Quelle: Tätowiermagazin 11/2012, Seite 144
Kolumne mit Mark Benecke
Von Mark Benecke
Jeden August zieht es zehn der weltweit tapfersten StudentInnen nicht in den Urlaub oder zu Nacktpartys mit Prinz Harry. Stattdessen schauen sie sich Schweine an. Verwesende. Mit Insekten drauf. Bei mir im Kurs.
Wo derart coole Menschen zusammenkommen und selbst bei herben Fäulnisdämpfen und glühender Hitze schon am zweiten Tag melden, dass sie »eigentlich gar nichts Unangenehmes mehr riechen«, ist der Kühnheits-, aber auch der Partyfaktor hoch. Schon immer beträgt die Arbeitszeit im Forensik-Training zwölf Stunden pro Tag. Ohne Mittagspause, denn am Tatort gibt’s auch keine Mittagspause. Umso größer der Wunsch, nach Schichtende »to unwind« (sich locker zu machen; das Training findet auf Englisch statt).
Dieses Jahr wollten wir erstmals piano machen, man wird ja nicht jünger. Mein Team und ich verkürzten daher die Arbeitszeit auf neun Stunden. Zu meinem Erstaunen wollten die StudentInnen danach aber weder bummeln noch shoppen, sondern doch lieber im Kursraum rumhängen. Wir kauften also ein paar Flaschen Limo und ließen die Freizeit auf uns zukommen. Nach nur wenigen Minuten (wirklich) kam Teilnehmerin Tanja damit um die Ecke, ob ich ihr nicht eine Made tätowieren könne. Um Tattoo-Quatsch den Riegel vorzuschieben, fragte ich die blonde, eijentlisch janz brav wirkende neunzehnjährige Studentin, ob sie denn überhaupt schon ein Tattoo habe – denn meins würde ganz sicher kein Kunstwerk werden.
Nun … sie hatte: Ein riesiges, lupenrein gestochenes Old-School-Schiff fett über die Rippen jeknallt sowie einen Einsplus-Koi aus dem Studio Lonien auf dem Oberschenkel. »Der Koi verwandelt sich in der japanischen Vorstellung am Ende seines Weges gegen die Longmen-Stromschnellen in einen Drachen«, erklärte sie das Motiv wie selbstverständlich. Tja, da konnt’ ich ihr die Ernsthaftigkeit nicht absprechen. Und los gings.
Um es kurz zu machen: Nur ein einziger Kurs-Gallier wich ab und wollte partout keine Tinte; alle anderen wollten und kriegten. Ächz! So tragen nun die kriminalbiologischen KursteilnehmerInnen des Jahres 2012 für den Rest ihres körperlichen Daseins eine Made, ein Herzchen, einen Hangman oder einen Anker von ihrem geliebten Trainer. Sicherheitshalber habe ich zumindest die Maden mit einem hinzu tätowierten Text versehen. Man erkennt sie sonst nicht so gut.
Notice to myself no. 1: Das kommt davon, wenn man einem Haufen cooler StudentInnen statt täglich zwölf nur neun Stunden lang Blut, Haare, Sperma, Maden und Pflanzenreste vor die Vergrößerungslinse legt.
Notice to myself no. 2: Wie viele AkademikerInnen da draußen sind eigentlich schon längst tätowiert, und wie viele werden es in fünf oder zehn Jahren sein? Vermutlich verdammt viel mehr, als wir alle glauben.
Der Eure im Namen der bolden und akademischen Outlines –
Dr. Made