Die Letzte Generation im Knast: Karl 🥦 (Teil 9)

»Nach fünf Monaten Gefängnis wird der 69-jährige Klimaaktivist Karl Braig am 15. Mai 2025 gegen 07:30 aus der JVA Kempten entlassen.  

Am 16. Dezember 2025 trat Braig als erster Unterstützer der ehemals Letzten Generation eine Haftstrafe in Folge zweier Straßenblockaden in Bayern an. Das Amtsgericht Passau hatte den zweifachen Vater und Rentner für in beiden Fällen kurze Unterbrechungen des Autoverkehrs zu 5 Monaten Haft wegen Nötigung verurteilt, ausgesetzt auf Bewährung.

"Klimanotstand mit all seinen Konsequenzen kann nicht weggesperrt werden. 5 Monate Freiheitsentzug hat mich nicht überzeugt, vom Protest und Widerstand gegen ein zerstörendes System, das so viel Leid für die Menschen und für die Natur verursacht, abzulassen. 'Diese Wirtschaft tötet', sagte der verstorbene Papst. Wir sollten erkennen, dass wir Menschen ein Teil der Natur sind und mit ihr Frieden schließen. Dafür brauchen wir ein fürsorgliches und gemeinwohlorientiertes Wirtschaftssystem. Soziale Gerechtigkeit schreit danach, die reichen Mitbürger*innen einzubinden in das demokratische Miteinander. Protest, Widerstand gegen die Zerstörung und Beteiligung an der Entwicklung von Lösungen sind für mich Teil des Menschseins."

Braig entschied sich dagegen, die 500 Euro Bewährungsauflage zu zahlen: Er habe sich sein Leben lang auf unterschiedlichen Wegen für Umweltschutz und Klimagerechtigkeit eingesetzt, saß dafür unter anderem im Zuge der Anti-Atom-Proteste der 80er Jahre im Gefängnis. Für dieses uneigennützige politische Engagement erneut inhaftiert zu werden, nahm er hin. In Deutschland ist er damit einer der ersten Klimaaktivisten der letzten Jahre, der eine rechtskräftige Haftstrafe antreten musste.

Karl Braig ernährt sich seit über 20 Jahren vegan. In der JVA Kempten wurde ihm keine vegane Ernährung ermöglicht. Durch die radikale und plötzliche Ernährungsumstellung litt er unter starken körperlichen Beschwerden. Auch litt einhergehend die psychische Gesundheit.

Auf einen Antrag auf veganes Essen an die Anstaltsleitung hin kam die Rückmeldung, dass dies nicht möglich sei. Lediglich konnten beim persönlichen Einkauf wenige Dinge wie Müsli und Reismilch gekauft werden. Das Hinzuziehen des Anstaltsarztes ermöglichte am Abend eine kleine Sonderration Obst.

Daraufhin wurde in Absprache von Braig bei der Amtsleitung Beschwerde (Art. 115 BaySt VollzG) eingelegt. Nachdem dem dieser nicht nachgekommen wurde, wurde beim Landgericht Kempten beantragt, über den Sachverhalt zu entscheiden (§109 StVollzG). Auch das Landgericht ist der Beschwerde nicht nachgekommen, weswegen beim Oberlandesgericht (OLG) Bayern Rechtsbeschwerde (§116 StVollzG) eingelegt wurde. Es gibt zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Entscheidung des OLGs. Sollte auch das OLG der Beschwerde nicht nachkommen, besteht noch die Möglichkeit eine Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht einzureichen. In Folge einer Klage aus der Schweiz stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte fest, dass vegane Ernährung ein Menschenrecht sei und auch im Gefängnis ermöglicht werden müsse.

Mit diesem Verfahren wollten wir damit nicht nur Karl eine angemessene Ernährung ermöglichen, sondern auch alle zukünftig in Bayern Inhaftieren dabei unterstützen, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um eine ausgewogene, vegane Ernährung im Strafvollzug einzufordern.« 

DIE 'LETZTE GENERATION' IM KNAST (TEIL 8): Mirjam Herrmann

Von Mark Benecke

Fotograf: Thomas Vonier / Presse Letzte Generation / RAZ e.V. 

Mark: Liebe Mirjam, du warst "für die Umwelt" im Knast. Was hast du dort erlebt?

Mirjam: Ich war 15 Tage in der JVA Chemnitz. Ich hatte mich darauf eingestellt viel alleine sein zu müssen und hatte da echt Respekt vor... Aber dann bin ich zusammen mit einer jungen Frau aus Leipzig auf die Zelle gekommen und war wirklich keine Minute alleine. Es ist also ganz schön anders gekommen als ich dachte.

Ich hatte zuerst auch Sorge davor, dass ich mich mit den anderen Gefangenen nicht verstehen würde, da sie so andere Hintergründe haben als ich. Meine Zellengenossin war stark Crystal Meth abhängig, hatte drei Kinder, die ihr weggenommen worden waren und war vor einer Weile obdachlos geworden.

Foto: Mirjam Herrmann

Ich war noch nie so stark mit meinen Privilegien konfrontiert wie in Haft. Alle Frauen, die ich dort kennen lernen durfte sind von der Dysfunktionalität unseres Systems gezeichnet. Sie kämpfen sich durch ihr Leben, sind Suchtkrank, von Armut betroffen, haben kein sicheres und liebevolles Umfeld und kommen schließlich in Haft, weil sie klauen, um den Drogenkonsum oder auch einfach ihr Überleben zu ermöglichen. 

Ich habe eine gute Bildung bekommen, habe eine wundervolle Familie und ein liebevolles Umfeld, mit Menschen, denen ich wirklich Vertraue. Wie unfassbar wertvoll das ist, ist mir in Haft klar geworden.

Ich war aber auch überrascht und berührt von der Solidarität und Gemeinschaft unter den Gefangenen. Wir waren gemeinsam wütend, haben gemeinsam gelacht und geweint und Tabak und Essen geteilt.

Es hat mir Spaß gemacht die ungeschriebenen Gefängnisregeln zu verstehen und mich mit den anderen Gefangenen anzufreunden.

Nach einer Woche in Haft habe ich Nele getroffen, die im Budapest-Komplex von der Bundesanwaltschaft angeklagt werden soll und der die Auslieferung nach Ungarn droht. Das ist echt ein krasser Fall, über den ich noch gar nicht so viel wusste. Es lohnt sich, sich hier zu informieren und solidarisch zu sein!

Nele ist in kürzester Zeit wie eine kleine Schwester für mich geworden. Ich habe sie und ihre liebevolle und selbstlose Art sehr ins Herz geschlossen und es ist mir schwer gefallen die JVA Chemnitz wieder zu verlassen und sie dort zurückzulassen. Ich hoffe sehr, dass die deutschen Behörden zumindest in soweit zur Vernunft kommen, dass sie keine weiteren Antifaschist*innen nach Ungarn ausliefern!

Insgesamt habe ich in meiner kurzen Zeit in Haft unglaublich viel gelernt und durfte als Person wachsen und viel tiefe Dankbarkeit für mein Umfeld spüren. Meine bewusste Entscheidung zum Widerstand hat mich befähigt, mich auch im Gefängnis frei zu fühlen, weil ich genau wusste, dass ich das richtige getan habe. Den Widerstand in Haft fortzuführen hat sich nur konsequent angefühlt. Ich wollte den Staat nicht für die Unterdrückung von Klimaaktivist*innen auch noch bezahlen...

Jeder Moment, in dem ich mit anderen Gefangenen lachen konnte und wir glücklich waren, trotz allem, trotz der Gefangenschaft im System und in der JVA, war unser Gewinnen gegen die Unterdrückung und hat sich echt und stark angefühlt.

Was gab es zu essen?

Ich habe eine Milchallergie und die JVA hat es ganz gut hinbekommen darauf rücksicht zu nehmen, sodass ich eigentlich veganes Essen bekommen habe. Mittags (um 11:00) gab es immer eine warme Mahlzeit und dann um 16:00 Graubrot und Aufstrich und ein Stück Obst oder Gemüse für Abendessen und Frühstück.

Wie hast du dich vorbereitet und wie hast du durchgehalten? (Ich würde es keine Stunde im Knast eingesperrt aushalten.)

Foto: Mirjam Herrmann

Ich habe mich vorbereitet indem ich mit anderen gesprochen habe, die schonmal in Haft waren und mir ihre Erfahrungen angehört habe. Ich habe mit der Gefängnis AG des RAZ e.V. gesprochen undich ein paar calls mit meinen Unterstützer*innen aus meinem privaten Umfeld abgesprochen was es denn alles braucht, von Infonachrichten in alten Aktionsgruppen, Spendenaufruf, Pressemitteilung, über die Organisation der Möglichkeit mich notfalls freikaufen zu können und die Organisation der Briefkampagne.

Mittlerweile gibt es einige neue Erfahrungen von Aktivist*innen und die Gefängnis AG ist eine super Hilfe auch schon zur Information und um Berührungsängste mit dem Thema Haft abzubauen, bevor man überhaupt in Haft muss.

Die Haft selbst war voll okay für mich. Natürlich war es auch langweilig, aber die solzialen Interaktionen mit den anderen Gefangenen haben mich auch ganz gut auf trab gehalten. Es gab Tischtennisplatten beim Hofgang und drei mal die Woche ein Sportangebot und ich habe da wirklich liebe Menschen kennengelernt. Haft kann auf jeden Fall auch echt herausfordernd sein. Aber mit der richtigen Portion Neugier und Entdeckerlust und der Unterstützung meines Umfeldes, kann das System unserem Widerstand nichts entgegensetzen. 

Wie erklärst du dir, dass trotz der supereindeutigen Messwerte offenbar die Stimmung herrrscht, dass du persönlich störst und irgendwie schon alles klappen wird in den kommenen Jahrzehnten?

Es ist unfassbar schmerzhaft und beängstigend, sich mit der Realität der Klimakatastrophe wirklich emotional zu konfrontieren. Ich kann das auch nicht immer. Die Fähigkeit des Menschen zu Verdrängen ist manchmal überlebenswichtig, aber in diesem Fall wird sie uns zum kollektiven Verhängnis... Das wirkliche Problem sind aber die Konzerne, die Übergewinne aus den Krisen machen und im vollen Bewusstsein um die Konsequenzen für Welt und Menschheit weiter für ihren persönlichen Nutzen und Profit alles zerstören. Und weil sie so viel Macht und Geld haben, schaffen sie es den Menschen Frames wie den "Heizhammer" oder die "Flüchtlingskrise" aufzubinden und so von dem eigentlichen Problem - ihrer Gier und unserem Wirtschaftssystem, in dem diese Gier gefördert wird - abzulenken.

Es ist essentiell, dass wir darauf immer wieder hinweisen und uns nicht unterkriegen lassen, gegen diese Übermacht anzukämpfen!

Die letzten Tage haben politisch nochmal ordentlich was drauf gelegt. Was hast du jetzt vor?

Ich unterstütze weiterhin Aktivist*innen im Umgang mit Repressionen über den Verein "Rückendeckung für eine aktive Zivilgesellschaft (RAZ) e.V.", den ich mit aufgebaut habe. Außerdem bin ich angeklagt im Verfahren gegen die Letzte Generation wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung und dort viel mit der strategischen Vorbereitung, Vernetzung mit NGO's und der UN und der gemeinsamen Vorbereitung mit den anderen Angeklagten beschäftigt.

Darüber hinaus ist mir aber wichtig, zu lernen (zum Beispiel von Freund*innen aus Polen), wie wir effektiv Widerstand gegen den Faschismus leisten können und vielleicht die offene Menschenfeindlichkeit der aktuellen Politik nutzen können als Katalysator für Protest, um schließlich eine tatsächliche Systemwende zu schaffen und den kommenden Krisen und Katastrophen solidarisch als starke Gemeinschaft zu begegnen, anstatt als vereinzelte Individuen. Das wird mühsam und langwierig werden.

Ich bin darauf eingestellt mein Leben lang für eine bessere Welt zu kämpfen, denn im Kampf um die bessere Welt, lebt die bessere Welt und das ist die reale Utopie, für die es sich zu leben und zu lieben lohnt.