Experteninterview: Felix Altenbach

Datum: 11. März 2008
Uhrzeit: 18.30 bis 19.00 Uhr
Ort: Aula am Aasee, Münster
Beteiligte Personen:

Dr. Mark Benecke Kriminalbiologe, Köln
Daniela Eschkotte Redakteurin Antenne Münster, Münster
Felix Altenbach Schüler der Ludgerusschule Münster-Hiltrup, Klasse 4a
Marcel Sablotny Lehramtsstudent im Forder-Förder-Projekt zur Begabtenförderung im Drehtürmodell (Praktikum ICBF, VVWU Münster, Ludgerusschule)

Experteninterview, durchgeführt im Rahmen des Forder-Förder-Projektes
Wissenschaftliche Begleitung: Prof. Dr. Christian Fischer
Internationales Centrum für Begabungsforschung an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster
Schule: Ludgerusschule Münster-Hiltrup
Schulleiterin: Gabriele Langkamp
Stellvertretender Schulleiter: Martin Nielebock
Klassenlehrerinnen: Claudia Sander-Braunert, Maria Kerkmann, Claudia Thies
Projektleiterin: Monika Kaiser-Haas
Studierende: Marcel Sablotny, Daniel Bublitz, Nadine Wrocklage, Andreas Micke, Antje Depping

Von Felix Altenbach

Frage: Wie viel Prozent der Kriminalfälle können durch solche Untersuchungen endgültig geklärt werden?

Antwort: Endgültig ... , na ja, was endgültig ist, entscheidet der Richter. Ich würd' mal sagen, durch genetische Fingerabdrücke kannst Du viel mehr Fälle als früher sehr schnell lösen.

Und insgesamt?

Durch alle forensischen und kriminalbiologischen Untersuchungen? So viel man weiß, bei Tötungsdelikten, also bei Mord und Totschlag und so werden dadurch angeblich 95 % der Fälle gelöst. Aber wir wissen ja gar nicht, wie viele Fälle wir gar nicht erst entdecken; das heißt, die sogenannte Dunkelziffer. Wir glauben, dass wir 95 % der Fälle lösen, aber in Wirklichkeit sind es viel weniger, weil wir nicht die anderen Fälle haben.

Kann es sein, dass es dann nur 50 % der Fälle sind?

Ja, könnte sein. Aber ich glaub', es sind nicht ganz so viele, weil manchmal entdeckt man ja zufällig ein Verbrechen und dann stellt man fest, dass da nur irgendetwas Bestimmtes übersehen wurde. Aber es kann sein. Ich halt's nicht für sehr wahrscheinlich, aber möglich ist es, ja.

Was ist eine forensische Untersuchung?

Forensische Untersuchung ist alles, was man vor Gericht macht. Es gab früher bei den Griechen ein Scherbengericht. Da haben sich alle Leute auf den Marktplatz gestellt und da wurde dann eine Gerichtsverhandlung gemacht. Auf dem Forum, dem Marktplatz. In foro = vor der Öffentlichkeit. Und dann haben die in die Scherben geritzt, ob sie geglaubt haben, ob derjenige schuldig ist oder nicht. Also Gerichtsverhandlungen sind theoretisch öffentlich, also wenn man nicht arbeiten müsste - die meisten müssen zwar arbeiten - und Zeit hätte, könnte man dahin gehen. Gut.

Jede Untersuchung, die einen Sachbeweis darstellt, ist dann forensisch. Das heißt, wenn ein Arzt zum Beispiel sagt, diese Verletzung kommt von einem Messer, dann ist das forensisch. Oder wenn ein Giftkundler sagt, man kriegt nur ein blaue Zunge von dem und dem Gift. Oder ich als Kriminalbiologe sage zum Beispiel, das Tier da lebt normalerweise nur in einem Mangofeld. Jetzt haben wir die Leiche aber im Wasser gefunden, da wachsen aber keine Mangos. So was. Also alles, was Expertenwissen darstellt.

Es gibt auch andere Fälle, wie ein Techniker. Oder hier, Tätowierer. Mein Tätowierer war mal ein forensischer Tätowierer, weil er vor Gericht sagen musste, wie schlecht das Tattoo von dem Mann ist, der gesagt hat: Mein Tattoo ist so schlecht, ich will jetzt Schmerzensgeld oder so was dafür. Oder Du, Du hast ja Lehrer. Dann könnte man Dich als Experten befragen und sagen: Findest Du, dass Deine Lehrer nett sind oder nicht nett sind, oder, ob die was können oder nicht können. Dann bist du auch ein Experte, nicht forensisch, aber Experte bist Du dann.

Gibt es eigentlich viele Lehrlinge in Ihrem Beruf, also Menschen, die das lernen?

Ja, wir haben ganz viele Studenten. Ja, wir machen auf der ganzen Welt Kurse und dann sind das Studenten. Übrigens, das mit dem "Lehrling" ist auch eine gute Frage. Wir sagen auch, das ist wie ,Lehrlingsein' und später, wenn Du das ein bisschen kannst, ist das wie beim Gesellen im Handwerk. Und wenn Du das richtig lange machst, bist Du ein Meister, wie zum Beispiel ein Bäckermeister oder ein Fliesenlegermeister oder so was. Da muss man es aber länger machen und mehr Erfahrung haben.

Welche Methoden zur Aufklärung eines Verbrechens sind in letzter Zeit neu hinzugekommen?

Also 1985 - was für mich eine kurze Zeit und für Dich 'ne lange Zeit ist - sind die genetischen Fingerabdrücke erfunden worden. Das war eine sehr neue Methode. Und jetzt, in allerneuester Zeit gibt's noch so Spezialmethoden, wo alles viel schneller geht. Das, was sonst ein Mensch machen musste und ganz lange dauerte, machen jetzt Roboter. Das geht schneller, denn da kann man Tag und Nacht die Maschinen laufen lassen, sogenannte Hochdurchsatzgeräte zur DNA-Typisierung.

Und was auch noch besser geworden ist, sind die Gifte. Früher musste man alle Gifte einzeln untersuchen. Zum Beispiel, wenn man eine Gewebeprobe aus einem Muskel oder vom Urin einer Leiche oder von einem lebenden Menschen hatte, dann musstest Du alles einzeln machen. Jetzt können die Maschinen das alles gleichzeitig machen. Das geht dann 1000 oder 5000 mal schneller als vorher.

Warum wird die DNA in Streifen gedruckt und nicht, wie sie wirklich ist?

Weil das nicht geht. Also, das ist eine gute Frage. Ne bessere Frage als von der Frau ...

Die hat ja keine Ahnung.

Ja, genau! Weil die DNA, wenn sie wirklich ist, ist sie ein langer Faden. Also, das ist so ein 2 Meter langer Faden in jeder Zelle. Da kannst Du nicht die Unterschiede sehen. Wenn ich zum Beispiel aus Deinen Zellen die DNA herausziehe und aus meinen Zellen die DNA herausziehe, dann sehen die gleich aus. Man muss das ganz ganz stark vergrößern, um die Unterschiede zu sehen. Und deswegen nimmt man diese Balken und die sind bei Dir, bei einer Frau und bei mir verschieden groß. Deswegen muss man das so machen.

Wie lange werden die Untersuchungsergebnisse aufbewahrt und wo?

Bei DNA? Auch sehr gute Frage! Alles gute Fragen.

Nein überall.

Von den genetischen Fingerabdrücken?

Alle Untersuchungsergebnisse.

Also, es kommt darauf an, die Gerichtsmediziner bewahren das, glaube ich, so 10 bis 20 Jahre auf in so Papierordner. Und die Polizei, da hängt's davon ab, was es für ein Verbrechen war. Zum Beispiel Mord: da bewahren die das so 50 Jahre oder so auf, aber beispielsweise bei Verkehrsunfällen dann nicht so lange. Wir bewahren die auch so mindestens 10 bis 20 Jahre auf. Bei genetischen Fingerabdrücken kommt's darauf an, ob die Person etwas getan hat oder nicht. Wenn die Person nix getan hat, müssen die Daten sofort gelöscht werden.

Mit welchen Mitteln wird die DNA in kleinere Stücke geschnitten?

Also, Du musst heutzutage die DNA gar nicht mehr zerschneiden. Man hat sie früher mit so ganz kleinen Teilen wie Scheren zerschnitten. Aber das war keine Schere aus Metall, sondern ist ein Molekül, so wie eins aus Deiner Haut, Deinem Blut oder Deinen Haaren. Das ist eine biologische Substanz, die ist so klein, dass sie eine ganz ganz kleine Schere ist und dann kann die den Faden, der ja - wie gesagt 2 m lang in jeder Zelle ist zerschneiden, weil sie dann bestimmte Stellen erkennt. Eine Schere, also wenn Du zu Hause eine Schere hast, die kann das dann nicht. Die weiß ja nicht, wo sie schneiden muss. Die schneidet ja nur da, wo Du sie hinhältst.

Aber diese biologischen Moleküle die können das besser, die wissen das. Die schneiden nur da. So, als ob die Schere wissen würde, wo man den Faden durchschneiden möchte. Und das macht man dann so. Das sieht aus wie ein Röhrchen, ein ganz kleines Röhrchen. Und Du hast ein Gefäß, das ist ungefähr so groß wie Deine Fingerkuppe und mit dem kleinen Röhrchen kannst Du es da reintropfen. Und dann erkennt es das und zerschneidet es an den Stellen. Aber heutzutage braucht's man nicht mehr.

Weil heute macht man es so, dass man die Stellen, die man haben will, die schneidet man nicht mehr aus, sondern die kopiert man mit einem anderen Molekül. Also statt des Rausschneidens nimmt das Molekül nur noch diese Stellen und kopiert sie einfach. Das ist wie beim Kopieren. Du hast ein Buch mit 500 Seiten, legst es darauf und dann wird immer nur diese eine Seite kopiert.

Diese Schere kann also ganz viel. Dann müsste es doch möglich sein, die DNA so zu anzuzeigen. wie sie wirklich aussieht?

Ja, das geht auch. Ich verstehe. Du kannst sie, wenn Du willst mit einem ziemlich teuren Gerät sehen. Die DNA besteht ja aus vier einzelnen Teilen und die kann man auch darstellen. Da hast Du recht, das würde gehen. Aber ist ein bisschen teuer, kann man aber machen. Aber der Unterschied ist das Sehen. Wenn ich Dich von da hinten aus sehe, dann kann ich die Deine Brille sehen, aber nicht, welche Farbe sie hat. Gesehen hab ich Dich aber trotzdem. Oder, wenn ich ganz nahe dran gehe, dann kann ich die Farbe Deiner Brille auch nicht sehen, weil ich nur die Farbe Deiner Wimpern sehe. Man muss den richtigen Abstand finden.

Also man könnte die DNA schon sichtbar machen, aber meistens ist das eine sinnlose Information. Etwa so: wenn die Frau da mich fragen würde, welche Farbe hat denn die Brille. Wenn ich hinten stehe, bin ich zu weit weg, wenn ich ganz nahe stehe, kann ich die Brille auch nicht sehen. Sehe ich nur die Wimpern, dann stehe ich zu nahe dran. Haste Recht! Wenn man den Abstand richtig einstellt, dann könnte man die DNA sichtbar machen. Okay!

Würde mein Haustier mich nach meinen Tod fressen? Ja

Quelle: Stern, Wissen, 16. Februar 2025

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Von Nicole Simon

Wer allein zu Hause stirbt, muss damit rechnen, von seinem Haustier angefressen zu werden. Katzen etwa verspeisen gern die Lippen. Doch auch ganz andere Tiere beißen zu.

Die Polizisten erwartete ein grausiges Bild, als sie die Wohnung eines 53-jährigen Mannes betraten. Die Leiche des Verstorbenen lag auf dem Rücken, Teile des Gesichts, seines Halses, seiner Brust und seines rechten Oberarms fehlten. Ein Fragment von Lungengewebe fand sich neben seinem linken Bein, während der Boden der Küche im Erdgeschoss mit Abfällen übersät war. So beschrieben vier Forschende den Fund vor Jahren in einer amerikanischen Fachzeitschrift. Und noch etwas erwähnten sie: “Ein deutscher Schäferhund, der dem Verstorben gehört hatte, befand sich am Tatort.”

Warum gerade dieses Detail so wichtig ist, ergibt sich aus dem Namen der Veröffentlichung: “Postmortale Verletzungen durch Haustiere.” Vier Fälle von Leichenfraß durch Hunde und Katzen beschreiben die Forschenden darin. Der 53-jährige Mann, der an Diabetes und Herzproblemen litt und eines natürlichen Todes starb, war einer von ihnen.

Geht man in den Datenbanken der Wissenschaft auf die Suche, findet man Dutzende dieser Berichte. Auch wenn kein Besitzer gern darüber nachdenkt, aber sollte man allein in seiner Wohnung sterben, kann der Körper für die geliebten Fellpfoten buchstäblich zu einem gefundenen Fressen werden.

“Ich habe schon einige Leichen gesehen, die von Haustieren angefressen wurden”, erzählt der Kriminalbiologe Mark Benecke. “Früher kam das häufiger vor, als es keine Pflegeversicherung gab und die Menschen auch aufgrund von psychischen Störungen, Alkoholismus oder Drogenmissbrauch noch ganz anders sozial vereinsamt sind.”

Einsamkeit und Isolation sind wahrscheinlich die wichtigsten Stichworte bei diesen Funden. Die wenigsten Haustiere machen sich direkt nachdem das Herz ihrer Besitzerin und Besitzer nicht mehr schlägt, über deren Leichnam her. In der Regel werden Verstorbene gefunden, bevor die pelzigen Gefährten zu fressen beginnen. Hunde machen zudem oft durch Bellen und Winseln auf sich aufmerksam, wenn sie sich zurückgelassen fühlen.

Was aber, wenn sich niemand Sorgen um den älteren Nachbarn macht? Wenn das Bellen nebenan zwar stört, aber niemanden alarmiert? Dann kann es tatsächlich zu Szenen wie der oben beschriebenen kommen. “Aasfresserei von Wirbeltieren an menschlichen Überresten ist ein häufiges Phänomen bei der forensischen Untersuchung von Fällen weltweit”, schreibt die Humanbiologin Sandra Lösch von der Universität Bern in der Fachzeitschrift “Forensic Science”. Genaue Zahlen fehlen allerdings, da sie nicht systematisch erfasst werden. Auch weiß man noch nicht, wie genau es dazu kommt.

Einige Forschende gehen davon aus, dass Hunde und Katzen mit Lecken im Gesicht versuchen, den Menschen zu wecken. Möglicherweise geht das Lecken irgendwann in Beißen über. Mark Benecke vermutet, dass Hunger und Durst die größte Motivation sind, den Leichnam zu fressen.

Auch spielen die Rasse und das Sozialverhalten der Tiere eine Rolle.

Wetter und Temperatur spielen eine große Rolle

Quelle: t-online.de, 26. Juni 2024

Von Simone Bischof

Kriminalbiologe zum Fall Arian

In Niedersachsen wurde eine Kinderleiche gefunden. Möglicherweise ist es der vermisste Arian. Wie die Ermittler das herausfinden, erklärt der Kriminalbiologe Mark Benecke.

Am Montagnachmittag entdeckte ein Landwirt auf einer Wiese im Landkreis Stade eine Kinderleiche. Die Ermittler schließen einen Zusammenhang zu dem seit mehr als zwei Monaten vermissten sechsjährigen Arian aus Bremervörde nicht aus. Der Leichnam wurde zur Obduktion in die Gerichtsmedizin gebracht, Ergebnisse der Untersuchung sollen noch in dieser Woche bekannt gegeben werden.

Der Forensik-Experte Dr. Mark Benecke hat die Polizei schon in vielen Fällen unterstützt. Im Gespräch mit t-online erklärt er, wie die Ermittler, die mit der Aufklärung des Falls befasst sind, im Weiteren vorgehen.

t-online: Herr Benecke, Arian ist vor etwas mehr als zwei Monaten verschwunden. Vorausgesetzt, bei der gefundenen Kinderleiche handelt es sich um den Sechsjährigen: In welchem Zustand ist die Leiche nach so langer Zeit?

Mark Benecke: Das hängt von mehreren Faktoren ab. Wetter und Temperatur spielen eine große Rolle. Wenn es warm und feucht ist, zersetzen sich Leichen im Freien schnell. Weiterhin spielt eine Rolle, wie die Leiche gelagert ist – beispielsweise in einer Kiste oder in der Erde. Außerdem, ob es Tierfraß gibt. Etwa durch Ameisen, Maden oder Wildschweine.

Welche Wetterbedingungen spielen beim Zustand einer Leiche eine Rolle? Zum Zeitpunkt von Arians Verschwinden war es noch kalt. Inzwischen gab es Unwetter mit viel Regen, außerdem Hitze.

Solange es kalt ist, wachsen die Bakterien und Insekten langsam. Wenn es wärmer wird, wachsen sie schneller und lösen die Leichen dann auch schneller auf.

Wie erschwert der Zustand einer Leiche ihre Identifizierung?

Das spielt seit der Erfindung beziehungsweise Entdeckung genetischer Fingerabdrücke in Vermissten-Fällen keine Rolle mehr. In den Knochen und Zähnen ist immer genug Erbgut, um zu bestimmen, ob die Leiche die vermisste Person ist oder nicht.

Gibt es einen leichteren Weg?

Wenn es um den "ersten Blick" geht: Meist über die Bekleidung.

Wie wird eine Leiche untersucht und wonach wird gesucht?

Gesucht wird nach Verletzungen, die an Knochen sichtbar sind, beispielsweise "Scharten", also Ritzer, die von einem Messer stammen könnten. Außerdem nach Giften, die im sogenannten "Weichgewebe" sind, aber auch in harten Körper-Teilen. Und nach Spuren von Brand, Ersticken, Knochenbrüchen und natürlich allem, was von einem Täter oder einer Täterin stammen könnte: Haut-Zellen, Haare, Kleidungs-Fasern, Blut, Sperma oder Speichel.

Nach welchen "typischen" Merkmalen wird zuerst gesucht, um die Todesursache festzustellen?

Die Kolleginnen und Kollegen aus der Rechtsmedizin schauen unter anderem danach, ob es bestimmte Flecken auf Organen gibt, sofern diese noch erhalten sind, ob es Brüche beispielsweise am Kehlkopf gibt oder ob der Schädel gebrochen oder durchlöchert ist. Blut-Unterlaufungen können interessant sein oder Löcher in der Haut, eigentlich alle "Veränderungen" gegenüber dem Grundzustand.

"Leichen-Hand" im Meer (Norderney)

Quelle: t-online, 24. Oktober 2024

Ist ein Leichenteil an der Nordseeküste angespült worden? Das haben sich einige Menschen im Netz gefragt. Ein Experte klärt auf.

Ein Fund am Strand der Nordseeinsel Norderney hat für Verwirrung gesorgt. Ein großer, hautfarbener Knubbel wurde angespült und von einer Finderin an den forensischen Experten Mark Benecke weitergeleitet. Dieser postete die Bilder in den sozialen Medien – und löste Spekulationen aus, ob der Knubbel nicht menschlichen Ursprungs ist.

Die Diskussion unter dem Post brachte schnell Klarheit: Viele Nutzer vermuteten, dass es sich um eine Koralle handelt. Dr. Benedikt Wiggering von der Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer bestätigte das der "Kreiszeitung" und identifizierte das Objekt als Alcyonium digitatum, auch bekannt als "Tote Mannshand".

Diese Lederkoralle kommt normalerweise ab 20 Meter Tiefe in der Nordsee vor und wird nur selten an Stränden gefunden. Der Experte betonte, dass das Objekt kein Grund zur Aufregung sei, weder kriminalistisch noch biologisch. Er empfiehlt jedoch, solche Funde immer zu melden, beispielsweise über das Portal beachexplorer.org, um deren wissenschaftlichen Wert zu nutzen.

Mark Benecke ist der Jäger der übersehenen Wahrheiten

Quelle: Neu-Ulmer Zeitung | Augsburger Allgemeine, Samstag, 28. September 2024, Nr. 225, Lokales, Seite 31

Mark Benecke ist der Jäger der übersehenen Wahrheiten

Von Florian Arnold

Im ausverkauften Roxy unterhielt der Kriminalbiologie mit Fällen zwischen bizarr und unglaublich. Das Publikum lernt, dass man mit üppigen Busen erstickt werden. Wenn es in Kriminalfällen kompliziert wird, wenn ein Cold Case Fragen aufgibt, wenn es auch mal richtig schräg wird - dann tritt Dr. Mark Benecke auf den Plan. In der Region ist er seit langem ein Garant für ausverkaufte Hallen, so auch bei seinem jüngsten Auftritt im Roxy: da waren die Karten schon vor Wochen ausverkauft. Was macht den Kriminalbiologen so populär? Ist es der morbide Spaß an seiner Arbeit mit Leichen, ist es die unverblümte Art des äußerst medienaffinen und schlagfertigen Spezialisten für Biologie, Zoologie und Insektenkunde? Oder ist es seine zugängliche Art, die komplexen Verflechtungen von Biologie und Kriminalistik verständlich zu servieren?

Etwas von all dem dürfte zum Erfolgsrezept von Benecke beitragen, dessen Vortragsabend „Kriminalfälle am Rande des Möglichen" über zweieinhalb Stunden hinweg spielend unterhält, informiert - und ab und zu auch die Übelkeitsgrenze schwacher Naturen fordert. Denn natürlich werden immer wieder Fotos aus der Ermittlungsarbeit gezeigt. Gleich der erste Fall des Abends zeigt eine nackte weibliche Leiche mit (vermeintlichen) Würgemalen. Und schnoddrig, wie es seine Art ist, kündigt Benecke an: „Da kommen jetzt noch mehr solche Fotos, das ist nichts für Zartbesaitete". Wer jetzt erst merkt, dass ihm das zu viel wird, darf gehen. Das ist ein bisschen wie im Schulunterricht: Es wird unterbrochen und mit sanfter Pädagogenstimme dazu aufgefordert, den Raum zu verlassen, wenn man es nicht aushält.

Dabei gab es schon ganz zu Beginn, wie immer bei Benecke, das vorgelesene „FAQ". Da wird nicht nur um das Unterlassen von Mitfilmen - und fotografieren gebeten, sondern auch deutlich zu lesen steht: „Achtung, es sind eventuell Leichen zu sehen, wer das nicht möchte, bitte besser wieder gehen." Davon machen nur ganz wenige Gebrauch. Wer zu Benecke kommt, weiß, wie der Abend läuft. Und das ist ein rasanter, mit krassen Abbildungen und staunenswerter Informationsfülle gespickter Abend, irgendwo zwischen klassischem Vortrag und Dokutainment.

Politik, Religion etc., das ist alles nicht meine Baustelle", erklärt Benecke, „aber alles, was man messen kann, das ist meines: wenn etwas kritisch wird, dann sage ich: zeig mir die Zahlen. Dann haben wir Klarheit und es gibt kein Geschnatter und Wortgeklingel."

Kern eines jeden Benecke-Abends sind reale Fälle, die zum Teil überaus skurrile Fragen aufwerfen. Besagte weibliche Leiche mit den Würgemalen - Benecke erzählt flott und kurzweilig, wie sein Mentor Professor Prokop diesen Fall aus den 1960ern aufklärte: die Würgemale waren Abdrücke eines Astes, auf dem die Verstorbene im Straßengraben lag. Erwürgt wurde also niemand - akribische kriminalbiologische Ermittlung bewies, dass die Frau tatsächlich an einer akuten Herzmuskelentzündung starb.

Zwischendurch fallen Sätze wie „Die Leiche ist sehr frisch" oder „Früher war das so, nicht erschrecken!". Wie gesagt: für Zartbesaitete ist das nichts. Für die Zuhörer mit robusten Nerven ist es aber hoch spannend zu hören, wie Benecke immer wieder beweist, dass das Offensichtliche eben nicht das Wahrscheinlichste ist. Typisch menschlich sei es eben, wenn man einen Schuss hört und sich umdreht, jene Person zu verdächtigen, die mit einem Revolver in der Hand da steht. „Aber wir Kriminalbiologen messen, suchen Beweise, und am Ende finden wir die Wahrheit". Und die ist in der Kriminalistik oft etwas ganz anderes als das, was man anfänglich glaubt. Es sei schon erstaunlich, wie oft „Verurteilten auf Basis falscher Daten und Annahmen der Prozess gemacht wurde". Das komme auch heute noch vor, so Benecke. Wie das hätte ich auch gewusst. Aber wichtig winzige Details für das Auffinden der Wahrheit sind, belegte Benecke an diesem Abend dutzendfach mit Bild- und Faktenmaterial. Dass es da auch um den Fall „Mord durch Busen" geht, gehört in die Abteilung „absurd und bizarr", aus der Benecke gerne schöpft. Zuletzt steht fest: Man kann mit üppigen Busen erstickt werden.

Mit Vortragsabenden wie “Plötzliche Selbstentzündung”, “Vampire und Vampirzeichen” oder “Die Leiche aus der Biotonne” hat er reichlich Erzählmaterial aus über 30 Berufsjahren am Start. Jenseits von morbidem Grusel und Schockfotos ist Beneckes Vortrag aber stets hoch spannend. Ohne die Spannung für jene kaputtzumachen, die so einen Abend noch nicht mitgemacht haben, sei gesagt: Das Unmögliche liegt oft näher als gedacht und, so Benecke, „am Ende sagt man manchmal, so ist es natürlich nicht. Gewusst haben wir es, weil wir genau arbeiten, exakt messen, die Spuren ohne Annahmen zum Sprechen bringen". Das geht manchmal nur, indem man „lauter unangenehme Fragen" stelle - und zwar den ermittelnden Kollegen. Häufigste Todesursache in der Kriminalstatistik ist laut Benecke übrigens auch heute: Strangulation, durch eigene oder fremde Hand. Typisch für Täter sei der Satz „Ich weiß nicht, wovon sie sprechen".

Benecke ist ein Medienphänomen. Er macht Musik, er ist eine Merchandising-Maschine (die gerne Geld für wohltätige und Umweltorganisationen einsammelt), er hält weltweit Vorträge und ist Ausbilder an deutschen Polizeischulen.

Im Roxy steht am Ende die Erkenntnis: Gerechtigkeit stellen in einem Todes- oder Mordfall am Ende nicht unbedingt die Ermittler her - sondern Menschen wie Mark Benecke, die stur und unbeirrt nach der Wahrheit forschen.

Insektenbefall am Leichnam als Wissensquelle in der Gerichtsmedizin

NaturwissenschaftlerInnen und GeisteswissenschaftlerInnen sprechen verschiedene Sprachen. Sie denken anders und arbeiten mit völlig verschiedenen Werkzeugen.

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