Rendezvous mit dem Herrn der Maden

Quelle: Der Penis, Organ der freien Jugend, Dez. 2019, S. 14—15

Verwesende Körper, Maden an Leichen, vertrocknete menschliche Überreste - dieser Grusel war es wohl, warum die meisten der Besucher zum Vortrag von Dr. Mark Benecke gekommen waren. Über 400 füllten die ausverkaufte Schweinfurter Stadthalle, um den "Herrn der Maden" oder "Dr. Tod", wie er,auch genannt wird, und seine Geschichten zu hören.

Der Popstar unter den Kriminalbiologen, ein Phänomen. Und das, was die Zuhörer erwarteten, bekamen sie auch. Aber erst in der zweiten Hälfte des Abends. Zuerst einmal empfingen einen beim Betreten des Saals laute elektronische Rockmusik und deutliche Anweisungen auf der Leinwand: Autogramme und Selfies nur bis 15 Minuten vor der Show und in der Pause, die exakt 38 Minuten dauert. Film- und Fotoaufnahmen verboten. Fragen können schriftlich in der Pause eingereicht werden. Ende spätestens um 22.35 Uhr. Ironie? Eher nein. Ein sehr professionell und straff durchorganisiertes Event. Effektiv. Pünkticher Beginn. Mark Benecke steht ziemlich unaufällig vorne hinter seinem Laptop und wiederholt die Hinweise noch einmal selbst. Dann gibt der Herr Doktor erst einmal eine Einführung in wissenschaft-liches Arbeiten.

Erklärt grundsätzliche Vorgehensweisen bei Untersuchungen von Spuren, ob Kriminalfall oder nicht. Sehen, Schlüsse ziehen, Glauben, Querverbindungen finden — alles Quatsch! Nur was ge-messen wird und werden kann, das zählt. Alles andere kann in die Irre führen. Er spricht völlig frei, ohne Manuskript, und das in locker-amüsantem Plauderton und staubtrockenem Humor, ohne sein ernstes Thema zu veralbern. Lustig wird das, weil die Bildbeispiele, die er dazu heranzieht, direkt aus Schweinfurt stammen. Sein Weg vom Bahnhof SW-Stadt führte ihn als erstes prompt am Coupé 36 und am Pussycat-Club vorbei. Zusammen mit dem Verkehrsschild "Achtung Gegenverkehr" könnte man falsche Schlüsse ziehen. Leuchtet ein.

Dann Bilder von alten Flaschen in der Hadergasse, rätselhafte Schilder in dem Schaufenster eines Videospielladens, seltsame Architektur in der Innenstadt, alles wird objektiv untersucht und wissenschaftlich hinterfragt. Da wird viel gelacht. Der dünne Mann mit Glatze und Brille, bekannt von "Medical Detectives" oder seinen zahlreichen Büchern, hat großen Unterhaltungswert. Und ist ein Workaholic: die "Medical Detectives" hat er selbst nie gesehen, sagt er, hat für so etwas keine Zeit, dafür hätte er in der letzten Nacht 17 Stunden lang E-Mails beantwortet.*

Und dann kandidiert er jetzt auch noch für DIE PARTEI als OB-Kandidat in Würzburg, wie kurz vorher bekannt wurde! Darum gibt es in der Pause auch einen Stand im Foyer, an dem die Vertreter der PARTEI aus Würzburg und Schweinfurt (wie André Zielenkewicz) Aufkleber und Flyer verteilen. Nun, sollte Mark Benecke tatsächlich Würzburger Oberbürgermeister werden, gibt es in der Unterfrankenmetropole bestimmt einige Leichen im Keller, die er näher untersuchen könnte.

Im zweiten Teil dann stehen auch endlich die Leichen im Vordergrund. Erst aber werden die auf Zetteln eingereichten Zuschauerfragen beantwortet. Was war die interessanteste Leiche bisher? (Antwort: keine Leichen ist interessanter oder ekliger als eine andere) Kann auch in lebenden Körpern Verwesung stattfinden? (An und für sich nicht, außer bei Zersetzungsprozessen von bestimmten Krankheiten) undsoweiter.

Jetzt das eigentliche Thema des Abends: "The Body Farm" in Knoxville, Tennessee. Mark Benecke hat viele verschiedene Vorträge in seinem Repertoire, über Forensik oder ungewöhnliche Todesfälle. Heute in Schweinfurt geht es über ein Gelände der University of Tennessee, auf dem Tote liegen, damit an ihnen der Verwesungsprozess unter verschiedenen Umständen untersucht werden kann. Unter freiem Himmel, in Erde eingegraben, in feuchter und in trockener Umgebung, in warmen und in schatti-gen Ecken. Wichtige Erkenntnisse für Morduntersuchungen. Nicht nur die amerikanischen Studenten, darunter viele Polizeianwärter, auch Dr. Benecke als Fachmann nutzen die weltweit fast einzigartige Bodyfarm für ihre Forschungen. Er zeigt schöne Bilder von Leichen in verschiedenen Zersetzungszuständen, im Ganzen und im Detail. Grüne Flächen mit Bakterien am Bauchgewebe, blaue Mikroben am Fußknöchel, "und das weiße Häufchen da unter den Augen, das sind die Maden, da war wohl noch Rest-flüssigkeit vom Augapfel". Ja, es gruselt einen schon ein bisschen. Eine Dame muss kurzzeitig den Saal verlassen, alle anderen schauen gebannt.

Mir wird nur etwas komisch, als er vom fehlenden Körperfett bei Leichen erzählt, die im Bett gefunden wurden. "Das ist durch die Matratze getrieft, das findet man dann meistens unter dem Bett am Boden." Ein faszinierender und kurzweiliger Abend mit einem beeindruckenden und sympathischen Erzähler. Nur einmal wird der so locker Mark Benecke ganz ernst, richtiggehend böse. Und zwar, als trotz des Verbots jemand Foto- oder Videoaufnahmen macht Er nimmt dem Übeltäter die Kamera weg und meint "das werden wir dann mal alles löschen. Das ist kein Spaß, das ist ein Straftatbestand!" Da kann sich der Würzburger Stadtrat warm anziehen, wenn der Herr der Maden die Wahlen gewinnt.

(*) Die Zahl ist ein Scherz der Redaktion — MB


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