Erkenntnisgewinn durch Mageninhalt

Quelle: Archiv für Kriminologie, Band 256, Heft 3 und 4, Sept./Okt. 2025, Seiten 109 bis 125

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Von Dipl.-Biol. Kristina Baumjohann und Dr. rer. medic. Dipl.-Biol. Mark Benecke

Zusammenfassung

Mageninhalt kann in Grenzen – zusammen mit rechtsmedizinischen Verfahren – zur Bestimmung des Todeszeitpunktes herangezogen werden. Die zwei hier vorgestellten Fälle wie auch die Literatur zeigen darüber hinaus, dass Mageninhalt zur Überprüfung von Aussagen und weiteren Fragestellungen in Kriminalfällen geeignet sein kann.

Schlüsselwörter: Mageninhalt, Todeszeitbestimmung, Aussagen, Informationsgehalt

Abstract

Stomach contents can — together with other forensic medical methods — be used to narrow down time since death. Two cases presented here as well as the scientific literature show the use of the method to verify statements and further questions related to criminal investigations. This potential source of information should therefore not be neglected.

Keywords: stomach contents, determination of time of death, statements, information content

Einleitung

Rechtsmedizinische Untersuchungen vom Mageninhalt bei Verstorbenen werden seit über hundert Jahren durchgeführt. Corin untersuchte bereits 1898 auch bei Lebenden die Magenverweildauer von Kaffee [1]. Drei Jahre später führte Farrai (1901) Untersuchungen zur postmortalen Verdauung von Eiweiß an Hunden durch [2]. Aufgrund des Weitertransports von Nahrung im Magen nach Eintritt des Todes stuft er diese Methode zur Todeszeitberechnung als ungeeignet ein. Zur postmortalen Verdauung wurden in den letzten Jahrzehnten verschiedene (Tier-)Experimente durchgeführt [3, 4]. Auch Merkel (1922) wies in seiner Arbeit eine mögliche Weiterverdauung nach Todeseintritt nach, hielt sie jedoch aufgrund der geringen Menge für unbedeutend [5]. Madea et al. (1986) bestätigten dies in einem Tierexperiment [6]. Henssge & Madea (2004) wiesen auf die bakterielle Zersetzung der Nahrung nach Eintritt des Todes hin [7].

Sorge (1904) befürwortete das Heranziehen des Mageninhaltes um Informationen zum Todeszeitpunkt zu gewinnen [8]. Nach Holczabek (1961) sollten auch Dünn- und Dickdarminhalte als Informationsgeber für den Zeitpunkt der letzten Mahlzeiten und deren Zusammensetzung verwendet werden [9].

Abbildung 1 Mageninhalt mit überwiegend körnerartigen Bestandteilen

Sofern der Zeitpunkt zwischen letzter Nahrungsaufnahme und Eintritt des Todes wie auch die Speisenzusammensetzung bekannt sind, kann der Mageninhalt – neben weiteren rechtsmedizinischen Methoden – grobe Anhaltspunkte zum Todeszeitpunkt liefern.

Der Mageninhalt kann darüber hinaus jedoch interessante Hinweise zu den Todesumständen liefern. Steht der Todeszeitpunkt nicht genau fest oder kommen mehrere Zeiten in Frage, kann der Mageninhalt diesen näher eingrenzen („früher“, „später“), die Art der Mahlzeit bzw. die Einordnung von Tageszeiten (z.B. Frühstück, Mittagessen), Orte der Nahrungsaufnahme (z.B. bestimmtes Essen eines Restaurants, Besuch bei Freunden usw.), Überprüfung von Aussagen und Einordnungen zur zeitlichen Rekonstruktion sollte nicht vernachlässigt werden [7].

Die Aussagekraft des Mageninhalts ist nicht nur im Zusammenhang mit rechtsmedizinischen Untersuchungen interessant. Auch andere medizinische und wissenschaftliche Bereiche haben hierzu Forschungen getätigt: Püschel (1996), Petring & Blake (1993) wie auch Nygren et al. (1995) untersuchten die Magenentleerung im Zusammenhang mit der Anästhesie vor Operationen („Nüchternheit“) [10-12].

Grover & Camilleri (2013) gingen dem Einfluss von Antidepressiva bei Reizmagen und Reizdarmsyndrom auf die Magentätigkeit nach [13]. So beeinflusst etwa Buspiron die Fähigkeit des Magens sich zu entspannen, was wiederum für die Nahrungsaufnahme (Volumenvergrößerung) notwendig ist, während trizyklische Antidepressiva eine Magenentleerung verzögern. Diese Befunde können auch für rechtsmedizinische Fragestellungen interessant sein.

Im archäologischen Zusammenhang analysierten Dickson et al. (2000) den Dickdarm-Inhalt der Gletscher-Mumie „Ötzi“ mittels Isotopenanalyse, um die damalige Ernährungsweise zu erforschen [14].

Pflanzliche Fragmente können neben archäologischen Hinweisen auch kriminalistische Anhaltspunkte geben: Der Nachweis von Diatomeen (Kieselalgen) im Magen kann auf einen Tod durch Ertrinken hinweisen [15, 16].

Neben Speiseresten sind auch andere Substanzen im Magen aufschlussreich: Lang (2015) fand bei einigen Brandleichen Rußpartikel und Kohlenstoffmonoxid im Magen, die er als Vitalitätszeichen während des Brandgeschehens deutete [17].

Nicht vom Mageninhalt bedingte Einblutungen in der Magenschleimhaut können – neben anderen Befunden – auf einen Kältetod hinweisen [18-22]. Diese Einblutungen werden auch Wischnewski-Flecken [19, 22] genannt (oder Wichniewski [21] oder Wischnewsky-Flecken [18]).

Abbildung 2 Samenartige Körnchen aus dem Magen.

Pope (2012) berichtet von einem während eines Überfalls erschossenen Räuber dessen Mageninhalt zur Identifizierung seines entflohenen Komplizen führte [23]. Im Magen des Verstorbenen fanden sich typische Burger-Reste (Hackfleisch, Käse, Speck) und Pommes frites. Ein Kartoffelstäbchen war unverdaut und ließ darauf schließen, dass die Mahlzeit nicht länger als eine Stunde vor Todeseintritt gegessen wurde. Die Gerichtsmedizinerin konnte die Pommes frites aufgrund ihrer stärkeren Dicke einer bestimmte Fast Food-Kette zuordnen, von der sich eine Filiale in unmittelbarer Nähe zum Tatort befand. Das Überwachungssystem des Geschäfts zeigte den verstorbenen Räuber mit seinem Komplizen, der identifiziert werden konnte.

In einem Fallbericht von Kerscher et al. (2024) wurde ein 70jähriger Mann in einer Sauna ohnmächtig und zog sich Verbrennungen dritten Grades zu [24]. Er verstarb 11 Tage später in einem Brandverletzten-Zentrum. Sein Magen enthielt etwa 200 ml eingedickten Brei mit groben pflanzlichen Bestandteilen, die weder im Zwölffingerdarm noch in den folgenden Darmabschnitten zu finden waren. Der Mageninhalt musste daher die letzte Mahlzeit gewesen sein, die der Mann vor dem Saunagang zu sich genommen hatte. Das vollständige Ausbleiben der Magenentleerung über elf Tage wird hier erstmals beschrieben. Die Autoren zweifeln die Verwendung des Mageninhalts an, um Rückschlüsse auf das Zeitintervall zwischen letzter Nahrungsaufnahme und Tod ziehen zu können.

Von einem ähnlichen Fall berichtet Püschel (1996) [12]: Ein 15jähriger Junge erlitt fünfzigprozentige Verbrennungen der Körperoberfläche und starb nach10-tägiger intensivmedizinischer Behandlung an einer Sepsis. In seinem Magen fanden sich grüne Bohnen, die er vor den Verbrennungen zu sich genommen hatte.

Verletzungen und Erkrankungen des Verdauungstraktes können offenbar die Magenverweildauer von Nahrungsbestandteilen auf unbekannte Zeit verlangsamen oder sogar stoppen. Dies verdeutlicht Püschel (1996) anhand eines weiteren Falls: Ein 52jähriger Alkoholiker starb durch Bolustod nach 14tägiger Behandlung eines ausgedehnten subduralen Hämatoms [12]. Er wurde währenddessen ausschließlich künstlich ernährt. Ein 3x10 cm dicker Nahrungsbrocken aus dem Magen versperrte den Kehlkopfeingang und hatte im Magen über 14 Tage verweilt, ohne weiter transportiert und verdaut worden zu sein.

Auf einen Stillstand der Magenentleerung bei schwerem Schädel-Hirn-Trauma weist auch Tröger (1987) hin [25]. In der rechtsmedizinischen Praxis sollte in derartigen Fällen darauf geachtet werden, dass es „keine ,,sichere" Zeitgrenze bezüglich einer stattgehabten Magenentleerung gibt.“ (Püschel 1996) [12].

Tablettenreste im Magen-Darminhalt können eine Vergiftung und weitere Informationen zu den Todesumständen (z.B. Suizid) nachweisen [26]. Hierzu müssen Menge und Zusammensetzung der eingenommenen Substanz(en) bekannt sein. Neben der chemischen Analyse der Stoffe kann die Art und Menge bestimmter Hilfs- bzw. Füllstoffe in Tabletten (z.B. Arten von Stärke und Cellulose) mit einem Polarisationsmikroskop untersucht werden. Diese Methode ist auch auf Tablettenreste in Gläsern, in Flüssigkeitsresten, in eingeatmeter Flüssigkeit oder in Erbrochenem anzuwenden.

Singh et al. (2016) berichten von einem Mord an einer jungen Frau [27]. Während der polizeilichen Untersuchungen machten sowohl ihr Ehemann und dessen Bruder wie auch ihr eigener Bruder widersprüchliche Angaben. Anhand des Mageninhalts – halb verdauter Reis – wurden die Aussagen der Männer überprüft: Die Frau nahm den Reis ca. zwei bis drei Stunden vor Todeseintritt zu sich. Dieser Befund widerlegte die Aussagen des Ehemanns und dessen Bruder.

Abbildung 3 Pflanzenbestandteile aus dem Magen.

In einem anderen Fall konnte der Mageninhalt ebenfalls zur Überprüfung von Aussagen herangezogen werden: Pieri et al. (2018) untersuchten die Proteine im Magen eines 40jährigen Patienten, der offenbar an den Folgen eines Sturzgeschehens gegen 9 Uhr morgens in einer Klinik verstarb [28]. Die Krankenschwestern sagten aus, der Mann habe das Frühstück verweigert. In seinem Magen des Verstorbenen wurden 350 g einer weißlichen, halbflüssigen Masse gefunden. Eine Untersuchung der darin enthaltenen Eiweiße zeigte, dass es sich um verdaute Milch- und Brotproteine handelte, die vom Frühstück desselben Tages stammten. Durch den Widerspruch zwischen den rechtsmedizinischen Befunden und den Aussagen des Personals wurden Ermittlungen zur möglichen Verletzung der Aufsichtspflicht eingeleitet.

Die Zusammensetzung des Mageninhalts kann auch aufgrund seiner physikalischen Eigenschaften Informationen liefern: Gotsmy et al. (2018) und Jackowski (2023) weisen auf den charakteristischen dreischichtigen Mageninhalt in Fällen von Ertrinken hin [29, 30]. Aufgrund der Aufnahme verschieden großer Mengen an Wasser setzt sich dieses zuoberst ab (sog. „Wydler’s Sign“) und kennzeichnet Ertrinkungstode. Fälle ohne Ertrinken zeigen einen zweischichtigen Mageninhalt.

Gotsmy et al. (2018) weisen in diesem Zusammenhang auf mögliche abweichende Befunde zur Anzahl der Schichten des Mageninhalts zwischen PMCT (postmortalem CT) und der rechtsmedizinischen Untersuchung hin [29]. Vermutlich sind diese auf die Technik zur Entnahme des Mageninhalts im Obduktionssaal wie auch auf Bewegung des Leichnams bei der Obduktion oder vor / nach der PMCT zurückzuführen.

Der Untersuchung des Mageninhalts geht die Identifizierung der Nahrungsbestandteile voraus, die bei stark verdauten Speisen schwierig sein kann. Baur et al. (1982) zeigen wie man anhand von Doppeldiffusionstests und der Anwendung bestimmter Seren zwischen Milch und Käse unterscheiden kann [31]. Pflanzliche Bestandteile sind verschiedenartig aufgebaut und teils schwer zu bestimmen. Die Arbeit von Spann (1978) [32] und das Labor-Handbuch von Bock et al. (1980) [33] sind unserer Erfahrung nach gute Nachschlagewerke zur Erkennung pflanzlicher Zellen.

Verschiedene Faktoren beeinflussen die Entleerungsrate des Magens und den Verdauungszustand von Speisen. Wasser wird schneller entleert als Kohlenhydrate [11] und letztere wiederum schneller als Mischkost [26]. Dabei verlangsamt sich die Entleerung mit steigendem Gehalt an Kohlenhydraten und Triglyceriden [34].

Neben dem Fett- und Energiegehalt sowie dem Volumen bzw. Gewicht einer Mahlzeit [7, 35-37] spielen auch physikalische und chemische Beschaffenheit der Nahrungsmenge (z.B. Temperatur, pH-Wert) eine Rolle [38].

Jatti et al. (2010) nennen drei Kategorien einflußnehmender Faktoren auf die Magenentleerung: psychische, physiologische und anatomische Umstände [38].

Da die Magenentleerung neben überwiegend physiologischen Faktoren auch durch Emotionen gesteuert wird, sind letztere besonders in Kriminalfällen bedeutsam, da die Entleerung durch Wut und Aggression beschleunigt, durch Depression, Angst und Stress verlangsamt oder auch über das parasympathische System bei Schock, Angst oder Kopfverletzungen sogar gestoppt und die Herstellung von Magensäure einstellt werden kann [35, 36, 38-40]. Dann kann unverdaute Nahrung nach sogar 24 Stunden im Magen vorgefunden werden (Jatti et al. 2010) [38].

Weitere einflußnehmende Faktoren und deren Wirkung auf die Magenentleerung sind Tabelle 1 zu entnehmen.

Abbildung 4 pH-Wert-Bestimmung des Mageninhalts

Weitere tabellarisch aufgelistete Faktoren auf die Magenentleerung sind bei Henssge & Madea (2004) [7], Jaffe (1989) [45] und Legge et al. (2016) [36] zu finden.

Zur Dauer der Entleerungsraten des Magens gibt es unterschiedliche Angaben: Nach Patel et al. (2013) ist der Magen grundsätzlich nach 2,5-6 Stunden geleert [46], Grassberger & Schmid (2009) geben 2-4 Stunden mit einer großen Schwankungsbreite an [47], nach Kaul et al. (2017) dauert die Entleerung 4-6 Stunden [48]. Letztere untersuchten die Entleerungsrate(n) in 507 Fällen mit bekanntem Todeszeitpunkt und bekannter letzter Mahlzeit. Zwar erwies sich hier der Verdauungszustand der Speisen als bedeutsam bei der Berechnung des Todeszeitpunkts; dieser sollte jedoch nur im Zusammenhang mit weiteren Faktoren zur Berechnung der postmortalen Liegezeit (postmortales Intervall, PMI) gesehen werden.

Auch für Grassberger & Schmid (2009) ist die alleinige Abschätzung des Todeszeitpunkts anhand des Füllzustands des Magens und der Nahrungszusammensetzung nicht ausreichend genau [47]. Verständlich wird dies durch die oben aufgeführten Faktoren, die die Magenentleerung beeinflussen.

Wir stellen zwei Fälle aus unserer Sachverständigen-Praxis vor, in denen der Mageninhalt Verstorbener sowohl Rückschlüsse auf die zeitliche Einordnung des Todeseintrittes als auch die Überprüfung von Aussagen zuließ.

1. Fall 1

Ein Ehepaar wurde zwei bis drei Tage gefangen gehalten und ermordet. Wir wurden mit der Fragestellung beauftragt, wann der verstorbene Mann die in seinem Magen vorgefundene Mahlzeit zu sich genommen hatte.

1.1 Methoden & Befunde

Der Mageninhalt wurde in einem ca. 8 cm hohem und ca. 5 cm durchmessenden PE-Gefäß in einem Styropor-Kistchen mit Kühlelementen geliefert und bei Anlieferung eingefroren (3-Sterne-Gefrierfach).

Zwei Stunden vor Untersuchungsbeginn wurde der 53 g wiegende Mageninhalt (Feinwaage Kern 440-35N) bei Raumtemperatur aufgetaut und in zuvor mit Brennspiritus ausgewischte Petrischalen überführt.

Unter dem Binokular (Leica Mz 12.5) wurden 20 g des überwiegend tief dunkelgrau gefärbten Mageninhalts näher untersucht und Stücke nach Farbe, Form und Größe geordnet (Abb. 1).

Es konnten sieben Gruppen von relativ einheitlichen, noch gut erkennbaren, Bestandteilen auseinander sortiert werden:

1. Grobe, um einen Zentimeter lange, weiche, ,,gelatinöse", deutliche Schnittkanten aufweisende Stücke.

Abbildung 5 Schlund-Inhalt mit drei Bröckchen.

2. Größere, über einen Zentimeter messende „gelatinöse", meist scharf begrenzte (deutliche Schnittkanten aufweisende) Stücke.

3. Samenartige Körnchen von etwa zwei Millimetern Durchmesser mit glatter oder mit kleinen Eindellungen versehener Oberfläche: Zwei verschiedene Arten von Samen oder Körnern (Abb. 2).

4. Samenartige Körnchen von etwa fünf Millimetern Länge und drei Millimetern Breite, rötlich-braun.

5. Weiche, helle, einfach längsgefurchte, ca. drei bis vier Millimeter Breite und ca. sechs Millimeter lange Bestandteile.

6. Größere, teils lappige, mögliche Hüllen, wohl von Pflanzenbestandteilen.

7. Kleinere, rötlich braune Hüllen wohl von Pflanzenbestandteilen sowie ein einzelner birnenförmiger Bestandteil (Abb. 3).

Zur pH-Messung mit Universalindikator MERCK (pH 0-14) wurde dem verbleibenden Mageninhalt vier ml steriles, destilliertes Wasser aufgetropft. Der angezeigte pH-Wert (zwischen pH 3 und 4: sauer) wies auf eine saure und für den Magen normale Umgebung hin (Abb. 4).

1.2 Einordnung der Befunde

Die glasig-gelatineartigen Strukturen (Gruppe 2) wurden von einem von uns hinzugezogener Botaniker als Feigenbestandteile eingeordnet. Dies stimmte mit der später getroffenen polizeilichen Mitteilung überein, dass eine Packung mit getrockneten Feigen am Fundort angetroffen wurde.

Die vorwiegend drei bis fünf Millimeter lange pflanzlich-körnerartige Strukturen (wie beispielsweise aus einem Körnergericht oder -brot) (Gruppen 3, 4) waren mit dem später mitgeteilten Fund einer Müslipackung am Fundort vereinbar.

Abbildung 6 Bohnenstücke aus dem Magen. Maßstab: cm und mm

Bei den aus Gruppe 5 mitgeteilten Bestandteilen sah der Botaniker eine Ähnlichkeit zu ungeschälten Körnern von Weizen, Roggen, Gerste oder Hafer in Abgrenzung zu Graupen, bei denen es sich um geschälte Getreidekörner handelt.

1.3 Umgebungseinflüsse

Es ist von einigen Pflanzenbestandteilen bekannt, dass sie im Magen nicht zersetzt werden (müssen), sondern den Darm passieren und unverdaut ausgeschieden werden können. Dazu zahlen vor allem Körner und andere, wenig wasserhaltige pflanzliche oder auch wenig zerkaute Bestandteile.

Nach unserer bisherigen Erfahrung mit Mageninhalten erschien es uns ungewöhnlich und interessant, dass die oben angesprochenen weichen, aber dennoch scharf begrenzten, wie mit Schnittkanten versehenen Bestandteile des Mageninhaltes (noch) vorhanden waren. Dies deutet normalerweise darauf hin, dass die Zersetzung der Nahrung nicht lange angedauert hat.

Einflüsse wie hastiges Schlingen (und damit nur wenig Kau- und Einspeichelungstätigkeit) [5] sowie die Frage, ob die Person regelmäßig Mahlzeiten zu sich genommen hat, müssen in dem hier vorliegenden Fall (Entführung mit Mord) berücksichtigt werden.

Laut Literatur führen auch Stress und Angst dazu, dass die Verdauungstätigkeit im Magen verlangsamt wird [38]. Dies scheint hier auch der Fall zu sein: Nach unseren Informationen war die ermordete Person mehrere Stunden lebend in der Gewalt des Täters.

Eine vergleichbare Wirkung hat auch ein länger andauernder Todeskampf. Dies scheint hier jedoch nicht zuzutreffen. Nach unseren Informationen lag im Herzen flüssiges Blut vor, das von den rechtsmedizinischen Kolleginnen als Hinweis auf einen raschen Sterbevorgang gedeutet wurde.

1.4 Zeitpunkt des Todes

In der medizinischen Literatur wird in der Regel davon ausgegangen, dass gegessene Nahrung ungefähr zwei bis sechs Stunden im Magen verbleibt und danach in den Darm abtransportiert ist [46 – 48].

Abbildung 7 Kleineres Bohnenfragment aus dem Magen. Maßstab: mm

In einer Untersuchung von Patel et al. (2013) von 100 Mageninhalte von Leichen zeigte sich, dass die Anwesenheit von noch identifizierbaren Nahrungsbestandteilen auf eine Zeit seit dem Essen von weniger als 2 Stunden hindeutet [46]. Angesichts der erkennbaren Schnittkanten im uns hier vorliegenden Mageninhalt würden wir eine Zeit seit Nahrungsaufnahme von etwa 2 Stunden bis höchstens 6 Stunden annehmen. Die genannten, in diesem Fall wohl einflussnehmenden Faktoren müssen berücksichtigt werden.

2. Fall 2

Ein Mann verstarb im Pflegeheim während des Abendessens. An diesem Tag nahm der Verstorbene folgende Speisen zu sich: Zum Frühstück soll er nur einen Kaffee getrunken und nichts gegessen haben. Mittags gab es Rinderrouladen mit Nudeln, Kaisergemüse und Rhabarberkompott. Angeblich soll er hiervon nur wenig zu sich genommen haben. Zum Abendessen gab es Gelbwurst, Käse, Bohnensalat, Brot (Graubrot oder dunkles Vollkornbrot) und Butter. Laut Betreuerin soll der Verstorbene abends zwei Scheiben Brot mit Wurst gegessen haben. In einem unbeaufsichtigten Moment hatte er sich möglicherweise eine Scheibe Brot mit Butter in den Mund steckt und war daran erstickt.

Wir wurden um eine morphologische Untersuchung der Speisereste aus seinem Rachen und Magen gebeten, um „mit hinreichender Sicherheit [festzustellen], welche Speisen der Verstorbene unmittelbar vor seinem Ableben zu sich genommen hat“.

2.1 Methoden & Befunde

Proben aus Rachen und Magen erhielten wir getrennt voneinander und ungekühlt in zwei Plastikgefäßen mit Deckel, die unmittelbar nach ihrer Ankunft bis zur Untersuchung in einem 3-Sterne-Gefrierfach tiefgefroren wurden.

2.2 Racheninhalt

Der etwa sechs Gramm schwere Racheninhalt (Waage: Philipps HR2385/A) war bräunlich, flüssig (Abb. 5). Drei erkennbar große Bröckchen waren innen weiß und außen von einer schmutzig dunkelgrauen Schicht umhüllt; die Konsistenz ähnelte Frischkäse.

Festere Bestandteile waren nicht erkennbar.

Insgesamt war die Flüssigkeit des Racheninhaltes recht dunkel gefärbt, was evtl. auf dunkle Vollkornbrot hinweisen könnte. Die hellen Bestandteile könnten von Käse stammen.

Abbildung 8 Mögliche fettige Bestandteile im Mageninhalt. Maßstab: cm und mm

2.3 Mageninhalt

Der deutlich hellere Mageninhalt wog ca. 230 g und wies einzelne größere, festere Bestandteile auf, die aufgrund ihrer Farbe und ihrem Aussehen länglichen Bohnen-Abschnitte ähnelten (Abb. 6).

Andere festere Bestandteile waren nicht vorhanden.

Der die Stücke umgebende Mageninhalt war vollständig einheitlich cremig-breiig mit kleinen weißen Einsprengseln (unter einem Millimeter); es fand sich ein einzelnes millimetergroßes eckiges Stück wie von einem grünen Kraut oder Gemüse.

Der Mageninhalt wurde lichtmikroskopisch bei 60facher Vergrößerung untersucht (Binokular: Leica MZ 12.5): Bei den Stückchen handelte es sich vermutlich um ein Stück Bohne, da Dicke und Farbe den anderen Stücken glichen. Insgesamt wurden aus dem Mageninhalt 19 mögliche Bohnenstücke mit Längen zwischen 5 mm und 21 mm gesichert (Abb. 7).

Ein süßlicher Geruch wie von erbrochenem Kakao war wahrzunehmen; dies könnte aber auch auf die Zersetzung von Zuckerbestandteilen (Kohlenhydraten) aus Brot zurückzuführen sein.

Bei achtfacher Vergrößerung der Bohnenstücke waren darauf zahlreiche kleine weiße Bestandteile zu erkennen. Diese weißen Partikel waren mit der Pinzette sehr leicht zerdrückbar; es könnte sich dabei beispielsweise um Käse mit nennenswertem Fettanteil handeln (Abb. 8). Kleine grünlich-rötliche bis bräunliche sehr dünne Plättchen könnten von Kräutern stammen.

Die pH-Wert-Messung der Proben wurde mit pH-Indikator-Stäbchen der Firma MERCK (pH 0-14) durchgeführt. Leitungswasser als Nullprobe zeigt pH 7 an, der Schlundinhalt lag bei pH 3-4, der Mageninhalt lag ebenfalls bei pH 3-4.

Ein Blut-Schnelltest mittels Bayer Hemastix (Charge: 6H18A) zeigte im Magen- und Schlundinhalt eine Blutmenge von mehr als 80 Erythrozyten pro Mikroliter (Abb. 9). Der Test zeigt extrem sensitiv, an so dass schon allerkleinste Spuren von Blut – auch extrem verdünnte Mengen – das Anschlagen des Tests bewirken.

2.4 Einordnung der Befunde

Der saure Schlundinhalt kann entweder auf die Speisen selbst zurückzuführen sein (Essig o.ä.), oder daran, dass die Person Magensäure aufgestossen oder gewürgt hat. Auch mögliche bakterielle Zersetzungsvorgängen während des Transportes könnten auf den pH-Wert eingewirkt haben, da die Proben bei uns nicht tiefgefroren eintrafen.

Die im Magen vorhandene Blutmenge muss nicht zwingend verletzungsbedingt entstanden sein. Es kann auch durch das Sektionsbesteck, Handschuhe oder Lagerungs-Gefäße aus dem Sektionsraum eingebracht worden sein.

Ein Tropfen Mageninhalt mit den bereits beschriebenen weisslichen, kleinen Partikeln sowie trockenkräuterartige Plättchen und Luftblasen (wohl durch Gärungsvorgänge) zeigte bei hundertfacher Vergrößerung mit dem Binokular die zahlreichen weißen Partikel, ähnlich einer Fett-Emulsion.

Abbildung 9 Blut-Schnelltest

Eine feingewebliche (histologische) Untersuchung erschien angesichts des sehr homogenen und gut untersuchbaren Materials nicht zwingend erforderlich, da keine auf den ersten Blick eigentümlichen oder nicht mit dem bisher Beschriebenen in Einklang stehenden Bestandteile im übersendeten Material zu erkennen waren.

Der Mann verstarb offenbar während der Einnahme des beschriebenen Abendessens.

3. Zusammenfassung

Mageninhalt sollte nicht alleinig zur Bestimmung des Todeszeitpunktes herangezogen werden. Unsere vorgestellten Fälle und die wissenschaftlichen Fallberichte zeigen jedoch, dass er zur Überprüfung von Aussagen und anders gelagerter Fragestellungen in einem Kriminalfall geeignet sein kann und sein möglicher Informationsgehalt daher nicht vernachlässigt werden darf.

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YPS: Der Herr der Maden

Quelle: Yps, Heft 1263 (1/2014), Seiten 34 bis 36

Er gilt als „Herr der Maden“, untersuchte Hitlers Schädel und half mit, entsetzliche Gewaltverbrechen aufzuklären: Deutschlands bekanntester Kriminalbiologe Dr. Mark Benecke (43) ist Spezialist für forensische Entomologie, wie das Fachgebiet des 43-­Jährigen eigentlich heißt, Experte für das Abwegige und erklärter Yps-­Fan.

Interview: Andreas Hock

Yps: Was sind Ihre Erinnerungen an Yps?

Dr. Mark Benecke: Ich bin immer zum Kiosk getigert und habe mir alle Hefte gekauft! Nur eine Zeitlang hatte ich einen Groschen zu wenig Taschengeld und konnte nur jedes zweite Yps kaufen. Ein Drama!

Irgendein Lieblings-­Gimmick?

Eigentlich mochte ich alles. Nur manchmal habe ich mich geärgert, wenn etwas nicht funktionierte. Etwa der Windmesser fürs Fahrrad. Das war Plastik-­Schrott.

Hat Yps Ihren weiteren Berufsweg denn irgendwie beeinflusst?

Ich denke schon. Denn alles, was ich heute gerne mache, kam da schon vor: messen, tüfteln, forschen. Yay!

Sie beschäftigen sich praktisch ausschließlich mit den extremen Auswüchsen der menschlichen Psyche und ihren Folgen. Woher die Begeisterung fürs Abgründige?

Ich arbeite einfach gerne am Rand des Randes, dort, wohin keiner mehr gucken mag. Das finde ich besonders spannend.

Was genau macht eigentlich ein „Kriminalbiologe“?

Zweierlei Sachen. Einerseits bin ich als Spurenkundler tätig und schaue mir vor allem die Insekten an. Danach kann ich beispielsweise sagen, wie lange das Insekt auf der Leiche gelebt hat, was den Todeszeitpunkt bestimmen helfen kann. Oder ich stelle fest, dass die Leiche zunächst nicht an der Stelle gelegen hat, wo sie gefunden wurde. Der Rest des Falles ist mir dabei vollkommen egal. Wenn es aber um den Bereich der Tatortrekonstruktion geht, hole ich mir wie ein Ermittler alle möglichen Infos heran. Dann rede ich mit jedem, der irgendetwas Relevantes wissen könnte. Ich notiere, fotografiere und katalogisiere. Dabei glaube ich aber erstmal gar nichts – nicht einmal mir selbst.

Und wie kann man bei all den furchtbaren Dingen noch ein halbwegs normales Leben führen

Ich betrachte ich das Ganze nicht von einem emotionalen Standpunkt aus, sondern eher rein wissenschaftlich. Wenn ich einen Tatort oder eine Leiche untersuche, dann habe ich dabei keine Gefühle. Schon eher, wenn ich bemerke, dass bei der Aufklärung eines Falles Fehler gemacht wurden und etwa die falsche Person verurteilt worden ist!

Kriegen Sie denn nach Feierabend die Bilder aus dem Kopf?

Ich hasse Feierabend, Urlaub und dergleichen. Außerdem habe ich zum Glück als Bilder nur die Räume oder Wege der Tatorte im Kopf, weiter nix. Sonst wäre es in der Tat ein bisschen anstrengend.

Wenn der kleine Yps-­Leser Mark gewusst hätte, was der große Dr. Benecke später macht – was hätte der gedacht?

Et is, wie et is...

Wie erklären Sie sich die wachsende Faszination, die von Gewaltverbrechen ausgeht? TV-­Serien wie „Medical Detectives“ oder „Autopsie“, wo Sie ja auch mitgewirkt haben, sind Quotenrenner, und Ihre Vorträge sind voll....

Ich schaue selbst nie fern. Insofern kann ich nicht beurteilen, was den Erfolg oder den Reiz solcher Sendungen betrifft. Aber durch sie ist natürlich schon die soziale Akzeptanz für Berufe wie meinen gestiegen. Und was die so genannte Faszination dafür angeht: Für die meisten Menschen fungiere ich wohl als Puffer, indem ich an einem „neutralen“ Ort von meinen Erlebnissen berichte. Mein Publikum freut sich wahrscheinlich, dass irgendjemand den Drecksjob macht. Oder manche Zuschauer haben selbst einen seltsamen Todesfall erlebt und wollen wissen, wie dann vorgegangen wird.

Was erwartet denn Ihre Zuschauer an einem solchen Abend?

Ein Blick auf das Ungeheuerliche. Es lohnt sich, das Tor zur Hölle mal kurz aufzureißen, um hineinzusehen. Ich mag es nicht, wenn die Leute zuhause auf dem Sofa sitzen, Chips in sich hineinstopfen und dabei eine bessere Welt fordern. Man muss auch mal dorthin schauen, wo es stinkt – und sich fragen, wo die eigene Verantwortung anfängt.

Nämlich?

In meinem Fall dort, wo Gewalttäter etwas tun, das nur sie selbst erklären können. Bevor dieses Wissen einfach untergeht, muss ich doch die Möglichkeit ergreifen, das zu erhalten und Schlüsse daraus ziehen.

Empfinden Sie selbst noch so etwas wie Ekel?

Nein, sonst könnte ich das Ganze ja auch nicht machen! Ich arbeite mit menschlichen Ausscheidungen aller Art – Kot, Sperma, Blut. Ich weiß nicht, was daran ekelhaft sein soll. Den Geruch von frischem Fleisch – etwa beim Metzger – empfinde ich als genauso fies!

Und Angst?

Höchstens vorm Autofahren oder vor einem Hubschrauberflug. Ich bin nicht besonders mutig, aber das hat mit meiner Arbeit nichts zu tun.

Sie haben sich zum Beispiel auch mit dem kolumbianischen Serienkiller Luis Garavito Cubillos befasst, der 300 Jungen zwischen 8 und 13 Jahren getötet haben soll. Haben Sie eine Erklärung dafür, wie jemand so böse werden konnte?

Zunächst gibt es genetische Faktoren. Dann kommt noch die Umwelt hinzu. Bei manchen Mördern findet man wirklich das ganze Programm – Gewalt in der Familie, Alkoholismus, sexueller Missbrauch, geringe Bildung. Andere sind lupenreine Schizophrene. Eigentlich ist also die Tat an sich das Böse und nicht der Mensch, der sie begangen hat. Wobei ich klarstellen möchte, dass ich kein Mitleid mit diesen Tätern habe, im Gegenteil. Ich habe viel mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen zu tun, die allesamt schlimme Dinge erlebt haben. Jeder einzelne von ihnen hat mehr Mumm in den Knochen als diese Typen, die immer alles auf ihre schwere Kindheit schieben! Man hat immer die Wahl.

Ist die Welt böser geworden?

Eigentlich ist die Welt durch die ständige Vernetzung und den internationalen Informationsaustausch sogar besser geworden: Je mehr kulturellen Kontakt die Menschen haben, desto toleranter sind sie im Grunde. Einzig durch sozioökonomische Umstände wird das Aufkommen von Straftaten gesteigert.

Sie ernähren sich vegetarisch. Aus beruflichen Gründen?

Nicht unbedingt. Aber ich habe ja tatsächlich viel mit den detaillierten Überbleibseln von Gewalt zu tun, etwa mit Blutresten und verwestem Fleisch. Im Klartext: Bei einem Stück Schinken sehe ich das gleiche Leichengewebe vor mir wie an einem Tatort. Das kann ich offensichtlich nicht mehr ausblenden. Was kurios ist: Ursprünglich wollte ich eigentlich Koch werden!

Sie wollten also niemals mit Maden zu tun haben?

Nein. Aber ich war schon immer der kauzige Junge mit dem Chemie-­, Physik-­ und Detektivkasten. Und mit Yps natürlich.

Mit herzlichem Dank an Andreas Hock und die Yps-Redaktion für die Freigabe und die Genehmigung zur Veröffentlichung.

Für mich sind alle Fälle gleich

Quelle: Westfalenpost, Kreis Olpe, 8. März 2025

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„Für mich sind alle Fälle gleich" Dr. Mark Benecke erlangte über Kriminalfälle weltweites Aufsehen. Kurz vor einem Auftritt in Attendorn gibt er uns private Einblicke in sein Leben

Von Daniel Engeland

Attendorn. Dr. Mark Benecke klärt bei seiner Arbeit als Kriminalbiologe knifflige Kriminalfälle auf. Über viele seiner Fälle erlangte der Kölner weltweite Aufmerksamkeit. Am 13. März kommt er nun für einen Vortrag nach Attendorn. Im Gespräch mit unserer Zeitung gibt er Einblicke in sein Privatleben und seinen spannenden Lebensalltag.

Herr Benecke, am 13. März halten Sie einen Vortrag in der Attendorner Stadthalle. Gibt es Verbindungspunkte zum Kreis Olpe und der Stadt Attendorn?

Ich bin als Kölner natürlich schon als Kind öfter in Attendorn gewesen — das war damals ein zwingendes Ausflugsziel für alle Familien mit Kindern.

Worauf können sich die Besucher und Besucherinnen in der kommenden Woche bei Ihrem Vortrag freuen?

Ich werde über einige meiner Kriminal-Fälle berichten.

Sie haben selbst mehrere Bücher geschrieben, was lesen Sie eigentlich privat?

Am liebsten lese ich alte Tier-Bücher. Ich habe aber auch eine sehr große Sammlung alter rechtsmedizinischer und kriminalistischer Bücher, dort geht es beispielsweise um Gifte, Mumien sowie „Fälle", die wir heute als harmlosen Alltag ansehen und nur den Kopf schütteln. Dazu gehören Homosexuelle und Sexarbeiterinnen, die von der Polizei mit großem Ernst verfolgt wurden. Dasselbe gilt für „Migration" und „fremde Menschen", die auch früher schon hin und wieder als gefährlich angesehen wurden, obwohl die kriminalistisch erhobenen Zahlen das Gegenteil zeigten. Und ich habe auch eine ziemlich große Ecke in meiner Bibliothek, die sich nur mit Vampir-Leichen und allem drumherum befasst. Außerdem bin ich Buchpate in der Linnean Society of London, der Staatsbibliothek in Berlin und der Nationalbibliothek in Wien, sodass ich auch dort einige Schätzchen lesen darf.

Sie sind ein großer Tattoo-Fan. Wie viele Tattoos haben Sie mittlerweile? Welche Bedeutung haben sie in Ihrem Leben?

Eine Freundin hat neuerdings so um die 150 Tätowierungen auf mir gezählt. Deren Bedeutung kann sich ändern. Es sind jedenfalls immer Erinnerungen an Orte, Menschen und Erlebnisse. Es gibt sogar ein 3D-Foto von mir im Netz. Es stammt aus dem Grassi-Museum für Völkerkunde in Leipzig. Dort kann mich jeder drehen und meine Tattoos und deren Bedeutungen Klick für Klick erkunden.

Viele Menschen sind von „True Crime" fasziniert. Verspüren Sie eine ähnliche Faszination, wenn Sie als Kriminalbiologe einen Fall erleben, der sich zunächst kaum erklären lässt?

Für mich sind alle Fälle gleich. Das geht uns aber allen im Team so. Wir ärgern uns über Lügen und Geschnatter, egal von wem es ausgeht. Wir suchen die messbaren Tatsachen dazu zusammen und dann tritt meist die messbare Wahrheit zutage.

Wie gehen Sie damit um, im Alltag immer wieder mit dem Tod und schaurigen Verbrechen in Kontakt zu kommen?

Et is wie et is. Die Welt besteht nicht nur aus Zuckerguss.

Wie sieht Ihr Alltag in der Kriminalbiologie aus, gibt es überhaupt einen Alltag?

Wir schauen uns jeden Fall mit kindlichen – nicht kindischen – Augen, also unbefangen an. Daher passiert jeden Tag etwas anderes. Mal messen wir Blut-Spuren, mal Insekten, mal wälzen wir Akten, mal hängt eine oder einer von uns in einem Baum, um eine Erhängung nachzustellen, mal sind wir auf Kongressen wie gerade eben bei der größten Tagung der Forensikerinnen und Forensiker in Baltimore.

Vor der Jahrtausendwende gelang Ihnen ein echter Coup: Es gelang Ihnen nach der Untersuchung von Maden die Liegezeit einer ermordeten Frau festzustellen und so den Täter zu finden. Wie kam es dazu?

Das mache ich schon seit den 1990-er Jahren. Die Länge von Larven verrät deren Alter. So lässt sich die Zeit seit der Leichen-Besiedlung ermitteln. Es gibt auch Fälle, wo vernachlässigte Lebende besiedelt werden. Da können wir dann ausrechnen, wie lange die Pflege schon nicht mehr stattgefunden hat.

Welche Rolle spielen Tiere für Ihre Arbeit?

Wir schauen uns gerne Käfer, Fliegen, Schnecken und Wespen an, um zu verstehen, wie lange eine Leiche besiedelt wurde. Und ob eine scheinbare Messer-Wunde oder Kratzer im Gesicht einer Leiche nicht doch von Tieren stammen. Ich habe auch einen Sondervortrag über Haustiere, die ihre menschli-chen, verstorbenen „Herrchen" oder „Frauchen" gefressen haben.

Sie haben während Ihrer Arbeit einiges gesehen, gibt es einen Fall, bei dem sich auch bei Ihnen noch heute die Nackenhaare aufstellen?

Ich finde es schade, dass Menschen nicht lernen. Die Zusammenarbeit war geschichtlich, auch kriminalgeschichtlich, immer messbar besser für alle Beteiligten als das Töten oder Ausgrenzen.

Welcher Fall hat Sie bislang am meisten fasziniert?

Vielleicht der Nächste?

Sie engagieren sich neben Ihrer Arbeit auch in der Politik. Wie ist es dazu gekommen?

Das ist für mich alles eins. Ich möchte das bewirken, was in meinem Handlungs-Spielraum steht. Manche Dinge lassen sich eher politisch umsetzen als auf der Couch.

Was macht Dr. Mark Benecke eigentlich in seiner Freizeit, wenn er mal nicht Verbrechern auf den Leim geht?

Ich unterscheide nicht zwischen Arbeit und Freizeit. Das, was ich erledige, mache ich gerne. Wenn ich es nicht möchte, lasse ich es. So halten wir es im Labor alle. Von außen sieht es vermutlich so aus, als ob ich immer arbeite. Messen kann ich aber überall.

Mark Benecke ist der Jäger der übersehenen Wahrheiten

Quelle: Neu-Ulmer Zeitung | Augsburger Allgemeine, Samstag, 28. September 2024, Nr. 225, Lokales, Seite 31

Mark Benecke ist der Jäger der übersehenen Wahrheiten

Von Florian Arnold

Im ausverkauften Roxy unterhielt der Kriminalbiologie mit Fällen zwischen bizarr und unglaublich. Das Publikum lernt, dass man mit üppigen Busen erstickt werden. Wenn es in Kriminalfällen kompliziert wird, wenn ein Cold Case Fragen aufgibt, wenn es auch mal richtig schräg wird - dann tritt Dr. Mark Benecke auf den Plan. In der Region ist er seit langem ein Garant für ausverkaufte Hallen, so auch bei seinem jüngsten Auftritt im Roxy: da waren die Karten schon vor Wochen ausverkauft. Was macht den Kriminalbiologen so populär? Ist es der morbide Spaß an seiner Arbeit mit Leichen, ist es die unverblümte Art des äußerst medienaffinen und schlagfertigen Spezialisten für Biologie, Zoologie und Insektenkunde? Oder ist es seine zugängliche Art, die komplexen Verflechtungen von Biologie und Kriminalistik verständlich zu servieren?

Etwas von all dem dürfte zum Erfolgsrezept von Benecke beitragen, dessen Vortragsabend „Kriminalfälle am Rande des Möglichen" über zweieinhalb Stunden hinweg spielend unterhält, informiert - und ab und zu auch die Übelkeitsgrenze schwacher Naturen fordert. Denn natürlich werden immer wieder Fotos aus der Ermittlungsarbeit gezeigt. Gleich der erste Fall des Abends zeigt eine nackte weibliche Leiche mit (vermeintlichen) Würgemalen. Und schnoddrig, wie es seine Art ist, kündigt Benecke an: „Da kommen jetzt noch mehr solche Fotos, das ist nichts für Zartbesaitete". Wer jetzt erst merkt, dass ihm das zu viel wird, darf gehen. Das ist ein bisschen wie im Schulunterricht: Es wird unterbrochen und mit sanfter Pädagogenstimme dazu aufgefordert, den Raum zu verlassen, wenn man es nicht aushält.

Dabei gab es schon ganz zu Beginn, wie immer bei Benecke, das vorgelesene „FAQ". Da wird nicht nur um das Unterlassen von Mitfilmen - und fotografieren gebeten, sondern auch deutlich zu lesen steht: „Achtung, es sind eventuell Leichen zu sehen, wer das nicht möchte, bitte besser wieder gehen." Davon machen nur ganz wenige Gebrauch. Wer zu Benecke kommt, weiß, wie der Abend läuft. Und das ist ein rasanter, mit krassen Abbildungen und staunenswerter Informationsfülle gespickter Abend, irgendwo zwischen klassischem Vortrag und Dokutainment.

Politik, Religion etc., das ist alles nicht meine Baustelle", erklärt Benecke, „aber alles, was man messen kann, das ist meines: wenn etwas kritisch wird, dann sage ich: zeig mir die Zahlen. Dann haben wir Klarheit und es gibt kein Geschnatter und Wortgeklingel."

Kern eines jeden Benecke-Abends sind reale Fälle, die zum Teil überaus skurrile Fragen aufwerfen. Besagte weibliche Leiche mit den Würgemalen - Benecke erzählt flott und kurzweilig, wie sein Mentor Professor Prokop diesen Fall aus den 1960ern aufklärte: die Würgemale waren Abdrücke eines Astes, auf dem die Verstorbene im Straßengraben lag. Erwürgt wurde also niemand - akribische kriminalbiologische Ermittlung bewies, dass die Frau tatsächlich an einer akuten Herzmuskelentzündung starb.

Zwischendurch fallen Sätze wie „Die Leiche ist sehr frisch" oder „Früher war das so, nicht erschrecken!". Wie gesagt: für Zartbesaitete ist das nichts. Für die Zuhörer mit robusten Nerven ist es aber hoch spannend zu hören, wie Benecke immer wieder beweist, dass das Offensichtliche eben nicht das Wahrscheinlichste ist. Typisch menschlich sei es eben, wenn man einen Schuss hört und sich umdreht, jene Person zu verdächtigen, die mit einem Revolver in der Hand da steht. „Aber wir Kriminalbiologen messen, suchen Beweise, und am Ende finden wir die Wahrheit". Und die ist in der Kriminalistik oft etwas ganz anderes als das, was man anfänglich glaubt. Es sei schon erstaunlich, wie oft „Verurteilten auf Basis falscher Daten und Annahmen der Prozess gemacht wurde". Das komme auch heute noch vor, so Benecke. Wie das hätte ich auch gewusst. Aber wichtig winzige Details für das Auffinden der Wahrheit sind, belegte Benecke an diesem Abend dutzendfach mit Bild- und Faktenmaterial. Dass es da auch um den Fall „Mord durch Busen" geht, gehört in die Abteilung „absurd und bizarr", aus der Benecke gerne schöpft. Zuletzt steht fest: Man kann mit üppigen Busen erstickt werden.

Mit Vortragsabenden wie “Plötzliche Selbstentzündung”, “Vampire und Vampirzeichen” oder “Die Leiche aus der Biotonne” hat er reichlich Erzählmaterial aus über 30 Berufsjahren am Start. Jenseits von morbidem Grusel und Schockfotos ist Beneckes Vortrag aber stets hoch spannend. Ohne die Spannung für jene kaputtzumachen, die so einen Abend noch nicht mitgemacht haben, sei gesagt: Das Unmögliche liegt oft näher als gedacht und, so Benecke, „am Ende sagt man manchmal, so ist es natürlich nicht. Gewusst haben wir es, weil wir genau arbeiten, exakt messen, die Spuren ohne Annahmen zum Sprechen bringen". Das geht manchmal nur, indem man „lauter unangenehme Fragen" stelle - und zwar den ermittelnden Kollegen. Häufigste Todesursache in der Kriminalstatistik ist laut Benecke übrigens auch heute: Strangulation, durch eigene oder fremde Hand. Typisch für Täter sei der Satz „Ich weiß nicht, wovon sie sprechen".

Benecke ist ein Medienphänomen. Er macht Musik, er ist eine Merchandising-Maschine (die gerne Geld für wohltätige und Umweltorganisationen einsammelt), er hält weltweit Vorträge und ist Ausbilder an deutschen Polizeischulen.

Im Roxy steht am Ende die Erkenntnis: Gerechtigkeit stellen in einem Todes- oder Mordfall am Ende nicht unbedingt die Ermittler her - sondern Menschen wie Mark Benecke, die stur und unbeirrt nach der Wahrheit forschen.

Insektenbefall am Leichnam als Wissensquelle in der Gerichtsmedizin

NaturwissenschaftlerInnen und GeisteswissenschaftlerInnen sprechen verschiedene Sprachen. Sie denken anders und arbeiten mit völlig verschiedenen Werkzeugen.

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Auf falscher Fährte: Leichenerscheinungen und Fehlinterpretationen

Fehlinterpretationen und damit nicht beachtete Einflussfaktoren können kriminalistische Ermittlungen auf die falsche Fährte führen und Sachbeweise unberücksichtigt lassen.

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