Die meisten meiner Zuschauer sind dem Tod schon viel zu nahe gekommen

Quelle: Uckermark Kurier / Nordkurier | 5. und 6. September 2025

„Die meisten meiner Zuschauer sind dem Tod schon viel zu nahe gekommen“

Von Heiko Schulze

Dr. Mark Benecke entführte das Publikum im Großen Saal der Uckermärkischen Bühnen in die Welt der Serienmörder und Kannibalen. Er selbst bekannte im Interview mit dem Uckermark Kurier, sehr gerne in die Uckermark zu kommen.

Kriminalbiologe Mark Benecke versteht es, mit Tod, Verwesung und der spannenden Spurensuche nach Tätern und deren Motive zu faszinieren. Mit uns spricht er über diese Faszination.

Herr Dr. Benecke, Sie waren bereits wiederholt in der Uckermark mit Ihren Vorträgen, unter anderem in Schwedt und Templin, zu erleben. Haben Sie eine persönliche Verbindung zur Uckermark oder ist Ihnen diese Region durch einen der von Ihnen als Kriminalbiologe aufgeklärten Fälle bekannt?

Beides. Ich war in den letzten 25 Jahren wirklich schon oft hier und habe die Veränderungen in der Region mit Neugier verfolgt. Aus meiner Sicht ist es viel schöner und lebendiger geworden. Ich fotografiere auch immer die Häuser, Straßen und Menschen bei Veranstaltungen und stelle die Aufnahmen ins Netz. Es gibt viele freundliche Rückmeldungen, Tipps und vor allem die Lehre, dass Menschen überall halt Menschen sind.

In Schwedt hat mich von Anfang an besonders überrascht, dass vermutlich durch die „fossilen Geldquellen“ mit den Uckermärkischen Bühnen ein tolles Veranstaltungsgebäude besteht, das viele Menschen im Rest Deutschlands gar nicht kennen.

In Schwedt widmeten Sie sich unter der gerafften Überschrift „Serienmord“, so war es angekündigt, „skurrilen, teilweise ekligen bis spannenden Fragen“. Das Interesse an Ihren Vorträgen ist ungebrochen groß. Womit erklären Sie sich diese Faszination an den von Ihnen gesetzten, mitunter morbiden Themen, von denen man doch insgeheim hofft, dass sie nie die eigene Familie und Freunde und deren Lebenswirklichkeit betreffen mögen?

Die meisten meiner Zuschauerinnen und Zuschauer sind dem Tod schon viel zu nahe gekommen. Sei es durch den frühen Tod von Angehörigen oder körperlichen oder sexuellen oder gefühlsmäßigen Missbrauch. Sicher ist das Interesse an Serienmorden auch dadurch gespeist, solche Erfahrungen besser einordnen zu können.

Es gibt bei Harry Potter ja Thestrale, die nur Menschen mit entsprechenden Erfahrungen sehen können. Ich vermute einmal, dass es bei meinem Publikum des Öfteren genauso ist.

Bemerken Sie bei Ihren Vorträgen und den sich dabei ergebenen Gesprächen Unterschiede im Publikum der alten und neuen Bundesländer, beispielsweise was die Aufgeschlossenheit, die altersmäßige Zusammensetzung oder das Geschlecht betrifft?

Nein. Wie schon erwähnt: Menschen sind Menschen. Das gilt auch für andere Länder, also nicht nur Bundesländer.

Ich arbeite ja international und habe beispielsweise im Dschungel in Kolumbien bei den Studierenden super gute Fragen erhalten, die ich anderswo noch nie gehört hatte. Am ehesten gibt es Altersunterschiede, weil natürlich verschiedene Generationen verschiedene Erfahrungen gemacht haben. Diese waren in Ost und West aber gar nicht so unterschiedlich, wie manche es behaupten ...

Sehr schön zu sehen ist das an Grenzzonen, beispielsweise in Thüringen in Richtung Hessen und Niedersachsen oder auch im Osten an Grenzen zu Österreich, der Tschechischen Republik oder Polen. Meine Frau pflegt nur zwischen Nord-, Mittel- und Süddeutschland zu unterscheiden. So kann man es ja auch betrachten.

Vermutlich betreffen meine Vorträge so grundsätzliche menschliche Fragen wie Liebe, Sünde, Tod, Gewalt, Vernunft, Gerechtigkeit, Wahn, Verwesung und Fairness, dass das ehemals geteilte Deutschland hier keinen tiefen Einfluss hatte.

Welches ist die wichtigste Botschaft, die Sie bei Ihrer verständlichen Vermittlung von wissenschaftlichen Methoden und Erkenntnissen Ihrem Publikum vermitteln wollen?

Niemals Fremdworte verwenden. Egal, warum. Die meisten Fremdworte kenne ich ja auch nicht.

Der ständige und vielschichtige Umgang mit Gewalt, Tod, extremen menschlichen Verhalten – hat dieser Ihren Blick auf den Wert des Lebens und die Gesellschaft verändert?

Ich bin froh, dankbar und ebenso verspielt, aber auch demütig, dass die Menschen, die ich kennengelernt habe, und ich jeweils eine Runde auf diesem Planeten geschenkt bekommen haben - wie ein Freispiel am Flipper oder im Computerspiel.

Ob andere Menschen sich dafür einsetzen, dass unsere gesellschaftliche Welt und das, was wir „Umwelt “ nennen, erhalten bleibt, kann ich nur sehr begrenzt beeinflussen. Natürlich entsteht daraus auch manchmal ein Gefühl des Fremdelns, weil viele Menschen - obwohl sie sehen, dass sie Dinge ändern könnten - das einfach nicht tun. Es ist aber wie im schon genannten Computerspiel: Ich kann nur das tun, was in meinem Handlungsspielraum liegt.

Welches sind Ihre aktuellen Forschungen beziehungsweise Buchprojekte, an denen Sie arbeiten?

Wir haben haufenweise Fälle von Menschen, die Angehörige von Verstorbenen sind oder solchen, die im Knast sitzen oder Menschen, die sehr alte Fragen haben. Beispielsweise zu den zu DDR-Zeiten angeblich adoptierten Babys und Kindern.

Zuletzt haben wir bei der größten kriminal-biologisch rechtsmedizinischen Tagung in den Vereinigten Staaten (American Academy of Forensic Sciences in Baltimore/USA) unsere Untersuchung der Lampenschirme, des Schrumpf-Kopfes und des Taschenmesser-Etuis aus dem Konzentrationslager Buchenwald vorgestellt.


Bekannter Kriminalbiologe: Vor diesen Typen sollte man sich in Acht nehmen

Von Heiko Schulze

Serienmörder entsprechen in den meisten Fällen nicht den über sie in Umlauf befindlichen Klischees. Jemand, der ihnen bereits gegenübersaß, erklärt, worauf man achten muss.

„Wir wünschen uns Serienmörder als bucklige, warzige Monster, die eine Schleimspur hinterlassen, an der sie zu erkennen sind.“ Der bekannte Kriminalbiologe Dr. Mark Benecke, der es am 4. September mit seinem Vortrag „Serienmord“ einmal mehr verstand, sein Publikum im ausverkauften Großen Saal der Uckermärkischen Bühnen in Schwedt in seinen Bann zu ziehen, weiß, dass Serienmörder so gar nicht diesem „Wunschbild“ entsprechen.

Dr. Benecke hat ihre Spuren analysiert, saß ihnen gegenüber, hat ihre Geschichte hören, ihre Gedankengänge erfahren wollen. Auch die jenes Gelegenheitsarbeiters, der in Kolumbien aus „Lust am Leid“ 300 Kinder getötet haben soll. Niemand sonst wollte mit dieser „Bestie“ reden, ihr zuhören. Dr. Benecke tut es, schaut in menschliche Abgründe aus einem bestimmten Grund: Zu verstehen, „damit solche Taten nicht mehr passieren“.

Serienmörder, so die Analyse des Kriminalbiologen, sind „zu 99,9 Prozent angepasst, unauffällig“. Sie tragen eine durchschnittliche Kleidung, Frisur, haben keine Tattoos oder Piercings - dafür auffallend geputzte Schuhe: „Es sind keine ‚Verrückten‛, die in einer Psychiatrie behandelt werden. Sie wissen genau, was sie tun.“

Nur, dass sie extrem unsozial sind und eitle Narzissten, die von sich selbst überzeugt sind, anderen überlegen zu sein. „Es sind Menschen, die mit ihren Taten aufhören könnten, aber es nicht wollen. Sie kennen keine Reue, haben kein Gewissen. Dieses ist in ihren Gehirnen nicht verdrahtet.“

Dabei seien es oft die „Schwiegermutter- oder Messdiener-Typen“, in denen das Böse schlummere. Mark Benecke betont, kein Psychiater zu sein, sondern nur anhand der Spuren wie Blut, Sperma oder Fingerabdrücke an Tatorten oder Opfern seine Schlussfolgerungen zu ziehen: „Was Menschen erzählen, ist mir dabei völlig egal.”

Er halte dieses nicht nur als öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger so, sondern in vielen Bereichen des Lebens. Ihm gehe es darum, „eine Messung und keine Meinung“ zu haben. „Zeige mir die wissenschaftliche Studie dazu“ - entgegnet er auch jenen Kommentatoren in sozialen Netzwerken, die Fakten bezweifeln, ohne sie faktisch entkräften zu können. Sei es zu Pandemien wie Corona oder Klimaveränderungen.

In Deutschland, so die Fakten, würde es im Jahr circa 220 Morde geben, dagegen sind es zum Beispiel in Mexiko 32.000 jährlich. Was in Deutschland geschehe und nicht nur ihn sehr beschäftige, seien circa 10.000 Selbsttötungen im Jahr. Dabei zeige eine aktuelle Studie aus Amerika, dass jene, die quasi in letzter Minute gerettet werden konnten, nach erfolgreicher Therapie froh und dankbar sind, ihr einmaliges Leben behalten zu haben.

Bei depressiven Menschen gebe es gute Möglichkeiten, diese zu heilen und in den Griff zu bekommen. „Bei Narzissten mit antisozialer Persönlichkeitsstörung gibt es - Stand Herbst 2025 - keine Therapie“.

Auch eine Strafe funktioniere bei diesen nicht, mehr Härte - wie bei neuen Taten immer wieder lautstark gefordert - bewirke das Gegenteil. Täter fühlten sich beispielsweise durch mediale oder sonstige Aufmerksamkeit eher geschmeichelt.

Dabei werde natürlich nicht jeder antisoziale Narzisst mit sauber geputzten Schuhen gleich zum Serienkiller. Mitunter aber zum Vorgesetzten: „In solchen Fällen hilft es oft nur zu kündigen, um an und unter ihnen nicht zu leiden. Ändern werden sich solche Typen nicht.“ Eigene moralische Maßstäbe gelten für diese nicht und könnten Narzissten auch so gut wie gar nicht vermittelt werden.

Dr. Benecke nahm in seinem fast dreistündigen Vortrag das Publikum anhand historischer und aktueller Fälle zudem in die „Welt“ der Kannibalen mit. Wenn es bei den zu Illustrationszwecken gezeigten Bildern zu heftig wurde, riet er dazu, seinem Vortrag für ein paar Minuten ruhig mit geschlossenen Augen zu lauschen.

Er selbst zeigte sich begeistert von dem aufgeschlossenen, interessierten Publikum in der Uckermark und versprach bald wiederzukommen. Als Schlussbild gab es ein glitzerndes Einhorn zu sehen, das dieses später als „Einschlafhilfe“ in seine Träume mitnehmen sollte, so der Wunsch des 55-jährigen Kriminalbiologen an das applaudierende Publikum. Wie groß das Interesse an seinen Erfahrungen und Erkenntnissen ist, zeigte sich einmal mehr an den Bücherstapeln, die viele Besucher auf dem Nachhauseweg mit sich trugen. Versehen mit einem besonderen „Madenstempel“.

Interview: Serienmörder Luis Alfredo Garavito Cubillos (1957—2023)

Quellen: Meldung aus web.de vom 28. Oktober 2024 und Bonus-Interview, das die Grundlage für den Text war

Wenn Du den Fall Garavito in drei Wörter beschreiben müsstest - welche wären das? Und warum?

Da reicht ein Wort: Apokalyptisch.

Wenn man einem Serienmörder gegenübersitzt - wie fühlt sich das an, was strahlt er (anders als andere Menschen) eventuell aus?

Sie sind eitel, das heißt, sie versuchen, sich im Knast gut darzustellen. Die Ausstrahlung der meisten ist ruhig, ehrlich und offen. Das ist gut zu erkennen auf Videos beispielsweise von Jeff Dahmer und Samuel Little, die im Internet zu finden sind. 

Abgesehen von der immensen Anzahl an Opfern: Was machte Garavito als Serienmörder so einzigartig? Weshalb hat er dein Interesse geweckt? Was hat dich dazu gebracht ihn persönlich kennenlernen zu wollen?

Niemand wollte mit ihm reden. Meine Kolleginnen und Kollegen in Bogotá meinten zu mir, er sei ein Monster, kein Mensch, und Monstern nehmen sie weder Blut ab noch reden sie mit ihnen. 

Hattest du auch Kontakt zu direkt Betroffenen, wie den Familien seiner Opfer, oder ermittelnden Beamten? Wenn ja, was haben sie dir über ihre Perspektive auf die Morde und ihre Aufklärung erzählt?

Es war wegen der Entführungen zu gefährlich, ins ländliche Kolumbien zu reisen. Sogar von meinem Patenkind in Kolumbien habe ich seit langem nichts mehr gehört, es ist wirklich nicht einfach dort. Auch die Polizei konnte mich kaum schützen. In Villavicencio haben mein Übersetzer Miguel, der heute Richter ist, und ich alleine in einem riesigen Raum gefrühstückt, bewacht von zwei Menschen mit Maschinengewehren im Anschlag neben uns. Ich habe versucht, mit der Polizei eine Art Fonds für die Opfer-Familien einzurichten, das war wegen der vollständigen Bestechlichkeit der Behörden aber unmöglich. Den Müttern der verschwundenen Kinder hat die Polizei anfangs auch oft nicht geglaubt. Das war sehr hart für alle, im Nachhinein auch für die Polizistinnen und Polizisten, die schwere Schuld-Gefühle haben.

Schwer traumatisiert ist auch der Staatsanwalt des Falles. Ich habe zuletzt nicht mehr mit ihm gesprochen, da er echt "weg" war, wenn er vom Fall berichtete. Das letze, was er mir sagt, war, dass ihn vermutlich Gott ausgewählt hat, diese Sache zu bearbeiten, anders konnte er damit nicht mehr leben. Er war auch nicht mehr zu stoppen, wenn er anfing, darüber zu sprechen. 

Letztlich wurde das ganze Land schwer mitgenommen. Die beteiligten Polizistinnen und Polizisten in einerm abgelegenen Gebiet, Garavito selbst, ein befreundeter Priester, der selbst mal Kokain-Schmuggler und im Knast war und ich waren vielleicht die einzigen, die völlig offen miteinander über die Sache geredet haben.

Garavito wird in Berichten als kooperationsbereit bei der Aufklärung bezeichnet. Ich hatte beim Lesen der Nachrichten von damals den Eindruck, dass er nicht wirklich Reue für die Morde gezeigt hat? Wie hast du ihn erlebt?

Antisoziale Narzissen haben im Gehirn eine Veränderung, die es ihnen unmöglich macht, Reue zu empfinden, wie sie "normale" Menschen kennen. Garavito hat sich selbst — teils zurecht, er hatte eine Kindheit und Jugend, die ich niemandem wünsche — bemitleidet. Er hat mir berichtet, dass ein Junge, der ihm erzählte, sexuell missbraucht worden zu sein, ihm leid tat. Das erinnerte ihn an seine Kindheit. Er hat das Kind danach tot gefoltert.

Wie hast du seine Situation im Gefängnis wahrgenommen? Er hatte offenbar Kaffee in Haft, wie ich in einem Instagram-Post von dir gelesen habe, das erscheint mir ungewöhnlich. Wer hat ihm diese Dinge besorgt? Meinst du er wollte etwas damit bezwecken, dir etwas "rares" anzubieten?

Er hatte Geld. In deutschen Knästen kannst du auch Handies und Drogen haben, soviel du willst, wenn du genügend Verbindungen hast. Da Garavito ein Muster-Häftling war und zusätzlich Geld hatte, lief das problemlos. Als ich das letzte Mal bei ihm war, wurde ich komplett (ganz komplett, hüstel) durchsucht. Ich durfte nichts mitbringen. Er wusste das und hatte alles vorbereitet, samt Aufnahme-Gerät, Stiften, Papier und Ersatz-Batterien. 

Wie war deine Reaktion auf eine mögliche Freilassung auf Bewährung? Wäre er eine erneute Gefahr gewesen? Wäre eine Rehabilitation realistisch gewesen?

Er hatte sicher keine Lust, nochmal in den Knast zu gehen. Bewährung ist in seinem Fall sinnlos, da er sich unmöglich irgendwo hätte eingliedern können. 

Niemand hätte ihm geholfen oder helfen können: Er wäre draußen in Tagesfrist tot gewesen, wenn er erkannt worden wäre. 

Vermutlich wäre er blitzschnell abgetaucht. Darin war er sehr gut und es ist in Kolumbien wegen der weiten Gebiete und des Chaos auch einfach. 

Es ist zwar möglich, dass er wie Dennis Rader einfach aufgehört hätte. Allerdings — das ist aber nie öffentlich berichtet worden — hat Garavito auch mögliche Zeuginnen und Zeugen getötet. Könnte also sein, dass er noch aus anderen Gründen als den klassisch-serienmördermäßigen weiter getötet hätte. 

Am ehesten hätte man ihn mit Bildung "rehabilitieren" können, denn die hat er wirklich ersehnt.

Unabhängig davon: Was soll ein Serienmörder tun, um das Leid der Familien auch nur ansatzweise wieder gut zu machen? Damit tun sich ja schon Allerwelts-Mörder so schwer, dass die meisten niemals mit den Opfer-Familien reden. Soweit ich es beurteilen kann, ist Wiedergutmachung für Menschen wie Garavito schon rein sachlich unmöglich. Viele der Mütter haben auch erfahren, wie er die Kinder getötet hat. Da gibt es endgültig nichts mehr zu verzeihen.  

Garavito wusste das vermutlich. Im Gefängnis ist er Christ geworden und hat auf den jüngsten Tag und göttliche Vergebung gehofft — das habe ich von ihm schriftlich. Er hat mir sogar einmal geschrieben, dass er hofft, dass Gott auch mich beschützt. Tja.

Die Zahl seiner Opfer wurde immer wieder unterschiedlich angegeben (oft zwischen 170 und 190)- du gehst in deinen Texten von einer deutlich höheren Zahl aus, worin begründet sich deine Annahme?

Aus den polizeilichen Akten. Es ist normal, dass nur das angeklagt wird, was vor Gericht gut darzulegen ist. Das hat aber — in allen Ländern — nicht immer etwas mit der echten Opfer-Zahl zu tun. Die Polizei stand zudem eh schon in ungutem Licht da, weil sie Garavito nicht früher erkannt hatte. Er ist ja nur durch Zufall im Knast aufgeflogen, wo er unter falschem Namen saß.

Hast du seine Angst davor im Gefängnis vergiftet zu werden als realistische Angst wahrgenommen?

Nein. Wir haben uns wirklich gut verstanden. Er war der einzige Experte für seinen Fall, daran habe ich keinen Zweifel gelassen. Wir haben uns ernst genommen. 

Wurde dir etwas zum Tod Garavitos mitgeteilt? Ich habe nur etwas zu "gesundheitlichen Problemen" gefunden.

Ja, er hatte Blutkrebs. Ich bin bis heute mit den Polizisten in Verbindung. Sie hatten viele Fragen und sind auch nach wie vor schockiert.

Warum denkst du haben die Behörden ihn bei seiner Verhaftung im April 1999 nicht direkt mit den Morden in Verbindung gebracht?

Weil es wie eine Sexualstraftat mit überlebendem Kind aussah. Das ist in armen Ländern leider nichts allzu ungewöhnliches.

Wann hast du Garavito das letzte Mal gesehen/Kontakt zu ihm gehabt?

Vor ein paar Jahren über seinen Neffen, mit dem ich Briefe und Mails geschrieben habe.

Warum meinst du hat er Jahre nach deiner ersten Anfrage doch mit dir sprechen wollen?

Er hat sehr schnell mit mir gesprochen. Wir mussten nur die Reise klären, mit der Staatsanwaltschaft reden, eine Unterkunft im Nichts besorgen und natürlich Übersetzer. Miguel hatte nach einem Treffen mit Garavito geschworen, nie wieder eine Zehenspitze nach Kolumbien zu bewegen (seine Worte). Zudem brauchte ich jemanden, der den starken örtlichen Dialekt verstehe, alles mitschreiben konnte und sich von Garavito nicht einwickeln liess.  

Anhand der Verbrechen möchte man sagen: Garavito war ein Monster. War er das?

Ist mir egal, denn die Bewertung hilft niemandem. Wichtiger ist, dass er ehrlich geredet hat und wir dadurch etwas für die Vorbeugung kommender Taten durch ähnliche Menschen lernen konnten. Die Toten werden nicht mehr lebendig. Aber es gibt vielleicht auch durch seine Hilfe weniger neue Tote. Mehr kann ich von einem Serienmörder nicht erwarten, der sich normalerweise für nichts außer sich selbst interessiert.

Preface: Germany's Worst Serial Killers

In: Jean Rises: Germany's Worst Serial Killers. Serial Pleasures Publishing, 2024

Foreword by Dr. Mark Benecke

Some find serial killers dazzling, attractive or strange.

Others need a counter-image to themselves that is so gruesome and undeniably bad, that their own outrages pale into insignificance.

Still others wonder why they were abused and tortured. Serial killers make the answers to these questions easy, as they are so clearly on their human-despising mission that even their own tormentors seem less complicated.

But what the world throws at serial killers and wants to see in them, they are not. They are lonely, deeply sad figures. And pushed. Shifty, too, but their most striking characteristic is their lack of commitment.

In their loneliness, serial killers don't know how to form deep and trusting bonds. They eat others, rape, torture, hunt, trick and lie. This is how they fill their emptiness.

But they don't realize that it would be warmer and calmer inside of them if they could experience beauty not in blood, bones and eventually fading screams, but hand in hand with people in the sunset, connected and peaceful.

Jeff Dahmer turned himself into a clown until his classmates found him too creepy. Peter Kürten hoped to hear his own blood rushing when he was beheaded, and my client Garavito sincerely believed that God and he could colonize a loving and understanding realm together.

For whatever reason you picked up this book: It is one of the most impressive experiences in criminalistics when and that we see that perpetrators like Samuel Little or Fritz Haarmann thaw out when we approach them as experts in - well, serial murder.

None of the killers in the time since Haarmann and Denke would have had to talk to us. The official rules did not originally provide for such conversations either. After the knowledge about serial killers, which had long been described in German-speaking countries, had sunk into oblivion, colleagues from the United States and, less well known, from the Soviet Union and Russia, discovered the power of comparative questioning in serial murder cases.

My colleague Robert Ressler, with whom I investigated a long series of murders in Mexico, gave me one of my later favorite pieces of advise in view of the often unexpected openness of many serial killers: "Don't ask for written permission in in such cases, because someone in the authorities might say no. Just do it. Go ahead and do it."

I have stuck to this rule and thank not only the offenders who help us with their statements to prevent the next crime (or at least make it less likely) by checking traces and stains.

I would also like to thank you, the readers, because without your attention to the offbeat subject and without your encouragement for the authors of reports on real cases, we would have fewer sources that span the ages and could therefore do less to prevent it.

Mark Benecke
Weimar, KL Buchenwald
Februar 2024