Erkenntnisgewinn durch Mageninhalt

Quelle: Archiv für Kriminologie, Band 256, Heft 3 und 4, Sept./Okt. 2025, Seiten 109 bis 125

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Von Dipl.-Biol. Kristina Baumjohann und Dr. rer. medic. Dipl.-Biol. Mark Benecke

Zusammenfassung

Mageninhalt kann in Grenzen – zusammen mit rechtsmedizinischen Verfahren – zur Bestimmung des Todeszeitpunktes herangezogen werden. Die zwei hier vorgestellten Fälle wie auch die Literatur zeigen darüber hinaus, dass Mageninhalt zur Überprüfung von Aussagen und weiteren Fragestellungen in Kriminalfällen geeignet sein kann.

Schlüsselwörter: Mageninhalt, Todeszeitbestimmung, Aussagen, Informationsgehalt

Abstract

Stomach contents can — together with other forensic medical methods — be used to narrow down time since death. Two cases presented here as well as the scientific literature show the use of the method to verify statements and further questions related to criminal investigations. This potential source of information should therefore not be neglected.

Keywords: stomach contents, determination of time of death, statements, information content

Einleitung

Rechtsmedizinische Untersuchungen vom Mageninhalt bei Verstorbenen werden seit über hundert Jahren durchgeführt. Corin untersuchte bereits 1898 auch bei Lebenden die Magenverweildauer von Kaffee [1]. Drei Jahre später führte Farrai (1901) Untersuchungen zur postmortalen Verdauung von Eiweiß an Hunden durch [2]. Aufgrund des Weitertransports von Nahrung im Magen nach Eintritt des Todes stuft er diese Methode zur Todeszeitberechnung als ungeeignet ein. Zur postmortalen Verdauung wurden in den letzten Jahrzehnten verschiedene (Tier-)Experimente durchgeführt [3, 4]. Auch Merkel (1922) wies in seiner Arbeit eine mögliche Weiterverdauung nach Todeseintritt nach, hielt sie jedoch aufgrund der geringen Menge für unbedeutend [5]. Madea et al. (1986) bestätigten dies in einem Tierexperiment [6]. Henssge & Madea (2004) wiesen auf die bakterielle Zersetzung der Nahrung nach Eintritt des Todes hin [7].

Sorge (1904) befürwortete das Heranziehen des Mageninhaltes um Informationen zum Todeszeitpunkt zu gewinnen [8]. Nach Holczabek (1961) sollten auch Dünn- und Dickdarminhalte als Informationsgeber für den Zeitpunkt der letzten Mahlzeiten und deren Zusammensetzung verwendet werden [9].

Abbildung 1 Mageninhalt mit überwiegend körnerartigen Bestandteilen

Sofern der Zeitpunkt zwischen letzter Nahrungsaufnahme und Eintritt des Todes wie auch die Speisenzusammensetzung bekannt sind, kann der Mageninhalt – neben weiteren rechtsmedizinischen Methoden – grobe Anhaltspunkte zum Todeszeitpunkt liefern.

Der Mageninhalt kann darüber hinaus jedoch interessante Hinweise zu den Todesumständen liefern. Steht der Todeszeitpunkt nicht genau fest oder kommen mehrere Zeiten in Frage, kann der Mageninhalt diesen näher eingrenzen („früher“, „später“), die Art der Mahlzeit bzw. die Einordnung von Tageszeiten (z.B. Frühstück, Mittagessen), Orte der Nahrungsaufnahme (z.B. bestimmtes Essen eines Restaurants, Besuch bei Freunden usw.), Überprüfung von Aussagen und Einordnungen zur zeitlichen Rekonstruktion sollte nicht vernachlässigt werden [7].

Die Aussagekraft des Mageninhalts ist nicht nur im Zusammenhang mit rechtsmedizinischen Untersuchungen interessant. Auch andere medizinische und wissenschaftliche Bereiche haben hierzu Forschungen getätigt: Püschel (1996), Petring & Blake (1993) wie auch Nygren et al. (1995) untersuchten die Magenentleerung im Zusammenhang mit der Anästhesie vor Operationen („Nüchternheit“) [10-12].

Grover & Camilleri (2013) gingen dem Einfluss von Antidepressiva bei Reizmagen und Reizdarmsyndrom auf die Magentätigkeit nach [13]. So beeinflusst etwa Buspiron die Fähigkeit des Magens sich zu entspannen, was wiederum für die Nahrungsaufnahme (Volumenvergrößerung) notwendig ist, während trizyklische Antidepressiva eine Magenentleerung verzögern. Diese Befunde können auch für rechtsmedizinische Fragestellungen interessant sein.

Im archäologischen Zusammenhang analysierten Dickson et al. (2000) den Dickdarm-Inhalt der Gletscher-Mumie „Ötzi“ mittels Isotopenanalyse, um die damalige Ernährungsweise zu erforschen [14].

Pflanzliche Fragmente können neben archäologischen Hinweisen auch kriminalistische Anhaltspunkte geben: Der Nachweis von Diatomeen (Kieselalgen) im Magen kann auf einen Tod durch Ertrinken hinweisen [15, 16].

Neben Speiseresten sind auch andere Substanzen im Magen aufschlussreich: Lang (2015) fand bei einigen Brandleichen Rußpartikel und Kohlenstoffmonoxid im Magen, die er als Vitalitätszeichen während des Brandgeschehens deutete [17].

Nicht vom Mageninhalt bedingte Einblutungen in der Magenschleimhaut können – neben anderen Befunden – auf einen Kältetod hinweisen [18-22]. Diese Einblutungen werden auch Wischnewski-Flecken [19, 22] genannt (oder Wichniewski [21] oder Wischnewsky-Flecken [18]).

Abbildung 2 Samenartige Körnchen aus dem Magen.

Pope (2012) berichtet von einem während eines Überfalls erschossenen Räuber dessen Mageninhalt zur Identifizierung seines entflohenen Komplizen führte [23]. Im Magen des Verstorbenen fanden sich typische Burger-Reste (Hackfleisch, Käse, Speck) und Pommes frites. Ein Kartoffelstäbchen war unverdaut und ließ darauf schließen, dass die Mahlzeit nicht länger als eine Stunde vor Todeseintritt gegessen wurde. Die Gerichtsmedizinerin konnte die Pommes frites aufgrund ihrer stärkeren Dicke einer bestimmte Fast Food-Kette zuordnen, von der sich eine Filiale in unmittelbarer Nähe zum Tatort befand. Das Überwachungssystem des Geschäfts zeigte den verstorbenen Räuber mit seinem Komplizen, der identifiziert werden konnte.

In einem Fallbericht von Kerscher et al. (2024) wurde ein 70jähriger Mann in einer Sauna ohnmächtig und zog sich Verbrennungen dritten Grades zu [24]. Er verstarb 11 Tage später in einem Brandverletzten-Zentrum. Sein Magen enthielt etwa 200 ml eingedickten Brei mit groben pflanzlichen Bestandteilen, die weder im Zwölffingerdarm noch in den folgenden Darmabschnitten zu finden waren. Der Mageninhalt musste daher die letzte Mahlzeit gewesen sein, die der Mann vor dem Saunagang zu sich genommen hatte. Das vollständige Ausbleiben der Magenentleerung über elf Tage wird hier erstmals beschrieben. Die Autoren zweifeln die Verwendung des Mageninhalts an, um Rückschlüsse auf das Zeitintervall zwischen letzter Nahrungsaufnahme und Tod ziehen zu können.

Von einem ähnlichen Fall berichtet Püschel (1996) [12]: Ein 15jähriger Junge erlitt fünfzigprozentige Verbrennungen der Körperoberfläche und starb nach10-tägiger intensivmedizinischer Behandlung an einer Sepsis. In seinem Magen fanden sich grüne Bohnen, die er vor den Verbrennungen zu sich genommen hatte.

Verletzungen und Erkrankungen des Verdauungstraktes können offenbar die Magenverweildauer von Nahrungsbestandteilen auf unbekannte Zeit verlangsamen oder sogar stoppen. Dies verdeutlicht Püschel (1996) anhand eines weiteren Falls: Ein 52jähriger Alkoholiker starb durch Bolustod nach 14tägiger Behandlung eines ausgedehnten subduralen Hämatoms [12]. Er wurde währenddessen ausschließlich künstlich ernährt. Ein 3x10 cm dicker Nahrungsbrocken aus dem Magen versperrte den Kehlkopfeingang und hatte im Magen über 14 Tage verweilt, ohne weiter transportiert und verdaut worden zu sein.

Auf einen Stillstand der Magenentleerung bei schwerem Schädel-Hirn-Trauma weist auch Tröger (1987) hin [25]. In der rechtsmedizinischen Praxis sollte in derartigen Fällen darauf geachtet werden, dass es „keine ,,sichere" Zeitgrenze bezüglich einer stattgehabten Magenentleerung gibt.“ (Püschel 1996) [12].

Tablettenreste im Magen-Darminhalt können eine Vergiftung und weitere Informationen zu den Todesumständen (z.B. Suizid) nachweisen [26]. Hierzu müssen Menge und Zusammensetzung der eingenommenen Substanz(en) bekannt sein. Neben der chemischen Analyse der Stoffe kann die Art und Menge bestimmter Hilfs- bzw. Füllstoffe in Tabletten (z.B. Arten von Stärke und Cellulose) mit einem Polarisationsmikroskop untersucht werden. Diese Methode ist auch auf Tablettenreste in Gläsern, in Flüssigkeitsresten, in eingeatmeter Flüssigkeit oder in Erbrochenem anzuwenden.

Singh et al. (2016) berichten von einem Mord an einer jungen Frau [27]. Während der polizeilichen Untersuchungen machten sowohl ihr Ehemann und dessen Bruder wie auch ihr eigener Bruder widersprüchliche Angaben. Anhand des Mageninhalts – halb verdauter Reis – wurden die Aussagen der Männer überprüft: Die Frau nahm den Reis ca. zwei bis drei Stunden vor Todeseintritt zu sich. Dieser Befund widerlegte die Aussagen des Ehemanns und dessen Bruder.

Abbildung 3 Pflanzenbestandteile aus dem Magen.

In einem anderen Fall konnte der Mageninhalt ebenfalls zur Überprüfung von Aussagen herangezogen werden: Pieri et al. (2018) untersuchten die Proteine im Magen eines 40jährigen Patienten, der offenbar an den Folgen eines Sturzgeschehens gegen 9 Uhr morgens in einer Klinik verstarb [28]. Die Krankenschwestern sagten aus, der Mann habe das Frühstück verweigert. In seinem Magen des Verstorbenen wurden 350 g einer weißlichen, halbflüssigen Masse gefunden. Eine Untersuchung der darin enthaltenen Eiweiße zeigte, dass es sich um verdaute Milch- und Brotproteine handelte, die vom Frühstück desselben Tages stammten. Durch den Widerspruch zwischen den rechtsmedizinischen Befunden und den Aussagen des Personals wurden Ermittlungen zur möglichen Verletzung der Aufsichtspflicht eingeleitet.

Die Zusammensetzung des Mageninhalts kann auch aufgrund seiner physikalischen Eigenschaften Informationen liefern: Gotsmy et al. (2018) und Jackowski (2023) weisen auf den charakteristischen dreischichtigen Mageninhalt in Fällen von Ertrinken hin [29, 30]. Aufgrund der Aufnahme verschieden großer Mengen an Wasser setzt sich dieses zuoberst ab (sog. „Wydler’s Sign“) und kennzeichnet Ertrinkungstode. Fälle ohne Ertrinken zeigen einen zweischichtigen Mageninhalt.

Gotsmy et al. (2018) weisen in diesem Zusammenhang auf mögliche abweichende Befunde zur Anzahl der Schichten des Mageninhalts zwischen PMCT (postmortalem CT) und der rechtsmedizinischen Untersuchung hin [29]. Vermutlich sind diese auf die Technik zur Entnahme des Mageninhalts im Obduktionssaal wie auch auf Bewegung des Leichnams bei der Obduktion oder vor / nach der PMCT zurückzuführen.

Der Untersuchung des Mageninhalts geht die Identifizierung der Nahrungsbestandteile voraus, die bei stark verdauten Speisen schwierig sein kann. Baur et al. (1982) zeigen wie man anhand von Doppeldiffusionstests und der Anwendung bestimmter Seren zwischen Milch und Käse unterscheiden kann [31]. Pflanzliche Bestandteile sind verschiedenartig aufgebaut und teils schwer zu bestimmen. Die Arbeit von Spann (1978) [32] und das Labor-Handbuch von Bock et al. (1980) [33] sind unserer Erfahrung nach gute Nachschlagewerke zur Erkennung pflanzlicher Zellen.

Verschiedene Faktoren beeinflussen die Entleerungsrate des Magens und den Verdauungszustand von Speisen. Wasser wird schneller entleert als Kohlenhydrate [11] und letztere wiederum schneller als Mischkost [26]. Dabei verlangsamt sich die Entleerung mit steigendem Gehalt an Kohlenhydraten und Triglyceriden [34].

Neben dem Fett- und Energiegehalt sowie dem Volumen bzw. Gewicht einer Mahlzeit [7, 35-37] spielen auch physikalische und chemische Beschaffenheit der Nahrungsmenge (z.B. Temperatur, pH-Wert) eine Rolle [38].

Jatti et al. (2010) nennen drei Kategorien einflußnehmender Faktoren auf die Magenentleerung: psychische, physiologische und anatomische Umstände [38].

Da die Magenentleerung neben überwiegend physiologischen Faktoren auch durch Emotionen gesteuert wird, sind letztere besonders in Kriminalfällen bedeutsam, da die Entleerung durch Wut und Aggression beschleunigt, durch Depression, Angst und Stress verlangsamt oder auch über das parasympathische System bei Schock, Angst oder Kopfverletzungen sogar gestoppt und die Herstellung von Magensäure einstellt werden kann [35, 36, 38-40]. Dann kann unverdaute Nahrung nach sogar 24 Stunden im Magen vorgefunden werden (Jatti et al. 2010) [38].

Weitere einflußnehmende Faktoren und deren Wirkung auf die Magenentleerung sind Tabelle 1 zu entnehmen.

Abbildung 4 pH-Wert-Bestimmung des Mageninhalts

Weitere tabellarisch aufgelistete Faktoren auf die Magenentleerung sind bei Henssge & Madea (2004) [7], Jaffe (1989) [45] und Legge et al. (2016) [36] zu finden.

Zur Dauer der Entleerungsraten des Magens gibt es unterschiedliche Angaben: Nach Patel et al. (2013) ist der Magen grundsätzlich nach 2,5-6 Stunden geleert [46], Grassberger & Schmid (2009) geben 2-4 Stunden mit einer großen Schwankungsbreite an [47], nach Kaul et al. (2017) dauert die Entleerung 4-6 Stunden [48]. Letztere untersuchten die Entleerungsrate(n) in 507 Fällen mit bekanntem Todeszeitpunkt und bekannter letzter Mahlzeit. Zwar erwies sich hier der Verdauungszustand der Speisen als bedeutsam bei der Berechnung des Todeszeitpunkts; dieser sollte jedoch nur im Zusammenhang mit weiteren Faktoren zur Berechnung der postmortalen Liegezeit (postmortales Intervall, PMI) gesehen werden.

Auch für Grassberger & Schmid (2009) ist die alleinige Abschätzung des Todeszeitpunkts anhand des Füllzustands des Magens und der Nahrungszusammensetzung nicht ausreichend genau [47]. Verständlich wird dies durch die oben aufgeführten Faktoren, die die Magenentleerung beeinflussen.

Wir stellen zwei Fälle aus unserer Sachverständigen-Praxis vor, in denen der Mageninhalt Verstorbener sowohl Rückschlüsse auf die zeitliche Einordnung des Todeseintrittes als auch die Überprüfung von Aussagen zuließ.

1. Fall 1

Ein Ehepaar wurde zwei bis drei Tage gefangen gehalten und ermordet. Wir wurden mit der Fragestellung beauftragt, wann der verstorbene Mann die in seinem Magen vorgefundene Mahlzeit zu sich genommen hatte.

1.1 Methoden & Befunde

Der Mageninhalt wurde in einem ca. 8 cm hohem und ca. 5 cm durchmessenden PE-Gefäß in einem Styropor-Kistchen mit Kühlelementen geliefert und bei Anlieferung eingefroren (3-Sterne-Gefrierfach).

Zwei Stunden vor Untersuchungsbeginn wurde der 53 g wiegende Mageninhalt (Feinwaage Kern 440-35N) bei Raumtemperatur aufgetaut und in zuvor mit Brennspiritus ausgewischte Petrischalen überführt.

Unter dem Binokular (Leica Mz 12.5) wurden 20 g des überwiegend tief dunkelgrau gefärbten Mageninhalts näher untersucht und Stücke nach Farbe, Form und Größe geordnet (Abb. 1).

Es konnten sieben Gruppen von relativ einheitlichen, noch gut erkennbaren, Bestandteilen auseinander sortiert werden:

1. Grobe, um einen Zentimeter lange, weiche, ,,gelatinöse", deutliche Schnittkanten aufweisende Stücke.

Abbildung 5 Schlund-Inhalt mit drei Bröckchen.

2. Größere, über einen Zentimeter messende „gelatinöse", meist scharf begrenzte (deutliche Schnittkanten aufweisende) Stücke.

3. Samenartige Körnchen von etwa zwei Millimetern Durchmesser mit glatter oder mit kleinen Eindellungen versehener Oberfläche: Zwei verschiedene Arten von Samen oder Körnern (Abb. 2).

4. Samenartige Körnchen von etwa fünf Millimetern Länge und drei Millimetern Breite, rötlich-braun.

5. Weiche, helle, einfach längsgefurchte, ca. drei bis vier Millimeter Breite und ca. sechs Millimeter lange Bestandteile.

6. Größere, teils lappige, mögliche Hüllen, wohl von Pflanzenbestandteilen.

7. Kleinere, rötlich braune Hüllen wohl von Pflanzenbestandteilen sowie ein einzelner birnenförmiger Bestandteil (Abb. 3).

Zur pH-Messung mit Universalindikator MERCK (pH 0-14) wurde dem verbleibenden Mageninhalt vier ml steriles, destilliertes Wasser aufgetropft. Der angezeigte pH-Wert (zwischen pH 3 und 4: sauer) wies auf eine saure und für den Magen normale Umgebung hin (Abb. 4).

1.2 Einordnung der Befunde

Die glasig-gelatineartigen Strukturen (Gruppe 2) wurden von einem von uns hinzugezogener Botaniker als Feigenbestandteile eingeordnet. Dies stimmte mit der später getroffenen polizeilichen Mitteilung überein, dass eine Packung mit getrockneten Feigen am Fundort angetroffen wurde.

Die vorwiegend drei bis fünf Millimeter lange pflanzlich-körnerartige Strukturen (wie beispielsweise aus einem Körnergericht oder -brot) (Gruppen 3, 4) waren mit dem später mitgeteilten Fund einer Müslipackung am Fundort vereinbar.

Abbildung 6 Bohnenstücke aus dem Magen. Maßstab: cm und mm

Bei den aus Gruppe 5 mitgeteilten Bestandteilen sah der Botaniker eine Ähnlichkeit zu ungeschälten Körnern von Weizen, Roggen, Gerste oder Hafer in Abgrenzung zu Graupen, bei denen es sich um geschälte Getreidekörner handelt.

1.3 Umgebungseinflüsse

Es ist von einigen Pflanzenbestandteilen bekannt, dass sie im Magen nicht zersetzt werden (müssen), sondern den Darm passieren und unverdaut ausgeschieden werden können. Dazu zahlen vor allem Körner und andere, wenig wasserhaltige pflanzliche oder auch wenig zerkaute Bestandteile.

Nach unserer bisherigen Erfahrung mit Mageninhalten erschien es uns ungewöhnlich und interessant, dass die oben angesprochenen weichen, aber dennoch scharf begrenzten, wie mit Schnittkanten versehenen Bestandteile des Mageninhaltes (noch) vorhanden waren. Dies deutet normalerweise darauf hin, dass die Zersetzung der Nahrung nicht lange angedauert hat.

Einflüsse wie hastiges Schlingen (und damit nur wenig Kau- und Einspeichelungstätigkeit) [5] sowie die Frage, ob die Person regelmäßig Mahlzeiten zu sich genommen hat, müssen in dem hier vorliegenden Fall (Entführung mit Mord) berücksichtigt werden.

Laut Literatur führen auch Stress und Angst dazu, dass die Verdauungstätigkeit im Magen verlangsamt wird [38]. Dies scheint hier auch der Fall zu sein: Nach unseren Informationen war die ermordete Person mehrere Stunden lebend in der Gewalt des Täters.

Eine vergleichbare Wirkung hat auch ein länger andauernder Todeskampf. Dies scheint hier jedoch nicht zuzutreffen. Nach unseren Informationen lag im Herzen flüssiges Blut vor, das von den rechtsmedizinischen Kolleginnen als Hinweis auf einen raschen Sterbevorgang gedeutet wurde.

1.4 Zeitpunkt des Todes

In der medizinischen Literatur wird in der Regel davon ausgegangen, dass gegessene Nahrung ungefähr zwei bis sechs Stunden im Magen verbleibt und danach in den Darm abtransportiert ist [46 – 48].

Abbildung 7 Kleineres Bohnenfragment aus dem Magen. Maßstab: mm

In einer Untersuchung von Patel et al. (2013) von 100 Mageninhalte von Leichen zeigte sich, dass die Anwesenheit von noch identifizierbaren Nahrungsbestandteilen auf eine Zeit seit dem Essen von weniger als 2 Stunden hindeutet [46]. Angesichts der erkennbaren Schnittkanten im uns hier vorliegenden Mageninhalt würden wir eine Zeit seit Nahrungsaufnahme von etwa 2 Stunden bis höchstens 6 Stunden annehmen. Die genannten, in diesem Fall wohl einflussnehmenden Faktoren müssen berücksichtigt werden.

2. Fall 2

Ein Mann verstarb im Pflegeheim während des Abendessens. An diesem Tag nahm der Verstorbene folgende Speisen zu sich: Zum Frühstück soll er nur einen Kaffee getrunken und nichts gegessen haben. Mittags gab es Rinderrouladen mit Nudeln, Kaisergemüse und Rhabarberkompott. Angeblich soll er hiervon nur wenig zu sich genommen haben. Zum Abendessen gab es Gelbwurst, Käse, Bohnensalat, Brot (Graubrot oder dunkles Vollkornbrot) und Butter. Laut Betreuerin soll der Verstorbene abends zwei Scheiben Brot mit Wurst gegessen haben. In einem unbeaufsichtigten Moment hatte er sich möglicherweise eine Scheibe Brot mit Butter in den Mund steckt und war daran erstickt.

Wir wurden um eine morphologische Untersuchung der Speisereste aus seinem Rachen und Magen gebeten, um „mit hinreichender Sicherheit [festzustellen], welche Speisen der Verstorbene unmittelbar vor seinem Ableben zu sich genommen hat“.

2.1 Methoden & Befunde

Proben aus Rachen und Magen erhielten wir getrennt voneinander und ungekühlt in zwei Plastikgefäßen mit Deckel, die unmittelbar nach ihrer Ankunft bis zur Untersuchung in einem 3-Sterne-Gefrierfach tiefgefroren wurden.

2.2 Racheninhalt

Der etwa sechs Gramm schwere Racheninhalt (Waage: Philipps HR2385/A) war bräunlich, flüssig (Abb. 5). Drei erkennbar große Bröckchen waren innen weiß und außen von einer schmutzig dunkelgrauen Schicht umhüllt; die Konsistenz ähnelte Frischkäse.

Festere Bestandteile waren nicht erkennbar.

Insgesamt war die Flüssigkeit des Racheninhaltes recht dunkel gefärbt, was evtl. auf dunkle Vollkornbrot hinweisen könnte. Die hellen Bestandteile könnten von Käse stammen.

Abbildung 8 Mögliche fettige Bestandteile im Mageninhalt. Maßstab: cm und mm

2.3 Mageninhalt

Der deutlich hellere Mageninhalt wog ca. 230 g und wies einzelne größere, festere Bestandteile auf, die aufgrund ihrer Farbe und ihrem Aussehen länglichen Bohnen-Abschnitte ähnelten (Abb. 6).

Andere festere Bestandteile waren nicht vorhanden.

Der die Stücke umgebende Mageninhalt war vollständig einheitlich cremig-breiig mit kleinen weißen Einsprengseln (unter einem Millimeter); es fand sich ein einzelnes millimetergroßes eckiges Stück wie von einem grünen Kraut oder Gemüse.

Der Mageninhalt wurde lichtmikroskopisch bei 60facher Vergrößerung untersucht (Binokular: Leica MZ 12.5): Bei den Stückchen handelte es sich vermutlich um ein Stück Bohne, da Dicke und Farbe den anderen Stücken glichen. Insgesamt wurden aus dem Mageninhalt 19 mögliche Bohnenstücke mit Längen zwischen 5 mm und 21 mm gesichert (Abb. 7).

Ein süßlicher Geruch wie von erbrochenem Kakao war wahrzunehmen; dies könnte aber auch auf die Zersetzung von Zuckerbestandteilen (Kohlenhydraten) aus Brot zurückzuführen sein.

Bei achtfacher Vergrößerung der Bohnenstücke waren darauf zahlreiche kleine weiße Bestandteile zu erkennen. Diese weißen Partikel waren mit der Pinzette sehr leicht zerdrückbar; es könnte sich dabei beispielsweise um Käse mit nennenswertem Fettanteil handeln (Abb. 8). Kleine grünlich-rötliche bis bräunliche sehr dünne Plättchen könnten von Kräutern stammen.

Die pH-Wert-Messung der Proben wurde mit pH-Indikator-Stäbchen der Firma MERCK (pH 0-14) durchgeführt. Leitungswasser als Nullprobe zeigt pH 7 an, der Schlundinhalt lag bei pH 3-4, der Mageninhalt lag ebenfalls bei pH 3-4.

Ein Blut-Schnelltest mittels Bayer Hemastix (Charge: 6H18A) zeigte im Magen- und Schlundinhalt eine Blutmenge von mehr als 80 Erythrozyten pro Mikroliter (Abb. 9). Der Test zeigt extrem sensitiv, an so dass schon allerkleinste Spuren von Blut – auch extrem verdünnte Mengen – das Anschlagen des Tests bewirken.

2.4 Einordnung der Befunde

Der saure Schlundinhalt kann entweder auf die Speisen selbst zurückzuführen sein (Essig o.ä.), oder daran, dass die Person Magensäure aufgestossen oder gewürgt hat. Auch mögliche bakterielle Zersetzungsvorgängen während des Transportes könnten auf den pH-Wert eingewirkt haben, da die Proben bei uns nicht tiefgefroren eintrafen.

Die im Magen vorhandene Blutmenge muss nicht zwingend verletzungsbedingt entstanden sein. Es kann auch durch das Sektionsbesteck, Handschuhe oder Lagerungs-Gefäße aus dem Sektionsraum eingebracht worden sein.

Ein Tropfen Mageninhalt mit den bereits beschriebenen weisslichen, kleinen Partikeln sowie trockenkräuterartige Plättchen und Luftblasen (wohl durch Gärungsvorgänge) zeigte bei hundertfacher Vergrößerung mit dem Binokular die zahlreichen weißen Partikel, ähnlich einer Fett-Emulsion.

Abbildung 9 Blut-Schnelltest

Eine feingewebliche (histologische) Untersuchung erschien angesichts des sehr homogenen und gut untersuchbaren Materials nicht zwingend erforderlich, da keine auf den ersten Blick eigentümlichen oder nicht mit dem bisher Beschriebenen in Einklang stehenden Bestandteile im übersendeten Material zu erkennen waren.

Der Mann verstarb offenbar während der Einnahme des beschriebenen Abendessens.

3. Zusammenfassung

Mageninhalt sollte nicht alleinig zur Bestimmung des Todeszeitpunktes herangezogen werden. Unsere vorgestellten Fälle und die wissenschaftlichen Fallberichte zeigen jedoch, dass er zur Überprüfung von Aussagen und anders gelagerter Fragestellungen in einem Kriminalfall geeignet sein kann und sein möglicher Informationsgehalt daher nicht vernachlässigt werden darf.

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Informationsgehalt kriminalbiologischer Spuren Teil 3

Quelle: Kriminalistik, 6/2025, Seiten 343 bis 347

Informationsgehalt kriminalbiologischer Spuren

Teil 3: Experimentelle Überprüfung von Aussagen durch Blutspuren

Der Artikel kann hier in einem Jahr vollständig gelesen werden. Bis dahin liegen die Rechte beim Herausgeber.

siehe auch Teil 1

siehe auch Teil 2

Informationsgehalt kriminalbiologischer Spuren Teil 1

Quelle: Kriminalistik, 4/2025, Seiten 232 bis 236

Informationsgehalt kriminalbiologischer Spuren

Teil 1: Spuren- und insektenkundliche Untersuchung ohne Leiche

Der Artikel kann in einem Jahr hier vollständig gelesen werden. Bis dahin liegen die Rechte beim Herausgeber.

siehe auch Teil 2

Weitere Gegenstände aus Buchenwald sind aus Menschenhaut

Kriminalbiologe Mark Benecke präsentiert Forschungsergebnisse

Quelle: Evangelischer Presse-Dienst (epd), 18./19. Febr. 2025

Von Matthias Thüsing

Weimar/Baltimore (epd). Der Kriminalbiologe Mark Benecke hat für weitere Alltagsgegenstände aus den Sammlungen des ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald nachgewiesen, dass sie aus menschlichen Hautstücken angefertigt wurden. "Darunter befinden sich ein weiterer Lampenschirm und eine Taschenmesser-Hülle, die uns aus Westdeutschland beziehungsweise England zugeschickt worden sind", sagte der Kölner Wissenschaftler dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Weimar. Sowohl die vergleichenden mikroskopischen Untersuchungen mit Menschenhaut als auch Erbgutuntersuchungen lieferten demnach zweifelsfreie Ergebnisse.

Eine Besonderheit der SS in Buchenwald war die Herstellung von makabren "Geschenkartikeln", die sich die SS-Männer gegenseitig überreichten. Menschenhaut wurde aus den Leichen von Häftlingen geschnitten und zu Alltagsgegenständen weiterverarbeitet.

Benecke hatte bereits im vergangenen März erste Ergebnisse seiner Arbeit in Weimar präsentiert. Damals konnte er für einen Lampenschirm aus dem überlieferten Bestand der Gedenkstätte nachweisen, dass Menschenhaut für die Herstellung verwendet wurde. Am Donnerstag wird Benecke seinen Abschlussbericht auf einer Tagung der American Academy of Forensic Sciences in Baltimore/USA öffentlich vorstellen.

Zu den Ergebnissen gehörte auch die Untersuchung eines Schrumpfkopfs aus Buchenwald. "Jetzt steht fest. Es handelt sich um Ziegenhaut und -haar, die entsprechend in Form gebracht wurden", sagte Benecke. Vor allem die Haare hätten zunächst für ein Präparat aus Pferd gesprochen. Erst eine Erbgutuntersuchung habe Klarheit gebracht.

Weiter offen ist laut Benecke die Frage nach der Person, der ein präpariertes Herz mit angeblicher Schussverletzung zuzuordnen ist. Das Organ wurde nach der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald in dessen Pathologischer Abteilung vorgefunden. "In dem Herzen konnten wir nach sehr, sehr vielen Versuchen in mehreren Speziallaboren kein Erbgut finden", sagte der Forscher. Zumindest habe er das Exponat anhand alter Fotos als das echte, "damalige" Herz aus der alten Sammlung eindeutig zuordnen können. "Es ist also "geschichtlich" gesehen durch Fotovergleich auch als menschlich bestimmt", sagte Benecke.

Für Buchenwald sei die Forschung nun abgeschlossen, sagte Benecke. Das sei gut, die Untersuchung sei ihm nahe gegangen. Allerdings gebe es möglicherweise Nachfolgeprojekte an anderen Orten. "Ich habe eine Anfrage aus Syrien erhalten. Die Ukraine ist auch ein möglicher Kandidat. Genozide gibt es leider immer wieder", sagte Benecke.


Weimar/Baltimore (epd). Der Kriminalbiologe Mark Benecke hat für weitere Gebrauchsgegenstände aus den Sammlungen des ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald nachgewiesen, dass sie aus menschlichen Hautstücken angefertigt wurden. Darunter befinden sich ein weiterer Lampenschirm und eine Taschenmesser-Hülle. Am Donnerstag stellt der Kölner Wissenschaftler seinen Abschlussbericht erstmals auf der Tagung der American Academy of Forensic Sciences in Baltimore/USA vor.

epd: Nach der Zwischenpräsentation zu Artefakten aus Menschenhaut in Buchenwald haben Sie weitergeforscht. Wie sind Sie weiter vorgegangen? Welche und wie viele Gegenstände, Fragmente haben Sie weiter untersuchen lassen?

Mark Benecke: Wir haben 2024 noch ein weiteres Stückchen eines Lampenschirms und eine Taschenmesser-Hülle aus England erhalten. Kurz vor dem Abschluss des Projekts haben wir außerdem einen weiteren Lampenschirm bekommen. Er wurde direkt nach der Pressekonferenz in der Gedenkstätte Buchenwald in Westdeutschland gefunden und unserem Labor übergeben.

Was haben die Untersuchungen ergeben?

Leider sind alle diese Gegenstände auch aus Menschenhaut. Das haben vergleichende mikroskopische Untersuchungen mit Menschenhaut sowie Erbgutuntersuchungen zweifelsfrei ergeben.

Wo konnten sie Entwarnung geben?

Es hatte sich im Zwischenbericht ja angedeutet, dass der Schrumpfkopf vermutlich nicht menschlichen Ursprungs sein dürfte. Aber zunächst war die Untersuchung der Haare nicht eindeutig genug. Vieles sprach für ein Pferd. Daher habe ich auch hier noch einmal Erbgut untersucht und untersuchen lassen. Jetzt steht fest: Es handelt sich um Ziegen-Haut und -haar, die entsprechend in Form gebracht wurden. An dieser Stelle hatte übrigens meine Frau Recht: Ihr war früh aufgefallen, dass die Haare, die Ohr-Öffnung und anderes nicht zu einem Menschen passen. Sie muss es wissen. Sie verfügt über eine Ausbildung als staatlich geprüfte Kosmetikerin.

Was konnten Sie nicht klären?

Ein präpariertes Herz mit angeblicher Schussverletzung gehört ebenfalls zu den nach der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald in dessen Pathologischer Abteilung vorgefundenen Präparaten. In dem Herz aus der Sammlung konnten wir nach sehr, sehr vielen Versuchen in mehreren Speziallaboren aber kein Erbgut finden. Aber ich konnte es anhand alter Fotos als das echte, "damalige" Herz aus der alten Sammlung eindeutig zuordnen. Es ist also "geschichtlich" gesehen durch Fotovergleich auch als menschlich bestimmt. 

Was hat das Projekt gekostet?

Es hat sehr viel Zeit und Geld gekostet. Ich habe alles selbst bezahlt, da ich für diese Untersuchung einfach kein Geld nehmen wollte. Unglaublich wichtig war dabei der Sammlungsleiter der Gedenkstätte, der die ganzen alten Quellen und Fotos kannte sowie das sehr gründlich arbeitende Labor, das einen Arbeitsschwerpunkt auf verarbeiteter Haut - meist natürlich von Tieren - hat. Es war anstrengend, teuer und zwischendurch dachte ich, wir packen es nicht mehr. Aber nachdem auch die Untersuchung von Hitlers Schädel und Zähnen in Moskau ein Wahnsinnsaufwand war, und da ich die Wahrheit einfach liebe, haben wir es alle gemeinsam geschafft.

Sind die forensischen Untersuchungen damit abgeschlossen?

Ja. Ganz ehrlich: Ich glaube, dem Sammlungsleiter der Stiftung und mir ist das Ganze auch doch näher gegangen, als wir dachten. Es ist gut, dass es jetzt dauerhaft geklärt und der "Deckel zu" ist.

Wird es ein Nachfolgeprojekt geben? In Buchenwald oder anderswo?

Auch hier ein: "Leider ja." Ich habe gerade erst eine Anfrage aus Syrien erhalten. Die Ukraine ist auch ein möglicher Kandidat. Genozide gibt es immer.

Sind die Personen bekannt, aus deren Haut die untersuchten Gegenstände gefertigt wurden? Ließe sich das überhaupt genetisch klären?

Es gäbe eine Möglichkeit: Dazu müssten wir in die riesigen Familien-Stammbaum-Daten schauen. Der Sammlungsleiter und ich haben bisher entschieden, das nicht zu tun. Vermutlich bleibt es auch dabei. Manche Dinge sollten besser ruhen. Nur zu dem durchschossenen Herzen ist mit dem tschechischen politischen Häftling Jiri Horejsi (1920-1942) ein Name überliefert. Aber hier haben wir, wie gesagt, kein verwertbares Erbgut mehr vorgefunden.

Fast zum Ende noch eine Frage zu den Anfängen des Projekts: Wie kamen sie auf das Thema?

Mein Augenmerk auf Spuren aus Konzentrationslagern ist auf einer Sitzung erwacht: Im Jahr 2005 berichtete ein Kollege bei einer Tagung der American Academy of Forensic Sciences (AAFS), dass er Seife erhalten habe, die aus einem Konzentrationslager und aus Menschenfett gekocht sein könnte. Wir überlegten damals, wie sich das nachweisen ließe. Ohne diese Gesprächsrunde wäre ich vielleicht gar nicht auf die Spuren in Buchenwald gekommen.

Und noch mal zu heute: Welche Reaktionen haben Sie in der grundsätzlich streitfreudigen Wissenschaftscommunity nach Veröffentlichung der Zwischenergebnisse erreicht? Gab es Widerspruch?

Es herrschte zunächst Totenstille. Dann aber kam eine Überraschung: Die American Academy of Forensic Sciences, bei der ich schon seit den 1990er Jahren Mitglied bin, hatte meine Einreichung für die Konferenz gesehen und zum ersten Mal in meinem Leben beschlossen, meine Redezeit zu verlängern. Sonst wird sie eher gekürzt, um mehr Vorträge pro Sitzung einbauen zu können. Ich hatte nicht einmal danach gefragt. Jetzt wird der Vortrag mit über hundert Fotos nicht in einem Sonderteil der Tagung stattfinden, sondern auf der größten Veranstaltung dort, der sogenannten "Last Word Society". Das freut mich sehr, weil mich so besonders viele fachliche Anmerkungen erreichen werden.

epd ost mth

Halbes Bein im Volkspark gefunden

Quelle: Berliner Kurier, 1. März 2024, Seite 7

Von Stefanie Hildebrandt

Abgetrennter Oberschenkel: Kriminalbiologe Mark Benecke über den Gruselfund

In einem Park in Prenzlauer Berg wird ein Körperteil gefunden. Das verrät es dem Experten.

Die Suche nach weiteren Hinweisen im Fall eines abgetrennt aufgefundenen Oberschenkels in Berlin geht weiter und immer mehr Details werden bekannt. Bei der Berliner Polizei arbeitet man jedoch bisher im Verborgenen an dem Fall, hält sich mit Einzelheiten bedeckt.

Für den Berliner KURIER erklärt Deutschlands berühmtester Kriminalbiologe Mark Benecke, was sich für Experten alles an dem gefundenen Körperteil ablesen lässt.

In einem Park wird ein abgetrennter Oberschenkel gefunden. Was lässt sich an dem Fund ablesen?

“Anhand von Haut, Muskel, Haaren und dergleichen kannst du erst mal schauen, ob es eher ein Mann oder eher eine Frau sein könnte. Durch Erbgut kannst du das dann ebenfalls prüfen, aber auch schauen, ob die Person bekannt ist”, schreibt Mark Benecke. “Wenn sie beispielsweise schon mal in einer Erbgut-Datenbank eingestellt wurde, kriegst du einen “Treffer” und weißt, wer die Person ist von der der Schenkel stammt. Du kannst auch die Schnittkante anschauen: Kettensäge? Messer? Skalpell? Beil?”

Wie findet man heraus, wie lange der Schenkel schon da lag?

“Das geht nur über die Insekten-Besiedlung, das ist bei kaltem Wetter = wenigen Insekten aber schwierig. Zudem kann der Körperteil auch zwischendurch woanders gelegen haben, wo keine Insekten dran kommen, etwa einer Kühltruhe oder einer dicht verschlossenen Tüte oder Tasche.”

Wie kann man herausfinden, ob der Mensch lebte, als das Bein abgetrennt wurde?

„Durch Blutungen und Entzündungs-Merkmale an der Schnittkante. Wenn du lebst, blutet es im täglich bekannten Sinn‚ wenn jemand tot ist, dann verteilt sich das Blut kaum und anders. Im Gewebe-Dünn-Schnitt siehst du auch, ob zum Beginn den Versuch des Körpers zur Heilung gab, dann lebte die Person noch beim Schnitt. Wenn du keine Entzündungs- oder Heilungs-Merkmale in den Zellen siehst, war die Person schon tot”.

“Täter oder Täterinnen zerteilen Leichen öfter, um sie leichter tragen zu können, das heißt bei uns ‘defensive Leichen-Zerstückelung’, das heißt es hat nichts direkt mit der eigentlichen Tötung zu tun”, so Benecke.

Beim Abtrennen eines Oberschenkels werden große Blutgefäße durchtrennt, wie wahrscheinlich ist es, das bei laienhafter Ausführung zu überleben?

“Super unwahrscheinlich. Besonders die dicke Ader auf der Innenseite des Oberschenkels führt oft schon bei einem Stich hinein zum Verbluten.”

Einen Mordfall kann die Polizei in Berlin demnach auch nicht ausschließen.


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