Quelle: HÖRZU, 17. Januar 2025
Blut, Bisse und Begierde: VAMPIRE verbreiten seit 300 Jahren Angst und Schrecken. Die lichtscheuen Monster haben sich einen festen Platz in Literatur und Film erobert.
Schon seine Silhouette lässt die Kinobesucher erschaudern: spindeldürre Gliedmaßen und ein langer schwarzer Mantel, Fingernägel wie Krallen und ein jenseitiger Schatten: Mit dem Stummfilmklassiker „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“, einer ersten, noch unautorisierten Filmadaption von Bram Stokers Schauerroman „Dracula“, beginnt 1922 der Siegeszug des Vampirs auf der Leinwand.
Die Popularität des Blutsaugers ist einzigartig, keine literarische Figur taucht seither häufiger in Filmen auf. Der erste Kinovampir heißt bei „Nosferatu“- Regisseur Friedrich Wilhelm Murnau allerdings nicht Dracula, sondern Orlok. Der groteske, rattenartige Monstergraf aus den Karpaten sucht das fiktive deutsche Hafenstädtchen Wisborg heim und begehrt Ellen, die Frau des Maklerangestellten Thomas Hutter. Sie opfert sich, um größeres Unglück von der Stadt abzuwenden. Derzeit ist mit „Nosferatu – Der Untote“ eine albtraumartige Neuverfilmung des Stoffs in den Kinos zu sehen, in den Hauptrollen Lily-Rose Depp und Bill Skarsgard.
Doch zurück zum Original: Obwohl Drehbuchautor Henrik Galeen Orte und Namen für den Film von 1922 änderte, war die Vorlage unverkennbar. Stokers Witwe Florence strengte daher einen der ersten Plagiatsprozesse der Filmgeschichte an. Dieser endete 1925 mit dem Urteil eines Berliner Richters, alle Kopien des Films zu vernichten. Nur weil sich diese bereits im Ausland befanden, blieb der Film erhalten.
Ein Mix aus Mythen und historischen Figuren Der Ire Stoker, ein früherer Verwaltungsbeamter, veröffentlichte „Dracula“ 1897. Sein Roman spielt zum Großteil in England. Transsilvanien, Schauplatz zu Beginn und Ende der Handlung, beschreibt er anschaulich, ohne je dort gewesen zu sein. Er griff auf die Reiseliteratur über die Region Siebenbürgen von der Schottin Emily Gerard zurück und nahm Slains Castle in Schottland als Vorbild für Draculas Schloss (der rumänische Tourismusverband hat dagegen Schloss Bran zu Draculas Heimstatt erkoren).
Stoker vermengte zahlreiche Vampirmythen. Umstritten ist, ob er sich auch von der slowakischen „Blutgräfin“ Elisabeth Bathory (1560 – 1614) inspirieren ließ und seinen Roman mit Details ihrer Legende würzte. Sie soll 611 Jungfrauen getötet und, nach ewiger Jugend gierend, im noch warmen Blut der Ermordeten gebadet haben. Fest steht: Stoker lieh sich Namen und Charakterzüge des rumänischen Fürsten Vlad Tepes (1431 – 1476). Tepes wurde wohl Drâculea genannt, weil er dem Orden der Drachen angehörte und Dracula ein Diminutiv für Draco (Schlange, Drache) ist. Historische Quellen beschreiben ihn als Feldherrn, der Feinde aufspießte, bei lebendigem Leib kochte und verbrannte oder Eltern zwang, ihre Kinder zu essen.
Vlad Tepes galt in deutschsprachigen Gebieten schon zu Lebzeiten als Horrorfürst. Durch die gerade erfundene Drucktechnik verbreiteten sich die stark ausgeschmückten Berichte über seine Gräueltaten schnell. Sie werden heute als politische Propaganda gegen den Osten gewertet. In rumänischen Legenden wird er dagegen bis heute als strenger, zuverlässiger Herrscher gefeiert, der das Land gegen die Türken verteidigte.
Das stellte auch Mark Benecke fest, als er Reisen zu den Wirkstätten von Vlad Tepes unternahm. Der bekannte Kriminalbiologe und Vampir-Experte gewann dort eine überraschende Erkenntnis: „Der Roman von Bram Stoker, in Rumänien im Kommunismus ohnehin verboten, rief dort wenig bis gar kein Interesse hervor“, sagt Benecke zu HÖRZU WISSEN. „Vor Ort glaubt kein Mensch an Vampire.
Dafür aber an Menschen mit bösem Blick, an Hexer und Strigoi.“Der Aberglaube über die Unheil bringenden Strigoi, verfluchte Menschen, sorgte noch im Jahr 2004 für Schlagzeilen. Damals holten Bewohner des Dorfes Marotinu de Sus im Südwesten Rumäniens einen angeblichen Strigoi aus seinem Grab. Sie rissen den Brustkorb des Toten mit einer Heugabel auf und schnitten sein Herz heraus. Das wurde verbrannt, die Asche in Wasser aufgelöst und die Lösung getrunken. Die Verantwortlichen wurden wegen Störung der Totenruhe verurteilt.
Der Fall erinnert an die ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts , als sich in Europa eine wahre Vampir-Hysterie ausbreitete. Leichen, die nicht schnell genug verwesten, wurden zu Vampiren erklärt. Man gab ihnen die Schuld an Todesfällen, Krankheiten, Missernten. Das erste bekannte Opfer dieser Hysterie war der serbische Bauer Peter Plogojowitz. Die Ausgrabung seiner Leiche auf dem Friedhof des Dorfes Kisolova vor 300 Jahren nennt Gunther Reinhardt, Autor des Buches „Vampire“ (Reclam, 100 S., 12 Euro) als die eigentliche Geburtsstunde der Geschichte dieser modernen Monster.
Das Rätsel der Toten mit frischem Blut im Mund 1725 erschien in der österreichischenStaatszeitung der Bericht des Feldarztes Frombald, dass serbische Freischärler Plogojowitz’ Körper exhumiert, mit einem Pfahl aufgespießt und verbrannt hätten. Zuvor hätte sich der Körper in sonderbar gutem Zustand befunden, die alte Haut hätte sich geschält und frische freigelegt. Im Mund der Leiche bemerkte Frombald frisches Blut. Kriminalbiologe Benecke hat dafür eine wissenschaftliche Erklärung: „Leichenblut verklumpt nicht wie auslaufendes Blut beim Schlachten.
Es wird unter anderem von Bakterien flüssig gehalten. Sobald die Bakterien Gase bilden, drücken die Gase die rötliche Flüssigkeit aus zerfallenem Gewebe und altem Blut durch den Mund der Leiche heraus“, sagt er. „Wenn die Leichen auf dem Rücken liegen und das Grab geöffnet wird, sieht es wirklich so aus, als hätte sich jemand erst an ,Blut‘ satt gesaugt und dann zum Ausruhen wieder hingelegt.“
Sieben Jahre später, 1732, erregte ein ganz ähnlicher Fall den Kontinent: die Exhumierung eines zum Vampir erklärten Serben namens Arnold Paole in Medvedja, an der damaligen Grenze zur Türkei gelegen. Das Protokoll des Militärarztes Johann Flückinger wurde in zahllosen Zeitungen abgedruckt und ins Englische und Französische übersetzt. Zudem wurden 1732/33 mindestens zwölf Bücher und vier Dissertationen zum Thema Vampirismus verfasst – mitten im Zeitalter der Aufklärung.
Wie erklärt sich Benecke, dass der Vampir-Aberglaube sich derart rasant in Europa ausbreitete? „Die Geschichte war einfach supergruselig. Erstens geschahen die Grab-Aushebungen in der Fremde, in der bekanntlich ja alles möglich ist. Zweitens veröffentlichten nicht nur staatliche Stellen aus Wien.”