Quelle: Interview, 21. Dezember 2022
Wie war’s im Knast?
Nachdem wir den Betrieb des Münchner Flughafens am 8. Dezember 2022 unterbrochen haben, kam ich für 10 Tage in Präventivhaft in die JVA Stadelheim mit sechs anderen Menschen. Zwei weitere waren zu dem Zeitpunkt bereits im Gefängnis und sollen noch bis zum 5. Januar 2023 dort bleiben.
Es war natürlich anstrengend und nicht angenehm, in meinen Freiheiten eingeschränkt zu sein. Mir wurde hier ganz deutlich am eigenen Körper bewusst, was der Regierung unsere Zukunft scheinbar bedeutet. Diese Absurdität, dass wir weggesperrt werden während die Klimakrise täglich weiter eskaliert, wurde hier besonders gut spürbar.
Trotzdem ging es mir natürlich verhältnismäßig gut im Gefängnis. Ich hatte Wärme, Essen und wurde gut behandelt. Mir war bewusst, dass diese Privilegien so vielen Menschen verwehrt sind, die Widerstand leisten oder die an den Folgen der Klimakrise bereits jetzt leiden.
Die ersten fünf Tage verbrachte ich allein in einer Zelle. 23 Stunden war ich dort täglich und eine Stunde hatte ich Hofgang mit den beiden anderen Frauen, die mit mir zusammen am Flughafen waren. In der Stunde durften wir auf einen kleinen Hof, konnten uns austauschen und frische Luft schnappen. Das war das Highlight des Tages. Den Rest des Tages verbrachte ich mit Lesen, Briefe schreiben, Yoga und Sport und viel Schlafen.
Da ich bereits zwei Wochen vorher für fünf Tage in Präventivhaft war, wusste ich bereits, was mich erwartet. Draußen fiel der erste Schnee und es wurde langsam winterlich, das erinnerte uns daran, dass Weihnachten vor der Tür steht. Ich dachte an meine Familie und daran, dass ich normalerweise die Zeit jetzt mit ihnen verbringen würde anstatt im Gefängnis zu sitzen. Das machte mich traurig, aber ich fühlte mich trotz allem am richtigen Ort. Denn wenn wir uns weiterhin eine ruhige und gemütliche Weihnachtszeit wünschen, ist jetzt der Zeitpunkt an dem wir handeln müssen. Mir war bewusst: Das ist vielleicht das letzte Weihnachten, an dem wir noch etwas reißen können. Und was ist ein versäumtes Weihnachten im Gegensatz zu einem versäumten Leben?
Jeden Tag wurde mir die Unverhältnismäßigkeit des Ganzen bewusst. Ich saß ja nicht zur Strafe hier, ich saß dort, weil ich eine „Gefahr für die Allgemeinheit“ darstellen würde und „weitere Straftaten verhindert werden müssen“.
Dass die Regierung aber täglich durch fehlenden Klimaschutz unser Grundgesetz bricht und uns immer weiter in die sichere Klimahölle leitet, scheint keine Gefahr für die Allgemeinheit zu sein. Mit jedem Tag, den wir hier eingesperrt saßen, wurde diese Absurdität in der Öffentlichkeit sichtbar.
Nachdem die fünf Tage der Quarantäne (Corona) vorbei waren, wurden wir zu dritt in eine Sammelzelle verlegt. Dort verbachten wir den ganzen Tag, ausgenommen des einstündigen Hofgangs jeden Morgen früh im Dunkeln und zwei Stunden Aufschluss, zu denen wir uns im Flur und im Aufenthaltsraum aufhalten durften.
Zusammen war die Einsamkeit nicht mehr so spürbar. Wir bekamen außerdem die ersten Briefe von draußen. Wir lasen uns gegenseitig Zeitungsartikel vor, schreiben Briefe, spielten Spiele und wurden kreativ mit dem, was wir zur Verfügung hatten.
Hast du im Knast geschlafen? Wie? Wo? Wie lange?
Ich habe zehn Tage in der JVA Stadelheim verbracht und dort geschlafen, die ersten fünf Tage in einer Einzelzelle, die restlichen fünf Tage in einer Gruppenzelle zusammen mit den zwei anderen Frauen.
Was gab es zu essen? Wie kamst du damit klar? Hast du dir Essen von außen kommen lassen?
Es gab zweimal täglich was zu essen. Einmal um elf Uhr, das war das „Mittagessen“, was meist warm war. Zwischen 13 und 14 Uhr gab es dann „Abendessen“, was aus Brot mit Aufstrich und Obst oder Gemüse bestand. Auch wenn es nur zwei Mahlzeiten am Tag waren, kam ich ganz gut damit klar. Es war möglich, sich vegan oder vegetarisch zu ernähren, auch wenn das erst erkämpft werden musste. Außerdem gab es zwei Liter Tee am Tag. Von Außen konnte kein Essen reingegeben werden, man musste sich also mit dem begnügen was es gab.
Wie haben Personal und Mithäftlinge mit dir geredet? Haben sie gelacht, weil das ja gar kein echtes Delikt ist? Gab es Sprüche?
Das meiste Personal war freundlich zu uns, spätestens nachdem sie merkten, dass auch wir freundlich und offen sind. Der Umgang miteinander war menschlich und oft interessiert. Es wurden auch mal Späße gemacht und einige Justizbeamtinnen hatten unsere Aktionen verfolgt und schienen sich zu freuen, uns wiederzusehen, nachdem sie uns schon kannten von den Aktionen die Wochen vorher. Dadurch, dass wir nicht verurteilt waren, sondern als Präventivhäftlinge nach dem PAG* da waren, durften wir nicht mit anderen Mithäftlingen in Kontakt kommen.
*Gesetz über die Aufgaben und Befugnisse der Bayerischen Polizei (Polizeiaufgabengesetz – PAG)
Du redest vom Weltuntergang, viele andere von Autostaus. Wie erklärst du dir, dass der von euch anhand von Messungen und Tatsachen geschilderte Ernst der Lage nicht "überspringt", also, dass viele nicht sagen: "Also okay, wenn Menschen ihre Zeit hergeben, sich festkleben und sogar in den Knast gehen — da muss doch etwas Ernsteres dahinter stecken"?
Wir sehen, dass sich momentan immer mehr Menschen solidarisieren und unser Protest eine Wirkung hat. Gerade dadurch, dass Menschen zum Teil bis zu dreißig Tagen weggesperrt werden, hat für einen Aufschrei gesorgt, der Solidemos in verschiedenen Städten zur Folge hatte und für viele Menschen ein Auslöser war, diese Absurdität nicht mehr länger mitzumachen. Demzufolge gab es Klagen gegen das bayrische Polizeiaufgabengesetz. Dass Menschen sogar bereit sind, Gefängnisaufenthalte auf sich zu nehmen und auch das sie nicht aufhalten kann bringt Menschen dazu, sich zu fragen, warum wir das tun was wir tun und macht sie dem Notfallmodus bewusst in dem wir uns befinden.
Gerade diese Repressionen, die ja im Angesicht unseres friedlichen, demokratischen Protests völlig unangemessen sind, haben uns Spenden, öffentliche Solidaritätsbekundungen und Menschen, die bereit sind, sich mit auf die Straße zu setzen gebracht. Die Menschen, die vor uns im Stau stehen sind natürlich oft aufgebracht und können im ersten Moment nicht verstehen, warum sie es sind, die nun aufgehalten werden. Dafür entschuldigen wir uns auch und versuchen ihnen klarzumachen, dass wir uns nicht an sie direkt richten sondern die Regierung adressieren. Dass wir auf der Straße sitzen, hat den Hintergrund, dass diese Infrastruktur in Deutschland am besten funktioniert, um mitten in der Gesellschaft unignorierbar zu sein und den Alltag zu unterbrechen.
Mittlerweile kommen auch während der Blockaden immer häufiger nette und positive Rückmeldungen. Das war anfangs noch ganz anders, da gab es fast ausschließlich negative Rückmeldung. Unser Anliegen ist es nicht, dass die Menschen, die im Stau stehen uns mögen. Sondern dass wir mit dem Thema der Klimakrise in den Diskurs kommen und die Menschen nicht mehr an dem Thema vorbei kommen. Und das funktioniert: Auch wenn sich diese Menschen, die sich über uns aufregen, mit ihren Familien am Küchentisch über uns reden, fragen sie sich vielleicht warum wir das überhaupt machen.
In einem System, das gesteuert ist durch die Macht großer fossiler Konzerne und den fehlenden Möglichkeiten, die es einem erlauben würden den Wandel zu leben, den wir jetzt brauchen, ist es schon eine Hemmschwelle sich freiwillig aufzulehnen und sich diesem ungerechten Kurs zu widersetzen. Wir merken aber, dass durch die Dramatik der Krise und den Diskurs darüber immer mehr Menschen erkennen, dass wir auf einen Abgrund zurasen und sich dazu entschließen, sich dem in den Weg zu stellen.
Warum lebst du nicht damit, dass die Menschheit vielleicht zu lahm und an Tatsachen nicht genug interessiert ist, als dass sie sich rasch genug ändern können wird?
Wir befinden uns auf einem ganz schmalen Grat mit der Entscheidung: Katastrophe oder Überleben? Noch ist es eine Entscheidung, die wir selbst treffen können.
Solange wir noch die Chance haben, etwas zu verändern, sehe ich es als meine moralische Pflicht, zu tun was ich kann. Wie können wir es verantworten, zukünftige Generationen und Milliarden von Menschen in eine Welt voller Leid zu schicken wenn es doch auch anders geht? Bereits jetzt leiden und sterben viele Menschen in Regionen die stärker von den Auswirkungen der Klimakrise betroffen sind als wir in Deutschland.
Die Geschichte und die Sozialwissenschaft haben gezeigt, dass friedlicher ziviler Widerstand das beste Mittel der Wahl ist um schnelle Veränderungen voranzubringen, wenn alle anderen Mittel bereits ausgeschöpft sind.
Außerdem haben wir bereits in anderen Situationen gesehen (beispielsweise bei Corona oder dem Ukraine-Krieg) dass Veränderungen sehr schnell möglich sind, wenn der Notfall als solcher anerkannt wird.
Es gibt bereits genug Pläne, Wissenschaftler:innen und Expert:innen um die ökologische und gesellschaftliche Transformation durchzuziehen, die wir brauchen um weiterhin in einer lebenswerten Welt zu leben. Was fehlt, ist der Wille der Regierung. Ich fordere unser Recht auf Leben von der Regierung ein und solange sie dieses verwehrt, werde ich weitermachen, egal welche Mittel sie einsetzt, um uns zum Schweigen zu bringen und die Fakten unter den Teppich zu kehren. Die Welt, wie wir sie uns alle wünschen, ist noch greifbar.
Warum findest du Klebe-Aktionen besser im Vergleich zu beispielweise Mitglied bei den Grünen werden, vor Ort in Schulen und Kindergärten mit den Kids kleine Umwelt-Aktionen machen, in sozialen Medien Beiträge schreiben?
Im Angesicht des sich immer schneller schließenden Zeitfensters ist unsere Form des Protests das wirksamste Mittel, das mir gerade zur Verfügung steht. Würde ich jetzt in eine Partei eintreten und Jahre ins Land gehen lassen, bis ich parteipolitisch etwas verändern kann, wäre das Zeitfenster bereits längst geschlossen. Die Kipppunkte im Klimasystem rücken immer näher und sind irreversibel, wenn sie erstmal losgetreten sind.
Solange wir noch Einfluss haben auf die Klimaveränderungen, müssen wir das tun, was jetzt effektiv zu Veränderung führen kann. Die Geschichte hat gezeigt, dass der friedliche zivile Widerstand hier das effektivste Mittel ist. Der Großteil aller Demokratien wurden durch zivilen Widerstand erkämpft, Frauenwahlrechte, die Unabhängigkeit Indiens und Erfolge in der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung sind nur einige der bekanntesten Beispiele davon.
In einer so kritischen Situation braucht es jetzt Handlung anstatt Worte.
Ich halte zusätzlich zu den Straßenblockaden auch öffentliche Vorträge, in denen die Situation klar wird, in der wir uns befinden und welche Leute ermutigt, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und sich dem zerstörerischen Kurs zu widersetzen.
Öffentlichkeitsarbeit ist auch Teil unserer Kampagne, schließlich wollen wir, dass überall über die Klimakrise diskutiert wird. Dafür sind Klebeaktionen als eine Form des zivilen Widerstands eben die effektivste Form.
Bitte stell dich noch kurz den Leser:innen vor.
Ich bin 24 Jahre alt. Ich habe bis Februar in Nürnberg Design studiert und eine Ausbildung zur veganen Ernährungsberaterin gemacht. Normalerweise würde ich jetzt in dem Bereich ein weiterführendes Studium machen oder arbeiten. Als mir der Ernst unserer Lage klar wurde, konnte ich aber nicht weiter hinter dem Schreibtisch sitzen weil mir klar war, dass ich für eine Zukunft lerne, die ich gar nicht haben werde wenn sich jetzt nichts ändert.
Deswegen habe ich alles andere erstmal hinten angestellt, habe meinen Nebenjob und meine Wohnung gekündigt und mich dem friedlichen zivilen Widerstand angeschlossen.