Menschen sind ja auch Tiere

Quelle: Ruhr-Nachrichten, 4. Juni 2024, der Artikel als .pdf

Biologe Mark Benecke zur Debatte um den Klimaschutz

Von Sophia Wibbeke

Als Biologe diskutiert Mark Benecke seit fahren über das Klima. Im Interview verrät er, was im aktuellen gesellschaftlichen Diskurs aus seiner Sicht falsch läuft.

Mark Benecke ist Biologe und vor allem bekannt als Forensiker. Seit Jahren beschäftigt er sich mit dem Klimawandel und hält Vorträge, um Menschen zu einem klimafreundlichen Lebensstil zu bewegen.

Herr Benecke, ist die Welt noch zu retten?

Die Welt der Menschen ist immer bedroht von Seuchen oder Kriegen oder Umwelt-veränderungen. So gesehen ist das jetzt nicht anders als sonst. Der Unterschied ist diesmal, dass es leicht zu verhindern ist. Die natürliche Unterschied ist diesmal, dass es leicht zu verhindern ist. Die natürliche Umwelt, die Kreisläufe des Lebens – die sind noch nie so leicht zu retten gewesen wie heute. Es scheint manchmal der Wille zu fehlen.

Sie sind Kriminalbiologe. Wie kam es, dass der Klimawandel plötzlich so einen Platz in Ihrem Wirken einnimmt?

Das steht schon in meinem ersten Buch aus den 1990er-Jahren. Auch als der erste Hungerstreik vor dem Kanzleramt stattfand, habe ich mit dem Hungernden ein Video-Interview gemacht. Zu Fridays [For Future] bin ich von Anfang an hingegangen, bis heute. Die Letzte Generation habe ich begleitet und auch Extinction Rebellion. Nach und nach sind Umweltbewegung und reine Biologie zusammengerückt. Als dann die Unis angefangen haben zu fragen und die Umweltverbände, hat es vielleicht ein bisschen mehr Aufmerksamkeit bekommen.

Sind Sie ein Klimaaktivist?

Ich weiß gar nicht, was das sein soll. Bei größeren wie kleineren Aktionen bin ich dabei. Ich fotografiere und filme alles und stelle es ins Netz. Das ist völlig transparent. Da gibt es keine Absprachen im Hintergrund oder so. Aber ob Sie das jetzt Aktivismus nennen wollen oder nicht...

Gleichzeitig liege ich manchmal etwas quer mit Klimaorganisationen. Wir haben etwas verschiedene Standpunkte, weil sie oft sagen, das muss politisch gelöst werden, und ich sage: ,Ihr könnt doch heute, zum Beispiel auf der re:publika vor ein paar Tagen, einfach keine Tierprodukte anbieten. Ich verstehe nicht, dass viele Leute da scheinbar sagen: „Mama, Papa, der Kanzler, Gott, Donald Trump und meine Hausstaubmilben sollen das lösen, aber ich nicht."

Aktivismus bedeutet für mich, dass man nicht faselt und wünscht und fordert und die Faust in die Luft hebt, sondern sich selbst bewegt. Das sehe ich bei sehr vielen Leuten nicht.

Mit diesem sofortigen Verzicht auf Tierprodukte, verlangen Sie da nicht ein bisschen viel von den Menschen?

Ich sehe das überhaupt nicht als Verzicht. Es steht auch nicht mit den Zahlen and Daten in Einklang. Wenn alle Menschen sofort auf Tierprodukte verzichten warden, dann hätte das nicht nur gute Auswirkungen – nennen wir es jetzt mal aufs Klima –, sondern auch auf die Gesundheit. Die Menschen würden sofort gesünder. Dazu gibt es Zehntausende, Millionen von Messungen, wenn Sie die Einzelmessungen nehmen. Da sehe ich den Verzicht nicht. Man verzichtet auf Krankheit. Das ist richtig. Oder auf ein weniger angenehmes Leben. Wenn Sie das Verzichten nennen: Okay.

Viele Menschen regen sich wahnsinnig auf, wenn ich bei Vorträgen sage: „Also, wenn Sie Tiere essen, dann können Sie keine Tierfreunde sein." Da kriege ich richtig traurige Mails: „Das hat uns erschüttert. Wir sind doch Tierfreunde!" Da sage ich: „Gut, nennen sie sich Tierfreund, aber wer Tiere isst, löscht sie doch auf dem Teller erkennbar aus."

Begegnen Sie heute weniger Leuten, die sich in Sachen Klimaschutz querstellen als früher?

Kann man nicht sagen, weil auch Menschen, die sich jetzt für besonders aufgeklärt und liberal halten, häufig in dem Moment stoppen, wo ich einen wissenschaftlich begründeten Vorschlag mache. Also, wenn Sie so wollen, stellen sich tells auch Aufgeklärte quer. Nur, sie fühlen sich gut dabei.

Manches klappt auch. Also der Klassiker ist jetzt im Internet gerade, deine Wiese nicht zu mähen, was ja wirklich kinderleicht ist. Darüber müssen wir jetzt nicht mehr als zwei Sätze verlieren. Das kann jede und jeder. Und wenn deine Nachbarn greinen, dann sagst du: „Okay, dann mache ich ihnen ein gemähtes Streifchen, damit nichts in Richtung ihrer Kinder weht oder so. Also das ist ein lösbares Problem.

Ich habe schon mehr Gespräche, weil das Klima-Ding mittlerweile insgesamt mehr Aufmerksamkeit auf sich zieht. Aber die Anzahl der Leute, die jetzt für Änderungen oder kontra oder irgendwas dazwischen sind, die bleibt irgendwie gleich, finde ich.

Und wie gehen Sie mit Leuten um, die den menschengemachten Klimawandel komplett ablehnen bzw. leugnen?

Interessiert mich nicht. Die wollen halt nicht mitmachen. Das ist wie im Kindergarten oder in der Schulstunde. Da musst du zusehen, dass es sozial-vertraglich abläuft. Alle sollen so weit mitkommen, wie sie mitkommen können mit ihrem Handlungsspielraum. Ich zum Beispiel habe keinen Bock auf Sport gehabt in der Schule, dann haben meine Lehrerinnen und Lehrer gesagt: „Komm, Mark, dann machst du halt Tischtennis und Badminton, irgendwas, was du kannst, und dann passt das schon." Wer nicht will, der will nicht.

Diese Gruppe, die sich gegen Klimaschutz stellt, wirkt im öffentlichen Diskurs groß und laut. Wie groß ist diese Gruppe wirklich?

Wie gesagt: Die meisten Menschen stellen sich gegen Änderungen, weil sie sagen, das muss der Papa machen oder die Mama oder Gott, jedenfalls irgendwer anderer. Ich glaube, wenn sich drei Sachen gesellschaftlich und politisch einarbeiten, dann ist es egal, ob du jetzt was glaubst oder Schwierigkeiten hast oder betroffen bist, dann wirst du irgendwann sagen: „Okay, dann machen wir jetzt einfach mal das Richtige."

Erstens: Die US-Amerikaner and die Chinesen haben extreme Umwelt-Technologieprogramme am Laufen. Da müssen die Europäer und Europäerinnen früher oder später mit, weil es wirtschaftliche Folgen haben wird. Das hat Joe Biden schon bei seiner Wahl gesagt: „Es geht um Arbeitsplatze. Umwelttechnologien schaffen massenhaft Arbeitsplätze." Und die Chinesinnen und Chinesen machen es sowieso, ohne viele Trara.

Das Zweite ist die persönliche Erfahrung. Vor vielen Jahren haben alle bei Überflutungen gesagt: „Komm, dann pumpen wir das Wasser raus, die Versicherung zahlt es." Boms, kam die zweite. Und dann wurde ein Hochwasserkonzept durchgezogen. Denn beim zweiten Mal haben wirklich alle gesagt: „Okay, jetzt reicht's."

Gleichzeitig wachst eine Generation heran, für die normal geworden ist, dass es gute Informationen über den Klimawandel gibt.

Als es beispielsweise urn mehr Windenergie ging, gab es irre Propaganda im Internet, auch mit Todesdrohungen gegen Befürworter. Richtig, richtig krass. Habe ich auch abbekommen. Trotzdem wurde Windkraft zunehmend eingeführt. Deswegen denke ich, egal wie viele Leute schreien, egal wer Taut ist, egal wer droht, einen umzubringen, egal wer lügt: Das ist alles egal. Ich kümmere mich darum, dass was passiert, dass alle im Gesprach bleiben, dass alle sich noch in die Augen gucken können hinterher and nicht als Idioten dastehen.

Wie ist der Diskurs über Klima so eskaliert, dass Menschen wie Sie Todesdrohungen kriegen?

Menschen sind ja auch Tiere. Und sobald ein Tier in die Ecke gedrängt wird, wird es böse.

Nehmen Sie zum Beispiel die sogenannten Boomer und die Silent Generation. Diese Menschen sind jetzt alt und haben Angst – auch davor, am Ende als Deppen dazustehen, weil sie merken, dass alles zusammenbricht, dass ihre Entscheidungen vielleicht falsch waren, ihre Überzeugungen im Nachhinein auch. Da kann ich schon verstehen, dass sie Panik kriegen.

Konservative und/oder ältere Menschen beklagen dagegen, dass die Jugend sich mit Protesten und Verboten in den Mittelpunkt drängen und die Gesellschaft für sich vereinnahmen möchte. Ist da etwas dran?

Das war schon immer so. Ich habe schon 2000 Jahre alte Texte gelesen, wo beklagt wird, dass die Jugendlichen immer so einen Terz machen und faul sind und immer die Gesellschaft umgestalten wollen. Als ich in der Schule war, habe ich das auch schon gehört. Jetzt höre ich es immer noch. Das sagen alle alten Leute seit mindestens 2000 Jahren, vermutlich schon seit 10.000 Jahren.

Trotz aller Informationen wissen Umfragen zufolge 20 Prozent der Jugendlichen nicht, was Klimawandel genau ist. Ihre Vorträge, die IPCC-Berichte und anderes mehr – sind die vielleicht immer noch zu schwer verständlich für den Durchschnitt?

Wer einem Vortrag von mir nicht folgen kann, dem kann ich mit meinen Mitteln nicht helfen. Da kommt kein einziges Fremdwort vor und er besteht nur aus Bildern. Und zu den 20 Prozent: Das ist doch gut, denn das heißt doch, 80 Prozent der Leute raffen es. 80 Prozent sind sensationell.

Aber wie sind die 20 Prozent zu erklären, die es nicht verstehen?

Das Verstehen ist nicht das Problem. Die begreifen jedes Wort. Dass sie weder verstehen wollen noch ihren Arsch bewegen, das ist nicht mein Problem. Wenn Menschen keinen Bock haben, weiterzuleben als Menschheit, sondern sozusagen im SUV entweder zu ertrinken, zu verbrennen oder zu verhungern, okay. Wirklich, ganz im Ernst: Nicht mein Problem. Da kann ich nichts machen.

Sie haben eine sehr direkte Art. Ist dieser Tonfall die richtige Weise, den Dialog zum Thema Klimaschutz zuführen?

Keine Ahnung. Klicks auf Fach-Vorträge gibt es jedenfalls massenhaft, genauso wie Nachfragen. Mein Team und ich ertrinken in Anfragen für Klimavorträge. Also offenbar ist ein, wie soll ich sagen, nie gekanntes Interesse daran vorhanden. Ob das zielführend ist, weiß ich nicht. Wird sich dann zeigen.

Unsere Serie heißt „Alles Sagen". Nach allem, was Sie so erleben, sollten Menschen wirklich immer alles sagen dürfen?

Was ist denn „alles"? Es kommt aufs Gegenüber an. Ob man alles sagen darf, müssten Sie eher Leute fragen, die mich beleidigen, bedrohen, ärgern. Keine Ahnung, mir ist es egal.

Aber bei Ihnen kann auf jeden Fall jeder alles sagen?

Ja, klar. Aber warum? Es ist ja eher eine Frage der sozialen Sinnhaftigkeit, ob man in einer Situation alles sagen sollte. Ich halte das grundsätzlich für völlig unproblematisch: Sag doch einfach, was du sagen willst, anstatt mir jetzt zu erklären, dass man angeblich nichts mehr sagen darf.


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