Dr. Made lässt jetzt Schweine verwesen

Quelle: BILD, 6. Februar 2024

Von Nicole Biewald

Hier gibt es den Artikel als .pdf

Der bekannteste Kriminalbiologe der Welt macht jetzt versaute Experimente!

Dr. Mark Benecke (53) aus Köln ist Spezialist für Entomologie (Insektenkunde), bekannt als Dr. Made – und hat jetzt mit einer zehnköpfigen Studentengruppe fünf Baby-Schweine verwesen lassen.

Was soll der Schweine-Kram?

Foto: Mark Benecke

„Wir haben beobachtet, in welchem Stadium welche Leichen-Bewohner kommen, wie sie sich vermehren und was mit dem Schweine-Körper dadurch passiert“, sagt Dr. Benecke zu BILD. Das Ergebnis ist ein 18-minütiger Lehrfilm, der bald online geht.

Die Mini-Schweine bekamen die Wissenschaftler geliefert. „Die sind eines natürlichen Todes gestorben, wir haben sie eingefroren erhalten“, sagt der 53-Jährige. Unter sommerlichen Bedingungen – 27 Grad, 50 Prozent Luftfeuchtigkeit und indirekter Sonneneinstrahlung – hat die Gruppe abgewartet, was passiert.

Und das ging ganz schön schnell...

„Die Haut der Tiere hat sich schon nach wenigen Stunden durch die Bakterien grün verfärbt“, sagt Dr. Benecke. Er erklärt: „Wärme und Feuchtigkeit lassen die Haut schnell verwesen. Die Knochen sind schon nach wenigen Tagen zu sehen.“

Schwangere Fliegen legen ihre Ei-Pakete auf der Leiche ab, die Maden schlüpfen aus den Eiern, Fliegen machen sich breit Der Kriminalbiologe: „Verwesungszustände sind für die Ermittlungsarbeit der Polizei interessant. Daraus ist ersichtlich, wie lange die Leiche beispielsweise im Freien gelegen hat.“ Sie geben auch Aufschluss darüber, wie lang ein Kind oder eine ältere Person vernachlässigt wurde.

Für diese Experimente werden Schweine verwendet, weil die dem Menschen am Ähnlichsten sind. „Schweine sind fast gleich gebaut wie der Mensch. Nur Hände und Füße unterscheiden sich“, so der Experte.

Auch die Polizei nutzt Schweine oder nur deren Köpfe (je nach Gewicht), um beispielsweise herauszufinden, wo und wann eine Leiche ins Wasser geworfen wurde. Dr. Benecke: „Anhand der Strömung kann das nachvollzogen werden.“

Das Fazit des Verwesungs-Experiments? Dr. Benecke: „Die ersten Eier und Maden lassen sich bevorzugt in Augenwinkeln, Nasenlöchern und Ohren nieder. Die Vermehrung geht schnell. Später kommen so genannte sekundäre Leichenbewohner dazu. Das sind Käfer, die sich nicht von der Leiche, sondern von den auf ihr lebenden Maden ernähren.“

Nach etwa einer Woche war die Schweinehaut übrigens samt Muskeln und Fett weg. Es waren größtenteils nur noch die Knochen der Tiere zu sehen. Der Kriminalbiologe: „Die werden von den „Maden-Teppichen“ hin und her geschoben, aber nicht wirklich zersetzt.“

Storkow & Fürstenwalde: Spree-Bote (2024)

Quelle: Spreebote online, 10. Oktober 2024

Gäste begeistert von der Leidenschaft zum Detail 

Der Titel war schon so viel versprechend, dass über 800 Zuhörer die alca arena in Storkow bis auf den letzten Platz füllten — und sie haben ihr Kommen nicht bereut. Der renommierte Kriminalbiologe Dr. Mark Benecke fesselte das ausverkaufte Haus mit seinem Vortrag „Fälle am Rande des Möglichen". Der Herr der Maden unterstrich einmal mehr, dass er nicht nur ein anerkannter Biologe ist, sondern dass er es auch versteht, unappetitliche Sachverhalte humorvoll und leidenschaftlich zu erzählen. 

Benecke, der als einer der führenden Experten im Bereich der forensischen Entomologie gilt, nahm das Publikum mit auf eine spannende Reise in die Welt der ungewöhnlichsten und bizarrsten Kriminalfälle. In seiner gewohnt lockeren Art schilderte er echte Fälle aus seiner jahrzehntelangen Arbeit und gab faszinierende Einblicke in die Arbeit eines Kriminalbiologen, die oft weit über das hinausgeht, was man sich vorstellen kann. Da war zum einen der Fall „Hetzer. Alle Anzeichen einer toten Frau deuteten auf einen brutalen Sexualmord hin und der angebliche Mörder wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Jahre später konnte nach Auswertung der forensischen Spuren belegt werden, dass das anfangs offensichtliche Tötungsdelikt ein Herzversagen war, was zum Freispruch und zur Entlassung des Täters aus der Haft führte. Wie es zu diesem Herzversagen kam und welche Schuld Hetzel dabei traf, blieb bewusst in dem Vortrag mysteriös, denn Benecke skizzierte nicht Schuld oder Unschuld, sondern An-nahme und Wahrheit. 

Sein Credo lautete immer wieder: Nicht wahrnehmen, nicht annehmen, nicht glauben — messen. Nur was durch Messungen bewiesen werden kann, ist Wahrheit. In einem weiteren Fall berichtete der Kriminologe* von dem perfekten Mord. Dass dabei die Brüste einer Frau eine besondere Rolle spielten, ließ sowohl männliche als auch weibliche Zuhörer aufhorchen. 

An dieser Stelle nur so viel: Mit der richtigen Stellung der Frau auf dem Mann ist dieser wehrlos. Werden dann noch die Brüste so eingesetzt, dass es dem Mann die Luft nimmt, berauscht sich dieser und verabschiedet sich auf „angenehme" Weise aus dem Leben. Auf Details wird an dieser Stelle aus Nachahmungsgründen verzichtet. 

Mark Benecke schränkte diese Art des Todes jedoch auf zwei Menschen ein, die sich schon länger kennen und einander vertrauen.lm letzten Fall schilderte der Kriminologe* einen Mord aus dem Drogen- und Prostituiertenmilieu. Der Täter wurde zu lebenslanger Haft mit anschließender Sicherheitsverwahrung verurteilt, da das Gericht eine „besondere Schwere der Schuld" erkannt haben wollte. Benecke skizzierte den Fall und konnte beweisen, dass maximal ein Totschlag vorlag. Der Bundesgerichtshof** hat deshalb entschieden, dass der Fall neu zu verhandeln sei und ihn deshalb an das zuständige Landgericht zurückverwiesen. Dieses verlieh einer Zeugenaussage jedoch mehr Bedeutung als allen forensischen Beweisen und der Täter musste seine Strafe absitzen. 

Manchmal nützt es auch nichts die Wahrheit zu kennen, resümierte der Wissenschaftler  und ergab sich in sein Schicksal mit dem Satz: Et is wie et is. Mit dieser Aussage ließ Benecke auch erkennen, dass er eine enge Beziehung zum Rheinland hat, was wiederum den Schluss nahelegt: Kriminalbiologie ist nur etwas für Frohnaturen. 

Der Vortrag in Storkow war ein weiteres Beispiel für die ungebrochene Anziehungskraft des Wissenschaftlers, der es versteht, sowohl Laien als auch Fachleute gleichermaßen zu begeistern. Benecke bleibt mit seinem außergewöhnlichen Vortragsstil ein Garant für spannende und aufschlussreiche Abende — und die alca arena bewies erneut, dass sie auch für solch große Veranstaltungen der perfekte Austragungsort ist. 

Die Organisatoren zeigten sich am Ende des Abends hochzufrieden: „Wir hätten doppelt so viele Karten verkaufen können. Es ist toll zu sehen, wie groß das Interesse an Mark Benecke und seinen Fällen ist." Für alle, die dieses Mal kein Ticket ergattern konnten, gibt es vielleicht bald eine neue Chance: Benecke tourt regelmäßig durch Deutschland, und sein nächster Besuch in der Region ist sicher nur eine Frage der Zeit. 

*Kriminalist

** Das zuständige, höchste Gericht



Warum ist True Crime interessant? 🔬

Die Fragen stellte Emily Hohenwaldt.

Emily Hohenwaldt: Was glauben Sie, warum sind True Crime Fälle so interessant für die Menschen? 

Mark Benecke: Menschen mögen Rätsel, ganz allgemein. Menschen, die dem Tod oder Gewalt und Missbrauch ein bisschen zu nah gekommen sind, mögen vielleicht etwas grimmigere Rätsel. Anderen ist langweilig und sie brauchen etwas, was sie ablenkt. Wieder andere würden vielleicht jemanden töten oder sich rächen, trauen sich aber nicht und gießen das Ganze dann in True Crime, wo sie als "die Guten" etwas über "die Bösen" lernen können.

Warum sind wir eigentlich so fasziniert von True Crime und wie erklären Sie sich den riesigen Erfolg des Genres?

Naja, es gibt ja schon mindestens ein Buch aus dem dreizehnten Jahrhundert dazu.

Foto: Mark Benecke

Ob das jetzt ein "Erfolg" ist oder nicht, weiss ich nicht. Mögliche Gründe habe ich ja schon in der vorigen Frage angedeutet. Hinzu kommt, dass seit der Erfindung der naturwissenschaftlichen Kriminalistik durch Edgar Allan Poe und Arthur Conan Doyle eine Vermengung von Erfundenem und der Freude an messbaren Spuren sozusagen schon in der Natur der Sache liegt. Wie "true" True Crime im einzelnen ist, das schwankt doch sehr stark.

Haben Streaming Dienste dazu beigetragen, dass wir uns mehr für das Thema interessieren? 

Das war nur Corona-bedingt, weil viele Menschen da auf einmal wieder mehr gelesen und eben auch Podcasts gehört haben. True Crime an sich ist auch schon in der Welt der Bücher und Zeitschriften seit sehr langer Zeit ein "Hit". Es gibt allerdings in Mittel-Europa immer weniger schwere Verbrechen, so dass "True" Crime hier vielleicht eine Lücke füllt.  

Hören wir so etwas wie Podcasts gerne, weil wir eine gewisse Lust an der Angst haben?  

Ich höre keine Podcasts, daher kann ich es dir nicht sagen. Wer Spaß an Angst hat, kann aber auch Horror-Filme gucken, daher glaube ich eher, dass True Crime etwas für Menschen sein könnte, die selbst Erfahrungen mit Verbrechen und Missbrauch gemacht haben oder sich eben besonders "gut" im Vergleich zu den Bösen fühlen möchten.

Welche positiven oder negativen Auswirkungen könnte True Crime auf die Menschen haben? 

Wenn es nach mir ginge: Dass erst die Spuren gemessen werden müssen und danach alles andere kommt. Keine Spuren, keine sinnvolle und tatsächliche Fall-Beschreibungen, sondern nur Wortgeklingel. Beruflich bin ich froh, dass viele Fälle gründlich aufgeschrieben wurden, da ich sie dann mit neuen Fällen vergleichen kann und etwas für die Vorbeugung weiterer, künftiger Fälle daraus ableiten kann.  

Was halten Sie von dem Gedanken, dass Krimis und True-Crime-Geschichten deswegen so beliebt sind, weil wir mit ihnen Bedrohungsszenarien mental durchspielen können – um uns darauf vorzubereiten, aus sicherer Distanz vom Sofa aus?

Ich kenne dazu keine Untersuchung. Grundsätzlich ist das möglich, weil ja auch alle Tiere einschließlich Menschen gerne spielen und "herum toben", um sich zu erproben und vorzubereiten auf ernstere Auseinandersetzungen. Vielleicht sind auch die News-Meldungen zu Verbrechen vor allem dazu da, uns erstens ein bisschen vorzubereiten und zweitens zu warnen, wo es gefährlich sein könnte. Ob das immer gut klappt, ist eine andere Frage, aber das Interesse könnte daher rühren, klaro.  

Macht es für die Zuschauenden einen Unterschied, zu wissen, dass es sich um wahre Verbrechen handelt und nicht um ein erfundenes, wie zum Beispiel in einem Krimi? 

Würde mich wundern. Menschen drehen sich ihre Wirklichkeit ja dauernd zurecht: Katze streicheln, Pute und Rind tot foltern, "denn das ist ja was anderes". 

Sind die Fälle einzig zum Unterhaltungswert da oder können solche Fälle auch zur Aufklärung beitragen?

Du meinst, wie in Fernseh-Sendungen oder Zeitungs-Berichten, wo Fotos oder ähnliches zum echten Fall gezeigt werden und Zeug:innen gesucht werden? Ja, das führt manchmal zu Hinweisen und der Aufklärung der Tat.

Es macht den Eindruck, dass mehr Frauen sich mit dem Thema True Crime beschäftigen als Männer. Woran könnte das liegen? 

An allem, was wir bisher schon besprochen haben, aber auch daran, dass Frauen sich weniger ekeln. Blut, Sperma, Haare, Insekten und dergleichen sind bei Männern unbeliebter. Grundsätzlich lesen Frauen aber auch mehr Bücher und Zeitschriften aller möglichen Fachrichtungen oder Märchen-Geschichten. 

Gibt es einen Fall der Sie eventuell besonders interessiert hat oder der Sie besonders mitgenommen hat? 

Für mich sind alle Fälle gleich. Anders könnten wir im Team nicht arbeiten. Wenn du Fälle bewertest, hast du deine Unbefangenheit verloren. Wir kämpfen nicht für irgendwen, sondern nur für die messbare Wahrheit.

Gab es während Ihrer Arbeitszeit schon einmal einen Fall, der Sie sehr beschäftigt hat? 

Ich hänge mich in alle Fälle gleich rein. Leider gibt es aber öfters keine Spuren, da können mein Team und ich dann nichts machen.

Sind Sie durch Ihre Arbeit auch schon auf das Thema True Crime gestoßen? Wenn ja, wie kam es dazu?

True Crime ist für mich eine Informations-Quelle. Ich habe eins meiner Bücher daher auch True Crime-Autoren gewidmet, nämlich François Gayot de Pitaval (1673–1743), Julius Eduard Hitzig (1780-1849) und Willibald Alexis (1842–1890). 

Denken Sie, dass Ihre Arbeit im Bereich der Kriminalbiologie oder der forensischen Entomologie dazu beitragen kann, dass Verbrechen oder Morde öfter aufgeklärt werden können?

Ja.

Musik & Psyche 🎶

Sandra Strauß und Schwarwel (Hrsg.) „#nichtgesellschaftsfähig: Musik, Psyche, Identität und Gesellschaft“

716 Seiten, mit über 60 Beteiligten und Hunderten von Abbildungen, Ami-Format, Softcover mit Softfeel-Umschlag, vollfarbig. Glücklicher Montag, erschenen am 10. Okt. 2024, VK: 34,90 EUR, ISBN: 978-3-948518-24-0

„The music is all around us, all you have to do is listen.“ Schwarwel und Sandra Strauß haben genau zugehört. Sie lassen verschiedenste Menschen darüber zu Wort kommen, was Musik mit ihnen macht und was sie mit Musik machen. Die zerstörerischen Facetten werden dabei nicht ausgeblendet, sondern ganz bewusst ausgeleuchtet. Denn die Reihe #nichtgesellschaftsfähig stellt Psyche, Emotionen und psychische Belastungen gezielt ins Zentrum des Interesses. Das Buch verknüpft die Themenfelder „Musik, Psyche, Identität und Gesellschaft“ und lädt zu einer sehr persönlichen Leseerfahrung ein.

Musik ist ein direktes Medium, das den Menschen und seine Gefühlswelt unmittelbar anspricht. Sie kann Erinnerungen wecken und Halt geben, trösten und wütend machen, Zugehörigkeit vermitteln, bewegen und lähmen, betören und zerstören. Wohl keine andere Kunstform versteht es, so unmittelbar die Palette aller Gefühle zu bespielen, alle emotionalen Register zu ziehen. Sie hat einen besonderen Einfluss nicht nur auf die Zuhörenden, sondern auch auf die Musiker:innen und eine ganze davon abhängige Branche. Denn Musik ist auch ein Big Business. Von all dem handelt das Buch.

#nichtgesellschaftsfähig: Die Vorgänger-Bände thematisierten den Alltag mit psychischen Belastungen (712 Seiten) und die Last durch Tod, Verlust und Trauer (652 Seiten). Mit dem vorliegenden dritten Band fanden die Herausgeber:innen Sandra Strauß und Schwarwel ein neues Prisma, um den Seelendingen nachzuspüren. Der Fokus liegt auf den vielfältigen Wirkungen von Musik und ihren Auswirkungen auf die menschliche Existenz. Musik bringt Menschen in Schwingungen, berührt sie auf vielen Ebenen, schafft Frohsinn und Tiefgang. Sie bietet äußere Formen, um mit dem Inneren umzugehen. Mehr als 60 Beteiligte eröffnen in Gesprächen und persönlichen Beiträgen ihre Sichtweise auf das Thema. Schwarwels Illustrationen und der bunte Almanach-Stil ermöglichen einen lockeren Einstieg. Die besondere Qualität von #nichtgesellschaftsfähig ist die furchtlose Annäherung an das Thema, das den Herausgeber:innen und Autor:innen gemeinsam ist. Ihre Gedanken lassen tief blicken, auch in Abgründe und Krisen sowie auf ihre individuellen Wege, damit umzugehen.

Porträts erinnern an den außergewöhnlichen Werdegang von Musikerinnen wie Sinéad O’Connor, Amanda Palmer, Amy Winehouse und Siouxsie Sioux. Im Interview erzählt Luci van Org über weibliche Selbstbestimmung und Torsun spricht im Interview mit Linus Volkmann über den nahenden Tod. Andere Beiträge behandeln das Ausgebranntsein in der Musikszene und das Brennen für Musik. Es geht um Rausch beim Tanzen und durch Drogen, des Spiel mit faschistischer Ästhetik, Süchte, Ess- und Körperstörungen, Borderline, Exzesse und Depressionen. Wie hat Bruce Springsteen einem Autor als Stütze bei persönlicher Trauerarbeit geholfen? Warum ist Rockmusik weiterhin ein männlich besetztes Testostoron-Thema? Was kann gefährlich am Geniekult sein? Wie lebt es sich on the road? Und wie meistert man einen Konzertbesuch mit Behinderung?

Musiker:innen, Bands, Journalist:innen, Psycholog:innen, Tourmanager:innen und Veranstalter, Menschen aus der Comic-, Film-, Kunst- und Kulturbranche, Moderatoren, DJs, Musikliebhaber:innen, Fans und Fachmenschen geben Antworten. Ausführlich befragen ließen sich unter anderem Moby, Shirley Manson, Markus Kavka, Diane Weigmann und Sebastian Krumbiegel, Jörg Buttgereit und Meta Bene, ZSK und Think about Mutation. Wie die Welt der Filmproduzenten funktioniert, erklärt Thore Vollert. Ein Après-Ski-DJ verrät, was nach der Piste kommt. Sie alle geben mit persönlichen Playlists zusätzlich Einblicke in die Soundtracks ihres Lebens – ein Fundus für Wieder- und Neuentdeckungen. Pop- und Kulturjournalist:innen liefern Hintergründe zu #metoo in der Musikindustrie, zu musikalischem Aktivismus und rechtem Rock, Frauenbildern in Songtexten und psychologischen Tiefen. Es geht um prekäre Jobs und Formen der Selbstermächtigung, Awareness, Traumata und Musik als therapeutisches Mittel.

Beteiligte – in alphabetischer Reihenfolge: Alex Pagel (Kreatives Sachsen, (Pop Up Leipzig, DJ), Anne Martin(Musikwissenschaftlerin, Jazz-Sängerin), Armin Rösl (Deutsche Depressionsliga e.V.), Barbara Vorsamer (Süddeutsche Zeitung), Caroline Kraft (Autorin und Podcasterin, Spiegel-Bestseller „endlich. Über Trauer reden“), Charly Nagele (Musiker, DJ), Christian Kümmel, Christina Mohr (Journalistin, u. a. Musikexpress, Missy Magazin, Frankfurter Rundschau), Diana Ringelsiep (Sammelband „Punk as F*ck – Die Szene aus FLINTA-Perspektive“), Diane Weigmann(Lemonbabies, Songwriterin), Eric Wrede (vorher: Musikmanager, jetzt: Bestatter bei lebensnah Bestattungen), Flavia Scuderi (Comic- und Animationszeichnerin, Illustratorin, u. a. Disney), Frank Pasic (FUNUS Stiftung), Franziska Lauter (internationaler Hit „Hypnotized“, Psychologin, Mitbegründerin MiM-Verband (Mental Health in Music)), Franziska Reif, Friederike Merz (Vokalistin, Songwriter), Gabor Schneider, Gary Schmalzl (Gitarrist), Prof. Dr. Georg Schomerus (Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Leipzig), GLÜXKINDER, Ines Fischer und Dr. Mark Benecke, Itje Kleinert, Jan Schwarzkamp (VISIONS), Jennifer Sonntag (Diplom-Sozialpädagogin, Fachjournalistin, Buchautorin), Jörn Drewes (Ilses Erika), Josephine Maria Bayer, Jörg Buttgereit (Underground-Ikone, Horrorfilme „Nekromantik“, „Der Todesking“ und „Schramm“), Josephine Maria Bayer (deutsch-amerikanische Musikredakteurin), Joshi von ZSK, Juliane Streich (Journalistin (u. a. MDR Kultur und ttt), Herausgeberin der „These girls“-Buchreihe), Karina Weisheit und Marcel Magister (Kulturfabrik Werk 2 Leipzig), Karsten Kriesel (Journalist, gestorben am 01.03.2024), Katja Röckel (Mrs. Pepstein), Kay Setzepfand (Think about Mutation), Lars Tunçay (Journalist, MDR), Linus Volkmann (Buchautor, Musikjournalist), Luci van Org (Lucilectric, mehrfach preisgekrönte Roman-, Drehbuch- und Theaterautorin), Maggie Humbert (Tourmanagerin, u. a. von Fettes Brot), Markus Kavka (Moderator, Autor, DJ), Matthias Hornschuh (Film- und Medienkomponist, Publizist, Hochschullehrer), Matthias „Mattes“ Penkert-Hennig, Michael Beckmann (Rainbrids, Depp Jones, Filmkomponist), Michael Kraske (Journalist, Autor), Moby, Ole Plogstedt (Rote Gourmet Fraktion), Oswald Henke (Goethes Erben), Ralf Donis (Think about Mutation, DJ, Entertainer), Ray Davis (Tourmanager, u. a.: ECHT, Tokio Hotel, The BossHoss, Gentleman, Joy Denalane), Rob Solomon (The Busters, Farin Urlaub Racing Team), Robert Handrow (DJ Booga), Robin Thiesmeyer (Meta Bene), Ron Schöne, Ronja Schwikowski (Plastic Bomb), Sandra Strauß, Schwarwel, Sebastian Krumbiegel (Die Prinzen), Sebastian Tippe (Dipl.-Pädagoge & Kinderschutzfachkraft, Autor), Shirley Manson (Garbage), Stefan Fabich (Full Speed Ahead, Krankenpfleger in der Psychiatrie), Steffen Volkmer, Stephan Michme (SCYCS, Moderator), Sven Kabelitz, Thore Vollert (Lizenzagent, Musikjournalist, Produzent), Timo Wuerz, Tobi Dahmen, Tobias Ginsburg, Tobias Prüwer (Journalist), Torsun Burkhardt (Egotronic), Vic Vais und Yvonne Ducksworth (Jingo de Lunch)

Versandkosten aufgrund der Dicke und Schwere des Buches: 5,00 EUR im Inland.


Das Interview gibt es hier als .pdf

Sandra: Gebt ihr beide oft zusammen Interviews?

Ines: Gelegentlich.

Mark: Aber nicht oft. Meistens konzentrieren sich die Leute aus unerklärlichen Gründen auf mich. Frauen sind scheinbar manchmal unsichtbar. Ich weiß auch nicht warum.

Ihr tragt beide seit Jahrzehnten schwarz und seid seit vielen Jahren auf dem WGT, die letzten Male auch inkl. Moderation. Beim Amphi-Festival bist du, Mark, schon lange als Moderator tätig. Was ist für euch das Gothic-Feeling?

Ines: Das, was jeder sagt: „Endlich normale Leute.“

Mark: Das habe ich eingeführt!

Ines: Es ist tatsächlich viel angenehmer, in einer Gothic-Umgebung zu sein, weil man einfach frei über etwas reden kann, das auch mal nicht so schön ist und einen belastet. Beim Thema Psyche sind Gothics einfach sehr viel offener. Ich habe noch keinen Gothic erlebt, der ein Geheimnis daraus gemacht hat, wenn er mal in Therapie war. In der „normalen“ Gesellschaft halten das alle eher geheim. Gothics sehen das nicht als Schwäche, sondern als etwas, das man für sich selbst macht.

Mark: Es ist tatsächlich die letzte Fackel des Nichtkommerzialisierbaren. Jetzt kommt Live Nation und kauft die ganzen Veranstaltungsstätten auf. In den nächsten zwei, drei Jahren werden die Ticketpreise unglaublich hoch sein. Die Gothics – außer dem Grafen, der ein Star werden und einen großen Plattendeal haben wollte – lassen sich nicht so leicht hinbiegen und sind deshalb nicht so gut zu vermarkten. Der Graf musste oder wollte dann seine Kontaktlinsen rausnehmen und andere Inhalte singen. Die anderen Bands, die ich kenne, die auch gerne reich(er) und berühmt(er) werden wollen, würden sich nicht so verändern oder reinreden lassen. Dadurch sind die Veranstaltungen nicht gewollt chaotisch, sagen wir mal wie in einer Punkkneipe, sondern da ist dieses flirrende Fledermaus-artige, scheinbar chaotische Durcheinander noch möglich und wird sich auch nicht ändern lassen, weil auch zum Beispiel politische Correctness keine große Rolle spielt. Auf dem WGT laufen alle möglichen Leute mit allen möglichen Einstellungen rum. Es interessiert niemanden, außer du bist jetzt der Mega-Nazi.

Hat sich in der Gothic-Szene die letzten Jahre etwas verändert?

Ines: Die ganz junge Generation schmunzelt zum Beispiel darüber, wenn man sich seine eigenen Klamotten näht oder umnäht. Sie haben die Zeit gar nicht mitbekommen, als es noch keine Gothic-Läden gab. Man hat sich Theaterutensilien gekauft, manchmal schwarz umgefärbt und sich seinen eigenen Umhang gefertigt. Das kennen viele Jüngere gar nicht mehr, weil mittlerweile alles frei zur Verfügung steht. Jetzt gibt es in den Shops alle Stile, die du möchtest. Diese eigene Kreativität ist ein bisschen verloren gegangen. Die Kleidung ist sehr viel interessanter geworden, weil es auch ein größeres Angebot gibt, aber die Leute machen es selten selbst.

Mark: Ehrlich gesagt hat sich nicht viel verändert. Die Älteren sagen: „Früher war alles viel besser.“ Blablabla, was alle alten Leute sagen. Ich kann das nicht bestätigen. Wenn ich zum Beispiel den Auftritt der Patenbrigade: Wolff beim diesjährigen WGT mit irgendeinem Festival im Schloss Pulp in Duisburg vergleiche, auf dem Ende der 1990er Jahre [:SITD:] aufgetreten ist, sehe ich überhaupt keinen Stimmungs-Unterschied. Alle bringen sich selbst mit. Sie gehen da nicht hin, weil sie etwas sehen wollen. Also so wie: „Ich will einmal im Leben Lady Gaga sehen. Ich will einmal Rihanna sehen. Ich will einmal …“ Wie heißt die Neue jetzt? Der größte Star der Welt?

Ines: Taylor Swift.

Mark: „Ich will einmal Taylor Swift sehen.“ Und dann ist es auch egal, wenn das 500 Euro kostet. Das gibt es bei den Gothics nicht. Nehmen wir als Beispiel mal Goethes Erben. Oswald sagte zwischendurch, sie lösen sich auf, aber letzten Endes blieben sie lange da oder sie verschwinden wie zum Beispiel Kiew oder die Leute ziehen um wie bei [:SITD:] und treten dann eher nur bei Festivals auf. Oder Blutengel tritt auch nur zu bestimmten Zeiten auf. Aber die ganze Stimmung ist: Ich bin selbst dort und mache dort, was ich will. Ich gehe nicht hin und folge, nachdem ich schon 500 Euro hingelegt habe, dem, was Konzertveranstalter, Künstler und Künstlerin wollen. Das gibt es dort überhaupt nicht, sondern die Leute kommen, die Leute gehen, die Leute quatschen. Das kennt jeder, gerade beim WGT. Jeder hat schon ein WGT erlebt, bei dem er oder sie keine einzige Band gesehen hat oder wenn, dann vielleicht beim Trinken am Met-Stand, der im Heido nah genug an der Bühne ist. Die Händler und Händlerinnen während des WGTs passen sich auch nur sehr langsam an, weil die Gothics so unterschiedlich sind, und haben dann manchmal auch total bizarre Ideen. Zum Beispiel hatte mal eine Döner-Frittenbude in der Innenstadt alles voll mit Spinnweben – ganz schlecht gemacht, weil sie viel zu dick waren. Das sah eher aus wie eine Mischung aus Schnee und Schwarz. Oder voriges Jahr beim WGT hat ein Händler, der vor dem Gelände eine Suppen-Bude hatte, Runen-Suppe mit Runen-Buchstaben-Nudeln verkauft. Diesen ganzen schrägen Quatsch gibt es bei den weichgespülten Profit-Konzernten der Normalos nicht mehr. Wenn du zu „verwertbaren“ Konzerten gehst, gibt es Würstchen aus Folter-Fleisch, fiese Fritten und das Bier der Brauerei, die am meisten zahlt. Die gestreamlineten, durchkommerzialisierten und kommerzialisierbaren Szenen tauchen so in einer Masse ein und unter. Im Rock und Metal ist das gut erkennbar: Wie leicht wirst du dort erst ins Einheitliche auf- und dann ausgeschlürft. Die Gothics hingegen fliegen wie Wildbienen erst zu der einen Blume, mögen die auch, saugen ein bisschen Honig und fliegen dann wieder woanders hin, dann pennen sie auch mal Jahre lang und stoßen auf einmal in der Luft mit anderen zusammen. Das hat sich nie geändert, während es sich im kommerzialisierten Bereich jetzt wirklich sehr deutlich ändert. Dort muss es sauber, ordentlich, clean und komplett vermarktbar sein. Taylor Swift ist das beste Beispiel dafür. Ich finde sie super und sie macht ihr Ding. Aber von Szene keine Spur. Das Glattwalzen haben ursprünglich die Plattenfirmen natürlich schon immer versucht. Von Pink Floyd gibt es sogar ein Lied darüber, wie der Plattenboss noch nicht mal weiß, wie die Bandmitglieder heißen, aber sagt: „Ihr seid die beste Band, ich finde euch spitze. Wer von euch ist noch mal Pink?“ Das gibt es schon immer, doch es hat früher nicht in dem Maße geklappt, weil es noch getrennt davon Veranstalter, Ticket-Firmen, „städtische Betriebe“ und so weiter gab. Das wird jetzt außerhalb der kleinen Szenen alles eins. Deshalb sind Grufti-Festivals eine letzte Bastion, weil sie nicht zu einer Art Hippie-Gedöns verkommen, bei dem sich alte Leute nur noch an ihre Blumenkinder-Zeit erinnern. Dass am Ende der Zeiten ausgerechnet im Gothic mehr Leben und Vielfalt steckt als anderswo, ist ein echter Treppenwitz. Ich rede natürlich nur von großen Linien. Punks nehme ich sowieso raus, weil das noch ein anderes Thema ist. Manche Metaller haben auch kleine dreckige Konzerte, aber da ist sehr schnell der Vermarktungsgriff drauf, sobald genügend Fans da sind. Gruftis, und zwar die Fans, sind einfach – im freundlichen Sinne – zu verrückt. Sie haben keinen Bock auf dieses Stützkorsett aus gekaufter Träumerei und geschmierten Abläufen, das andere Menschen gut finden. Ein gutes Beispiel dafür ist das Helene Fischer-Konzert im Jahr 2023. Das größte Konzert, das jemals in Deutschland stattgefunden hat. Hinterher haben die meisten Leute gesagt: „Ja, nee, war super.“ Sachlich gesehen ist es nicht so gut gelaufen. Das lag nicht an der Künstlerin, sondern an der allzu geölt programmierten Veranstaltung, bei der offenbar niemand an die Kräfte der Natur gedacht hatte. Gothics dagegen können mit Frust ruhig, aber ehrlich umgehen — ich erinnere an krasseste wetterbedingte Ausfälle in Bolków und beim Amphi — oder sagen auch bei gut gemeinten Aktionen ganz offen: „Das und das gefällt mir nicht.“ Zum Beispiel hat es den Fans beim Amphi-Festival nicht gefallen, dass es mal in einer wirklich schönen Halle in Köln stattgefunden hat. Sie haben solange rumgenervt, bis es dort nie wieder stattgefunden hat. Sie wollen lieber ihr Wildbienen-Chaos am Tanzbrunnen.

Ines: Das Problem dort in der Halle war, dass alles viel zu zentral war. Gothic-Festivals leben davon, dass man diese vielen kleinen Plätze hat, an denen du dich zusammenfinden und unterhalten kannst, dass alles ein kleines bisschen zerstreut und verteilt und nicht alles an einem Ort ist. Und das alles gab es beim Amphi in diesem einen Jahr nicht. Das Flair ist ja, dass man auf andere Gruppen trifft und Menschen kennenlernt.

Mark: Ja, richtig, es geht um diese Vermischung und das schwarze Geflitter. Und das hat sich nie verändert.

Anfang der 1990er war es noch nicht so „etabliert“, Grufti zu sein. Da hatten die Menschen vor den Gothics mitunter noch Angst, vor den „bösen Satansanbetern“, oder brachten ihnen ihre Abneigung entgegen. Keine Ahnung, welche Klischees da vorherrschten. Und ich musste auch beim Thema Klamotten daran denken, dass wir früher extra nach Berlin in diesen einen Laden gefahren sind, weil es nur in diesem Springerstiefel oder die hohen Gothic-Boots gab, später dann auch in Leipzig im Werk 2 oder bei Mrs. Hippie. Welche Rolle spielt Musik bei euch im Leben, wie nehmt ihr Musik wahr?

Ines: Für mich spielt Musik eine große Rolle, aber ich höre nicht nur Gothic-Musik. Ich würde es eher verwandt damit bezeichnen. Ich höre auch Hans Zimmer und Psytrance.

Mark: Ich höre eigentlich nur zwei Sachen. Psytrance und Swing aus den 1930/40er Jahren aus England. Ich höre die ganze Zeit immer dasselbe. Ines ist flexibler, sie hört auch Empfehlungen von Amazon Music. Das habe ich nicht, und neuerdings stelle ich als DJ fast nur noch neue Dinge von Ines vor, zuletzt bei der Eröffnung des WGT und im KitKatClub in Berlin. Klappt super.

Ines: Ja, ich habe mehrere Playlists und die sind kunterbunt durchmischt, auch moderne Popmusik. Und dann lasse ich Amazon einfach mal aussuchen. Das ist ähnlich wie Spotify. Mark: Sachen, die ich höre, könnte man auf einem Gothic-Festival überhaupt nicht auflegen. Wenn ich auflege, dann eher super Electro-lastige, krasse, schnelle Sachen. Wir beide hören den ganzen Tag Musik. Ich allerdings nur im Labor, Ines immer per Kopfhörer.

Nebenbei?

Mark: Ja.

Ich kann bei manchen Tätigkeiten überhaupt keine Musik bewusst hören, beispielsweise wenn ich Buchhaltung machen muss oder Mails schreibe.

Ines: Wenn ich mich auf Buchhaltung konzentrieren muss oder programmiere, dann muss es bei mir auf jeden Fall Psytrance sein. Es darf dann auf keinen Fall Gesang dabei sein und keine schnellen Wechsel von Rhythmen. Psytrance-Sachen helfen mir sogar beim Konzentrieren.

Mark: Viele knüpfen gern Gefühle an Musik und hören sie deshalb. Bei uns soll es eher bei der Arbeit einen Hintergrund-Teppich oder einen Kokon bilden.

Ines: Es ist unser weißes Rauschen.

Ist es so, dass viele Menschen durch Musik Gefühle hervorrufen lassen wollen? Mir kommt es mitunter auch so vor, dass einige sich mit 50 durch Musik immer noch an die Zeit erinnern wollen, als sie jugendlich waren.

Mark: Man sieht es an den Radiosendern in Hotels. Da läuft Tag und Nacht 1980er Jahre-Musik, weil sich viele an eine Zeit, die für sie angeblich besser war, erinnern wollen. In den kleinen, alten, familiengeführten Hotels, in denen wir öfter sind, gibt es kein Frühstück, bei dem nicht „das Beste aus den 1980ern“ läuft. Ich habe zu allen möglichen musikalischen Richtungen Gefühle und ich mag es nicht, wenn man so in der Zeit stehen bleibt. Ich schaue lieber nach vorn anstatt zurück.

Ines: Das ist bei mir ganz genauso. Ich mag auch lieber neue Musik-Erfahrungen machen. Bei Musik habe ich wirklich alles dabei.

Mark: Nee, haste nicht, du hasst Hip-Hop.

Ines: Ich meine jetzt vom Gefühl und der Art her, was man aus der Musik zieht. Also ich habe Musik, die als weißes Rauschen dient. Weißes Rauschen ist ja eigentlich etwas, das man nachts anmacht, damit man irgendein Geräusch hat, das einen beruhigt. Die Musik ist manchmal für mich so eine Art weißes Rauschen, damit ich mich ganz auf Sachen konzentrieren kann. Dann gibt es Musik, die mich aktivieren soll, wenn ich den Haushalt oder Sport machen will. Dann wähle ich Musik aus, die die Aktivität fördert, schnellere Wechsel hat und ein bisschen mehr Bass. Dann habe ich Musik, bei der ich mich einfach nur entspannen will, und wenn ich weiß, dass ich mich nicht konzentrieren muss. Dann habe ich gerne etwas, das Gefühle auslöst. Es gibt Musik, die Trauer oder auch Fröhlichsein, das gesamte Gefühlsspektrum, abdeckt. Und ich muss das nicht durch den Text haben, sondern es geht bei mir auch durch die Musik generell, wie die Musik klingt. Ich kann gar nicht sagen, wofür ich Musik benutze, weil ich Musik für alles benutze.

Mark: Es gibt im Gothic-Bereich auch eindrucksvolle Beispiele, bei denen sich vor allem jüngere Gothis zum ersten Mal im Leben durch Lieder verstanden fühlen, wo sie sonst keiner versteht. Dazu zählt „Illusion“ von Ronan, also VNV Nation, und „Wir sind die Nacht“ oder „Krieger“ von Blutengel. Es gibt also auch noch ganz andere Gefühle, die da - ran gekoppelt werden, nämlich das Gefühl, verstanden zu werden. Ines: Oder das Gefühl von Bindung bei „Love Me To The End“ von Deine Lakaien. Da ist dieses Kerngefühl einer Bindung zu einem Menschen, den man gerne hat, sehr gut zu spüren.

Unterscheidet ihr zwischen Inhalten und Musik? Hört ihr Musik auch bewusst wegen den Texten?

Ines: Ja, beispielsweise „Love Me To The End“ könnte ich allein schon wegen dem Text hören. Und manchmal treffen mich einfach nur Textzeilen sehr tief.

Mark: Es kann einen auch zufällig erwischen.

Ines, nimmst du Musik als Autistin anders wahr?

Ines: Ich weiß ja nicht, wie andere es wahrnehmen. Was ich bei anderen autistischen Menschen wahrgenommen habe, ist, dass Musik tatsächlich sehr starke Gefühle aus - lösen kann. Bei neurotypischen Menschen geht ihnen eher der Text oder die Erinnerung nahe und bei Autisten kann einfach die Musik an sich so überwältigend sein, dass man an - fängt zu weinen. Ich habe das häufiger.

Mark: Und warum lachst du mich dann im - mer aus, wenn ich im Kino heule?

Ines: Ich lache dich aus, weil du es immer abstreitest. Ich frage immer: „Weinst du schon wieder?“ Und du: „Nein, nein, nein.“ Mark: Das mit den manchmal nicht ganz eindeutigen, aber starken Gefühlen, geht sicher den meisten Menschen bei Musik so.

Ines: Ja, und deshalb habe ich auch gesagt, dass es oft Erinnerungen oder der Text selbst sind, weswegen sie weinen. Ich kann einfach nur bei akustischen Stücken weinen, zum Beispiel bei der „Mondscheinsonate“ und bei Orgelmusik.

Was ist euch bei Musik noch wichtig?

Ines: Ich stelle dazu im Netz immer gern Zuschauer- oder Leserfragen. Was ist wichtiger für die Gothic-Kultur? Das, was auf Musik oder auf Literatur basiert? Eigentlich ist Gothic ja aus der Literatur geboren und identifiziert sich mit Steampunk, Jules Verne, Dracula … Ist es also literarisch oder musikalisch stärker geprägt? Was war zuerst da? Das ist natürlich eine reine Meinungsfrage, was einen selbst mehr beeinflusst hat.

Mark: Dazu passt ergänzend: Wie konnte sich nur in der Gothic-Kultur Literatur, Musik und avantgardistische Klamotten, gepaart manchmal mit High und Kinky Fashion, so wunderschön vermischen? Stilistisch, stimmungs- und gefühlsmäßig, musikalisch … Und was sind die bestimmenden Persönlichkeitsfärbungen und -eigenschaften von Gothics?



Eisenbahnen

Caroline (Letzte Generation): Kein Knast

9. September 2024  

Hallo lieber Mark,

hier schreibt Caroline Schmidt. Du hast letztes Jahr ein schriftliches Interview mit mir gemacht, weil ich im Kontext von Straßenblockaden mit der Letzten Generation zu 8 Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt wurde.

Am 22.08.24 fand mein Berufungsprozess statt. Die Haftstrafe wurde nicht bestätigt. Gerne hätte der Richter das Verfahren eingestellt, die Staatsanwaltschaft war jedoch dagegen. Das Urteil lautet 90 Tagessätze à 20 Euro. Das Strafmaß umfasst zwei Blockaden in Berlin (ein Versuch einer Blockade wurde in dem Verfahren fallen gelassen) und ein rechtskräftiges Urteil von 40 Tagessätze à 30 Euro in Köln. Außerdem wird mir die Hälfte der Gerichtskosten erlassen.

Der Prozess hat sich sehr bestärkend angefühlt. Der Richter bedankte sich ausdrücklich für meine letzten Worte und sagte, er würde aus diesem Prozess etwas mitnehmen.

Meine Einlassung und mein letztes Wort sende ich Dir im Anhang, für den Fall dass Du etwas damit anfangen möchtest. Falls Du Fragen hast, melde Dich gerne.

 Viele liebe, widerständige Grüße

Caroline


Einlassung 22.08. Berlin

Ich möchte Ihnen meine Motivation gerne darlegen und freue mich sehr über eine ausgewogene Zuhörerschaft.

Uns ist allen klar, dass wir in einer Nicht-Nachhaltigen Gesellschaft leben und dass wir das ändern müssten, wenn wir möchten, dass Kinder und Enkel noch eine Chance auf ein nicht zu hartes Leben haben.

Seit meiner Teenager-Zeit lebe ich in dem Bewusstsein, dass unsere Lebensart, hier im globalen Norden, die Zerstörung unserer Lebensgrundlage und Leid für sehr viele Menschen bedeutet. Sowohl im globalen Süden als auch hier zu Laden und für kommende Generationen.

Und während ich persönlich eine bescheidene Lebensart wähle, was ich nicht als Opfer empfinde, es kommt eher aus intrinsischer Motivation und ich erwähne es nur, damit Sie die Möglichkeit haben, sich möglichst in meine Perspektive zu versetzen.

Ich nehme wahr, dass um mich herum, Jahr um Jahr die Autos größer werden, die Werbung von allen Seiten suggeriert, dass wir mehr konsumieren müssen, um etwas zu gelten, wir jedes Jahr ein neues Handy brauchen und das Wachstum – Freiheit bedeuten soll.

Ich erkenne, dass es in unserer Lebens- und Wirtschaftsrealität Profiteure und Leidtragende gibt. Profiteure, die an Macht, Geld und Einfluss gewinnen und Menschen, die darunter massiv leiden müssen.

So z.B. die Menschen in den Kohleabbaugebieten des globalen Südens, wie z.B. dem Niger Delta: Sie atmen eine von Öl und Gas verseuchte Luft, ihr Wasser ist kontaminiert und sofern es überhaupt noch Fische in dem verseuchten Fluss gibt, sind auch diese vergiftet. Die einst so fruchtbaren und lebendigen Gebiete bedeuten jetzt Krankheit und Tod.

In Kolumbien befindet sich das größte Abbaugebiet für Steinkohle in Südamerika. Die abbauende Firma Glencore nimmt dem indigenen Volk der Yukpa ihre Territorien, ihr Wasser und verschmutzt die Luft, die sie atmen und die Nahrung, die sie essen. Nach eigenen Angaben war Glencore im Jahre 2022 mit 256 Milliarden Dollar das weltweit umsatzstärkste Bergbauunternehmen. In diesem Jahr haben sie vier Millionen Tonnen mehr Steinkohle aus Kolumbien gefördert als im Vorjahr. ...während dort Kinder an Atemwegserkrankungen sterben.

Und Deutschland kauft die Steinkohle, um den Wohlstand nicht zu gefährden. Dies sind nur wenige Beispiele, die aber die Machtverhältnisse in der Welt sehr deutlich darstellen. Als Bürgerin eines Landes, das genau von diesem Gefälle wirtschaftlich profitiert und damit eine Verantwortung für die Zerstörung unserer Lebensgrundlage trägt, sehe ich es als meine moralische Pflicht an, mich diesem „weiter so“ in den Weg zu stellen. Wer kann das als verwerflich bezeichnen?

Wir befinden uns längst nicht mehr im Spektrum des „Nicht-wissen-könnens“ sondern sind längst im „Nicht-wissen-wollen“ angelangt. Und alle hier im Saal können nicht so tun, als ginge sie das nichts an und als würden andere das Problem lösen.

Seit Ende der 70ger Jahre wissen Ölkonzerne um die Auswirkungen der CO2-Emissionen durch das Verbrennen fossiler Rohstoffe. Ölkonzerne und Politik wissen um die hohe Wahrscheinlichkeit eines menschengemachten Klimawandels und dessen Folgen. Doch anstatt einen Paradigmenwechsel anzugehen und erneuerbare Energien auszubauen, wird die Abhängigkeit von fossiler Energie immer weiter verstärkt.

Und 40 Jahre später hat sich daran nichts geändert: Statt beim Ausbau der erneuerbaren Energien voranzukommen und einseitige Abhängigkeiten zu vermeiden, wurde auf immer mehr Erdgas gesetzt. Das setzt sich aktuell beim Aufbau der LNG-Infrastruktur fort. Die Schäden dieses Lobbyeinflusses belasten heute unsere Gesellschaft: milliardenschwere Fehlinvestitionen, weitere Abhängigkeit vom fossilen Erdgas, hohe Gasrechnungen und weiter anhaltende Treibhausgasemissionen.

Wir wissen um den menschengemachten Klimawandel und den Kipppunkten – den sich verstärkende Elemente im Klimasystem, die wir mit hoher Wahrscheinlichkeit erreichen oder sogar schon erreicht haben:

  • Die Arktis schmilzt.

  • Eisflächen reflektieren mehr Sonnenstrahlen als der dunkle Ozean, welcher Wärme besser aufnimmt. Je kleiner die Eisfläche wird, desto größer ist die dunklere Wasserfläche, welche dann mehr Wärme aufnehmen kann. Umso kleiner wird wiederum die Eisfläche, auf Grund der Erwärmung des Ozeans...usw.

  • Das Grönländische Eisschild kippt.

  • Die Eismassen dort schmelzen schneller ab, als sie sich neu bilden können. Dadurch sinkt die Eisoberfläche logischer Weise in immer tiefere und damit wärmer Luftschichten ab, was zur Folge hat, dass das Eis noch schneller schmilzt... usw. Das Eis, das noch aus der letzten Eiszeit stammt.

  • Sheperd, ein Wissenschaftler des IPCC Berichtes sagt: „Nach den aktuellen Trends werden durch das Abschmelzen des Eises in Grönland gegen Ende des Jahrhunderts jedes Jahr 100 Millionen Menschen Überschwemmungen erleiden“ Berücksichtigen wir auch den Eisverlust in der Arktis, werden 400 Mio. Menschen betroffen sein.

  • Der Amazon-Regenwald kippt, und stößt dann mehr CO2 aus, als er aufnimmt

  • Durch die Klima-Erwärmung (und ihre Folgen) verliert der Wald an Widerstandsfähigkeit. Dadurch sterben bei den häufiger werdenden Dürren und Bränden noch mehr Bäume. Dadurch wird CO2 frei, was wiederum die Erderwärmung anfacht. Das wiederum macht den Wald noch anfälliger…

  • Ab ca. 2 Grad durchschnittlicher Erwärmung würde der Amazonas-Regenwald wahrscheinlich ganz absterben und zu einer Savanne werden, was wiederum ungeheure Mengen an CO2 in die Atmosphäre entlassen würde.

  • Permafrostböden stehen kurz davor zu tauen: In diesen Böden ist sehr viel Kohlenstoff in Form von Pflanzenresten eingefroren. Die Hälfte des gesamten im Boden gespeicherten Kohlenstoffs befindet sich im Permafrost. Aber nicht mehr lange, denn die Böden tauen auf und Kleinstlebewesen beginnen die Pflanzenreste zu zersetzen. Dadurch entweicht Methan in die Atmosphäre, ein Treibhausgas, welches 80mal stärker wirkt als CO2! Dadurch erwärmt sich das Klima weiter und die Böden tauen noch schneller auf... usw. Wenn der Permafrost kippt, ist es wahrscheinlich, dass sich eine 3 Grad wärmere Welt nicht mehr abwenden lässt.

Und wir wissen um die wissenschaftliche Prognosen, die es zu den Folgen des Klimawandel gibt und die wir zum Teil schon jetzt zu spüren bekommen: Folgen des Klimawandels sind:

- großflächige Überflutungen und Hitzetote

- Wasser und Nahrungsknappheit

- Zusammenbruch von Infrastruktur

- Kriege

- territoriale Abschottung

- sowie die brutale Verteidigung der Außengrenzen

- und es ist sehr unklar, wie der Umgang miteinander innerhalb dieser Grenzen aussehen wird.

Schon jetzt lassen wir Menschen an den Außengrenzen Europas sterben und beschneiden das Grundrecht auf Asyl. Ich habe lange in der Gastronomie gearbeitet und wenn ich mir anschaue, wie ausgelassen und sorglos die Menschen in ihren 20iger und 30iger Jahren ihr Leben feiern und genießen und mir dann klar mache, dass die heutigen Kinder in ihren 30ger Jahren eine immer lebensfeindlicher werdende Welt erleben müssen – überkommt mich eine große Traurigkeit und Beklemmung.

Denn obschon wir wissen, dass es – wenn überhaupt – nur noch ein kurzes Zeitfenster gibt, in dem wir entschlossen handeln können, um den Klimawandel abzumildern, verhalten wir uns nicht danach. Wir wissen, dass bis Ende 2030 eine durchschnittliche Erderwärmung von 1,5°C erreicht wird. Beim aktuellen Kurs landen wir (laut IPCC) bei einer Erwärmung von 3,2 Grad bis Ende des Jahrhunderts. Deshalb wurde sich 2015 in Paris darauf geeinigt, die Erhitzung auf 1,5 Grad oder deutlich unter zwei Grad zu begrenzen. Diese Einigung ist ein völkerrechtlich bindendes Abkommen.

Deutschland hat sich das Ziel gesetzt, 2045 klimaneutral zu werden, um das Pariser Abkommen einzuhalten. Am Ende wird es nicht reichen, das Klimaabkommen fast erfüllt zu haben, um Kipppunkte aufzuhalten. Es braucht entschlossenes Handeln und eine ehrliche Kommunikation. Durch seine wirtschaftlichen Beziehungen und seinem internationalen Ansehen, hat Deutschland hier eine Schlüsselrolle inne. Doch was passiert statt dessen: Trotz Massenprotesten für einen effektiven Klimaschutz, verfasste die Bundesregierung ein Klimaschutzgesetz, das nicht ausreichend ist und somit verfassungswidrig. Damit verstößt Deutschland gegen ein völkerrechtlich bindenden Abkommen und die Regierung hält die Ziele des ohnehin zu schwache KSG nicht ein. Die Regierung verstößt gegen unser aller Grundgesetz Art. 20a GG: “Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewaltund die Rechtsprechung.”

Anstatt alles zu tun, um den Klimawandel abzumildern und zum Schutz der Bevölkerung zu handeln, setzen die Regierenden auf Technologien, die weder im angemessenen Maße existieren, noch von Ihrer Umsetzung und Energieverbrauch verhältnismäßig sind und deren ergebnisoffene Entwicklung ohnehin noch viele Jahre dauern wird. Jahre, in denen wir den Individualverkehr ausbauen und weiter fossile Rohstoffe verbrennen. Die Regierung steht nachweislich unter starkem Einfluss der fossilen Lobby.

Lobbycontrol hat über 30 ehemalige Politiker:innen zusammengetragen, die als Schlüsselfiguren für die Gaslobby dienten und dienen. Unser Bundeskanzler hat sogar das Framing der Gasindustrie übernommen und fossiles Gas zu einem zentralen Akteur der Energiewende aufgewertet – trotz der Warnungen von Wissenschaftler:innen vor den enormen Klimaschäden und den entsprechend hohen Kosten für die Gesellschaft.

Eine umfassende Aufklärung über die Situation, in der wir uns befinden, passiert hingegen nicht (obschon eine Aufklärung, wie wir bei Corona erlebt haben, sehr effektiv möglich wäre). Solange Politik sich nicht den Umständen des Klimawandels entsprechend verhält und diesen hingegen weiter verharmlost – wie schon vor 40 Jahren – wird die Dringlichkeit der Transformation bei den Bürger*innen nicht angemessen ankommen.

Konfrontiert mit aktuellen Alltagssorgen, scheint der Klimawandel und seine Folgen für einen Großteil der Bürger*innen zu weit weg, da wir die Auswirkungen hierzulande bisher erst verhältnismäßig schwach spüren: Oder Menschen haben bereits resigniert uns sagen, es sei ohnehin zu spät. Oder Menschen bewerten diejenigen Informationen bzw. Desinformationen zum Klimawandel höher, die sich mit dem eigenen Verhalten decken (viele Menschen die sich der FDP angehörig fühlen, erscheinen mir hier ein gutes Bespiel zu sein). Oder das Individuum denkt sich, was kann ich alleine schon ausrichten, ich selber tue doch schon was ich kann (Spannweite von Wasser sparen und Mülltrennung bis zum Verzicht auf das Auto und Flugreisen).

Was auch immer die eigene Handlungsohnmacht verursacht, es ist klar, dass das Thema Klimawandel und seine Folgen für die einzelnen Personen viel zu groß, komplex und schmerzhaft ist, als dass sie sich diesem alleine zu stellen vermag. Und nun bin ich mir all dessen Bewusst, wie kann ich darauf vertrauen, dass unsere Bundesregierung mich und den Rest der Bevölkerung schützen wird, indem sie alles dafür tut, der globalen Erderwärmung entgegenzuwirken?

Als Bürger*in muß man den gewählten Repräsentant*Innen vertrauen, dass sie komplexe Themen prüfen und nach bestem Wissen und Gewissen die richtigen Entscheidungen treffen. Laut dem Expert*Innenrat für Klimafragen der Bundesregierung, tut unsere Regierung dies jedoch nicht. Wie soll ich noch auf einen Paradigmenwechsel in der Klimapolitik vertrauen?

In einer Welt, die geprägt ist durch ein unfassbar großes Ungleichgewicht, von Profiteuren und Leidtragenden und einer Regierung, die auf der falschen Seite zu stehen scheint. In diesem Bewusstsein bin ich im Sommer 2022, an einem irrsinnig heißen Tag, auf ein Plakat der Letzten Generation aufmerksam geworden. Darauf hieß es: “Wir haben einen Plan”: Ein friedlicher Protest, der Alarm schlägt, und die Gesellschaft sowie die Politik fordert, sich mit der größten, epochalen Bedrohung unserer Menschheitsgeschichte auseinanderzusetzen und erste, einfache Maßnahmen, wie ein Tempolimit und günstigen öffentlichen Nahverkehr für alle zu fordern - und zwar zum Wohle aller.

Und ich fand, das ist allemal ein Versuch wert: Denn die Menschen, die in Deutschland am meisten von den Folgen betroffen sein werden (Kinder und kommende Generationen) sind jetzt noch nicht in der Lage, für ihre Rechte zu kämpfen. Wenn sie dazu in der Lage sind, für ihre Rechte einzustehen, sind Klimakipppunkte längst erreicht, wenn wir heute nicht entschlossen handeln.

(Erfahrung aus der entsprechenden Blockade:)

Ich erinnere mich noch gut an die erste Blockade am 17.10.22. Ich war unglaublich nervös und hatte große Angst. Angst davor, dass ein Mensch sich in seiner Wut doch dazu entscheiden könnte, aufs Gaspedal zu treten und mir oder einem meiner Mitmenschen etwas zustößt. Wir sind auf die Straße getreten und haben uns in einer Reihe vor die stehenden Autos aufgestellt. Ich habe meine orangene Warnweste angezogen und ein Banner gehalten. Dabei habe ich Blickkontakt zu dem vor mir stehenden Kraftwagenführer gesucht, um eine Verbindung zu finden, und versuchte ihm, über meinem Blick, mein Bedauern über die Situation auszudrücken.

Es hat sich furchtbar angefühlt, diese Menschen auf Ihrem Weg aufzuhalten. Ihre Wut und ihre Nöte zu spüren. Und gleichzeitig breitet sich in meinem Bewusstsein ganz deutlich die Erkenntnis aus, dass dieser Protest notwendig ist, dass die Bedeutung des Klimawandels viel größer ist, als ich, der Mensch vor mir oder sonst irgendeiner Person, und dass die Folgen uns alle betreffen, auch dem Menschen, der seine Tochter zur Schule bringen möchten, auch dem ungeborenen Kind, dass im Leib seiner Mutter zu Hause auf seinen Vater wartet oder der Person, die sich für einen Job auf einen weiten Weg gemacht hat, um ihren Kindern zu Hause mal “ein besseres Leben” zu ermöglichen.

Doch wenn wir jetzt nichts ändern – denke ich mir – werden all diese Kinder kein besseres Leben erwarten, egal von welchen Jobs ihre Eltern zu diesem Zeitpunkt erwartet werden. Während wir in dem Protest beschimpft werden, kommt eine Frau an mir vorbei. Sie beugt sich zu mir runter und sagt: “Ich finde es klasse, was ihr tut und meine Tochter auch. Vielen Dank!” Angesichts der bisher beschriebenen wissenschaftlichen, gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Umstände was kann ich tun?

Als Mensch der sich dieser Situation bewusst ist und als Bürger*in einer Demokratie, die ihrer Verantwortung als Bürgerin eines wirtschaftsstarken und einflussreichen Landes gerecht werden möchte. Die gesehen hat, was schon alles versucht worden ist und was alles nicht ausgereicht hat, um eine Aufklärung und einen angemessenen Kurswechsel herbeizuführen im Gewahrsein dessen, dass es eine übermächtige Fossile Lobby gibt, die unsere Politiker*innen stark beeinflusst und deren Interesse besonders dem Profit fossiler Unternehmen und Nutznießern gilt

Welche Möglichkeiten gibt es noch nachdem von Warnungen der Wissenschaftler*innen Petition, Diskussion, eine Parteigründung bis zu Massenprotesten schon alles versucht wurde? Mein Gewissen hat mir keine andere Möglichkeit gelassen, als den strikt gewaltfreien, zivilen Ungehorsam. Das Protestieren auf eine Weise, die nicht ignoriert werden kann.


Letztes Wort 22.08. Berlin

Sechs von den neun planetaren Grenzen sind bereits überschritten. Diese wurden mal definiert, als Maßstäbe eines globalen Ökosystems, an das wir uns als Menschen angepasst haben, in dem wir prosperieren und dessen Bedingungen für unsere Existenz maßgeblich sind. Doch anstatt, dass wir uns diesem Ökosystem weiter anpassen, zerstören wir es, bzw. lassen wir es zu, dass es zerstört wird. Und häufig höre ich, die Menschen sind einfach so.

Aber stimmt das, sind „die Menschen“ wirklich so? Oder haben wir uns viel mehr ein Wirtschafts- und Sozialsystem gebaut, dass keinen anderen Schluss mehr zulässt. Weil das Wirtschaftswachstum einen höheren Stellenwert hat als die Soziale Entwicklung und das ideelle Wachstum?

Und welches Produkt kann diese Entwicklung wohl deutlicher versinnbildlichen als das Auto? Das fossile Instrument des Individualverkehrs, Statussymbol und in vielen Fällen eine notwendige Voraussetzung, um den Arbeitsplatz überhaupt zu erreichen, da es an entsprechender Infrastruktur für den ÖPNV fehlt. Die Beteiligung an den Straßenprotesten habe ich aus der tiefen Überzeugung heraus getan, dass ich im Sinne des rechtfertigenden Notstandes nach § 34 StGB handelt und das sehe ich immer noch so, aus folgenden Gründen: Die “gegenwärtige, nicht anders abwändbare Gefahrenlage für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder eines anderen Rechtsguts”, sind längst gegeben. Die gegenwärtige Gefahr der Klimakatastrophe und ihre Folgen steht nicht unmittelbar bevor, wir befinden uns längst mittendrin. Wir müssen jetzt entschlossen tiefgreifende Veränderungen vornehmen, um die schlimmsten Folgen noch abwenden zu können. Anders, als wir es im Zusammenhang mit diesem Gesetz gewohnt sind, liegen der Handlungszeitpunkt und der Eintritt der Bedrohung weiter auseinander, als wir es bisher kennengelernt haben.

Beispiel: Wir kennen es bisher so, dass wenn ein Haus brennt und wir einen Wasserschlauch mit einer Wasserquelle verbinden müssen, um das Feuer augenblicklich löschen zu können, es uns erlaubt ist einen unumgänglichen Regelbruch zu begehen, um den Schlauch am Hydranten zu befestigen. Der Regelbruch ist nach §34 StGB nicht strafbar. Beim Klimawandel hingegen liegen zwischen dem Anschließen des Schlauches am Hydranten und dem Wasser, welches das brennende Haus löschen kann, viele Jahre. Das ist nun mal so und es wird sich daran nichts ändern, auch nicht wenn wir einfach nur noch länger abwarten.

Im Gegenteil, bis das Löschwasser aus dem Schlauch kommt, müssen wir dringend weitere Maßnahmen ergreifen, um den Brand nicht noch weiter zu füttern und den Schaden nicht noch größer werden zu lassen. Auch das ist ein notwendiger Eingriff, um eine gegenwärtige Gefahrenlage abzuwehren. Und gerade weil das Zeitspektrum – das uns aus physikalischen Gründen gegeben ist – ein anderes ist, als wir es bisher gewohnt sind, müssen wir unsere Gesetzesauslegung entsprechend anpassen.

Nur weil Hamburg nicht schon morgen unter Wasser steht, heißt das nicht, dass wir heute nicht schon entschlossen handeln müssen, um genau das zu verhindern. Wie ich in meiner Einlassung schon erwähnt habe, kann ich nicht darauf vertrauen, dass die Regierungsverantwortlichen aus eigenem Antrieb alles dafür tun, um den Wasserschlauch - um bei der Metapher zu bleiben – anzuschließen, noch um den bereits vorhandene Brand einzudämmen. Weder Demonstrationen, noch Petitionen, Klagen vor Gericht, Partei Gründung, etc. haben Ausreichendes bewirkt und dürfen nicht als effektive Mittel angesehen werden, um die Regierung zum angemessenen Handeln zu bewegen.

Im Gegenteil, diese Mittel, wider besseren Wissens, weiterhin als angemessen zu bezeichnen, erscheint mir fahrlässig. Und es ist äußerst unvernünftig anzunehmen, dass die nächste Demonstration, Petition oder Parteien Gründung daran etwas ändern wird. Denn das Umfeld in welchem wir uns bewegen, bleibt das Gleiche: Ich fasse noch einmal zusammen:

Als Big Player unsere Gesellschaft, haben wir fossile sowie energie-intensive Unternehmen, die über ihre Lobby einen enorm hohen Einfluss auf Politik hat: Wenige große fossile Konzerne (wie beispielsweise Uniper, Wintershall DEA oder RWE) dominieren die Gaslieferkette und haben damit weitreichenden Einfluss auf die Grundversorgung und die kritische Infrastruktur in Deutschland. Dies führt zu einer gesellschaftlichen und auch politischen Abhängigkeit. Zugleich haben diese Konzerne auch die energieintensiven Unternehmen wie z.B. BASF als Verstärkung ihrer Lobbymacht im Rücken. Die bundeseigenen Deutsche Energieagentur DENA ermöglichte Steakholdern der Gasindustrie teils exklusive Treffen mit Beamt:innen des Ministeriums um sich austauschen zu können.

Und gemeinsam mit dem Lobbyverband Zukunft Gas gründete sie die LNG Taskforce. Wo sind hier die Vertreter*innen von Umweltverbänden und Klimaschutz? Wir wissen, dass Wissenschafler*innen bereits vor fast 50 Jahren vor dem menschengemachten Klimawandel und seinen Auswirkungen gewarnt haben und dass die fossile Industrie zu Beginn der 2000 Jahre – trotz besseren Wissens – eine erfolgreiche Desinformationskampagne gestartet hat, um die Klimawissenschaft in Zweifel zu ziehen.

Wohlgemerkt, Wissenschaftler der fossilen Industrie kamen zu den gleichen Ergebnissen, wie die mahnenden Klimawisschenafler*innen. Im Gutachten des Expert*innenrats von 2022 heißt es, dass es unabhängig davon, ob es einen Paradigmenwechsel gibt oder nicht (wir also unser Konsum- und Produktionsverhalten ändern), in jedem Fall sinnvoll ist, kontraproduktiv wirkende und komplexitätserhöhende Elemente im derzeitigen Instrumentenmix konsequent abzubauen.

Unser Bundeskanzler baut sie derzeit aus, Stichwort: Erdgas. Die Gefahr ist da und unsere Volksvertreter*innen handeln im Sinne der Abwendung dieser Gefahr, wissentlich kontraproduktiv. Unsere Regierung, als Weichensteller, erkennt die Gefahr nicht angemessen an und verstößt gegen das Grundgesetz Artikel 20a und damit gegen unsere Verfassung und darüber hinaus gegen ein völkerrechtlich bindendes Abkommen. Es werden Technologien zur CO2-Regulierung propagiert, die nicht ausgereift sind oder noch gar existieren. Der Klimawandel wird heruntergespielt und verharmlost. Unser Bundeskanzler spricht nicht ehrlich zu seinen Mitmenschen und ist nicht bereit sich öffentlich zum klimawissenschaftlichen Konsens zu äußern: Z.B. dass der CO2-Gehalt in der Luft viel zu hoch ist (0,42 ‰). Es befinden sich bereits jetzt hunderte Gigatonnen zu viel CO2 in der Luft. Dabei könnten wir die schlimmsten Folgen des Klimawandels noch abmildern, wenn wir jetzt entschlossen handeln. -> lt. IPCC Sachstandsbericht ist dafür jedoch eine Vollbremsung unserer CO2 Emissionen erforderlich. Der Weltklimarat zeigt einen Weg (SSP1-1.9 “1,5°-Pfad”), mit dem die Menschheit die beste Überlebenschance hat.

Für eine Vollbremsung gibt es bereits anwendbare Konzepte. Als Beispiel sei hier das Vorbild der englischen Kriegswirtschaft im 2. Weltkrieg genannt. Jetzt könnten wir die Gesellschaftliche Transformation noch steuern. Es wird einen Zeitpunkt geben, da sind wir nur noch mit Aufräumen und Neuorganisation beschäftigt, dann können wir auf die Folgen des Wandel nur noch reagieren, aber nichts mehr wirklich gestalten.

Um aber gestalten zu können, brauchen wir wiederum eine ehrliche Kommunikation seitens der Politik. Denn bisher wird die bevorstehende Klimakatastrophe von einem Großteil der Gesellschaft verdrängt, die abstrakte Bedrohung der Klimakrise scheint für viele Menschen nicht in Gänze zu fassen zu sein, vielleicht, weil seitens der Gesellschaft weder Zeit noch Energie vorhanden sind, um sich damit tiefer zu beschäftigen, vielleicht, weil die Realisierung dieser Krise zu schmerzhaft ist (mir selbst ging es lange genauso). Dadurch verliert die gewaltige Bedrohung der Zukunft ihre Relevanz in der Gegenwart. Und all das steht für eine fatale Entwicklung, der wir alle, die sich mit dieser Situation auseinandergesetzt haben, mit friedlichen Mitteln und allem, was wir haben, entgegenwirken müssen. Durch den Klimawandel und das nicht-handeln unsere Regierung, ist außerdem unsere Demokratie enorm gefährdet: In einer stark erwärmten Welt besteht die große Gefahr, dass Demokratien dem Druck nicht standhalten werden.

Zur Erinnerung: Zur Zeit ist es wahrscheinlich, dass der durchschnittliche Temperaturanstieg bis Ende des Jahrhunderts (also in 76 Jahren) 3,2°C erreicht. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die schweren täglichen Herausforderungen von Wasserknappheit und Ernteausfälle begleitet sind.

Irgendwann bricht die Infrastruktur zusammen. (z.B. Schiffe können in den flachen Flussbetten nicht mehr verkehren, Bahngleisen verformen sich durch große Hitze oder werden unterspült, Straßen und Bahnstrecken werden durch Extremwetter zerstört) – entsprechend reißen Lieferketten ab, was die Wirtschaft – auf die wir gegenwärtig doch gerade Alles setzten - stark beeinträchtigt.

Es wird große Migrationsbewegungen geben, weil in anderen Teilen der Welt schlicht und einfach nicht mehr gelebt werden kann. Es ist zu heiß. Es entsteht Krise auf Krise und die Krisen werden nicht nacheinander kommen, sie kumulieren sich zur Polykrise. Künftige Generationen droht ein Leben im permanenten Notstand Das alles macht es sehr wahrscheinlich, dass der Druck für unsere demokratische Grundordnung irgendwann zu hoch sein wird. Gesellschaftssysteme fallen zusammen oder das Leben darin wird faktisch so unfrei, dass es nichts mit dem zu tun hat, wie wir unser Leben jetzt kennen.

Antidemokratische Kräfte können dies ausnutzen und die Demokratie mit Leichtigkeit stürzen Nochmal: Es handelt sich natürlich um eine Gefahrenlage, in der gegenwärtig gehandelt werdenmuss!

- Unsere demokratische Grundordnung ist gefährdet. Im Art. 20 GG heißt es: “Gegen jeden, der es unternimmt, diese (demokratische) Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.”

Die Regierung ist durch ihr Nichthandeln im Begriff unsere demokratische Grundordnung zu beseitigen, denn es ist sehr wahrscheinlich, dass dies die Folge ihrer Entscheidungen sein wird. Dieser Umstand berechtigt alle Deutschen zum Widerstand. Die Demokratie zu verteidigen und zu bewahren ist die Pflicht aller Bürger*innen. Angesichts dieser Umstände und der immensen Bedrohung für die Menschheit, die sie mit sich bringt,braucht es den Zivilen Ungehorsam stärker denn je.

Ziviler Ungehorsam, der dann legitim ist, wenn eine große moralische Ungerechtigkeit besteht und alle milderen Mittel, diese Ungerechtigkeit zu beseitigen, ausgeschöpft sind. Bei dem Protest, an dem ich teilgenommen habe, wurde der Alltag kurzzeitig unterbrochen, um die Lücken und die Fragilität innerhalb unseres “wohlständigen” Alltags aufzuzeigen. Aufzuzeigen, dass wir eben nicht weiter unbegrenzt auf den Straßen ohne Tempolimit fossile Rohstoffe verheizen können. Aufzuzeigen, dass wir miteinander ins Gespräch kommen müssen und gleichzeitig Druck auf die Regierung aufbauen müssen. Denn in der Regierung sind die Menschen, die sich bewusst für Entscheidungsverantwortung entschieden und einen Eid geschworen haben, unsere Verfassung einzuhalten und Leid von uns allen als Bevölkerung abzuwenden. Es braucht Zivilen Ungehorsam, der Regeln überschreitet um Zukunfts- und Gerechtigkeitsrelevante Mißstände sichtbar zu machen.

Ein Regelbruch ist dabei nicht automatisch mit einem Gesetzesbruch gleichzusetzen. Im Fall der Straßenblockaden z.B. entsteht durch den plötzlichen Stillstand auf der Straße, eine Schwebe, eine Unsicherheit, die Raum für Diskussion, Austausch und schließlich Veränderung schafft. Auch wenn diese Dinge nicht unbedingt direkt und zeitgleich eintreten, schaffen sie doch den Raum zum Austausch und der damit einhergehenden Diskursverschiebung in der Folge. Natürlich weiß ich vor einem Protest nicht, wie wirksam die Protestform letztendlich sein wird - das ist unmöglich. Doch angesichts der Lage, in der wir uns befinden, ist friedlicher ziviler Ungehorsam ein notwendiges und legitimes Mittel, die Zivilbevölkerung sowie unsere politischen Vertreter*innen aufzurütteln, um endlich handlungsfähig zu werden. Unsere Gesellschaft und der Schutz unserer Demokratie braucht den zivilen Ungehorsam sowie den Raum, der es ihnen ermöglicht, den wirksamsten Protest zu finden.

Eine Sanktionierung der aktiven Zivilbevölkerung und somit das Beschränken von potenziell wirksamen Klimagerechtigkeitsprotesten, schadet letztlich der Allgemeinheit am meisten. Im Sinne des Gemeinwohls, ist der friedliche zivile Ungehorsam, angesichts des Regierungsversagens in der Klimapolitik, ein notwendiges und legitimes Mittel. In diesem Fall möchte ich darüber hinaus –behelfsweise – anmerken, dass der Tatbestand der Nötigung nach der Verwerflichkeitsprüfung nicht als rechtswidrig anzusehen ist.

Der Protest der LG ist friedlich und gewaltfrei. Hier mit dem Gewaltbegriff der 2.Reihe Rechtsprechung zu argumentieren, ist äußerst kurz gegriffen. Den Protestierenden über eine mittelbare Täterschaft über den ersten Fahrzeugführer die Anwendung von Gewalt zu unterstellen, ist ein abstrakt konstruierte Gewaltdefinition. Auf diese Weise umgeht mensch eine tiefgreifende Abwägung der Protestursachen und diffamiert notwendige Proteste. Die mit der Sitzblockade bezweckte Erregung öffentlicher Aufmerksamkeit für bestimmte politische Belange lässt den Schutz der Versammlungsfreiheit nicht entfallen. Vielmehr erhält die Blockade gerade erst dadurch den Charakter einer Versammlung im Sinne des Art. 8 Abs. (1) GG - so das BVerfG.

Außerdem stellt das BverfG klar, dass die Versammlungsfreiheit nicht deswegen eingeschränkt werden kann, weil die Versammlung nicht unmittelbar an dem Ort stattfindet, der einen engen räumlichen Bezug zu dem gewöhnlichen Aufenthalts- oder Arbeitsort der Entscheidungsträger hat oder sich unmittelbar gegen diese richtet. Es reicht insofern ein „weiter“ Sachbezug. Wird doch von uns allen als Tatsache angenommen, dass die Klimakrise in der wir uns befinden, eine größte Bedrohung für die Menschheit darstellt und die Regierung zu wenig unternimmt um diese Krise einzudämmen, ist die Beeinträchtigung der Freiheitsrechte der Verkehrsteilnehmenden in größerem Maße sozial verträglich und deshalb hinzunehmen – (...außerdem können die Autos auch verlassen werden).

Es entspricht verfassungsrechtlichen Anforderungen, dass für die Mittel-Zweck Relation wesentliche Umstände und Beziehungen erfasst werden und eine Abwägung der auf dem Spiel stehenden Rechte, Güter und Interessen nach ihrem Gewicht in der sie betreffenden Situation erfolgt. Ich verstehe, dass Gesetze und Justiz einer gewissen Konversivität bedürfen um Stabilität und Sicherheit zu bieten. Andererseits jedoch spiegeln wir so auch gesellschaftliche Verhältnisse wider und zementieren diese. Schauen wir jetzt unsere gesellschaftlichen Verhältnisse an, und was daran, angesichts der Klimakrise, geändert werden muß, ist es dringend notwendig, diese Gesetzgebungen zu entwickeln und anzupassen. Und wenn Sie jetzt noch nicht bereit sind, hier einen deutlichen Schritt zu gehen und mich freizusprechen, dann setzten Sie doch wenigstens ein konstruktives Zeichen.

Nochmal: Laut IPCC Sachstandsbericht könnten wir die schlimmsten Folgen des Klimawandels noch abmildern, wenn wir jetzt entschlossen handeln. Und wir alle hier im Saal können nicht so tun, als ginge uns das nichts an und als würde sich dieses Problem mit allen Verstrickungen von alleine lösen.

Letztes Wort: Ich nehme an den Protesten der Letzten Generation teil, weil ich an uns Menschen glauben möchte, daran, dass wir es besser können, als wir es hier im globalen Norden gerade tun.

Ich glaube, dass wir gemeinsam Wege finden können, der Klimakrise zu begegnen. Wir uns gemeinsam neuen Herausforderungen stellen und für neue Probleme, Lösungen finden können.

Wir könnten schon jetzt schwere Entscheidungen treffen, die für die Zukunft relevant sind. Deutschland ist die 4. größte Wirtschaftsmacht, unser Verhalten trägt zur Klimaentwicklung bei. Es ist notwendig, unsere Privilegien zu nutzen, um unserer Verantwortung in der Welt und gegenüber kommenden Generationen gerecht zu werden.

…Zeit, dass wir uns gemeinsam für eine gerechtere Welt mit einem liebevollen und fürsorglichen Miteinander einsetzen. Wir haben die Intelligenz, das technische Know- how und die Soft Skills

dafür. Wir können alle den Mut dafür aufbringen. Den Mut zu mehr Demokratie - und zwar jetzt, um sie für die Zukunft zu schützen. Mut zur Veränderung, sich auf neue Wege zu begeben. Die konventionellen Pfade zu verlassen, mindestens da, wo es nötig und gegeben ist.

Wir haben noch eine echte Chance, wenn wir aufhören zu zaudern. Und uns für den erst mal unbequemen Weg entscheiden. Klar kostet das Überwindung, doch gibt es auch immer Menschen, die

unterstützen. Wir tragen alle Verantwortung durch die Entscheidungen, die wir treffen. Zuletzt eine Frage, an Sie alle hier im Raum, auf die Sie für sich eine ehrliche Antwort finden können: Glauben sie daran, dass es unserer Regierung gelingt, in den nächsten 2 Jahren eine Wende einzuleiten, hin zu einerstarken Nachhaltigkeit, zu einer globalen Gerechtigkeit, auf einen Weg, der auch für die kommenden Generationen einen lebenswerten Planeten erhält?

Haben Sie dieses Vertrauen?



Letzte Generation

Sammelseite

Vampirism in Metal Music

Cindy MÜLLER

Université Grenoble Alpes – Ecole Doctorale LLSH

ABSTRACT

Here you can find the complete work as .pdf

This research deals with the figure of the vampire, and more precisely Dracula, who has come back into the spotlight since the 1990s as a character in many fictitious productions. Music, and more particularly Gothic and metal music, is no exception and participates in the resurrection of Dracula; yet, it has often been overlooked mainly due to the biased vision on metal music. Using a detailed analysis of Dracula by Bram Stoker, as the original source of inspiration, a comparison is made with different metal bands and lyrics in order to study the legacy of vampirism and Dracula. Moreover, special attention is drawn to the analysis of aesthetics used by metal music artists, from the singing to the clothing and staging during photoshoots and concerts, in order to determine whether Dracula has been revamped in modern metal music. Based on these various elements, this paper highlights the undeniable imprint of Dracula on metal music, especially when it comes to aesthetics and lyrics.

However, it also points to some variations in the way it tackles vampirism, as “vampires” in metal music have adapted to their audiences and have used the voice and language. This article thus finds that Dracula’s legacy is not completely frozen in music, contrary to vampire literature, and allows the image of the vampire to take on new forms, which are most of the time more accomplished.


Le vampirisme dans la musique métal: Dracula ressuscité ?

RESUME

Vous trouverez ici le travail complet en .pdf

Cet article porte sur la figure du vampire, et plus particulièrement Dracula, qui depuis les années 90 est revenu sur le devant de la scène dans des nombreuses œuvres de fiction. La musique, notamment les genres gothique et métal, ne fait pas exception et participe activement à la résurrection de Dracula ; et pourtant, ces styles musicaux sont souvent décriés, à cause de la vision très partiale dont ils sont victimes. En se basant sur une analyse détaillée du roman de Bram Stoker en tant que source primaire d’inspiration, l’étude comparative de différents groupes de métal et de leurs textes met en exergue l’empreinte du vampirisme et de Dracula sur cette scène musicale. Par ailleurs, l’analyse minutieuse de l’esthétique choisie par certains artistes du genre, qu’il s’agisse de la mise en voix, des choix vestimentaires ou de la mise en scène lors de séances de photographies ou de concerts, participera à affirmer la résurrection de Dracula. A la lumière de ces éléments, cet article souligne par conséquent l’empreinte indéniable de Dracula sur la scène métal moderne.

Néanmoins, certaines variations apparaissent dans l’approche du vampirisme, en particulier dans l’adaptation de ces « vampires musicaux » à leur public respectif et dans l’utilisation de la voix et de la langue. En cela, ils invitent le public à dépasser une certaine vision stéréotypée de Dracula et du vampirisme qui perdure dans de nombreuses adaptations modernes. Cet article s’attache à prouver que l’héritage de Dracula n’est pas complètement figé en ce qui concerne le domaine musical et, contrairement à maints récits littéraires, permet au vampire d’acquérir de nouvelles formes, souvent plus abouties.

Der kölsche Walk of Fame: Sterne und Sternchen

Quelle: EXPRESS Köln, 4./5. Oktober 2024

Braucht Köln einen „Walk of Fame“ nach dem Vorbild in Hollywood für seine Legenden? Diesen Vorschlag hatte „EXPRESS – Die Woche“ vor zwei Ausgaben zur Diskussion gestellt. Denn: Immer wieder gibt es Konflikte bei der Widmung oder Umwidmung von öffentlichen Plätzen, Straßen oder anderen Orten in der Domstadt. Davon abgesehen, dass Straßen und Plätze nicht unbegrenzt zu Verfügung stehen. Unser Vorschlag hat einiges an Reaktionen hervorgebracht...

Das sagen kölsche Promis zum „Walk of Fame“

Mark Benecke: »Der tollste kölsche Stern ist natürlich der vor dem Kölner Dom. Den habe ich schon, Richtung Hauptbahnhof, wo ich dauernd rumgurke. Da der Platz dort aber begrenzt ist, muss ein echter Walk of Fame her. So eine Gasse der Freude passt wunderbar zu Köln und den Kölschen: Wir sind bedingungslos feierlustiggrößenwahnsinnig und voller Sterne und Sternchen. Kurz gesagt: Muss sein. Und schöner als in Berlin wird er sowieso.«

Mark Benecke ist der Jäger der übersehenen Wahrheiten

Quelle: Neu-Ulmer Zeitung | Augsburger Allgemeine, Samstag, 28. September 2024, Nr. 225, Lokales, Seite 31

Mark Benecke ist der Jäger der übersehenen Wahrheiten

Von Florian Arnold

Im ausverkauften Roxy unterhielt der Kriminalbiologie mit Fällen zwischen bizarr und unglaublich. Das Publikum lernt, dass man mit üppigen Busen erstickt werden. Wenn es in Kriminalfällen kompliziert wird, wenn ein Cold Case Fragen aufgibt, wenn es auch mal richtig schräg wird - dann tritt Dr. Mark Benecke auf den Plan. In der Region ist er seit langem ein Garant für ausverkaufte Hallen, so auch bei seinem jüngsten Auftritt im Roxy: da waren die Karten schon vor Wochen ausverkauft. Was macht den Kriminalbiologen so populär? Ist es der morbide Spaß an seiner Arbeit mit Leichen, ist es die unverblümte Art des äußerst medienaffinen und schlagfertigen Spezialisten für Biologie, Zoologie und Insektenkunde? Oder ist es seine zugängliche Art, die komplexen Verflechtungen von Biologie und Kriminalistik verständlich zu servieren?

Etwas von all dem dürfte zum Erfolgsrezept von Benecke beitragen, dessen Vortragsabend „Kriminalfälle am Rande des Möglichen" über zweieinhalb Stunden hinweg spielend unterhält, informiert - und ab und zu auch die Übelkeitsgrenze schwacher Naturen fordert. Denn natürlich werden immer wieder Fotos aus der Ermittlungsarbeit gezeigt. Gleich der erste Fall des Abends zeigt eine nackte weibliche Leiche mit (vermeintlichen) Würgemalen. Und schnoddrig, wie es seine Art ist, kündigt Benecke an: „Da kommen jetzt noch mehr solche Fotos, das ist nichts für Zartbesaitete". Wer jetzt erst merkt, dass ihm das zu viel wird, darf gehen. Das ist ein bisschen wie im Schulunterricht: Es wird unterbrochen und mit sanfter Pädagogenstimme dazu aufgefordert, den Raum zu verlassen, wenn man es nicht aushält.

Dabei gab es schon ganz zu Beginn, wie immer bei Benecke, das vorgelesene „FAQ". Da wird nicht nur um das Unterlassen von Mitfilmen - und fotografieren gebeten, sondern auch deutlich zu lesen steht: „Achtung, es sind eventuell Leichen zu sehen, wer das nicht möchte, bitte besser wieder gehen." Davon machen nur ganz wenige Gebrauch. Wer zu Benecke kommt, weiß, wie der Abend läuft. Und das ist ein rasanter, mit krassen Abbildungen und staunenswerter Informationsfülle gespickter Abend, irgendwo zwischen klassischem Vortrag und Dokutainment.

Politik, Religion etc., das ist alles nicht meine Baustelle", erklärt Benecke, „aber alles, was man messen kann, das ist meines: wenn etwas kritisch wird, dann sage ich: zeig mir die Zahlen. Dann haben wir Klarheit und es gibt kein Geschnatter und Wortgeklingel."

Kern eines jeden Benecke-Abends sind reale Fälle, die zum Teil überaus skurrile Fragen aufwerfen. Besagte weibliche Leiche mit den Würgemalen - Benecke erzählt flott und kurzweilig, wie sein Mentor Professor Prokop diesen Fall aus den 1960ern aufklärte: die Würgemale waren Abdrücke eines Astes, auf dem die Verstorbene im Straßengraben lag. Erwürgt wurde also niemand - akribische kriminalbiologische Ermittlung bewies, dass die Frau tatsächlich an einer akuten Herzmuskelentzündung starb.

Zwischendurch fallen Sätze wie „Die Leiche ist sehr frisch" oder „Früher war das so, nicht erschrecken!". Wie gesagt: für Zartbesaitete ist das nichts. Für die Zuhörer mit robusten Nerven ist es aber hoch spannend zu hören, wie Benecke immer wieder beweist, dass das Offensichtliche eben nicht das Wahrscheinlichste ist. Typisch menschlich sei es eben, wenn man einen Schuss hört und sich umdreht, jene Person zu verdächtigen, die mit einem Revolver in der Hand da steht. „Aber wir Kriminalbiologen messen, suchen Beweise, und am Ende finden wir die Wahrheit". Und die ist in der Kriminalistik oft etwas ganz anderes als das, was man anfänglich glaubt. Es sei schon erstaunlich, wie oft „Verurteilten auf Basis falscher Daten und Annahmen der Prozess gemacht wurde". Das komme auch heute noch vor, so Benecke. Wie das hätte ich auch gewusst. Aber wichtig winzige Details für das Auffinden der Wahrheit sind, belegte Benecke an diesem Abend dutzendfach mit Bild- und Faktenmaterial. Dass es da auch um den Fall „Mord durch Busen" geht, gehört in die Abteilung „absurd und bizarr", aus der Benecke gerne schöpft. Zuletzt steht fest: Man kann mit üppigen Busen erstickt werden.

Mit Vortragsabenden wie “Plötzliche Selbstentzündung”, “Vampire und Vampirzeichen” oder “Die Leiche aus der Biotonne” hat er reichlich Erzählmaterial aus über 30 Berufsjahren am Start. Jenseits von morbidem Grusel und Schockfotos ist Beneckes Vortrag aber stets hoch spannend. Ohne die Spannung für jene kaputtzumachen, die so einen Abend noch nicht mitgemacht haben, sei gesagt: Das Unmögliche liegt oft näher als gedacht und, so Benecke, „am Ende sagt man manchmal, so ist es natürlich nicht. Gewusst haben wir es, weil wir genau arbeiten, exakt messen, die Spuren ohne Annahmen zum Sprechen bringen". Das geht manchmal nur, indem man „lauter unangenehme Fragen" stelle - und zwar den ermittelnden Kollegen. Häufigste Todesursache in der Kriminalstatistik ist laut Benecke übrigens auch heute: Strangulation, durch eigene oder fremde Hand. Typisch für Täter sei der Satz „Ich weiß nicht, wovon sie sprechen".

Benecke ist ein Medienphänomen. Er macht Musik, er ist eine Merchandising-Maschine (die gerne Geld für wohltätige und Umweltorganisationen einsammelt), er hält weltweit Vorträge und ist Ausbilder an deutschen Polizeischulen.

Im Roxy steht am Ende die Erkenntnis: Gerechtigkeit stellen in einem Todes- oder Mordfall am Ende nicht unbedingt die Ermittler her - sondern Menschen wie Mark Benecke, die stur und unbeirrt nach der Wahrheit forschen.

Preface: Germany's Worst Serial Killers

In: Jean Rises: Germany's Worst Serial Killers. Serial Pleasures Publishing, 2024

Foreword by Dr. Mark Benecke

Some find serial killers dazzling, attractive or strange.

Others need a counter-image to themselves that is so gruesome and undeniably bad, that their own outrages pale into insignificance.

Still others wonder why they were abused and tortured. Serial killers make the answers to these questions easy, as they are so clearly on their human-despising mission that even their own tormentors seem less complicated.

But what the world throws at serial killers and wants to see in them, they are not. They are lonely, deeply sad figures. And pushed. Shifty, too, but their most striking characteristic is their lack of commitment.

In their loneliness, serial killers don't know how to form deep and trusting bonds. They eat others, rape, torture, hunt, trick and lie. This is how they fill their emptiness.

But they don't realize that it would be warmer and calmer inside of them if they could experience beauty not in blood, bones and eventually fading screams, but hand in hand with people in the sunset, connected and peaceful.

Jeff Dahmer turned himself into a clown until his classmates found him too creepy. Peter Kürten hoped to hear his own blood rushing when he was beheaded, and my client Garavito sincerely believed that God and he could colonize a loving and understanding realm together.

For whatever reason you picked up this book: It is one of the most impressive experiences in criminalistics when and that we see that perpetrators like Samuel Little or Fritz Haarmann thaw out when we approach them as experts in - well, serial murder.

None of the killers in the time since Haarmann and Denke would have had to talk to us. The official rules did not originally provide for such conversations either. After the knowledge about serial killers, which had long been described in German-speaking countries, had sunk into oblivion, colleagues from the United States and, less well known, from the Soviet Union and Russia, discovered the power of comparative questioning in serial murder cases.

My colleague Robert Ressler, with whom I investigated a long series of murders in Mexico, gave me one of my later favorite pieces of advise in view of the often unexpected openness of many serial killers: "Don't ask for written permission in in such cases, because someone in the authorities might say no. Just do it. Go ahead and do it."

I have stuck to this rule and thank not only the offenders who help us with their statements to prevent the next crime (or at least make it less likely) by checking traces and stains.

I would also like to thank you, the readers, because without your attention to the offbeat subject and without your encouragement for the authors of reports on real cases, we would have fewer sources that span the ages and could therefore do less to prevent it.

Mark Benecke
Weimar, KL Buchenwald
Februar 2024

Interview: Spaß-Nobelpreise 2025 🏆 in Harvard

Quelle: Deutschlandfunk, Kultur, 13. September 2024

Absurd, skurril, unehrenhaft? Die IgNobelpreise wurden soeben an der Universität Harvard verliehen. Mark Benecke ist Mitglied im Ausschuss für die Preise und stellt im Podcast-Interview die deutschen Gewinnerinnen und Gewinner mit ihren echten Forschungs-Ergebnissen vor. Unter anderem mit dabei: Pflanzen, die sehen können und Münzen, die sich daran erinnern, welche ihrer Seiten vor dem Wurf oben lag 🔬

Hier ist der Podcast zu hören (klick):

Marks goldene Bahn-Regeln (DB) 🚄

Auf eure Nachfrage, wie meine "Bahn-Regeln" aussehen: Hier sind sie. Nett und freundlich und ruhig gemeint, sachlich & klar:

Regel 1

Hauptsache, der Zug fährt überhaupt.

Regel 2

Sei eine Stunde vorher am Bahnhof. Dein Zug (oder ein Ersatz-Zug) könnte erst am folgenden Bahnhof abfahren ("eingesetzt werden"). 

Dann brauchst du Extra-Zeit.

Regel 3

Rechne bis zur allerletzten Sekunde damit, dass der gesamte Zug gedreht sein kann oder im falschen Gleis oder (gerne auch zusammen mit einem völlig anderen Zug) Gleis-Abschnitt landet. 

Verlasse dich *niemals* auf die Anzeige am Gleis oder die App. 

Die DB sagt, der Fehler sei nicht möglich, wir erleben es jedoch zwar nicht oft, aber regelmäßig. Wenn's passiert, dann herrscht immer Chaos.

Regel 4

Das Geld für deine verfallene Platz-Reservierung erhältst du nicht. Entweder verschwindet der Zug aus dem System, so dass es ihn angeblich nie gab, oder du musst ein verrücktes Formular ausfüllen, auf dem diese Erstattung gar nicht "vorgesehen" ist (oder sonst was). Versuch es gar nicht erst. 

Wir haben in den letzten Jahren viiiiiiele Euro durch "verschollene" Platz-Reservierungen verloren.

Regel 5

Plane zum Umstieg mindestens zwei Stunden ein. Andernfalls wirst du deinen Anschluss nur durch Zufall erwischen. 

Kein Witz.

Regel 6

Reise am Tag vor deinem Termin an. 

Deine Verbindung, vor allem bei Umstiegen, kann jederzeit drei bis vier Stunden Verspätung haben und du erwischst manchmal den letzten Zug zum Ziel nicht mehr.

Regel 7

Bringe eine gute, tragbare Batterie (Akku) für dein Handy und deinen Computer mit.

Es könnte sein, dass es entweder keine Steckdosen oder zwar Steckdosen, aber keinen Strom gibt. Oder du wartest am Bahnsteig. 

Passiert nicht oft, aber wenn, dann ist's besonders doof.

Regel 8

Das Bord-Bistro und -Restaurant ist öfters geschlossen. Bring dir, besonders, wenn's heiß ist, Getränke selber mit. 

In überfüllten Zügen kommst du nicht an das Tetra Pak-Notfall-Wasser der Bahn und die Zug-Begleiter:innen nicht durch die Menge.

Regel 9 (nur für Profis)

Hilf dem oft nicht sichtbaren Personal, indem du einen Vierkant-Schlüssel mitbringst. 

So kannst du offen stehende Schränke in den Toiletten wieder verschließen. 

Andernfalls wird die Toilette gesperrt und möglicherweise der Zug angehalten, wenn zu viele Toiletten "ausfallen". 

Regel 10

Ruhe bewahren. Es geht fast nie um Leben und Tod. Siehe Regel 1. 

KURZ-FASSUNG, abgeleitet aus dem rheinischen Grund-Gesetz:

1 — Et kütt wie et kütt.

2 — Watt fott es, es fott.

Das war's. 

Ergänzt gerne sachliche, freundliche Anregungen.

Wir fahren sehr, sehr oft mit der Bahn; diese Hinweise sind nicht scherzhaft gemeint, sondern sollen euch unterstützen und helfen, falls ihr wie wir möglichst nicht mit Auto oder Flugzeug, sondern wie wir zu Fuß, mit dem Rad oder öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sein möchtet.

Sehr herzlich eure:

Markito Dr. Mark Benecke & Ines Azrael live aus der Bahn

Komm mit in den Garten #94: Efeu 🍃

In jedem Garten sollte Efeu wachsen! Dafür plädiert der berühmte Kriminalbiologe und Insektenexperte Dr. Mark Benecke. Mit ihm hat Kleingärtnerin Nadine Witt über diese Superpflanze gesprochen. Zum Teil verschrien als Grabpflanze, bietet Efeu Nahrung und Wohnung für viele Insekten und Vögel. Efeu ist eine wertvolle Pflanze und wegen seiner Langlebigkeit ein Symbol der Liebe. Wo Efeu her kommt und noch mehr Wissenswertes, hört ihr in dieser Folge des MDR-Podcasts 🌿

Hier ist der Podcast zu hören (klick):

Deutsche Bahn bremst Mark Benecke aus 🚂

Quelle: BILD, 4. Juli 2024

Köln – Deutschlands bekanntester Kriminalbiologe befindet sich in einer verfahrenen Situation: Dr. Mark Benecke (53) zieht die Veranstaltungs-Notbremse, weil die Deutsche Bahn (DB) so bummelt!

Der als „Dr. Made“ bekannt gewordene Forensiker aus Köln (NRW) hat nie einen Führerschein gemacht, reist fast ausschließlich per Zug. Jetzt teilte Benecke mit, dass er die Zahl seiner Veranstaltungen, Vorträge und Trainings künftig verringern muss: „Trotz eingeplanter, langer Extra-Zeiten für Umstiege ist es ist nicht mehr möglich, zuverlässig mit der Bahn zu fahren.“

Deutsche Bahn: Jeder zweite Fernzug verspätet

Gut lachen am Bahnhof von Kidderminster: Forensiker Benecke mit Schaffnern der örtlichen Eisenbahn

Foto: Mark Benecke

Nicht nur der Kriminalbiologe ärgert sich über verspätete Züge: Pendler, Touristen und EM-Besucher sind genervt, weil jeder zweite Fernzug (ICE, IC) im letzten Monat zu spät am Ziel ankam. Konkret waren nur 52,5 Prozent der Fernzüge pünktlich.

Ein peinlicher Negativrekord! Zum Vergleich: Bis 2022 lag der Konzern bei rund 75 Prozent Pünktlichkeit.

Promi-Kriminalbiologe beklagt Zug-Ausfälle

Trotz Verspätungsärger: Mark Benecke und seine Frau Ines – hier am Bahnhof in Kidderminster bei Birmingham – lieben die Bahn und Züge trotzdem

Foto: Mark Benecke

Diese Verspätungen mussten Benecke und seine Frau Ines durch längere Anreisezeiten ausgleichen. Der Forensiker zu BILD: „Wir planen mittlerweile mit einem Tag nur für die Anreise plus neunzig Minuten für jeden Umstieg. Nun fallen aber zunehmend Züge aus, Zug-Teile fehlen – heute der halbe Zug – und wegen Überfüllung darf niemand mehr in den Zug rein.“

Benecke ist Pünktlichkeit wichtig. Wer zu spät zu seinen Vorträgen kommt, darf erst zur Pause rein. Wegen der Bummel-Bahnen kann er selbst jetzt nicht mehr garantieren, dass seine Vorträge pünktlich beginnen. Benecke: „Ines und ich fahren Hunderte Male pro Jahr Bahn. Geschätzt habe ich meine Veranstaltungen wegen der deutlichen Verspätungen schon um zehn Prozent runtergefahren, jetzt werde ich nochmals um bis zu 20 Prozent reduzieren.“

Glück für Benecke: Gerade umgeht er den Ärger mit der Deutschen Bahn. Er ist auf Schienen in England unterwegs ...

Weibliches Verbrechen – Morden Frauen anders als Männer?

Facharbeit im Seminarfach, 2. Kurshalbjahr der Qualifikationsphase, Schuljahr 2023/2024, Clemens-August-Gymnasium, Cloppenburg

Von Alexandra Rolfes

Diese Facharbeit beschäftigt sich mit zwei unterschiedlichen Formen des Mordes: Dem Mord, der von Frauen verübt wird und dem Mord, der von Männern verübt wird. Dabei geht es besonders um die Charakterisierung des weiblichen Mordes, verglichen mit dem männlichen Mord. Dazu werden die Merkmale der Morde, Opfer, Tatwaffe und Motiv, herausgearbeitet. Ebenso werden vermittelte Stereotypen, biologische Geschlechter-unterschiede und gesellschaftliches Verhalten hinzugezogen. Ziel ist es dabei, festzustellen, inwiefern die Tatsachen den Stereotypen entsprechen und wie groß der Unterschied zwischen Mörderin und Mörder tatsächlich ist. Da der Fokus in dieser Facharbeit auf dem weiblichen und dem männlichen Geschlecht liegt, wird nur gegendert, wenn auch alle Geschlechter angesprochen werden.

Opfer von Frauen und Männern

Frauen ermorden entsprechend ihres Stereotypen auffällig häufig ihre Ehemänner, wie eine schwedische Studie zeigt.19 Elfriede Blauensteiner tötete zum Beispiel ihren Ehemann und zwei Lebensgefährten durch ein blutzuckersenkendes Mittel namens Euglucon und das Antidepressivum Anafranil. Diese Art von Mord bekommt oft besondere Aufmerksamkeit, aufgrund der Kombination von Liebesbeziehung und Mord. Meist gibt es bei solch einem Mord kaum Beweise, wodurch zusätzlich ein aufwendiger Indizienprozess zustande kommt. Für diese Morde gibt es sogar einige Begriffe, wie „Intimizid“ oder „Gattenmord“, welche beschreiben, dass ein Mensch seinen Intimpartner tötet. 

Neben dem Ehemann gehören zu den typischen Mordopfern von Frauen auch die Familie, beziehungsweise auffällig häufig auch ihre Kinder. Dafür gibt es ebenfalls einen gesonderten Begriff und zwar den „Kindsmord“, der die Tötung der eigenen Kinder beschreibt. Ein berühmtes deutsches Beispiel dafür ist die Mörderin Monika Weimar, welche ihre beiden Töchter tötete. Es wird im Falle der Frauen, im Gegensatz zu den Männern, als schockierender angesehen, wenn sie ihre Kinder töten, selbst wenn die Begebenheiten gleich sind. „Bis 1998 werden Kindsmörderinnen juristisch anders behandelt als andere Mörder.“ Das Band zwischen Mutter und Kind wird als unzerbrechlich angesehen, weshalb es für viele Menschen besonders schockierend ist, wenn man einen Menschen tötet, mit dem man eine so starke Bindung hat. Wenn ein Kind getötet wird, gibt es außerdem weniger Unterschiede zwischen den Merkmalen der Morde männlicher und weiblicher Täter, als bei einem Mord an erwachsenen Opfern, fand eine schwedische Studie heraus. 

Während es zwar viele Frauen gibt, die im Rahmen des Bekanntenkreises töten, gibt es seltener auch Mörderinnen, die fremde Opfer bevorzugen. Ein Beispiel dafür ist Aileen Wuornos, eine bekannte Serienmörderin aus den USA. Sie erschoss sieben Männer, mit welchen sie weder eine Beziehung noch eine Freundschaft hatte. 

Eine weitere sehr bekannte Art des Mordes ist der sogenannte „Femizid“. Jährlich werden über 100 Frauen im Zuge eines Femizids ermordet, weil sie weiblich sind. „Der Begriff Femizid umfasst auch sogenannte Ehrenmorde oder das Morden von Frauen und Mädchen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung. Weiblicher Kindsmord oder die Abtreibung weiblicher Föten zählen genauso dazu wie der Mord an indigenen Frauen wegen ihres Geschlechts sowie getötete Frauen, denen der Vorwurf der Hexerei gemacht wurde. Auch Frauen, die an den Folgen einer Genitalverstümmelung sterben, oder Morde, die in Zusammenhang mit organisiertem Verbrechen wie Menschen- und Drogenhandel geschehen, sind hier inkludiert.“ 

Männer töten am häufigsten Frauen. Wenn man das mit der hohen Zahl an gefassten Mördern kombiniert, so lässt sich schließen, dass Frauen deutlich öfter Opfer als Täter sind. Männer hingegen scheinen viel häufiger Täter zu sein und laut gefasster Fälle seltener Opfer, wobei die Dunkelziffer ungewiss bleibt. Es gibt jedoch auch Mordopfer jenseits der Stereotypen. Wenn es, wie im ersten Absatz des Kapitels beschrieben, die Norm ist, dass Frauen ihnen bekannte Männer töten und Männer, wie oben beschrieben, ihnen bekannte Frauen töten, so wird eine Beziehung zwischen den Geschlechtern deutlich. Es wird primär das jeweils andere Geschlecht getötet, auch wenn in der Geschichte Ausnahmen zu finden sind. Juana Barraza beispielsweise ermordete ebenfalls Menschen, die genau wie sie weiblich waren. Sie tötete über 40 ältere Frauen, indem sie sich als ihre Pflegerin ausgab. Diese Frauen gehörten ebenfalls weder zu ihrer Familie, noch zu ihren engen Freunden. 

Tatwaffen von Frauen und Männern

Gift ist deutlich häufiger die Tatwaffe von Frauen, als von Männern. Allerdings ist diese Tatwaffe früher häufiger verwendet worden als heute, wie eine Studie zeigt. Somit ist eine Veränderung im Laufe der Zeit zu erkennen. Mittlerweile lässt sich eher feststellen, dass Frauen bevorzugt mit einem Messer morden und meistens dann, wenn das Opfer geschwächt ist. Eines der bekanntesten Beispiele dafür ist Caroline H. aus der Schweiz, die zwei Frauen in Zürich erstochen hat. Dabei gibt es auch Männer, die ihre Opfer erst schwächen und dann töten, wie im Falle von Jeffrey Dahmer, der seinen Opfern Rauschmittel gab, bevor er sie tötete. Frauen morden zwar auch gewalttätig, mit einer Axt oder ähnlichem, jedoch deutlich seltener als Männer. Eine 32 Jahre alte Studentin hatte zum Beispiel ihren Freund mittels einer Kreissäge ermordet.

Gesamte Arbeit: Siehe .pdf

March for Science: Demo für Wahrheit & Wissenschaften (April 2018)

Unter dem Eindruck "alternativer Wahrheiten" haben wir in Köln (und mehreren anderen Städten) Versammlungen von Wissenschaftler:innen und Freund:innen des Messbaren durchgeführt. Ich habe das Ganze mitfinanziert und war mit Jean Pütz, Ranga Yogeshwar & Astronaut Reinhold Ewald Redner am Rudolfplatz in Köln. Abends ging es weiter mit der SCHULE DER POLITISCHEN HOFFNUNG: AUFKLÄRUNG UND APOKALYPSE # 6 (Lesung + Konzert + Party) im Studierenden-Viertel Kölns.

Mit freundlicher Unterstützung der Universität zu Köln und Ministerin für Kultur und Wissenschaft Isabel Pfeiffer-Poensgen.

Mein damaliges Posting: 

»So geht das: March for Science 2.0 Köln mit saucoolen Studierenden & Nerds, Pickle Rick, Astronaut Reinhold Ewald, Reinhard Remfort, Julitta Münch, Ministerin Pfeiffer-Poensgen, Ranga Yogeshwar, Jean Pütz, Die PARTEI NRW, gwup | die skeptiker, Philosoph Thomas Grundmann, Enno Aufderheide, Lena Snelting, Myrle Dziak-Mahler, Don Rohde und sehr vielen anderen. Hut ab, das war sehr, sehr, sehr gut. Erfreut der Eure: Marky Dr. Mark Benecke Mark (Fotos: Ines Benecke)«    

Presse-Meldung der Uni Köln:

Uni Köln unterstützt den March for Science am 14. April auf dem Kölner Rudolfplatz

04. September 2018

Bühnenprogramm mit ESA-Astronaut Reinhold Ewald und Philosoph Thomas Grundmann / Weltweite Bewegung für die Bedeutung der Wissenschaft im Zeitalter von „alternativen Fakten“ 

Nach der erfolgreichen weltweiten Bewegung „March for Science“ 2017 geht der Science March 2018 in die zweite Runde. Die Universität zu Köln unterstützt die Initiative, die am Samstag, den 14. April 2018, von der Domplatte bis zum Rudolfplatz zieht und am Rudolfplatz ein Bühnenprogramm gestaltet, das den Wert der freien Wissenschaft und des kritisch hinterfragenden Denkens betont. Seitens der Uni Köln werden der Philosophieprofessor Dr. Thomas Grundmann, die Prorektorin für Gleichstellung und Diversität, Professorin Dr. Manuela Günter, sowie die Leiterin des Zentrums für LehrerInnenbildung, Myrle Dziak-Mahler, sprechen. Alle Bürgerinnen und Bürger, Forscherinnen und Forscher, Vertreterinnen und Vertreter der Presse sind herzlich zur Teilnahme eingeladen.   

Termin:

Samstag, 14. April 2018

11.00 Uhr

Startpunkt des Demonstrationszuges auf der Domplatte Köln

12.00 Uhr

Start des Bühnenprogramms auf dem Rudolfplatz „March for Science Köln/Rheinland: Stand up for science“

Rudolfplatz, 50923 Köln

Sprechen werden unter anderem:

Reinhold Ewald, Physiker und ESA-Astronaut

Thomas Grundmann, Professor für Philosophie, Universität zu Köln

Manuela Günter, Professorin und Prorektorin für Gleichstellung und Diversität, Universität zu Köln

Enno Aufderheide, Generalsekretär der Alexander von Humboldt-Stiftung

Myrle Dziak-Mahler, Leiterin des Zentrums für LehrerInnenbildung, Universität zu Köln

Reinhard Remfort, Physiker, Wissenschaftskommunikator, Science-Slammer, Podcaster und Autor

Mark Benecke, Kriminalbiologe, Spezialist für forensische Entomologie

„Wissenschaftsfreiheit geht uns alle an“, sagt Enno Aufderheide, Generalsekretär der Alexander von Humboldt-Stiftung, die Kooperationen zwischen ausländischen und deutschen Forscherinnen und Forschern fördert. „Der March for Science tritt dafür ein, dass Regierungen die Suche nach der Wahrheit und nach den bestmöglichen Lösungen für unsere Probleme nicht verhindern, sondern den offenen Austausch auch über kontroverse Ideen zulassen und fördern. Deshalb freue ich mich, dabei sein zu dürfen“, sagt Aufderheide.   

Auch ESA-Astronaut Reinhold Ewald, bekannt durch seinen Flug zur Raumstation Mir, wird auf dem March for Science in Köln sprechen. „Nur mit der Anwendung von Wissenschaft und Technik kann der Mensch die Erde verlassen und beginnen, den Weltraum zu erforschen“, sagt Ewald. „Fakten haben Mythen ersetzt und uns eine neue Sicht auf die Erde gegeben. Nun gilt es, die Chance dieser Sicht klug zu nutzen und nicht wieder in Mythen zu versinken.“

In Köln sammeln sich die Demo-Teilnehmer, die aus der gesamten Region Köln-Bonn-Aachen-Ruhrgebiet erwartet werden, um 11 Uhr auf der Domplatte und ziehen dann gemeinsam zum Rudolfplatz. Dort findet zwischen 12 und 14 Uhr die Kundgebung statt.

Organisiert wird die Veranstaltung von Privatpersonen aus der Wissenschaft und vielen anderen Bereichen der Gesellschaft, die über Facebook und Twitter zusammengefunden haben. Alle engagieren sich ehrenamtlich, sind ausdrücklich überparteilich und repräsentieren weder eine Universität noch eine andere Institution oder Vereinigung.

Linnean Society: Darwin, Wallace, Evolution & Old Books 📚

Mark besucht seine Patenbücher in der Linnean Society of London, wo Darwin & Wallace die Wissenschaft von der biologischen Evolution erstmals vorstellten. Es gibt einige Überraschungen, darunter Einhörner, griechische Statuen und ein altes Thier-Buch, von dem er noch nie etwas gehört hatte 🦄

Tätowierte Nerds, die Nasa und warum das Universum so ist, wie es ist

Quelle: Tätowiermagazin 4/2011, Seiten 98 bis 102

Hier gibt es den Artikel als .pdf

Interview mit philip von Doetinchem

Von Mark Benecke

Wenn Kinderträume in Erfüllung gehen: Philip hält einen Vortrag bei der NASA am Johnson Space Center in Houston, Texas.

Philip von Doetinchem ist Experimental-Physiker an sehr bekannten und angesehenen Unis: der RWTH Aachen und an der University of California at Berkeley. Er mag Hardcore-Musik und könnte der erste volltätowierte Nerd werden, der eines Tages eure Kids prüft – falls sie Physik studieren und sich für Alpha-Magnet-Spektrometer interessieren. Anfang April 2011 startet eines der von Philip mitgebauten Messgeräte mit einem Space Shuttle in den Weltraum zur internationalen Raumstation, ein weiteres baut er gerade an der University of California in Berkeley. Mark Benecke hat dem Messgeräte-Spezialisten für kosmische Strahlung auf die Haut geschaut.

Mark: Yo, Philip, ich erinnere mich noch, dich vor gar nicht so langer Zeit verschwitzt von einem Hardcore-Konzert heimkehrend gesehen zu haben. Was für Musik hörst du im Reinraum-Labor?

Der Gorilla mit Doktorhut symbolisiert, dass Philip sich selbst und seinen Doktor-Titel nicht so ernst nimmt. Wer seine Doktorarbeit wirklich selbst geschrieben hat, kann sich eben auch ein gewisses Understatement leisten …

Philip: Im Reinraum arbeitet man ja meist mit Kollegen zusammen und zudem können Vakuumpumpen oder anderes Equipment ziemlich laut sein, so dass Musikhören eher ausfällt. Wenn ich aber in Ruhe vor dem Computer sitze und beispielsweise Daten analysiere, dann höre ich Sachen wie Johnny Cash, Social Distortion und Hardcore-Bands wie 7 Seconds oder Gorilla Biscuits, aber auch gerne klassischen Metal von Iron Maiden.

Musst Du dich bei der Arbeit sehr auf Deine Geräte konzentrieren? Ist das so ein bisschen wie im Film »2001: Odyssee im Weltraum«, wo der Rechner geradezu ein Team-Mitglied ist, das allerdings auch mehr entscheidet, als es sollte?

Bei der Arbeit an einem Subdetektor oder auch Anticoincidence Counter am CERN , der europäischen Organisation für Kernforschung, in Genf.

Ganz so ist es noch nicht. Unsere Computer scheinen zwar einen eigenen Willen zu haben – manchmal – aber meist liegt es dann an unserer eigenen Unzulänglichkeit. Es gibt aber schon mal die Tendenz, gerade bei jüngeren Studenten, dass sie blind allem glauben, was aus einem Softwarepaket herauskommt, ohne kritisch zu bleiben und zu verstehen, ob das Sinn ergibt, und was die jeweiligen Algorithmen wirklich machen. Allgemein sind Computer ein absolut zentraler Bestandteil meiner Arbeit, um Messgeräte zu kontrollieren und auszulesen oder die gemessenen Daten zu verstehen. Es ist allerdings nicht ganz so wie im Film, wo Computer scheinbar schon alles ohne großes Zutun können. Man muss alles erst beibringen, also programmieren, sonst tut sich nichts. Die Hauptaufgabe ist dann zu verstehen, ob die Programmierung Sinn macht um bei der Fehler nicht verrückt zu werden.

Sind viele deiner Kollegen tätowiert?

Also, in meiner alten Arbeitsgruppe in Deutschland war niemand von den Physikern tätowiert, soweit ich weiß. Bei den Technikern in den Werkstätten kam das bei den Jüngeren aber schon häufiger vor. Bei alten amerikanischen Kollegen habe ich auch mal ein paar Militär-Tätowierungen gesehen. An meinem jetzigen Institut in Kalifornien ist aber sogar mein Chef tätowiert und es gibt auch ansonsten mehr Leute im Institut, die mit teilweise großen sichtbaren Tätowierungen herumlaufen, aber trotzdem immer noch eher Ausnahme bilden. Es scheint insgesamt so zu sein, dass die Physiker eher zurückhaltend bei Tätowierungen sind.

Wie cool sind die Leute an deiner Uni abgesehen von Tattoos? Immerhin ist die Mega-Freak-Hauptstadt San Francisco gleich um die Ecke.

In meiner Arbeitsgruppe sind die Leute ziemlich cool, was auch ein Grund für mich war, dort anzufangen. Das liegt aber bestimmt auch an meinem sehr entspannten Chef. Ansonsten gibt es in Kalifornien insgesamt sehr viel mehr schräge Individualisten als in Deutschland, die sich dann natürlich auch an den Unis wiederfinden. Gerade bei den Studenten habe ich schon einige große und richtig gute Tätowierungen gesehen.

Du warst neulich auf der Tattoo-Convention in San Francisco. Wie waren deine Eindrücke?

Ich war bisher auf zwei Conventions in San Francisco, die sehr unterschiedliches Publikum angezogen haben. Die eine war zwar riesig überall beworben, aber eine eher prollige Angelegenheit und irgendwie nicht so mein Ding. Die Bay Area Tattoo-Convention hingegen war ein echter Hammer, aber leider oder vielleicht zum Glück, nicht so gut besucht. Hier waren einige Superstars wie Shige, Mike Rubendall, die Leute von Black Heart, Grime, Jack Rudy und verschiedene andere extrem gute Japaner bei der Arbeit in einem entspannten Rahmen zu betrachten.

Als ich deine Tattoos neulich auf einer Party fotografiert habe, hast du eins besonders in den Mittelpunkt gestellt.

Der Engel mit dem Schwert triumphiert über das Böse. Ebenfalls von Andreas vom Studio The Sinner and the Saint.

Das war meine letzte Tätowierung. Es ist eine Hochzeitstätowierung mit einem blumendekorierten Porträt meiner Frau, im westlich traditionellen Stil, mit flammendem Herz und japanischen Wellen. Das Porträt wurde dabei einem der Fotos unserer Trauung nachempfunden. Da ich manchmal dann doch nicht nur rational denkender Physiker bin, bedeutet es für mich, dass ich auf immer und ewig zu meiner Liebsten stehen möchte.

Sehr oldschoolig. Nach welchem Kriterium hast du dein Aachener Studio »The Sinner and the Saint« ausgewählt?

Als ich angefangen habe, tätowiert zu werden, hatte ich wenig Ahnung davon. Ich kannte aber Andreas vom Aachener »The Sinner and the Saint«-Studio vom Sehen, da er auch in einer Hardcore-Band gesungen hat. Da die ganze Szene ja ziemlich gehackt ist und davon auch viele zu Andreas gehen, bin ich dann dort auch vorbei und mir gefiel der Laden direkt. Im Übrigen sind Andreas und Imme wirklich feine Leute mit denen es Spaß macht zu reden, während man tätowiert wird.

Seine Arbeit schlägt sich natürlich auch symbolisch in den Tattoo-Motiven nieder, die Philip trägt.

Gibt es Momente, in denen du deine Tattoos versteckst? Beispielsweise, wenn du mit Leuten von der NASA oder anderen Behörden zu tun hast? Ich erlebe die ja oft als sehr bieder, oder zumindest tun sie so.

Meiner Erfahrung nach sind Physiker eher informell, und von den Jüngeren laufen nicht viele im feinen Zwirn mit Hemd in der Hose herum. Vorträge halte ich meist einfach in normalen Straßenklamotten, das waren dann beispielsweise im letzten Sommer bei einer Konferenz in Frankreich bei knapp 40°C kurze Hose und T-Shirt. Erfreulicherweise scheinen sich die meisten Nerds eher um Inhaltliches als um Klamotten zu kümmern. Ich muss aber zugeben, dass ich bei meinem Vorstellungsgespräch in Berkeley die Tattoos abgedeckt habe, da ich nicht genau wusste, was mich erwartet.

Hat dich schon mal irgendwer auf deine Tattoos angesprochen, von dem du es wirklich nicht erwartet hättest?

Ich kann leider nicht von irgendeinem besonderen Schlüsselerlebnis berichten, aber der überwiegende Teil der Reaktionen, die ich mitbekomme, ist positiv und interessiert. Da ich auch gern reise, habe ich aber schon ein paar Mal in Ländern wie beispielsweie Thailand, Marokko oder Fidschi interessierte Fragen zu den leuchtenden Farben bekommen. Tätowierungen waren so immer wieder Ansatzpunkt für gute Gespräche jenseits der typischen Touristen-Einheimischen-Konversation.

Erzähl doch noch ein bisschen über den Inhalt weiterer Motive, die du trägst.

So sehen heute Wissenschaftler aus: Philip von Doentinchem vor dem Haupteingang der Uni Berkeley.

Die meisten Tätowierungen zeichne ich selbst vor oder gehe zumindest mit einer halbwegs aussagekräftigen Skizze zum Tätowierer, so dass am Ende etwas auf mich persönlich Zugeschnittenes entsteht. Meine Tattoos sollen mich dabei an Ideale, persönliche Momente und Reisen erinnern. Hier und da gibt es auch mal einen physikalischen Einfluss. Der Gorilla mit Doktorhut soll mir zum Beispiel sagen, dass ich mich nie zu Ernst nehme.

Finden deine Kollegen deine Tattoos komisch?

Ich bin jedenfalls schon eher eine Ausnahme mit meiner Anzahl und Fläche an Tätowierungen, so dass ich damit eher auffalle und vermutlich als schräger Vogel gelte. Bei der Arbeit versuche ich das aber nicht in den Vordergrund zu stellen und durch gute Ergebnisse zu überzeugen. So war mein Aachener Professor ein Physiker der alten Schule und mit seinen über siebzig Jahren in Cordanzügen mit Flicken auf den Ellbogen wahrscheinlich kein großer Fan von Tattoos. Auf Nachfrage eines amerikanischen Kollegens in einem Pub hat er zum Thema Tattoos aber nur mit den Achseln gezuckt.

Umgekehrt: Finden deine Tätowierer deinen Job komisch?

Komisch kann ich nicht sagen. Bei manchen hatte ich den Eindruck, dass sie das schon ganz cool fanden. Die meisten Leute fragen aber sowieso nicht viel weiter, wenn herauskommt, dass ich Physiker bin, und das ist auch bei Tätowierern nicht ganz anders. Aber man muss ja auch nicht immer über den Beruf reden.

Wer sagt, dass Wissenschaftler nicht auf Rock 'n' Roll im Blut haben dürfen? Philip mit Pommes-Gabelvor seinem imposanten Techno-Dingsbums, von dem wir eigentlich auch nicht so genau wissen, was es eigentlich macht.

Eine perfekte Gelegenheit, es hier im TätowierMagazin zu tun. Erklär doch mal in höchstens vier Sätzen, warum Du so gerne kosmische Strahlung aus Supernovas, dunkle Materie und Antideuteriumkerne misst.

Für mich ist es sehr spannend besser zu verstehen, warum das Universum so aussieht wie es aussieht. Die sogenannte dunkle Materie spielt dabei eine entscheidende Rolle, um beispielsweise die Anordnung von Galaxien zu verstehen. Die Physiker glauben nun recht sicher zu wissen, dass es etwa fünfmal mehr dunkle Materie als uns bekannte Materie gibt, wobei der Name »dunkel« meint, dass wir erstens noch keine Ahnung haben um was es sich genau handelt und zweitens, dass diese Materie nicht in leuchtenden Sternen zu finden ist. Es ist aufregend, dass dieser große Haufen Unbekanntes da draußen zu sein scheint und wir nur wissen, dass er da ist, aber nicht was es ist. Es wäre also echt cool, bei dieser ziemlich existenziellen Frage der Menschheit etwas Licht ins »Dunkel« bringen zu können, wozu die genaue Messung von kosmischer Strahlung hoffentlich beitragen kann.

Sehr wahr und abgefahren. Zurück zu Tattoos: Von wem wirst du dich in den USA zum ersten Mal tätowieren lassen? Und warum?

Ich habe ja bereits ein paar Tätowierungen von Amerikanern wie Kaz von New York Adorned oder Justin Martinez aus San Antonio, aber die nächste Tätowierung aus der Region um San Francisco wird von Paul Dobleman vom Spider Murphy’s Tattoo Shop in San Rafael sein: cooler Oldschool-Stil mit tollen Schattierungen und ein paar guten Extra-Ideen.

Tätowierte Doktoren unter sich: gemeinsam plündern TM-Mitarbeiter Dr. Mark Benecke und Dr. Philip von Doentinchem einen Adventskalender.

In den USA war es früher ja üblich, wichtige Flugzeuge, Schiffe und dergleichen mit einer Comicfigur oder einem kleinen oldschooligen Motiv zu bemalen. Du kannst ja selber auch gut zeichnen und malen. Darfst du das Alpha-Magnet-Spektrometer (AMS), das im April auf die internationale Raumstation fliegt, oder den Weltraum-Detektor für Antideuteriumkerne beim wissenschaftlichen Ballonflug in etwa vierzig Kilometer Höhe, den du gerade in Berkeley baust, auch bemalen?

Coole Idee eigentlich! Das AMS-Experiment trägt ja ein offizielles NASA-Logo, was auch schon was her macht. Vielleicht kann ich ja für mein derzeitiges Projekt an der Logogestaltung mitwirken? Darüber habe ich sogar schon einmal nachgedacht, vielleicht irgendwas mit Lichtblitzen und peitschender See, da unser Forschungs-Ballon von der Küste Japans starten wird.

Aye, chefmässig! Peitschenden Hochsee-Piraten! Danke für das Gespräch – und möge die dunkle Materie sich mithilfe Deiner Arbeit gefälligst deutlicher zeigen!