Der Todespfleger: Dr. Mark Benecke über Niels Högel: »Es war eine Schreckensherrschaft«

Quelle: Braunschweiger Zeitung, 24. Sept. 2021, Thema des Tages (Print)

Online: https://www.braunschweiger-zeitung.de/niedersachsen/article233404759/Mark-Benecke-ueber-Niels-Hoegel-Es-war-eine-Schreckensherrschaft.html

Von Hendrik Rasehorn

Braunschweiger Zeitung, 23. Sept. 2021

Dr. Mark Benecke ist einer der weltweit bekanntesten und erfolgreichsten Kriminalbiologen. In Braunschweig wird er bis heute vor allem mit dem Fall Pastor Geyer in Verbindung gebracht, der seine Frau getötet hatte. An der Aufklärung des Falles war Benecke maßgeblich beteiligt, als er anhand von an der Leiche gefundenen Fliegenmaden den Ablagezeitpunkt des Opfers bestimmte.

Der frühere Krankenpfleger Niels Högel spritze seine Opfer mit Medikamenten tot. Er ist verantwortlich für die größte Mordserie in der deutschen Nachkriegszeit. In 322 Verdachtsfälle ermittelte die Polizei. Die Beweise für die Täterschaft Högels zu finden, ließ die Staatsanwaltschaft auf 67 Friedhöfen 134 Leichen exhumieren und nach Medikamentenrückständen untersuchen.

BZ: Wie können Ermittler an Leichen, die teilweise seit Jahren in ihren Gräbern liegen, noch Spuren von Medikamenten entdecken?

MB: Das ist weniger eine rechtsmedizinische als eine giftkundliche Frage. Die Geräte und Techniken sind tatsächlich megafein geworden, das ist atemberaubend. Die Schwierigkeiten sind: Wie baut sich das verwendete Gift beziehungsweise hier tödliche Medikament in der Erde, in Sand, in einer Leiche bei welchen Temperaturen und welchem Sauerstoffzutritt um? Dazu gibt es nicht immer Studien.

Die Kolleginnen und Kollegen, die sich damit beschäftigen, müssen daher oft sagen: "Wir können zwar einen Stoff nachweisen, aber wir wissen bisher nicht, wie viel davon zuvor vorhanden war oder sich umgewandelt hat."

Die Häufung von Todesfällen während dem Dienst von so genannten Todesengeln ist, auch ohne giftkundliche Beweise, ein wichtiger, klassisch-kriminalistischer Hinweis auf den Täter oder die Täterin.

Ich sammele diese Fälle seit dreißig Jahren und staune immer wieder, dass Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser diese sehr einfach messbare und hochaussagekräftige Beobachtung nicht strenger zur Vorbeugung dieser immer und immer wieder auftretenden Fälle verwenden.

BZ: Wie bewerten Sie den Fall Högel, die Persönlichkeit und die Vorgehensweise dieses Täters?

MB: Die mir bekannten Todesengel, aber auch Serienmörderinnen und -mörder, hatten Spaß an Macht und am Töten, manche haben es auch immer noch. Ich hatte eine Klientin, die offen zugegeben hat, dass sie zudem für ihre Kinder Geld gewinnen wollte — über Erbschaften aus den Morden an den sehr alten Männern, mit denen sie jeweils verheiratet war.

Der Kick, Menschen im Überlebenskampf angeblich beizustehen, diesen aber selbst auszulösen, ist purer Machtmissbrauch, eine erzwungene Schreckensherrschaft nicht nur über die schwachen Kranken, sondern auch die, welche an der Rettung beteiligt sind oder hinterher trauern.

Es ist, ganz wörtlich gemeint, ein mörderisches Drama, angerichtet von ruhig denkenden Menschen, die innerlich winzig sind und sich groß machen möchten.

Mit Dank an die Redaktion für die Erlaubnis zur Veröffentlichung.


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