Ausführliche Version des Interviews aus der TZ (München), 27./28. Januar 2018, Seite 34
Im August 1998 wurde der elfjährige Nicky Verstappen aus einem Zeltlager in der Brunsummer Heide nahe der deutschen Grenze aus einem Zeltlager entführt und einen Tag später tot aufgefunden. Wahrscheinliche Todesursache ersticken, zuvor wurde das Kind offenbar sexuell missbraucht. Der Täter ist auch nach 20 Jahren nicht gefasst.
Jetzt hat der niederländische Generalstaatsanwalt einen DNA-Massentest an insgesamt 17500 Männern im Alter zwischen 18 und 75 Jahren angeordnet, der am 24. Februar beginnen soll. Dabei handelt es sich um einen sogenannten Verwandschaftstest.
Was ist der Unterschied zu einem herkömmlichen DNA-Test?
Eigentlich keiner. Es werden zwischen zehn und zwanzig Merkmale auf der Erbsubstanz DNA angeschaut und miteinander verglichen.
Beim Verwandtschafts-Test geht es darum, wieviele dieser Stellen zwischen Verwandten übereinstimmen: Kinder müssen beispielsweise die Hälfte der Merkmale von der genetischen Mutter haben und die andere Hälfte der Merkmale vom genetischen Vater.
Bei einem Spuren-Test stimmen sogar alle Merkmale zwischen der Spur und mir überein. Beispielsweise haften an einem Gegenstand, den ich verwendet habe, alle meiner Erbsubstanz-Merkmale (und nicht nur die Hälfte).
Wie sicher ist die Methode?
Sehr sicher. Wenn an einer Leiche nur ein Teil der Merkmale gefunden wird, kann es rechnerisch manchmal etwas knapp werden, wenn man annimmt, dass alle Menschen auf der Erde als Täter*in in Betracht kommen. Das ist aber nicht so -- kleine Kinder etwa fallen schon mal heraus.
Wenn mehr als acht bis zehn Merkmale übereinstimmen, ist es meist schon im sehr sicheren Bereich, ab zwölf bis achtzehn Merkmalen kommt man oft schon auf die Aussage: "Diese Merkmals-Zusammestellung gibt es auf der ganzen Erde nur einmal."
Warum müssen auch Männer, die zum Tatzeitpunkt geboren wurden zum Test?
Um Merkmale zu finden, die ein Täter an seine Kinder weiter gegeben hat oder mit Verwandten teilt. Und natürlich zum Ausschluss von Menschen, die diese Merkmale nicht tragen.
17500 ist eine gigantische Zahl, gab es Tests in dieser Größenordnung auch schon in Deutschland?
Ja, zur Aufklärung von Sexualdelikten an zwei Mädchen, die 2005 und 2006 begangen worden waren, und im Fall Ronny Rieken, der Ende der 1990er Jahre zwei Mädchen getötet hat.
Wie lange braucht die Auswertung? Der logistische Aufwand muss ja riesig sein…
Das hängt davon ab, wie viele andere Fälle anliegen. Technisch geht es schnell, weil sich zum Glück vieles durch Roboter automatisieren lässt, zum Beispiel das Herauslösen der Erbsubstanz aus den Zellen. Die Kolleg*innen möchten und müssen aber alle Ergebnisse gründlich durchsehen und Gutachten schreiben. Es ist nicht wie im Kino, dass einfach eine Lampe aufleuchtet und der Hubschrauber startet.
Wie wird da genau im Labor vorgegangen (technisches Verfahren)?
Die Wattestäbchen der Spender werden zerschnitten und die Zellen aufgelöst. Die frei werdende Erbsubstanz wird dann mit einer sehr schönen Technik, für die Kary Mullis 1993 den Nobelpreis für Chemie erhalten hat, vervielfältigt -- aber nur diejenigen Stellen, die für den "genetischen Fingerabdruck", also kriminalistisch, interessant sind.
Über körperliche oder geistige Anlagen erfahren wir nichts, sondern es entsteht ein für jeden Menschen zwar einmaliger, aber inhaltlich neutraler Strich- oder Zahlen-Code. Diesen trägt jeder Mensch in all seinen Zellen.
Das so entwickelte, für jede Person einmalige Profil wird dann mit den Spuren vom Tatort verglichen. Stimmt es überein, so gibt es einen Hinweis darauf, wer die Spur gelegt hat.
Wie groß/klein sind die Erfolgsaussichten?
Ziemlich hoch, denn die Täter bemerken, dass sie spurenkundlich in die Enge getrieben sind.
Es heißt, dass die Anordnung quasi vor der deutschen Grenze endet. Ist ein Verwandschaftstest in Deutschland also nicht zulässig?
Nein, es gibt auch Abkommen über den Austausch von genetischen Fingerabdrücken über Landesgrenzen hinweg.
Wie bewerten Sie persönlich die Methode?
Zusammen mit klassischer Kriminalistik und Spurenkunde lassen sich durch Massentests sehr oft die Täter ermitteln. Mir gefällt das besonders aus Sicht der Angehörigen. Sie, aber manchmal auch alle Bewohner*innen eines Ortes oder einer Stadt, wollen und sollen wissen, wer wann warum und wie zum Mörder wurde. Erstens können die Angehörigen dann besser in die Trauer-Arbeit gehen und zweitens hilft es uns, weitere Taten zu verhindern.