Quelle: Archiv für Kriminologie 247: 66-76 (2021)
Aus dem Sachverständigenbüro Benecke Forensics Köln (Leiter: Dr. rer. medic. M. Benecke)
Von Dr. rer. medic. Dipl.-Biol. Mark Benecke
(Mit 7 Abbildungen)
Manuskript eingereicht: 29.12.2020, angenommen: 14.01.2021; das .pdf gibt es hier
Herrn Prof. Dr. med. Otto Prokop (1921-2009) [1, 2] anlässlich seines 100. Geburtstages am 29. September 2021 gewidmet.
1. Einleitung
Bei der Durchsicht und Zusammenstellung alter Tierbücher [3] stießen wir auf das zuvor nahezu unbekannte Vorhandsein hölzerner Druckstöcke aus der Zeit zwischen 1480 und 1600, die teils zum Verkauf standen. Ein im Bereich alter Druckwerke erfahrener Kunsthändler aus Deutschland hatte einen ersten dieser Druckstöcke im Jahr 2014 per Tausch erhalten und seither, zwischen 2014 und 2020, 99 weitere Stücke von einem auf dem Kunstmarkt als glaubwürdig geltenden Zwischenhändler aus Frankreich angekauft, der die Stücke wiederum aus den Vereinigten Staaten erhalten hatte. In einem Museum in den USA fand sich eine weitere, umfangreiche Sammlung von Druckstöcken, die aus derselben Quelle stammt.
Nach Einschätzung des deutschen Endhändlers handelte es sich um „erstklassige und wirklich rare Antiquitäten, denn die Stöcke wurden damals meist entsorgt. Allerdings gab es ab und an größere Funde wie beispielsweise die aus 1.600 Stöcken bestehende Derschau-Sammlung um 1800, die sich heute im Kupferstichkabinett in Berlin befindet“ [4]. Begründbare Zweifel an der Echtheit ergaben sich nicht. Nach Auffassung der wenigen damit befassten Sammler und Museen sei eine Fälschung alter Druckstöcke auch deshalb unwahrscheinlich, da es einträglicher sei, stattdessen gefälschte Drucke zu verkaufen: Diese werden zu Preisen bis etwa 300 € gehandelt und können von einem einzelnen, auch gefälschten, Druckstock in größerer Menge hergestellt und also mit höherer Marge veräußert werden. Hinzu kommt, dass sich ganze Bücher mangels originalen Papiers aus der damaligen Zeit nicht (mit Gewinn) fälschen lassen, einzelne Druckseiten jedoch schon.
Der Zustand von Holz, Patina, Schmutz-Antragungen, Brüchen sowie handwerklich unsauber geklebten Stellen der vorliegenden Druckstöcke nebst Abdrücken derselben auf altem, alaunhaltigen Papier (seit dem 19. Jahrhundert bekannt [5]) passten nach Meinung der Käufer genügend zur vom ursprünglichen Anbieter mitgeteilten Geschichte der Holzdruckstöcke.
Der ursprüngliche Lieferant konnte die genaue Herkunft der Kunstwerke allerdings nicht durch Dokumente belegen. Er teilte mit, dass er aus vermögender US-Familie stammend nach einer Erbauflösung mit Bruderstreit zu einer tausende Stücke umfassenden Sammlung von Druckstöcken des Großvaters gekommen sei. Dieser habe sie in den 1930er Jahren aus einem abgebrannten Speicher in Downtown Manhattan in New York geborgen. In den 1970er Jahren habe ein Rechtsstreit der Familie des Verkäufers und heutigen Händlers mit angeblich jüdischen Altbesitzern mit gerichtlichem Entscheid zum legalen Verbleib der Sammlung in Händen des jetzigen Verkäufers geendet.
Damit wurden – wie es typisch für Kunstfälschungsverkäufe ist; vgl. die hierzulande bekannteren Fälle Han van Meegeren, Konrad Kujau und Wolfgang Beltracci, aber auch dutzende vergessener Fälle [6-8] – kaum prüfbare Wendungen eingeführt: Erstens sind die rechtlichen Unterlagen sowie solche zum möglichen Brand wenn, dann nur umständlich zu beschaffen; zweitens gab es in den 1930er Jahren kaum Sammler für Druckstöcke und damit auch keine Kataloge oder andere Dokumente dazu. Die vorgebrachte Legende stellte sich im Zuge der Verfolgung des Falles als vollständig erfunden heraus.
Gehandelt wurden die Stücke für Händlerpreise zwischen 750 und 1.500 €. Da diese Preise aber erkennbar nicht deren eigentlichem Wert entsprachen – dieser hätte erstens bei mindestens 2.000 € pro Stück gelegen, bei Druckstöcken zu bekannten Büchern noch weitaus höher, und die Preise zweitens nicht auf die Wichtigkeit und Bekanntheit der dazu gehörigen Buchwerke abgestimmt waren (manche der Stücke waren vergleichsweise zu teuer, andere zu preiswert) – gingen die Sammler und Händler davon aus, dass der Verkäufer ahnungslos sei – Original-Ton: „keine Ahnung vom Metier hat“. Tatsächlich setzte der erfahrene Kunstfälscher auf diese Weise aber einen zusätzlichen Kaufanreiz, da die Händler hofften, seine vermeintliche Naivität zu ihrem geschäftlichen Vorteil nutzen zu können.
Reine Expertinnen und Experten, die gerichtlich zuverlässige Prüfungen für Druckstöcke durchführen können, stehen dem Kunstmarkt praktisch nicht zur Verfügung, wenngleich gelegentlich qualitätsvolle und umfangreiche Berichte vorgelegt werden [9, 10]. Diese Berichte stellen oft entweder auf die Herkunftsgeschichte („Provenienz“), dokumentierte, bisherige Verkäufe, stilistische Betrachtungen oder, im ausnahmsweisen Bestfall, eindeutige Gleichheit von Druckbild und Druckstock ab. Oft siegen Sammler- und Entdeckerfreude sowie Gewinnaussichten aber über mögliche Zweifel, wenn die genannten Maßstäbe nicht erfüllt sind. Auch wird im Kunsthandel regelmäßig mit Schwarzgeld gearbeitet, das durch internationale An- und Verkäufe der Kunst über Mittelsmänner und -frauen gewaschen wird [11].
Im Jahr 2019 verkaufte das bekannte Aktionshaus Christie’s dann einen Druckstock aus der hier in Betracht kommenden Zeitspanne nach anfänglicher Schätzung von 2.250 GB£ für 15.000 GB£. Diese hohe und unerwartete Gewinnspanne wirkte zusätzlich zum seltenen Sammelgebiet reizvoll.
Nachdem im uns vorliegenden Fall in Sammlerkreisen vorsichtige Zweifel an der Echtheit einiger Stücke, aber auch Sorgen wegen möglicher Haftung bei steigenden Verkaufspreisen aufkamen (so wurde beispielsweise der renommierte Kunsthistoriker Werner Spies im Jahr 2013 in Frankreich zu einer Schadensersatzzahlung von über 650.000 € verurteilt, weil er ein von Wolfgang Beltracchi gefälschtes Max-Ernst-Gemälde als echt begutachtet hatte), glichen die Zwischenhändlerinnen und -händler zunächst die auf den Paketen des ursprünglichen Lieferanten angegebenen Adressen ab, von denen aus die Druckstöcke versendet worden waren. Der dazugehörige Name konnte zwar nicht als echt ein- oder ausgeschlossen werden, die Adressen, von denen die Druckstöcke an die mittlerweile mehreren Händler versendet wurden, gab es aber. Es waren – soweit prüfbar – Meldeadressen des Absenders, wenngleich unter offenbar falschen Namen. Die Prüfung von bewusst verschleierten Meldeadressen ist in den Vereinigten Staaten ohne polizeiliche Hilfe allerdings schwer möglich, da keine Meldepflicht besteht, wie wir sie aus deutschsprachigen Regionen kennen.
Die im Bereich alter Drucke erfahrenen Abnehmer hätten derweil Prüfungen der zum Druck verwendeten Bütten- und Hadernpapiere – das sind handgeschöpfter Papiere, wie sie vor Einführung des Holzschliffpapieres Mitte des 19. Jahrhunderts üblich waren – und möglicher Wasserzeichen durchgeführt. Alte Drucke aus der angeblichen Herstellungszeit der Druckstöcke lagen aber nicht vor, sondern nur die Druckstöcke und spätere Abdrücke derselben (s. o.). Die Schwierigkeit: Da die Druckstöcke während des Buchdruckes abnutzen, wurden sie früher öfter ersetzt. Daher muss der in einer bestimmten Ausgabe eines Buches zu sehende Abdruck nicht bis ins kleinste Detail der heute vor- liegenden Druckvorlage ähneln. Oft sind zudem nur wenige Ausgaben der Werke erhalten, so dass die Anzahl und das Aussehen der beim Druck über mehrere Auflagen oder Ausgaben verbrauchten, wenngleich ähnlichen Druckstöcke heute unbekannt sind.
Hölzerne Skulpturen, Musikinstrumente (zahlreich gefälschte Stradivari-Geigen!) oder Gemälderahmen können wie weiter unten beschrieben durch die Untersuchung von Jahresringen (Dendrochronologie) geprüft werden [12-16].
Dies gilt ebenfalls für Druckstöcke. Doch zunächst scheuten die Klienten hier das notwendige Anschleifen der abgedunkelten und durch Druckfarbe geschwärzten Partien der Kunstwerke (Abb. 1). Dies ist dem Kunstmarkt geschuldet: Es ist nicht unüblich, naturwissenschaftliche Prüfungen wie Abschleifen, Mikroskopieren oder chemische Tests erst nach dem Kauf durchzuführen. Der Grund: „Zweifler bleiben auf der Strecke, Entschlossene gewinnen. Echt oder nicht echt, das bleibt dann später zu prüfen“ (Zitat des End-Händlers im hier dargestellten Fall).
2. Untersuchungsergebnisse und Diskussion
Ein deutscher Antiquar, der auf den Handel mit Inkunabeln – Drucken aus den Jahren zwischen 1454 (Fertigstellung der Gutenberg-Bibel) und 1500 – spzialisiert ist, hatte einige Druckstöcke angekauft. Vier davon legte er uns mit der Frage vor, ob mit geringem Aufwand, aber die poli- zeilichen Ermittlungen sachlich unterstützend, irgendeine uns sinnvoll erscheinende Gewissheit über das Alter des Materials zu treffen sei. Ziel war dabei auch, unseren Auftraggeber und die anderen Händlerinnen und Händler mit Daten zu unterstützen, die Druck auf die aus Sicht der Auftraggeber zögerlich geführten Ermittlungen der U.S.-amerikanischen Bundespolizei zu ermöglichen. Es handelte sich um:
• ein Portrait von Johannes Bugenhagen (ungereinigt), zwischen 1530 und 1550
• den Druckstock aus dem Narrenschiff nach Albrecht Dürer (ungereinigt), zwischen 1490 und 1540
• das Motiv Adam & Eva mit Schlange (ungereinigt), zwischen 1490 und 1540
• sowie den Druckstock Das Monster von Krakau (gereinigt) von Edward Fenton, London, 1569.
Die Jahreszahlen beziehen sich auf den anhand von Drucken, in denen die betreffenden Motive zu sehen sind, vermuteten Entstehungszeitraum.
Eine einschließende Echtheitsprüfung war unter den finanziell stark beschränkten Bedingungen nicht möglich. Diese hätte beispielsweise Nachforschungen zu damals und vielleicht bei späterer Verwendung eingesetzten Druckfarben, Pigmenten und Reinigungsmitteln erfordert. Wären hiervon Spuren nachweisbar, hätten diese eine Bestätigung der bisherigen Verwendung der Druckstöcke liefern können. Hinzu kam, dass wir unseren sonst öfters aufschlussreichen Ansatz zur Untersuchung und Zuordnung der anhaftenden Druckfarbe mittels darin enthaltener Fette oder Öle [17] verwerfen mussten: Die Druckstöcke waren erstens teils recht gründlich gereinigt und zweitens mit großer Wahrscheinlichkeit ohne Handschuhe durch verschiedene Hände, Lager sowie vielleicht auch einen Lager-Brand gegangen.
Wir führten daher in enger Absprache mit dem Klienten (es konnte sich um seltene und möglicherweise schlagartig sich verteuernde Kunstwerke handeln) im Curt-Engelhorn-Zentrum für Archäometrie Abschliffe an zwei Proben durch, um zunächst festzustellen, ob es sich (a) tatsächlich um Holz handelte und ob (b) dendrochronologische Einordungen möglich seien (Abb. 2-4).
Die Altersbestimmung von Holz erfolgt dendrochronologisch anhand der in der Probe vorliegenden Jahrringmuster. Frühholz wächst schnell, mit großen, hell erscheinenden Zellen und dünnen Wänden. In der Wachstumsphase zu kühleren Zeiten mit kürzeren Tagen entstehen kleine Zellen mit dickeren Wänden, die dunkel aussehen (Spätholz). Bäume, die Jahrringe bilden, besonders in Regionen mit deutlich unterschiedlichen Jahreszeiten, haben unterschiedliche Jahrringbreiten.
Da die Jahrringbreite durch günstige oder ungünstige Klimabedingungen schwankt, ergibt die Abfolge der verschieden dicken Ringe eine im Bestfall kalenderjahresgenaue, naturwissenschaftlich sichere Datierung. Hierzu werden die Jahresringmuster mit Referenzmaterial aus bekannten Jahresringserien verglichen. Die an Vergleichs-Hölzern bekannten Alters ermittelten Jahresring-Chronologien werden mittels der Überlappung der Jahrringe teils Jahrtausende in die Vergangenheit verlängert. Sind in einem zu untersuchenden Holzstück alle Jahrringe bis zur Rinde erhalten, kann der Fällzeitraum zudem in Frühjahrs-/Sommer- oder Winterfällung unterschieden werden. Das dendrochronologische Verfahren kommt in der Archäologie, Denkmalkunde und zur Datierung von Möbeln, Bilderrahmen und Musikinstrumenten regelmäßig zum Einsatz.
Da sich die von Beginn an bestehende Vermutung, dass die Druckstücke aus Buchsbaumholz bestünden, nach dem Abschleifen der Stücke und Sichtbarmachen der Jahresringe betätigte, da aber zugleich für diese Holzart keine dendrochronologische Sammlung vorliegt, entnahmen wir nun an zwei künstlerisch und kunsthändlerisch vergleichsweise weniger bedeutenden Bereichen hinten rückwärtig mit dem Skalpell Material (Abb. 5 und 6) und unterzogen es einer Kohlenstoff-Untersuchung, die sich bereits im Fall der Käfer-Funde an der Leiche des hl. Severin bewährt hatte [18, 19]. Gewisse Zeitspannen können hierbei zwar nicht sicher zugeordnet werden, wir beschränkten die Fragestellung aber zunächst nur auf die einfache Eingangsfrage, ob es sich überhaupt um älteres (oder modernes) Holz handelt.
Die beiden Proben wurden daraufhin vollständig mit HCl, NaOH und erneut HCl (ABA-Methode: Acid/Base/Acid) behandelt. Dann wurde durch Bleichen mit NaClO2 aus ihnen Zellulose gewonnen und nach Behandlung des Probenrestes in einem Elementaranalysator mit Verbrennung zu CO2 dieses katalytisch zu Graphit reduziert.
Der 14C-Gehalt wurde mit einem Mini-Carbon-Dating-Atommassenspektrometer (MICADAS) gemessen. Die Isotopenverhältnisse 14C/12C und 13C/12C der beiden Proben, Eichstandards (Oxalsäure-II), Blindkontrollen sowie von Kontrollstandards wurden zeitgleich im Atommassenspektrometer gemessen.
Abb. 1: Die beiden zur naturwissenschaftlichen Untersuchung verwendeten Druckstöcke, bereits von Händlerseite teils gesäubert
Abb. 2: Vorder- und Rückseiten der Druckstöcke im Schräglicht nach Teilanschliff
Abb. 3: Vorsichtiges Abschleifen eines Stückes auf der Rückseite bringt Jahresringe zutage.
Abb. 4: Zustand nach Säuberung: Keine ausreichende Jahresring-Struktur
Abb. 5: Probenentnahme zum vollständigen Verbrauch.
Abb. 6: Eingesetzte Probenmenge pro Druckstock
Abb. 7: Ergebnisse der Kohlenstoff-Untersuchung (Kalibrations-Kurven). Oben: Das größere Holzstück stammt mit einer Sicherheit von 95 % entweder aus dem Jahr 1957 oder den Jahren 1998-2001. Unten: Das kleinere Holzstück stammt aus den Jahren 1956-1957 oder 2002-2005.
Die ermittelten 14C-Alter sind auf δ13C=-25 ‰ normiert [19, 20] und wurden mit dem Datensatz IntCal20 und der Software SwissCal (Eidgenössische Technische Hochschule Zürich) sowie OxCal zu Kalenderaltern kalibriert und in Kalibrationsgrafiken dargestellt (Abb. 7).
Ergebnis: Das größere Holzstück stammt mit einer möglichen Abweichung von ±50 Jahren und einer Sicherheit von 95 % entweder aus dem Jahr 1957 oder den Jahren 1998-2001, das kleinere aus den Jahren 1956- 1957 oder 2002-2005. Damit war die Provenienz der Stücke widerlegt.
3. Schlussfolgerungen
Der Fall zog angesichts der nun erstmals vorliegenden, naturwissenschaftlichen Beweise weltweit Kreise und führte zur Aufdeckung einer umfangreichen Kunstfälschungs-Serie. Es zeigt sich, dass rein kunstwissenschaftliche Betrachtungen nicht genügen, um Echtheit oder Fälschung zu beweisen, zumal uns umgekehrt auch Fälle möglicherweise echter Werke vorliegen, die aus instituts- oder museenpolitischen Gründen nicht als solche anerkannt werden [22].
Es ist nicht nur im Sinne der Aufklärung, sondern auch der Vorbeugung von Straftaten ungünstig, dass die meisten Forschungsinstitute den Kunstbereich aktiv ausschließen, sollten doch einmal Anfragen aus diesem erfolgen. Das ist angesichts der erwähnten Eigenarten zwar nachvollziehbar, besser aber wäre es, wenn jeder Klient weiß, „in wel- chen Fällen er Sachverständige fragen soll, welche Art von solchen er wählen muss und endlich, wonach er fragen soll“ [23]. Die Möglichkeit der Expertise steht außerhalb des Bereiches der öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen, die im naturwissenschaftlichen Bereich rar gesät sind, den meisten Klienten nicht offen.
Als bad practice ist übrigens das uns mehrfach begegnete goldgräberartige Vorgehen anzusehen, bei dem Sachverständige dem auch uns bereits in anderen Kunstmarkt-Fällen gemachten und zumindest von uns sofort abgelehnten Angebot folgen, prozentual am möglichen Verkaufs- preis eines Werkes beteiligt zu werden: Die Grenze zwischen Wunsch und Wirklichkeit muss in der naturwissenschaftlichen Kriminalistik eindeutig sein [24].
Zusammenfassung
Angeblich aus dem 16. Jahrhundert stammende Druckstöcke (Holz-Stücke, in die Druckvorlagen graviert wurden), gelangten trotz als schlüssig angesehener Herkunft zur Prüfung auf Echtheit. Öl- und Fettuntersuchungen der Farbe sowie dendrochronologische Verfahren genügten nicht, so dass eine Radiokarbondatierung zum Einsatz kam. Es handelt sich, anders als vom ursprünglichen Anbieter mitgeteilt, nicht um Jahrhunderte alte Stücke, sondern um modernes Holz, das frühestens aus dem Jahr 1956 und spätestens aus dem Jahr 2005 stammt. Der Fall zog daraufhin im Kunsthandel weltweit Kreise.
Schlüsselwörter: Radiokarbondatierung – Kunstfälschung – Naturwissenschaftliche Kriminalistik – Druckstöcke – Holzuntersuchung
An international case of art forgery solved by radiocarbon dating
Summary
Wooden printing blocks, allegedly from the 16th century, were analyzed using radio- carbon dating. Provenance seemed to be acceptable to the art dealers. Dendrochronological methods (boxwood) and analysis of fatty residues (too many contact persons touched the material; also, a warehouse fire was supposed to have happened) had not lead to results. 14C dating showed that the wood is modern (earliest 1956, latest 2005). The case had inter- national implications on the art market.
Keywords: Radiocarbon dating – Art forgery – Criminalistics – Forensic Science – Printing block – Wood
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