Obduktion nach 15 Jahren Können Rechtsmediziner den Fall Peggy noch lösen?

2016 07 Bild online: Obduktion nach 15 Jahren

Quelle: Bild online vom 5. Juli 2016

VON NICLAS RENZEL UND JULIANE WEISS


Es ist einer der mysteriösesten Kriminalfälle Deutschlands: Vor 15 Jahren wurde die kleine Peggy († 9) entführt, jahrelang fehlte jede Spur des Mädchens, bis ein Pilzsammler in einem Waldstück am Samstag Knochenteile entdeckte – Knochenteile, die laut Experten „höchstwahrscheinlich“ Peggys sind! Die sterblichen Überreste (es soll sich um den Kopf und Teile vom Oberkörper handeln) werden zur Zeit untersucht, um Alter, Geschlecht und Identität des Opfers zweifelsfrei zu klären.


Prof. Dr. med. Michael Tsokos, Leiter des Instituts für Rechtsmedizin der Berliner Charité zu BILD:

„Hierfür gibt es verschiedene Anhaltspunkte, beispielsweise ob die Knochenfugen geschlossen sind oder nicht.“

„Auch die Zähne geben Aufschluss über das Alter eines Opfers. Eine Neunjährige hat ein ganz anderes Gebiss als eine 30-Jährige“, so Tsokos weiter.

Im nächsten Schritt besteht die Chance festzustellen, wie das Opfer starb, erklärt der Forensiker: „Nachweisen lassen sich massive Gewalteinwirkungen: Schläge mit dem Hammer oder Verkehrsunfälle hinterlassen massive Frakturen. Auch Stichverletzungen fallen in diese Kategorie, wenn beispielsweise das Schulterblatt perforiert wurde.“

Verletzungen dieser Art lassen sich auch nach Jahrzehnten noch feststellen. „Ich habe im vergangenen Jahr eine 40 Jahre alte Leiche exhumiert und untersucht. Dort waren Frakturen noch einwandfrei feststellbar – Knochen halten sich lange“, erklärt Tsokos.


Allerdings:

"Es gibt nahezu keine Chance, nach so einer langen Liegezeit Todesursachen wie Erwürgen oder Erdrosseln nachzuweisen“, erklärt Fred Zack,Oberarzt in der Forensik der Universität Rostock.

Ausnahme: „Es sei denn, die großen Hörner des Zungenbeins oder die Fortsätze des Schildknorpels sind bei einem Würgen oder Drosseln gebrochen worden. Ein solcher Fund spricht für grobe Gewalt gegen den Hals. Diese Teile des Kehlkopfskeletts sind aber sehr klein und in einem Wald nur schwer zu finden“, so Zack weiter.

Einfach ist dies aber nicht, erklärt Zack, denn: Nur Knochen, Zähne und Haare halten sich so eine lange Zeit. Blut, Speichel und andere Körperflüssigkeiten sind nicht mehr vorhanden.

Entscheidende Hinweise könne die Fundstücke am Tatort sein: „Schmuck und Kunststoffgegenstände können noch gut erhalten sein. Spuren an solchen Gegenständen und Haare können möglicherweise Hinweise auf die DNA des Täters geben“, sagt Zack.


Ebenfalls wichtig:

„Anhand der Knochen lässt sich erkennen, ob Verletzungen zu Lebzeiten oder nach dem Tod zugefügt wurden“, sagt der Kölner Kriminalbiologe Dr. Mark Benecke.

Im ersten Fall sehe ein Bruch anders aus als bei einer Zerstückelung des Opfer nach dem Tod. Diese erkennbaren Hinweise aus den Überresten können helfen, den räumlich-zeitlichen Ablauf der Tat zu klären.

Benecke weiter: „In der Vergangenheit gab es Fälle, in denen die Ermittler Tätern so auf die Spur kamen: Eine unbedachte Bemerkung des Täters über das Opfer kann schon ausreichen, um einen Zusammenhang zur Tat herzustellen – und schließlich zur Verurteilung zu führen.“


Am 7. Mai 2001 verschwand die neunjährige Peggy auf ihrem Heimweg von der Schule, seitdem fehlte von ihr jede Spur. Wochenlange Suchaktionen blieben ohne Erfolg, auch Bundeswehr-Tornados waren im Einsatz.

2002 präsentierten die Ermittler einen geistig behinderten Mann als Tatverdächtigen. Er habe Peggy ermordet, um zu vertuschen, dass er sie sexuell missbraucht habe, hieß es damals. Der Mann wurde 2004 als Peggys Mörder verurteilt, 2014 jedoch in einem Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen.

Zwischenzeitlich gerieten ehemalige Bekannte der Familie Peggys aus Halle/Saale ins Visier der Fahnder, doch auch diese Spur brachte keinen Durchbruch. Sie gelten inzwischen nicht mehr als Verdächtige.

Auch noch in den vergangenen Jahren gab es eine Reihe von spektakulären Untersuchungsaktionen der Polizei, um das Verschwinden der Schülerin doch noch aufzuklären. Mal wurde in einer Talsperre in Sachsen nach Peggys Schulranzen gesucht, mal wurde ein Anwesen in Lichtenberg durchsucht. Ebenso erfolglos blieb eine Grabungsaktion am Lichtenberger Friedhof Anfang 2014.
 


Mit großem Dank an Niclas Renzel und Juliane Weiss sowie die Redaktion für die Erlaubnis zur Veröffentlichung.