„Da merkt man, dass das jemand aus ihrem Umfeld sein muss"

Quelle: Nürnberger Nachrichten, Die dritte Seite (Seite 3), 5. April 2023

FALL ALEXANDRA R. – Kriminalbiologe Mark Benecke sieht in den Kurznachrichten vom Handy der Verschwundenen einen Hinweis auf den oder die Täter.

Von Elke Graßer-Reitzner

Was kann Alexandra R. zugestoßen sein? Das Schicksal der 39-jährigen Frau, die vor kurzem hätte Mutter werden sollen, bewegt viele Menschen. Immer wieder kursieren wilde Theorien, was der oder die Täter, die für ihr Verschwinden verantwortlich sind, der Bankenexpertin angetan haben könnten. Wir sprachen darüber mit dem Kriminalbiologen Mark Benecke, der mit seinen Expertisen in Fernsehauftritten und durch Moderationen bekannt geworden ist. Sein reich tätowierter Körper ist sein Markenzeichen.

Die Polizei hat im Januar sogenannte Mantrailer-Hunde bei einer Durchsuchung in der Nähe von Hilpoltstein im Landkreis Roth eingesetzt, um vielleicht eine Lebendspur von Alexandra R. zu finden. Was ist das genau?

Es gibt verschiedene Suchhunde, die bekanntesten sind wohl die Lawinenhunde. Die können verschüttete Menschen finden. Maintrailer-Hunde verfolgen Spuren lebender Menschen und nicht beispielsweise eine Blutspur von Verwundeten. Es kann schon mal sein, dass Such-Hunde mehrere Sachen gleichzeitig aufspüren können, aber das ist eher die Ausnahme. Maintrailing-Hunde lernen, dass es nicht nur um das Ziel geht, sondern, dass der Weg auch interessant sein kann. Sie riechen auch in der Luft nach Spuren von lebenden Menschen - und eben nicht nach Fäulnis-Gerüchen.

Hatten Sie schon mal einen Fall, in dem man einen Menschen über einen längeren Zeitraum, vielleicht sogar jahrelang, gesucht hat?

Ja, das gibt es in sehr traurigen Fällen schon. Wir hatten einen Vater, der mit seinem Kind verschwunden ist, und seine letzten Worte zu seiner Frau waren: „Du wirst Dein Kind nie wieder sehen!" Ihn hatte man dann suizidiert gefunden, die Kinderleiche aber nicht. Er hatte wohl zuerst das Kind getötet und es an eine Stelle gebracht, wo man es nicht entdecken konnte, und danach sich selbst getötet. Und ein Kollege von mir hatte den Fall, dass eine Mutter ein neues Leben beginnen wollte, ihre Kinder sah sie aber als Teil des alten Lebens. Sie hat sie im Auto angegurtet und den Wagen über eine Klippe geschoben, von der sie zurecht ausgehen konnte, dass man da nie suchen würde. Durch Kommissar Zufall, also ohne heiße Spuren weiter geführte Ermittlungsarbeit, hat man dann die toten Kinder gefunden.

Kann man davon ausgehen, dass Vermisste, deren Schicksal weiter unklar ist, tot sind?

Wir wissen, dass es – sehr selten, aber immer wieder – vorkommt, dass vermisste Menschen tot sind. Weil man die Leichen dann irgendwann doch findet. Wir wissen dann meist auch, wer der Täter war. Und dann gibt es noch die Fälle – an diese Hoffnung klammern sich Angehörige sehr oft –, bei denen die Leute von einer Minute auf die andere ihr Leben hinter sich lassen wollen. Das kann geplant oder ungeplant sein. Das gab es früher häufiger, dass Menschen gesagt haben: „So, ich habe keinen Bock mehr, ich gehe " und von einem Moment auf den anderen Weg waren. Zum Beispiel bei Finanzdelikten. Heute ist es eher so, dass das Verschwinden geplant wird. Und dann gibt es auch Fälle, bei denen es um politische Sachen oder sehr, sehr viel Geld geht, und Menschen mit Unterstützung von Geheimdiensten verschwinden. Gerne nach Spanien, Südamerika oder Russland.

Alexandra R. hat angeblich nach ihrem Verschwinden noch eine SMS an ihren Lebensgefährten, ihren Ex-Mann und später auch an die Jugendhilfe geschickt. Doch es gibt große Zweifel, ob die 39-Jährige die Textnachricht wirklich selbst gesendet hat.

Diese SMS-Geschichten sind der absolute Klassiker, das passiert regelmäßig: Täter und Täterinnen denken, es wäre eine gute Idee, eine oder mehrere SMS abzusetzen, um eine falsche Spur zu legen. Das passiert sogar Wochen oder Monate später noch. Das mit dem Jugendamt ist eine interessante Sache: Ein beliebiger Täter würde ja nicht auf die Idee kommen, der Jugendhilfe eine SMS zu schreiben. Da merkt man, dass das jemand aus ihrem Umfeld sein muss. Oder vielleicht auch sie selbst.

Was kann mit der Frau passiert sein?

Wir hatten mal einen Fall, da ist der Täter viele hundert Kilometer an einen Ort gefahren, den er aus seiner Jugendzeit als Knutsch-Platz kannte. Dort wuchsen sehr dichte Tannen, da ist kaum einer herumspaziert. Dort wurde die Leiche versteckt – und nur durch Zufall entdeckt. Wenn es abgelegene Orte sind, auf die man über Handydaten oder polizeiliche Ermittlungen nicht kommt, also etwa frühere Wohnorte oder auch Urlaubsorte der Täter, dann wird eine Leiche manchmal einfach nicht gefunden


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