Zauberkunst: Arturo Brachetti im Gespräch mit Mark Benecke

Quelle: Zauberkunst Nr. 4/2004, Seiten 266-271
Im Gespräch mit Mark Benecke

Vor Jahren hat mich Arturo Brachetti bei einem Magierkongreß in Italien begeistert. Seine Art, mit Illusionen umzugehen, hat etwas einmalig Poetisches. Als Verwandlungskünstler nutzt er seine magischen Erfahrungen und begeistert heute sein Publikum mit einem einmaligen Erlebnis. Was er in seinem Interview mit Mark Benecke vor allem den Zauberern zu sagen hat, sollte durchaus ernst genommen werden. Es ist eine Botschaft.

Mark Benecke sei für dieses Manuskript hiermit herzlich gedankt. -- Manfred Scholtyssek

Be: Lieber Arturo, ich freue mich sehr, Sie zu treffen. Wie gefällt Ihnen Köln im Vergleich zu Ihren bisherigen Aufführungs-Orten?
Br: Das deutsche Publikum ist angenehm, weil es Kultur hat. Deutsche machen zwar immer eins nach dem anderen, dafür tun sie es sehr intensiv. Wenn Deutsche arbeiten, dann arbeiten sie, aber wenn sie ausgehen, dann amüsieren sie sich auch richtig.

Schlimm ist es in Italien. Das dortige Publikum fordert mich ständig heraus. Denn wenn ein Italiener dreißig Euro bezahlt hat, dann prüft er, ob ich wirklich dreißig Euro wert bin. Genauso machen es die Franzosen. Dafür klatschen sie sehr lang und ich muss immer wieder hinter dem Vorhang herkommen. Die Amerikaner stehen hingegen einfach auf und gehen.

Das kann ich nur bestätigen. Warum haben Sie hier neulich trotz des stehenden Beifalls keine Zugabe gegeben?
Oh, in Köln habe ich jeden Abend stehenden Beifall. Aber wenn die Show zu Ende ist, habe ich alles getan, was ich tun konnte. Ich mache manchmal noch kleine Gags mit einer Puppe. Wenn das Publikum weiter klatscht, komme ich erst im Bademantel und dann nackt, nur mit einem Hut bedeckt. Dann sage ich aber wirklich ciao.

Passen Sie die Show nicht an das örtliche Publikum an? Da ist beispielsweise das Fellini-Stück. Viele Deutsche verstehen es vielleicht nicht, weil sie Fellini nicht kennen.
Die Deutschen wissen auf jeden Fall mehr als die Amerikaner. In der Philharmonie haben wir allerdings ein kleines Problem mit der Bühne. Beim Fellini-Stück projizieren wir normalerweise einen Himmel an die Decke, das geht hier aber nicht. Dasselbe beim weißen Clown -- der Ball fliegt eigentlich ins Publikum, mit einem Licht darin.

Apropos Ball - gab es irgendwelche Kommentare wegen der Figur, in der Sie als Hitler mit der Erde jonglieren, die dann platzt?
Das ist Charlie Chaplin, nicht Hitler. Viele Amerikaner denken, es wäre Hitler, darum projizieren wir Ausschnitte aus dem Film Der Große Diktator als Erklärung auf die Kiste.

Hat diese riesige Kiste auch eine symbolische Bedeutung?
Sie ist die Box der Kindheit. Haben Sie den Film Amelie gesehen? Sehr poetisch...

Allerdings.
Amelie findet die Box der Kindheit. Darum heißt es am Ende: Jeder von uns hat sein geheimes Versteck, in dem er seine Träume bewahrt. Das ist die Kiste auf der Bühne.
Außerdem ist die Box natürlich ein Kostüm-Koffer, und es kommen Erinnerungen und Träume aus ihr. Sie hat viele Seiten und Gesichter, so wie ich.

Gab es jemals eine Bühne, die zu klein für die Kiste war?
Ja, aber dann führen wir die Show nicht auf.

(c) Mark Benecke

(c) Mark Benecke

Photo courtesy of Arturo Brachetti

Photo courtesy of Arturo Brachetti

Haha.
Ernsthaft. Im Jahr 2005 soll ich auf den Broadway gehen. Aber da sind die Bühnen nicht geeignet: Sehr breit, aber nicht tief genug.

Sie gehen aber trotzdem hin.
Ja, aber da ist eh alle zwei Monate ein Theater frei, weil ein Musical abgesetzt wird. Wir müssen zuerst den gesamten Text und die Dramaturgie ändern, so dass es ein Theater-Stück und weniger eine Traum-Schau wird.

Wieso?
Weil ich erst am Ende der Vorführung die tiefe Bedeutung erkläre. In den USA ist das Publikum pragmatischer. Da muss ich wie in einem Stück von Shakespeare vorher sagen, wer ich bin, wo das Stück spielt und worum es gehen wird.

Schreiben Sie die Dramaturgie selber um?
Nein, der Regisseur und der Autor machen das und besprechen sich mit mir.

Sie haben eh ein ganz schön großes Team.
Ja, das sind aber alles Techniker. Sechzehn bis achtzehn davon sind direkt an der abendlichen Aufführung beteiligt. Dann gibt es noch den Produzenten, den Co-Produzenten, den künstlerischen Leiter und Leute, die die Projektionen schneiden...die sind aber nicht mit auf Tour.

Was gefällt Ihnen an Ihrer Show mehr? Die Technik oder die Erzählung, dass jeder Mensch ein Kind sein sollte?
Ein Kind ist!

Okay. Wie steht es mit der Technik? Sie scheinen sie zu mögen, denn Sie sind perfekt, nicht nur bei den Kleidungs-Wechseln, sondern auch bei den normalen Illusionen. Manche Illusionen sind sogar nur so kurz zu sehen, dass viele Zuschauer gar nicht begreifen, was da soeben geschehen ist.

Ich habe viel Erfahrung damit, wie ein guter Theater-Abend aussehen muss. Für das italienische Staatstheater habe ich mir fünfzehn Jahre lang jährlich eine neue Show ausgedacht -- kein Varieté, also keine Ein-Mann-Show wie jetzt. Ich war zwar immer der Mittelpunkt des Abends, aber wir haben auch normale Theater-Stücke gespielt, beispielsweise den Mittsommernachtstraum. Darin war ich der Puck.

Als normaler Schauspieler?
Ja, aber natürlich habe ich auch immer Magie, Kleidungs-Wechsel oder Traum-Momente eingefügt. Deswegen sind die Leute gekommen.

Am Ende stand ich mit über 350 Kostümen und jede Menge fertiger Stücke da. Mein Regisseur und ich haben daraus die Ein-Mann-Schau entwickelt. Zu hause habe ich immer noch mindestens zwanzig fertig entwickelte Akte, die ich nicht aufführe. Manche sind mir auch zu anstrengend geworden.

Zum Beispiel?
Eine Parodie auf Madame Butterfly. Das ist eine Scharade, in der Pinkerton drei oder vier Mal aus zwei Metern Höhe vom Fenster herunter springt. Als ich zwanzig war, habe ich das noch gemacht. Jetzt kann ich das nicht mehr, erst recht nicht jeden Tag. -- Wie lautete gleich die Frage?

Ob sie lieber Geschichten-Erzähler, Schauspieler oder Magier sind.
Angefangen habe ich als Magier. Je mehr ich Schauspielen lernte, umso mehr hat es sich dann vermischt. Ich benutze die Magie, um eine Geschichte zu erzählen. Für mich sind Tricks - und das sollte für alle gelten - nie das Ende der Fahnenstange. Sie sind nur das Mittel zum Zweck, wie ein Auto, das einem dabei hilft, ein Fahrt-Ziel zu erreichen. Die Trick-Technik ist für mich also dasselbe wie der Pinsel für den Maler. Es geht ihm um Malerei, nicht um den Pinsel.

Viele Illusionisten haben in letzter Zeit diesbezüglich festgesteckt. Es geht nicht um die Technik, sondern um Gefühle. Das Problem gab es schon einmal im Bereich des Tanzes. Ende des 19. Jahrhunderts drehte sich alles um schöne Kostüme, nette Landschaften und hübsch anzusehende Mädchen. Aber dann kam das 20. Jahrhundert. Martha Graham und Isadora Duncan haben den Tanz zu etwas Neuem entwickelt, jenseits von Kulisse und Kostümen.

Photo courtesy of Arturo Brachetti

Photo courtesy of Arturo Brachetti

So ist es auch mit der Magie. Sie bleibt grundsätzlich immer an der Oberfläche, weil sie zwar überrascht, aber nur ganz kurz. Tricks erzeugen einen sehr unmittelbaren, aber ebenso schnell vergänglichen Eindruck. Man kann so viele Überraschungen aneinanderreihen wie man will, nach zwanzig Minuten wird es langweilig, wenn nicht mehr dahinter steckt.

Gilt das auch für die aktuelle Show?
Sie ist ein Kompromiss, weil sie sehr viele visuelle Überraschungen bietet, aber gleichzeitig eine solide dramaturgische Grundlage hat. Nach der Pause, bei den Vier Jahreszeiten oder dem Rückblick auf Fellini klatscht kein Mensch mehr bloß wegen der Verwandlungen. Das ist auch gut so, denn mir geht es dabei um Poesie, nicht um Verkleidungs-Wechsel.

Das habe ich hier in Köln auch so empfunden.
Als ich in Sindelfingen den "Elefanten-Mann" vorgeführt habe, aus dem ein Engel fliegt, dauerte das Stück nur sechs Minuten, aber die Leute habe weitere sechs Minuten geklatscht, weil das Stück so starke Gefühle hervorgerufen hat. Manche haben geweint. Es hat aber niemand gefragt, wie der Trick funktioniert -- weil es auch völlig egal ist. Es ging um die Gefühle, die man hat, wenn in einem Monster ein Engel sichtbar wird. Um das zu verdeutlichen, habe ich ein schönes Gedicht von André Heller verwendet:

"Was aber ist unsere tiefste Hoffnung? Was aber ist unser Wollen von Anbeginn? Inmitten von Wundern selbst ein Wunder zu sein. Und keiner gleicht dem anderen."

Als ich geflogen bin, hat niemand mehr geatmet.

Ich habe hier auf dem Arm Glaube, Liebe, Hoffnung stehen - wollen Sie auch Werte dieser Art transportieren? Oder geht es vor allem um Gefühle?
Oscar Wilde hat gesagt, dass man im Theater drei Dinge erreichen soll: Menschen zum Lachen, zum Weinen oder zum Träumen bringen. Wenn man nur eins davon erreicht, ist das schon gut. Meistens erreicht man aber nichts davon.

Auch George Bernard Shaw hat drei Arten von Theater benannt: Das komische, das dramatische und das langweilige. Meistens ist es langweilig, selbst bei den extravaganzas in Las Vegas. Meistens werden da auf der Bühne nur Dollars verheizt. Wenn man aus diesen Shows heraus kommt, dann sind die Augen zwar voll, aber man fragt sich sofort, was man als nächstes unternehmen soll.

Siegfried und Roy haben dieses Problem für ihren IMAX-Film dramaturgisch ausgehebelt. Haben Sie Den Film gesehen?
Ja.

Er handelt davon, wie sich die Träume der beiden Magiere von Kindheit an entwickeln. Die Tricks sind eine -- eindrucksvolle -- Nebensache.
Das ist gut, denn die heutigen Menschen fragen vor allem warum. Früher haben sie vor allem gefragt, wie ein Trick funktioniert.

Wann hat sich das geändert?
Vor zehn Jahren. Das gilt nicht nur für Magiere. Auch von Popstars möchte jeder wissen, wie sie leben und warum sie berühmt geworden sind. Bei Sportlern wollen die Zuschauer erfahren, wie ihr Leben abläuft, was sie essen und so weiter.

Das Problem ist allerdings, dass viele Magiere bei einem Interview keine Geschichte zu erzählen haben.

Sie hingegen erzählen Ihr Leben im aktuellen Programm auf der Bühne. Ist es Ihnen wichtig, dass diese Geschichte wahr ist?
Natürlich. Mein Vater wollte nicht, dass ich Künstler werde und hat alles getan, um es zu verhindern. Sechs Jahre lang steckte er mich in ein Priester-Seminar [ein Film, der auf der Bühne gezeigt wird, stellt diese Szene dar -- M.B.]. Da traf ich einen Priester, der immer noch lebt, und der Magier war.

Es ist schon verrückt: Der Illusionisten-Priester hatte ein mit Tricks voll gestopftes Zimmer. Ich habe meine ganze Pubertät in diesem Raum und mit den Illusionen verbracht. Ich war eh unglaublich schüchtern. Meine Freunde haben mich verhauen und aus Spaß in die Mülltonne gesteckt. Ich war klein und ein bisschen mager...

...mager...so wie ich...
...und so habe ich ein soziales Rache-Gefühl entwickelt. Ich wollte in irgendetwas besser sein als die anderen. Das waren die Zauber-Tricks.

Die meisten Zauberer fangen ja als pickelige Jugendliche an. Sie sind diejenigen, die abseits der anderen stehen und lieber vor dem Spiegel Karten-Tricks üben. Zaubern ist eben ein Hobby, zu dem man niemanden braucht. Wenn man die Tricks aber eines Tages anderen vorführt, sagen sie "whow"...und auf einmal wird man interessant, und das Selbstbewusstsein steigt.

Nach sechs Jahren im Seminar war ich immer noch sehr schüchtern. Als Lösung habe ich die Kostüme verwendet: Ein chinesisches Kostüm für einen "chinesischen" Trick, ein indisches Kostüm für den Seil-Trick. So konnte ich endlich, zumindest auf der Bühne, ich selbst sein. Sie sehen also, meine Geschichte in der Show ist also völlig wahr.

Alle meine guten und schlechten Eigenschaften sind also auf der Bühne zu sehen. Das gleiche galt auch für Houdini. Er war berühmter als alle anderen Entfesselungs-Künstler, weil er wohl wirklich etwas klaustrophobisch und masochistisch war. Wenn er also in Ketten da stand, strahlte er etwas jenseits der reinen Tatsache aus, dass er gefesselt war. So haben alle Menschen, die heller als die anderen strahlen oder sogar Bühnen-Stars sind, einen persönlichen, sozialen Grund, der sie antreibt.

Findet auch Grace Jones: "Nutze Deine Fehler und Schwächen, dann wirst Du ein Star" (Use your faults, use your defects, then you'll gonna be a star.)

Oder Marilyn Monroe. Sie war ein dickliches Mädchen mir braunen Haaren, das sich selbst nicht leiden konnte. Also hat sie sich die Haare gefärbt und weniger gegessen. So wurde sie, was sie sein wollte -- und alle gerieten in ihrem Bann.

Ich kenne viele Sänger, die zwar gut singen können, aber trotzdem unglaublich schlecht sind. Nur wer seine geheimsten Fantasien auf die Bühne bringt, macht sie dadurch wirklich. Dann kann keiner der Umstehenden mehr so tun, als ob er diese Fantasien nicht versteht, sondern er verfällt ihnen.

Diese Faszination kann man nicht im Zauberhaus kaufen kann. Man muss nicht Tricks vorführen, sondern sich selbst. Wer allerdings nichts in sich hat, kann auch nichts darstellen.

Jeder wäre beispielsweise gerne Pavarotti oder Madonna, aber die gibt es halt nur einmal. Wenn ich die CD von Turandot kaufe, werde ich nicht Pavarotti, und wenn ich die Rechte an New York, New York kaufe, werde ich nicht Liza Minelli. Denselben Fehler machen Illusionisten, die Tricks kaufen und denken, sie würden dadurch David Copperfield.


Welches Ziel haben bleibt Ihnen da noch auf der Bühne? Künstlerisch und technisch sind sie schließlich schon perfekt.

Es hat aber sehr lange gedauert, bis ich mich so entwickelt habe, denn die ganze Entwicklung fand im Unterbewussten statt. Erst jetzt habe ich meine Schüchternheit im Griff - mittlerweile könnte ich allerdings nackt durch die Straße laufen.

Das alles kam durch das Theaterspielen. Es war für mich wie ein Psychogramm. In Madame Butterfly musste ich beispielsweise ein Jahr lang eine bezaubernde Frau und gleichzeitig einen schleimigen jungen Typen darstellen. Dabei habe ich Teile in mir entdeckt, von denen ich nichts geahnt hatte.

In einem anderen Stück musste ich jeden Abend acht Brüder spielen, die sich wegen einer Erbschaft umbringen. Es war zwar ein lustiges Stück, aber das ständige gewalttätige Morden hat in mir die Faszination, die alle Menschen für Morde haben, völlig ausgelöscht.

Man kann das als Chance begreifen, monatelang in sein eigenes Bewusstsein und Verhalten vorzudringen.

Halten Sie das noch lange aus?
Körperlich vielleicht noch fünf Jahre, nicht mehr. Die ganze Show besteht aus Holz und Metall und es ist dunkel, so dass ich ständig irgendwo anstoße. Die Leute hinter der Bühne müssen darum manchmal regelrechte Korridore für mich bilden. Besonders im Stück Far West muss ich die ganze Zeit rennen und durch Geheimtüren steigen. Meine Leute passen auf mich auf und drücken meinen Kopf runter -- weil ich ihre Erwerbs-Quelle bin.

Welche Eigenschaften müsste denn eine perfekte Assistentin haben, die sich nicht nur für den Erwerb interessiert?
Ich habe nur einen Assistenten, der mich anfasst. Er ist kleiner als ich und stämmig. Das ist gut so, denn er muss harte Arbeit leisten. Der Produzent und ein paar andere Leute, die manchmal aus Spaß in der Kiste sitzen merken erst dann, wie viel körperliche Arbeit das alles ist. Ein Kostüm zu wechseln, ist für mich leicht.

Ihr Assistent macht die also nur die körperliche Arbeit etwas leichter. Was kann Ihnen niemand abnehmen?

Die Seelen zu wechseln. Jeder Bühnen-Charakter hat seine kleine Seele, selbst die lustigen Charaktere. Besonders bei Far West muss hinter der Bühne alles sehr schnell gehen. Die Zuschauer dürfen aber nichts von dem Adrenalin bemerken, dass in mir pumpt - dann wäre es langweilig. Sobald ich also auf der Bühne als Bestatter auftauche, muss ich geistig sehr langsam werden, während mein Herz vor Anstrengung rast. Das ist wirklich hart.

Ich habe beispielsweise ein paar Verwandlungs-Künstler aus Russland gesehen, die technisch gut sind. Sie bleiben aber die ganze Zeit sie selbst, das sieht man ihnen sofort an. Sie benutzen auch die Kostüme wie Objekte. Man muss sie aber verwenden als wären sie Menschen.

Würden sie das nicht gerne einem Schüler beibringen?
Vielleicht. Mein Produzent hätte das gerne. Er will die Show fortsetzen, wenn ich aufhöre oder schon jetzt ein Jahr lang in Japan zu touren. Ich bleibe aber lieber in Europa.

Wollen Sie denn überhaupt einen Schüler?
Ich weiß es nicht...ich kämpfe mit mir. Meine Freunde an großen Theatern sagen, ich sollte es aus geschäftlichen Gründen nicht tun, damit man sich an mich alleine erinnert. Andererseits kann ich nicht ewig weitermachen. Meine Techniken könnte ich natürlich lehren. Aber wie soll ich das kleine Lächeln weitergeben, dass man als Schneewittchen im Kopf haben muss? Das Lächeln, das dem Publikum zufunkelt: "Das ist alles Spaß und keine Travestie-Show" -- wie soll ich das einem Schüler erklären?

Sie haben ja selbst von künstlerischen Vorfahren gelernt, die alle tot waren. Kam das, weil Sie sich wie Copperfield für die Geschichte der Zauberkunst interessieren? Wie war das zum Beispiel mit den Hüten?

Die Wurzeln der Hüte liegen bei Tabarino, der 1618 aus Italien nach Paris gegangen ist. Dort nannte er sich Tabarin. Er hatte einen Hut mit Loch in der Mitte und trat mit seinem Bruder auf dem Marktplatz auf, um eine Salbe zu verkaufen, die gegen alles wirkte. Seine Fähigkeiten benutzte er also zum Verkaufen. Er war sehr lustig.

Wir wissen es nicht genau, aber er beherrschte zehn oder zwölf Hüte. Damals war die Sache einfacher, denn jeder Beruf hatte einen typischen Hut: Ärzte, Anwälte und so weiter. Heute muss man die Hüte erklären, weil sie sonst niemand erkennen würde.

Ich habe sogar den Text von Tabarinos Vorführung.


Wo haben sie den her?
Aus der französischen National-Bibliothek. Die Texte sind sehr flach -- Furze und Geschlechtsverkehr, Marktplatz-Humor eben. Jede Figur dauerte fünf Minuten, das Ganze ging also zwischen einer viertel Stunde bis zu einer Stunde. Seither heißt die Richtung Chapeaugrafie. Ach ja, das besondere war, das Tabarins Hut auf der einen Seite rot und auf der anderen Seite weiß war.

Im 19. Jahrhundert wurde der Franzose Félicien Trewey mit einer Nummer mit einundzwanzig Hüten berühmt. Ich habe sein Buch, mit allen Hüten darin.

Im Moment gibt es nur drei Leute, die anständige Chapeaugrafie machen: Chapeau -- Roland Schupp aus Stuttgart --, Junge, Junge! und ich. Mit "anständig" meine ich, dass man nicht nur Hüte falten muss, sondern auch eine gute Geschichte oder einen Witz mitverkauft. Das scheint viele Magiere aber zu überfordern.

Ich finde die Hut-Nummer aber auch für das Publikum schwierig zu verstehen.
Das stimmt. Wenn man nur sagt: "Jetzt bin ich ein Richter! Jetzt bin ich Napoleon!", dann ist es langweilig.

Haben Sie zum Schluss noch einen Tipp für die jungen LeserInnen der Zauberkunst?
Der Trick heißt Erfahrung. Gib so viele Vorstellungen wie möglich. Sei innerlich frei und mach Dir keine Gedanken darum, ob der Trick schnell genug funktioniert hat. Bau eine Beziehung zum Publikum auf. Das alles lernt man in keiner Theaterschule.

Und, natürlich, lerne schauspielern, das ist sehr wichtig. Ich bin zum Beispiel in David Copperfields Show gegangen. Als das Licht am Ende wieder anging, hat jeder gefragt: "Wie macht der das? Da waren doch Drähte? War da eine Falltüre?" Die Leute haben nur über die Tricks geredet. Der Kern der Sache hat sie also nicht erreicht. Wer aus meiner Show kommt, spricht über mich. Das ist besser -- denn ich führe keine Tricks vor, sondern mich selbst.

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Das Gespräch wurde auf Englisch geführt. Für die Zauberkunst habe ich es übersetzt und gekürzt. Arturo Brachetti hat meine Assistentin Saskia Reibe und mich an einem der heißesten August-Nachmittage aller Zeiten und mitten im Tournee-Trubel in seinem Hotel-Zimmer zu einem gemütlichen Gespräch empfangen - dafür noch einmal vielen Dank!

Mark Benecke äugt als Kriminal-Biologe auf alles Randständige. Er ist Mitglied im Wissenschaftsrat der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) und vieler rechtsmedizinisch-kriminalistischer Vereinigungen. Seine Freunde halten ihn für den schlechtesten Illusionisten der Welt, fragen sich aber zu Recht, welche Kraft die soeben gekauften Halstücher urplötzlich verknotet hat.


Magische Welt

Verwandlung aus dem Bretterquader