Der Herr der Maden

Quelle: Oberbayrisches Volksblatt

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ANNA HEISE

Kriminalbiologe Dr. Mark Benecke über Tod, Insekten und die Pandemie

Rosenheim — Der wohl bekannteste Kriminalbiologe Deutschlands, Dr. Mark Benecke, kommt am heutigen Freitag nach Rosenheim. Vorab hat er bereits mit den OVB-Heimatzeitungen gesprochen — über Mord, Maden und warum der Tod ihn so fasziniert.

Was fasziniert Sie am Bösen?

Nichts. Ich mag es aber nicht, wenn Menschen auf der Couch hocken, Chips futtern und klugscheißerisch eine bessere Welt fordern. Dazu muss man auch mal an den Rand des Randes blicken, wo es stinkt und wackelt. Gemütlich in der Mitte rumsitzen löst gar nix. Es geht darum, selbst anzupacken. Ich hatte die Möglichkeit, mit Serientätern zu arbeiten. Also habe ich das gemacht, bevor das Wissen, das diese Menschen über sich selbst haben, einfach untergeht.

Wie würden Sie Ihr Verhältnis zum Sterben beschrieben?

Ich war erst kürzlich im Hospiz, es war sehr angenehm und entspannt. Irgendwann ist das Leben halt zu Ende — wir haben eine Runde auf dieser Erde, und mit der können etwas Schönes versuchen.

Wollten Sie schon immer in der Rechtsmedizin arbeiten?

Nein, ich bin aber sehr gerne Kriminalbiologe, weil ich da alles, was ich als Kind gut fand, weiter machen kann: Chemie, Physik, fotografieren, tüfteln, forschen und kein Sport.

Wie sind Sie zur Rechtsmedizin gekommen?

Für meine Promotion über genetische Fingerabdrücke wollte ich eigentlich Vaterschaftstests bei Flamingos im Zoo machen. Das hat mangels Geld für die Chemikalien dort nicht geklappt, und so habe ich Fadenwürmer untersucht. Gelernt habe ich die Technik in den Kellerräumen der Rechtsmedizin der Uni Köln. Da habe ich mich mit den Fachkollegeninnen und -kollegen, auch Polizist:innen, unterhalten und ihnen auch mal ein paar Insekten gezeigt, die an Leichen leben.

Sind Fliegen, Asseln und Käfer typische Insekten auf einer Leiche?

Asseln spielen keine Rolle, wenn es um die Leichenliegezeit geht: Wir kennen ihre Entwicklungsdauern nicht. Bei Fliegen sind vor allem Schmeißfliegen — die „Brummer" — interessant, weil sie sehr früh kommen. Ich hatte aber auch schon Leichen mit Käsefliegen und vielen anderen. Käfer gibt es auch massenhaft, aber an eher trockeneren Leichen, beispielsweise Teppichkäfer oder Kurzflügler.

Beeinträchtigt das Insektensterben Ihre Arbeit?

Alles Mögliche beeinträchtigt meine Arbeit: Geld, Energie, Machtgeschubse und Wortgeklingel — et ist wie et is. Ich arbeite mit dem, was da ist und was machbar ist. Die Insekten-Sache siedelt höher an: Es ist ein Schlaglicht auf das ganz große Artensterben, in dem wir uns gerade befinden, der sechsten großen Auslöschungs-Welle des Lebens. Da die Zusammenbrüche von Nahrungsnetzen dieses Mal uns Menschen treffen — Geld kann man zwar essen, es ist aber nicht nahrhaft — brauchen wir uns kriminalistisch kaum Sorgen machen: Wenn's keine Kulturen mehr gibt, brauchen wir auch keine Spurenkunde mehr.

Woher kommt Ihr großes Interesse am Mord und dessen Aufklärung?

Ich hätte lieber eine Welt ohne Verbrechen. Wenn ich verstehe, wann, wie und warum eine Tat geschehen ist, können wir alle vielleicht die nächste und übernächste Tat verhindern.

Ihre Ausbildung fand auch beim FBI statt. Wird dort anders gearbeitet, als hier in Deutschland?

Naja, überall in Zeit und Raum wird verschieden gearbeitet. Das ändert sich laufend. In den angloamerikanischen Ländern herrscht grundsätzlich etwas mehr Freude am Ausprobieren, Ärmel hochkrempeln und der Frage, ob etwas nun nützt oder nicht. In Deutschland sind wir zurückhaltender, dafür sparen wir uns auch viele Anfängerfehler. Wirklich unerklärlich auf der FBI-Academy waren bloß die dünnen Bettdecken. Heute reise ich nur noch mit Heizdecke. Auch kein Witz.

Arbeiten Sie noch aktiv als Kriminalbiologe?

Ja, mein Team und ich haben über 1900 Akten für „echte" Fälle. Wenn ich die ganzen Trainings, Angehörigen-Besprechungen und Auslandseinsätze dazuzähle, ist das schon einiges. Wir rechnen aber nicht in Leichen, sondern in Fällen — ich arbeite nicht für die Toten, sondern für die Lebenden.

Was war Ihr spektakulärster Fall?

Keine Ahnung, das müssen Sie entscheiden. Für mich sind alle Fälle haarge-nau gleich. Wäre auch schlimm, wenn es anders wäre, dann würde ich ja mehr Energie in den einen Fall setzen als in einen anderen, von dem ich annehme, dass er weniger spannend ist. Da ich aber keine Annahmen mache, bearbeite ich alle Fälle gleich.

Verliert der Schrecken am Tatort mit der Zeit seine Intensität?

Der Blick nur auf die messbaren Spuren — das war bei mir von Anfang an so. Anders frisst sich der Job, glaube ich zu sehr ins Herz. Ich liebe Spuren, und die suche und bearbeite ich am Fundort. Den Rest können die anderen — jeder kann was anderes.

In Ihrer Arbeit sind Sie ständig mit dem Tod konfrontiert. Wie gehen Sie damit um?

Mit dem Tod gehe ich gar nicht um, er ist einfach da, so wie das Wetter, Tag, Nacht und die Gezeiten.

Sie sind nicht nur am Tatort aktiv, sondern auch Autor, immer wieder zu Gast im Fernsehen und halten Vorträge. Wie schaffen Sie das alles?

Aspergische Organisation, keine Ausreden, ein verlässliches Team, schlanke Strukturen — meine Frau und ich hatten sehr lange ein Bett im Labor und keine eigene Wohnung, ein elektronischer, von meiner Frau selbst programmierter, gut ausgetüftelter Kalender und eine uneingeschränkte Erreichbarkeit 365 Tage im Jahr.

Sie schreiben viele Bücher, darunter auch Experimentierbücher für Kinder. Wie gehen Kinder mit dem Tod um?

Kinder sind da völlig entspannt. Ich mache mit Hoch- und Höchstbegabten Trainings in allen möglichen Schulen. Tina — meine Mitarbeiterin — und ich haben auch schon in der Psychiatrie mit den Kids Unterricht gemacht. Das beste an Kriminalfällen ist, dass Kinder Spaß am Tüfteln haben, ohne wie Erwachsene irgendwelchen Scheiß mit in den Fall zu schleppen: sexuelle Fantasien, Rache-Gelüste, Krimi-Tricks. Sie sehen die Spuren klar und sauber.

Reden wir für noch kurz über die Pandemie. Wissenschaftler warnen seit Jahren davor. Hat Sie der weltweite Ausbruch überrascht?

Nö, meine Frau und ich haben schon seit Jahren gewettet, was schneller passiert. Ich hatte auf klimabedingte Wirtschafts- und Kultur-Zusammenbrüche getippt oder einen fetten Vulkanausbruch, sie auf einen Meteoriten-Einschlag.

Wie hat sich Ihr Leben seit der Corona-Krise verändert?

Die Vorausplanung wurde schwieriger, aber ich konnte dafür ein Buch über Stare, Möpse und Alexandersittiche schreiben, was ich schon lange machen wollte, das Geburtshaus von Tiervater Brehm im tiefsten Thüringen besuchen und Berge wertvoller Comics spenden, unter anderem an die Staatsbibliothek in Berlin. Und wir waren mega-überrascht, dass wir am Ende den größten Corona-Aufklärungs-Kanal bei Youtube hatten, ohne Fremdworte, ohne Werbung, ohne Geschwafel, nur mit beweisbaren Antworten auf die Fragen der Einsenderinnen und Einsender.

Foto: Gehört zu den bekanntesten Kriminalbiologen in Deutschland: Dr. Mark Benecke aus Köln wurde vom FBI ausgebildet und operiert international. Er hat Speziallabors in Kolumbien, Vietnam und auf den Philippinen errichtet. FOTO BENECKE.COM

— Mit vielem Dank an die Redaktion für die Erlaubnis zur Verwendung —


Mark im Hospiz

Waren 2021


Hommage an Brehm

Thüringer Allgemeine


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