„Maden-Doktor“ kommt nach Rosenheim: Dr. Mark Benecke über Fliegen, Leichen und Blutspuren

Quelle:  OVB online, Rosenheim  / Druck-Ausgabe erschienen am 27. März 2024

Exklusiv–Interview mit dem weltbekannten Kriminalbiologe 

Fragen von Qiana Eisenreich  

„Maden-Doktor“ kommt nach Rosenheim: Dr. Mark Benecke über Fliegen, Leichen und Blutspuren. Blutspuren deuten und verweste Leichen untersuchen: Für Kriminalbiologe Dr. Mark Benecke gehört das zu seinem Alltag. Im Oktober möchte er sein forensisches Wissen mit den Rosenheimern teilen. Wie er mit komplexen Fällen umgeht und was die Besucher von „Blutspuren“ erwartet, verrät er im OVB-Interview. 

Rosenheim/Köln – Seit über 20 Jahren befasst sich Dr. Mark Benecke mit Gewaltverbrechen aller Art. Dabei verschlägt es ihn in verschiedenste Länder, wo er biologischen Spuren auf den Grund geht. Im exklusiven Gespräch mit dem OVB spricht der Forensiker über prägende Erkenntnisse und was er den Rosenheimern mit seinem Vortag „Blutspuren“ vermitteln möchte.

Die meisten Menschen sind von Blut und Leichen eher abgeschreckt. Warum haben Sie sich dazu entschieden, Kriminalbiologe zu werden?

Benecke: Ich sortiere einfach gerne Sachen. Ich finde es angenehm, mir Einzelheiten anzuschauen und etwas zu messen, ohne dabei denken zu müssen. Wenn es um biologische Spuren geht, gucken viele, wie Sie schon sagen, nicht gerne hin, ekeln sich oder gruseln sich sogar. Es ist allerdings ein Gebiet, wo es besonders viel zu entdecken gibt.

Gibt es Aspekte Ihrer Arbeit, wo sie sagen: „Das ist mir zu viel, das mache ich nicht“?

Benecke: Von den Spuren, die ich bisher hatte, seit ich 1992 das erste Mal als Praktikant oder während des Studiums im Institut für Rechtsmedizin gearbeitet habe, waren bisher eigentlich alle sehr interessant. Oft hängen da auch noch viele andere spannende Sachen dran, zum Beispiel religiöse Wunder, Sexualdelikte oder Spuren aus Konzentrationslagern. Alles Mögliche. 

Dadurch, dass so wenige Leute die reine Messung machen, würden wir als Team auch die Möglichkeiten, den ganzen Fallzusammenhang einer Tat durch Messungen zu verstehen, einschränken. Wir sind sowieso oft die Letzten, die überhaupt noch die Spuren angucken. Wenn man dann eine innere Einstellung hat, wie „Nee, hier ist meine Grenze“, oder „Okay, das reicht“, dann gäbe es unser Team gar nicht erst. Wir bewerten nicht, ob das traurig, gruselig, interessant oder spannend ist. Wir messen einfach nur – und machen das auch gerne.

Ich kann mir vorstellen, dass man solche schlimmen Fälle nicht nah an sich ran lassen möchte.

Benecke: Für mich ist das natürlich nicht so schlimm, wie für die Angehörigen. Seit zwei Jahren macht unser Team zum Beispiel Trainings für Massengräber und Genozide – das darf man ruhig nah an sich ranlassen. Nur darf man seine eigenen Gefühle dabei nicht für wichtig halten. Meine Gefühle spielen überhaupt gar keine Rolle. Es geht darum, was dort in Wirklichkeit passiert ist und nicht, was ich dazu denke. Das ist ohne jede Bedeutung. Das ist eine Persönlichkeitseigenschaft, die für unseren Beruf wichtig ist.

Sie sind ja schon seit über zwei Jahrzehnten als Kriminalbiologe beschäftigt. Können Sie uns einen Einblick in Ihre Tätigkeiten geben?

Der Schädel im Foto stammt von Claudia Rindler nach einer Original-Vorlage eines echten Falles. Foto: Benecke Forensics

Benecke: In letzter Zeit bin ich häufig mit Fällen beschäftigt, die von anderen nicht bearbeitet werden, weil diese nicht bezahlt werden. Dann gibt es Fälle, für die niemand mehr zuständig ist, zum Beispiel, weil die Polizei davon ausgeht, dass es sich um keinen Kriminalfall handelt. Vor allem bei Sexualdelikten kommt es oft vor, dass es laut Polizei nicht genügend Spuren oder Zeugen gebe, um sicher zu sein. Das schauen wir uns dann genauer an. 

Außerdem gibt es Spuren, die zu anstrengend für die Leute sind. Als Beispiel hatten wir den Tsunami vor dem in Fukushima, wo wir es mit Angehörigen zu tun hatten, die einfach nicht geglaubt haben, dass ihre Angehörigen gestorben sind. Neben den genannten Beispielen gehören natürlich auch noch andere Aufgabengebiete zu meinem Job.

Was wollen Sie durch Ihre Arbeit erreichen?

Benecke: Bei Angelegenheiten wie Genozid, Konzentrationslager oder auch bei verschwundenen Kinder in der DDR oder Massengräbern haben die Angehörigen teilweise keinen Ansprechpartner. Manchmal wird es zwar staatlich unter die Lupe genommen, manchmal aber auch nicht. Wir wollen einfach, dass alle die gleiche Möglichkeit haben, ihren Fall untersucht zu bekommen. Ich untersuche zudem auch Spuren, die eher häusliche Gewalt sind, oder bei denen Drogen im Spiel waren. Da stehe ich den Angehörigen für Zusatzfragen oder Anliegen zur Verfügung, wo die Polizei vielleicht nicht weiterhelfen darf.

Sie erzählten bereits, dass bei Ihrer Arbeit nicht gewertet wird. Gibt es dennoch eine Erfahrung, die Sie besonders geprägt hat?

Benecke: Die Tatsache, dass Menschen gegenüber Leid relativ gleichgültig sind. Ein Beispiel wäre das mit tierischen Produkten verbundene Leid. Nicht nur im Beruf, sondern auch im Alltag zu sehen, dass Menschen glauben, dass das Foltern von Tieren etwas anderes wäre – das finde ich sehr merkwürdig.

Wie fühlt sich das an, nach Rosenheim, Ihre Heimatstadt zu kommen, nachdem Sie an verschiedensten Orten der Welt tätig sind?

Benecke: Zum Einen wohnt meine Schwester dort, weshalb ich immer noch einen Bezug zu Rosenheim habe. Zum Anderen ist es allgemein die Region Oberbayern mit diesem bestimmten Baustil und dem Dialekt, die mir einfach sehr vertraut ist. Außerdem gibt es dort vernünftige Brezen (lacht).

Unter dem Namen Ihres Vortrags „Blutspuren“ kann man sich schon grob vorstellen, worum es geht. Was genau erwartet die Besucher am 30. Oktober im Kultur- und Kongresszentrum?

Benecke: Die Zuschauer können selbst entscheiden, was sie von meinem Vortrag mitnehmen. Grundsätzlich versuche ich, das zu zeigen, was man durch Google oder Krimiserien nicht selber herausfindet. Ich möchte dem Publikum einen sehr direkten Einblick, sozusagen „mitten ins Blut rein“, geben. Mein Vortrag im KU‘KO wird daher stark an echten Fällen angelehnt sein, um zu vermitteln, dass man mit einer unbefangenen, kindlichen Betrachtungsweise sehr viel sehen kann. 

Statt zu sagen: „Jemand ist schwer verletzt, ist ja klar, dass da viel Blut austritt“, soll man stattdessen erkennen, dass jede einzelne Blutspur interessant sein kann. Das Blut am Tatort sagt viel über den Ablauf der Tat oder der Bewegung des Opfers und des Täters aus. Es kann beweisen, ob die Zeugen eines Verbrechens vielleicht nur Quatsch erzählen, weil die Blutspuren nicht in Einklang mit ihren Aussagen stehen.


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