Derzeit ist die Schulpflicht in Sachsen, so wie in vielen anderen Bundesländern, ausgesetzt. Es findet lediglich eine Notbetreuung für SchülerInnen von Eltern statt, bei denen beide einem Beruf der sogenannten "kritischen Infrastruktur" arbeiten. Für die Kinder und Jugendlichen bedeutet das jedoch nicht, dass sie nun Ferien haben, sondern sie haben in ihrer Lernzeit Aufgaben zu bearbeiten.
Und da beginnt das Dilemma:
1. Es gibt sehr viele SchülerInnen, die nicht eigenständig lernen können und die deshalb sehr viel Zuwendung von dem/der LehrerIn benötigen.
Viele SchülerInnen an einer Förderschule haben kein unterstützendes Elternhaus (nicht alle!) und werden wahrscheinlich in den Wochen der Lernzeit nur sehr wenig üben. Das bedeutet für mich das angebotene Lernmaterial so anzubieten, dass es wirklich jeder meiner SchülerInnen leisten kann. Wo ich im normalen Schulalltag schon sehr fein differenziere, muss ich nun noch viel genauer sein. Das kann meines Erachtens keiner meiner Lehrwerke leisten und so kopiere ich wie ein Weltmeister, kreiere eigene Arbeitsblätter, und fahre alle Medien auf.
Wer jetzt denkt: "Mensch, 21. Jahrhundert... Computer und Tablets", der war wahrscheinlich noch nie in einer Schule. Ich bin dankbar für meine tollen KollegInnen, mit denen ich mich stets austauschen kann, und für unsere tolle Schulleitung, die technische Neuerungen mit offenen Armen empfängt. Viele LehrerInnen versuchen gerade jetzt viel mit Apps zu arbeiten.
Ein Arbeitsblatt kann nicht sprechen und meinem Erstklässler mit geringem Wortschatz und einer Sprachentwicklungsverzögerung die Bilder benennen - die App schon. Dennoch bleibt eine intensive Förderung, die wir als Sonderpädagogen tagtäglich leisten, aus.
Kein Elternteil kann und soll das leisten können.
2. Eltern werden in manchen Fällen ihre Kinder über- oder unterfordern. Ja, wir waren alle mal in der Schule, aber nicht umsonst haben LehrerInnen viele Jahre studiert. Wir kennen eure Kinder häufig aus einer anderen Perspektive, die für manche nur schwer zu akzeptieren ist. Deshalb versuchen wir einen engen Kontakt, soweit dies die Eltern zulassen, zu pflegen, um mit Rat und Tat zur Seite zu stehen.
Niemand soll allein durch diese außerordentliche Zeit. Die Eltern-Kind-Beziehung wird meist auf eine harte Probe gestellt. Ich habe mir auch nur ungern etwas von meiner Mutter erklären lassen. Und ab Klasse 5 war sie in Mathe eh raus :)
3. Der Lehrplan, dem wir vorher bereits hinterher gerannt sind, rückt nun noch mehr in weite Ferne. Die Schere wird nach der Krise, wann auch immer das sein wird, noch weiter auseinander gehen. In der nächsthöheren Klasse geht man einfach davon aus, dass bestimmte Inhalte gelehrt wurden.
4. Die Diagnostiken, die wir stetig durchführen, um sonderpädagogischen Förderbedarf zu ermitteln und SchülerInnen für unsere Schule zu ermitteln, können jetzt nicht stattfinden.
5. Einige unserer SchülerInnen haben SchulbegleiterInnen werden nun schlagartig arbeitslos. Es sei denn, die Eltern erlauben es, dass diese nach Hause zur Unterstützung kommen. Wo viele wahrscheinlich sich über diese Hilfe freuen würden, lehnen es mindestens genauso viele ab.
6. Was passiert mit den Familien, die eine Familienhilfe haben? Eltern, die "normal" schon überfordert sind mit der Erziehung und Betreuung ihrer Kinder? Schule bietet häufig einen sicheren Hafen für ebensolche Kinder und Jugendlichen, der nun in weite Ferne rückt. Ich möchte kaum daran denken, in welchem Maße die Rate an häuslicher Gewalt oder Kindeswohlgefährdung nun steigt.