucht und wonach wird gesucht?

Gesucht wird nach Verletzungen, die an Knochen sichtbar sind, beispielsweise "Scharten", also Ritzer, die von einem Messer stammen könnten. Außerdem nach Giften, die im sogenannten "Weichgewebe" sind, aber auch in harten Körper-Teilen. Und nach Spuren von Brand, Ersticken, Knochenbrüchen und natürlich allem, was von einem Täter oder einer Täterin stammen könnte: Haut-Zellen, Haare, Kleidungs-Fasern, Blut, Sperma oder Speichel.

Nach welchen "typischen" Merkmalen wird zuerst gesucht, um die Todesursache festzustellen?

Die Kolleginnen und Kollegen aus der Rechtsmedizin schauen unter anderem danach, ob es bestimmte Flecken auf Organen gibt, sofern diese noch erhalten sind, ob es Brüche beispielsweise am Kehlkopf gibt oder ob der Schädel gebrochen oder durchlöchert ist. Blut-Unterlaufungen können interessant sein oder Löcher in der Haut, eigentlich alle "Veränderungen" gegenüber dem Grundzustand.

Interview: Serienmörder Luis Alfredo Garavito Cubillos (1957—2023)

Quellen: Meldung aus web.de vom 28. Oktober 2024 und Bonus-Interview, das die Grundlage für den Text war

Wenn Du den Fall Garavito in drei Wörter beschreiben müsstest - welche wären das? Und warum?

Da reicht ein Wort: Apokalyptisch.

Wenn man einem Serienmörder gegenübersitzt - wie fühlt sich das an, was strahlt er (anders als andere Menschen) eventuell aus?

Sie sind eitel, das heißt, sie versuchen, sich im Knast gut darzustellen. Die Ausstrahlung der meisten ist ruhig, ehrlich und offen. Das ist gut zu erkennen auf Videos beispielsweise von Jeff Dahmer und Samuel Little, die im Internet zu finden sind. 

Abgesehen von der immensen Anzahl an Opfern: Was machte Garavito als Serienmörder so einzigartig? Weshalb hat er dein Interesse geweckt? Was hat dich dazu gebracht ihn persönlich kennenlernen zu wollen?

Niemand wollte mit ihm reden. Meine Kolleginnen und Kollegen in Bogotá meinten zu mir, er sei ein Monster, kein Mensch, und Monstern nehmen sie weder Blut ab noch reden sie mit ihnen. 

Hattest du auch Kontakt zu direkt Betroffenen, wie den Familien seiner Opfer, oder ermittelnden Beamten? Wenn ja, was haben sie dir über ihre Perspektive auf die Morde und ihre Aufklärung erzählt?

Es war wegen der Entführungen zu gefährlich, ins ländliche Kolumbien zu reisen. Sogar von meinem Patenkind in Kolumbien habe ich seit langem nichts mehr gehört, es ist wirklich nicht einfach dort. Auch die Polizei konnte mich kaum schützen. In Villavicencio haben mein Übersetzer Miguel, der heute Richter ist, und ich alleine in einem riesigen Raum gefrühstückt, bewacht von zwei Menschen mit Maschinengewehren im Anschlag neben uns. Ich habe versucht, mit der Polizei eine Art Fonds für die Opfer-Familien einzurichten, das war wegen der vollständigen Bestechlichkeit der Behörden aber unmöglich. Den Müttern der verschwundenen Kinder hat die Polizei anfangs auch oft nicht geglaubt. Das war sehr hart für alle, im Nachhinein auch für die Polizistinnen und Polizisten, die schwere Schuld-Gefühle haben.

Schwer traumatisiert ist auch der Staatsanwalt des Falles. Ich habe zuletzt nicht mehr mit ihm gesprochen, da er echt "weg" war, wenn er vom Fall berichtete. Das letze, was er mir sagt, war, dass ihn vermutlich Gott ausgewählt hat, diese Sache zu bearbeiten, anders konnte er damit nicht mehr leben. Er war auch nicht mehr zu stoppen, wenn er anfing, darüber zu sprechen. 

Letztlich wurde das ganze Land schwer mitgenommen. Die beteiligten Polizistinnen und Polizisten in einerm abgelegenen Gebiet, Garavito selbst, ein befreundeter Priester, der selbst mal Kokain-Schmuggler und im Knast war und ich waren vielleicht die einzigen, die völlig offen miteinander über die Sache geredet haben.

Garavito wird in Berichten als kooperationsbereit bei der Aufklärung bezeichnet. Ich hatte beim Lesen der Nachrichten von damals den Eindruck, dass er nicht wirklich Reue für die Morde gezeigt hat? Wie hast du ihn erlebt?

Antisoziale Narzissen haben im Gehirn eine Veränderung, die es ihnen unmöglich macht, Reue zu empfinden, wie sie "normale" Menschen kennen. Garavito hat sich selbst — teils zurecht, er hatte eine Kindheit und Jugend, die ich niemandem wünsche — bemitleidet. Er hat mir berichtet, dass ein Junge, der ihm erzählte, sexuell missbraucht worden zu sein, ihm leid tat. Das erinnerte ihn an seine Kindheit. Er hat das Kind danach tot gefoltert.

Wie hast du seine Situation im Gefängnis wahrgenommen? Er hatte offenbar Kaffee in Haft, wie ich in einem Instagram-Post von dir gelesen habe, das erscheint mir ungewöhnlich. Wer hat ihm diese Dinge besorgt? Meinst du er wollte etwas damit bezwecken, dir etwas "rares" anzubieten?

Er hatte Geld. In deutschen Knästen kannst du auch Handies und Drogen haben, soviel du willst, wenn du genügend Verbindungen hast. Da Garavito ein Muster-Häftling war und zusätzlich Geld hatte, lief das problemlos. Als ich das letzte Mal bei ihm war, wurde ich komplett (ganz komplett, hüstel) durchsucht. Ich durfte nichts mitbringen. Er wusste das und hatte alles vorbereitet, samt Aufnahme-Gerät, Stiften, Papier und Ersatz-Batterien. 

Wie war deine Reaktion auf eine mögliche Freilassung auf Bewährung? Wäre er eine erneute Gefahr gewesen? Wäre eine Rehabilitation realistisch gewesen?

Er hatte sicher keine Lust, nochmal in den Knast zu gehen. Bewährung ist in seinem Fall sinnlos, da er sich unmöglich irgendwo hätte eingliedern können. 

Niemand hätte ihm geholfen oder helfen können: Er wäre draußen in Tagesfrist tot gewesen, wenn er erkannt worden wäre. 

Vermutlich wäre er blitzschnell abgetaucht. Darin war er sehr gut und es ist in Kolumbien wegen der weiten Gebiete und des Chaos auch einfach. 

Es ist zwar möglich, dass er wie Dennis Rader einfach aufgehört hätte. Allerdings — das ist aber nie öffentlich berichtet worden — hat Garavito auch mögliche Zeuginnen und Zeugen getötet. Könnte also sein, dass er noch aus anderen Gründen als den klassisch-serienmördermäßigen weiter getötet hätte. 

Am ehesten hätte man ihn mit Bildung "rehabilitieren" können, denn die hat er wirklich ersehnt.

Unabhängig davon: Was soll ein Serienmörder tun, um das Leid der Familien auch nur ansatzweise wieder gut zu machen? Damit tun sich ja schon Allerwelts-Mörder so schwer, dass die meisten niemals mit den Opfer-Familien reden. Soweit ich es beurteilen kann, ist Wiedergutmachung für Menschen wie Garavito schon rein sachlich unmöglich. Viele der Mütter haben auch erfahren, wie er die Kinder getötet hat. Da gibt es endgültig nichts mehr zu verzeihen.  

Garavito wusste das vermutlich. Im Gefängnis ist er Christ geworden und hat auf den jüngsten Tag und göttliche Vergebung gehofft — das habe ich von ihm schriftlich. Er hat mir sogar einmal geschrieben, dass er hofft, dass Gott auch mich beschützt. Tja.

Die Zahl seiner Opfer wurde immer wieder unterschiedlich angegeben (oft zwischen 170 und 190)- du gehst in deinen Texten von einer deutlich höheren Zahl aus, worin begründet sich deine Annahme?

Aus den polizeilichen Akten. Es ist normal, dass nur das angeklagt wird, was vor Gericht gut darzulegen ist. Das hat aber — in allen Ländern — nicht immer etwas mit der echten Opfer-Zahl zu tun. Die Polizei stand zudem eh schon in ungutem Licht da, weil sie Garavito nicht früher erkannt hatte. Er ist ja nur durch Zufall im Knast aufgeflogen, wo er unter falschem Namen saß.

Hast du seine Angst davor im Gefängnis vergiftet zu werden als realistische Angst wahrgenommen?

Nein. Wir haben uns wirklich gut verstanden. Er war der einzige Experte für seinen Fall, daran habe ich keinen Zweifel gelassen. Wir haben uns ernst genommen. 

Wurde dir etwas zum Tod Garavitos mitgeteilt? Ich habe nur etwas zu "gesundheitlichen Problemen" gefunden.

Ja, er hatte Blutkrebs. Ich bin bis heute mit den Polizisten in Verbindung. Sie hatten viele Fragen und sind auch nach wie vor schockiert.

Warum denkst du haben die Behörden ihn bei seiner Verhaftung im April 1999 nicht direkt mit den Morden in Verbindung gebracht?

Weil es wie eine Sexualstraftat mit überlebendem Kind aussah. Das ist in armen Ländern leider nichts allzu ungewöhnliches.

Wann hast du Garavito das letzte Mal gesehen/Kontakt zu ihm gehabt?

Vor ein paar Jahren über seinen Neffen, mit dem ich Briefe und Mails geschrieben habe.

Warum meinst du hat er Jahre nach deiner ersten Anfrage doch mit dir sprechen wollen?

Er hat sehr schnell mit mir gesprochen. Wir mussten nur die Reise klären, mit der Staatsanwaltschaft reden, eine Unterkunft im Nichts besorgen und natürlich Übersetzer. Miguel hatte nach einem Treffen mit Garavito geschworen, nie wieder eine Zehenspitze nach Kolumbien zu bewegen (seine Worte). Zudem brauchte ich jemanden, der den starken örtlichen Dialekt verstehe, alles mitschreiben konnte und sich von Garavito nicht einwickeln liess.  

Anhand der Verbrechen möchte man sagen: Garavito war ein Monster. War er das?

Ist mir egal, denn die Bewertung hilft niemandem. Wichtiger ist, dass er ehrlich geredet hat und wir dadurch etwas für die Vorbeugung kommender Taten durch ähnliche Menschen lernen konnten. Die Toten werden nicht mehr lebendig. Aber es gibt vielleicht auch durch seine Hilfe weniger neue Tote. Mehr kann ich von einem Serienmörder nicht erwarten, der sich normalerweise für nichts außer sich selbst interessiert.