Mark Benecke: Lieber Jörg, du bist Migrations-Soziologe und gehörst dem "gebildeten Orden" (meine Bezeichnung) der Jesuiten an. Die BILD ist seit einigen Tagen dazu übergegangen, Blockaden zum Klima als "Spinnerei" zu bezeichnen. Wie erklärst du dir, dass du als Wissenschaftler und Ordensmann, der sich für arme Länder einsetzt, als verrückt bezeichnet wirst?
Jörg Alt: Nun, der BILD geht’s ja gerade nicht um BILDung und die Vermittlung von Sachinformationen, sondern um Verkaufszahlen und Geschäftemacherei. Da bleibt die Wahrheit schonmal gerne und mit Absicht an zweiter Stelle.
Wissenschaft hingegen ist der Wahrheit und Überprüfbarkeit von Fakten verpflichtet, insofern sollten wir als Wissenschaftler und Ordensleute uns nicht von BILD irritieren lassen, sondern unseren Job machen.
Aber genau diese Situation zeigt doch auch, dass unser Wirtschaftssystem, inklusive vieler Medien, Kapitalinteressen und Kapitaleigentümern dient, nicht dem Gemeinwohl aller Menschen.
Deshalb illustriert es auch, was wir ändern müssen, wenn wir eine überlebenswerte Welt für alle Menschen sichern wollen: Geld muss aufhören zu herrschen und es muss wieder zum Diener aller werden.
Wie bereitest du dich auf den Knast vor? Was erwartest du dort?
Ich witzel ja immer, dass ich gerne dieselben Haftbedingungen wie Uli Hoeneß haben möchte – dann werde ich es schon aushalten. Ausreichend Schlaf, keinen Stress durch dumme Anrufe und geregelte Mahlzeiten am Tag ist jetzt auch nichts, was mir Angst macht.
Es ist schon eine Weile her, dass ich die letzten 30-Tägige Exerzitien* gemacht habe – diese aufzufrischen wäre eine willkommene Gelegenheit. Was mir aber sicher zu schaffen machen wird ist fehlende Bewegung an der frischen Luft.
(*Die 30-tägigen Exerzitien sind eine wichtige, mit Isolation und Schweigen verbundene Gebetsübung für alle Jesuiten. In der Regel macht man sie zweimal im Leben und ansonsten bei Bedarf.)
Warum interessieren sich reiche Menschen meist nur in Worten, nicht aber in Taten, für arme Gebiete der Erde?
Das kann man so nicht sagen, denn es gibt eine große Bandbreite reicher Menschen. Ein Extrem sind jene, die immer noch glauben, Gutes zu tun, indem sie freie Marktwirtschaft und ungebremstes Wirtschaftswachstum innerhalb des neoliberalen Modells propagieren.
Mit denen kann man leider nicht diskutieren – hier gilt: „Das Gegenteil von gut ist gut gemeint!“
Es gibt aber auch jene, die gerne umsteuern würden, aber zu Recht sagen, dass anderes Wirtschaften vom weltweit „mobilen Kapital“ und „den Märkten“ bestraft werden würde, etwa, weil die Renditen nicht den Erwartungen entsprechen.
Das wiederum würde die Existenz der Firma und der Arbeitsplätze gefährden. Diese Reichen erleben sich auch als Gefangene eines Wirtschaftssystems mit zahlreichen „Sachzwängen“, welches sie zum Wohle ihrer Angestellten und Kinder gerne ändern würden.
Mit denen kann man durchaus zusammenarbeiten und diese Menschen machen mir mehr Hoffnung als PolitikerInnen, die auf Lobbyisten hören und von denen irregeführt werden.
Wie hast du dein Leben angepasst, um klimafreundlicher zu leben?
Seit 2009, meiner Rückkehr aus dem mittelamerikanischen Dschungel, wo ich drei Jahre als Pfarrer unter Maya-Indianern einen Pickup-Truck hatte, fahre ich kein Auto mehr.
Ich fliege nicht mehr, verwende meine Kleider und alle Gebrauchsgüter bis sie auseinander fallen. Zurückhaltend war ich beim Essen: Ich liebe Schnitzel und ich setzte vegan mit langweiligen Brotaufstrichen gleich.
Seit mir aber jemand gezeigt hat, wieviel leckere Fleischersatzprodukte es inzwischen auf pflanzlicher Basis gibt und ich auch meiner Hausgemeinschaft zu Ostern ein derart gutes Fake-Filet-Gulasch vorgesetzt habe, dass nur einer den Unterschied bemerkte, entwickle ich mich mit wachsender Geschwindigkeit zum Veganer.
Hilft beten gegen Klima-Veränderungen? Falls ja, wie? Falls nein, warum nicht?
Beten hilft immer. Da Gott uns freien Willen gegeben hat, brauche ich selbst das Gebet, um immer wieder Abstand zu meinem eigenen Dickkopf und meinen eigenen Planungen zu bekommen und Gott in dieser Welt am Werk sehen zu können.
Denn das ist meine Überzeugung aus über 40 Jahren gesellschaftspolitischer Arbeit: die größten Erfolge und überraschendsten Durchbrüche waren selten mein Werk, sondern Gott öffnete Türen an unerwarteter Stelle.
Und da es im Moment ja so aussieht, als würde die Menschheit die Pariser Klimaziele krachend verfehlen, brauchen wir Gottes Zuarbeit dringender denn je und ich bin davon überzeugt, dass wir das Schlimmste mit seiner Hilfe noch verhindern können bzw. mit seiner Hilfe immer noch in der Lage sind, eine sozial-gerechtere und ökologisch-nachhaltigere Welt für alle schaffen zu können.
Insofern ist Gebet Ausfluss des bekannten Mottos unseres Jesuitenordens: „Gott suchen und finden in allen Dingen“, an allen Orten und in allen Menschen. Letzteres auch dann, wenn es schwer fällt.