Alkoholismus im Schul-Unterricht

Von Timo Schüsseler (Präventionator)

Ich werde meine Erfahrungen aus den Präventionsvorträgen mit unterschiedlichstem Auditorium hier niederschreiben! Vielleicht vorab der Hinweis: Ich bin ein Sprecher, kein Schreiber und ich werde so schreiben, wie ich spreche.

Wenn ich gebucht werde, in der Regel für Bildungseinrichtungen, werde ich immer auch gefragt, was ich brauche: Laptop, Beamer oder so. Meine Antwort: Nichts brauche ich außer ein Auditorium, bevorzugt im Stuhlkreis.

Lehrkräfte oder Sozialarbeiter/innen in Schule wollen den Stuhlkreis dann immer schon vorbereiten. Das möchte ich dann wiederum nicht so gerne.

Und es soll immer eine Lehrkraft anwesend sein, die die Klasse kennt. Und jede Lehrkraft, jede/r Ausbilder/in oder auch jede/r Schulsozialarbeiter/in kennt. Schüler, wo so ein Vortrag echt angebracht wäre. Am Anfang meiner Präventionsreise ist es dann häufig vorgekommen, dass dann genau diese Schüler irgendwie spontan an dem Tag krank waren. Manchmal ist halt voll umfassende Transparenz in Schule nicht zielführend.

Das mit dem nicht vorbereiteten Stuhlkreis hat den Hintergrund, dass ich mir gerne ansehe, wie die Schüler den selber aufbauen. In manche Klassen komm ich und keine 30 Sekunden später nehme ich von dem Vorhaben auch wieder Abstand. Das ist aber eher selten.

„Wir machen jetzt mal einen Stuhlkreis.“ Die Reaktionen auf diese Ansage sind in der Regel gleich. „Oh nein...Kindergarten...muss das sein?! So‘n Scheiß!“ Und schon ist richtig Tumult in der Klasse. Stühle und Tische, die kreuz und quer durch den Raum geschoben werden. Schüler, die schon auf ihrem Stuhl sitzen, während andere noch arbeiten oder damit beschäftigt sind, einfach andere zu ärgern. Eine Lehrkraft, die versucht, alle zu dirigieren. Irgendwann sitzen dann alle, aber meistens in einem Oval oder so ähnlich. Das wird dann mit persönlicher Ansprache nachgearbeitet.

Und dann sitzen alle ganz erwartungsvoll da, was der Typ, der so gar nicht in das Erwachsenenbild passt, zu erzählen hat.

„Habt ihr schon mal was von einem ersten Eindruck gehört?“ „Hä...was?!“ Lauter irritierte Gesichter. „Ich habe jetzt einen von Euch.“ Dann schildere ich meine Wahrnehmung dieser kurzen Gemeinschaftsaktion. Und das gefällt den wenigsten!

Es gibt aber natürlich auch Klassen, in denen das super klappt. Da gibt es dann auch ehrliches Lob – in fast zehn Jahren Prävention genau viermal.

Und dann kommt direkt das:

Die Regeln für meinen Vortrag sind: Es wird nicht untereinander getuschelt. Da ich unter einer massiven Konzentrationsschwäche leide, lenkt mich Getuschel ab und dann bekomme ich Wortfindungsstörungen. Und wenn ich die fremd verursacht kriege, bekomme ich schlechte Laune. Und wenn ich schlechte Laune kriege, dann merkt ihr das. Ich bin kein Pädagoge, Sozialarbeiter oder Therapeut. Ich bin einfach ein Bürger, der mit euch über eines der heftigsten Themen reden möchte. Ich werde auch euer Verhalten mal spiegeln und alles, was mir auffällt, direkt ansprechen!

Jede/r kann nur für sich sprechen – wertfreies Zuhören. Wenn jemand etwas sagt oder eine Frage stellt, dann wird das nicht bewertet und schon gar nicht kommentiert!

Und zack – schon wieder unbeliebt gemacht.

Das Thema ist Sucht!

Was ist das? Kann das weg? Braucht man das? Kennst du ein anderes Wort?

Antworten aus dem Auditorium: Ist ganz schlimm. Da will einer nicht mit was aufhören, was ihm schadet! Braucht kein Mensch! Anderes Wort wäre Abhängigkeit!

Dann meine Frage: Ist Abhängigkeit schlimm?

Allgemeines Ja! – bis auf zwei Schülerinnen, die mich überrascht haben, als sie sagten, dass sie doch abhängig davon wären, dass ihre Eltern sich um ihr Überleben kümmern – früher mehr als jetzt, aber immer noch erheblich. Ganz genau! Eine gewisse Abhängigkeit ist ganz normal und auch hilfreich und gut!

Das Wort „Sucht“ wird heute so inflationär benutzt, dass es bei den meisten Menschen keine jedwede Reaktion hervorruft. In der Werbung wird sogar damit geworben, dass Serien oder Musik süchtig machen. Hier gilt Sucht quasi als Prädikat „besonders wertvoll“. Somit wird es dem Ursprung gar nicht mehr gerecht. Wir neigen dazu, schlimme Erkrankungen zu verharmlosen.

Da ist jemand traurig, melancholisch, hat er eine Depression. Nein, der hat vielleicht eine depressive Verstimmung! Eine richtige klinische Depression ist von absoluter Sinnlosigkeit geprägt und bedarf unbedingt einer psychiatrischen Behandlung!

Ich spreche hier von einer Abhängigkeitserkrankung, wobei Krankheit definiert ist durch die Abwesenheit von Gesundheit!

Wer läuft denn Gefahr, im Laufe seines Lebens eine Abhängigkeitserkrankung zu entwickeln? Jetzt zeigt garantiert ein/e Zuhörer/in auf und ich kann ihm oder ihr sagen, dass ich weiß, was er/sie jetzt antworten wird: "Jeder!" Jeder kann aber nur für sich antworten! Und er/sie meint alle, aber auf keinen Fall sich selber. Das käme gar nicht in Frage!

Die nächsten vier Wochen verzichtet ihr alle auf euer Smartphone, Playstation, X- Box, Tablett, PC, Laptop – und die Erwachsenen mal auf Alkohol bei Feierlichkeiten oder sogar ganz! Für wen fühlt sich dieser Gedanke scheiße an? Jetzt müssen erst mal alle in die Runde gucken, ob jemand anderes aufzeigt, und wenn, dann zeig ich auch auf! Wenn wir ganz ehrlich mit uns sind – und darum geht es ja hier! – fühlt sich das echt „scheiße „an! Und plötzlich zeigen 90 Prozent des Auditoriums auf!

Machen wir da mal einen Strich drunter und gucken, was gerade passiert ist. Solange das alles da ist, geht es euch normal/gut. Und nur der Gedanke, etwas nicht mehr zu haben, fühlt sich scheiße an. Dann ist euer normales/gutes Gefühl davon abhängig, diese Sachen zu haben!

Ein Alkoholiker, der darüber nachdenkt, dass er keinen Alkohol mehr hat, für den fühlt sich das auch scheiße an, genau wie der Junkie, der sich vorstellt, kein Heroin mehr zu bekommen!

Der Suchtkranke Mensch ist abhängig von dem Gefühl – nicht vom dem Stoff!

Wer von euch ist schon mal gelobt worden? Alle zeigen auf! Wer will nochmal gelobt werden? Alle zeigen auf! Und genau um diesen Mechanismus geht es.

Alle Säugetiere, also auch wir Menschen, haben in ihrem Gehirn ein Areal, das allgemein als Belohnungssystem benannt wird. Wenn wir Positives erlebt haben, werden Serotonin und Dopamin ausgeschüttet – allgemein als Glückshormone bezeichnet. (Wer einen Hund hat, kennt das: Der Hund macht brav Sitz, kriegt er ein Lecker. Beim nächsten Mal macht er nicht Sitz, weil ihr so tolle Menschen seid, sondern weil es dafür Lecker gibt. Ganz gemein wird es, wenn ich sage: Hat der Papa ganz fein den Rasen gemäht, kriegt er ein Bier...)

Diese besonderen Hormone sind so komplex, dass es für den Körper schon mit ein bisschen Aufwand verbunden ist, diese zu produzieren. Der Körper ist auf Effizienz getrimmt und er hat ein System, welches ihm Anstrengung in der Regel erspart. Wenn er jetzt bei positivem Erleben eben diese Glückshormone ausschüttet – beim Küsschen oder Lob ein bisschen und bei z. B. Sex bisschen mehr – dann sorgt er auch dafür, dass nicht alle Glückshormone verbraucht werden, sondern er holt sich die nicht verbrauchten zurück in seinen Speicher. (Es gibt in der Behandlung von Depressionen eine Medikamentengruppe, die heißen Serotin- Wiiederaufnahme-Hemmer. Die sorgen dafür, dass diese Glückshormone länger im Blut bleiben und der Patient sich länger gut fühlt.)

Verbrauchte Glückshormone sind weg und werden über einen gewissen Zeitraum wieder nachproduziert. (XTC haut im Übrigen den ganzen Speicher leer und sorgt dafür, dass nichts wieder in den Speicher zurückgeführt wird. Absolutes Glücksempfinden! Das Problem: keine Glückshormone, gar kein Glücksempfinden – was der XTC-Konsument merkt, wenn er wieder runtergekommen ist.)

Also der Mensch wird süchtig nach genau diesen Glückshormonen. Es geht um das gute Gefühl auf Knopfdruck, um den Zugewinn, den ich erlebe, wenn ich etwas konsumiere. Der Stoff ist komplett austauschbar – und bei den stoffungebundenen Süchten sogar das Verhalten: Ein Alkoholiker, der aufhört Alkohol zu trinken, wird niemals suchtfrei Glücksspiel betreiben können. Ein Junkie, der aufhört Heroin zu konsumieren, wird niemals suchtfrei Alkohol trinken können.

Wer einmal suchtkrank ist, bleibt das für den Rest seines Lebens. Es ist eine chronische Erkrankung, die somit nicht heilbar ist!

Was glaubt ihr, wie viele Menschen sind in Deutschland im letzten Jahr an den Folgen des illegalem Drogenkonsums gestorben? Also Heroin, Amphetamine, LSD, Extasy, Cannabis...

Ja, Cannabis ist illegal! Nicht in geringen Mengen erlaubt! Nicht ab 21 erlaubt! Tetrahydrocannabinol ist illegal! Kann zwar auf einem Betäubungsmittelrezept in besonderen Fällen ärztlich verordnet werden, aber das kann Heroin auch – als Morphiumpräparat!

Wer mit Cannabis erwischt wird, bekommt eine Anzeige wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz (BtmG): Der Besitz ist strafbar. Die Anzeige geht zum Staatsanwalt und der entscheidet, ob er es weiter verfolgt oder einstellt. Was der aber auf jeden Fall macht, er informiert das Straßenverkehrsamt über euren Verstoß und die ziehen euren Führerschein ein. Und wenn ihr noch keinen habt, gibt es eine Sperre!

Um den Lappen wieder zu bekommen, bedarf es eines Abstinenznachweises über zwölf Monate und einer medizinisch-psychologischen Untersuchung (MPU), den sogenannten Idiotentest. Den bestehen ca. 30 Prozent der Teilnehmer und der kostet ca. 800 Euro. Die professionelle Vorbereitung darauf ca. 500 Euro.

Ich hör auch immer wieder, an Cannabis stirbt man nicht.

Das stimmt. Allerdings sind die häufigsten Nebenwirkungen des Cannabiskonsums Angststörungen und Depressionen. Manche dieser Patienten neigen zu suizidalem Verhalten. Die fallen dann unter die Statistik „Selbstmörder“, obwohl es ja drogeninduziertes Verhalten war.

Also nochmal, wie viele Menschen sind im letzten Jahr am illegalem Drogenkonsum gestorben? Häufigste Antwort: Zu viele!

Das ist richtig! In Zahlen schwanken die Schätzungen zwischen 10.000 bis 100.000. Es waren, wie die Bundesdrogenbeauftragte gestern, am 24.03.2020, mitgeteilt hat, 1.398.

(Ist gerade soziale Kontaktsperre und zu Hause bleiben angesagt wegen der CoronaViruspandemie, deswegen habe ich auch Zeit zu schreiben).

Knapp 1400 Drogentote, das sind ja nicht so viele – bei ca. 80 Millionen Einwohnern in Deutschland. Wann ist denn der Gedenktag für Drogentote? Häufigste Antwort: Den gibt es gar nicht!

Doch, den gibt es! Interessiert bis auf ein paar Ausnahmen aber keine Sau, weil das mit den Drogentoten, das ist so iiihhh! Das sind irgendwie charakterschwache Idioten, die ihr Leben nicht auf die Reihe bekommen haben.

Das mit den Süchtigen ist wie mit den Flüchtigen. Ganz schlimm, dass die eigene Regierung die bombardiert, und den allen muss dringend geholfen werden. Aber ich doch bitte nicht!

Keiner der Drogentoten hat in der Schule gesessen und sich als weiteren Lebensweg überlegt: Ich werd mal an meinem Drogenkonsum sterben.

All diese Menschen hatten wohl solche oder ähnliche Pläne wie ihr und sie hatten Eltern, vielleicht Geschwister, Ehepartner, ja vielleicht sogar Kinder – Menschen, die sie geliebt haben und von denen sie geliebt wurden. Der 21. Juli ist der Bundesgedenktag für Drogentote!

Wie viele Menschen sind in Deutschland im letzten Jahr an den Folgen vom Alkoholkonsum gestorben – ohne Unfälle, nur durch den akuten oder dauerhaften Konsum?

Häufigste Antwort: Mehr als an Drogen. Das ist richtig!

Hier sind die Schätzungen dann schon verhaltener! Zwischen 10.000 und 50.000. Es waren ca. 74.000! Und diese Zahl verändert sich, seitdem ich mich intensiv damit beschäftige (immerhin fast zehn Jahre), kaum!

Das sind ca. 200 Menschen pro Tag, die am Alkoholkonsum sterben.

Wer von euch hat denn schon mal Alkohol getrunken?

Je nach Alter des Auditoriums schwanken hier natürlich die Angaben. Die Jüngeren (Ich halte Vorträge ab dem 8. Jahrgang – die sind dann so 14/15 Jahre alt.) haben mal bei den Eltern probiert. Bei den Älteren haben dann natürlich schon viele Trink- und Rauscherfahrungen.

Und warum habt ihr getrunken? Häufigste Antworten: Silvester, Geburtstag, Schützenfest, Karneval etc. – Gruppenzwang kommt sehr häufig.

Und wem hat der Alkohol geschmeckt? Und ich meine jetzt keine Mischgetränke, sonders pur!

Häufigste Antwort: Kaum jemandem! (außer das Auditorium besteht aus Erwachsenen z. B. beim Elternabend. Da gibt es schon viele, die dann sagen, der Rotwein oder so wäre lecker)

Wenn ich dann auf den Erstkonsum reduziere, sind wieder viele bei: „Nee, da hat das noch nicht geschmeckt!

Wer von euch hatte schon mal aus Versehen saure, also gammelige Milch im Mund? Hier kann ich sehen, wem es schon so gegangen ist – bei der Erinnerung an diesen Moment verziehen sich Gesichtszüge!

„Boah, voll ekelig, hab ich sofort wieder ausgespuckt!“ ist hier die häufigste Aussage. Was wäre passiert, hättet ihr das Glas ausgetrunken? Es wäre vielleicht zu Kotzen und Dünnschiss gekommen. Schwitzen, schneller Puls, höherer Blutdruck – Zeichen einer Lebensmittelvergiftung.

Der Mund ist nicht nur zum Essen und zum Knutschen da, sondern hat in Kombination mit dem Rachenraum eine ganz wichtige Funktion: Hier werden wir vor Vergiftungen und Sachen geschützt, die uns krank machen könnten.

Alkohol ist zellaktives Nervengift! Wenn man eine Körperzelle – egal welche – auf einen Objektträger gibt und einen Tropfen Alkohol dazu, kann man unter dem Mikroskop zugucken, wie die Zelle stirbt und sich dann auflöst. Die ist dann weg. Sobald wir den Alkohol in den Mund bekommen, sagen alle Rezeptoren im Mund und Rachenraum: „Spuck das aus! Das ist giftig! Das will ich nicht!“

Aber, Gott sei Dank, sind wir intelligente Menschen und deshalb kippen wir in den Alkohol Sachen, die wohlig schmecken, wie Cola, Fanta, O-Saft, Eistee oder Energydrinks. Damit lässt sich unser Warnsystem prima austricksen! (Ist wie beim Autofahren den Gurt nur locker über die Schulter zu legen – kann man machen, aber...!)

So, nun wissen wir schon mal:

Alkohol ist zellaktives Nervengift! Der Körper will das gar nicht! 74.000 Menschen sterben jedes Jahr an den Folgen des Konsums! Warum trinken 96 Prozent aller in Deutschland lebenden Erwachsenen Alkohol? Und zwar 139 Liter pro Kopf trinkt jeder Deutsche, vom Kleinkind bis zum Greis – ist halt Statistik. (Zum Vergleich: Pro Kopf trinken wir in Deutschland 143 Liter Kaffee im Jahr!) Warum trinken die Menschen Alkohol? Warum wollen alle Jugendlichen unbedingt Alkohol trinken?

Es gibt nur einen Grund: Weil es Spaß macht!

Und jeder Jugendliche hat schon früh gelernt, dass auch die Eltern dann eine Menge Spaß haben. Und da ist genau die Problematik! Ich kenne niemanden (und auch ihr werdet niemanden kennen), der danach süchtig ist, zum Zahnarzt zu gehen und sich eine Wurzelbehandlung machen zu lassen. Das macht keinen Spaß!

Und dann gibt es spätestens jetzt diejenigen im Auditorium, die mir erklären, dass sie aus religiösen Gründen keinen Alkohol trinken. Das sei verboten!

Nur dass im Koran nichts von einem Alkoholverbot steht. Da steht, du sollst deinen Körper nicht schädigen. Und wenn man jetzt noch weiß, dass Glücksspielsucht die einzige nicht stoffgebundene Sucht ist, die körperliche Entzugserscheinungen machen kann, dann sind auf einmal alle ganz nachdenklich, weil in den Teestuben viel gezockt wird oder dass die, die Alkohol als verboten angesehen haben, dann zum Gras o. ä. gegriffen haben!

Religion schützt nicht vor der Suchterkrankung - genauso wenig wie das Alter, das Geschlecht, der soziale Stand o. ä.!!!

Biografie

Ich erzähle euch jetzt mal etwas aus meinem Leben! Ich werde nichts beschönigen oder weglassen! Erzähle es genau so, wie es sich zugetragen hat! Wenn eine/r von euch merkt, dass sich das jetzt gerade ein bisschen scheiße anfühlt oder so, dann geht derjenige oder diejenige kurz raus und atmet tief durch! Und wenn sich dann die Gefühle beruhigt haben, kommt ihr bitte wieder herein! Ihr könnt im Leben immer vor unangenehmen Sachen weglaufen. Das steht euch immer frei und ist erst mal auch nicht schlimm!

Wenn ihr euch dann aber mit diesen Situationen nicht auseinandersetzt und lernt, damit umzugehen oder sie auszuhalten, dann werdet ihr euch nicht weiterentwickeln!

Und wer sich nicht weiterentwickelt, bleibt zurück!

Ich heiße Timo Schüsseler, bin 1976 geboren und habe eine chronische, das heißt niemals heilbare Erkrankung, die, wenn ich sie nicht im Stillstand halte, mich zum Pflegefall macht und wenn ich Glück habe, sehr schnell tötet. Ich bin suchtkrank! Per Diagnose bin ich Alkoholiker, süchtiger Kiffer und nikotinabhängig.

Da ihr aber ja schon wisst, dass es bei der Abhängigkeitserkrankung um das Gefühl und nicht um den Stoff geht, bin ich auch potentieller Junkie, Kokser, glücksspielsüchtig...! Kurzum – alles, was Spaß und mir ein richtig gutes Gefühl macht, ist in meinem Leben schwierig.

Ich hab mein erstes Bier mit 14 Jahren getrunken, mit meinen Kollegen. Wer am meisten saufen konnte, war der Held. Ich war immer der ganz große Held und ganz weit vorne. Früher in der Schule war ich so der kleine blonde Junge, der irgendwie dabei war, aber nie so richtig dazugehört hat! – Außer wenn ich mit den Anderen gesoffen hab, dann fanden die mich super. Das ist immer total witzig, wenn der Timo besoffen ist. Dann labert der immer total geilen Scheiß und macht auch immer so krasse Aktionen!

Mit 16 Jahren hab ich meine erste Tüte geraucht. Da war ich dann noch beliebter bei meinen Leuten, weil jetzt war ich auch noch so Gangsta Style unterwegs. Weil ist ja illegal.

Wenn wir in der Schule über Alkohol und Drogen gesprochen haben, hat mich das einen „feuchten Furz“ interessiert. Sollte was sein lassen, was mir total Spaß gemacht hat. Und was weiß schon so ein Lehrer vom Leben?! Hört sich an wie meine Eltern und Großeltern. Da quatsch ich lieber dazwischen, mach dumme Sprüche und abwertende Kommentare. Mit meinem Tischnachbarn zu quatschen, macht auch mehr Laune als der Nase da vorne zuzuhören!

Wollte nach der Schule eine Ausbildung zum Masseur und med. Bademeister ma- chen. (1993 gab es diesen Beruf noch.) Ist allerdings schwierig, wenn das Abschlusszeugnis der Hauptschule belegt, wie viel ich blau gemacht und wie wenig ich aufgepasst und mitgemacht habe. Mit meinen Leuten rumhängen hat einfach mehr Spaß gemacht. Heute vermisse ich manchmal die Kurzsichtigkeit der Jugend!

Naja, mir ging der Arsch auf Grundeis und so habe ich das Rumhängen und Konsumieren von Substanzen heruntergefahren, um irgendwie an eine Ausbildung zu kommen. Hab dann ein Freiwilliges Soziales Jahr gemacht. Leider gab es aus meiner damaligen Sicht nur noch Plätze in der Pflege.

Wenig Party und viel Engagement bei dieser Tätigkeit, die mir dann doch gefallen hat, brachte mir ein gutes Arbeitszeugnis und ich wollte von nun an Altenpfleger werden. Brauchte dafür allerdings noch ein weiteres Jahr Berufserfahrung in der Pflege und hab noch ein Jahrespraktikum für kleines Geld angehängt.

1998 war ich dann staatlich anerkannter, examinierter Altenpfleger! Dann meinen Zivildienst abgeleistet. Als Zivi mit Examen in einem Seniorenzentrum. Die haben sich natürlich gefreut.

Auf einem Wohnbereich, auf dem ich gearbeitet habe, hatte ich einen Bewohner, der war Mitte 40 und bettlägerig. Der konnte sich nicht bewegen, nicht sprechen, hatte eine Windelhose um, einen Katheter, eine Magensonde, weil er nicht mehr schlucken konnte, und als Tagesbeschäftigung hat er an die Decke geguckt – es sein denn, er wurde auf die Seite gelagert. Dann hat er in die Richtung geguckt. Dieser Mann hatte Korsakow-Syndrom! Frei übersetzt: Alzheimer durch Saufen! Der hat sich quasi in seinem Leben das Gehirn weggesoffen.

Aber das ja nicht mein Problem! Wenn der mit dem Alkohol nicht umgehen kann, ist das ja sein Problem! Mir passiert das niemals, weil ich ja schlau bin! Ich pflege ihn nach bestem Wissen und Gewissen, trink abends mein Feierabendbier, mache am Wochenende Party, fahr zum Fußball und wenn ich am Montagmorgen einen dicken Kopf hab, melde ich mich halt mal für einen oder zwei Tage krank.

Irgendwann kam auch mal meine Familie auf mich zu und meinte, du trinkst ganz schön viel. Lass das mal sein! Ich fand, die sollten aufhören zu nerven! Bin irgendwann nicht mehr ans Telefon gegangen, wenn die angerufen haben, und ich hab mich auch nicht mehr gemeldet, weil die immer wieder damit anfingen: Lass das sein!

2003, nachdem ich als stellvertretende Wohnbereichsleitung in einem Altenheim „in Sack gehauen“ hab, hab ich eine Ausbildung zum operationstechnischen Assistenten gemacht. Hab während der Ausbildung alle OP Bereiche durchlaufen und den Substanzkonsum auch wieder runter gefahren. Ist schon heikles Arbeitsfeld so ein OP! Und die Verantwortung!

Meine Lieblingsfachbereiche waren Unfall- und Neurochirurgie, das heißt ich habe Gehirnoperationen instrumentiert und assistiert! Und geholfen, Unfallopfer wieder zusammen zu flicken! Wir hatten ein Überlandtrauma angemeldet bekommen, d. h. da wird ein Schwerverletzter mit dem Rettungswagen eingeliefert. Wahlweise kamen unsere Patienten auch mal mit dem Hubschrauber. Dieser Patient kam des nachts und hatte massivste Verletzungen: rechtsseitige Rippenserienfraktur mit Punktion der Lunge, Leberriss, Nierenprellung und -quetschung, Beckenfraktur und die Beine sahen mit Verlaub ziemlich scheiße aus. Dieser Patient war 17 Jahre alt!

Er wurde sehr lange und intensiv operiert und hat das auch gepackt – allerdings mussten ihm beide Beine amputiert werden, so kaputt waren die. Als er auf der Normalstation wieder ansprechbar war, bin ich zu ihm, um mal zu sehen, wie es ihm so geht. Er war verständlicher Weise ziemlich fertig ob seiner neuen Lebenssituation.

Hat mir dann erzählt, dass das, was ihn wirklich fertig macht, nicht unbedingt der Verlust der Beine ist, sondern dass er seinem besten Freund beim Sterben zugucken musste. Der war 18 Jahre und meinte nach der Party, komm ich bring dich eben nach Hause – gerade den Führerschein und ziemlich angetrunken. Auf der Landstraße am Baum endete diese Fahrt. Bis jemand anderes den Unfall bemerkt hat und Hilfe alarmiert hatte, war der Fahrer elendig hinter seinem Lenkrad verreckt. Puh...krasse Geschichte – aber auch irgendwie deren Problem, wenn die im Rausch so eine Scheiße bauen!

Ich trink mein Feierabend Bier, fahr am Wochenende zum Fußball und wenn ich am Montagmorgen einen dicken Kopf hab, melde ich mich halt mal krank. Ist schon heikles Arbeitsfeld so ein OP! Und die Verantwortung!

Medizinstudent ist auf einer Party! Zum Rauchen muss man auf den Balkon der Wohnung. Im Alkoholrausch bisschen dummes Zeug auf dem Balkon veranstaltet und zack – runtergefallen. Mit massivsten Kopfverletzungen in die Neurochirurgie eingeliefert. Hat überlebt! Liegt heute in einem Pflegeheim und hat als Tagesbe- schäftigung „an die Decke gucken.“

Eine wirklich schlimme Sache, so ein Wachkoma, aber auch schon irgendwie sein Problem, wenn der auf Alkohol so einen Scheiß macht.

Ich trink mein Feierabendbier, fahr am Wochenende zum Fußball, mach Party und wenn ich Montagmorgen einen dicken Kopf habe, melde ich mich mal krank. Heikles Arbeitsfeld so ein OP...! 2005 hatte ich irgendwie ständig Magenschmerzen, bis hin zu Krämpfen. Da ich 2000 eine Fundoplicatio hatte (Das ist eine Operation, bei der die Refluxkrankheit behoben wird. Dabei steht der Mageneingang offen und die Magensäure kann im Liegen oder wenn es stressig ist und deshalb mehr Säure produziert wird, in die Speiseröhre laufen. Da gehört sie auf keinen Fall hin, denn da macht sie Verätzungen. Also hat man bei mir den Magenfundus operativ um den Mageneingang gelegt und vernäht, quasi als neuen Verschluss. Und mein Magen wurde in ein Kunststoffnetz gepackt, weil er sich gesenkt hatte!), besorgt sämtliche Ärzte aufgesucht und es wurde festgestellt, dass mir organisch nichts fehlt außer einer Gastritis (Magenschleimhautentzündung).

Da die Beschwerden trotz Magensäureblocker anhielten, meinte meine beste Freundin, ich möge mal zum Neurologen wegen psychosomatischer Behandlung (psychosomatische Erkrankung = wenn die Psyche den Körper krank macht). Sechs Wochen später sollte ich in einer speziellen Klinik aufgenommen werden – für acht Wochen! Hab mit meinen Leuten natürlich Abschied gefeiert und am nächsten Morgen voll verpennt. Naja, fast. Meine beste Freundin hat dermaßen an meine Tür gehämmert, dass ich sehr desolat aus dem Bett und zur Tür bin! Da stand sie und hat mich zur Schnecke gemacht. Wie ich mich am Vorabend meiner Einlieferung so volllaufen lassen könne?!

Bin dann mit ihr zur Klinik gefahren. Hier musste ich bei der Aufnahme einen Atemalkoholtest machen. Ich war mit viel zu viel Promille Auto gefahren.

Schlimmer war, ich wurde nicht aufgenommen, sondern musste wieder nach Hause und in einer Woche nochmal antreten – nüchtern!

Die Behandlung in der Klinik war sehr gut. Ich war nach drei Wochen beschwerdefrei. Außerdem hat man herausgefunden, dass ich wohl unter depressiven Verstimmungen und einer fetten Angststörung leide. Warum und wieso wusste erst mal keiner. Muss wohl an meiner Vergangenheit liegen. Hab nach den acht Wochen in der Klinik weitere ambulante Psychotherapie bekommen. Da bin ich dann regelmäßig zu meinen Sitzungen gegangen.

Als wir dann nach einiger Zeit so ein bisschen an das Eingemachte gekommen sind, ist der Psychotherapeut während einer Sitzung doch tatsächlich eingepennt! Mein Erleben scheint ja total spannend zu sein!

(Heute weiß ich, dass die depressiven Verstimmungen und die Angststörungen ein Resultat meines nicht gerade wenigen Cannabiskonsums sind. Ja, diese Sachen begleiten mich auch weiterhin durch das Leben!)

2006 eröffnete mir meine Chefin, dass mir zwar fachlich nichts vorzuwerfen sei und alle auch gerne mit mir arbeiten, aber man meinen Arbeitsvertrag nicht verlängern würde, da ich zu häufig gefehlt habe. Eine Dienstplangestaltung sei mit mir nicht möglich.

Somit war ich im Sommer 2006 arbeitslos!

Das war jetzt erst mal nicht so schlimm, denn wir hatten Fußball-WM in Deutschland. Meine Leute und ich haben jeden Tag Rudelgucken gemacht und wenn kein Fußball im TV war, dann haben wir FIFA auf der Playstation gezockt – und immer schön hoch die Tassen. Der Sommer hat richtig Laune gemacht aber mal so richtig. Ein sehr prägender Sommer. (Pete Townshend der Gitarrist von „The Who“, hat mal auf die Frage von einer Reporterin, die ihn gefragt hat, was sein geilstes Erlebnis im Leben gewesen sei, geantwortet: „Als ich das erste Mal Heroin konsumiert habe.“

Und was war das schlimmste Erlebnis? „Als ich das zweite Mal Heroin konsumiert habe.“ So richtig geiles Erleben lässt sich leider niemals wieder so reproduzieren, egal wie sehr und oft wir es versuchen.)

Am Ende des Sommers wollt ich mal wieder arbeiten gehen und hatte auch ein Angebot als Krankheitsvertretung in einem Seniorenzentrum im Nachbarort. Aber irgendwie ging es mir nicht so gut, wenn ich weniger Alkohol konsumiert habe! Nüchtern zur Arbeit gehen sollte ja schon mal die Grundvoraussetzung sein.

Das war morgens auf der Bettkante viel schlimmer als ein normaler Kater.

Ich hab am ganzen Körper gezittert, geschwitzt wie ein Schwein und genauso hat es auch gestunken. Hab dauernd gewürgt, es kam aber nichts raus und mein einziger Gedanke war: Saufen, Saufen, irgendwie den Alkohol in mich rein kriegen – bis der Gedanke kam: Ich muss mal pinkeln! Aufgestanden und zack – auf der Fresse gelegen! Haben meine Beine nicht das gemacht, was mein Kopf von ihnen wollte.

Bin dann auf allen Vieren in das Wohnzimmer gekrabbelt. Da war noch eine Flasche Jägermeister. Bei der ganzen Würgerei und der Zitterei versucht, den Alkohol in mich rein zuschütten!

Sobald der Alkohol in meinem Magen ankam, gab es ein wohlig-warmes Gefühl im Bauch. Und je mehr Alkohol in meinem Blut ankam, umso besser wurden meine Symptome. Das Zittern wurde weniger, das Würgen auch, das Schwitzen ließ nach und ich konnte auch wieder fast normal denken – und auf meinen zwei Beinen zum Klo gehen!

Mein Körper war jetzt abhängig davon Alkohol zu bekommen, um überhaupt normal zu funktionieren. Ich hatte Entzugserscheinungen!

Das hat mir dann mein Hausarzt quasi auch genauso abgenickt und mich zur stationären Entgiftung eingewiesen!

Wenn wir etwas zu uns nehmen, was uns berauscht, ist das immer eine Vergiftung. Ein kleines Bier ist eine Vergiftung, eine Flasche Wodka auch! Das eine ist eine kleine, das andere eine massive Vergiftung – frei nach Paracelsus: Die Menge macht das Gift!

Wenn wir uns also zum Berauschen vergiften, fährt unsere Hirnleistung herunter, ungefähr so als würden wir den Dimmer einer Lampe runter regeln. Bleibt dieser Zustand durch ständigen Konsum länger erhalten, gewöhnt sich das Gehirns daran. Und wenn wir dann das Gift auf einmal weglassen, ist das im Gehirn, als würden wir die Lampe am Dimmer voll aufdrehen und noch einen 1000 Watt- Strahler daneben stellen. Das Gehirn funktioniert mit Strom und Botenstoffen und nun kann es hier zu Kurzschlüssen und Fehlverschaltungen kommen. Da kann man Krampfanfälle bekommen oder in das Delirium tremens fallen. Beides sind lebensbedrohliche Zustände.

Das Delirium tremens kann Halluzinationen und Wahnvorstellungen hervor bringen, die so realistisch und teilweise so schlimm sind, dass sie körperliche Reaktionen bis hin zum Herzinfarkt oder Schlaganfall auslösen können. Das ist dann, wenn man hört, der hat z. B. weiße Mäuse oder rosa Elefanten gesehen – nicht eine weiße Maus...tausende! Und auch ein Mensch in der Entgiftung weiß, dass es keine rosa Elefanten gibt. Und genau das macht den Stress. Oder jemand glaubt, das Fenster ist der Weg nach draußen – aus dem 3. Stock keine gute Idee! Also Entgiften IMMER unter ärztlicher Aufsicht!

Sitze in der für meinen Wohnort zuständigen Psychiatrie und der aufnehmende Psychologe mir gegenüber sagt wörtlich: „Ja herzlichen Glückwunsch, Herr Schüsseler, sie sind Alkoholiker!“ So ist er eben. Ein ganz feiner Mensch. Ganz ehrlich, der Psychologe, und sehr direkt. Hab ihn zu dieser Zeit quasi gehasst, weil er immer Sachen gesagt hat, die ich nicht hören wollte.

Meine Oma hat früher immer zu mir gesagt: „Junge, du kannst vieles machen, aber pass auf, dass du nicht so ein Suchti wirst!“ Jetzt konnte meine Oma ganz stolz auf mich sein!

Ich habe dann dort 10 Tage entgiftet.

Auf die Frage, wie es denn im Anschluss weitergehen könnte, hab ich wahrheitsgemäß geantwortet: Jetzt hab ich ja körperlich entgiftet und eine Menge gelernt. Jetzt hab ich es wieder im Griff und kann wieder ganz normal trinken!

Bin dann in der Krankheitsvertretung angefangen zu arbeiten. Das erste Wochenende hatte ich Dienst, das zweite war frei. Kommt der Kumpel und meint, da wäre am Wochenende eine Party – ich käme ja wohl auch?! Nee, hab ich gesagt, man hat mich eindringlich vor solchen Situationen gewarnt. Besser, ich bleibe zu Hause. – Ach komm mal ruhig, das ist immer so lustig, wenn du dabei bist. Wir passen schon auf dich auf! Und schon hatte ich die scheinbar harmlose Entscheidung getroffen dahin zu gehen.

Mein Kumpel hat sehr gut auf mich aufgepasst: Er hat immer aufgepasst, dass ich genug Alkohol zu trinken hatte. Das ist immer so lustig, wenn ich besoffen bin, dann rede ich immer lustige Sachen und mache immer so krasse Aktionen!

Am Montag morgen musste ich auf der Arbeit anrufen um mich krank zu melden. Ich hatte mich mal wieder völlig abgeschossen! Hab irgendwas von Rückenschmerzen erzählt. Und weil mir das so unangenehm war mich krank zu melden und ich einen elenden Kater hatte, musste ich erst einmal ein Konterbier trinken.

Zwei Stunden später hat die Pflegedienstleitung bei mir angerufen und mir erklärt: Ganz ehrlich du brauchst hier gar nicht mehr zur Arbeit kommen!

Wenn ihr euch irgendwann um eine Arbeit bewerbt und ihr geht in das Vorstellungsgespräch, dann braucht ihr keine Fragen über euren Gesundheitszustand beantworten. Die Mädels brauchen auch nichts über Schwangerschaft sagen. Das darf nicht mal gefragt werden!

Wenn ihr allerdings in einem Beruf arbeiten wollt, in dem es um Menschen geht (Pflege, Kindertagesstätte, Schule oder ähnliches) und ihr habt eine diagnostizierte Suchterkrankung, dann müsst ihr das eurem zukünftigen Arbeitgeber von euch aus mitteilen. Solltet ihr dann nämlich rückfällig werden, sind die Menschen, um die ihr euch kümmern wollt, gefährdet!

Also wussten die in dem Seniorenzentrum um meine Situation und dass ich nach dem Wochenende alles hab, aber keine Rückenschmerzen. Und zack – war ich wieder arbeitslos. Es ist aber auch immer sooo lustig, wenn ich zu Partys gehe. Da kann man mit mir immer richtig viel Spaß haben!

Von 2006 bis 2010 war ich achtmal zur stationären Entgiftung. Ich hatte auch zwei Langzeittherapien. Das bedeutet, dass ich jeweils vier Monate weit weg von zu Hause in einer Klinik war. Da waren ganz viele Ärzte, Krankenschwestern, Therapeuten/innen, Sozialarbeiter/innen und jeden Tag hatte ich Gruppen- und Einzelgespräche. Und alle diese Menschen haben mir jeden Tag gesagt: Trinken sie nicht mehr, kiffen sie nicht mehr, das ist nicht gut für sie, sie können damit nicht umgehen, das nimmt ein schlimmes Ende mit ihnen. Und ich habe aus tiefster Überzeugung gesagt: Hab ich verstanden! Weiß ich jetzt! Ist kein Problem!

Jede/r von euch weiß, dass sie oder zu viel am Smartphone hängt. Dass es kacke ist, soviel zu zocken und nichts für die Schule zu tun. Das wisst ihr alles! Aber: Es fühlt sich so geil an! Und deswegen muss man das machen!

Die Sache mit der Suchterkrankung hat ungefähr fünf Prozent mit Denken zu tun. 95 Prozent sind Gefühl! Und genau da ist das Problem! Ich wusste auch alles, aber kaum war ich wieder zu Hause, war ich hackenvoll!

2010 sagte mein Fallmanager beim Arbeitsamt zu mir, dass ich irgendwie immer nur in Entgiftungen oder Therapien bin, also krankgeschrieben. Wenn man dem ersten Arbeitsmarkt aber nicht zur Verfügung steht, dann bekommt man kein Hartz IV mehr, sondern nur noch Grundsicherung (Sozialhilfe hieß das mal) und das wäre weniger Geld. Ob ich überhaupt nochmal wieder ans Arbeiten komme, darüber müsste jetzt ein Gutachten erstellt werden. Da käme jemand vom Gesundheitsamt vom Sozialpsychiatrischen Dienst zu mir und würde eben dieses Gutachten erstellen.

Diese Frau hat mich dann auch angerufen zwecks Terminabsprache. Bei den ersten beiden Telefonaten hab ich ihr erst mal erklärt, wie hochqualifiziert und medizinisch ausgebildet ich bin. Und dass es nur eine Frage der Bewerbung und der Zeit sei, bis ich wieder einen Job habe. Und ob sie überhaupt wisse, wie viele Leben ich schon gerettet habe.

Beim dritten Telefonat kam ich kaum zu Wort und ich bekam die Ansage, dass sie am 07.09.2010 zu mir käme und wenn dann die Tür nicht aufginge, sie diese öffnen lassen würde. Sie müsste mich von Amtswegen her begutachten. Mein Fallmanager hätte erhebliche Sorge um meine Person geäußert.

Ich hatte an besagtem Tag morgens ein Stück Pappe in die Tür geklemmt – aus Sorge, ich könnte diese nachmittags nicht auf machen! Und ich konnte von meinem Sessel die Tür im Auge behalten.

Als die Frau vom Gesundheitsamt in meine Wohnung kam, konnte ich ihr Gesicht ganz genau sehen und diesen Gesichtsausdruck werde ich mein ganzes Leben lang nicht mehr vergessen. Ich hab gedacht, sie kotzt mir in den Flur!

Ich saß nackt, bepisst, bekackt in meiner völlig verwahrlosten Messi-Bude.

Und ich war nicht mehr der König der Welt! Ich saß da zusammengekauert wie ein kleiner Junge und hab um Hilfe gebettelt: Bitte, bitte helfen Sie mir. Ich muss hier raus. Ich muss unter Aufsicht. Ich kann nicht alleine leben. Am besten, ich geh in stationär betreutes Wohnen.

Die gute Frau hat dann telefonisch eine Einweisung in die Entgiftung klar gemacht und einen Krankentransport bestellt. Die beiden Rettungskräfte waren wohl ziemlich angewidert von mir und meiner Wohnsituation, aber trotzdem total nett und freundlich zu mir. Ich hatte irgendwo noch eine nur halb dreckige Unterhose gefunden und einen Plastikbeutel mit meiner Geldbörse und meinem Tabak darin. So wurde ich von den Feuerwehrleuten zum Krankenwagen gebracht.

Was passiert, wenn irgendwo ein Feuerwehrwagen steht?

Alle bleiben stehen und müssen erst mal gaffen. Und am besten macht man mit dem Handy noch ein Video, damit der Kumpel einem auch glaubt. Oder am besten für das Internet! Scheiß doch drauf, wie es dem Menschen geht, der da gerade versorgt wird, und scheiß auch auf seine Menschenrechte, wie z. B. Würde oder so. ICH muss wissen, was da los ist! MEINE Neugier muss befriedigt werden!

Als ich auf die Entgiftungsstation gebracht wurde, hat mich die aufnehmende Krankenschwester nicht erkannt, obwohl sie mich sonst schon mit „Hallo Herr Schüsseler“ begrüßt hat.

Wenn wir früher verwahrloste Menschen auf die Station bekommen haben, mussten wir sicherstellen, dass diese keine Parasiten im Haus verteilen, z. B. Läuse, Flöhe, Scabies (Krätzemilben). Das gehörte dann auch mal zu meinen Aufgaben. Eine Krankenschwester mit Gesichtsmaske, Haube, Einmailkittel und Handschuhen kam in mein Zimmer und hat am Kopf angefangen, mich nach diesen üblen Mitbewohnern abzusuchen – in den Haaren, in den Ohren, die gesamte Haut, unterm Hodensack, in der Arschritze. Wenn ich das bei Patienten gemacht hab, war das für mich längst nicht so schambesetzt wie in diesem Moment. Diese Krankenschwester tat mir richtig leid! Ich war so dreckig, ekelig und abstoßend.

Zwei Stunden später bekam ich einen Hustenanfall, der immer schlimmer wurde und sich schließlich zu einem Erstickungsanfall entwickelte. Hab nur noch nach Luft gejabst, wie ein Fisch auf dem Trockenen. Da die Psychiatrie nun mal kein Akutkrankenhaus ist, also nicht über Notfallgerätschaften verfügt, wurde ein Rettungswagen samt Notarzt alarmiert, der mich dann in das Krankenhaus der nächst größeren Stadt gebracht hat, in das Franziskushospital nach Münster.

Der Arzt in der Notaufnahme war sehr freundlich und auch sehr ehrlich und meinte: „Herr Schüsseler, ich habe noch keine Ahnung, was sie haben, aber sie werden wohl sterben, wenn wir sie nicht zeitnah beatmen.“ – „Ich werde nicht beatmet! Ihr könnt mir alle notwendigen Medikamente geben, aber ich komme an keine Maschine! Hab ein Patiententestament! Ich kann und will so nicht mehr leben!“

So wurde ich erstversorgt und dann auf die Intensivstation verlegt. In dem Glauben, die Nacht nicht zu überleben, bin ich einfach weggepennt. (Im akuten Erstickungsanfall bekommt der Patient gegen die Todesangst Morphium verabreicht. Das beruhigt und entspannt sehr stark!

Jetzt müsst ihr wissen, mein Bruder ist Berufsfeuerwehrmann der Stadt Ahlen/Westfalen. (Das ist der Ort wo ich herkomme!) Der ist auch mittlerweile Stadtoberbrandinspektor, Lehrrettungsassistent, Lehrrettungstaucher, also ein sehr erfolgreicher Feuerwehrmann – halt Chef des Ahlener Rettungsdienstes. (Hauptsache, der wird nicht wieder so schnell befördert, dann muss ich von dem Buch eine neue Auflage drucken lassen. ;))

Naja, 2010 war er eben ganz normaler Feuerwehrmann im Rettungsdienst. War auf der Feuerwache, als der Kamerad von ihm, der mich in die Psychiatrie nach Telgte gebracht hatte, auf ihn zu kommt und fragt: „Sag mal, kennst du einen Timo Schüsseler?“ „Jupp, das ist mein Bruder. Den hab ich jetzt 10 Jahre nicht mehr gesehen. Was ist mit dem?“ „Das willst du gar nicht so genau wissen!“ „Wo hast du den weggeholt?“ „Das willst du auch nicht so genau wissen. Ich sag dir nur, ruf mal in Telgte an. Es sieht nicht gut aus!“

Bei dem Telefonat hat mein Bruder dann erfahren, dass, wenn er mich nochmal lebend sehen will, er ziemlich schnell nach Münster fahren sollte. Er hat sich dann aus dem Dienst entlassen, hat unseren Vater ins Auto gepackt und sie sind dann zum Krankenhaus nach Münster gefahren. Als er auf der Intensivstation angekommen war, hat die Krankenschwester gemeint: „Ach, Sie sind die Angehörigen von dem da?! Schön, dass Sie sich auch mal blicken lassen! Und besorgen Sie dem mal eine Unterbuchse und so, der hat nix!“ Nachdem mein Bruder die Krankenschwester über den richtigen Umgangston mit Angehörigen aufgeklärt und auch erklärt hat, dass wir seit zehn Jahren keinen Kontakt mehr hatten, hat sie ihm dann das Zimmer gezeigt, in dem ich lag.

Manchmal ist mein Bruder bei solchen Vorträgen dabei (von daher kann ich das hier wiedergeben) und schildert die Erlebnisse aus seiner Sicht. Dann könnt ihr einem 40 jährigen erwachsenen Mann mit 20 Jahren Feuerwehrdienst-Erfahrung dabei zugucken, wie dem die Stimme zittert und die Tränen in die Augen schießen. Es ist ein erheblicher Unterschied, ob man tote Kinder aus Autos schneidet oder Selbstmörder von Zügen kratzt, zu denen man keine emotionale Bindung hat – was ohne dies auch schon grausam genug ist! – oder ob es sich um einen Menschen handelt, den man mag oder sogar lieb hat!

Da lag ein aufgedunsenes, völlig dreckiges, verwahrlostes Wesen im Bett, was immer nur gestöhnt hat und mit der Hand Bewegungen gemacht hat, als würde es aus einer Flasche trinken. Er sagt immer, der Anblick war wie vor einen Panzer laufen.

Zusammen mit meinem Notfallkontakt, meiner besten Freundin, hat dann das Trio beschlossen, dass ich unter Betreuung gestellt werde! (Früher hieß das „entmündigt“.) Ich war also 33 Jahre alt und durfte gar keine Entscheidung mehr über/für mein Leben treffen!

Die haben dann entschieden, dass ich beatmet werde. Ich wurde dann in ein künstliches Koma versetzt. Während des Komas sind alle meine Organe ausgefallen – das berühmte Multiorganversagen. Hatte eine richtig heftige Pneumonie (Lungenentzündung) mit Lungenversagen und eine massive Pankreatitis (Bauchspeicheldrüsenentzündung). Beides in Kombination führte zu einer massiven Sepsis (Blutvergiftung), mit der oben genannten Folge des Multiorganversagens.

Da auch natürlich meine Leber vom Systemausfall betroffen war, hat sich in meinem Körper Ammoniak angereichert. (Ammoniak ist unter anderem in Haarfärbemitteln oder auch in aggressiven Reinigungsmitteln!) Ammoniak und Nervenzelle vertragen sich überhaupt nicht. Die Nervenzelle ist bei Kontakt quasi direkt hin! Ammoniak hat auch die Eigenschaft über die Blut-/Hirnschranke hinaus in das Gehirn zu gelangen und hat da bei mir einiges an Schäden hinterlassen. Hinzu kommen, durch einen erheblichen Mangel an sämtlichen Elektrolyten, Schäden an den Ummantelungen der Nervenzellen – Pontine Myelinolyse (Stammhirnschaden). Wenn man MRT-Bilder meines Gehirns betrachtet, sind da an manchen Stellen weiße Flecken. Da fehlt mir Hirnmasse!

(Da ich definitiv nicht nochmal Bock auf ein Lungenversagen habe, sitze ich schon zehn Tage länger in häuslicher Quarantäne als meine Mitmenschen, denn verlieren wir nicht aus den Augen, dass ich zu dieser Erfahrung auch noch mit dieser sowieso und besonders jetzt gerade nicht sehr förderlichen Angststörung lebe. Und ich krieg eine echt heftige Wut auf alle, die sich zur Zeit nicht an die soziale Kontaktsperre halten – zumal ich durch meine medizinischen Ausbildungen Infektionsketten sehr gut kenne und weiß, was Viren anrichten können. Das ist alles kein Spaß mehr! SARS-CoV-2 kann COVID 19 auslösen und das kann Menschen das Leben kosten! Durch Lungenentzündung zum Lungenversagen! Stand: 26. März 2020)

In meinem Koma bin ich dann wohl ziemlich in das Delirium tremens gerutscht und hatte diese Wahnvorstellungen und Halluzinationen. Meine Mutter hat mich erschießen lassen, weil ich so ein scheiß Sohn war....

(Wer das genau wissen möchte, liest das Kapitel „Träume“ aus meinem ersten Buch „Vom Nullpunkt in ein neues Leben“.)

Nach zwölf Tagen, vielen heftigen Medikamenten, zwei Bluttransfusionen und anderen invasiven Behandlungen hat man mich dann aus dem Koma aufgeweckt, frei nach dem Motto: Der atmet jetzt selbstständig oder eben auch nicht. Ich hab dann selber geschnorchelt und konnte genau zwei Sachen bewegen: Meine Augen, sonst nichts. Jetzt erinnern wir uns mal kurz an meinen Bewohner aus dem Altenheim. Der hatte eine Windelhose um, einen Katheter, eine Magensonde konnte nicht sprechen und sich nicht bewegen! Ich hatte eine Windelhose um, einen Katheter, eine Magensonde, konnte nicht sprechen und mich nicht bewegen! Aber MIR passiert das ja nicht, denn ich bin ja schlau!

Es hat dann so vier Monate gedauert, bis ich einigermaßen am Rollator stehen, wieder ein bisschen sprechen, einen Löffel halten konnte! Und bis ich mir wieder gänzlich alleine den Arsch abputzen konnte, hat es fast sechs Monate gedauert!

Heute beziehe ich voll Erwerbsunfähigkeitsrente, das heißt ich bin Rentner. Mein Körper hat sich nie wieder richtig erholt. Ich habe generalisierte Polyneuropathie, alle Nerven in meinem Körper sind geschädigt. Und Jungs, wenn ich sage alle Nerven, dann meine ich alle Nerven! Und wenn dieses berühmte Pharmaunternehmen nicht diese kleine blauen Pillen entwickelt hätte, wäre mein Leben noch beschissener.

Ich habe Knochenmarktinfarkte in beiden Sprunggelenken. Die sind chronisch entzündet und machen bei jedem Schritt schmerzen.

Meine Konzentrationsfähigkeit liegt so bei 2-3 Stunden pro Tag, genau wie meine körperliche Belastungsgrenze! Wenn ich müde werde, lalle ich, fang an zu zittern oder werde sogar ataktisch. Dann machen meine Hände und Finger irgendwie nicht, was ich in dem Moment gerne hätte. Das ist ziemlich unlustig beim Zwiebelschneiden oder so. Daher brauche ich jeden Tag einen Mittagsschlaf, sonst bin ich in den späteren Tagesstunden gar nicht mehr zu gebrauchen.

Ich habe mir 2010 im besoffenen Kopf bei einem Sturz den linken Oberarm gebrochen. War einmal zum Röntgen, weil der ganze Arm blau war, aber ansonsten hab ich das nicht weiter behandeln lassen. Hätte auch bedeutet, dass ich den Alkohol hätte weglassen müssen. Alkohol und Ibuprofen tun es auch gegen die Schmerzen.

Da ist dann alles irgendwie doof zusammen gewachsen und ich konnte Ende 2015 den Arm kaum noch bewegen. Das hatte zur Folge, dass ich im Februar 2016 ein neues Schultergelenk eingesetzt bekommen habe, also einen neuen Oberarmkopf. Da die nicht ganz billig sind, habe ich jetzt innere Werte!

Wenn ich am Ersten des Monats meine Rente auf mein Konto bekomme und dann die Miete und die Stadtwerke überwiesen habe, bleiben mir im Monat zum Leben, für Essen, Trinken, Kleidung, Tabak – alles, was ich so brauche – 274,86 €.

Und alle, die jetzt denken: Da ist er doch selber schuld! Das ist richtig! Ganz genau! Der Einzige, der für meine Situation die Verantwortung, trägt bin ich! Und sonst niemand!

Und jetzt kommt mein Spruch, der immer an dieser Stelle im Vortrag kommt:

Ihr könnt mich jetzt alles fragen, was ihr wollt – und ich meine wirklich alles! Keine Scheu oder Scham! Gibt keine doofen Fragen, nur manchmal doofe, unzulängliche, lapidare Antworten! Und glaubt mir, ihr könnt mir keine Frage stellen, die mir in den letzten fast neun Jahren nicht schon irgend ein/e Schüler/in, Studierende/r, Häftling, Sportler/in, Elternteil, Lehrer/in, Sozialarbeiter/in, Betroffene/r, Angehörige/r usw. gestellt haben.

Die Sache hat nur einen kleinen Haken: Es gibt definitiv eine ehrliche Antwort!

Und jetzt ist die Stelle in meinem Vortrag, wo man in dem Raum eine Stecknadel fallen hören könnte! Lehrkräfte sagen dann nachher: So ruhig waren die noch nie! Guter Zeitpunkt, einen Schluck Kaffee zu trinken. ;)

Fragen, Antworten, Ansagen

In der Regel geht es dann so nach ein paar Minuten mit den Fragen los...

Was ist jetzt mit Ihrer Familie?

Ihr könnt mich duzen! Ich hab euch erzählt, dass ich mich eingepisst und eingekackt hab, da ist aus meiner Sicht die Sie-Ebene hinfällig! (Das mit dem Duzen funktioniert dann für zwei weitere Fragen, danach fallen die Schüler meistens wieder in die Sie-Ebene, was ein gutes Zeichen für ihr grundsätzliches Sozialverständnis ist.)

Aber weiter: Trinkst du immer noch? Was ist mit deinen Freunden? Was machst du so den ganzen Tag? Alles gute und wichtige Fragen! Die häufigst gestellten Fragen werden hier auch im Folgenden beantwortet!

Was ich allerdings ein bisschen tragisch finde, ist, dass weder bei jugendlichem noch bei erwachsenem Auditorium eine Frage nicht auftaucht: Wie kann ich verhindern, dass mir das so oder so ähnlich selber passiert? Alle sind ganz angefasst und betroffen nach meiner biografischen Schilderung und das ist auch gut so, aber gleichzeitig schieben das alle ganz weit von sich weg! Niemand glaubt wirklich, dass ihn das betreffen könnte!!!

Um herauszubekommen, wie man verhindern kann suchtkrank zu werden, müssen wir erst mal klären, wie man suchtkrank wird.

Viele glauben, wer regelmäßig und viel konsumiert, wird suchtkrank. Oder es passiert etwas ganz Schlimmes im Leben und dann fängt jemand an zu konsumieren und wird darüber suchtkrank.

Das ist beides sicherlich richtig, aber es gibt eine Frage, die sich jeder vor seinem Konsum stellen sollte und die ist wirklich elementar wichtig:

Warum will ich jetzt konsumieren?

Und ist die Antwort, um ein Ziel zu erreichen, wird die ganze Geschichte heikel!

Beispiel 1:

Ein Schüler, nennen wir ihn Peter. (Da gibt es heute Namensgebilde unter den Schülern, das ist manchmal echt schwierig die auszusprechen, geschweige denn sie sich zu merken! Naja, aber das ist mit meinem Kopf eh nicht so einfach...) Peter ist 14 Jahre alt. Und Peter findet die Steffi in seiner Klasse irgendwie schon super. Im Unterricht kann er sich auf mal gar nicht mehr so gut konzentrieren, da ist nur Steffi in seinem Kopf, zu Hause Essen ist auch nicht so einfach, da ist überall Steffi in seinem Bauch – vom Schlafen mal ganz abgesehen. Überall ist dieses wundervolle Wesen.

Und Peter weiß gar nicht, was er da machen kann, er ist nämlich ziemlich schüchtern. (Schüchtern ist ja auch nichts Schlimmes, bis dann die Idioten kommen, die sich darüber lustig machen, weil sie gerade mit sich selber auch nicht gut zurechtkommen).

Da macht der Peter sich wochenlang Gedanken und entwirft Szenarien, wie er es hinbekommen könnte, mit Steffi zusammenzukommen. Das ist echter, richtiger Stress, den der Peter da gerade durchlebt. Das richtig anstrengend! Jemanden zu fragen, traut er sich aber auch nicht. Er könnte ja ausgelacht werden!

Dann ist Peter irgendwo auf einer Feierlichkeit und zufällig sind viele von Peters Mitschülern auch da – auch Steffi! Und der aus der Klasse, der immer die dickste Backe hat, so ein vermeintlicher Checker, der sowieso weiß, wie alles läuft.

Der Checker nimmt den Peter zur Seite und sagt ihm: „Jetzt trinkst du dir mal zwei Bier und dann machst du da die Steffi klar! Das ist ja nicht auszuhalten mit dir.“ Und der Peter trinkt das erste Bier, dann das zweite und so langsam wird er ganz locker und stellt fest: Ich bin schon irgendwie ein toller Typ! Geht zu Steffi und spricht sie an.

Steffi mag so Typen, die so selbstbewusst nach vorne gehen und mutig sind. Und von daher klappt das mit dem Näherkommen super.

Diese Situation passiert in Deutschland jedes Wochenende tausendfach! Weltweit wahrscheinlich millionenfach! Fast alle machen das! Wo ist das Problem?

Zuallererst hat Peter die Steffi mal belogen. Er ist nämlich von Natur aus gar nicht so mutig und selbstbewusst. Steffi findet den „Alkohol-Peter“ super und nicht den nüchternen Peter und somit muss Peter jetzt jeden Tag zwei Bier trinken, um immer so mutig zu sein.

Irgendwann reichen zwei Bier aber nicht mehr, dann muss er drei trinken, um dieselbe Wirkung zu erzielen! Das nennt man in der Suchtdefinition Dosissteigerung!

(Die WHO (Weltgesundheitsorganisation) hat so sechs Kriterien benannt, die Sucht definieren! Wenn drei von den sechs in den letzten zwölf Monaten bei einer Person zutreffen, gilt diese laut WHO als suchtkrank. Die weiteren Kriterien sind:

• der Zwang, den Stoff zu konsumieren

• Kontrollverlust

• körperliche Entzugssymptome

• Vorratshaltung

• fortgesetzter Konsum trotz Folgeschäden (körperlich, psychisch, sozialer Verfall)

Alle Kriterien werden im weiteren Verlauf erklärt!)

Irgendwann sagt die Steffi dann vielleicht mal: „Ich möchte dich mal küssen, wenn du keine Alkoholfahne hast.“ Und weil der Peter die Steffi so mag, lässt er den Alkohol weg. Steffi stellt dann fest, dass der Peter gar nicht so ist, wie sie sich das vorgestellt hat, und sagt: „Wir müssen mal reden!“ (Jungs, wenn die Mädels sagen, wir müssen mal reden hinsetzen, Fresse halten und zuhören!) Steffi macht dann Schluss.

Männer haben keinen Liebeskummer! Männer haben sowieso nur ein Gefühl: Aggression!!!! Der größte Schwachsinn überhaupt, aber die meisten Kerle wollen so wahrgenommen werden. Männer gehen dann nach Hause, rollen sich auf dem Bett zusammen und heulen dann. Aber das sagen wir keinem. Pssst! Der Checker hat gegen Peters Liebeskummer auch ein Rezept: „Wir gehen erst mal einen saufen!“ Das viel größere Problem ist allerdings, was Peter aus der Situation gelernt hat: Wochenlang hat er Stress, trinkt zwei Bier und alles wendet sich zum vermeintlich Besseren. Liebeskummer fühlt sich echt grausam an. Alkohol drauf gekippt und weg ist das grausame Gefühl!

Beispiel 2:

Ich verrate euch mal ein Geheimnis: Lehrkräfte sind echte Menschen, mit Gefühlen und so, keine App gesteuerten Dinger, die abends ans Ladegerät kommen um am nächsten Morgen wieder die Schüler nerven zu können!

So eine Lehrkraft kriegt in der 5. Klasse ein Sammelsurium an lernwilligen kleinen Menschen dahin gesetzt, die alle ganz fleißig und motiviert mitmachen. Keine 2-3 Jahre später sind aus den motivierten kleinen Menschen „Testosteron-Bomber“ und „Östrogen-Fregatten“ geworden, die alles besser wissen, nicht mehr zuhören und sowieso alles scheiße finden, was Erwachsene erzählen. Und dann sitzt so eine Lehrkraft schon mal abends zu Hause und macht sich Gedanken bis hin zu Sorgen über Schüler/innen. Schaffen die die Versetzung? Was mit denen los? Haben die Probleme? usw.

Und die Sorgen lassen die Lehrkraft gar nicht gut einschlafen. Aber da kann man ja mal ein Glas Wein trinken zum Runterkommen – und das mit dem Schlafen klappt nun viel besser! Heute, morgen, übermorgen...aber irgendwann reicht eben ein Glas nicht mehr. Dann sind es zwei, später drei und noch später vier und schon sind wir bei einer ganzen Flasche. Und irgendwann wird das mit dem morgens aus dem Bett kommen immer schwieriger. Und vielleicht kommt dann irgendwann die Schulleitung und beschwert sich über Zuspätkommen, unkonzentriert sein...

(Das mit dem besser Schlafen durch Alkoholunterstützung ist sowieso ein Trugschluss. Alkohol ist Nervengift! Und auch wenn unsere Wahrnehmung ist wir hätten gut geschlafen hat der Körper die halbe Nacht voll den Stress das Nervengift wieder abzubauen und loszuwerden. Das ist alles, aber nicht erholsam für den Körper!)

Dieses Beispiel lässt sich natürlich auf sämtliche soziale Berufe ummünzen. Und wenn ihr Stress in der Schule oder mit euren Eltern habt und anstatt euch damit auseinanderzusetzen, geht ihr auf euer Zimmer, macht die Spielekonsole an und mit dem ersten Ton kommt schon so eine Beruhigung und Entspannung und während des Zockens ist der Stress vergessen – Leute, dann fällt eure Spielekonsole oder euer Smartphone auch in diese Kategorie!

(Zurzeit sitzen in Deutschland die meisten Menschen aufgrund der Viruspandemie zu Hause und halten sich an die Kontaktsperre. (An dieser Stelle ein herzlicher Dank an alle, die das wirklich machen!) So eine isolierte Situation auf kleinem Raum fördert natürlich Gefühle wie Angst, Frust, Ohnmachtsgefühl der Situation gegenüber – es ist einfach totaler innerer Stress! In dieser Situation dem Alkohol zuzusprechen, halte ich für immens gefährlich!)

Wenn wir dem Alkohol eine Funktion geben, ist das sehr kritisch. Irgendwann können wir diese Funktion nicht mehr ohne Alkohol ausüben !Der Körper an sich ist sehr effizient ausgelegt, um nicht zu sagen faul. Was der nicht machen muss, macht der auch nicht. Wenn jemand regelmäßig Fettstift auf seine Lippen schmiert, wird die Person irgendwann feststellen, dass sie furchtbar trockene Lippen hat. Die Talgdrüsen um den Mund herum sagen aber nö, wieso soll ich was produzieren?! Kommt doch von außen! Wer regelmäßig Abführmittel nimmt (aus der Fehlwahrnehmung, dann würde man nicht zu nehmen!), muss sich nicht wundern, wenn der Darm irgendwann seine Tätigkeit runterfährt. Wer regelmäßig Augentropfen usw. usw.

Es ist natürlich total anstrengend, vermeintlich schlimme Gefühle auszuhalten oder besser noch anzusprechen und zu bearbeiten, um damit anschließend besser zurechtzukommen, aber es lohnt sich, da es dann ja auch eine Weiterentwicklung gibt! Die Abkürzung ist einfacher und leichter: Konsum von gefühlsverändernden Sachen – mit allen Folgen, die das haben kann.

Wenn ich einen Nagel in die Wand hauen will, nehme ich einen Hammer und ein paar Schläge später kann ich z. B. ein Bild aufhängen. Der Hammer hat auch keine weiteren Gebrauchsspuren. Der ist ja dafür hergestellt! Ich könnte auch einen Schraubendreher nehmen und immer den Griff vor den Nagel hauen. Irgendwann kann ich dann da auch ein Bild dran aufhängen, dauert aber länger und wenn ich dann den Griff begucke, sind da überall kleine Macken/Verletzungen dran. Der Schraubendreher ist dafür nicht hergestellt, bringt aber das gleiche Ergebnis. Wenn ich etwas benutze, wofür es nicht hergestellt ist, dann missbrauch ich das!!!

Wenn man mal auf so eine Alkoholflasche drauf guckt – da steht, wer das hergestellt hat, was da drin ist, wie viel Flüssigkeit da drin ist, wie viel Alkohol das Getränk hat,... Was da aber an keiner Stelle drauf steht, ist „Hergestellt um: Besser schlafen zu können, um das andere Geschlecht besser ansprechen zu können, um sich besser zu fühlen,...“ Und auf überhaupt keinen Fall steht da drauf: „Hergestellt, um Spaß zu haben“.

Alkohol ist ein Genussmittel! Wenn ich den Alkohol also für oben stehende Sachen benutze, missbrauche ich den Alkohol.

Jugendliche wollen saufen, um Spaß zu haben – also geht ihr quasi schon los, um mit Vorsatz Alkoholmissbrauch zu betreiben! Kann man machen, sollte man vielleicht aber mal drüber nachdenken.

Wer kann euch denn davor beschützen, suchtkrank zu werden? Die häufigste Antwort hier ist: Die Eltern oder Freunde!

Aha, also Eltern. Ihr meint also die Menschen in eurem Leben, die, wenn sie sagen: Räum dein Zimmer auf, bring den Müll raus, geh ins Bett, zock nicht so viel, mach lieber was für die Schule, häng nicht immer am Smartphone,... die dann von euch die volle Ladung bekommen: „Boah, nerv nicht rum, bleib mal locker!“ – und anschließend nur noch verächtliche Schimpflaute bekommen. Die könnten euch ansatzweise schützen, wenn ihr ihnen zuhören würdet und das ernst nehmen würdet was die sagen!

Ich kann jetzt hier alles auffahren: paar Flaschen Alkohol, Gras, Heroin, Kokain, LSD, XTC – einfach alles, was es an berauschenden Substanzen gibt. Und nichts davon würde euch anspringen und auf wundersame Weise in euren Körpern verschwinden.

Früher stand im Stadion oder so häufig der Spruch „Keine Macht den Drogen!“ Auf den ersten Blick super aber auch irgendwie auch nicht ganz richtig. Drogen haben keine Macht. Die machen nichts. Und selbst, wenn sie hier in rauen Mengen rumliegen würden, lägen sie einfach nur herum! Ihr müsstet aufstehen, dahin gehen, euch runterbeugen, in die Hand nehmen und dann aufmachen und trinken oder schniefen oder euch in die Vene drücken, vom Blech rauchen oder eine Tüte drehen, anzünden und inhalieren!

Und welchen von all diesen fünf Schritten machen eure Eltern? Ganz genau! Nichts! Ihr alleine geht hin, nehmt es und konsumiert es dann. Also seid ihr auch ganz allein dafür verantwortlich, was dann passiert. Ihr entscheidet das ganz alleine! Jeder dieser fünf Schritte bis auf der Konsum ist im übrigen jederzeit von euch abbrechbar. Ihr könnt schon genau davor stehen oder es schon in Händen halten, ihr könnt immer noch von eurem Vorhaben zurücktreten. Und wenn ihr mal Samstagabend zu viel getrunken habt und eurer Mutter das halbe Badezimmer vollgekotzt habt und sie fragt besorgt: „Mein Kind, warum hast du so viel getrunken?“ Dann ist die einzig richtige Antwort: „Weil ich das wollte!“

Was ihr nicht wollt, das tut ihr nämlich nicht! Und wenn ihr etwas tu, dann seid ihr Täter, keine Opfer, frei nach dem Motto: Die Anderen haben auch gesoffen. Das ist Opferhaltung! Ich kann da gar nichts für, die Anderen sind schuld!

Das ist wie mit der 5 in Mathe. Die liegt auch nur daran, dass die Lehrkraft so doofe Fragen gestellt hat. Nein, die Lehrkraft hat nur das abgefragt, was sie vier Wochen lang versucht hat euch beizubringen. Und wenn ihr das nicht verstanden habt, seid ihr dafür verantwortlich nachzufragen.

Ach ja, und dann ist da ja noch der sogenannte „Gruppenzwang“: Da ist dann eine Gruppe, die hat für ihr Beisammensein Regeln aufgestellt. Die eine Gruppe trinkt, die andere Gruppe kifft oder kokst oder alles zusammen, gibt auch Gruppen, die hauen auf Ausländern herum oder töten Politiker oder einfach anders Denkende oder anders Gläubige, wie auch immer! Wenn ich jetzt bei diesen „super“ Gruppen mitmachen möchte, muss ich mich ja an die jeweilige Regel halten, also auch konsumieren oder hauen oder Schlimmeres! Und trotzdem entscheide ich ganz alleine, ob ich das machen will! (GEGEN DUMMHEIT UND INTOLERANZ!!!)

Und nochmal

Jede/r Einzelne von euch entscheidet ganz alleine, was er/sie tut – mit allen Konsequenzen. Das nennt sich Eigenverantwortung!

Hast Du noch Kontakt zu deinen Freunden von früher?

Ich bin früher von meinen Leuten gerne zu Partys eingeladen worden. Die wussten zwar, dann wird es teurer, aber ich habe da eine ganz bestimmte Funktion erfüllt.

Wisst ihr, warum so viele Menschen nachmittags RTL Und RTL2 gucken?

Ist ganz einfach: Solange die da dümmer sind als ich, geht es mir gut. (Und die sind da immer dümmer!) Wir neigen nämlich dazu, uns immer mit anderen zu vergleichen: „Der Tischnachbar hat aber eine 6 Mathe, ich nur eine 5!“ Das finden eure Eltern besonders gut und sagen dann natürlich: „Ach, mein Kind, dann ist es ja gut.“ (Nein, das sagen die natürlich nicht!)

Wenn ich auf Partys eingeladen wurde, war klar, dass ich mich wieder voll abschieße und später irgendwo rumliege oder mich sogar eingepisst habe, wenn ich mal wieder dem Wodka zugesprochen habe. Und egal wie voll die anderen Partyteilnehmer waren, sie konnten immer sagen: „Boah, war ich voll, aber hast du Timo gesehen?!“

Solange ich jemanden finde, der mehr säuft als ich, bin ich der bessere Mensch. Ich saufe vielleicht auch zu viel, aber der...! Die Krux mit der Eigen- und Fremdwahrnehmung... Wenn jemand einem eine Zigarette anbietet und man sagt: „Nein danke, ich möchte nicht!“, wird das in der Regel akzeptiert. Wenn jemand einem ein Bier anbietet und man sagt: „Nein danke, ich möchte nicht!“, dann wird das in der Regel nicht akzeptiert. „Ach komm, eins kannst du trinken...eins!“ Und wenn das mit dem ersten geklappt hat, kommt sofort: „Auf einem Bein kann man nicht stehen.“

Warum machen die Leute das?

In Deutschland ist es völlig in Ordnung, Alkohol zu trinken – in Gesellschaft! Wenn da jemand alleine steht und was trinkt, ist das schon nicht ganz so in Ordnung. Also braucht derjenige einen Anderen, der seinen Konsum quasi legitimiert. Zwei sind ja schon mal eine kleine Gesellschaft.

Da ich heute keinen Alkohol mehr trinke, legitimiere ich niemandes Konsum mehr. Ich könnte ja sogar anmerken, dass mein Gegenüber vielleicht zu viel konsumiert, und somit wollen meine Leute von früher mit mir nicht mehr so viel zu tun haben. Im Grunde gar nichts mehr.

Ich hatte einen Freund, mit dem habe ich mich jeden Montag- und Donnerstagabend zum FIFA zocken getroffen. Dabei gab es auch immer reichlich zu trinken. Nachdem ich wieder im Leben war, haben wir uns bei mir getroffen. Unter der Vorgabe meinerseits, dass es keinen Alkohol gibt, wollten wir ein bisschen FIFA zocken.

Wir haben keine vier Minuten gespielt, da hat meine Hand aus Reflex dahin gegriffen, wo früher mein Bier gestanden hätte. Die Situation mit dem Kollegen und dem Spiel hat mich fast wieder in alte Muster zurückfallen lassen. Ich habe das Spiel und den Besuch sofort abgebrochen!

Wieso trinkst du heute keinen Alkohol mehr? Gar keinen? (Schüler gucken mich dann immer ganz ungläubig an:))

Hat sich eine/r von euch schon mal vorgenommen, so zwei Stunden zu zocken, und hat nach vier Stunden gemerkt: „Ups, das hat nicht so gut geklappt?!“

In der Regel zeigen hier 70 Prozent der Schüler auf.

Und in der Erwachsenenrunde: Hat sich schon mal eine/r von euch vorgenommen, auf der Feierlichkeit oder auch zu Hause nur ein Bier zu trinken, und ist dann doch ziemlich betrunken ins Bett gegangen?!

In der Regel zeigen hier bis auf wenige Ausnahmen fast alle auf und kommentieren das (so wie die Schüler) mit amüsierten Kommentaren.

Das nennt man in der Suchtdefinition der WHO: Kontrollverlust!

Das bedeutet nicht, ich habe zu viel getrunken und habe keine Kontrolle mehr über meinen Körper, sondern ich kann meine Konsummenge nicht mehr kontrollieren! Wenn ich heute ein Bier trinke, bin ich in 6-8 Wochen tot, da ich meine Konsummenge in keiner Weise kontrollieren kann.

Hinzu kommt, dass ich dann mein Leben nicht mehr auf die Reihe bekäme. Ich würde nur noch trinken, bis ich schlafe, und nach dem Aufwachen so weiter. Hätte mich selbst belogen und betrogen, mein gesamtes Umfeld enttäuscht und dann macht auch Abstinenz keinen Sinn mehr! Und wenn irgendetwas keinen Sinn macht, warum soll ich das dann tun?! Wäre wieder voll in der Fremdbestimmung, das heißt mein Alkoholpegel würde wieder bestimmen, wann ich schlafen kann, wann einkaufen, wann essen – also quasi wie das, was euch im Moment ziemlich auf den Sack geht, dass alle Menschen euch sagen, was ihr zu tun habt: Hausaufgaben, Hausarbeit, also Spülen, Müll raustragen, Zimmer aufräumen, zur Schule gehen,... (Im Übrigen ist geringe Hausarbeit für Kinder im elterlichen Haushalt im Bürgerlichen Gesetzbuch festgeschrieben – und zwar unentgeltlich. Ohne Bezahlung!)

Ihr habt doch sicher alle beste Freunde oder beste Freundinnen?! Ab wann würdet ihr denn sagen, konsumieren die zu viel von irgendwas?

Und ich meine jetzt nicht den akuten Konsum, sondern schon den längerfristigen.

Akut bedeutet, wir gehen heute los, um zu saufen. Und da ist es dann auf jeden Fall quasi schon zu viel, wenn jemand nur noch sehr undeutlich spricht. Sollte dann noch die Motorik aussetzen, also Torkeln oder so, dann ist es erheblich zu viel. Da gilt auch eine Regel: Wer zusammen los geht, geht auch wieder zusammen heim! Und sollte sich jemand so sehr abschießen, dass er es kaum noch schafft mitzukommen, dann wird der- oder diejenige nicht liegen gelassen, sondern Hilfe geholt! Wer sehr stark alkoholisiert ist, also eine starke Vergiftung hat, läuft Gefahr, bei niedrigen Außentemperaturen zu unterkühlen, da Alkohol die Blutgefäße erweitert und sich somit der Wärmeverlust erhöht. (Ein Grund, warum die betrunkenen „Spacken“ im Fußballstadion teilweise ohne Oberbekleidung rumgröhlen.)

Ein anderes Problem ist, dass Alkohol die Schutzreflexe des Körpers außer Funktion setzen kann. (Schutzreflexe sind z. B. Zwinkern, wenn was in das Auge fliegt, Husten, wenn wir uns verschlucken...). Jemand, der sehr stark alkoholisiert ist, kann, wenn er sich übergeben muss und sich in der falschen Lage (auf dem Rücken) befindet, an seiner eigenen Kotze ersticken (siehe Amy Winehouse, Janis Joplin...!) Da könnte man schon mal für Abhilfe sorgen, indem man die Person in die stabile Seitenlage bringt! (Wenn ich das hier jetzt vor einem Auditorium vortragen würde, könnten und würden wir das nochmal üben/auffrischen!) Spätestens dann wird es Zeit für einen Anruf beim Rettungsdienst.

Alle haben irgendwann mal die drei „W“ gelernt, die man auf sagen soll, wenn man die Rettungsstelle anruft (Wer ruft an, wo ist der Notfall,...)! Das wird heute nicht mehr so gemacht, da die Person, die anruft, sich in erheblichen Stress befindet. Die Person, die den Notruf annimmt, übernimmt direkt die Gesprächsführung und erfragt, was sie unbedingt wissen muss! Also im Grunde ganz einfach! Man kann nichts falsch machen, außer die hilflose Person sich selber überlassen und gar nichts tun. Und ganz ehrlich, den Rettungskräften, die dann vor Ort eintreffen, sollte man unbedingt wahrheitsgemäß Auskunft geben, damit sie dieser Person so gut wie möglich helfen können! Die Rettungskräfte interessiert in dem Moment nur die hilflose Person, nichts anderes! Dass es im Anschluss eventuell Konsequenzen durch eure Eltern oder so gibt, liegt in der Natur der Sache. Alles, was ihr tut, hat eine Konsequenz!

Im Übrigen sind Feuerwehrleute/Rettungskräfte Menschen, die diesen Beruf oder das Ehrenamt gewählt haben, um anderen Menschen in Notlagen zu helfen. Die gehören nicht angepöbelt, beschimpft, bespuckt, geschlagen oder gar mit Waffen bedroht! Ja, mit Waffen bedroht! In meiner Heimatstadt Ahlen, die ca. 55.000 Einwohner hat, führen die Rettungskräfte, weil so was schon vorgekommen ist, stichsichere Westen auf dem Rettungswagen mit, um sich zu schützen! Die haben auch Familie und wollen nach Feierabend heile zu dieser zurückkehren!

Das Gleiche gilt auch für die Polizei! Und seid euch versichert, solltet ihr die im besoffenen Kopf angreifen, weil ihr euch gerade mal total überlegen fühlt, die sind nüchtern und die gewinnen immer!

Diese Menschen können nichts für die Situation, in die ihr euch gebracht habt!

So, ab wann konsumieren Menschen, die ihr mögt oder sogar lieb habt, zu viel? Häufigsten Antworten: Wenn die jeden Tag konsumieren, wenn die keine Zeit mehr für was anderes oder mich haben.

Das wäre dann der nächste Punkt der Suchtdefinition der WHO: Konsum trotz sozialem Verfall! Konsum ist wichtiger, als sich mit Freunden oder Bekannten zu treffen.

Sehr häufig kommt aber auch Schulterzucken und: „Keine Ahnung!“

Jemand, den ich mag oder sogar lieb habe, konsumiert ab dem Moment zu viel, ab dem es mich stört! Und dann ist es egal, ob der jeden Tag oder raue Mengen konsumiert. Ab dem Moment, wo es mich stört, ist es zu viel!

Meinen besten Kumpel treffe ich, wenn es die Zeit erlaubt, einmal die Woche. Wenn der dann jedes Mal eine Alkoholfahne hätte, würde mich das stören. Dann ist mein gutes Gefühl gestört. Und was mach ich dann?

Was würdet ihr machen, wenn euch so was stört?

Die Bandbreite der Antworten ist jedes Mal irgendwie faszinierend und auch bisschen erschreckend! Die Mädels/Frauen wollen in der Regel reden, also das Problem ansprechen: „Ich finde du konsumierst zu viel!“ (sehr gut – Ich- Botschaft).

Bei den Jungs/Männern geht es direkt in den Imperativ: „Lass das mal sein!“, „Hör auf damit!“, „Ich will, dass du das sein lässt,!“ oder gar in die Körperlichkeit: „Ich hau dem eine, dann lässt der das schon sein!“ oder aber: „Ich nehme dem den Stoff weg“! (Ähm...wenn sich jemand etwas kauft, z. B. Alkohol, dann ist das sein Eigentum. Und wenn ich ihm/ihr das dann wegnehme, ist das Diebstahl.)

Wer von euch hat denn eine Beziehung?

(Da findet sich in der Regel immer jemand. Mittlerweile gucke ich, dass ich für das Beispiel eine weibliche Zuhörerin nehme, weil das mit den männlichen Teilnehmern bischen hakelig ist...)

Mach mal bitte mit deinem Freund Schluss!

Nein!

Warte, ich erklär dir auch warum: Dann hast du mehr Zeit für dich und deine Freundinnen, kannst dich besser auf die Schule und später die Ausbildung konzentrieren, läufst nicht Gefahr, zu früh schwanger zu werden, und dein Vater fände es wohl auch besser, wenn du keinen Freund hättest. (Das weiß ich seit meine Nichte nach Hause gekommen ist und ihren Mitschüler plötzlich süß fand! Mein Bruder war nicht so amused! Wie Väter halt sind!)

So, das sind ganz vernünftige Überlegungen, warum du keinen Freund haben solltest. Machst du jetzt mit dem Schluss, weil ich das von dir will?

Nein, natürlich nicht. Aber warum nicht?

Und dann kommt in der Regel von den Frauen: „Weil ich den liebe!“

Männer werden dann in der Regel ungehalten, plustern sich auf und sagen: „Du hast mir gar nichts zu sagen, das ist meine Sache!“ – und das ziemlich aggressiv. (Wenn die jeweilige Partnerin daneben sitzt gibt es dann auch schon mal ein: „Weil du mich liebst!“)

Eine Situation auf einem Elternabend war ziemlich lustig: Da meinte eine Frau (ihr Mann saß daneben): „Ich trenne mich nicht von meinem Mann, weil ich mich an ihn gewöhnt hab!“ ) „Ja, stimmt“, hat er gesagt!

Okay, also du trennst dich nicht von deinem Freund, nur weil ich das von dir will, weil du den liebst!

(Bedanke mich dann immer sehr herzlich bei dem/der Teilnehmer/in, weil es – selbst wenn die Klasse schon 2-3 Jahre so zusammen ist es – überhaupt nicht selbstverständlich ist, in der Runde zu sagen „weil ich den liebe“! Über Gefühle reden ist irgendwie schwierig.)

Und natürlich trennt sich niemand von seiner großen Liebe, nur weil jemand anders das vom ihm/ihr verlangt! Liebe ist das wohl beste Gefühl, was wir haben können.

Jemand, der kritischen Konsum betreibt (Da ist das Konsumverhalten so auf der Kippe, quasi auf Messers schneide, das kann noch gut gehen oder aber ganz fix in süchtigen Konsum kippen!) oder gar schon süchtig ist, dann – und das meine ich sehr ernst – dann hat dieser Mensch eine echte Liebesbeziehung zu seinem Konsummittel! Das, was der Mensch da macht, macht ihn ultimativ glücklich und das, was er da tut, macht absoluten Sinn für ihn! Und da kann man hingehen und mit Engelszungen reden, dass man sich Sorgen macht, dass es doch besser wäre, es sein zu lassen, und irgendwann kommt dann auch: „Lass das doch mal sein, das wäre besser für dich!“

Das macht ja total (KEINEN?!?) Sinn, dass er das dann sein lässt, was ihn total glücklich macht. Wenn er das sein lässt, geht es ihm nicht besser. Das würde sich richtig „scheiße“ anfühlen.

Nochmal an die weibliche Teilnehmerin gewand:

Wenn dein Freund zu dir käme und würde dir eröffnen, dass er dich mit deiner besten Freundin betrogen hat, würdest du dann Schluss machen?

Ja allerdings, sofort!

Da ist dann das Gefühl der Liebe plötzlich durch Belogen- und Betrogen-Werden weg – keine Vertrauensbasis mehr. Wir Menschen ändern elementare Sachen erst dann, wenn sich das Gefühl dazu verändert.

Niemand versteht, dass eine Frau, die von ihrem Mann geschlagen wird, bei ihm bleibt. Da ist auch Liebe im Spiel, so verrückt sich das für die meisten anhört. Wird der einmal handgreiflich gegen das Kind, macht sie sich aus dem Staub. Dann sind ihre Liebe zu dem Kind und ihr Mutter-/Beschützer -Urinstinkt größer als jedes andere Gefühl! Gott sei dank, wenn es dann so klappt!

Ich habe 2008 in der Langzeittherapie den größten Fehler gemacht, den man in einer Entgiftungs-/Entwöhnungsbehandlung machen kann: Ich habe dort eine Beziehung angefangen. Frische Beziehung macht ein ziemliches Hochgefühl. Ist wie berauscht sein! Das ist natürlich überhaupt nicht förderlich für eine Entwöhnugsbehandlung! Wer sich während einer Entgiftungs- oder Entwöhnungsbehandlung verliebt, sollte direkt diese Behandlung abbrechen, da sie im Grunde keinen weiteren Nutzen hat. Meine ganze Aufmerksamkeit gilt nur noch der Partnerin. Haben wir natürlich alles schön geheim gehalten.

Nach der Therapie haben wir in demselben Haus gewohnt! Immer wenn es harten Alkohol zum Saufen gab, ist sie anschließend sehr gewalttätig geworden und hat mich geschlagen. Ich war zu der Zeit von ihr abhängig, da ich selber kaum in der Lage war, für mich einkaufen zu gehen. Und dementsprechend hat sie das erledigt. Habe mich da quasi in mein Schicksal ergeben und das irgendwie ausgehalten. Der Höhepunkt war dann, dass sie mir, nachdem ich mir den Arm gebrochen hatte, immer darauf gehauen hat – und einmal sogar des Nachts sich darauf gelegt hat. Danach hab ich sie aus der Wohnung geworfen und die Tür verbarrikadiert. Irgendwann kurz danach ist sie zu einem anderen Typen gezogen. (GEWALT GEHT GAR NICHT! GEGEN NIEMANDEN!)

Leute, den einzigen Menschen, den ihr verändern könnt, ist der Mensch, den ihr seht, wenn ihr in den Spiegel guckt (oder in die Selfie-Kamera)!

Laut Artikel 20 Grundgesetz hat jeder erwachsene Mensch in Deutschland das Recht, sich selbst zugrunde zu richten, solange er niemand anders gefährdet oder schädigt. Das wird natürlich ab dem Moment schwierig, wo Menschen dabei zugucken müssen, wie sich jemand durch Konsum von berauschenden Substanzen oder Magersucht, Glücksspiel usw. zugrunde richtet, den diese Menschen mögen oder lieb haben. Die fühlen sich in ihren Gefühlen nicht nur ein bisschen geschädigt!

Wenn ihr Menschen kennt, die ihr mögt oder lieb habt, die aus eurer Sicht zu viel konsumieren, dann sprecht das an, aber rechnet auch damit, harsch abgewiesen zu werden. Wenn das der Fall ist, hat dieser Mensch die Beziehung zu seinem Konsum schon längst über die Beziehung zu euch gestellt. Und dann müsst ihr euch bitte ganz dringend Hilfe holen! Dafür sind dann auch Sucht-/Drogenberatungsstellen und Selbsthilfegruppen da!

Meine beste Freundin hat über Jahre gedacht, wenn ich den Timo ganz fest unterstütze und der sich dann wohl fühlt, dann hört der schon auf zu trinken. Sie hat für mich eingekauft, essen gekocht, meine Bude mit aufgeräumt, meine Wäsche gewaschen, Amtsgänge erledigt,... Ich habe quasi auf meiner rosa Wolke gesessen und gesoffen und gekifft und sie hat immer versucht, diese Wolke am Schweben zu halten, indem sie sie von unten mit ihren Armen hochgehalten hat. (In der Suchtbehandlung spricht man hier von Co-Abhänigkeit.) Aber irgendwann wird alles zu schwer und dann ist sie darunter zusammengebrochen.

Ich habe es nur mit meinem selbstzerstörerischen Konsum geschafft, dass eine im Leben stehende Frau, die jahrelang in der Pflege gearbeitet hat, nach vier Jahren Kontakt zu mir psychiatrische Hilfe brauchte.

Am Anfang des Sommers 2010 hat sie dann plötzlich vor mir gestanden, hat mir 50 € vor die Füße geworfen und gesagt: „Ich mag dich sehr, aber bitte sauf dich tot! Ich kann nicht mehr!“ Hat sich umgedreht und ist aus meinem Leben verschwunden. Ich wollte nur konsumieren!

(Ich bin heilfroh und mega dankbar, dass wir heute, wo ich abstinent bin, wieder einen super Kontakt haben. Sollte ich wieder trinken, ist sie sofort wieder raus – und das dann für immer! So ist es besprochen.)

Jetzt sagt ihr bestimmt, der hat gut kacken, den Kontakt abzubrechen zu Leuten, die man mag oder sogar lieb hat!

2014 war ich bei meiner Mutter zum Rasenmähen! Als ich fertig war, stand ich im Wohnzimmer, meine Mutter kam rein und hat mit ziemlich lallender Stimme gesagt, dass sie jetzt zum Frisör geht. Ich sag, du bist ja betrunken um 11 Uhr morgens! Nö, sie hätte gar nicht getrunken. Ich hab gedacht, ich krieg einen Baseballschläger vor den Kopf gehauen.

Die Situation hat mich so fertig gemacht, dass ich zu ihr gesagt habe: „Lass dir helfen! Wenn du dir nicht helfen lässt, ist das jetzt das letzte Mal, das wir uns sehen. Ich kann das nicht und muss mich selber schützen.“ Hab mich direkt auf den Weg nach Hause gemacht. Zwei Kilometer durch die Innenstadt von Ahlen. Hab die ganze Zeit geheult und an jedem Kiosk, an dem ich vorbeigekommen bin, haben die Alkoholflaschen nicht nur rausgerufen – die haben gebrüllt!

Als ich dann zu Hause in meinem Sessel gesessen habe, klingelt mein Telefon und mein Stiefvater meint, dass meine Mutter regungslos auf dem Sofa liegen würde und keinen Mucks mehr mache – ich direkt wieder los und so schnell ich konnte auf meinen Krüppelfüßen zu ihr. Hab sie dann dermaßen gekniffen, wie es nur Rettungskräfte oder OP-Personal tun sollte, und die einzige Reaktion war: „UUUUHHHGGG!“ Hab dann einen Krankenwagen alarmiert und den Rettungskräften direkt klar gemacht, dass sie meine Mutter auf jeden Fall mitnehmen! Haben sie dann auch!

Bin dann erst mal wieder nach Hause, eine Runde heulen und verzweifeln! Nachmittags hab ich mich dann auf der Intensivstation des Ahlener Krankenhauses am Fußende des Bettes meiner Mutter wiedergefunden. Mutter musste nicht beatmet werden, aber dennoch hat mich die Situation total fertig gemacht.

Am nächsten Tag hab ich meine Mutter nach Hörstel in die dort mögliche sechswöchige Entgiftung gebracht. Anschließend hat meine Mutter dann noch eine viermonatige Langzeit -Therapie gemacht und ist seitdem trocken!

In dieser Zeit habe ich sehr viele Termine bei meinem Suchtberater gehabt! Und weil ich ja wusste, wie ich es so schaffe, abstinent zu bleiben, habe ich immer versucht, meine Mutter mit guten Ratschlägen zu unterstützen. Mein Suchtberater hat dann irgendwann zu mir gesagt: „Ihre Mutter wollte ich nicht sein. Die darf ja gar keine Erfahrung selber machen. Sie wissen ja schon, wie es geht, und das soll sie jetzt auch so machen.“

Da hab ich dann gelernt, was Beratung wirklich bedeutet: zu gucken, was der andere braucht, um klar zu kommen, und ihn dann dabei unterstützen, auch wenn das dann anstrengender ist oder auch länger dauert! Und wer keine Hilfe haben möchte, der muss auch keine kriegen.

Und hätte meine Mutter die Hilfe in den Einrichtungen und später in der Selbsthilfe nicht angenommen, ich hätte definitiv nicht dabei zugeguckt, wie sie sich zugrunde richtet, und hätte den Kontakt abgebrochen, so wie meine beste Freundin bei mir. Ohne das wäre ich wahrscheinlich nicht an den Punkt gekommen, wo es ohne eine Veränderung für mich nicht mehr weitergegangen wäre!

Als ich so Ganzkörper gelähmt auf der Intensivstation gelegen habe, kam des Morgens eine junge Krankenschwester an mein Bett, um mich zu waschen. Und sie hat sich richtig Mühe gegeben, es mir so angenehm wie möglich zu machen. Hat mich von Kopf bis Fuß gewaschen – und Leute, die sparen die Körpermitte nicht aus! Und als sie mit der Grundpflege fertig war, hat sie sogar mein Bett neu bezogen. Das ist richtige Schwerstarbeit, so einen Brocken Mensch, der keinerlei Körperspannung hat, im Bett hin und her zu drehen, um das Laken zu wechseln. Das kenne ich aus meiner beruflichen Erfahrung zur Genüge! Es war mir sehr unangenehm, dass diese nette Frau so viel Arbeit mit mir hatte und ich ihr ums Verrecken nicht helfen konnte.

Irgendwann war sie dann fertig und hat das Zimmer verlassen. Während sie so rausgeht, merke ich, dass ich mal kacken muss, und bevor ich noch was denken konnte, ist mir die Scheiße schon den Rücken hochgelaufen. Ich hatte gute Sicht auf die Uhr, die über meiner Zimmertür hing, und ich wusste, die nette Krankenschwester kommt in spätestens zwei Stunden wieder, um mich zu lagern, also meine Lage im Bett zu verändern, damit ich keinen Dekubitus (Wundliegegeschwür) bekomme.

(Wer mag, kann Folgendes ausprobieren: Die Rechtshänder nehmen ihre linke Hand und die Linkshänder ihre rechte Hand. Und nun mit der gesamten Arschbacke darauf gesetzt. Spätestens nach 10 Minuten werden die, die mitmachen, anfangen, unruhig hin und her zu wackeln, und wenn das keine Linderung bringt, Hände wieder unterm Hintern hervorgeholt. Wenn man sich jetzt die jeweilige Hand anguckt, dann ist die ganz weiß, weil alles Blut raus ist. Wenn alles gesund ist, dauert es nicht lange und die Hand ist wieder durchblutet! Wenn ich jetzt dafür gesorgt hätte, dass niemand seine Hand unterm Hintern wegziehen kann, wären nach spätesten drei Stunden die ersten Schäden durch absterbendes Gewebe entstanden, weil es so lange nicht durchblutet wurde. Sowas passiert bei bettlägerigen Leuten am Steißbein, an den Schulterblättern, am Hinterkopf, wenn sie dauerhaft auf diesen Stellen liegen. Von daher werden bettlägerige Menschen in der Regel alle zwei Stunden gelagert – auf die rechte Seite, auf den Rücken und auf die linke Seite und dann wieder von vorne!)

Also ich lag jetzt in meiner Scheiße und wusste, die nette Schwester kommt gleich wieder und dann nimmt die die Bettdecke weg und sieht, dass ihre ganze schwere Arbeit von gerade „fürn Arsch“ war. Ich habe mich so dermaßen geschämt, das hat so dermaßen weh getan, dieses hilflose Gefühl war kaum zu ertragen und alles wegen meiner großen Liebe, dem Alkohol.

In diesem Moment war meine Beziehung zu meinem geliebten Konsummittel ein Stück weit aufgelöst. Wer sowas mit mir macht, der kann mich mal.

Wenn ich heute in einem Laden am Alkoholregal vorbeigehe, habe ich so ziemlich das gleiche Gefühl, als würde ich am Tamponregal vorbeigehen: eher gar keins! Und trotzdem sagt mein Suchtgedächtnis jeden Tag: „Trink, trink, trink – betäube mich, betäube mich!“

Aber soweit muss es ja gar nicht kommen. Es gibt in eurem Leben mindestens zwei Menschen, die euch abgöttisch lieben, in deren Leben es nichts Wichtigeres gibt als euch: eure Eltern! (Bei den Erwachsenen im Übrigen auch. Hier kommen dann eventuell noch Lebens-/Ehepartner oder Kinder dazu.) Auf jeden Fall lieben euch eure Eltern und wenn die dann mal kommen und sagen: „Ich mache mir Sorgen, wenn du immer so lange am Zocken oder am Smartphone bist und so wenig für die Schule tust...“ Oder die sagen: „Nein, es gibt noch keinen Alkohol für Dich!“

Was macht ihr dann? Ihr kackt da einen Haufen drauf! Es ist euch scheißegal! Aber wenn es Leute betrifft, die ihr mögt oder lieb habt, und euch da was stört, dann sollen die sofort was verändern!

Merkt ihr was?!? Wenn ihr nachher nach Hause kommt, könnt ihr mal eure Eltern in den Arm nehmen und sagen: „Hab euch lieb!“ Das ist mal das Mindeste!

Ich biete ja auch Elternabende an. Gut, viele Eltern kommen da in der Regel nicht, weil über Sucht weiß ja in der Regel jeder alles. Und da muss man sich ja nicht mit auseinandersetzen. Vielleicht könnte der Typ aber auch was sagen, was mir gar nicht so gut gefällt. Da bleib ich lieber weg.

Aber die Eltern, die dann kommen, die sitzen vor einem wildfremden Mann, der auch noch bisschen komisch aussieht und dann auch noch so eine derbe und deutliche Sprache spricht, und sagen in der Runde: „Timo, ich mache mir echt Sorgen um mein Kind! Was kann ich tun damit ihm/ihr das erspart bleibt?“

Meine Antwort schockiert dann immer alle: „Nichts. Ihr könnt dann nichts machen! Entweder ihr habt es bis jetzt hinbekommen, das wäre gut, aber es könnte eben auch zu spät sein, um noch groß einzugreifen. Eure Kinder entscheiden jetzt selber! Und da müsst ihr darauf vertrauen, dass das, was IHR ihnen mit an die Hand gegeben habt, ausreicht, um die richtigen Entscheidungen zu treffen. Eure Kinder haben hoffentlich irgendwann mal gelernt, dass es Konsequenzen im Leben gibt und wie sie mit Frust, Ärger, Enttäuschung umgehen können. Wenn sie das bis jetzt aber alles abgenommen bekommen haben, ist das schon schwierig!“

Hat mich mal bei einem Vortrag in einer Schule für Erziehung eine Auszubildende gefragt, wie man einen Zwölfjährigen im Gespräch davon überzeugen kann, nicht immer so viel zu zocken. Ganz ehrlich!? Ich diskutiere doch da nicht mit einem Zwölfjährigen! Da wird das Gerät eingezogen und fertig.

Es gibt da sowas, das nennt sich Autorität! Oh, ganz böses Wort in der heutigen Erziehung! Und auch voll schwierig. Allerdings brauchen Kinder und Jugendlichen Grenzen, an denen sie sich reiben können, damit sie mit Menschen, die sie grundsätzlich lieben, diese Auseinandersetzungen lernen können. Ja, die finden euch dann scheiße und sagen das auch und das fühlt sich so dermaßen mies an, wenn man gerade nicht der Held oder die Heldin der Kinder ist. Da ist es doch einfacher, ich gebe nach und meine Kinder finden mich toll. (Da war doch was mit Zugewinn und gutem Gefühl in der Erklärung der Sucht!) Und an dem Punkt leidet die Konsequenz! Und Kinder haben ganz feine Antennen dafür und lernen, dass Konsequenz nicht wirklich Not tut. Die kriegen das dann super hin, ihre Eltern mit Liebesentzug zu manipulieren. Das dann bisschen so wie: Ich kriege Ärger – hab ich Aua-Bauch!

Ganz ehrlich: Nach den ersten zehn Minuten, die ich in der Klasse bin, hassen mich die Schüler. Das kann ich aus ihrer nonverbalen Kommunikation lesen. Und auch durch gesprochenes Wort wird Unmut kundgetan. Es gibt eng gefasste Spielregeln und Verstöße werden direkt angesprochen, ich unterbreche jedes Getuschel mit dem Hinweis der Respektlosigkeit gegenüber dem Sprechenden. Die Checker in den Klassen kriegen dann auch mal was zu ihrer Körperhaltung gesagt oder zu Zwischenrufen oder so.

Ich weise auch manchmal darauf hin, dass Schüler nicht den Fehler machen sollten, Zurückhaltung mit Schwäche zu verwechseln, soll heißen: Jeder Erwachsene ist aufgrund seiner Lebenserfahrung und seines Wortschatzes in der Lage, einen Jugendlichen im Gespräch binnen kürzester Zeit ans Heulen zu bringen. Klingt gemein, ist aber so. Und auch das ist eine Realität, die den Schülern ruhig mal ins Gedächtnis gerufen werden kann.

Es gibt sogar Klassen, da werde ich im Vorfeld schon drauf hingewiesen, dass die Schüler wohl nicht die vollen 90 Minuten durchhalten werden. Oder Klassen, wo zwei Lehrkräfte mit rein müssen, um für Ruhe zu sorgen. Wenn ich im Vorfeld sage, ist kein Problem, ich mach das schon, gucken mich viele immer ganz ungläubig an. Bis jetzt war es aber immer so, dass selbst die Schüler, die die meiste Zeit Ablehnung kundgetan haben, am Ende der Veranstaltung zu mir kommen und sagen, dass es eine gute Zeit war, und einige sich sogar für ihr Verhalten entschuldigen. Sie haben gemerkt, dass ich sie als Menschen ernst nehme und nur eben ihr Verhalten teilweise anprangere. Ein Verhalten kann man ja ändern.

Respektvolle Autorität – und schon hätten wir heute noch weniger Gruppen von Jugendlichen, die sich nicht an das momentane Kontaktverbot halten, weil sie einfach mal gelernt hätten, eben nicht alles zu diskutieren.

(In Förderschulen ist es ja verständlich, dass Schüler aufgrund von medizinischen Diagnosen nicht unbedingt 90 Minuten aufmerksam sein können. Und selbst da kommt es vor, dass ich nach 90 Minuten sage, dass ich jetzt nicht mehr weitermachen kann.)

Eltern sollten nicht die besten Freunde ihrer Kinder sein!!! Erziehung ist anstrengend. Dafür gibt es Rentenzeiten. Rentenzeiten kriegt man für Arbeit angerechnet! Ich habe heute so ein bisschen den Eindruck, die Rolle, die früher den Großeltern zugefallen ist, übernehmen heute die Eltern: Kinder zu verwöhnen. Und die bösen Sachen wie Beschränkungen und Grenzen, das sollen die Schule oder ähnliche Einrichtungen leisten, aber das können die zum einen nicht und ist auch gar nicht deren Aufgabe! Viele Eltern nicken dann zustimmend. Meistens ist dann am Ende des Elternabends noch so ein lockerer Austausch und da höre ich dann sehr regelmäßig: „Ja, aber die Schule muss da noch mehr tun.“ Hallo?! Ihr habt gerade alle zustimmend genickt!

Es gibt dann auch noch diese Situation:

Der stolze Papa geht mit seinem 13- oder 14-jährigen Sohn zum Schützenfest, Karneval, Fußball, wohin auch immer, und dann kommt der ultimative Spruch: „So, mein Junge, jetzt trinkst du mal dein erstes Bier dann bist du ein Mann!“ Ja, ganz genau. Das, was der Junge abspeichert, ist, dass der Held seines Lebens gesagt hat, wenn du Bier trinkst, bist du ein Mann! – Schlussfolgerung: Ich trink kein Bier, bin ich kein Mann. Welcher 13- oder 14-jährige will kein Mann sein?!

Alles, was Eltern tun, ist für Kinder völlig in Ordnung. Das darf man dann auch machen. Das ist ja nicht so schlimm. Ihr lebt das vor!

Und seid ehrlich zu euren Kindern! Wenn ihr abends raus geht und betrunken nach Hause kommt und am nächsten Morgen habt ihr einen dermaßen Kater, dass euch die Fontanelle wegfliegt, dann sagt es auch und tut nicht so, als wäre alles in bester Ordnung und pünktlich das Frühstück auf dem Tisch.

Es tut mir leid, aber manchmal muss ich, wenn es um Erziehung von Kindern und Jugendlichen geht, an Martin Rütter denken: Der Welpe, der erklärt kriegt, warum das ganz doof ist, das neue Kissen zerfleddert zu haben, hat die ganzen Ausschweifungen natürlich verstanden und wird es beim nächsten Mal nicht mehr tun. Klar!

Klare, ehrliche Ansagen und konsequentes Umsetzen von Vorgaben, dann können Kinder sich in den engen Grenzen frei bewegen, ecken früh an, können sich reiben und auseinandersetzten – und fühlen sich ganz „pudelig wohlig“ aufgehoben, weil sie genau wissen, wo es lang geht!

Was glaubt ihr, wann ist mein Suchtdruck am größten – wenn was Gutes in meinem Leben passiert oder wenn was Schlechtes passiert?

Ganz klar, wenn was Schlechtes passiert! So wie mit meiner Mutter!

Ich hatte im Dezember 2012 mit einem sehr guten Freund, den ich in meiner ersten Selbsthilfegruppe kennengelernt habe, dem Michael Klement eine eigene Selbsthilfegruppe ins Leben gerufen! Der Michael war zu der Zeit schon erfahrener Selbsthelfer und hat in der damaligen Gruppe schon Projekte organisiert, spritfreies Kochen zum Beispiel: Abstinent lebende Menschen, die sich in einer Lehrküche treffen, um zusammen mit einer Ernährungsberaterin Sachen zu kochen, die keinen Alkohol enthalten, und anschließend zusammen essen. Feine Sache das! Förderung von sozialen Kontakten und sinnvolle Beschäftigung!

Michael ist zudem ausgebildeter Turnierbogenschütze und hat ein Projekt gemacht, wo er anderen Selbsthelfern die Kunst des Bogenschießens beigebracht hat.

Nachdem mir der Kochkurs ziemlich Spaß gemacht hatte, bin ich trotz meines lädierten linken Armes und meiner anderen körperlichen und psychischen Gebrechen auch mal mit zum Bogenschießen gefahren. Mal eben so ein bisschen Flitzebogen schießen. Das sollte ja wohl kein Problem sein. Ja Pustekuchen! Das war MEGA anstrengend. Ich war nach einer Stunde total platt. Und ich hatte die ganze Zeit nur ein aus einem Plastikrohr gebastelten Übungsbogen benutzt. Das wollte ich weiter machen. Das hat alle meine Defizite gefordert und somit auch ein Stück weit gefördert.

Heute bin ich Recurve-Bogenschütze (das ist der Bogen, den die auch bei den Olympischen Spielen schießen, mit dem Stabilisatorengedöns und Visier und so) und bringe auch anderen Menschen das Bogenschießen bei nach KfS! Das ist eine standardisierte Ausbildungsform am Bogen nach dem Kuratorium für Schießtechnik des westfälischem Schützenbundes, mit Sicherheitsregeln und allem, was dazu gehört.

So, wir hatten unsere eigene Selbsthilfegruppe „Absti.Tribe“ ins Leben gerufen. Haben als Örtlichkeit das Josefsheim in Hamm-Heessen von der Fachklinik Release zur Verfügung gestellt bekommen. (Hier mal einen besonderen Dank an Denis Schinner!) Am und im Josefsheim war es gut möglich Bogen zu schießen, und so haben wir montags Gruppenabend gemacht und mittwochs und samstags Bogenschießen angeboten. Da wurde das Drogenhilfezentrum Hamm auf uns aufmerksam und hat dann auch Menschen von dort zu uns geschickt.

Irgendwann, so nach drei Monaten, hatten wir tatsächlich ziemlich viele Leute regelmäßig an der Schießlinie stehen und sich untereinander austauschen – Suchtkranke und Nicht-Suchtkranke. Da man in Deutschland als Suchtkranker unter das Schwerbehindertengesetz fällt, waren wir quasi ein Inklusions- Breitensport-Projekt. Haben das der Aktion Mensch. vorgestellt und wurden sogar gefördert.

Bis heute ist mein Bogen mein ständiger Begleiter. Hat allerdings einen Frauennamen bekommen: Lizzy. Und Lizzy fordert mich beim Schießen jedes Mal auf, auf mich selbst zu gucken. Meinen Stand zu überprüfen. Meine Haltung. Meinen Ablauf. Meine Konzentration. Und bist du nicht in deiner Mitte, dann triffst du auch nicht die Mitte. Mein Bogen redet mit mir. Und ganz oft sagt sie: „Ätsch, dann triffst du eben nicht die Mitte.“ Eigentlich ein furchtbarer Sport.

Muss man sich immer mit sich selbst auseinander setzen.

Einer dieser nicht-suchtkranken Schützen an der Schießlinie war Dierk Schimmel, ein richtig guter Recurve-Bogenschütze. erfolgreicher Geschäftsmann mit Ingenieurstudium – quasi ein Gegenentwurf zu mir. Und aus meiner damaligen Sicht ein Mann mit wenig Sorgen.

Wie das so ist an der Schießlinie beim Bogenschießen, jeder guckt auch mal beim Anderen auf die Technik und wenn ihm was auffällt, sagt er es dann. Hab relativ schnell gemerkt, dass man sich mit dem Dierk ganz famos unterhalten kann. Und ich konnte schießtechnisch eine Menge von ihm lernen. Und nicht nur auf der Ebene!

Ich stehe mal wieder an der Schießlinie und klage mein Suchtileid, was mich halt gerade so beschäftigt. Und Dierk dreht sich um und sagt: „Ernsthaft, glaubst du nur Suchtkranken geht das so?!“ Ich habe immer viel mit Suchtkranken oder mit Menschen zu tun, die sich fachlich in diesem Bereich bewegen. Da ist jetzt mal jemand ohne diesen Background. Ich kenne auch viele andere Nicht-Suchtkranke, so ist das nicht, aber der Dierk hat einfach diese Art, Sachen zu betrachten und Worte zu finden, die einfach förderlich sind.

Irgendwann ist mir auch klar geworden, nur weil man erfolgreich ist und sich wenig Sorgen um Finanzen machen muss, ist auch nicht immer alles rosig. Und seit dieser Zeit verbindet mich mit dem Dierk eine Freundschaft, auf die ich immer stolz sein werde und die ich nicht mehr missen möchte.

Mittlerweile ist aus dem überzeugten Recurvebogenschützen ein Blankbogenschütze geworden und er hat sich den Traum einer eigenen Schießanlage erfüllt (http://www.triffpunkt.de). Was der will, das macht er auch!

Mitten in dieser für mich wirklich erfolgreichen Zeit musste ich dann meinem Vater fünf Monate beim Sterben zugucken. Der konnte im Dezember 2012 seinen rechten Arm nicht mehr bewegen und musste mit Verdacht auf Apoplex (Schlaganfall) ins Krankenhaus. Bei dem Schädel-MRT wurde aber weder ein verstopftes Blutgefäß gefunden noch eine Blutung, sondern Metastasen (Tochtergeschwüre) eines kurz danach diagnostiziertem Nierenzellkarzinoms. Eins von den Dingern hat im Schädel dafür gesorgt, dass Papa seinen Arm nicht mehr bewegen konnte.

Die Operation am Schädel wurde in meiner alten neurochirurgischen Abteilung durchgeführt. Metastase wurde entfernt. Ich weiß, dass die Chirurgen da top sind und ich habe solchen Operationen auch schon beigewohnt. Das hat meiner Gefühlslage an dem Tag aber auch nicht wirklich viel weitergeholfen. Viel Wissen kann viel Angst machen! Hab wie ein Häufchen Elend zu Hause gesessen und gebetet, dass alles gut geht. Fünf Stunden später hat Papa mich aus dem Aufwachraum angerufen. Wie geil, alles gut geklappt!

Nur dass das Grundproblem, der inoperable Nierenzelltumor, damit natürlich nicht behoben war.

Ende März 2013 ist Papa dann ins Hospiz gezogen (Hier hatten wir „Draußen vor der Tür“, wie im Song der Toten Hosen, das ein oder andere klärende Gespräch.) und ist dann, eine Woche nach dem Geburtstag meiner Nichte, seiner Enkelin, am 18.05.2013 gestorben! In liebevoller Erinnerung! Werde dich immer in mir tragen, denn ich bin ein Teil von Dir! Und ich werde überall von Dir erzählen, damit dein Name ewig weiter lebt! Rolf Schüsseler 1955-2013

Die fünf Monate und der Tod meines Vaters waren und sind noch echt schlimm für mich. Ohne die vielen lieben Menschen, die zu der Zeit in meinem Leben waren, wäre ich wohl nicht mal ansatzweise abstinent geblieben und somit heute nicht mehr da.

Ich bin kalendarisch 43 Jahre alt, organisch Ende 60 und von meiner emotionalen Entwicklung Anfang/Mitte 20. Ich habe nie gelernt, mit den ganzen schlimmen Gefühlen umzugehen, sowas wie Wut, Trauer, Liebeskummer, Schüchtern sein. Immer, wenn solche Gefühle kamen, habe ich gesoffen, um das schlimme Gefühl zu verändern.

(Gefühle verändern kann man mit Cannabis übrigens nicht. THC verstärkt nur das Gefühlserleben, was ich gerade habe, das heißt bin ich scheiße drauf und kiffe, dann bin ich anschließend noch beschissener drauf. Von daher sollte ich mir vor dem Konsum von Cannabis-Produkten definitiv über mein Gefühlserleben klar sein. Und dann müsst ihr mal wieder selber entscheiden, ob ihr euch das dann antun wollt!)

Da ich immer alle schlimmen und doofen Gefühle weggemacht habe, habe ich nie gelernt, adäquat mit ihnen umzugehen oder sie auszuhalten. Jetzt sind wir wieder an der Stelle, wo ich euch gesagt habe, ihr könnt rausgehen, wenn es unangenehm wird. Das ist dasselbe Prinzip: Ich habe mich mit meinen Gefühlen nicht auseinandergesetzt und bin jetzt emotional zurückgeblieben.

So etwas wie den Tod seines Vaters verarbeitet man nicht. Man kann nur lernen, damit zu leben. In dieser Zeit sind ständig Leute zu mir gekommen, die sich Sorgen um mich gemacht haben. Die haben dann immer gesagt: „Oh, das ist doch jetzt bestimmt total schlimm für dich, lass uns mal darüber reden, nicht dass du rückfällig wirst.“ Der heftigste Spruch war: „Wenn du jetzt trinken würdest, könnte ich das verstehen.“ Wenn ich das gemacht hätte, wäre ich wie gesagt jetzt auch tot!

Apropos, habt ihr eine Idee, warum Suchtkranke immer wieder rückfällig werden? Ja sicher! Die wollen wieder das gute Gefühl! Das ist sehr richtig! Gut aufgepasst!

Die von euch, die Geschwister haben, habt ihr euch schon mal gefragt, wieso eure Mutter mehr als ein Kind bekommen hat?

Habe mich das auch nie gefragt, bis ich mal kurz im Kreißsaal aushelfen sollte. Hat mir keiner gesagt, dass man da besser Ohrschützer tragen sollte. Tut mir leid, Mädels, dass ich das jetzt so direkt beschreibe, aber so ist es nun mal. Die Frau, die da gerade ihr Kind geboren hat, die hat echt gelitten, und ich habe da Schimpfwörter gehört, die möchte ich hier gar nicht wiedergeben. Paar davon kannte ich noch nicht! Und an allem war der Kerl schuld, weil der das da rein gemacht hat!

Der stand daneben und hat die Hand seiner Frau gehalten. Ich hab gedacht, seine Hand müssen wir im Anschluss mal röntgen, so wie die Frau zugedrückt hat. Als die Mutter endlich ihr Baby auf dem Bauch liegen hatte, bin ich kurz hin und hab gefragt: „Jetzt haste erst mal genug von Kinder kriegen?!“ Da lächelt sie mich ganz breit an, guckt ihr Baby an und sagt: „Ach, ich könnt noch eins!“

Waaasss?!? Hab mich direkt an den Anästhesisten gewandt und gesagt: „Egal, was du ihr gegeben hast, ich will auch!“ Hatte er gar nicht. Nur die übliche PDA vor der Geburt.

Die Geburt ist für den weiblichen Körper ein ganzheitliches Trauma, eine echte Verletzung auf der körperlichen, geistigen und seelischen Ebene. Der Körper als Wunder der Natur schafft es aber über die Ausschüttung von Hormonen, diese Trauma zu überwinden, ja sogar zu vergessen.

Wenn man Frauen fragt, die schon auf natürlichem Weg geboren haben, dann können die sich vom Kopf her super an alles während der Geburt erinnern. Allerdings gibt es in der Regel keine Erinnerung an das Gefühlsempfinden während, sondern erst wieder direkt nach der Geburt. Sonst hätten alle Mütter quasi eine Posttraumatische Belastungsstörung! Und garantiert nur ein Kind! Aber die Hormone blenden das aus und dieses übermäßige Glücksgefühl über das neue Leben tut sein Übriges!

Eine Entgiftung ist auch ein ganzheitliches Trauma: Ich hatte da regelmäßig Blutdruckwerte von 200/120mmHg und Pulswerte jenseits der 150 Schläge pro Minute! (Normwerte bei Erwachsenen: Blutdruck 120/70mmHg, Puls 80 Schläge pro Minute) Die Krankenschwester kam alle 30 Minuten zum Nachmessen. Ich hab geschwitzt, gezittert, gewürgt und hatte auch teilweise Suizidgedanken! Vor allem, wenn dann die Erinnerung eingesetzt hat, wen ich wieder alles enttäuscht oder verarscht habe, und die ganze Situation auf einmal mit Wucht über mich hereingebrochen ist, wie meine Bude aussieht, wie wenig gut meine Zukunft aussieht usw.!

Aber auch hier kann der Körper auf seine Hormone zurückgreifen und dieses schlimme Erleben ausblenden. Und dann setzt am nächsten, spätestens am übernächsten Tag wieder die Glorifizierung des geliebten Suchtmittels ein. Ich kann euch vom Kopf her die Entgiftungsnächte genau erklären, habe aber kaum ein Gefühl dazu (anders als bei meiner Komaerfahrung, da habe ich definitiv ein Gefühlserleben zu) und wenn unser Gefühl nichts Schlimmes erinnert, dann können wir es ja wieder tun. Wie gesagt, der Kopf ist da raus.

2015 bekomme ich einen Anruf, ob ich Interesse daran hätte, dass Frau Bettina Böttinger im Rahmen ihrer Doku-Reihe „B.Sucht“ einen Beitrag über mich dreht. Sie hat dafür besondere Menschen besucht und diese porträtiert. Bei meinem Porträt sollte es um Kinder aus suchtbelasteten Familien gehen. Da mein Vater bis zu seiner Abstinenz 1998 auch aktiver Alkoholiker war und eben meine Mutter auch leider diesen Weg gehen musste, waren mein Bruder und ich quasi prädestiniert dafür.

(Die Suchterkrankung ist nicht genetisch vererbbar! Das ist so ein Gedankenkonstrukt aus der Zeit der Rassenhygiene der Nazis, um Suchtkranke genauso zwangssterilisieren lassen zu können oder noch Schlimmeres wie anderes in ihren Augen unwertes Leben. Konsumverhalten kann in der prägenden Phase der Kindesentwicklung weitergegeben werden. Und trotzdem entscheidet dann wieder jeder Mensch selber, in welchem Rahmen und warum er konsumiert.)

Der Kontakt kam auch über die Entgiftungsklinik in Hörstel zustande, in der meine Mutter war. Nach einem Vorabinterview durch die Redakteurin der Produktionsfirma von Frau Böttinger, Sarah Ernst, bekam ich dann die Zusage, dass wir im Juni 2015 drehen!

Ich hatte 2012 schon mal einen Beitrag über meine Präventionsarbeit in der „Lokalzeit Münsterland“, der von Heike Zafar gedreht wurde, aber das jetzt war mal eine ganz andere Hausnummer! Nichts für ungut, Heike! ;)

Wir haben dann eine Präventionsveranstaltung mit meinem Bruder in Drensteinfurt an der Teamschule gedreht. Meine Fresse, war ich aufgeregt! Da sitzt diese erfolgreiche, großartige Frau Böttinger mit in der Runde. Oh Mann! Die ist Trägerin des Bundesverdienstkreuzes! Und dann ist da ja auch noch ständig einer mit der Kamera. Krasse Situation. Vor allem, als klar wurde, die sind alle voll locker und total nett!

Wir haben dann noch bei meinem Bruder zu Hause im Esszimmer und im Garten gedreht. Und je länger der Tag, umso lockerer waren die Gespräche mit Frau Böttinger. Wir hatten uns dann schnell auf das Du verständigt. Hat auch geklappt, bis während einer Aufnahme Bettina wieder in das Sie gerutscht ist und wir das nochmal drehen mussten! :))))!

Am späten Nachmittag haben wir dann noch am Josefsheim gedreht und ich habe ein paar Pfeile geschossen. (Bilder dazu gibt es auf meinem Facebook Profil!)

Zum Ende hin habe ich angemerkt, dass ich ja auch ein Buch geschrieben habe und das Bettina mich ja auch mal in den „Kölner Treff“, ihre wöchentliche Talk- Sendung im WDR, einladen könnte. Sie wollte mal sehen, was sich machen lässt, hat aber auch gesagt, dass sie nichts versprechen kann.

Circa drei Wochen später ruft mich Sarah Ernst an und sagt: „Ich soll dich von Bettina fragen, ob du zur übernächsten Sendung in den ‚Treff‘ kommen möchtest?“

Waaas?!? Na klar! Sofort!

Sie hat mir dann noch gesagt, wer mit mir zu Gast sein wird, aber das habe ich in dem Moment gar nicht mehr so richtig auf die Kette bekommen!

Bin dann an dem Freitag mit meinem Bruder zum WDR nach Köln- Bocklemünd. Hab meine eigene Garderobe bekommen und Sarah Ernst hat meinen Bruder und mich die ganze Zeit betreut. Hatten noch reichlich Zeit, bis ich in die „Maske“ musste und so haben wir uns noch eben um die Ecke die „Lindenstraße“ angeguckt. Höchst Interessant! (Morgen Abend läuft die letzte Folge. Krass, das läuft schon so lange, dass es erwachsene Menschen gibt, die ein Leben, ohne dass sonntags „Lindenstraße“ läuft, nicht kennen!)

Nachdem ich in der „Maske“ war, bin ich mit der Regieassistentin Gabriele Poloczek in das leere Studio und habe erklärt bekommen, wie nachher der Ablauf ist und wo ich zu sitzen habe. Bei der Gelegenheit hat die Gabi mir erzählt, dass sie beim „Blauen Kreuz“ aktiv ist, einer Suchttherapie-/Selbsthilfe-Einrichtung der Diakonie in Köln!

Zwei Stunden später saß ich dann im vollen Studio in der Runde und die Liveaufzeichnung fing an – also Live on Tape! Mir war für einen Moment schummerig! Links neben mir saß der Schwarm meiner Jugend, Sonja Kirchberger, rechts neben mir Tim Schreder (Moderator und Zauberer ) und Dieter Müller (Sternekoch), schräg gegenüber Stefan Kurt (Schauspieler) und Justus von Dohnányi (zig Filmpreise, in einem Bond Film mitgespielt und sein Onkel war Kämpfer gegen die Nazis). Voll krass!

Und dann war da noch Jana Ina Zarrella (Model und Moderatorin), die mit Bettina darüber gesprochen hat, wie unzulänglich Menschen teilweise sind, wenn sie glauben, dass Models nichts in der Birne haben. Hat mich schwer beeindruckt. Die ganze Zeit habe ich überlegt, wie ich ein Foto mit ihr bekommen kann, da sie, wenn die Kamera aus ist, sehr für sich ist.

Nachdem mit allen anderen Gästen gesprochen wurde, hat sich Bettina dann mir zugewandt und wir haben uns gut und flüssig unterhalten. Wir hätten es gut gefunden, wenn die anderen Gäste ein bisschen mehr mit eingestiegen wären, aber dieses Thema ist schon schwierig. Mein Bruder, der hinter mir im Publikum saß, hat dann auch noch was gesagt. Und obwohl Bettina vorher gesagt hat, dass wir uns duzen, ist sie auch hier wieder kurz ins Sie gerutscht – bisschen ein Running Gag!

Nach der Sendung kommt Jana Ina auf mich zu und fragt mich, ob wir ein Foto machen können? Sie wäre sehr beeindruckt von mir! Und während des Buffets, welches es im Anschluss gegeben hat, sind dann irgendwie alle nacheinander zu mir gekommen, haben mir auf die Schulter geklopft, mir ihren Respekt ausgedrückt und mir gesagt, was ich für ein toller Mensch ich bin und wie wichtig die Prävention doch ist.

Als mein Bruder und ich nach Hause gefahren sind, lief gerade die Sendung im WDR. Und auch die Rückmeldungen von meinen Leuten zu meinem Auftritt waren durchweg positiv. Als ich dann zu Hause war, war ich quasi drei Meter groß! Am nächsten Morgen, samstags, hat Angelika Knöpker mit mir ein Interview über meinen Auftritt für das Ahlener Tageblatt geführt. Das fühlte sich alles so richtig gut an.

Am Sonntagmorgen hab ich auf der Bettkante gesessen und mich gefühlt wie auf der Entgiftungsstation. Ich bin süchtig nach dem Gefühl, nicht nach dem Stoff, und alles, was dieses super Gefühl hervorruft, davon will ich sofort mehr – und zwar in rauen Mengen! Ich hatte zwar keine körperlichen Entzugserscheinungen, weil ich ja auch kein Gift konsumiert hatte, aber von der Psyche her war das schon ziemlich identisch.

Alle reden immer davon, abstinent lebende Suchtkranke müssen bei schlimmen Sachen aufpassen, aber keiner kommt auf die Idee, das super Sachen auch gefährlich sein können!

An normalen Tagen ist da so ein kleines Männchen in meinem Kopf, das haut mit so einem kleinen Hammer immer mal wieder an mein Hirn und sagt „Trink!“. Wenn was Schlimmes passiert, legt dieses Männchen den kleinen Hammer weg und nimmt einen Vorschlaghammer. Und wenn was richtig Gutes passiert, dann legt es den Vorschlaghammer weg und nimmt den Presslufthammer.

Und von daher schlägt mein Unterbewusstsein sofort Alarm, wenn was Gutes im Anmarsch ist oder spontan passiert. Dann kann ich mich ungefähr eine halbe Minute darüber freuen, dann springt der Sensor an, der sagt: „Achtung, da wird es gerade richtig gefährlich!“

Ich musste ganz schön viele Gespräche führen, um das wieder auf die Reihe zu bekommen. Nach diesem Erlebnis hab ich komplett verstanden, warum Prominente, die nicht mehr so oft in der Öffentlichkeit sind, in das Dschungelcamp gehen – sicher auch wegen der Kohle, aber hauptsächlich wohl, um wieder Applaus zu bekommen. Der kann nämlich definitiv süchtig machen. Und selbst heute noch, fünf Jahre später, giert mein Suchtgedächtnis danach, davon mehr zu bekommen. Schlimm, wenn man so ein Selbstdarsteller ist! )

Jetzt könnt ihr ja sagen: „Gut, der hat sich mit seinem Konsum ziemlich zu Grunde gerichtet, aber ist ja soweit erst mal alles gut für ihn verlaufen. Sieht bisschen komisch aus, der Kerl, aber wenn er nichts von seinen Gebrechen erzählt hätte, würde es gar nicht auffallen.“

Das kann man so sehen! Ich habe ganz schön viel erreicht! Nüchtern! Habe zwei Selbsthilfegruppen ins Leben gerufen und die auch zwei Jahre lang regelmäßig begleitet. Habe Bogenschießen gelernt.

Habe mich ein Stück weit in der Prävention etabliert! Ich bin Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Suchtvorbeugung im Kreis Warendorf (www.suchtvorbeugung-waf.de). Da sitzen regelmäßig Vertreter der Jugendämter aus dem Kreis Warendorf, Vertreter der Suchtberatungsstellen, die Fachstelle für Jugendschutz und eine Kriminalbeamtin der Kreispolizeibehörde (Dezernat für Prävention und Opferschutz) zusammen und erarbeiten Strategien und Methoden, um die Suchtprävention auf dem neusten Stand zu halten! Hierfür war ich maßgeblich an der Ausarbeitung und Zusammenstellung eines Alkoholparcours, der mit unterschiedlichsten Modulen Schüler spielerisch an das Thema Alkohol und Sucht heranführen soll, und der dazugehörenden Broschüre beteiligt. Ich bin da das erste Mitglied das aus der Selbsthilfe kommt. Ja, und ich kooperiere mit der Polizei – der Punk und die Polizei gemeinsam für die gute Sache! Die Beamtin ist aber auch eine ganz nette und fachkompetente Frau. Wir gestalten regelmäßig auch Elternabende zusammen.

Ich führe auch Gespräche mit Jugendlichen, die im Rahmen der Jugendgerichtshilfe betreut werden, weil sie gegen das BtmG verstoßen haben oder weil sie alkoholisiert Straftaten begangen haben!

(Ein jugendlicher Klient, der wegen einer anderen Sache bei der Jugendgerichtshilfe bekannt ist, wurde von der Polizei völlig betrunken in der Fußgängerzone aufgegriffen. Nachdem er im Krankenhaus behandelt wurde, hat ihm sein Betreuer ein Gespräch mit mir angeboten. In dem Gespräch hat er mir erzählt, es wäre das erste Mal, dass er getrunken hätte und dass er gar nicht so richtig versteht, warum er sich so abgeschossen hat. Jedenfalls hätte er jetzt auch keine Lust mehr am Trinken. Eigentlich ja eine super Sache! Gespräch fertig! Aber warum hat er direkt so viel getrunken?! Hat halt keine Erfahrung!? Hab ihn dann mal gefragt, wie sein Verhalten an der Spielkonsole ist. – „Wie Verhalten? Ich mach die an und dann zock ich, bis ich schlafen gehe.“ Aha! Flasche auf und dann trinken, bis nichts mehr geht. Wenn dieser Jugendliche keine Konsumgrenzen beim Zocken kennt, wo soll die Konsumgrenze beim Alkohol herkommen?)

Hab mit der Jugendgerichtshilfe auch ein achtwöchiges Seminar veranstaltet. Haben uns mit sechs Klienten einmal die Woche getroffen und mit ihnen ausgetauscht. Ein Abend war mein Bruder da und hat was über Gewalt gegen Feuerwehrleute erzählt. An einem anderen Abend hatte ich einen guten Freund eingeladen, der Bediensteter in der JVA Werl ist und dort in der Abteilung für Lebenslängliche arbeitet. Der hat sehr eindrucksvoll den Tagesablauf im Knast geschildert und die glorifizierenden Mythen der Haft des einen oder anderen zerstört.

Ich bin seit vier Jahren regelmäßig an der Fachhochschule Hüfferstift in Münster, um den angehenden Sozialarbeiter/innen mal zu erzählen, was da auf sie zukommen kann, persönlich und im Umgang mit Klienten, sollten sie sich für die Suchtbehandlungsarbeit entscheiden! Der/die eine oder andere Studierende hat nach meinem Vortrag von diesen Berufsplänen Abstand genommen – quasi eine Win-win-Situation.

War schon in mehreren Justizvollzugsanstalten, um mit den Gefangenen über dies Thema zu reden. In der JVA Werl saß ich dann mit zehn Häftlingen und natürlich Bediensteten in einer Runde. (Ja, in der Anstalt in der meine Bewerbung damals jäh vom Mediziner abgelehnt wurde!), alle zu erheblichen Haftstrafen bis hin zu lebenslänglich verurteilt.

Wir haben nach meiner biografischen Ausführung einen regen Austausch geführt.

Ein Häftling meinte, ich hätte ganz schön die Arschkarte. Wie man es nimmt – ich konnte am Ende der Veranstaltung nach Hause fahren.

Ein anderer Gefangener erzählte, er hätte ja auch mal eine Suchttherapie gemacht, aber das wäre irgendwie nichts gewesen und hätte gar nicht geholfen. „Hast Du die Therapie von dir aus gemacht oder war das ein Paragraph 35 Therapie statt Strafe?“

„Ein 35er.“

„Dann hast du dich also für die Einrichtung entschieden, die keine abgeschlossenen Türen hat und wo du dich frei bewegen kannst?! Hand aufs Herz, deine Intention war nicht Abstinenz sondern Freiheit.“

Und schon konnte man Fingerknöchel sehen, die weiß wurden. War aber ehrlich und hat das bejaht. (Ich hack nicht nur auf Jugendlichen rum...auch wenn sich das da ziemlich „ strange“angefühlt hat!)

Ja und was soll das dann bringen, wenn es nicht von dir heraus kommt?! Nichts.

Bin an ganz vielen Schulen, mittlerweile auch landesweit, unterwegs. Als ich mit den Vorträgen 2011 angefangen habe, war ich immer total aufgeregt und angespannt. Hab kurz meine Geschichte erzählt und Fragen beantwortet. War immer heilfroh, wenn Herr Wetterkamp, als mein Suchtberater und erfahrener Redner, oder mein Bruder Jens dabei waren. Zum einen hatte ich Unterstützung und die Stunde wurde sinnvoll gefüllt.

Irgendwann kam es dann zu Kürzungen des Budget bei der „Quadro“, wo Herr Wetterkamp Fachbereichsleiter ist, und von daher konnte er den einen oder anderen Präventionstermin nicht mehr mit mir wahrnehmen. Und Jens hat natürlich als Berufsfeuerwehrmann auch das eine oder andere Mal keine Zeit. Da hab ich angefangen, den theoretischen Präventionsteil von Herrn Wetterkamp mit zu übernehmen und habe bei Bedarf auch aus der Sicht von Jens berichtet.

Die ersten zwei Jahre hatte ich alle paar Wochen mal einen Vortrag. Hab aber über die paar Termine ganz viele Menschen kennengelernt, die in Fachstellen mit Suchtkranken arbeiten, und natürlich auch Selbsthelfer, die schon Jahre abstinent leben. Von all diesen Menschen durfte ich aus ihren Erfahrungen lernen.

Als ich dann mal eine Veranstaltung mit Manfred Gesch von der „Drobs“ in Ahlen gemacht habe, war ich schon ein Stück weit fasziniert. Da sprachen jahrzehntelange Erfahrung in der Suchtbehandlung/-Beratung und der Prävention, mit zig methodischen Ansätzen in der Vortragshaltung. Von Manfred habe ich unheimlich viel gelernt: über mich, mein Auftreten, meinen Umgang mit dem Auditorium und und und. Etliche Gespräche, die für mich nicht immer so angenehm waren, aber geformt haben.

Habe dann auch mal die ein oder andere Fortbildung zum Thema Sucht besuchen dürfen und all diese Erfahrungen kamen dann natürlich auch in meinen Vorträgen zum Tragen.

Ich habe nie großartig Werbung für meine Prävention gemacht. Alles passierte irgendwie über Mundpropaganda oder mal über Zeitungsartikel.

So ein Artikel brachte mich dann auch mal an ein Berufskolleg in Lippstadt. Die Lehrkräfte hatten an dem Tag Fortbildung und ich durfte hier einen Part zur Fortbildung übernehmen.

Als ich das Gebäude betreten wollte, wie ich eben so rumlaufe, kam direkt jemand auf mich zu und meinte, ob ich was nicht mitbekommen hätte?! Es wäre unterrichtsfrei, da die Lehrkräfte ja Fortbildung hätten. Musste ein bisschen schmunzeln. (Hat er mich für einen Schüler gehalten – nettes Kompliment!) Kurzum, dieser Lehrer war später in der Gruppe, die sich für den suchtpräventiven Vortrag angemeldet hatten, also bei mir.

Und egal, wo ich bisher gewesen bin, im Anschluss wollen alle, dass ich im nächsten Jahr nochmal wiederkomme – so wie 2014, nachdem ich im Städtischen Gymnasium in Ahlen war. Allerdings hatte die damalige Schulsozialarbeiterin, Lena Timmer, die Schule gewechselt und arbeitet jetzt in Brühl. Sie hat mich damals über Facebook kontaktiert und gefragt, ob ich auch nach Brühl kommen würde. Ja, aber selbstverständlich würde ich das! Und seitdem bin ich jedes Jahr dort.

Durch Lena, die über meine Prävention dann auch dort in ihrem Arbeitsumfeld berichtet hat, sind dann auch andere Schulsozialarbeiterinnen an mich herangetreten. Mittlerweile habe ich vier feste Schulen in Brühl, die ich jedes Jahr besuche. Und sie bekommen es untereinander hin, sich terminlich so abzusprechen, dass ich trotz meiner geringen Belastbarkeit alles gut hintereinander bekomme.

Tatsächlich reichen mittlerweile 90 Minuten für meinen Vortrag kaum aus.

Von daher bin ich froh, dass ich mittlerweile ein ganz gutes Gespür für das Auditorium entwickelt habe und auf genau die Punkte eingehen kann, die für die jeweiligen Menschen wichtig sind.

In einer Schule im Rheinland kommt nach meinem Vortrag in einer 10. Klasse ein Schüler zu mir und fragt, ob er meine E-mail-Adresse haben könnte. Er würde sich gerne mal mit mir austauschen. Auf meine Nachfrage, worum es sich handelt, wollte er nicht so direkt eingehen. Hätte aber primär nichts mit Sucht zu tun. Da wären andere Probleme, aber da wollte er jetzt nicht näher drauf eingehen. (Sehr gewählte Ausdrucksform für jemanden in der 10. Klasse!)

Die Lehrerin fragt mich im Anschluss, was der Schüler denn wollte. Hab ihr berichtet und sie meint: „Der redet mit niemandem außer mit seiner Inklusionskraft.“ Er wäre Autist. Krass da habe ich über meine Art, den Vortrag zu halten, Zugang zu einem Autisten bekommen.

Als ich wieder zu Hause war, habe ich eine Mail bekommen, in der sich der Schüler wohl alles von der Seele geschrieben hat. In Absprache mit ihm hab ich dann Kontakt zu der Schulsozialarbeiterin aufgenommen und es konnten im Verlauf einige Dinge geklärt werden. Das macht doch richtig Spaß, wenn ich was bewegen kann!

Habe mehrere Vorträge für den Landesreiterverband Baden-Württemberg und dem Landesverband Sachsen-Anhalt bei den Jungreitern gehalten. Darüber ist die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) auf mich aufmerksam geworden und ich durfte auf deren Bundesjugendtagung in Ludwigsburg und in deren Zentrale in Warendorf auch einige Vorträge halten – mit den ganzen Verantwortlichen im Auditorium!

In Baden-Württemberg kommt nach meinem Vortrag eine Frau zu mir, mit Tränen in den Augen, und ich will sofort in den „Kümmermodus“ schalten, als sie meint, das sei nicht nötig. Sie hätte ihren Mann im vorletzten Jahr verlassen, weil er auch gesoffen hätte. Leider wäre das nicht so gut wie bei mir verlaufen. Dieser Mann hat sich in der Folge tot gesoffen. Und ziemlich viele Leute in ihrem Umfeld hätten ihr dafür die Schuld gegeben. Durch meinen Vortrag wurde sie jetzt mal so richtig bestärkt, das Richtige getan zu haben, und ihr wäre nochmal klar geworden, dass sie keine Verantwortung für das Verhalten ihres Exmannes trägt. Das wäre gerade ein sehr befreiendes Gefühl, daher die Tränen.

Die Lesereise, die jetzt schon im zweiten Jahr stattfindet und durch den Corona- Virus je unterbrochen wurde, mache ich mit der Fachstelle für Jugendschutz, in Person von Manfred Gesch, der auch der Sprecher der AG Suchtvorbeugung ist. Und die Lesereise wird sogar von der Sparkasse Münsterland Ost gesponsert.

Seit 2015 bin ich regelmäßig in der Entwöhnungsklinik in Hörstel, um mich mit den dortigen Patienten auszutauschen. Als meine Mutter dort Patientin war, sind wir Angehörigen zu einem Seminar dorthin eingeladen worden. Meine Statements in der Runde und ein Gespräch mit Frau Keiser während der Mittagspause haben zu einer ersten Einladung dorthin geführt. Mittlerweile gibt es sechs feste Termine im Jahr.

Aber du machst doch Prävention – da ist ja wohl Vorbeugung zu spät!

Da geht es darum, ein Krankheitsverständnis zu vermitteln und somit vordringlich um Rückfallprävention. Die Suchterkrankung ist chronisch, also nicht heilbar, und wenn sie nicht in den Stillstand gebracht wird, tödlich. Und ich kenne die Mechanismen in der Klinik zur Genüge: Ich komme aus meiner „Säufer-Lethargie“ und dem Stress zu Hause in ein Umfeld, wo alle ganz viel Verständnis für meine Situation haben. Ich fühl mich angenommen und meinen Leidensgenossen geht es ähnlich. Somit kommen immer gute Gespräche zustande. Ok, alle laufen mit dem Schatten des suchtkranken Menschen durch die Gegend, aber das sind da ja die meisten. Und das daraus resultierende Minderwertigkeitsgefühl lässt sich prima mit den vermeintlichen Hochleistungen des eigenen Lebens aufpeppen: „Ich hab aber zwei Flaschen Wodka am Tag getrunken und ich hab dabei noch gekokst...“, „Mein Gamma-GT war aber so hoch...“ – „Ja, aber meiner war höher.“ (Der Gamma-GT ist ein Blutwert, der die Menge der abgestorbenen Leberzellen anzeigt. Je höher dieser ist, umso geschädigter ist das Organ. Bei einer Leberzirrhose (die sogenannte Schrumpfleber, da werden die Leberzellen durch Bindegewebe ersetzt, wie bei einer Narbe, und dieses hat keinerlei Filterfunktion) sinkt dieser Gamma GT Wert, weil wo keine Leberzellen mehr sind, können keine sterben.)

Macht total Sinn, sich mit solchen extremen Sachen zu brüsten, aber da sind wir dann wieder bei der narzistischen Persönlichkeitsstörung. Und alle reden den ganzen Tag über Konsum und wundern sich, warum sie am Ende des Tages Durst bzw. Suchtdruck haben.

Die Gemeinschaft in so einer Klinik ist toll. Alle Mitpatienten verstehen mich und ich kann mich prima austauschen, aber im Anschluss an die Klinik eine Selbsthilfegruppe zu besuchen, das muss nicht sein. Da sind nur auch alle vom Fach und man kann sich prima austauschen – nur dass die dann teilweise schon länger abstinent leben, was eigentlich ein gutes Zeichen ist, aber das, was die mir da erzählen, gefällt mir vielleicht gar nicht. Und verarschen lassen die sich auch nicht, weil die kennen sich da auch perfekt aus. Haben die selbst jahrelang gemacht.

Und wenn ich dann noch ausführe, dass die jeweiligen Partner/innen oder Angehörigen schon vor langer Zeit gemerkt haben, dass mit ihren Lieben was nicht stimmt, weil die sich emotional irgendwie entfernt haben, um eine Beziehung mit ihrem Suchtmittel zu führen, ist die Stimmung immer sehr nachdenklich.

Hinzu kommen dann auch so Sachen, wie sich über Zimmerbelegungen oder das Essensangebot aufregen oder dass man nicht zu jeder Zeit in den Fitnessraum kann.

(Manche werden richtig ungehalten, wenn sie nicht sofort dort hinein können, wenn sie „es“ brauchen. Der Fitnessraum in einer Entwöhnugseinrichtung ist eine feine Sache. Menschen, die aufgrund von Konsum länger nicht aktiv waren, können hier mal wieder den Körper in Form bringen. Allerdings sollte das unter fachkundiger Aufsicht passieren, denn Alkoholkonsum zum Beispiel schwächt Bänder und Sehnen. Und dann gibt es regelmäßig den oder sogar die Patienten, die kurz vor meiner Veranstaltung aus eben diesem Fitnessraum kommen, vor mir stehen und sagen: „Jupp, ich bin auf einem guten Weg. Ich will mir aber deinen Vortrag noch auf jeden Fall anhören.“ Und ich denke mir so: „Das willst du nicht und es wird dir auch nicht gefallen.“

Was passiert, wenn wir Sport machen bis hin zur totalen Erschöpfung? Der Körper schüttet Endorphine aus und die wiederum machen ein Hochgefühl. Süchtig nach dem Gefühl! Und zack, wird den Betreffenden klar, dass es quasi eine Form von Verlagerung ist. Und der Unmut, dieses Hochgefühl jetzt nicht sofort zu bekommen bei abgeschossener Tür, hat auch was mit Suchtdruck zu tun: Wenn ich Suchtdruck oder gar Entzug habe, dann brauche ich jetzt sofort mein Konsummittel, sonst wird die ganze Situation immer schlimmer.

Wenn ich dieses Sofort-Verhalten dann über lange Zeit lebe, dann wird das quasi ein Teil von mir und überträgt sich auch auf andere Sachen. Grundsätzlich ist meine Geduld erst mal gar nicht mehr vorhanden gewesen. Und das gehört auch zum Krankheitsbild und daran sollte gearbeitet werden. Leider gibt es da nur eine Möglichkeit: Aushalten – und über immer wieder Aushalten und Lernen, dass dann nichts Schlimmes passiert, seine Frustrationstoleranz hoch zu schrauben und über einen längeren Zeitraum geduldiger zu werden.

(Es spricht echt nichts gegen Sport, aber bitte mit dem Wissen um seine Funktion in dem Moment.)

Und wenn ich dann immer die ganzen Beschwerden über den Klinikalltag höre, dann werde ich nachdenklich. Wenn im Januar 2011 jemand zu mir gesagt hätte: „Stell dich nackt auf den Marktplatz und pfeif‘ fröhlich ein Lied, dann wird es dir besser gehen!“ Ich glaub, ich hätte es gemacht. Und dann sagen regelmäßig Patienten zu mir: „Du machst einem ja wenig Mut. Das soll doch hier eine förderliche Lesung sein!“

Das ist ja nur eure Erwartungshaltung! Es ist gar nicht meine Aufgabe, euch Luftschlösser zu bauen. Ich erzähle nur, wie es mir ergangen ist und welche Schlüsse ich aus meiner Selbstreflexion ziehe. Was ihr damit macht, ist eure Entscheidung. Aber wenn ihr hier seid und euch euer Kopf mit dem Gedanken, wenn ich hier raus bin, könnte ich wieder konsumieren, über Wasser hält, dann seid so ehrlich zu euch und auch zu dem Personal und redet darüber. Und wenn ihr lieber konsumieren wollt als hier zu sein, dann belegt nicht den Platz für jemanden, der es gerne schaffen würde. Ehrlichkeit mit sich ist das A und O dieser Behandlung. Und wenn es so richtig weh tut, dann gibt es eine Veränderung.

Mein Bruder hat am Anfang nach so einer Veranstaltung zu mir gesagt: „Wie kannst du so mit denen reden? Ich hätte dir schon längst die Meinung gegeigt. Das ist voll belehrend!“

Und so sehr mir dann auch in der Veranstaltung Verachtung entgegen schlägt, im Anschluss kommen die meisten und bedanken sich dafür, mal den Kopf gewaschen bekommen zu haben und nun klar zu sehen, wo die Reise hingehen könnte. Und tatsächlich gibt es dort Patienten, die nach meinem Vortrag erst den Entschluss fassen, doch eine Langzeittherapie zu machen und sich weiterführende Hilfe zu suchen.

Seit drei Jahren lädt mich auch die BEUMER Group, ein Maschinenbaukonzern in Beckum, regelmäßig ein. Die Auszubildenden, die dort gerade ihre Ausbildung angefangen haben, sitzen dann bei mir im Vortrag. Einige von denen kennen mich noch aus der Schule, freuen sich aber trotzdem auf meinen Besuch, so wie mir der Ausbilder und die Betriebssozialarbeiterin berichten.

Nach meinem letzten Vortrag dort stehe ich noch vor dem Gebäude und warte auf die Betriebssozialarbeiterin, um mit ihr Mittagessen zu gehen. (Sehr nette fachkompetent Frau, mit der ich mich auch zwischendurch mal austausche.) Da steht auf mal ein Auszubildender vor mir und fragt, ob ich ihn noch kenne? Jo, das Gesicht kam mir im Vortrag schon bisschen bekannt vor. „Ich war vor zwei Jahren noch am Berufskolleg in Ahlen in deinem Vortrag. Hab mit meinen beiden Mitschülern ganz schön viel Scheiß während deines Besuchs gemacht.“

Und da fällt es mir wieder ein. Das war wirklich heftig, wie sehr die gestört haben. Das hat ordentlich genervt und das haben die natürlich auch gesagt bekommen. Allerdings hat sich dieser Schüler im Anschluss mal zu Hause hingesetzt und über seine Zukunft nachgedacht. Ist dann zu dem Schluss gekommen, dass es so nicht weitergeht. Hat meinen Tipp beherzigt, sich Hilfe zu holen, wenn es gerade schwierig ist. Und mit Fleiß und Spucke hat er, so wie er sagt, die Kurve gekriegt. Und aus „Ich habe sowieso keine gute Zukunft – warum soll ich auf irgendjemanden hören?!“ wurde ein Ausbildungsplatz zum Industrieelektriker.

Ich liebe solche Momente! Ich verändere Leben, so oder so, aber alle, die mal in meinem Vortrag waren, sagen, es hat was mit mir gemacht. Das hat für mich was mit Glück zu tun, dass ich so etwas erleben darf, und dass ich in den letzten Jahren so viele tolle Menschen treffen durfte, von denen ich so viel lernen durfte. Ich hatte überlegt, sie alle hier aufzuführen. Habe dafür mit ziemlich vielen gesprochen, ob es für sie in Ordnung wäre, hier genannt zu werden. Einige finden das gut, andere finden das unnötig. (Das hier ist mal gerade völlig wertfrei!.)

Ich möchte mich an dieser Stelle von Herzen bei all den lieben Menschen in meinem Leben bedanken – ohne euch gäb es mich nicht!

(Alle meine Veranstaltungen können auf meiner Facebookseite verfolgt werden.)

So, auf einer Skala von 1-10, was glaubt ihr, wie hoch mein Selbstwertgefühl da einzuordnen ist? 1 ist wenig, 10 ist viel! Die häufigsten Antworten pendeln zwischen 6 und 9!

Wie ihr mich hier wahrnehmt, das ist meine narzistische Persönlichkeitsstörung – großspuriges Auftreten bei völlig herabgesetztem Selbstwertgefühl! Jetzt im Vortrag ist mein Selbstwertgefühl so ungefähr bei 2, wenn ich abends zu Hause im Sessel sitze, liege ich so bei 1. Ich bin 43 Jahre alt, an einem Stoff gescheitert, wo andere ganz normal mit umgehen können, mein Körper und meine Psyche sind sehr angeschlagen, ich bin Rentner, meine Rente zahlen eure Eltern und die anderen Arbeitnehmer in diesem Land, werde mir nie großartig was leisten können, habe den deutschen Staat mit Hartz IV und Behandlungskosten bisher ca. 300.000 € gekostet, bin ein unproduktiver Teil dieser Gesellschaft, quasi ein sozialschmarotzender Suchtiassi – und für das alles trag ich noch selber die Verantwortung!

Ein Schüler aus einer 9. Klasse hat mich dann mal gefragt, warum ich mich noch nicht aufgehhängt habe?!

Wenn ihr morgens wach werdet, was sind dann eure ersten Gedanken?

Das geht dann von müde, kein Bock auf Schule, Hunger, muss aufs Klo bis hin zu: Heute kommt jemand zu uns an die Schule, um was zu erzählen – cool, kein Unterricht.

Wenn ich morgens wach werde, tut mir mein ganzer Körper weh und ich muss mich erst mal bewegen, um die Gelenke zu schmieren. Wenn ich dann meinen Kadaver auf die Bettkante gewuchtet habe, freue ich mich jeden Morgen, dass ich alleine zum Pinkeln gehen kann und keine Krankenschwester mehr dafür brauche. Wenn ich dann auf meinem Klo sitze, freue ich mich, dass ich Klopapier habe. (Und auch wenn viele jetzt glauben, es liege an der Corona-Krise, dem ist nicht so!) Ich hatte 2010 mal drei Monate gar kein Klopapier und auch niemanden, der mir welches gebracht hätte. Jetzt könnt ihr euch selber überlegen, was man da macht, aber egal, was euch einfallen würde, das ist ziemlich ekelig.

(Und obwohl ich weiß, wie scheiße es sich anfühlt, kein Klopapier zu haben, habe ich keine Hamsterkäufe veranstaltet. Ich mag ein Suchti-Assi sein, aber so asozial den Anderen, die etwas brauchen, alles weg zu kaufen, würde mir im Leben nicht einfallen.)

Und wenn ich dann in meine Küche gehe und da läuft keine Ratte über die Arbeitsplatte und ich kann mir einen Kaffee machen und habe was zu Essen im Kühlschrank, dann bin ich zufrieden. Und wenn es mir so richtig scheiße geht, dann habe ich für mich Strategien entwickelt, die mich da wieder raus hohlen. Aber da muss ich mich drum kümmern – niemand anderes! Und wenn ich dann mit lieben Menschen spreche oder schreibe und deren Kontakt zu mir mich besser fühlen lässt, dann ist doch alles gut! Und wer von meinen Leuten das nicht möchte, der ist dafür verantwortlich, mir das zu sagen.

Da ich Rentner bin, habe ich jeden Tag viel Zeit. Und da die meisten Leute, die ich kenne, berufstätig sind, ergibt es sich, dass meine Tage von mir selbst gestaltet werden müssen. Ich habe da auch feste Strukturen für mich entwickelt.

Wenn jetzt aber mal eine Phase mit vielen Vorträgen ist, so vor den Ferien, weil da Spielraum in den Schulen für Prävention ist, dann habe ich natürlich gut um die Ohren und bin viel abgelenkt. Und dann kommen die Ferien. Nichts zu tun, außer meine Tagesstruktur. Und dann geht mein Kopf los und sucht sich Beschäftigung. Gedanken machen über alles, Gott und die Welt. Und dann neige ich dazu, mich in Gedankenspiralen zu verirren, die für mein Wohlbefinden nicht förderlich sind – depressive Verstimmungen. Da ich das weiß, kann ich, sobald das los geht, aktiv dagegen vorgehen. Sollte ich das mal aus Unachtsamkeit, weil ich eben auch nur ein Mensch bin, nicht schaffen, dann wird es umso anstrengender, aus diesen Gedankenspiralen heraus zu finden.

Das, was ganz viele gerade in Deutschland erleben, diese Isolation zu Hause, da leb ich quasi jeden Tag mit. Ist also für mich gerade im Grunde so wie immer in den Ferien. Und jeden Abend reflektiere ich meinen Tag. Und wenn ich es geschafft habe, nicht in Gedankenspiralen zu verfallen, dann macht mich das in dem Moment zufrieden.

Bisschen nachdenklich stimmt mich, dass mich kaum jemand fragt, ob ich eine Beziehung habe – irgendwie, als ob das für mich gar nicht erst in Frage käme.

Ok, ich war sehr lange alleine. Quasi einsam. Mit all den negativen Empfindungen und Gedanken, die das so mit sich bringt. Ist auch nicht gerade förderlich für das Selbstwertgefühl.

Ja, ich habe eine Beziehung. Seit 2 Jahren. Eine ganz liebevolle verständnisvolle starke Frau, die Nadine. Das muss an dieser Stelle reichen, denn es gibt auch Sachen in meinem Leben, die sind privat.

Wie geht es euch jetzt? Wie fühlt ihr euch? Ich spreche dann jede/n einzelne/n Teilnehmer/in an. Die häufigste Aussagen sind gut, nachdenklich (kommt „denken“ drin vor, ist also vielleicht eher kein Gefühl!?), bedrückt, mach mir Sorgen.

Und dann immer so die Kerle-Fraktion, die natürlich super drauf ist und dann so Kommentare raushaut wie müde, hab Hunger,...

Habe allen bei den Antworten ganz genau ins Gesicht geschaut und muss im Anschluss leider feststellen, dass die Mehrheit nicht ganz ehrlich war. Mir gegenüber nicht ehrlich zu sein, ist dabei gar nicht so sehr das Problem. Das Problem ist, dass sie sich gegenüber nicht ehrlich waren.

Was aus eurem Mund kommt, könnt ihr immer steuern. Wenn ich „Arschloch“ sagen will, dann tu ich das. Aber eure spontane Mimik während der Antwort lässt sich nicht willkürlich von euch beeinflussen.

Aus euren Mündern kommt „Mir geht es gut“ oder Ähnliches, aber in euren Gesichtern steht das genaue Gegenteil. Und wenn ihr das nicht ernst nehmt, wie es euch wirklich geht, wer soll das denn sonst tun?!

Heute müssen immer alle gut drauf sein. Da gibt es einen Spruch von einem großen Philosophen des letzten Jahrhunderts: Jemand anders sein zu wollen, ist eine Verschwendung deiner Person. (Kurt Cobain)

Wenn es euch nicht gut geht, dann sagt das auch! Nehmt euch ernst und äußert auch, was ihr braucht – und wenn das Hilfe ist, das ist das kein Zeichen von Schwäche, sondern von Stärke!

Im Übrigen sind soziale Medien ja ganz toll. Man kann sich prima austauschen. Allerdings kann ich auch prima anderen was vormachen. Ich schreibe „Mir geht es super!“ (mit Grinse-Emoji und Daumen hoch-Emoji) und zehn Minuten später geh ich auf den Dachboden, um mich aufzuhängen.

Ich kriege nur raus, wie es jemandem, der mir am Herzen liegt, wirklich geht, wenn ich dieser Person im Gespräch ins Gesicht gucke und irgendwann mal gelernt habe, dieses zu lesen. Das lerne ich aber nicht, wenn ich immer nur auf mein Smartphone gucke.

Jede Nachricht über Whatsapp o. ä., die eine positive Aussage hat, sorgt im Belohnungssystem dafür, dass genau so viele Glückshormone ausgeschüttet werden, wie bei einem Küsschen. Wenn ihr also 100 Nachrichten am Tag bekommt, bekommt ihr quasi 100 Küsschen. Wenn ihr dann mal sonntags mit euren Eltern auf dem Sofa sitzt und die fragen euch, warum ihr nicht so gut drauf seid und so ein Gesicht zieht, dann könnte das daran liegen, dass ihr am Sonntag nur 50 Nachrichten bekommen habt und euch somit 50 Küsschen fehlen. Und weniger geküsst werden, macht ein ungutes Gefühl – eine leichte Form der Entzugsverstimmung.

Ich bin unendlich dankbar für das, wie mein Leben in den letzten zehn Jahren verlaufen ist, und für die vielen tollen Menschen, die ich treffen durfte. Und jeden Tag hab ich Sorge, ob es morgen noch so weitergeht.

Früher hab ich mir nie Sorgen um morgen gemacht, nur ob ich genug zu konsumieren habe – also ein gutes Zeichen, dass ich aktiv am Leben bin!

© Copyright 2020 by Timo Schüsseler für den gesamten Text


timo.schuesseler@gmx.de

13.05.2023

Ich werde in letzter Zeit häufig darauf angesprochen, ob und wann es zu meinem zweiten Buch eine Fortsetzung geben wird. Ein Ereignis aus der letzten Woche, auf das ich später ausführlich eingehen werde, hat mich jetzt dazu veranlasst, mich hinzusetzen und die drei Jahre seit dem letzten Satz schriftlich Revue passieren zu lassen.

Wie fängt man denn mit einer Fortsetzung an, wenn im bisherigen Text Fakten erwähnt wurden? Man fast die entstandenen Veränderungen zunächst einmal zusammen.

Die SARS-CoV-2-Pandemie hat das Land bzw. die ganze Welt zwei Jahre lang ziemlich lahmgelegt und sehr viel gekostet – vor allem Menschenleben! Mittlerweile gibt es aber zuverlässige Impfstoffe und auch wenn die Diskussion über die ganzen Maßnahmen die Gesellschaft in Teilen gespalten hat, so lässt sich mittlerweile sagen, dass die Pandemie überstanden/beendet ist.

Und wir würden nun sehr positiv in die Zukunft schauen, wenn es nicht seit Februar 2022 den Krieg in der Ukraine geben würde, den Herr Putin vom Zaun gebrochen hat.

Nichtsdestotrotz ist die Pandemie vorbei und ich habe sie abstinent überlebt – was aufgrund meiner chronischen Erkrankungen zwischenzeitlich keine Selbstverständlichkeit war!

Als ich während des Lockdowns keine Vorträge halten konnte, war ich nicht nur psychisch am Boden, weil die Bestätigung für mein Belohnungssystem ausblieb, sondern auch finanziell, da natürlich auch die Honorare fehlten. Und eine finanzielle Unterstützung konnte ich nicht beantragen, da ich ja nicht steuerpflichtig tätig bin.

Kurzum: Ich hatte für eine lange Zeit ein ganz mieses Gefühl! Aber keine Sorge – es wird hier schon noch positiver!

Mein Bruder ist in der Zwischenzeit zum Brandrat befördert worden und leitet den Rettungsdienst der Feuerwehr Ahlen.

Die liebe Lena, die den kompletten Text Korrektur gelesen hat, heißt mittlerweile nicht mehr Timmer, sondern Antweiler, und sie und ihr Mann sind Eltern eines kleinen Jungen geworden.

Manfred Gesch, einer meiner Mentoren, ist in Rente gegangen.

Leider haben sich meine Befürchtungen bewahrheitet, über die ich ja auch so ziemlich alle zuständigen Stellen informiert hatte, nämlich dass die ganzen Lockdown-Geschichten nicht förderlich für die Entwicklungen der Krankheit Sucht sein könnten:

Im Jahr 2021 hatten wir insgesamt 1.826 Drogentote, davon alleine 695 in NRW.

Und letzte Woche Donnerstag, am 11.05.2023, hat der Beauftragte der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen, Burkhard Blienert, dann die Zahlen für 2022 verkündet: 1.990 Drogentote, davon 703 in NRW.

Die Bestrebungen der Bundesregierung, Cannabis kontrolliert freizugeben, nehmen immer konkretere Züge an und ich werde häufig gefragt, wie ich dazu stehe. Ich sage dann: Kann man machen. Aber wenn wir ein weiteres Gift auf den Markt werfen, dann müssen wir auch die Praevention hochfahren – vor allem auch die Stoffkunde!

Viele Menschen glauben, wenn die Bundesregierung den Stoff freigibt, dann ist das schon nicht so schlimm. Die tun das aber nicht, weil es nicht so schlimm ist, sondern weil die Gesellschaft dem Konsum von Cannabis heute viel offener gegenübersteht, als es noch vor Jahren der Fall war. Prohibition hat damals beim Alkohol schon nicht gut funktioniert! Und reflektierter Konsum ist hier auch nicht das Problem.

Und ich höre in letzter Zeit aus der Politik auch immer wieder, dass die Praevention ja so wichtig sei, aber leider passiert diesbezüglich praktisch nichts! Bei den letzten Bundeshaushaltsberatungen ist dem Sektor Praevention genauso viel Kohle zugesprochen worden wie in den Jahre davor – also viel zu wenig.

Aber zurück zu mir und dem, was so passiert ist.

07.04.2020

Das Manuskript zu meinem zweiten Buch ist fertig und ich sitze hier mit der Überlegung, wann und wie ich es veröffentliche. Klar, über den Selbstverlag „tredition“, wie schon mein erstes Buch! Mittlerweile ist mir klar geworden, dass ich etablierte Verlage scheue, weil ich Angst habe, von denen eine negative Bewertung meiner Manuskripte zu bekommen. Da es mit vermindertem Selbstwertgefühl eh schwierig ist zu glauben, dass das, was man macht, gut genug ist, ist dies nochmal eine ganz andere Nummer!

Jetzt im Lockdown hindert mich mein Selbstwert jedoch sogar daran, es selber zu veröffentlichen – ganz zu schweigen von den fehlenden finanziellen Mitteln.

Zum Sommer hin sollen die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie gelockert werden und ich denke, dass ich dann eventuell wieder in der Lage sein werde, mein Manuskript zu veröffentlichen.

Und tatsächlich darf ich in der Zeit von Juni bis zu den Sommerferien unter Einhaltung von Schutzmaßnahmen wieder in die Schulen und Vorträge halten. Die Schulen, die schon lange mit mir kooperieren, machen auch sofort Termine mit mir und setzten alles daran, dass die Praevention stattfinden kann. Das berührt mich sehr!

Nach den Sommerferien geht es mit Vorträgen auch erstmal weiter, bis im Oktober jedoch wieder ein Lockdown verhängt wird.

Im Dezember beschließe ich, mich mal den sozialen Medien gegenüber zu öffnen. Bisher hatte dies nur sporadisch auf Facebook stattgefunden, da mir das Suchtpotential dieser Medien natürlich bekannt ist, aber nun habe ich ja ein Manuskript, welches auf der Festplatte vor sich hin vegetiert, und vielleicht lässt sich auf diesem Wege ja was daraus machen.

Also habe ich mir einen Instagram-Account angelegt: @praeventionator – so wie mich der Schüler einer 9. Klasse mal genannt hat.

Danach erstmal gucken, wer sich da noch so rumtreibt. Und natürlich hoffst du inständig, dass die Leute dir auch folgen – was jedoch am Anfang auf keinen Fall so funktioniert, wie die eigene Erwartungshaltung das gerne hätte!

Aber immerhin habe ich hier meine Lieblingsband gefunden und erfahren, dass „Hämatom“ ein Online-Konzert spielen wird. Das kommt mir sehr entgegen, da ich aufgrund der Rückfallgefahr ja für mich beschlossen habe, keine Konzerte mehr zu besuchen.

Über die Nachrichtenfunktion schicke ich mein Manuskript an die unterschiedlichsten Profile in der Hoffnung, dass es diese Menschen interessiert. Damit habe ich aber leider mal so gar keinen Erfolg.

Unter einem Post von mir steht plötzlich, „einechtertatortreiniger gefällt dein Beitrag“. Ich gucke mir daraufhin das Profil an. Es ist jemand, der sowohl Tatorte reinigt als auch verwahrloste Wohnungen entmüllt und wieder auf Vordermann bringt. Die Fotos von den Wohnungen stellt er dann in sein Profil.

Die Bilder erinnern mich sehr stark an meine früheren Wohnverhältnisse. Oft sind es auch Wohnungen von Suchterkrankten!

Ich schreibe ihm daraufhin, dass ich aus ähnlichen Verhältnissen komme und dass man dies auch in meinem Manuskript nachlesen könne. Er antwortet, dass er meine Praeventionsarbeit gut fände und dass diese auch sehr wichtig sei. Das freut mich natürlich sehr!

Im Januar 2021 hat es sich in diversen Bereichen etabliert, Sachen online zu machen. Also halte ich mittlerweile auch Vorträge von zuhause aus.

Dank meines ehemaligen Bogensport Trainers David Hauck, der inzwischen an der TU Dortmund studiert hat und nun für diese arbeitet, kann ich hier auch einen Vortrag halten. Online. Und ja, es ist schön, dass es diese Möglichkeit gibt, aber diese Veranstaltungen sind natürlich längst nicht mit denen in Präsenz zu vergleichen.

Mein Vortrag ist für viele Menschen emotional anstrengend und wenn es sie packt, dann können sie den Raum verlassen, um sich zu schützen.

In Präsenz ist es anschließend möglich, das Gespräch zu suchen und klärend einzuwirken, so dass im besten Falle alle mit einem gutem Gefühl aus der Veranstaltung gehen können. Es macht ja auch was mit mir, wenn ich dafür verantwortlich bin, dass es jemandem durch das, was ich erzähle, gerade nicht so gut geht!

Im Rahmen des FSJ (Freiwilliges Soziales Jahr) in Magdeburg habe ich ebenfalls einen Online-Vortrag gehalten. Bei einer Person ging dann plötzlich die Kamera aus und sie war auch nicht mehr zu erreichen. Das hat mir nicht so gute Gedanken und Empfindungen gemacht.

Zwei Tage später schrieb mir die Seminarleitung, dass alles in Ordnung sei, diese Person in dem Moment aber einfach überfordert gewesen wäre.

Was mir bis dahin alles so durch den Kopf gegangen ist – derbe kann ich euch sagen!

Ich habe daraufhin selber die Online-Vorträge eingeschränkt bzw. auch darauf geachtet, dass es nicht ganz so junge Menschen sind.

David Hauck hat mir dann auch den Kontakt zur „Deutschen Telekom Stiftung“ vermittelt. Diese vergibt Stipendien an Menschen, die in den Bereichen der „MINT“-Fächer studieren, und auf deren Jahresseminar, welches ebenfalls komplett online abgehalten wurde, habe ich auch einen Vortrag gehalten.

Leider haben weitere Bemühungen, den Mutterkonzern für den Bereich Praevention zu motivieren, nichts ergeben.

März 2021

Ich sitze in Aachen bei meiner Freundin in der Küche. Es ist Sonntagmorgen um 06.15 Uhr und sie schlummert noch friedlich. Ich als Frühaufsteher bin aber schon wach und scrolle mich durch Instagram.

Der sehr bekannte Dr. Mark Benecke hat 2020 ein Buch mit dem Titel „Viren für Anfänger – Die wichtigsten Fragen und Antworten zu Corona“ herausgebracht. Dieses wird mir hier nun als Werbung angezeigt.

Mark Benecke hatte ich Ende der 90er zum erste Mal im TV gesehen. Ich glaube, es war beim Raab. Die Art und Weise, wie er damals Blutspuren erklärte, hat mich echt fasziniert.

In den nächsten Jahren ist er mir immer mal wieder im TV aufgefallen und jedes Mal war ich von seiner Art, komplexe Zusammenhänge und schwere Theorien so zu erklären, dass selbst ich sie verstehe, fasziniert!

Mittlerweile hatte ich schon länger nichts mehr von ihm gesehen oder gehört, aber durch die Werbeanzeige ist er wieder in mein Bewusstsein gehuscht. Also direkt sein Profil angesehen und festgestellt, dass der ganz schön bunt geworden ist. Ein richtig cooler Typ!

Und dann kann man an einem Sonntagmorgen um 06.20 Uhr doch mal all seine Utopie nehmen, Mark Beneckes E-mail-Adresse recherchieren und sein Manuskript mit einem kleinen Begleittext an ihn schicken. Ist ja Pandemie – vielleicht hat er ja Zeit, um das zu lesen (so wie Bettina auch schon ;-) ).

Gegen Mittag gehe ich in die Küche, wo mein Handy liegt. Ich gucke drauf und habe eine E-Mail bekommen – Absender: Dr. Mark Benecke. Ach du Scheiße, der hat mir geantwortet! Ich bekomme sofort richtig Puls und Blutdruck und einen spontanen Tremor in der Hand. Alles voll aufregend!

Selbstverständlich öffne ich die Mail sofort – NICHT. Das, was drin steht, könnte ja auch nicht so toll sein…

Aber das kriegste halt nur raus, wenn du deine Angst überwindest und nachguckst!

Also Mail geöffnet und Mark schreibt:

Gefällt mir echt gut der Text.

Wie wäre es, wenn ich ihn auf meiner Homepage veröffentliche?

Herzlichst

Markito

Was? Ne? Oder?!

Der findet meinen Text gut?! Krass!

Plötzlich stehe ich vor der Entscheidung, mein Manuskript als Buch zu veröffentlichen und ein paar Euro über die Verkäufe zu machen oder es für jeden kostenlos im Internet zugänglich zu machen – allerdings auf der Homepage eines Menschen, dessen Expertise und Art ich echt gut finde.

Für die Entscheidung habe ich ca. fünf Sekunden gebraucht. Vier davon hab ich intensiv geatmet.

„Selbstverständlich würde ich mich sehr freuen, wenn du meinen Text auf deiner Homepage veröffentlichen würdest!“, war meine Antwort.

„Alles klar, ich melde mich, wenn er hochgeladen ist“, war sein.

Nun ist ja Geduld nicht ganz so meine Stärke. Ich meine, ich arbeite daran und es ist schon viel besser geworden als noch vor ein paar Jahren, aber das hier war echt eine Herausforderung!

Marks Team war coronabedingt in Kurzarbeit und hatte alle Hände voll zu tun, so dass das Hochladen schon seine Zeit in Anspruch genommen hat. Aber auch wenn ich zum x-ten Mal nachgefragt habe, war Mark in seinen Mails immer wertschätzend und freundlich. Ein super Typ! Lieber Mark, sei auch auf diesem Wege herzlich bedankt dafür!

Am 12.07.2021 steige ich gerade in den ICE von Köln nach Hamm, da bekomme ich eine E-Mail. Sie ist von Mark, der schreibt: „Dein Text ist online.“

Ich bin so glücklich darüber, dass diese Fahrt gefühlt nur zehn Minuten gedauert hat.

Link in den Status stellen, Link ins Insta-Profil stellen und so weiter und so weiter…

Und abends habe ich den Link auch gleich an Dr. Martin Reker aus Bielefeld geschickt, um mal zu hören, was eine Koryphäe der Suchtmedizin dazu meint.

Desweiteren habe ich es dann auch noch an den Bundestagsabgeordneten hier aus dem Kreis Warendorf, Bernhard Daldrup (SPD), geschickt. (Ich meine, ich habe es an alle demokratischen Parteien geschickt, um auf die Praevention aufmerksam zu machen, aber was soll ich sagen – die SPD-Leute waren die Einzigen, die überhaupt geantwortet haben.)

Im Juli 2022 habe ich mich dann im Parteibüro der SPD Ahlen wiedergefunden, um mit Bernhard Daldrup in den Austausch zu kommen. Leider hatte die DB etwas gegen das pünktliche Erscheinen von Bernhard, so dass ich mich erstmal mit dem Kreisvorstand der SPD, Dennis Kocker, austauschen konnte. Er ist hauptberuflich Strafverteidiger und wir haben uns intensiv über das Thema „Therapie statt Strafe“ und die Unterbringung in der Forensik nach Straftaten unter Drogeneinfluss ausgetauscht.

Therapie statt Strafe ist ja eine feine Sache: Jemand begeht eine Straftat und bekommt vor Gericht, weil ja eine Suchterkrankung vorliegt und die Person zum Zeitpunkt der Tat unter Einfluss irgendeiner Substanz stand, eine Entwöhnungstherapie. So weit, so gut. Wenn in einer Einrichtung dann allerdings Leute rumlaufen, die auf die Therapie einen Furz geben und nur froh sind, dass sie nicht inhaftiert wurden, zieht das die Motivation einer erfolgreichen Behandlung der Mitpatient*innen in den Keller. Vom Erfolg einer erzwungenen Behandlung mal ganz abgesehen. Da sollte vielleicht dann doch nochmal hingeguckt werden…

Leider hatten Bernhard Daldrup und ich nur ein recht kurzes Zeitfenster für den Austausch. Deswegen habe ich von vornherein erklärt, dass ich im Laufe der Jahre häufig genug erlebt hätte, dass Entscheidungsträger o. ä. mir Sachen zusagen oder versprechen und am Ende doch nichts dabei rumkommt, weil mit Praevention eben kein Blumentopf zu gewinnen sei. Dann sollten sie doch lieber nix sagen und keine falschen Erwartungen wecken! Das hätte ich erst vor genau drei Monaten gehabt. Er wusste direkt, um welchen Termin es sich dabei gehandelt hatte, und fand meine offenen Art sehr angenehm.

Meine größte Bitte, so sagte ich ihm, sei es, den Kontakt zu oder besser noch einen Termin mit dem Beauftragten der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen zu bekommen. Und was soll ich sagen?! Es hat eine Weile gedauert, aber vor sechs Wochen habe ich die Bestätigung für ein Treffen mit Burkhard Blienert hier im Kreis Warendorf bekommen!

Coach Neunzig

Im Januar 2022 beim „Brühlathon“, also meiner alljährlichen Woche an den drei Schulen in Brühl, sitze ich im Büro von Heike Spieß, der Schulsozialarbeiterin der Clemens-August-Hauptschule Brühl.

Sie sagt mir, dass sie jetzt mit STABIL kooperiere und dass da zweimal in der Woche der René in die Schule käme, um mit den Jugendlichen zu arbeiten. Da gehe es dann um Deeskalation und Freizeitgestaltung durch Sport. Und der René würde sich meinen Vortrag auch gerne mal anhören. Ob das in Ordnung sei?! Klar, kein Problem! Jeder, der möchte, einfach dazugesetzt und zugehört!

Der erste Vortrag ist durch und ich gehe wie immer ganz artig vom Schulgelände, um eine zu rauchen. René sagt, er komme mit, obwohl er nicht mehr rauche. Wir unterhalten uns und er erzählt, dass er ja mal Football gespielt habe, dann Trainer wurde und jetzt Sportwissenschaften studiere und gerne mit Jugendlichen arbeite. Ein richtig netter und sympathischer Typ!

Zack – die Pause ist rum und ich muss zu meinem zweiten Vortrag. Vorher tauschen wir aber noch Telefonnummern aus, weil René meint, STABIL könne wohl Interesse an meiner Arbeit haben. Ich so: „Sag mal bitte für den Kontakt in meinem Handy deinen Nachnamen.“

„Neunzig.“

Ja super, Timo, du hast dann aber auch das Talent, nicht in Fettnäpfchen, sondern in ganze Öltanks zu latschen!! Vor mir stand DER Réne Neunzig, der 2000 mit den Cologne Crocodiles Meister wurde und auch für Berlin Thunder in der NFL Europe gespielt hat. (Es sei mir zugutegehalten, dass sich Menschen im Laufe der Jahre verändern – insbesondere stark austrainierte Sportler*innen, die dann nicht mehr ständig unter Volldampf stehen.)

Aus dieser kurzen Begegnung mit René hat sich gut was entwickelt: Wir stehen mittlerweile in gutem Kontakt.

Wen man nicht so alles trifft, wenn man nüchtern und konstruktiv unterwegs ist.

STABIL – Kai Kemper

René Neunzig stellt dann tatsächlich den Kontakt zu STABIL her. (Unter www.stabil.gmbh.de erfährt man alles über den Anbieter für Jugendhilfe mit mehreren Standorten im Bundesgebiet.)

Ein Mitarbeiter, Kai Kemper, kontaktiert mich und wir verabreden uns zu einem Telefonat, um uns mal auszutauschen. Am Telefon erzählt mir Kai von den verschiedenen Angeboten von STABIL (Jugendhilfe, Sportschule und eine Akademie) und ich gebe ihm einen kurzen Einblick in meine Vortragsarbeit. René hatte schon sehr positiv über mich berichtet. ;-)

Da es immer besser ist, mich im Vortrag zu erleben, lade ich Kai zu meinem nächsten Vortrag in der Clemens-August-Hauptschule Brühl ein und er sagt gerne zu. Wir quatschen noch ein bisschen weiter und ich erfahre, dass er ehemaliger Stuntman ist und auch Krav Maga (ein israelisches Selbstverteidigungssystem) betreibt.

Nach dem Telefonat muss ich immer an einen Satz von Kai denken: „Es kommt auf die Haltung an“ – also sowohl auf die Haltung zu bestimmten Dingen als auch auf die Körperhaltung.

Da es mir bekanntermaßen in Ferien aufgrund der mangelnden Vorträge und dem damit verbundenen „Applaus-Entzug“ eher nicht so gut geht und wir kurz vor den Weihnachtsferien telefoniert haben, beschließe ich diese Übung zum Selbstwert mal umzusetzen: Immer, wenn meine Stimmung mich in eine leicht gebeugte Körperhaltung mit hängenden Schultern und so versetzt, dann Kopf hoch, Rücken grade und eine stabile Körperhaltung annehmen!

In diesen Ferien ist meine Stimmung jedenfalls nicht ganz zu Boden gegangen.

Kai kommt zu meinem Vortrag und anschließend gehen wir zusammen zum Mittagessen, um eine etwaige Kooperation zu besprechen. Richtig gute Zeit mit Kai gehabt! Ich finde seinen Ansatz, nicht immer um jeden Preis deeskalieren zu müssen, sehr erfrischend. Aber vielleicht braucht der junge Mensch das gerade und dann muss man halt für den Raum sorgen, in dem es passieren kann.

STABIL arbeitet mit Jugendlichen, bei denen in der Regel andere Systeme schon raus sind. Und ich denke, da ich ja auch schon René kennengelernt habe, werde ich meinen Kontakten an den Schulen mit sehr gutem Gewissen empfehlen können, mal bei www.stabil.gmbh.de zu gucken. Ich finde, gerade in der heutigen Zeit, in der auch Lehrkräfte zum Teil verbal sehr angegangen werden oder sogar körperlichen Schaden nehmen, ist Deeskalationstraining an den den Schulen eine feine Sache, um dem entgegenzuwirken.

Tatortreiniger

Ende 2021 schreibt mir der Tatortreiniger, dass er ein Buch rausbringen und damit auf Tour gehen würde. Ich möge mir gerne eine Veranstaltung aussuchen und könne dann dort kostenlos teilnehmen und wir könnten uns austauschen. Im März 2022 bin ich also nach Bielefeld in den Lokschuppen, um Thomas Kundt zu treffen.

Das Treffen war sehr nett und wir haben uns über unsere jeweiligen Tätigkeiten ausgetauscht. Wir könnten ja auch mal was zusammen machen und uns gegenseitig supporten.

Bei seinem Vortrag hat er dann erwähnt, dass sehr viele verwahrloste Wohnungen aufgrund von Suchterkrankungen der Bewohner*innen entstehen würden – vornehmlich durch Alkohol. Aus diesem Grund hätte er sich heute Abend mit mir getroffen, weil ich sehr wichtige Arbeit im Bereich der Praevention leiste.

Die Bilder, die anschließend gezeigt wurden, sind mir schon ziemlich unter die Haut gegangen. Er hatte im Gespräch schon zu mir gesagt, ich möge gut auf mich achtgeben und dass er Bilder zeige, die so noch nicht im Internet zu sehen waren. Meine Reaktion darauf war: „Ach, da mach dir mal keinen Kopf! Ich bin ja schon groß.“

Und dann kam dieses eine Bild.

Ein Wohnzimmer mit heruntergelassenen Jalousien. Genau wie bei mir.

Links an der Wand der Fernseher, rechts ein Sessel und ein Tisch. Genau wie bei mir.

Zwischen Fernseher und Sessel alles voller leerer Bier- und Schnapspullen. Genau wie bei mir.

Alles genau wie bei mir 2010, aber mit einem Unterschied: Der Mensch, der da im Sessel saß, war schon seit geraumer Zeit tot.

Und plötzlich war ich nicht mehr groß. Das, was in dem Moment alles gleichzeitig mit mir passiert ist, lässt sich gar nicht in Worte fassen. Die nächsten Bilder habe ich gar nicht mehr mitbekommen. Ich saß einfach nur da und war raus.

In der Pause bin ich dann direkt Backstage gegangen und habe zum Thomas gesagt, dass ich nach Hause fahre. „Ja“, sagt er, „ich habe dich im Blick gehabt. Du wurdest ganz weiß im Gesicht.“

Dieses Bild hat mich ungefähr noch sechs Wochen lang begleitet. Mir wäre es definitiv auch so ergangen, wenn die Frau vom sozialpsychiatrischen Dienst mich damals nicht aus meiner Wohnung geholt hätte.

Das Ganze hat mich so mitgenommen, dass ich während meines nächstens Vortrags einige Schüler*innen, die – wie es an sich häufiger vorkommt – an diversen Stellen gelacht haben, so in den Stiefel gestellt habe, dass die anwesende Zeitungsredakteurin wohl den schlechtesten Artikel zu meinen Vorträgen schreiben musste, den es bisher gab. Und das völlig zu Recht!

Man kann ja glauben, dass schwerwiegende Ereignisse im Leben hinter einem liegen und dass man ja mittlerweile wieder klar kommt, aber die Psyche und die Seele vergessen nicht! Und plötzlich kommt ein Moment, in dem alles wieder hochkommt und sich Bahnen bricht. Darum ist es wichtig, sich mit dem Erlebten auseinanderzusetzen und damit zu arbeiten.

Bei mir hat es elf Jahre gedauert, bis es raus kam. Und nun ist es wieder regelmäßig da, aber in Dosen mit denen ich gut zurecht komme.

Ich habe dann in der Folgezeit immer, wenn ich morgens eine Story von der Schule, in der ich gerade war, auf Insta erstellt habe, Thomas‘ Profilnamen markiert und in meinem Vortrag gesagt: „Da könnt ihr dann mal gucken, wie so eine verwahrloste Wohnung aussieht.“

Leider kam vom Tatortreiniger nicht einmal ansatzweise der gleiche Support. Irgendwann hat auch ein Schüler gesagt: „Jo, dem folge ich, aber du machst ja nur Praevention. Da gibt’s Spektakuläres zu gucken.“

Ich finde, Instagram oder ähnliches sollten nicht „Soziale Medien“ heißen, sondern „EGO-Medien“. Das ist mir nämlich nicht nur mit diesem Profil so gegangen. Und darum markiere ich mittlerweile nur noch Leute oder Einrichtungen, wo es auf Gegenseitigkeit beruht, da ich Netzwerken nach wie vor für sehr wichtig halte.

Oliver Schüring

Im September 2021 darf ich zum zweiten Mal an die Max-Ernst-Gesamtschule in Köln-Bocklemünd kommen. Anna Brautmeier, die mich im Rahmen des Arbeitskreises Schulsozialarbeit in Brühl kennengelernt hatte, lädt mich seitdem ein.

Ich halte meine zwei Vorträge in der Turnhalle und gehe anschließend schonmal nach draußen, um eine zu rauchen und dann eine Feedbackrunde mit Anna zu starten. Da steht vor dem dem Schulgelände ein Polizeiwagen mit zwei Beamten davor. Oha, was hier wohl los ist? (Kennt ihr das – ihr habt nix gemacht und trotzdem ist das so ein klein wenig unangenehm in der Magengegend?!)

Der eine Beamte sieht mich und wie es häufig so ist, wenn Menschen mich sehen, wie ich auf den Schulhof oder vom Schulgelände komme, kriegen die beiden direkt so einen prüfenden, fragenden Gesichtsausdruck. Und bevor hier irgendwas komisch wird, grüße ich freundlich und bekomme ein freundliches „Mahlzeit“ zurück.

Anna kommt und fragt: „Habt ihr euch schon kennengelernt? Das ist der Timo. Der macht hier an der Schule Praevention. Und das ist der Herr Schüring. Der hat hier heute mit seinem Kollegen etwas über das Berufsbild Polizei erzählt!“

So sind wir ins Gespräch gekommen und ich konnte erzählen, dass mein niedergeschriebener Vortrag dem Kriminalbiologen gut gefallen hat. Das hat sofort Eindruck gemacht! Besser, als das Buch aus der Tasche zu holen und zu sagen, hier hab ich geschrieben - können sie ja mal lesen.

Die beiden Beamten haben reges Interesse an meiner Arbeit gezeigt und ich habe meine Kontaktdaten in Form des Suchtberatungsführers Kreis Warendorf rausgegeben.

Polizeihauptkommissar Oliver Schüring hat sich dann auch zeitnah bei mir gemeldet und geschrieben, dass er meine Kontaktdaten an die Kollegen weitergibt.

April 2022

Anruf von der Polizei Köln Weiden: Der Polizist sagt, er habe meine Telefonnummer von Oliver Schüring bekommen und er würde sich gerne mit mir über meine Praeventionsarbeit unterhalten.

Ich sage, am einfachsten wäre es, wenn ich mal in der Dienststelle vorbeikommen würde. Dann hätte man sich auch mal gesehen und man könnte sich ausführlich austauschen. Ich hätte im Mai einen Vortrag in Wesseling und könnte anschließend mal rumkommen.

Gesagt, getan.

2.Mai 2022

Ich fahre zur Polizei Köln-Weiden – freiwillig!! ;-)

Der nette Beamte, mit dem ich telefoniert hatte, nimmt mich in Empfang und sagt, er habe auch den Oliver und seinen Kollegen gefragt, ob die dazu kommen wollen. Und zack, sitze ich mit drei Polizisten in dem Büro.

Oliver hat ein Shirt von InExtremo an und ich kann mir die Frage nicht verkneifen, ob er gerade undercover unterwegs gewesen sei. Eis gebrochen. Oliver hört diese geile Art der Musik und kennt sogar „Hämatom“! Ich sage, da werden wir gleich mal ein bisschen ausführlicher werden müssen.

Es entwickelt sich ein reger Austausch über Sucht, Praevention, Straftaten unter Drogen-/Alkoholeinfluss, aber auch über Psychosoziale Unterstützung von Einsatzkräften.

Im Laufe des Gespräches kommt noch eine Beamtin dazu, dann noch ein Beamter und irgendwann sitze ich zwischen sieben Polizeikräften und beantworte Fragen zu obigen Themen. Es gibt auch lecker Kuchen und Kaffee. Und das Thema psychosoziale Unterstützung findet besonderen Anklang – auch mit Blick auf die Situationen, die vermeintlich gar nicht so krass sind.

Natürlich sind Gewaltdelikte psychisch belastend. Das leuchtet jedem vernunftbegabten Menschen ein. Aber zum täglichen Brot der Polizeikräfte gehört es leider auch, dass sie beschimpft, beleidigt, verunglimpft werden. Und auch das macht auf Dauer etwas mit dem Wohlbefinden von Menschen!

Ich berichte von meinem Kontakt zu dem PSU-Beauftragten der Ahlener Feuerwehr und wie ich die Situation von Einsatzkräften in meinen Vortrag eingebaut habe. Ja, ich habe da mit Polizeikräftengesprochen, aber auch das sind Menschen, die sich um die Gesellschaft verdient machen. Und ich finde es unerträglich, dass einer Person, nur weil sie eine Uniform trägt, von Teilen der Gesellschaft das Menschsein abgesprochen wird. Da muss hingeguckt werden!

Ein Beamter meint sogar, ich solle vielleicht auch mal in der Ausbildung der Polizei Vorträge halten. Aber leider sehen das die gehobenen Führungskräfte anders. Alle Bemühungen meinerseits, da etwas zu tun, werden schlichtweg ignoriert.

Das höchste der Gefühle war eine Antwort von jemandem aus dem Landesinnenministerium: „Wir kennen und sehen die Problematik der Belastung und wir kümmern uns darum.“

Na gut, dann ist das so. Ich werd es trotzdem weiter versuchen!

Ich habe dann noch von dem Konzept berichtet, welches ich mit der Praeventionsbeamtin und der Schulsozialarbeiterin ausgearbeitet habe, wo jeder eine Klasse für 90 Minuten übernimmt und dann gewechselt wird. Das ist auf großes Interesse gestoßen.

Zum Abschluss haben wir ein richtig feines Foto gemacht und dann konnte ich mich noch privat mit dem Olli über Hämatom austauschen. Ich habe ihm dann auch noch eine meiner Überziehmasken mit Hämatom-Schriftzug geschenkt und erzählt, dass WEST, der Bassist, wenn ich ihn über Ista anschreibe, auch antwortet, was ich ziemlich cool finde.

Am Ende noch schnell Handynummern ausgetauscht, damit die Metallheads in Kontakt bleiben können.

Ein paar Monate später lese ich bei Facebook, dass in dem Ort, in dem Olli wohnt, ein großer Trödelmarkt stattfindet. Wäre doch eine super Idee, ihn mal zu besuchen!

11.09.2022

Nadine und ich fahren Olli besuchen.

Der Polizist hatte schon herausgefunden, dass ich an diesem Tag Geburtstag habe, und hat mich mit dem coolsten Shirt als Geschenk überrascht. Wir haben dann auch die bessere Hälfte vom Olli kennengelernt und den kleinen Mann, den die beiden aufgenommen haben, der jetzt noch nicht ganz so vom Leben beschenkt wurde. Einfach herzliche Menschen, die man echt gut um sich haben kann!

Beim darauffolgendem Termin an der Max-Ernst-Gesamtschule haben sich der Olli und ein Kollege dann bereiterklärt, das Praeventionkonzept wie oben beschrieben mit mir umzusetzen. Und Anna Brautmeier hat sogar einen Elternabend geplant. Dieser verlief aber leider wie so häufig: für vier Jahrgänge eingeladen, aber nur 20 Eltern bzw. Elternteile kommen. Olli hat an dem Abend den Part der illegalen Substanzen und die Arbeit der Polizei erklärt, ich habe meinen Praeventionsvortrag gehalten und anschließend haben wir beide Fragen beantwortet.

Auf die Frage von einer Mutter, wann die Polizei denn endlich die Dealer aus der Umgebung entferne, hat Olli versucht, ihr die Problematiken aufzuzeigen, mit denen sich auch die Exekutive auseinandersetzen muss, wenn es um diese Themen geht. Es war klar rauszuhören, dass sie sich erhebliche Sorgen um ihren Sohn und sein etwaiges Konsumverhalten machte.

Ich habe dann versucht darzulegen, dass es aber auch zu der Problematik gehört, dass ihr Sohn und natürlich auch andere zu den Dealern gehen und so das Geschäft am laufen halten. Aber es kommt eben sehr häufig vor (später noch ein Beispiel dazu), dass Eltern wollen, dass DIE etwas verändern und sich kümmern, aber die eigene Verantwortung aus den Augen lassen.

Am nächsten Tag haben wir dann die Schüler*innen des 8. Jahrgangs in zwei Gruppen geteilt und jeweils unseren Part der Praevention durchgeführt.

Bei meiner zweiten Einheit kam der WDR dazu, um für die Lokalzeit Köln einen Beitrag über mich und meine Arbeit zu machen. Leider konnten wir unser gemeinsames Konzept nicht im TV vorstellen, da die Zusage zum Dreh vom WDR etwas zu spät kam, so dass Olli keine Genehmigung der Pressestelle der Polizei mehr einholen konnte.

Den Beitrag kann man auf meinem YouTube-Kanal „Praeventionator Timo Schüsseler“ ansehen.

Link zum Beitrag: Video Lokalzeit Köln

Die Rückmeldungen über diese Form der Praevention aus der Schülerschaft waren positiv. Auch dass die Polizei mit einem langhaarigem Typen wie mir etwas zusammen macht, ist sehr positiv wahrgenommen worden.

Für dieses Jahr haben wir die Praevention an der MEG darum wieder genauso geplant. Da freue ich mich schon drauf!

Da Olli sogar im Fanclub von „Hämatom“ ist und regelmäßig deren Konzerte besucht und die Junx auch schon mal backstage trifft, kriege ich schön regelmäßig Impressionen von den Veranstaltungen.

Aber da es mir im Leben ja auch um Weiterentwicklung geht, habe ich mich entschieden, dass es mal wieder Zeit wird, selbst ein Konzert zu besuchen. Olli hat sich direkt bereiterklärt, mit mir dort hinzugehen und mit mir nüchtern zu bleiben. Ein richtig feiner Typ Mensch!

UnRuDu

Seit Dezember 2021 habe ich eine Begleitung zu meinen Vorträgen. Es ist ein Einhorn-Quitscheentchen: „Unicorn Rubber Duck“. Und das kam so:

Ich glaube, es war 2017 oder 2018. Jedenfalls sitze ich abends vor der Glotze und weil nix Gutes läuft, zappe ich durch die TV-Landschaft. Auf einmal erscheint auf meinem Bildschirm eine Bühne und an der Bühne hängt ein skelettierter Stierschädel. Ah, eine Aufzeichnung aus Wacken! Normalerweise würde ich jetzt umschalten, weil ich es schwer aushalten kann, mir Sachen, die ich aus Vernunft nicht mehr tue, im TV anzusehen. Aber lass mal kurz gucken…

Vier Typen auf der Bühne und alle tragen Masken. Interessant. Machen wohl einen auf „Slipknot“. Der Sound ist aber geil! „….halt dir 2 Finger an den Kopf...“ – ein cooles Metall-Cover von Marterias „Kids“. Ich zieh mir den Song zu Ende rein und denke, geile Stimmung. Am Ende von dem Song steht unten am Bildschirm, dass die Band „Hämatom“ heißt. Mmmh, geiler Bandname!

Der Bassist geht von der Bühne und verteilt Blumen an die Frauen im Publikum. Hö, crazy! Der Sänger sagt „Eva“ und das Stück geht los. Auch ein geiler Sound und ein geiler Text!

Als es mit „Wir sind Gott“ weitergeht, denke ich, „ja nee, is‘ klar.“ Der Text hat mich dann dazu veranlasst, die Fernbedienung gänzlich wegzulegen. Hammer, genau meine Denke geil in Mucke umgesetzt! Muss ich einfach „googeln“.

Freier Auszug aus Wikipedia:

Hämatom ist eine deutsche Metal-Band aus Speichersdorf, die sich bereits bei ihrer Gründung 2004 als Gesamtkonzept aus Musik und Visualisierung angelegt hat. Die Bandmitglieder gaben sich als Pseudonyme die Namen der vier Himmelsrichtungen: NORD – Gesang, OST – Gitarre, WEST – Bass und SUED – Schlagzeug.

Anschließend bin ich dann direkt zu meinem Online-Mucke-Dealer (Ich streame nicht, da ich finde, dass gute Kunst und geistiges Eigentum gut bezahlt gehören!) und habe mir im Rahmen meiner finanziellen Möglichkeiten direkt ein paar Songs besorgt und quasi in Dauerschleife reingezogen. Die Texte haben Substanz und der Sound schmeichelt sehr meinem Nervus Akustikus!

Von da an habe ich immer, wenn ich es mir leisten konnte, meine Sammlung gemehrt.

2020 kam die Hymne zur Pandemie „#FCKCRN“

2021 haben die Junx dann mal was ganz anderes gemacht. Sie haben „Berlin“ veröffentlicht, eine Platte im Stile der 20er Jahre. Das dazugehörige Release-Konzert gab es online und es war großartig.

Richtig gute Musiker die Junx!

Dann kam die Ankündigung zum neuen Album, das am 3. Dezember 2021 erscheinen sollte: „Die Liebe ist Tot“. Zu dem Album sollte es Freak Boxen geben. Jedes Bandmitglied hatte eine eigene zusammengestellt, mit der jeweiligen Maske und noch weiteren Gimmicks. Am liebsten hätte ich natürlich alle bestellt, aber das war finanziell gerade überhaupt nicht machbar.

Als fast alle Boxen ausverkauft waren, bekam ich dann doch noch einen Vortrag, den ich halten durfte, und konnte mir so quasi die letzte WEST-Maske sichern.

Am 04.12. kam die Freak Box dann bei mir an. Ich gucke rein und als Gimmick liegt eine Einhorn-Quitscheente drin – in Anlehnung an „Eva“, das Einhorn, das WEST bei Auftritten schon mal auf die Bühne begleitet.

Am 13.12. habe ich den letzten Vortrag des Jahres im Archigymnasium in Soest und denke, ich nehm die Ente mal mit. Vielleicht lässt sich da was mit machen.

Bei der methodischen Übung, bei der ich die Schüler*innen frage, wie man an Sachen in einer Tasche kommt, ist die Ente in meinem Rucksack und als ich sie zur Auflösung der Übung aus diesem heraushole, fangen alle an zu grinsen und kriegen einen entspannten Gesichtsausdruck.

Während meiner emotional doch recht anstrengend gelagerten Vorträge gucken alle immer ziemlich angespannt. Nun habe ich die optimale Lösung, diese Spannung zu minimieren. Wichtig ist es ja, dass in den Vorträgen trotz schwerer Thematik auch der Spaß eine Rolle spielt, weil ich nur wirklich bei den Menschen ankomme, wenn ich es schaffe, die ganze Bandbreite von Emotionen abzudecken. Dann ist es eine umfängliche Erfahrung und wird nicht so schnell vergessen. „Wissen ist das Kind der Erfahrung“ – Leonardo da Vinci.

Die Ente wird also zum festen Bestandteil meines Vortrags und ist somit auch immer ein bisschen Support für diese geile Band.

Im Januar 2022 bin ich zu Vorträgen in Brühl und sitze in meinem Hotel. Da gerade nichts anderes anliegt, denke ich, wie wäre es denn, wenn die Ente ihr eigenes Instagram-Profil bekäme, das dann auch gar nichts mit Sucht und Praevention zu tun hätte?! Es gibt ja sicherlich Menschen, die (aus welchen Gründen auch immer) nicht wollen, dass man sieht, dass sie jemandem folgen, der Praevention in seinem Profilnamen hat, aber trotzdem wissen möchten, was ich so mache und wo ich gerade wieder bin.

@unrudu ist geboren!

Und ich freue mich sehr über mittlerweile fast 300 Menschen, die der Ente folgen, und insbesondere darüber, dass einer davon WEST ist.

UnRuDu hat mittlerweile eine weibliche Begleitung, die ich im Urlaub in Holland in einem Souvenirladen entdeckt habe, und ein lieber Freund hat mir zudem noch eine Mini-Einhorn-Quitscheente geschenkt.

Ich werde häufig gefragt, wie ich eine Band gut finden kann, die in ihren Texten auch schonmal dem Konsum von berauschenden Substanzen zugetan ist?!

Leute, wenn Songs wie „Fi***n unsren Kopf“, „Lichterloh“ und „Totgesagt doch neugeboren“ oder Textzeilen wie „Das Gefühl, kennst du es auch, dass nicht einer an dich glaubt? Scheiß auf sie und mach dein Ding, nur wer nicht aufgibt, der gewinnt“ nicht völlig zu meiner Biographie passen, dann weiß ich es auch nicht! Nur weil einer vom Saufen singt, muss man es ja nicht gleich tun!

Ich freue mich gerade tierisch, dass WEST sich bereiterklärt hat, diesen Text zu lesen (hoffe, die anderen lesen ihn auch!) und mir seine Meinung dazu mitzuteilen. Gleichzeitig geht mir aber auch ziemlich die Düse.

Dr. Martin Reker

Auf die Mail mit dem Link zu meinem Text antwortet Dr. Reker ob ich Interesse hätte an seinem Fachkongress des Vereins zur „Gemeinde orientierten Psychotherapie“ mitzuwirken. Ja aber selbstverständlich hab ich das. Soll im Mai 2023 stattfinden und ich meißel den Termin in meinen Kalender.

Am 4.12.2022 sitze ich wie immer Abends in meinem Sessel kieke irgend ein Kram. Guck zwischendurch auf mein Handy welches in der Regel stumm geschaltet ist. Anruf in Abwesenheit. Dr. Martin Reker hat auf die Mailbox gesprochen.

Ob ich Interesse hätte mit ihm am anthroposophischen Videopodcast von Prof. Thomas Bock in Hamburg teilzunehmen.

Was? Wie jetzt? Im anschließendem Telefonat erklärt mir Dr. Reker worum es geht und das es schon am Donnerstag wäre. Donnerstag hab ich einen Vortrag in Kooperation mit der Caritas Tecklenburger Land in Ibbenbüren.

Am selben Abend noch den Lehrer des Berufskolleg angeschrieben und ihm die Sache dargelegt und wie wichtig es mir wäre diese Chance wahrnehmen zu können.

Wenn Dr. Reker fragt ob ich an dem Videopodcast von dem Prof. Bock teilnehmen möchte ist das genauso wie die Situation mit der Buch Veröffentlichung auf Mark`´s

Homepage. Das ist alternativlos. Der Lehrer und auch die beiden lieben Menschen von der Caritas haben vollstes Verständnis und somit habe ich das erste Mal in 10 Jahren Vortragsarbeit einen von mir aus abgesagt. (Gab einen Ersatztermin.)

Donnerstag 8.12.22 5:58h ich steige in den Zug nach Bielefeld um mich mit Dr. Reker zu treffen und weiter nach Hamburg zu fahren.

Auf der Fahrt haben wir uns aufs Du verständigt. 3 Stunden Zugfahrt mit dem leitenden Oberarzt der Klinik für Suchtmedizin in Bethel. Astrein. Haben dann zeitnah mit dem besprechen des Fachkongress begannen und Martin sagt er würde die Themen auch gerne kontrovers diskutieren. So haben wir dann auch. Hat richtig Spaß gemacht und ich hab eine ganze Menge lernen können. Ob ich den input Vortrag zu dem Thema „Recovery und Partizipation“ halten könnte. Klar bin ja quasi Wiederhergestellt und integriert;)

In Hamburg angekommen in das Taxi und zum Studio von „Marie Quadrat“

Begrüßung bisschen Smalltalk und dann geht die Aufzeichnug schon los. Wenn die DB doch einmal pünktlich gewesen wäre dann hätten wir mehr Zeit für Akklimatisierung gehabt. Aber Marie und ihr Mitarbeiter waren super nett, Professor Bock ruht eh Mega in sich, also alles in allem eine sehr entspannte Atmosphäre um hier jetzt aufzuzeichnen.

Ja denkste.

Ganz kurz bevor das Startsignal kommt wird mir plötzlich SEHR bewusst das Links DER Dr. Reker sitzt und Rechts DER Prof. Bock Chefarzt der Klinik für Psychiatrie am Klinikum Hamburg Eppendorf.

Und schon stellt mir Prof. Bock die erste Frage.

Den Link zu dem Podcast gibt es in meinem Instagram Profil oder bei „Google“ Sucht- Eine Form der Suche oder Versuchung. Video Sucht

Die 50 Minuten Aufzeichnung sind wie im Fluge vergangen weil wir in einen guten gemeinsamen Flow gekommen sind. Allerdings hab ich bei Aufzeichnungen wohl nie angespannter ausgesehen.

Anschließend gab es noch Fotos mit UnRuDu das muss einfach sein wenn man schon so tolle Menschen trifft, Danach sind wir 3 noch was Essen gegangen und haben uns sehr gut unterhalten. Dann ging es wieder zum Bahnhof und gen Heimat.

Auf der Rückfahrt haben Martin und ich uns noch weiter ausgetauscht. Ich war dann um kurz vor 18h wieder in Ahlen. Ein richtig geiler Tag aber auch MEGA Anstrengend.

Ja es gab das Treffen mit dem Bundestagsabgeordneten und den Beitrag in der Lokalzeit Köln über mich im September aber dieser Tag war definitiv das Highlight in 2022. Zu den Highlights gehört auch das bei einem meiner Rückfallpraevention Vorträge in Hörstel nach der Austauschrunde ein Patient zu mir gekommen ist und meinte das ich Schuld sei das er jetzt eine Entwöhnungsbehandlung macht. Hö Nö das kann nicht sein. Weder hab ich dich eingewiesen noch hierher gefahren. Seine Tochter ist an einer Schule an der ich einen Vortrag gehalten habe und sie ist anschließend nach Hause gegangen und hat ihrer Mutter davon berichtet. Mutter und Tochter haben dann am Abend das Gespräch mit ihm gesucht und er ist dann zeitnah in eine Beratungsstelle gegangen und seine Behandlung in die Wege geleitet. Krieg schon wieder Gänsehaut beim schreiben. Dieser Moment in Hörstel ist der unangefochtene King der Highlights!

Am 4./ 5. Mai 2023 findet:

Recovery und Partizipation

Über Lösungen für/von Menschen mit Suchtproblemen

10. Fachkongress für gemeindeorientierte Suchttherapie

in Bielefeld Bethel statt.

Ich bin vorher so aufgeregt das ich ab dem 2. irgendwie wenig schlaf bekomme da ich immer wieder über meinen Vortrag grübele. Ist nämlich so, in den sonstigen Vorträgen erzähle ich über das bis zum Nullpunkt. Nun geht es darum das Daraus zu beschreiben. Und sonst rede ich vor SuS, Eltern, Lehrkräften, Studierenden, u.s.w.

Auf diesem Kongress sind alle Fachpersonal. Und vor allem gehen diese Menschen regelmäßig zu Vorträgen. Als ich am Donnerstag Morgen in Bielefeld eintreffe bin ich noch nervöser als vor meinem allerersten Vortrag überhaupt.Als ich im Tagungszentrum auf dem Podium stehe um ein Gefühl für die Örtlicjkeit zu bekommen nimmt meine Nervosität nicht wirklich ab.Dann trifft Dr. Martin Reker ein und im kurzen Gespräch mit ihm merke ich das ich etwas runter fahre.

Dann kommt mein Suchtberater Hermann Wetterkamp plötzlich auf mich zu und meint das wolle er sich nicht entgehen lassen. Super alles in mir dreht wieder hoch. Nach kleinen anfänglichen technischen Problemen startet der Kongress mit ca 15 MinutenVerspätung. Martin und sein Kollege Ulrich Kemper machen den Einstieg in die Tagung und dann wird mir das Wort erteilt. Volles Haus und ich das erste Mal mit Mikrofon. Ich mache eine kurze Anamnese bis hin zu meinem Koma und starte dann wie oben schon gelesen mit dem was dann kam und glücklicherweise bis heute läuft.Nach ca. 5 Minuten merke ich das ich das Auditorium sehr gut erreiche und werde etwas entspannter. Als sich dann der Mikrofonständer dazu entschließt meine Stimme käme aus meinem Bauchnabel ist sofort jemand von der Haustechnuk da und richtet es wieder aus. Ich bedanke mich offiziell bei allen die mit ihrer Arbeit diesen Kongess möglich machen und alle applaudieren. Nach circa 35 Minuten bin ich mit meinen Ausführungen fertig nicht ohne darauf hin zu weisen das der Liebe Mark mein 2. Buch auf seiner Homepage veröffentlicht hat und man dort alles was ich jetzt nur so kurz erzählt habe nachlesen kann. Dann startet die Fragerunde und ich bekomme reichlich Fragen aus den Unterschiedlichsten Bereichen der Suchthilfe. Hab das Mikrofon mittlerweile in der Hand da ich festgestellt habe das macht richtig Spaß. Ich bin nun mal jemand der gern vorne steht (Rampensau). Das stellt auch Martin fest und sagt das es ja nichts schlimmes sein muss sondern das es eben genau darum geht. Die stärken des einzelnen heauszufiltern und zu stärken. Dann ist Kaffeepause. Ich hab nach der Pause einen Kaffee bekommen da ich während der Pause von gan vielen angesprochen worden bin die noch Fragen hatten oder meine Kontaktdaten haben wollten für etwaige Kooperationen. Jemand meinte sogar du hast sämtliche emotionen von betroffenheit bis herzlichem Lachen im Auditoriun hervorgerufen. Du hast die Hütte gerockt. Jedenfallshabe ich jetzt Kontakte aus dem ganzen Bundesgebiet. Mal sehen was daraus wird.

Nach mir hat die Bundessprecherin von www.frageltern.de die Arbeit des Vereins vorgestellt. Eltern von Kinder die eine Suchterkrankung haben sind natürlich in einer Ausnahmesitutation und werden sicher im Hilfesystem erstmal nicht so gesehen.

FragEltern gibt Unterstützung für betroffene Eltern. Ich finde diese Arbeit großartig und es hat ja auch viele Schnittpunkte mit meiner Arbeit. So das ich hier eine enge Kooperation anstrebe. Die Bundessprecherin sieht das genau so und wir sind mittlerweile im regen Austausch. Habe sämtliche Menschen mit denen ich über Schule kooperiere auf diese wertvolle Arbeit aufmerksam gemacht.

An dem Freitag habe ich noch für alle Kongress teilnehmenden für Fragen oder zum Austausch zur Verfügung gestanden und habe mir die anderen Vorträge angehört.

Klasse Themen.

Beziehung zwischen Patienten und Behandelnden. Großartiger Vortrag und der Referent hat auch immer mal wieder Bezug zu meinem Vortrag genommen.

Und dann kam der Vortrag über Diamorphin Ambulanzen.

Warum Heroinabhängige mit reinem Heroin behandeln und warum es wichtig ist das sie ihre Dosis selber wählen.

Der Vortrag hat meine Sicht auf die Problematik mal gänzlich auf den Kopf gestellt.

Bei mir funktioniert es halt mit der Abstinenz vom Suchtmittel am besten. Hat ja auch lange gedauert bis ich mich mit der Akzeptanzorientierten Arbeitsweise der Drogenberatungsstellen anfreunden konnte. Aber für mich war auch immer klar der Junkie muss weg vom Heroin und dann mit Substitution zurück in die normale Welt.

Wie gesagt der Vortrag hat meine Sicht auf die Dinge verändert. Und wenn man Heroinabhängigemit Diamorphin behandelt dann ist es eben auch wichtig das ie die Dosis selber wählen da sie sich ja selber am besten kennen. Hat auch was mit Vertrauen dem Konsumenten gegenüber zu tun. Im Vortrag wurde auch deutlich das die Dosis im Laufe der Behandlung von den Betroffenen in der Regel selber reduziert wird.

Alles in allem ein sehr guter Kongress bei dem ich viel lernen konnte und der für mich persönlich sehr erfolgreich war.

Und was passiert mit mir wenn etwas super gut war? Es geht anschließend genau in die andere Richtung. Um diese „Entzugserscheinungen“ von Glückshormonen entgegen zu wirken habe ich mich jetzt hingesetzt und die letzten 3 Jahre, die wirklich erfolgreich für mich waren nochmal Revue passieren zu lassen durch niederschreiben und was soll ich sagen es Hilft.

Der Link zum Video meines Vortrages: Video CRA Kongress Timo

Ibbenbüren

Am 12.01.2023 wurde der wegen des Videopodcasts verschobene Termin am Berufskolleg in Ibbenbüren nachgeholt. Leider hatte zwei Tage zuvor im benachbarten Berufskolleg ein 17-jähriger Schüler seine Lehrerin erstochen. Was für ein beklemmendes Gefühl, jetzt hier zu sein! Wie sich die Lehrkräfte fühlen müssen, lässt sich nur erahnen. Mit zweien kann ich sprechen und es gibt viele aus dem Kollegium, die die Möglichkeit zu Hause zu bleiben genutzt haben.

Seit diesem Vorfall habe ich nicht nur den Umgang mit Einsatzkräften, sondern eben auch mit Lehrkräften in meinen Vorträgen mit drin. Ich habe seit der Pandemie auch das Gefühl, man sollte generell noch mehr zum Sozialverhalten machen. Aber das ist ein anderes Thema.

Ich möchte auf diesem Wege auch noch einmal Kaya-Lisa Knust und Christian Knibutat von der Sucht- und Drogenberatungsstelle vom Caritasverband Tecklenburger Land e. V. für ihr Verständnis danken und dafür, dass sie mir ermöglicht haben, den Termin in Hamburg wahrzunehmen.

Kaya hat an der Fachhochschule Hüfferstift in Münster Soziale Arbeit studiert und an dem Seminar von Nicole de Vries teilgenommen, in dem ich regelmäßig zweimal im Jahr Vorträge halte.

Nach dem erfolgreichen Abschluss ihres Studiums hat sie angefangen, bei der Sucht- und Drogenberatung in Ibbenbüren zu arbeiten, und sich an den Langhaarigen aus dem Vortrag erinnert. Sie hat mich dann kontaktiert und gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, auch an einer Schule in Ibbenbüren meinen Vortrag zu halten. So lob ich mir das!!!

Inzwischen arbeiten wir schon seit drei Jahren konzeptionell sehr erfolgreich zusammen. Kaya und Christian machen mit den Schüler*innen „Praevention à la Fachstelle“ und je nach Terminlage komme ich vorher oder nachher auch in die jeweilige Schule und arbeite mit den Jugendlichen dann auf meine Art – mittlerweile wiederholt an einem Berufskolleg und drei weiterführenden Schulen. Es macht immer viel Spaß mit den beiden und ich hoffe, dass es so weiter geht!

Radolfzell

Im Herbst 2022 ruft mich Nina Feldhaus, die Schulsozialarbeiterin vom Städtischen Gymnasium Ahlen, an und sagt, ein Lehrer habe die Stelle gewechselt. Und er habe sie jetzt nach meinen Kontaktdaten gefragt, da er an der neuen Schule im Praeventionsteam aktiv sei, und ob ich mir vorstellen könnte, auch bis zum Bodensee zu fahren.

Da ich ja schon für den Landesreiterverband Baden-Württemberg und die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) im Süden war, ist das natürlich kein Problem! ;-)

(Kurze Erinnerung: Lena Antweiler, geb. Timmer, hatte als Schulsozialarbeiterin vom Städtischen Gymnasium Ahlen nach Brühl gewechselt und hat mir dadurch, dass sie mich nach Brühl eingeladen und Werbung für mich gemacht hat, quasi das Rheinland erschlossen. Lena, immer wieder danke dafür!)

Paolo Cipolla, besagter Lehrer, nimmt Kontakt zu mir auf und wir machen uns daran, die Details zu klären.

Am 16.04.2023 reise ich die 600 km zum Bodensee an – die bis jetzt weiteste Anreise für einen meiner Vorträge! Ich erwische einen sehr verregneten Sonntag, lasse mir das aber egal sein und genieße die Zeit am Bodensee.

Abends schreibe ich die Drogenberatung Singen an, die für Radolfzell zuständig ist, um hier dann auch schon einmal in Kontakt zu stehen. Und für die Vorträge am nächsten Tag hat Paolo auch die Presse eingeladen, was mich immer sehr freut.

Nach den Vorträgen sind sich die Schulleitung und alle Lehrkräfte, die bei den Vorträgen anwesend waren, einig, dass ich definitiv im nächste Jahr wiederkommen soll. Das mache ich gerne, aber da es ja schon mit einem großen Aufwand verbunden ist, sage ich, dass es vielleicht gut wäre, die eine oder andere Schule mit an Bord zu holen, also ähnlich wie in Brühl. Poalo sagt, er würde sich kümmern.

Auf dem Weg nach Hause klingelt plötzlich mein Telefon und auf dem Display steht „Paolo“. Ich lese seinen Namen und mir wird direkt klar, ich habe UnRuDu auf der Tafel stehen lassen. Oh Mein Gott!!! Wieder zurück und die Ente abgeholt!

Als ich wieder zuhause bin, bekomme ich eine Nachricht von dem Vater einer Schülerin, die wohl nach meinem Vortrag nach Hause gekommen ist und noch nie soviel und so begeistert von der Schule berichtet hat.

Und der Zeitungsartikel, der daraufhin im Südkurier veröffentlicht wurde, ist wohl der am besten geschriebene und nachrecherchierte Artikel zu meinem Vortrag und dem Thema Sucht. Ein freier Auszug: „Schüsseler legt eine Sprache an den Tag, die in der Schule nicht normal ist, weißt mit seinem T-shirt aber darauf hin. Und obwohl es derbe bis hin zu Fäkalsprache geht, sind alle Schülerinnen und Schüler (SuS) sehr fokussiert und am Ende alle begeistert“.

Gestern, am 17.05.2023, hat mich eine Mitarbeiterin der Stadtverwaltung Radolfzell, Fachbereich Bildung, Jugend und Sport, angeschrieben und mir mitgeteilt, dass sie durch die gute Resonanz meines Besuches am Friedrich-Hecker-Gymnasium auf mich aufmerksam geworden sei und Interesse daran hätte, dass ich auch an anderen Schulen zur Praevention beitrage. Ganz feine Sache! Also Paolo, sei ganz herzlich bedankt!!!

Jonas Künne

2018 haben Manfred Gesch und ich eine Fachtagung zum Thema „Sucht im Alter“ geplant. Mir als examiniertem Altenpfleger liegt dieses Thema sehr am Herzen und so habe ich mich in die fachlich richtige Ausführung gekniet.

Im Grunde fallen ältere Menschen aus dem Suchthilfesystem ja ein Stück weit raus. Entgiftungen zahlt in der Regel die Krankenkasse, weil ja ein akuter medizinischer Bedarf besteht. Und eine Reha bezahlt die Rentenversicherung unter dem Aspekt, dass die Arbeitsleistung wieder hergestellt wird. Bei Menschen, die schon in der Regelrente sind, ist dies aber ja nicht mehr der Fall. Darauf wollte ich unbedingt aufmerksam machen und dann natürlich noch auf die Einsamkeit älterer Menschen, die eventuell auch nicht mehr so mobil sind. Und des Weiteren sind ja auch Medikamente zu thematisieren.

Manfred meinte bei der Planung, ob wir nicht auch einen Musik-Act für ein Zwischenspiel einbauen sollten. Er würde sich kümmern. Und das hat er auch. Ich wiederum hatte mich gar nicht weiter damit beschäftigt, da ich mit den anderen Sachen genug zu tun hatte.

Im September hat die Fachtagung dann stattgefunden. Und wer steht plötzlich vor mir?! Jonas Künne. Da wir uns nicht gleich erkannt haben, haben wir uns gegenseitig mit Namen vorgestellt. Ist ja auch kein Wunder, wenn man sich jahrelang nicht mehr gesehen hat! Wir haben früher öfter zusammen mit anderen rumgehangen – zu einer Zeit, als ich noch adäquat konsumiert habe. ;-)

Jonas hat immer schon Musik gemacht und ist mittlerweile mit der Band „Black Rust“ und auch als Solo-Künstler ziemlich bekannt. Und gleichzeitig ist er auch Vorsitzender der Aidshilfe Ahlen e. V. – Beratungsstelle im Kreis Warendorf.

Immer, wenn es zeitlich passte, ging es dann natürlich: Und du so… und du so...?!

Nach der Tagung das übliche „Wir sehen uns, wir bleiben in Kontakt!“, aber wie es dann so ist, wenn der Alltag dann so reinhaut – ihr kennt die Situation sicher selber…

Ende 2020 sind wir uns dann in der Stadt wieder über den Weg gelaufen und hatten ein gutes Gespräch, denn nicht nur mir fehlten die Auftritte vor Menschen! Und mit wem kann man sich da schön austauschen?! Na klar, mit einem Musiker, der das auch kennt und dem das natürlich auch fehlt!

Und schon trifft es wieder zu: Man trifft immer die Menschen, die man gerade braucht. Mir hat das in dem Moment echt weitergeholfen!

Als Putin dann 2022 seinen Krieg gegen die Ukraine vom Zaun gebrochen hat, gab es bei uns in der Stadt vor der Marienkirche eine Mahnwache und Jonas hat dort mit anderen Musikern zusammen aufgespielt.

Da ich ja aus bekannten Gründen nicht zu Konzerten gehe, habe ich es richtig geil gefunden, ihn dort spielen zu hören, und es hat mich auch nicht getriggert. Gut, es war am Mittag und der Kirchplatz war auch gut besucht, aber es war kein Vergleich zu einem Konzert!

Anschließend habe ich mir dann überlegt, dass ich, wenn der nochmal irgendwo in so einem kleinen Rahmen spielt, auf jeden Fall dabei sein werde, um mich an diese Situation zu gewöhnen und mich gegebenenfalls mit dem Suchtdruck auseinandersetzen werde, um irgendwann dann doch nochmal auf Konzerte gehen zu können.

Jetzt ist es ja auch kein Geheimnis, dass es mit meinem Selbstwertgefühl nicht ganz so weit her ist, wenn ich nicht gerade eine Veranstaltung habe, für die ich gelobt werde und Applaus bekomme. Da ist es für mein Belohnungssystem immer super, wenn ich Kontakt zu Menschen habe, die mit ihrem persönlichem Tun richtig was erreicht haben und dann auch noch in Kontakt mit mir stehen.

Danke dir Jonas!!!

Wärmflasche

Als ich noch derbe gesoffen habe, kam es ab einem gewissen Punkt regelmäßig zu der Situation, dass ich beim Wachwerden feststellen musste, dass mein Schließmuskel an der Blase das mit dem „Man muss auch loslassen können!“ zu wörtlich genommen hatte und nun das Bett nass war.

Beim ersten Mal war das eine absolute Katastrophe, im Laufe der Zeit war es zwar ekelig, aber wenn ich mich dann in meinem Wohnumfeld umgeguckt habe, noch ein wenig das kleinere Malheur. Total ekelig, aber nix, was man für den Moment mit Schnaps nicht wieder aus dem Kopf bekommt!

Seit meiner Magenoperation im Jahr 2000 ist es so, dass die Luft, die wir alle über den Tag verschlucken (insbesondere wenn wir viel reden), bei mir nicht mehr gut nach oben entweichen kann. Rülpsen ist also nicht mehr! Dafür muss sie bei mir dann aber durch den ganzen Trakt und das kann schon sehr schmerzhaft sein, vor allem wenn es sehr viel Luft ist. In diesen Situationen hilft es mir, eine Wärmflasche aufzulegen.

Am 29.05.23 war es wieder soweit: Bauch voller Luft. Ich habe dann erstmal mit der Wärmflasche im Sessel die Beine hochgelegt und bin nach kurzer Zeit ab in das Bett.

Am nächsten Morgen werde ich wach und stelle direkt fest, dass das Bett nass ist. Scheiße, was ist denn nu los?! Sofort bin ich gefühlstechnisch wieder in der Situation von vor 13 Jahren – ein ziemlich derbes Scheißgefühl! Dann ist es jetzt wohl mal an der Zeit, sich mit der Situation auseinanderzusetzen…

Wie bei der Situation nach dem Tatortreiniger hatte ich auch hier am nächsten Tag wieder einen Vortrag an einer Schule und war wieder genauso dünnhäutig wie damals. Ich konnte mich aber schneller wieder fangen.

So geht die Wiederherstellung ein Stück weit ihren eigenen Weg. Mal gucken, welche Situationen in meinem Alltag sich in Zukunft noch ergeben, die mir dann klar machen, dass es jetzt dran ist, sich damit auseinanderzusetzen. So ist alles im Fluss! ;-)

Seit dem 4.6.23 trage ich meine Haare: Ab:)

timo.schuesseler@gmx.de

@praeventionator


Autismus-Studie


Toxisch

Vorwort


Psychotrip

Bento


Seltene genetische Erkrankungen

Interview


Drogen und Gifte

Vortrag beim Symposium für Toxikologie / Uni Düsseldorf