Warum ist True Crime interessant? 🔬

Die Fragen stellte Emily Hohenwaldt.

Emily Hohenwaldt: Was glauben Sie, warum sind True Crime Fälle so interessant fĂĽr die Menschen? 

Mark Benecke: Menschen mögen Rätsel, ganz allgemein. Menschen, die dem Tod oder Gewalt und Missbrauch ein bisschen zu nah gekommen sind, mögen vielleicht etwas grimmigere Rätsel. Anderen ist langweilig und sie brauchen etwas, was sie ablenkt. Wieder andere würden vielleicht jemanden töten oder sich rächen, trauen sich aber nicht und gießen das Ganze dann in True Crime, wo sie als "die Guten" etwas über "die Bösen" lernen können.

Warum sind wir eigentlich so fasziniert von True Crime und wie erklären Sie sich den riesigen Erfolg des Genres?

Naja, es gibt ja schon mindestens ein Buch aus dem dreizehnten Jahrhundert dazu.

Foto: Mark Benecke

Ob das jetzt ein "Erfolg" ist oder nicht, weiss ich nicht. Mögliche Gründe habe ich ja schon in der vorigen Frage angedeutet. Hinzu kommt, dass seit der Erfindung der naturwissenschaftlichen Kriminalistik durch Edgar Allan Poe und Arthur Conan Doyle eine Vermengung von Erfundenem und der Freude an messbaren Spuren sozusagen schon in der Natur der Sache liegt. Wie "true" True Crime im einzelnen ist, das schwankt doch sehr stark.

Haben Streaming Dienste dazu beigetragen, dass wir uns mehr fĂĽr das Thema interessieren? 

Das war nur Corona-bedingt, weil viele Menschen da auf einmal wieder mehr gelesen und eben auch Podcasts gehört haben. True Crime an sich ist auch schon in der Welt der BĂĽcher und Zeitschriften seit sehr langer Zeit ein "Hit". Es gibt allerdings in Mittel-Europa immer weniger schwere Verbrechen, so dass "True" Crime hier vielleicht eine LĂĽcke fĂĽllt.  

Hören wir so etwas wie Podcasts gerne, weil wir eine gewisse Lust an der Angst haben?  

Ich höre keine Podcasts, daher kann ich es dir nicht sagen. Wer SpaĂź an Angst hat, kann aber auch Horror-Filme gucken, daher glaube ich eher, dass True Crime etwas fĂĽr Menschen sein könnte, die selbst Erfahrungen mit Verbrechen und Missbrauch gemacht haben oder sich eben besonders "gut" im Vergleich zu den Bösen fĂĽhlen möchten.

Welche positiven oder negativen Auswirkungen könnte True Crime auf die Menschen haben? 

Wenn es nach mir ginge: Dass erst die Spuren gemessen werden mĂĽssen und danach alles andere kommt. Keine Spuren, keine sinnvolle und tatsächliche Fall-Beschreibungen, sondern nur Wortgeklingel. Beruflich bin ich froh, dass viele Fälle grĂĽndlich aufgeschrieben wurden, da ich sie dann mit neuen Fällen vergleichen kann und etwas fĂĽr die Vorbeugung weiterer, kĂĽnftiger Fälle daraus ableiten kann.  

Was halten Sie von dem Gedanken, dass Krimis und True-Crime-Geschichten deswegen so beliebt sind, weil wir mit ihnen Bedrohungsszenarien mental durchspielen können – um uns darauf vorzubereiten, aus sicherer Distanz vom Sofa aus?

Ich kenne dazu keine Untersuchung. Grundsätzlich ist das möglich, weil ja auch alle Tiere einschlieĂźlich Menschen gerne spielen und "herum toben", um sich zu erproben und vorzubereiten auf ernstere Auseinandersetzungen. Vielleicht sind auch die News-Meldungen zu Verbrechen vor allem dazu da, uns erstens ein bisschen vorzubereiten und zweitens zu warnen, wo es gefährlich sein könnte. Ob das immer gut klappt, ist eine andere Frage, aber das Interesse könnte daher rĂĽhren, klaro.  

Macht es fĂĽr die Zuschauenden einen Unterschied, zu wissen, dass es sich um wahre Verbrechen handelt und nicht um ein erfundenes, wie zum Beispiel in einem Krimi? 

WĂĽrde mich wundern. Menschen drehen sich ihre Wirklichkeit ja dauernd zurecht: Katze streicheln, Pute und Rind tot foltern, "denn das ist ja was anderes". 

Sind die Fälle einzig zum Unterhaltungswert da oder können solche Fälle auch zur Aufklärung beitragen?

Du meinst, wie in Fernseh-Sendungen oder Zeitungs-Berichten, wo Fotos oder ähnliches zum echten Fall gezeigt werden und Zeug:innen gesucht werden? Ja, das führt manchmal zu Hinweisen und der Aufklärung der Tat.

Es macht den Eindruck, dass mehr Frauen sich mit dem Thema True Crime beschäftigen als Männer. Woran könnte das liegen? 

An allem, was wir bisher schon besprochen haben, aber auch daran, dass Frauen sich weniger ekeln. Blut, Sperma, Haare, Insekten und dergleichen sind bei Männern unbeliebter. Grundsätzlich lesen Frauen aber auch mehr BĂĽcher und Zeitschriften aller möglichen Fachrichtungen oder Märchen-Geschichten. 

Gibt es einen Fall der Sie eventuell besonders interessiert hat oder der Sie besonders mitgenommen hat? 

Für mich sind alle Fälle gleich. Anders könnten wir im Team nicht arbeiten. Wenn du Fälle bewertest, hast du deine Unbefangenheit verloren. Wir kämpfen nicht für irgendwen, sondern nur für die messbare Wahrheit.

Gab es während Ihrer Arbeitszeit schon einmal einen Fall, der Sie sehr beschäftigt hat? 

Ich hänge mich in alle Fälle gleich rein. Leider gibt es aber öfters keine Spuren, da können mein Team und ich dann nichts machen.

Sind Sie durch Ihre Arbeit auch schon auf das Thema True Crime gestoĂźen? Wenn ja, wie kam es dazu?

True Crime ist fĂĽr mich eine Informations-Quelle. Ich habe eins meiner BĂĽcher daher auch True Crime-Autoren gewidmet, nämlich François Gayot de Pitaval (1673–1743), Julius Eduard Hitzig (1780-1849) und Willibald Alexis (1842–1890). 

Denken Sie, dass Ihre Arbeit im Bereich der Kriminalbiologie oder der forensischen Entomologie dazu beitragen kann, dass Verbrechen oder Morde öfter aufgeklärt werden können?

Ja.