Quelle: Neu-Ulmer Zeitung | Augsburger Allgemeine, Samstag, 28. September 2024, Nr. 225, Lokales, Seite 31
Mark Benecke ist der Jäger der übersehenen Wahrheiten
Von Florian Arnold
Im ausverkauften Roxy unterhielt der Kriminalbiologie mit Fällen zwischen bizarr und unglaublich. Das Publikum lernt, dass man mit üppigen Busen erstickt werden. Wenn es in Kriminalfällen kompliziert wird, wenn ein Cold Case Fragen aufgibt, wenn es auch mal richtig schräg wird - dann tritt Dr. Mark Benecke auf den Plan. In der Region ist er seit langem ein Garant für ausverkaufte Hallen, so auch bei seinem jüngsten Auftritt im Roxy: da waren die Karten schon vor Wochen ausverkauft. Was macht den Kriminalbiologen so populär? Ist es der morbide Spaß an seiner Arbeit mit Leichen, ist es die unverblümte Art des äußerst medienaffinen und schlagfertigen Spezialisten für Biologie, Zoologie und Insektenkunde? Oder ist es seine zugängliche Art, die komplexen Verflechtungen von Biologie und Kriminalistik verständlich zu servieren?
Etwas von all dem dürfte zum Erfolgsrezept von Benecke beitragen, dessen Vortragsabend „Kriminalfälle am Rande des Möglichen" über zweieinhalb Stunden hinweg spielend unterhält, informiert - und ab und zu auch die Übelkeitsgrenze schwacher Naturen fordert. Denn natürlich werden immer wieder Fotos aus der Ermittlungsarbeit gezeigt. Gleich der erste Fall des Abends zeigt eine nackte weibliche Leiche mit (vermeintlichen) Würgemalen. Und schnoddrig, wie es seine Art ist, kündigt Benecke an: „Da kommen jetzt noch mehr solche Fotos, das ist nichts für Zartbesaitete". Wer jetzt erst merkt, dass ihm das zu viel wird, darf gehen. Das ist ein bisschen wie im Schulunterricht: Es wird unterbrochen und mit sanfter Pädagogenstimme dazu aufgefordert, den Raum zu verlassen, wenn man es nicht aushält.
Dabei gab es schon ganz zu Beginn, wie immer bei Benecke, das vorgelesene „FAQ". Da wird nicht nur um das Unterlassen von Mitfilmen - und fotografieren gebeten, sondern auch deutlich zu lesen steht: „Achtung, es sind eventuell Leichen zu sehen, wer das nicht möchte, bitte besser wieder gehen." Davon machen nur ganz wenige Gebrauch. Wer zu Benecke kommt, weiß, wie der Abend läuft. Und das ist ein rasanter, mit krassen Abbildungen und staunenswerter Informationsfülle gespickter Abend, irgendwo zwischen klassischem Vortrag und Dokutainment.
„Politik, Religion etc., das ist alles nicht meine Baustelle", erklärt Benecke, „aber alles, was man messen kann, das ist meines: wenn etwas kritisch wird, dann sage ich: zeig mir die Zahlen. Dann haben wir Klarheit und es gibt kein Geschnatter und Wortgeklingel."
Kern eines jeden Benecke-Abends sind reale Fälle, die zum Teil überaus skurrile Fragen aufwerfen. Besagte weibliche Leiche mit den Würgemalen - Benecke erzählt flott und kurzweilig, wie sein Mentor Professor Prokop diesen Fall aus den 1960ern aufklärte: die Würgemale waren Abdrücke eines Astes, auf dem die Verstorbene im Straßengraben lag. Erwürgt wurde also niemand - akribische kriminalbiologische Ermittlung bewies, dass die Frau tatsächlich an einer akuten Herzmuskelentzündung starb.
Zwischendurch fallen Sätze wie „Die Leiche ist sehr frisch" oder „Früher war das so, nicht erschrecken!". Wie gesagt: für Zartbesaitete ist das nichts. Für die Zuhörer mit robusten Nerven ist es aber hoch spannend zu hören, wie Benecke immer wieder beweist, dass das Offensichtliche eben nicht das Wahrscheinlichste ist. Typisch menschlich sei es eben, wenn man einen Schuss hört und sich umdreht, jene Person zu verdächtigen, die mit einem Revolver in der Hand da steht. „Aber wir Kriminalbiologen messen, suchen Beweise, und am Ende finden wir die Wahrheit". Und die ist in der Kriminalistik oft etwas ganz anderes als das, was man anfänglich glaubt. Es sei schon erstaunlich, wie oft „Verurteilten auf Basis falscher Daten und Annahmen der Prozess gemacht wurde". Das komme auch heute noch vor, so Benecke. Wie das hätte ich auch gewusst. Aber wichtig winzige Details für das Auffinden der Wahrheit sind, belegte Benecke an diesem Abend dutzendfach mit Bild- und Faktenmaterial. Dass es da auch um den Fall „Mord durch Busen" geht, gehört in die Abteilung „absurd und bizarr", aus der Benecke gerne schöpft. Zuletzt steht fest: Man kann mit üppigen Busen erstickt werden.
Mit Vortragsabenden wie “Plötzliche Selbstentzündung”, “Vampire und Vampirzeichen” oder “Die Leiche aus der Biotonne” hat er reichlich Erzählmaterial aus über 30 Berufsjahren am Start. Jenseits von morbidem Grusel und Schockfotos ist Beneckes Vortrag aber stets hoch spannend. Ohne die Spannung für jene kaputtzumachen, die so einen Abend noch nicht mitgemacht haben, sei gesagt: Das Unmögliche liegt oft näher als gedacht und, so Benecke, „am Ende sagt man manchmal, so ist es natürlich nicht. Gewusst haben wir es, weil wir genau arbeiten, exakt messen, die Spuren ohne Annahmen zum Sprechen bringen". Das geht manchmal nur, indem man „lauter unangenehme Fragen" stelle - und zwar den ermittelnden Kollegen. Häufigste Todesursache in der Kriminalstatistik ist laut Benecke übrigens auch heute: Strangulation, durch eigene oder fremde Hand. Typisch für Täter sei der Satz „Ich weiß nicht, wovon sie sprechen".
Benecke ist ein Medienphänomen. Er macht Musik, er ist eine Merchandising-Maschine (die gerne Geld für wohltätige und Umweltorganisationen einsammelt), er hält weltweit Vorträge und ist Ausbilder an deutschen Polizeischulen.
Im Roxy steht am Ende die Erkenntnis: Gerechtigkeit stellen in einem Todes- oder Mordfall am Ende nicht unbedingt die Ermittler her - sondern Menschen wie Mark Benecke, die stur und unbeirrt nach der Wahrheit forschen.