Quelle: Kochen ohne Knochen Magazin, Mai 2011, Seiten 20 bis 22
Von Joachim Hiller
Mark Benecke ist Kriminalbiologie, bekannt durch TV, Radio und Presse. Er ist sprachgewandt, meinungsfreudig, tätowiert, kahlköpfig und bärtig, hört Goth & Artverwandtes, ist für „Die Partei“ aktiv, betreibt eine extrem umfangreiche Website, ist versiert in Sachen Selbstmarketing – und Vegetarier. Er ist kein Gerichtsmediziner, sondern freischaffender Kriminalbiologe und öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für biologische Spuren. Er lehrt, forscht und hilft, Todesfälle aufzuklären. Sein Spezialgebiet sind Maden, also Fliegenlarven, anhand deren Entwicklungsstand sich Rückschlüsse auf die Umstände des Todes ziehen lassen.
Mark, wie oft musstest du schon den superwitzigen Namen „Dr. Made“ über dich ergehen lassen? Die Boulevard-Presse scheint da drauf zu stehen.
MB: Unzählige Male, wie man an der Auflistung der Interviews auf meiner Website sehen kann. Das fing damit an, dass die Präparatoren in der Rechtsmedizin vor 15 Jahren „Würmi“ oder so zu mir sagten – viele Leute denken ja, Maden seien Würmer, was aber nicht stimmt, denn es sind Insekten. Irgendeine Zeitung griff das dann auf, und weil es denen zu blöd war, „Der Herr der Fliegen“ zu schreiben – da gibt es ja das Buch –, haben sie „Der Herr der Maden“ geschrieben. Daraus wurde dann „Dr. Made“. Als „Kommissar Schmeißfliege“ wurde ich auch schon bezeichnet, die Evolution hat aber nur „Dr. Made“ überleben lassen. Wenn ich heute einen öffentlichen Auftritt habe, greifen Veranstalter gerne zu „Dr. Made“ – und so setzt sich das immer weiter fort.
Nervt dich das?
MB: Ach, irgendwie ist das zu einer Art Markenzeichen geworden, und Spitznamen finde ich immer gut, auch unter Wissenschaftlerkollegen. Der Wissenschaftsbetrieb ist dröge, die Cooleren reagieren da eben so. In meinem Bereich arbeiten oft Leute zusammen, die dennoch kaum verstehen, was der andere macht, da gibt es zwischen Präparatoren, Polizisten und Kriminalbiologen ständig Reibungspunkte, die wir mit Humor nehmen.
Ist diese Art von Humor ein Versuch, mit den sicher oft belastenden Situationen im Beruf umzugehen?
MB: Seitens der Leute, die sich vor einer verfaulten Leiche ekeln, auf jeden Fall – Polizisten und Präparatoren also. Und auch Rechtsmediziner ekeln sich vor fauligen Leichen, die gehen da nicht gerne hin, und diese drei Berufsgruppen sind es, die vor allem nicht damit klarkommen, was Menschen wie ich da für einen „ekligen“ Job machen. Die Maden, die fauligen Leichen, unser komisches Biologen-Outfit, da kommt eben alles zusammen, die verstehen nicht, wie Leute meines Standes alles so biologistisch sehen können, so von wegen Kreislauf des Lebens. Alle in unserem Team wissen eben total viel über Fliegen, über Schmeißfliegen – mehr als über Menschen. Wo wir sind, da stinkt es oft, wir nehmen die Maden sogar noch in die Hand, und dann sehen wir in der Leiche nicht den toten Menschen, sondern einen Spurenträger – da fängt jeder Außenstehende an zu schmunzeln, anders kommt der nicht damit klar. Und so denkt da jeder kauzige Spezialist über den anderen, dass der total kauzig ist.
Hat dein beruflicher Umgang mit verfaultem, totem Fleisch etwas damit zu tun, dass du Vegetarier bist und dich dazu auch öffentlich äußerst, zuletzt etwa bei der Talkshow „Hart aber fair“?
MB: Mit verfaulten Leichen hat das weniger zu tun, eher mit frischen. Ich hatte da mal eine vor mir, die war sehr zusammengeschlagen und zerschnitten, und so was sieht dann einfach aus wie beim Metzger. Ich meine das nicht abwertend gegenüber Metzgern, aber der Geruch, die Schnittflächen, die Ähnlichkeit ist gegeben, bei großen Knochen sieht das aus wie Kotelett oder Rippe. Wenn man also meinen Job länger macht und man geht beim Metzger rein, dann sieht das eben genauso aus. Und es ist ja auch dasselbe – ob man nun ein Schwein, eine Kuh oder einen Menschen da liegen hat, das sieht man ja nicht. Bei den Killern, die Menschenfleisch verkauft haben, wie etwa Fritz Haarmann in seiner Metzgerei, da fiel auch keinem auf, was für Fleisch das war. Das Gewebe sieht genauso aus, von der Fettschicht her, der Haut, den Knochen, den Muskeln ....
Wenn man sich eine Scheibe Menschen- und eine Scheibe Schweineschenkel anschaut – sieht man einen Unterschied?
MB: Also ich sehe keinen Unterschied, wobei das natürlich eine sehr biologistische Sichtweise ist. Dennoch würde ich mich nie vor eine Metzgerei stellen und den Leute ihr Essen madig machen, so von wegen „Ihr Leichenfresser!“. Ja, ich sehe das so für mich, aber wenn die Leute das gerne zu sich nehmen wollen, bitte schön. Lustig ist bei der Gelegenheit übrigens, wie sich die Metzgereiangestellten vor Blut ekeln. Wir müssen für unsere Arbeit hin und wieder frisches Schweineblut kaufen, und die reichen uns dann mit spitzen Fingern den Eimer, sind total angeekelt. Da muss ich die dann schon mal fragen, wovor die sich eigentlich ekeln, während sie in einem Meer von Leichengewebe stehen. Ja, aber Blut ist was anderes, heißt es dann, und dann lachen wir. Ich führe also schon Gespräche, in denen das Thema angesprochen wird, nur bei den Leuten in der Metzgerei kommt nichts von dem an, was ich sage. Im Gegensatz dazu kommt es immer an, wenn man angesichts des Essens von Schweinen darauf verweist, dass man dann ja auch Pferde oder Hunde essen könne – da heißt es dann immer nur: Ja, aber das ist was anderes. Ach ja, wo ist denn der Unterschied zwischen Pferd und Schwein? Auf diese Frage weiß dann keiner eine Antwort.
Seit wann isst du kein Fleisch mehr?
MB: Das fing nicht erst mit meinem Beruf an, sondern viel früher. Ich habe noch nie Wurst gegessen, das erzählen mir auch meine Eltern, aber Kotelett oder so aß ich hin und wieder. Später dann hatte ich nie Geld, da konnte ich mir kein Fleisch leisten, aber wenn es im Essen irgendwo drin war, störte mich das nicht. Und von da war es nur noch ein kleiner Schritt zum Vegetarier. Heute versuche ich, konsequent zu sein, achte auch darauf, nichts mit Fleischbrühe zubereitetes zu essen, schaue mir möglichst die Inhaltsstoffe an, schon wegen des Glutamats, das ich hasse.
Veganer bist du aber nicht.
MB: Nee, Eier esse ich, ich bin auch ein großer Fan von Mehlspeisen, da braucht man oft Eier. Ich esse gern vegan, doch mein Problem ist, dass ich beruflich sehr viel in der ganzen Welt unterwegs bin, und da kommt man oft an Orte, wo es echt schon schwer genug ist, überhaupt vegetarisches Essen zu bekommen, an veganes ist gar nicht zu denken. Berlin ist neben dem New Yorker East Village echt die einzige Stadt, in der man sich als Besucher problemlos vegan ernähren kann. Und in Hamburg vielleicht noch, das ist ja auch recht yuppiemäßig.
Und was machst du, wenn du nichts bekommst?
MB: Im Zweifelsfall esse ich nichts, da ich zudem auch Zwiebeln und Knoblauch nicht mag. Da wird’s schon beim großen Bauernsalat problematisch. Mein Vorteil ist aber–und das ist mein Vorteil gegenüber 99% aller anderen Menschen: es macht mir nichts aus nichts zu essen. Das stört mich nicht, ich habe kein so großes Hungergefühl wie andere Menschen, ich stopfe mich eben beim Frühstück mit vier Marmeladenbrötchen voll und dann reicht das eine Weile.
Wieso kommt für dich der letzte Schritt zum Veganismus nicht in Frage?
MB: Das ist für mich ein Stufenprozess, wie mit dem Vegetarier werden. Es ist in gewisser Weise ein Bequemlichkeitsproblem, denn wenn ich vier Wochen in Thüringen unterwegs bin, ohne für mich selbst kochen zu können, dann sehe ich nicht, wie ich mich da vegan ernähren könnte. An sich habe ich nichts dagegen, wäre ich mit einem festen Job die ganze Zeit hier in Köln, mit all den Bioläden vor der Tür, dann wäre das easy und ich würde das durchziehen, weil ich den Sinn einer solchen Ernährung ja einsehe. Über dieses Thema streite ich mich auch gerne mit meinen Freunden bei PETA. Und bestimmte Aspekte des Veganismus kapiere ich auch nicht, schon rein aus der Sicht des Wissenschaftlers, etwa das mit dem Honig. Fühlen sich die Bienen wirklich ausgebeutet? Als Wissenschaftler sage ich, dass eine Einzelfallentscheidung möglich sein muss. Noch so ein Punkt – deshalb die Diskussion mit PETA, die im Einzelfall auch mit Stars zusammenarbeiten, die mal einen Pelzmantel tragen – sind meine Lederklamotten. Ich habe nur eine Garnitur, Hose, Weste und Mantel, die trage ich immer, die halten ewig, ich bin immer unterwegs. Die trage ich 20 Jahre, und was ich dafür nicht verbrauche an Baumwolle oder Plastik für Outdoor-Klamotten, die letztlich Sondermüll sind, das rettet auch Tieren das Leben. So was wäge ich ab, darüber bin ich bereit zu diskutieren, denn ich bin ja eigentlich auf der gleichen Seite wie die Leute, die mich wegen dieses Verhaltens kritisieren. Ich engagiere mich gerne für PETA, ich sehe Tiere als echtes Gegenüber, nicht als „Lebensmittel“, aber ich behalte es mir vor, Einzelfallentscheidungen zu treffen. Und ich mag an PETA, dass sie immer wieder gut „Dampf“ machen.
Anscheinend bist du in jeder Hinsicht ein streitbarer und diskussionsfreudiger Mensch.
MB: Nein, ich fange nie Diskussionen über Vegetarismus und Veganismus an, denn die Leute gehen immer sofort in die Defensive. Also vermeide ich das Thema, wenn es irgendwie geht. Ich benutze nicht mal da Wort „Vegetarier“, sage stattdessen „Ich esse keine Tiere“ – „Kochen ohne Knochen“ ist da auch ein schöner Spruch. Ich rede stattdessen lieber über Tiere, warum ich Tintenfische interessant finde oder Schmeißfliegen.
Trotzdem setzt du dich ins ARD-Studio von „Hart aber fair“ und diskutierst 75 Minuten über Fleischkonsum.
MB: Ich habe gerne an der Sendung teilgenommen, kannte aber die anderen Talk-Gäste nicht. Plasberg, der Moderator, rief mich am Abend vorher an und sagte, es gebe drei Regeln: Während der Einspielfilme nicht quatschen, den anderen ausreden lassen, und dann etwas sagen, wenn man was zu sagen hat. Das klang gut, aber in der Praxis sah das so aus, dass die Vertreter der Fleischfraktion ständig geredet und dabei auch noch gelogen haben, ich aber nicht zu Wort kam und mir zugleich diese Lügen anhören musste. Ich durfte den Ex-Landwirtschaftsminister Funke und den Schinkenfabrikanten Abraham beim Lügen auch nicht unterbrechen, das machte mich irgendwann sauer. Es hat bei mir auch ein paar Minuten gedauert, bis ankam, dass da allen Ernstes gesagt wurde, man könne ohne Fleisch nicht gesund leben ... Solche Diskussionen kenne ich gar nicht, da war ich sprachlos!
Dennoch scheinst du Spaß daran zu haben, dich mit der Presse, den Medien auseinanderzusetzen, bist in Presse wie TV recht präsent.
MB: Ich beantworte einfach gerne Fragen. Ich habe hier im Büro 15 Ordner nur mit abgelegten Anfragen von Leuten, denen ich geantwortet habe. Letztlich sind Journalisten auch nur Menschen, die Fragen stellen. Mir hat als Kind nie jemand eine vernünftige Antwort gegeben, und so habe ich mir geschworen, meinerseits Fragen immer zu beantworten. Und das gilt auch für meine Mitarbeiter. Bei mir im Institut beantworten wir wirklich jede eMail, jede Frage – wobei wir schon erwarten, dass die Leute vorher mal auf die Website schauen, wo bereits Antworten auf sehr viele Fragen zu finden sind – und damit meine ich Anfragen von Privatleuten, denn die machen 90% aus.
Was fragt man dich, worin besteht deine Alltagsarbeit?
MB: Ein typisches Beispiel ist der Anruf eines Anwalts, der sagt, er habe einen Klienten in der U-Haft sitzen, der angeblich jemand vergewaltigt habe, ob ich nicht Spuren an dessen Kleidung sichern könne. Oder gestern gab es eine Anfrage, da gab es einen Brand, es starben mehrere Tiere dabei, es war sicher Brandstiftung, und wir sollen herausfinden, ob die Tiere vor dem Feuer getötet wurden oder nicht, weil das Hinweise auf den Täter geben kann. Und wir sprechen mit Verdächtigen im Knast, da kommt dann auch meine Frau mit, die ist Psychologin. Wir machen also viele Fallrekonstruktionen. Dafür saßen wir früher viel mehr im Labor am Mikroskop, heute geht das oft nach dem Motto „Okay, erzählen Sie uns mal Ihr Problem“, und dann überlegen wir, was wir da machen können, welche Spuren es gibt, wie viel die wert sind oder vor Gericht sein können. Dabei ist es mir gleich, ob ich für die Anklage oder den Angeklagten arbeite.
Seid ihr also so was wie die privatwirtschaftliche Entsprechung zur Gerichtsmedizin, die man aus jedem Krimi kennt?
MB: Nein, eigentlich nicht. Die Rechtsmediziner machen was ganz anderes. Höchstens die Fantasie-Rechtsmediziner aus dem Fernsehen machen etwas in der Art wie wir, aber das sind mehr so Superhelden, das ist unrealistisch.
Wenn ich also von einem Verbrechen gleich welcher Art betroffen bin, kann dein Institut weiterhelfen, gegen entsprechende Bezahlung natürlich.
MB: Ja, wobei das in wirtschaftlicher Hinsicht hier echt hart ist. Wegen des Geldes ist keiner von uns in dem Job, sondern weil der Spaß macht. Zu uns kann jeder kommen, so wie zu einem öffentlich bestellten, vereidigten Kfz-Sachverständigen. Ein öffentlich bestellter, vereidigter Sachverständiger bin ich auch, solche Sachverständigen gibt es für die verschiedensten Bereiche, eben auch für kriminalbiologische Spuren. Und wenn das außer mir noch jemand anderes in der Form betreiben würde, wäre das auch ein ganz normaler Beruf – das macht aber eben keiner.
Dein Auftreten, dein Outfit, deine Tätowierungen – das hat was von Popkultur. Sprechen wir zum Schluss des Interviews also noch über Musik, denn du bist ja auch schon auf verschiedenen Platten in Erscheinung getreten. Wo liegt dein musikalischer Hintergrund?
MB: Sozialisiert wurde ich in den Achtzigern, Kim Wilde fand ich großartig, DEPECHE MODE und PET SHOP BOYS. Danach kam dann Elektro und EBM, mit Punk hab ich eher weniger zu tun, ist mir aber sehr sympathisch, ich mag es „rough and dirty“, und so klang auch die Band, in der ich eine Weile gesungen habe.
Mit herzlichem Dank an Joachim Hiller für die Freigabe und die Genehmigung zur Veröffentlichung.