Quelle: Der Kriminalist, 10/2023, Seiten 31–33; der Artikel als .pdf
Von PD Dr. Ronny Grunert, Prof. Dr. Dirk Winkler & Dr. Mark Benecke
Einsatz von 3D-Technologie und Visualisierung in den Polizeien des Bundes und der Länder
Technik, die in ihrem Ursprung der Behandlung Lebender galt, hilft in der Forensik, bisher Verborgenes sichtbar zu machen. 3D-Bildinformationen erlauben es, Tatorte zu erschließen und mit digitalen Informationen zu vernetzen. 3D-Scanner werden beispielsweise eingesetzt, um einen Tatort ggf. sogar einschließlich der Geschädigten, Gegenstände im Raum und so weiter zu digitalisieren.
Mittels Virtueller Realität (VR) werden die mit dem 3D-Scanner gewonnen Daten ausgewertet. Das Bayerische Landeskriminalamt wertet den digitalisierten Tatort im Holodeck aus und kann in der rein virtuellen Szenerie Fragestellungen wie Lagebestimmung der Objekte im Raum oder aber auch die Schussrichtung klären.
Das LKA NRW betreibt ebenfalls die virtuelle Visualisierung des Tat- oder Einsatzortes sowie dessen Vermessung. Auch beim LKA Niedersachsen wird der Einsatz der VR-Technik beschrieben.
Das Bundeskriminalamt verfügt über eine Software zur Gesichtserkennung. Die Software erstellt Modelle des Gesichts anhand anatomischer Merkmale, welche softwarebasiert automatisch verglichen werden. Grundlage dafür sind klassische 2D-Fotos oder aus dem 3D-Scan-Daten gewonnene 2D-Ausschnitte des Gesichts. Binnen Sekunden wird die Datenbank, welche eine Million Einträge enthält, durchsucht. Aus diesen Ergebnissen wird eine Trefferliste entsprechend des Übereinstimmungsgrades erstellt.
Möglichkeiten des berührungslosen Scannings
Wir möchten an im Labor durchgeführten Beispielen die Möglichkeiten des berührungslosen Scannings vertiefen, indem wir Datenbrillen verwenden, die von mehreren Betrachtern gleichzeitig verwendet werden können. Entwickelt wurde unsere Technik ursprünglich zum Einsatz für Nerven- und Gehirnoperationen am Universitätsklinikum Leipzig.
Tatorteinsatz
Hierzu haben wir mit Dr. Mark Benecke und Ines Fischer einen Tatort nachgestellt. Ines Fischer stellte die unbekannte Leiche dar, deren Identität es schnell zu ermitteln galt. Die Geschädigte trug ein Schmuckstück, dessen Art und Ursprung mithilfe der 3D-Analyse schnell ermittelt werden sollte.
Für die Digitalisierung des Opfers verwendeten wir den mobilen 3D-Scanner Artec Leo 2. Aufgrund des integrierten Computers war ein freihändiger Scan ohne Kabelverbindung zu einem externen Rechner möglich. Die 3D-Punkte-Genauigkeit mit diesem Scanner beträgt bis zu 0,1 mm. Im Anschluss an den Scan wurden die 3D-Daten mit der Software Artec Studio rekonstruiert und das virtuelle 3D-Modell erzeugt (Abb. 1 und 2). Auch mit einem Handy konnten wir bereits gute Scans erzielen (Abb. 3).
Diese 3D-Daten könnten mit der Gesichtserkennungssoftware des BKA mit einer Datenbank abgeglichen werden, um das unbekannte Opfer schnell zu identifizieren.
Zusätzlich zur Gesichtsanalyse ist auch eine Ermittlung der Art und der Herkunft von Schmuckgegenständen denkbar, dessen Ablauf wir in diesem Set-up simuliert haben. Dazu wurde ebenfalls mit dem 3D-Scanner der Schmuckgegenstand digitalisiert (Abb. 4). Auch Kunstsammlungen können übrigens über ein digitales Archiv solche 3D-Scans mit einer Datenbank abgleichen.
Augmented Reality
Bisher wurden für die Tatortanalyse meist Datenbrillen unter Nutzung der rein virtuellen Realität verwendet. Mit der Microsoft HoloLens 2 und künftig der Apple Vision Pro stehen Datenbrillen der Mixed Reality zur Verfügung. Damit sieht man die echte Umgebung und zusätzlich eingeblendet die virtuellen 3D-Daten und andere relevante Informationen vergleichbar mit dem Head-up-Display beim Kfz.
Es ist also möglich, auch später noch einmal zum Fundort zu gehen und dort die damalige Auffindesituation mit Leiche, Gegenständen usw. einzublenden. Ebenso kann die gesamte Umgebung in jedem beliebigen Raum vollständig über die Brille dreidimensional eingespielt werden.
Die neuen Datenbrillen verfügen über eingebaute 3D-Scan-Sensoren, die zwar noch nicht die Genauigkeit im Vergleich zu den etablierten 3D-Scannern aufweisen, aber künftig mit verbesserten Sensoren auch hoch auflösend arbeiten werden.
Zukünftige Möglichkeiten
Die berührungslose Scan-Technologie birgt zahlreiche Vorteile. Daher werden wir in der finanziell knapp ausgestatteten Kriminalistik die Entwicklungen aus Industrieanwendungen übernehmen und anpassen können. Entscheidende Vorteile des Verfahrens sind eine sehr hohe Auflösung und Detailwiedergabe zum einen, die Abbildung des interessierenden Objektes im dreidimensionalen Raum zum anderen.
Dass bei der Erfassung von Leiche und Objekten mit dem Scanner keine Berührungen oder Veränderungen der Oberfläche eintreten, ist ein wesentlicher Vorteil. Dies machen wir uns in der Klinik zunutze, um beispielsweise Helme für Schädel-Hirn-Traumatisierte oder schädeloperierten Patienten zu erstellen. Kein anderes Verfahren kann die persönliche, einmalige charakteristische Schädelform so genau erfassen.
Diese Daten übertragen wir in die forensisch-kriminalistische Anwendung: Mit einer beispiellosen Detailtreue und sonst unmöglich zu erreichender Tiefenschärfe könnten Objekte berührungslos erfasst und digitalisiert werden und jederzeit abgerufen und virtuell in die gewählte Umgebung „gelegt“ werden. In unserem Fall gelang die hochpräzise Wiedergabe von textilen Elementen bis zur Darstellung gewebter Spitze (Abb. 2, 5).
Einzelheiten, die zum Zeitpunkt ihrer Erfassung als nicht bedeutsam eingeordnet werden, können so im Nachgang neu betrachtet und bewertet werden. Die gleichzeitige Betrachtung der gewünschten Bildinformationen durch die Beteiligten ermöglicht eine räumlich unabhängige Expertendiskussion, selbst über Länder und Kontinente getrennt. Der Fund- oder Tatort kann ortsunabhängig von mehreren Personen betrachtet und bewertet werden.
Die Menüführung im Raum erfolgt durch Handbewegungen im Raum. Vorher markierte Bildinhalte können im betrachteten Sichtfeld eingeblendet werden, auch wenn sie durch andere Strukturen verdeckt sind. Bei Operationen am Gehirn können wir also „durch“ das Gehirn schauen, an Tatorten wären beispielsweise nach Scan Gegenstände oder Spuren hinter Schränken, Betten, Gardinen usw. sichtbar. Das ist erweiterte Realität im wörtlichen Sinn. Alle gescannten Oberflächen lassen sich zudem frei drehen.
Interessant ist dies auch für die „Virtopsy“, die digitale Darstellung einer Leiche vor deren Öffnung. Einmal aufgenommene Befunde, wie zum Beispiel Projektile, die durch Röntgen im Körper erkannt wurden, können in die Datenbrille eingelesen, auf das schussverletzte Opfer überlagert und über die weiteren Verletzungen als Schusskanal eingeblendet werden.
Aufgrund der integrierten 3D-Sensorik, der automatisierten Verarbeitung durch die eingebettete Rechentechnik und die Vernetzung der Datenbrillen mit internationalen Datenbanken zur Gesichtserkennung oder zur Identifikation von Schmuckgegenständen stünde erstmals ein All-in-one-System zur Verfügung. Auch Überlagerungsfotos von Schädeln nach Brand, Fäulnis und dergleichen mit Passfotos sind möglich.
Ein Vorteil gegenüber bisherigen Techniken, Tatorte und Leichen in 3D einzuscannen, sind die bereits jetzt gegebene, gute Vernetzbarkeit der Daten, die serienmäßige und vergleichsweise sehr preiswerte Verfügbarkeit der kabellosen Datenbrillen sowie die durch Klinik, Industrie und Spieleentwickler von selbst angetriebene Weiterentwicklung der Technik. Auch die Verwendung von Handys zum Scannen ist im praktischen Einsatz sinnvoll und erlaubt eine niederschwellige Datenerfassung.