Serienmörder im Visier des Kriminalisten

Quelle: Fellbacher Zeitung / Stuttgarter Zeitung Nr. 11, Seite III, Montag, 15. Januar 2018 / Mit großem Dank an die Redaktion für die Erlaubnis zur Veröffentlichung

Kriminologie: Der Tatortspezialist Mark Benecke erklärt vor gut 1000 Besuchern die Hintergründe schwerer Verbrechen. 

Von Michael Käfer

Den Hölderlinsaal der Schwabenlandhalle für den Vortrag eines Biologen zu buchen, erscheint Unbedarften als ambitioniertes Unterfangen. Andreas Mihatsch, der in Stuttgart geborene Chef der Veranstaltungsreihe Expedition Erde, hat es gewagt – und wusste genau, worauf er sich einlässt: Sein Stargast Mark Benecke füllt auch große Säle. Kein Wunder, handelt es sich bei dem 48-Jährigen doch um den zumindest bundesweit bekanntesten Kriminalbiologen und forensischen Entomologen, der beispielsweise über die Analyse verschiedener Insekten die Liegezeit von Leichen bestimmt.

Am Samstagabend jedoch spielten Schaben und andere Kleintiere, mit denen sich Mark Benecke gerne fotografieren lässt, keine Rolle. Die weit mehr als 1000 Besucher wollten lieber etwas über Serienmörder und deren seelische Abgründe erfahren. Hunderte von ihnen reihten sich in die Schlangen vor und nach der Veranstaltung sowie während der exakt 25 Minuten lagen Pause ein. Selfies und Autogramme, die der promovierte Tatortspezialist aus Zeitgründen nur auf nackte Haut und in Bücher schreibt, fanden reißenden Absatz. Ein Besucher hatte zum Entzücken des Empfängers gar einen selbst gestrickten Mark-Benecke-Fanschal mitgebracht.

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Deutlich weniger erheiternd waren die Inhalte, die der umfangreich tätowierte Fachmann präsentierte. Schnell wurde klar, warum der Einlass auf mindesten 16 Jahre alte Personen beschränkt war. Da ist auf einem Foto schon mal ein Topf mit Leichenteilen zu sehen, die der Serienmörder Karl Denke zur weiteren Verarbeitung in der Küche bereitgestellt hat. „Er hat sich die Menschen, die er mochte, einverleibt“, sagte Mark Benecke. Offenbar eine besonders abartige Form der Suche nach menschlicher Bindung. „Da würden Sie vermutlich sagen: Geht das nicht anders?“ 

Detailliert, teils sarkastisch und in einem Sprechtempo, das den Moderator Dieter Thomas Heck vor Neid hätte erblassen lassen, schildert Benecke Hintergründe und Motivationen von Denkes Taten sowie die Vorgehensweisen weiterer Mehrfachmörder: „Wir wissen, dass Serientäter Sexualdelikte begehen.“ Karl Denke hatte aus der Haut einiger Opfer gar Hosenträger und Schnürsenkel für den täglichen Gebrauch gefertigt. Solche, zwar unsozial aber für sich logisch und überlegt handelnde Täter zu finden, ist mitunter ein Geduldsspiel. Auch Karl Denke wurde letztlich per Zufall entlarvt, ein anderer Mann war 1911 bereits irrtümlich für einen der mindestens 42 Morde verurteilt worden.

Seither ist die Kriminologie deutlich weiter fortgeschritten. „Sie können kein Delikt begehen, ohne eine Spur zu hinterlassen“, ist Mark Benecke überzeugt. Diese Spur zu finden und sie richtig zu deuten, ist die eigentliche Kunst. Dabei darf sich der Auswerter weder von eigenen kulturellen Prägungen noch von statistischen Wahrscheinlichkeiten oder persönlichen Denkmustern leiten lassen. „Denken ist verboten“, sagt der Fachmann, vielmehr ist kindliche Neugier und Unvoreingenommenheit gefragt. Neben wissenschaftlichen Informationen hat Mark Benecke aber auch praktische Ratschläge für den Alltag seiner Zuhörer parat. Tatortaufkleber beispielsweise sollten in jede Brieftasche gehören: „Die legen Sie bitte neben eine Leiche oder eine Blutoder Spermaspur, damit eine Skala drauf ist.“

Nach gut drei Stunden schockierender Berichte blieb Mark Benecke nur die angekündigte Antwort auf eine Frage schuldig. Warum richten sich Serienmörder im Gegensatz zu anderen Kriminellen nie selber? Vielleicht liefert er die Antwort bei seinem nächsten Auftritt in Fellbach nach. Die Planungen dafür laufen. Ein Wiedersehen mit der Schwabenlandhalle dürfte es aber erst 2020 geben, denn Mark Benecke füllt nicht nur in Fellbach große Säle.