Spurensuche mit Aaskäfer und Made

Quelle: WLZ Bad Wildungen, 25. April 2022, Seite 3

MONTAGSINTERVIEW: Kriminalbiologe Mark Benecke über Tiere am Tatort

VON CONNY HÖHNE

Bad Wildungen – Den 16. Hessische Bestattertag richteten das Deutsche Institut für Bestattungskultur und der Landesverband des Bestatterhandwerks auf dem Campus der Holzfachschule in Bad Wildungen aus. Spannender Abschluss war ein Vortrag des Kriminalbiologen Dr. Mark Benecke: „Der Mörder ist immer der...“. Die WLZ führte ein Interview mit dem Experten, der weltweit nach Gewaltverbrechen auf Spurensuche geht.

Herr Benecke, Sie haben 2000 Kriminalfälle bearbeitet, lösten ungeklärte Mordfälle. Gibt noch Fälle, die Sie überraschen?

MARK BENECKE: Jeder Fall überrascht mich. Ohne kindliche Neugier würde ich nur sehen, was ich für möglich halte. Es geht aber nicht um meine Sicht, sondern um die messbare Spuren.

Was finden Sie am Tatort und wie gehen Sie vor?

Haare, Blut, Sperma, Insekten, Handtaschen, Kondome, Knochen, Speichel, Blätter, Wurzeln, Tücher, alles mögliche. Erst mal fotografiere ich mit einem Tatort-Lineal, dann sehe ich weiter.

Was ist Ihr wichtigstes Handwerkszeug?

Kamera und Lupen.

Wie können Tiere an einem Tatort Licht ins Dunkel bringen?

Erst einmal setzt die Selbstauflösung der Zellen ein, die Autolyse. Wir essen und trinken nichts mehr, das ganze Energiegleichgewicht geht kaputt. Dann zerfällt alles, es tritt viel Wasser aus – das ist für die Bakterien gut, die können Wasser und frei werdende Nährstoffe nutzen. Dadurch wird alles weicher. Die Insekten können Eier ablegen. Die Maden, also die Kinder der Fliegen, können dann gut fressen und es entsteht eine neue Generation von Fliegen. 

Jede Art wächst verschieden schnell – und es gibt ziemlich viele Arten. Diese Abläufe untersuchen wir und fragen uns, was es über die Tat und die Leiche aussagt.

Das heißt: Tiere sind gleichermaßen wichtig für Tod und neues Leben...

Ohne Aaskäfer, Schmeißfliegen und andere würde die Welt innerhalb weniger Wochen zusammenbrechen. Ich mag die Tiere alle. Überflüssig sind nur wir Menschen. Sowohl von der Biomasse als auch von der Artenvielfalt her – der Mensch ist ein kleiner, guter, freundlicher Witz der Evolution.

Wie sind Spuren auf Insekten nachweisbar?

Die Tiere können sich lange erhalten – in kaltem Wasser, in einem Teppich (mit Leiche) in einem See vielleicht Jahre. Von Mumien haben wir Jahrhunderte später Insekten gesammelt.

Waren Mumien in Peru und in Palermo die ältesten Toten auf Ihrer Liste?

Fast – noch älter waren die Spuren im Schrein des heiligen Severin: Er war vor 1600 Jahren gestorben.

Welches war Ihr mysteriösester Fall?

Der nächste Fall ist immer der mysteriöseste oder spannendste: Über ihn weiß ich am wenigsten.

Welchen Fehler begehen Mörder am häufigsten?

Dass sie Morde begehen, anstatt wegzugehen.

Woran scheiterten Sie?

In der Spurenkunde gibt’s zum Glück kein Scheitern: Ich liefere meine „Mosaik-Steinchen“, die Messungen, ab und den Rest machen Angehörige, Polizei, Rechtsmedizin, Journalist:innen, Priester oder Geheimdienste. Ich kriege gar nicht mit, wie es weiter geht.

Was fasziniert Sie so an Ihrer Arbeit mit Leichen?

Jeder Tag ist neu und erkennbar anders. Wir müssen uns immer neue Lösungen einfallen lassen, Nachbar-Wissenschaftler:innen ansprechen, neue Verfahren erproben.

Wie wichtig ist der Zustand des Körpers?

Spielt keine Rolle: Ich arbeite mit dem, was ich habe.

Wie beschreiben Sie den Geruch des Todes?

Dimerhydiund -trisulfid, Butanol, Heptanal und Indol. Nur eins nicht: Süßlich.

Wie ertragen Sie den intensiven Geruch stark verwester Körper?

Er ist wie er ist.

War Forensiker Ihr Traumberuf oder wären Sie lieber Tätowierer oder Tierarzt geworden?

Ich wollte Koch werden. Ist aber eh dasselbe: Als Koch hätte ich genau so gearbeitet wie im Labor und mit Auftraggeber:innen. Als Kind wusste ich von Tätowierungen nichts, und zeichnen konnte ich noch nie. Tierarzt wäre überhaupt nichts für mich, denn ich würde alle kranken Tiere mit nach Hause nehmen wollen.

Sehen Sie sich als modernen Sherlock Holmes?

Es gibt zumindest Überschneidungen in den Spuren-Techniken, die wir anwenden. Allerdings kenne ich ein paar weitere Kolleg:innen, die auch so in Einzelheiten vertieft, aber ebenso gerne „auf der Straße“ arbeiten.

Sie sind auch Schauspieler – würden Sie gern in einem „Tatort“ mit TV-Rechtsmediziner Prof. Börne vor der Kamera stehen?

Ich mache bei Anfragen für Musik und Film gerne mit, auch als Kriminaltechniker wie in der tollen, sehr langen Szene im neuen Video von „Lord of the Lost“). 

Die Serie „Tatort“ habe ich noch nie gesehen; es wäre vielleicht für das Fernseh-Team seltsam, wenn ich dort einfach hinein stolpere?

ZUR PERSON

Der in Köln aufgewachsene Kriminalbiologe Dr. Mark Benecke (51) ist seit mehr als 20 Jahren international auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Forensik aktiv. Schwerpunkt: Entomologie – Insektenkunde zur Aufklärung von Rechtsfällen.

Der öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige wird herangezogen, um biologische Spuren bei vermuteten Gewaltverbrechen mit Todesfolgen auszuwerten. Er ist Ausbilder an Polizeischulen sowie Gastdozent in den USA, Vietnam, Kolumbien und auf den Philippinen.

Zahlreiche wissenschaftliche Artikel, Sach- und Kinderbücher und Experimentierkästen hat Benecke herausgebracht. Gastkommentare wurden in Fernsehsendungen ausgestrahlt, wie „Autopsie – mysteriöse Todesfälle“.

Er setzt sich für Tierschutz und veganes Leben ein und ist auch in der Politik aktiv (Die PARTEI). Seit 2012 trat er als Spitzenkandidat bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen, für die Bürgermeisterwahlen in Köln (Platz 3) und als Bundestagskandidat an. Benecke ist Vorsitzender des des Vereins „Pro Tatoo“ für Angehörige der Tätowierbranche und Präsident der Transylvanian Society of Dracula.

Zudem liebt er Musik und Theater, spielte in einer Schlagerpunk-Band und trat unter dem Künstlernamen Belcanto Bene auf. 

höh

HINTERGRUND

Hitlers Schädel, Serienmörder und Mumien

Mark Beneckes bekannteste Fälle: Anhand von Maden hat hat er in 1998/99 die Leichenliegezeit der getöteten Frau des Pastors Klaus Geyer festgestellt. Geyer hatte für den so ermittelten Tatzeitpunkt kein Alibi und wurde wegen Totschlags verurteilt. Nach dem Tod einer pflegebedürftigen Kölnerin ermittelte er anhand von Stallfliegen, dass die Frau durch ihre Pflegerin vernachlässigt worden war. Mit dem Inlandsgeheimdienst der Russischen Föderation FSB untersuchte Benecke Adolf Hitlers mutmaßlichen Schädel und forschte im Fall des kolumbianischen Serienmörders und Vergewaltigers Luis Garavito. Die Mumien von Palermo untersuchte Benecke zusammen mit Archäologen und dem Kapuziner-Orden.


Essen, Sex und Tod

Schwarz Magazin für Innovation & Risiko 2022


Den perfekten Mord…

… gibt es nicht


Welt-Autismus-Tag

2022