Quelle: Express Köln vom 8. Februar 2004, Seite 5
VON TOBIAS MORCHNER und CHRISTIAN RENZ
Es sind die ältesten Spuren, die der Kriminal-Biologe Dr. Mark Benecke je untersucht hat. Sein Auftraggeber: das Erzbistum Köln. Denn für seine Heimatstadt hat dieser Fall eine große Brisanz. Benecke nahm den Inhalt des Schreins des Heiligen Severins genau unter die Lupe.
Der goldene Severins-Schrein steht aufgebahrt hinter dem Altar der Severinskirche in der Kölner Südstadt. 1999 öffnete Weihbischof Dr. Klaus Dick die letzte Ruhestätte des beliebtesten Heiligen der Stadt, um aus ihm Reliquien zu entnehmen. Altäre in Bologna und Mehlem (bei Bonn) sollten dem ehemaligen Kölner Bischof geweiht werden (siehe Kasten unten).
Bei der Schreins-Öffnung war auch Dr. Joachim Oepen vom historischen Archiv des Erzbistums anwesend. Er erzählt: "Aus alten Unterlagen wusste ich, dass der Schrein zuletzt im Jahr 1960 aufgemacht worden war. Wir erwarteten, dort nur die Gebeine des heiligen Severin in ein Tuch gewickelt zu finden."
Wer war Bischof Severin?
Aus dem Leben des Kölner Bischofs ist nur wenig bekannt. Als sicher gilt, dass der Ursprung der heutigen Severins-Kirche auf das vierte Jahrhundert zurückgeht und inmitten eines spätantiken Gräberfeldes lag. Wahrscheinlich handelt es sich dabei auch um die Begräbnisstätte des St. Severin.
Unklar ist, warum Severin so schnell nach seinem Tod als Heiliger verehrt wurde. Offenbar war er deshalb bei den Gläubigen so beliebt, weil er ihnen in einer unsicheren Zeit der Umbrüche (das Römische Reich ging gerade seinem Ende entgegen) Orientierungshilfen geben und das kommunale Leben aufrecht erhalten konnte.
Der Sage nach ist Severin am 11. November 397 in Köln in der Todes-Stunde des Heiligen Martin von Tour ein Engels-Chor erschienen.
Die Überraschung war groß. "Wie stießen zunächst auf eine einfache Holzkiste mit 17 verschiedenen Siegeln. Jedes Siegel zeugte von einer vergangenen Öffnung des Schreins", so Oepen.
In der Kiste waren die Severinsreliquien zwar so aufbewahrt, wie beschrieben. Doch Weihbischof Dick und seine Helfer stießen auch auf andere Dinge. Und damit auf viele Rätsel. "Der ganze Boden des Holzschreins war mit feinem Sand bedeckt. Die Kiste selbst mit einem Stoff ausgekleidet, auf dem Tiermotive zu erkennen sind", erzählt Historiker Oepen.
Was hatte das alles zu bedeuten? "Je mehr wir entdeckten, um so mehr wurde uns klar, dass wir allein nicht weiter kommen würden." Die Schreinsöffnung wurde zum Fall St. Severin. Das Erzbistum gab grünes Licht. Jetzt konnten die Spezialisten ihre Arbeit aufnehmen.
Die erste Analyse des Sandes ergab: Er besteht aus einer Mischung aus Knochenmehl, Erde, Lederresten, Metallsplittern, Holz, Mäuseknochen und Käferflügeln. Wie ist das alles in den Schrein gekommen?
Kriminal-Biologe Mark Benecke wurde mit der Klärung dieses Rätsels beauftragt. "Bei den Käferflügeln vermutete ich zunächst, dass es sich dabei um Insekten handelt, die auf Leichen lebten. Das hätte bedeutet, dass Severin nach seinem Tod ein paar Tage in einem Raum oder sogar draußen gelegen hatte, devor man ihn fand."
Die Überraschung: Die Flügel-Reste gehören zu einer Käferart, die erst seit beginn des 20. Jh. bekannt ist. Das heißt die Tiere müssen später in den Schrein gelangt sein.
"Wahrscheinlich haben die gläubigen Kölner die Kiste mit den Reliquien ihres Heiligen im Feien ausgestellt, damit alle sie verehren konnten. Dabei sind die Käfer und auch die Maus in die Holzkiste gelangt", sagt Mark Benecke. "Die Lederreste und die Metallsplitter, die wir gefunden haben, stammen vielleicht von Grabgaben, die dem Heiligen in den Schrein gelegt wurden", vermutet Joachim Oepen.
Wann und warum werden Reliquien entnommen?
An den Siegeln auf dem Schrein des Heiligen Severin ist eines deutlich zu erkennen: Die Entnahme von Reliquien war und ist höchst selten. Heutzutage hängt das vor allem damit zusammen, das kaum noch neue Kirchen gebaut werden. Denn: Reliquien werden immer dann gebraucht, wenn ein neues Gotteshaus einem Heiligen geweiht wird. Die entnommenen Knochen-Splitter werden in eine Vertiefung (Altarsepulcrum) im Altar eingelassen. Die Altarplatte wird anschließend mit einem Weihestein wieder verschlossen. Erst dann kann der Altar wieder geweiht werden. Die Zustimmung zur Entnahme von Reliquien kann nur der Erzbischof geben.
Eine kleine Sensation ergab die Untersuchung der Siegel auf der Holzkiste. Das eine stammt vom Kölner Erzbischof Hermann III. (1089 - 1099). Dei dem zweiten handelt es sich um das älteste Siegel der Stiftskirche St. Severin. Dr. Joachim Oepen ist begeistert: "Je mehr die Experten herausfinden, umso mehr erfahren wir über die Verehrungsgeschichte des St. Severin in Köln."
Eines sollte die Aufklärung des Fall St. Severin nicht klären: Die Frage, ob die Gebeine echt sind oder nicht. Oepen: "Heute erzielen T-Shirts von Maradonna bei Ebay enorme Preise, werden von Fans gekauft und verehrt. Ob die echt sind, ist zweitrangig." Am 13. Mai werden alle Untersuchungsergebnisse des Fall St. Severin in der Öffentlichkeit präsentiert.
Mit herzlichem Dank an Tobias Morchner, Christian Renz und die Express-Redaktion für die Freigabe und die Genehmigung zur Veröffentlichung.