Es wird immer neue Coronaviren geben

Quelle: FORUM, Das Wochenmagazin (Saarbrücken), 17. April 2020, Seite 76—77; Foto: Frank Meinel 

WISSEN | GESUNDHEIT

Von Kristina Scherer-Siegwarth

Dr. Mark Benecke (49), der wohl bekannteste Kriminalbiologe Deutschlands, widmet sich auf seiner Website virusonline.de den ihm gestellten Fragen rund um das Coronavirus. Im Interview spricht er über die Ausgangssperre und die Gefahr weiterer Mutationen.

Dr. Benecke, wie hat sich Ihr Leben seit der Corona-Krise verändert? Worauf mussten Sie verzichten und haben Sie auch finanzielle Einbußen?

Da ich als Erwachsener 15 Jahre ohne Geld (zum Sparen) gelebt und davon zehn Jahre in einer Wohnung ohne Heizung und im New Yorker East Village in einem Keller gelebt habe – alles gut. Meine Frau und ich kommen endlich mal zum Kochen, wir sind ja sonst fast immer im Hotel. Jeden Abend so ab 23 Uhr basteln wir leckere Sachen. Und ich konnte endlich mal die Milben unter dem Mikroskop angucken, die immer meine Schaben sauber machen.

Wie sieht Ihr Alltag momentan aus?

Labor aufräumen, an meinem neuen Buch schreiben – ein saugeiles Tierbuch, versprochen, das wird richtig schön –, und jeden Tag fünf Stunden an den Fragen zu Corona für virusonline.de arbeiten, dann nachforschen und das Video des Tages bauen. Das macht Spaß, ich lerne sehr viel. Und ich werde meine Bäume besuchen – ich habe in Köln eine Menge Bäume gespendet, die jetzt im Frühling hoffentlich blühen.

Momentan stürzen sich alle auf Desinfektionsmittel aus Apotheken und Drogeriemärkten. Wirken überhaupt alle Mittel gegen Viren und speziell gegen das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2?

Also, Alkohol auf jeden Fall: Ethanol „für Wohnungs-Kamine“ und 2-Propanol sicher. Das ist ja schon länger getestet. Schaut auch mal auf die Virus-Seite von mir.

Wie kann man selbst ein effektives Desinfektionsmittel gegen das Coronavirus herstellen?

Ethanol oder Isopropylalkohol, also 2-Propanol oder Isopropanol, mit Leitungswasser auf 75 Prozent verdünnen. Fertig. Ich tu noch einen Teelöffel Zitronensäure zum Wasserkesselentkalken rein.

„Coronaviren begleiten uns schon sehr lange“ 

Was genau bewirkt die Zitronensäure bei Viren?

Sie macht die Erbsubstanz der Viren empfindlicher.

Bei vielen Apotheken ist Isopropylalkohol ausverkauft. Wo kann man diesen noch kaufen?

In Baumärkten und bei Internet-Versandhändlern. Es reicht aber auch normaler Ethanol oder 4711.

Sie waren auch schon vor Corona dafür bekannt, immer Desinfektionsspray dabeizuhaben. Wo sprühen Sie das überall drauf? 

Tische im Zug und meine Hände, nachdem ich etwas Öffentliches angefasst habe.

Zerstört man damit nicht auch nützliche Bakterien?

Ich creme mir nachts die Hände ein, das reicht bei mir. Muss jeder selbst erproben, der eine hat empfindlichere Haut als der andere.

Wie hoch ist die Gefahr, dass das Coronavirus noch weiter mutiert und noch gefährlicher wird?

Das werden wir sehen. Coronaviren begleiten uns schon sehr lange, und es wird immer neue geben. Wie oft eine Veränderung stattfindet, die sich durchsetzen kann, ist rein zufällig.

Liegt der Ursprung wirklich in den Tiermärkten von Wuhan oder ist das nur eine Hypothese?

Könnte jedenfalls sein. Das Virus ist im November 2019 entstanden und hat sich wohl über Tiere übertragen, so jedenfalls die bisher vorliegenden Daten aus Fledermäusen und Schuppentieren.

Mit der Vogelgrippe H5N8 ist gerade ein weiterer Erreger aus der Massentierhaltung unterwegs. Warum bildet die Massentierhaltung so einen Herd für gefährliche Viren? 

Das hat viele Gründe. Der Hauptgrund ist, dass die Tiere oft sozial vereinsamt, krank und ungesund sind, mit Medikamenten vollgeballert werden und wegen ihres schlechten Zustandes auch sonst wenige Abwehrkräfte haben. Da kann vieles erstens schnell entstehen und sich dann natürlich auch schnell ausbreiten. Wildtiere können aber auch Krankheiten verbreiten. Am besten lassen wir Tiere in Ruhe.

Halten Sie die beschlossene Ausgangssperre, den Shutdown, für angemessen?

Wir werden in zwei bis drei Wochen wissen, ob es etwas gebracht hat. Der Shutdown ist ein riesiges soziales, kulturelles und biologisches Experiment. Du weißt halt immer erst hinterher, was bei einem Versuch herauskommt, sonst müsstest du ihn nicht machen. Ich finde es spannend, und halte es für eine gute Übung für die nächsten durch die Verwendung von Tierprodukten ausgelösten Ereignisse. 

Vielleicht merken manche Menschen jetzt auch, dass es angenehmer für die eigene Gesundheit, für die Tiere und für Wasser, Land, Bäume, Wildpflanzen und Luft ist, wenn wir keine Tierprodukte mehr verwenden. Der Wunsch danach, nie wieder im Shutdown leben zu müssen, könnte lernfähigen Menschen den nötigen Schubs geben, künftig auf Ausreden zu verzichten und gesünder und fairer zu leben und nicht nur drüber zu reden. Ich glaube daran.

An der Influenzawelle 2017/2018 sind nach Schätzungen des RobertKoch-Instituts allein in Deutschland über 25.000 Leute gestorben. Warum hat uns das nicht so verängstigt und wurde in den Medien nicht derart thematisiert?

Ist mir ein totales Rätsel. Ich gehe gerne und jedes Jahr zur Grippeimpfung und ermuntere auch alle anderen dazu. Jede und jeder sollte die echte Grippe fürchten. Auch sie betrifft ja besonders geschwächte, vorerkrankte oder ältere Menschen, es ist also wirklich eine sehr ähnliche Lage wie hier mit Corona.

Zunächst hieß es, im Sommer sei das Virus nicht mehr gefährlich, dem wurde von anderen Forschern aber schon widersprochen. Was kann man da glauben, beziehungsweise gibt es zu SARS-CoV-2 überhaupt schon viel gesichertes Wissen? 

Mein Kollege Marc Lipsitch, Professor für die Ausbreitung von Krankheiten an der Harvard-Universität, denkt, dass der Sommer alleine nicht helfen wird. Gründe: Zwar ist unser Immunsystem im Sommer oft fitter, und wir halten uns nicht so viel gemeinsam in ungelüfteten Räumen auf. Allerdings könnte es mit Schulbeginn, wenn alle in kleinen Räumen sind, wieder losgehen, also im Spätsommer, nach den Ferien, solange es noch kein Heilmittel gibt.

Es gibt noch viel über das Virus zu lernen

Es ist möglich, dass SARS-CoV-2 so aufgebaut ist, dass es sich im Sommer ausbreiten kann. Wir werden das bald erkennen, wenn mehr Daten dazu vorliegen, wer eigentlich hauptsächlich die Viren verbreitet und wie – Kinder? Superspreader? Es gibt auch schon eindrucksvolle Handydaten aus China, aus Deutschland und den USA, die zeigen, wer sich in größeren Maßstäben wie bewegt hat. Vielleicht ist das auch aufschlussreich. Es wird noch etwas dauern, das alles auszuwerten.

Auch, ob das Virus auf verschiedenen Oberflächen als Tröpfchen oder trocken aktiv bleibt, wird gerade genauer untersucht. Hier könnte man mit Desinfektionsmitteln leichter gegenwirken, während man Menschen das Sprechen mit stets zwei Meter Abstand kaum dauerhaft angewöhnen kann, vor allem im Sommer in Hotel, am Strand, im Restaurant oder wo Menschen halt gerne zusammensitzen.

Als wie zuverlässig schätzen Sie als Biologe die Corona-Tests ein?

Es gibt gute Tests. Wir sind nicht im Science-Fiction-Film, wo alles mit Fingerschnippen, Bomben werfen oder coolen Flugmanövern gelöst werden kann. Die Tests messen die Virus-Bestandteile, mehr geht nicht. Natürlich werden sie in den kommenden Ta•gen und Wochen immer besser werden.

Weitere Infos unter: benecke.com