Quelle: Märkische Allgemeine Zeitung, Potsdam, 26. April 2017, Seite 12
"Die Replikanten sind fast perfekt" Kriminalbiologe Mark Benecke über den Film „Blade Runner“, den er im Filmmuseum präsentiert
VON CLAUDIA PALMA
Der Science-Fiction-Klassiker „Blade Runner“ spielt in der dystopischen Megacity Los Angeles 2019. Rick Deckard, gespielt von Harrison Ford, macht Jagd auf Replikanten, gentechnisch erzeugte Wesen, die sich kaum von echten Menschen unterscheiden.
MAZ: Herr Benecke, Sie stellen Ridley Scotts „Blade Runner“ aus dem Jahr 1982 vor. Warum diese Wahl?
Mark Benecke: „Blade Runner“ gehört seit meiner Teenagerzeit zu meinen Lieblingsfilmen. Der amerikanische Autor Philip K. Dick, von dem die Vorlage stammt, hat viele Science-FictionFilme inspiriert, wie „Total Recall“ und „Minority Report“. Er hat unheimlich viele technische und soziale Abläufe richtig vorhergesehen, die sonst kein Mensch vorhersehen konnte.
MAZ: Zum Beispiel?
Mark Benecke: In New Orleans haben wir kürzlich Zeppelins mit LED-Leinwänden gesehen. Davon hat man hierzulande noch nie etwas gehört, aber die fliegen dort tatsächlich herum. Philip K. Dick und Ridley Scott nehmen im Roman „Träumen Androiden von elektrischen Schafen“ und dem daraus entwickelten Film „Blade Runner“ sogar Wetterbesonderheiten vorweg, von denen 1982 auch noch nicht die Rede war. Gleiches gilt für die künstlichen Tiere: Die Eule und die Schlange sind biotechnisch erschaffen und keine Roboter, was für damalige Autoren viel logischer und wahrscheinlicher war.
MAZ: Wie das berühmte Schaf Dolly?
Mark Benecke: Das ist schon Steinzeit. Heute werden wertvolle Rennpferde, Hunde massenhaft geklont. Auch Tiere für die Landwirtschaft, wenn es sich lohnt. Es ist eine riesige Industrie entstanden... Unglaublich, was sich Philip K. Dick alles richtig vorgestellt hat. Er wirkt auf mich wie jemand, der ein paar Pillen zu viel eingeworfen hat und dadurch Verbindungen zwischen Gehirnteilen hatte, die man sonst nicht hat. Ich könnte ein ganzes Forscherleben damit verbringen, Elemente aus seinen Romanen und dem Film „Blade Runner” zu untersuchen. Schade, dass keine naturwissenschaftliche Forschungseinrichtung so ein Projekt bezahlt.
MAZ: Gruselig ist diese Voight-Kampff-Maschine, mit der der Titelheld Rick Deckard an den Augen testet, ob er es mit einem echten Menschen oder einem Replikanten zu tun hat.
Mark Benecke: Augenbewegungen, Pupillenerweiterung und -verengung sind gute Anhaltspunkte für Emotionen. Die Replikanten sind fast perfekt, aber ihnen fehlen Gefühlsanknüpfungen und Erinnerungen, beispielsweise an die eigene Mutter. Um das zu überprüfen, hat sich Philip K. Dick diese psycho-biologische Feedback-Maschine ausgedacht. Das Gerät wurde später auch so ähnlich gebaut, natürlich ohne den Blasebalg. Im Psychologie-Teil meines Studiums habe ich wochenlang Menschen Elektroden um die Augen herum aufgeklebt und die Augenbewegungen gemessen, während sie sich an ihr Leben erinnerten. Später übernahm das tatsächlich – wie im Film vorausgesehen – eine Kamera.
MAZ: Im Film gibt es eine interessante Figur, den mächtigen Wissenschaftler Tyrell. Er hat die Replikanten konstruiert. Was ist er für ein Typ?
Mark Benecke: Er versucht die Natur zu beherrschen, aber mit Methoden, die dann doch Chaos erzeugen. Tyrell ist wohl psychopathisch, nüchtern und sachlich – im Grunde wie seine Geschöpfe. Das haben wir in der Kriminalistik auch: Manchmal finden sich auf beiden Seiten ähnliche Charakterzüge, was einem aber nicht immer auffällt, wenn man mitten im Fall steckt. Ich habe schon Polizisten darauf angesprochen, dass sie sich ähnlich, vielleicht verzerrt spiegelbildlich, verhalten wie ihr Gegenüber. Aber davon haben sie natürlich nichts wissen wollen.
MAZ: Die Replikanten dienen als Arbeitssklaven im Weltall. Heutzutage wird über Roboter als Pflegekräfte nachgedacht.
Mark Benecke: Ich glaube nicht, dass es dazu kommen wird. In den 60er-Jahren hat man gedacht, dass es Roboter für den Haushalt geben wird. Aber man sieht ja schon an den kleinen Staubsauger-Robotern die Macken: Man muss seine Wohnung entsprechend einrichten, sonst finden sie ihre Ladestation nicht, bleiben in einer Ecke hängen oder verfangen sich in irgendwelchen Teppichfransen. Sie sind richtig gute, sehr hoch entwickelte Roboter, die schon durch die Roboter-Evolution gegangen sind. Und trotzdem sind sie noch sehr anfällig für Fehler. Deshalb glaube ich auch nicht an Pflege-Roboter. Außerdem wissen wir, wie wichtig echte menschliche Zuwendung ist, dadurch geht es einem wirklich besser. Die Menschen würden sich mit Pflege-Robotern nicht wohlfühlen.
MAZ: Im Oktober kommt die Fortsetzung von „Blade Runner“ ins Kino.
Mark Benecke: Ich bin sehr gespannt, wie die Geschichte weitergeht. Der alte Film hat ja zwei unterschiedliche Schlussszenen. Ein romantisches Happyend, in dem die Liebe siegt. Und eines mit der Frage, ob der Replikanten-Jäger Deckard nicht vielleicht selber ein Bio-Android ist und er seine eigenen Leute jagt.
MAZ: Werden Sie eigentlich von Krimi-Drehbuchautoren kontaktiert?
Mark Benecke: Die große Welle des Faktenchecks ist vorbei. In den 1990er-Jahren bis kurz nach dem Millennium war es cool, möglichst viel Fachjargon im Krimi unterzubringen und echte Technik zu benutzen. Wir saßen sogar bei Dreharbeiten von Krimiserien dabei, um alles zu überprüfen, ob die richtigen Geräte auf dem Sektionstisch richtig herumliegen und dergleichen. Dabei ist das doch völlig egal. Es macht mir Spaß, aber ich habe nie verstanden, welchen Sinn das haben soll. Eine gute Geschichte soll spannend und nachvollziehbar sein, alles drumherum kann man doch in der erfundenen Welt frei gestalten. Aktuell haben wir eine neue Stufe erreicht: Einmal in der Woche mache ich fürs Netz einen Faktencheck zur ZDF-Serie „Die Spezialisten“. Mit Valerie Niehaus, die eine Rechtsmedizinerin spielt, gehe ich die erfundenen Fälle durch und wir laufen durch das Set. Das finde ich interessant und erzähle, wie es in Wirklichkeit wäre.
Mit herzlichem Dank an Christian Schmettow und die MAZ-Redaktion für die Freigabe und die Genehmigung zur Veröffentlichung.