Klinsmann—in Kolumbien (Tätowiermagazin)

Quelle: Tätowiermagazin 03/2012, Seite 144
Kolumne mit Mark Benecke

Von Mark Benecke

Meine Tattoos stammen ja aus ziemlich vielen Häfen und Havens: Mülheim und Medellin, Hamburg und Helsinki, NewYork und New Orleans, Berlin und Bejing. Nur einmal scheiterte meine seemännische Sammelwut - in Florencia, tief im amazonischen Kolumbien. Nicht, dass es dort keinen Tätowierer gäbe. Das Problem war etwas vertrackter.

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Obwohl die kolumbianischen Studierenden, die ich schon seit fünfzehn Jahren ungefähr alle zwei Jahre heimsuche, meine haut-tintenen Vorlieben kennen (vgl. TM 2/2005: »MedelIin, Stadt der tätowierten Studentinnen«), ist es offiziell immer noch mega-nicht-okay (und vor allem das sichere Ticket in die Arbeitslosigkeit), sichtbare Tätowierungen zu tragen. In der sehr liberalen Großstadt Medellin - in Deutschland ungefähr dem bekloppten und toleranten Köln entsprechend - geht zwar einiges, und auch in Bogota, das in etwa Berlin vergleichbar ist, kann ein reicher Jüngling oder eine hinreichend protegierte Tochter zumindest einen Schmetterling, eine Blume oder einen Tiger auf der Schulter oder am Oberarm tragen, solange man's nicht sieht.

Das übrige Kolumbien ist aber erstens in ländlicher und zweitens auch katholischer Umklammerung, was Tätowierte zu Outcasts macht. Umso erstaunter war ich, als mein ansonsten vollkommen desorganisierter, örtlicher Koordinator von der Universidad de Amazonia neulich beim Trip von der Uni zum Hotel (alleine darf man als Ausländer nicht raus, wenn man weiter leben möchte) an einer Schrottbude aus Wellblech und Brettern anhielt, das Fenster runterkurbelte und einen jüngeren Typen ranpfiff. Es war der örtliche Tätowierer. Man kannte sich.

Aha! Durchs Autofenster - wie gesagt: Betreten der Straße verboten - folgte nun die Verhandlung. Da ich zwar kolumbianisches Spanisch (entspricht in etwa Bayerisch) ein wenig verstehe, aber nicht die Feinheiten des Feilschens, einigten sich mein biologischer Kollege und der Tätowierer auf einen westlich hohen Preis. Das ist verständlich, denn Farben und Maschinen sind nur unter endlosen Mühen am Zoll vorbei in den Dschungel zu bringen. Auch das also kein Grund zur Aufregung.

Sogar das total zerfrettelte Aussehen der Laden-Ruine direkt am Straßenrand ließ mich kalt. Immerhin war Florencia bis vor kurzem dafür berühmt, das größte Slum Südamerikas als Stadtteil zu beherbergen. Es gibt zwar auch ein paar sehr schöne Häuser, aber der Standard ist irgendwas mit vier Wänden. Sogar die biologische Fakultät befindet sich in einem alten Getreide-Silo ... . Torpediert wurde dieses eine meiner Sammel-Tattoos bloß dadurch, dass der Chef meines biologischen Kumpels mich zum vereinbarten Zeitpunkt einfach nicht zum Tätowierer fuhr. In den Tropen gibt's für alles, was unangenehm ist, eine freundliche Ausrede. Diesmal lautete sie: »Zeitprobleme«. Damit wäre die Sache eigentlich gegessen gewesen. Doch dann erreichte mich eine Mail, die ich am besten unkorrigiert abdrucke:

»hello Markitos. I am sending pictures of my tattoos. and I have 7 tattoos. abrazos, desde Colombia, Caqueta, Florencia, Yardany«
Yardany ist mein Freund aus der Biologie der Universität Amazonia. Sein Sohn heißt mit Vornamen (offiziell) Klinsmann und einige Schrauben sind bei ihm anders eingeschraubt als bei allen anderen. Das ist sympathisch.

Doch diesmal überraschte Yardani mich mehr als sonst: Auf seinen Fingern prangen ab sofort die Buchstaben »LIVE / DEAD«, was vermutlich »LIFE / DEATH« hätte heißen sollen. Auf die Handrücken ließ er sich, wo er eh schon unter der Nadel war, gleich noch rechts mein Firmenlogo und links ein Biohazard-Zeichen hacken. Was das alles bedeuten könnte, weiß kein Mensch. Aber ich weiß eins: Bei meinem nächsten Dschungel-Trip wird mich keine Macht der Welt mehr von meinem örtlichen Tattoo abhalten. Und - versprochen - ich werde irgend einen bizarren Schreibfehler einbauen.

Am besten auf Bayerisch oder sonst einer Sprache, die weder die Leute vor Ort noch der Tätowierer verstehen…
Marky Mark