Lexikon der Forscher und Erfinder (Auswahl)

Quelle: Mark Benecke, Sabine Hasenbach, Camilla van Heumen, Joachim Kurtz, Stefan Meier, René Zey (Hrsg.):
Lexikon der Forscher und Erfinder, Rowohlt Verlag, 1997; polnische und chinesische Übersetzungen sind erschienen.

Von Mark Benecke

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Alle Artikel auf dieser Seite sind Rohfassungen.

Berliner, Emil (Emile)

Geboren am 20. 5. 1851, Hannover, gestorben am 3. 8. 1929, Washington; deutsch-amerikanischer Elektroingenieur.

Berliner besuchte als Sohn eines Kaufmannes die Schule in Wolfenbüttel; im Anschluß an eine Lehre als Drucker arbeitete er in einem Kurzwarengeschäft. 1870 wanderte Berliner in die Vereinigten Staaten von Amerika aus, wo er unter anderem Laufbursche, Glaswäscher und Buchhalter war. Zugleich bildete er sich autodidaktisch fort, vor allem in den physikalischen Teilgebieten Akustik und Elektrotechnik. Später wurde Berliner von der Bell Telephone Company eingestellt; 1881 reiste er nach Deutschland und wurde danach Assistent am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Berliner konstruierte ein Grammophon samt eines dazugehörigen Schallplattenaufnahmegerätes (1887) sowie ein Kontaktmikrofon (1877).

Die Konstruktion des (von Berliner so benannten) Grammophons basierte auf dem 1878 von Thomas Alva Edison erfundenen «Phonographen», dessen Kernstück in Stanniol- oder Wachswalzen eingravierte Tonspuren waren. Im Gegensatz dazu bestanden die Grammophonplatten aus Zink. Die Rillen wurden zunächst von einer Aufnahmenadel in eine dünne, auf der Zinkscheibe befindliche Wachsschicht eingraviert und dann durch Eintauchen in eine chromhaltige Ätzlösung im Zink festgehalten. Die Tonwidergabe von den Grammophonplatten war wesentlich verzerrungsfreier als von den Tonspuren der Phonographenwalzen. Berliner gelang es im folgenden, die Tonaufnahmetechnik noch weiter zu verbessern und Kopien von den Originalplatten herzustellen. Am 16. Mai 1887 führte Berliner das Grammophon erstmal öffentlich vor, 1889 demonstrierte er es auch der Elektrotechnischen Gesellschaft in Berlin. Ab 1897 wurden die Grammophonschallplatten nicht mehr aus Metall, sondern auf Harzbasis hergestellt.

Noch heute ist die von Berliner erdachte Aufzeichnungsmethode («Berlinerschrift») die Grundidee der Herstellung von Vinylschallplattenmatritzen (zum Beispiel von Langspielplatten). Arbeiten von Alexander Graham Bell zur Entwicklung des Telefons brachten Berliner dazu, ein Kontaktmikrofon mit veränderlichem Übertragungswiderstand zu entwickeln. Dies erlaubte - zusammen mit der Signalverstärkung mittels einer Induktionsspule - erstmals eine ausreichende Qualität der Sprachübertragung; die Patentanmeldung Berliners für das Kontaktmikrofon erfolgte zwei Wochen vor einem ähnlichem Patentantrag Edisons. Bei seiner Deutschlandreise 1881 gründete Berliner in Hannover eine Firma, die Kontaktmikrofone und Fernsprechapparate baute. Auf diese Weise gelang es Berliner, seine Erfindungen gewinnbringend zu vermarkten und zugleich, die neue Technik in Europa zu verbreiten. Neben seiner Tätigkeit als Erfinder beschäftigte sich Berliner auch mit Fragen der Raumakustik und engagierte sich in der Gesundheits- und Kinderpflege.

Lexikontext (hier: Rohfassung) von Mark Benecke, Internationale Kriminalbiologische Beratung, forensic@benecke.com, www.benecke.com; aus: René Zey (Hrsg.): Lexikon der Forscher und Erfinder, Rowohlt, Reinbek, 1997, ISBN 3-499-16516-3

 

Dalton, John

Geboren am 5. oder 6. 9. 1766, Eaglesfield (bei Workington), gestorben am 27. 7. 1844, Manchester; englischer Physiker und Chemiker.

John Dalton, der sich als Sohn eines Webers seine naturwissenschaftlichen Kenntnisse zunächst autodidaktisch angeeignet hatte, war bereits ab 1781 Hilfslehrer der Quäkerschule in Kendal, deren Vorsteher er 1785 wurde. Von 1793 bis 1800 arbeitete er am New College in Manchester, anschließend als Privatgelehrter. Ab 1817 wirkte Dalton als Präsident der Manchester Literary and Philosophical Society, 1822 wurde er in die Londoner Royal Society gewählt und 1831 war er einer der Gründer der British Association for the Advancement of Science. Ursprünglich hatte sich Dalton für Meterologie interessiert; er untersuchte dabei auch das Verhalten von Gasgemischen und deren Druckverhältnisse. So formulierte er 1801 zusammen mit William Henry das «Daltonsche Gesetz».

Daltons bedeutendste Entdeckung war, daß alle Atome eines Elements chemisch und physikalisch gleich sind, sich aber in ihrer Atommasse (heute: relative Atommasse) unterscheiden. Dies erklärte die bereits bekannte Tatsache, daß die Elemente in chemischen Verbindungen in einfachen Gewichtsverhältnissen zueinander stehen - in Wasser zum Beispiel 2 Wasserstoffatome : 1 Sauerstoffatom. 1803 faßte Dalton zahlreiche experimentell ermittelte Atommassen in einer Tabelle zusammen; die daraus entwickelte Rechenmethode (Stöchiometrie) erlaubt Aussagen über die Mengenverhältnisse in Stoffen.

Daltons physikalische Atomtheorie stellte die Chemie auf eine neue Basis; in seinem dreibändigen Werk «A New System of Chemical Philosophy» (1808-1827), durch das er zum begründer der chemischen Atomistik wurde, veröffentlichte er die dazugehörigen experimentellen Daten und die daraus gewonnen Schlußfolgerungen. Über seine chemisch-physikalischen Beobachtungen hinaus beschrieb Dalton im Jahr 1798 als erster - an sich selbst - die erbliche Rotgrünblindheit.

Daltonsche Gesetze
1801 formulierte Dalton etwa zeitgleich mit William Henry die Regel, nach der in einem Gemisch chemisch nicht miteinander reagierender, idealer Gase der herrschende Gesamtdruck gleich der Summe der Drücke der einzelnen Gase ist. In realen Gasen und bei hohen Drücken gelten die Daltonschen Regeln nicht exakt. Daneben werden auch die stöchiometrischen Gesetze der konstanten und multiplen Verhältnisse als Daltonsche Gesetze bezeichnet.

Dalton
Eine heute nicht mehr offiziell verwendete Einheit, welche die Atommasse angibt. Ein Atom von einem Dalton hat die relative Atommasse 1, was 1,66018x10-24 Gramm entspricht.

Lexikontext (hier: Rohfassung) von Mark Benecke, Internationale Kriminalbiologische Beratung, forensic@benecke.com, www.benecke.com; aus: René Zey (Hrsg.): Lexikon der Forscher und Erfinder, Rowohlt, Reinbek, 1997, ISBN 3-499-16516-3

 

Davy, Sir Humphrey

Geboren am 17. 12. 1778, Penzance (Cornwall), gestorben am 25. 5. 1829, Genf; englischer Chemiker und Physiker

Der Autodidakt Davy, Sohn eines Holzschnitzers, besaß nur eine einfache Schulbildung. Ab 1798 forschte er an der Pneumatic Institution in Bristol, 1801 wechselte er als Assistent Lecturer an die Royal Institution in London, wo er schon 1802 Professor wurde. Dieses Amt legte er 1812 nieder, um eine ausgedehnte Europareise mit seinem Assistenten Michael Faraday zu unternehmen. 1812 wurde Davy zum Sir und 1818 zum Baron ernannt; von 1820-1827 war er Präsident der Royal Society.

Davy beschäftigte sich seit etwa 1799 mit der Natur der Wärme sowie mit Gasen, die er - wie alle Substanzen, mit denen arbeitete - probehalber einatmete. Dabei entdeckte er unter anderem die Wirkung des von ihm so benannten «Lachgases» Distickstoffmonoxid. Ab 1806 führte Davy verstärkt elektrochemische Experimente durch; heute gilt er als Begründer dieser chemischen Forschungsrichtung. Davy entdeckte mithilfe der Schmelzflußelektrolyse mehrere Alkali- und Erdalkalimetalle, darunter Kalzium, Natrium und Magnesium.

Durch die elektrische Zerlegung reinen Wassers konnte er zeigen, daß dieses aus Wasserstoff und Sauerstoff besteht. Weiterhin konnte Davy 1809/1810 Chlor als elementaren Bestandteil der Salzsäure und Wasserstoff als Charakteristikum der Säuren allgemein nachweisen. Die Namensgebung des Chlors (von griechisch chloros = grün) stammt ebenso von Davy wie der Nachweis, daß Diamanten aus reinem Kohlenstoff bestehen.

Bei Arbeiten über Flammen entdeckte Davy 1812 den Lichtbogen und konstruierte 1815 die Grubenlampe. Zur Verhinderung von Korrision, etwa an Schiffen, schlug er den Einsatz von sogenannten Opferanoden vor. Davy gilt vor allem durch seine brillianten experimentellen Entdeckungen als einer der bedeutendsten Chemiker des 19. Jahrhunderts; aber auch die systematische Neuordnung der Chemie durch Jöns Jacob Berzelius fußt auf Davys Versuchen.

Davy-Lampe; auch: Davysche Sicherheitslampe
Die Flamme der Davyschen Sicherheits- oder Grubenlampe wird von einem engmaschigen Drahtzylinder umschlossen. Dieser nimmt die bei der Verbrennung entstehende Wärme auf, bevor sie das Grubengas Methan entzünden und zur Schlagwetterexplosion führen kann. Steigt der Methananteil in der Grubenluft auf 14%, so erlischt die von Davy erdachte benzingetriebene «Wetter»lampe komplett. Heute verwendet man - im Prinzip baugleiche - elektrische Grubenlampen.

Lexikontext (hier: Rohfassung) von Mark Benecke, Internationale Kriminalbiologische Beratung, forensic@benecke.com, www.benecke.com; aus: René Zey (Hrsg.): Lexikon der Forscher und Erfinder, Rowohlt, Reinbek, 1997, ISBN 3-499-16516-3

 

Diels, Otto Paul Hermann

Geboren am 23. 1. 1876, Hamburg, gestorben am 7. 3. 1954, Kiel; deutscher Chemiker

Otto Diels, Sohn des Philologen Hermann Diels, studierte ab 1895 unter anderem bei Emil Hermann Fischer in Berlin Chemie, wo er 1899 promovierte. Diels habilitierte 1904 und war von 1906 bis 1916 Professor in Berlin, danach bis 1948 in Kiel. Er baute nach Ende des Zweiten Weltkrieges als Direktor das zerstörte Chemische Institut der Universität Kiel wieder auf, nachdem er schon ein Jahr im Ruhestand gewesen war. 1950 wurde Diels und Kurt Alder der Nobelpreis für Chemie verliehen.

Diels herausragende Forschungsleistung war die Entdeckung der Diensynthese (1928). Zusammen mit seinem Schüler Alder entwickelte Diels diese grundlegende chemische Reaktion, die neue Einsichten in den Ablauf organischer Reaktionen erlaubte. In den darauffolgenden Jahren konnte mittels der Diels-Alder-Reaktion die Struktur zahlreicher Moleküle durch Synthese aufgeklärt werden. 1906 hatte Diels bereits das Kohlensuboxid entdeckt beziehungsweise hergestellt. Im selben Jahr begann er mit Untersuchungen an Cholesterol, dessen chemische Zerlegung zur Aufklärung des Grundgerüstes der Steroide führte. Auch die Einführung des Elementes Selen als mildes Dehydrierungsmittel in der präparativen organischen Chemie geht auf Diels zurück. Im Laufe seines wissenschaftlichen Lebens veröffentlichte Diels mehr als 180 Bücher und Fachaufsätze. Diels 1907 erstmals erschienenes «Lehrbuch der organischen Chemie» wurde über seinen Tod hinaus fortgeführt; das Werk erlebte mehrere Auflagen.

Diels-Alder-Synthese
Bei dieser chemischen Reaktion lagern sich ungesättigte Verbindungen (Diene) an Kohlenwasserstoffe mit konjugierten Doppelbindungen (Dienophile) an. Der praktische Nutzen dieser Entdeckung liegt in der Herstellung von beispielsweise Alkaloiden und Polymeren; die Diels-Alder-Reaktion erlaubt eine schnelle Duftstoff- und Insektizidherstellung ebenso wie die Synthese von Arzneimittelbestandteilen wie dem Cortison.

Lexikontext (hier: Rohfassung) von Mark Benecke, Internationale Kriminalbiologische Beratung, forensic@benecke.com, www.benecke.com; aus: René Zey (Hrsg.): Lexikon der Forscher und Erfinder, Rowohlt, Reinbek, 1997, ISBN 3-499-16516-3

 

Dumas, Jean Baptiste André

Geboren am 15. 7. 1800, Alès, gestorben am 11. 4. 1884, Cannes; französischer Chemiker und Politiker

Nach dem Besuch einer Lateinschule begann Dumas 1815 eine Apothekerlehre in Alais, wechselte aber schon 1816 nach Genf. Dort beschäftigte er sich zunächst intensiv mit Botanik, dann zunehmend mit Chemie, bis er 1823 unter dem Einfluß Alexander von Humboldts nach Paris ging. Dumas wurde schon 1832 Mitglied der Pariser Akademie der Wissenschaften und später zahlreicher anderer wissenschaftlicher Vereinigungen. Dies erlaubte ihm den geistigen Austausch mit Forschern wie Pierre Simon Marquis de Laplace, Joseph Louis Guy-Lussac und André Marie Ampere. Dumas war 1824 Mitgründer der Zeitschrift «Annales des Sciences Naturelles» und ab 1840 Mitherausgeber der «Annales des Chimie et de Physique». Ab 1828 erschien sein achtbändiges Werk «Traité de Chimie appliquée aux arts».

1835 wurde Dumas als Professor an die dortige Polytechnique und 1841 an die Sorbonne berufen. Dumas war von 1849 bis 1851 Minister für Landwirtschaft, Handel und Erziehung; 1859-1870 stand er dem Pariser Stadtrat vor. Als dessen Präsident wirkte Dumas um 1859-1870 an erheblichen Verbesserungen der städtischen Infrastruktur von Paris mit.Als vielseitiger Experimentator - seine Arbeiten betrafen die allgemeine, die organische und die physiologische Chemie - entwickelte Dumas zahlreiche Verfahrenstechniken, etwa 1826 zur Bestimmung der Dampfdichte sowie 1833 zur Ermittlung des Stickstoffgehaltes organischer Verbindungen.

1834 fand er heraus, daß Chlor in organischen Verbindungen häufig ein Wasserstoffatom ersetzen (substituieren) kann, ohne daß sich der chemischen Charakter der Verbindung wesentlich ändert. Diese «Substitutionstheorie» stand im Gegensatz zur damals herrschenden Lehrmeinung, nach der organische Verbindungen aus unveränderlichen Teilen, sogenannten Radikalen, zusammengesetzt seien. Mit seinem Schüler Antoine Laurent postulierte Dumas 1839 folgerichtig die sogenannte unitarische Deutung, die besagt, daß jede chemische Verbindung ein geschlossenes Ganzes darstellt, in dem einzelne Bestandteile durch andere ersetzbar sind.

Die Erkentnisse über die Substitution führten um 1840 zur Typentheorie der chemischen Bindung (Valenztheorie), in der chemische und mechanische Typen unterschieden werden. 1834 entdeckte Dumas zusammen mit Eugène Péligot den bei trockener Destillation von Holz entstehenden Methanol. Durch den Vergleich dieser Substanz mit Ethanol und anderen ähnlichen Stoffen entwickelte Dumas die «homologen Reihen»; dies sind Folgen ansonsten gleicher, um jeweils eine CH2-Gruppe verlängerter organischer Verbindungen.

Lexikontext (hier: Rohfassung) von Mark Benecke, Internationale Kriminalbiologische Beratung, forensic@benecke.com, www.benecke.com; aus: René Zey (Hrsg.): Lexikon der Forscher und Erfinder, Rowohlt, Reinbek, 1997, ISBN 3-499-16516-3

 

Dunlop, John Boyd

Geboren am 5. 2. 1840, Dreghorn (bei Ayr), gestorben am 23. 10. 1921, Dublin; irischer Tierarzt und Erfinder.

Nach seinem Medizinstudium wanderte Dunlop 1867 aus Schottland nach Irland aus. In Belfast praktizierte er fortan als Tierarzt und wurde später Kaufmann. Dunlop erfand 1888 den luftgefüllten Reifen. Zwar hatte Robert William Thompson die gleiche Erfindung bereits 1845 patentieren lassen, damit aber nie Erfolg gehabt; vermutlich kannte Dunlop Thompsons Erfindung nicht. Die aufkommenden Patentstreitigkeiten erledigten sich, als die 1889 gegründete Dunlop-Gesellschaft erhebliche technische Verbesserungen des Luftreifens, zum Beispiel Felgen und Ventile, nachweisen konnte. Ursprünglich hatte Dunlop den Pneu für das Dreirad seines Sohnes erdacht, der sich beklagte, weil er bei Fahrten auf Kopfsteinpflaster durchgerüttelt werde. Dunlop klebte daraufhin einen Gummischlauch an dessen Enden zusammen, brachte ihn auf ein Hozrad auf und ummantelte die Konstruktion mit Segeltuch.

Als Ventil diente ein umgebauter Schnuller. Vom Erfolg seiner Erfindung überzeugt, veranstaltete Dunlop noch im selben Jahr Testrennen. Diejenigen Rennradfahrer, die den Pneu benutzten, schlugen dabei alle Konkurrenten mit herkömmlichen Rädern. Nach der Gründung der Dunlop Rubber Company in London und der beginnenden Massenproduktion des Luftdruckreifens ersetzte dieser rasch die bis dahin verwendeten Vollgummireifen nicht nur an an Fahrrädern sondern auch an Kutschen.

Schon 1890 konnte die erste Niederlassung der Dunlop-Gesellschaft im englischen Coventry eröffnet werden; 1893 wurde die Tochterfirma Dunlop Gummi Co. in Hanau am Main gegründet. Die industrielle Fertigung von Fahrradschläuchen ermöglichte bald den Einsatz des Fahrrades als Massenverkehrsmittel. Wegen Unstimmigkeiten mit seinem Geschäftspartner verkaufte Dunlop seine Aktien 1894 mit hohem Gewinn und gründete in Dublin erfolgreich einen Stoffhandel. Den Aufstieg seines ehemaligen Unternehmens zum weltweit führenden Reifenkonzern erlebte Dunlop nur als Beobachter.

 

Döbereiner, Johann Wolfgang

Geboren am 13. 12. 1780, Bug (Kreis Hof), gestorben am 24. 3. 1849, Jena; deutscher Chemiker

Trotzdem Döbereiner in armen Verhältnissen und ohne gute Schulbildung aufwuchs, eignete er sich während einer Apothekerlehre und seiner Wanderjahre von 1797-1802 naturwissenschaftliche und philosophische Kenntnisse an. Nach hause zurückgekehrt arbeitete er freischaffend als Forscher, bis er 1810 - ohne je eine Universität besucht zu haben - als Professor an die Universität Jena berufen wurde. Dort unterrichtete und forschte er bis zu seinem Lebensende.
Um 1820 herum entdeckte Döbereiner, daß Platin, besonders in pulverisierter Form, Reaktionen beschleunigen kann; Jöns Jacob Berzelius führte den dafür noch heute üblichen Begriff «Katalyse» ein. So führte Döbereiner katalytische Oxydationen z.B. von Alkohol zu Essigsäure, von Knallgas zu Wasser und von Schwefeldioxid zu Schwefeltrioxid durch. Praktische Anwendung erfuhren diese Arbeiten u.a. in einem Verfahren zur schnellen Schwefelsäure- und Essigproduktion sowie in der Entwicklung eines Feuerzeuges.

Döbereiners Beobachtung, daß das Element Brom den Elementen Chlor und Jod in vielen Eigenschaften (z.B. in Farbe, Atomgewicht und Reaktionsvermögen) ähnelte, brachte ihn ab 1817 dazu, chemisch-physikalische Dreiergruppen, zu postulieren: Die «Triaden». Er veröffentlichte diese Idee 1829 in seinem «Versuch einer Gruppierung der elementaren Stoffe nach ihrer Ähnlichkeit». Obwohl solche Dreiergruppen nicht das grundlegende Ordnungsprinzip der chemischen Elemente darstellen, half die Triadenhypothese Dimitri Iwanowitsch Mendelejew und Lothar Meyer bei der Aufstellung des Periodensystems im Jahr 1871. Darüber hinaus beriet Döbereiner in chemischen Fragen Johann Wolfgang von Goethe, mit dem er auch sonst in regem Gedankenaustausch stand.

Döbereiner-Feuerzeug
Das Döbereinersche Feuerzeug kam ohne Zündfunken aus: Wasserstoff strömte über eine die Oxydation fördernde Platinfläche und entzündete sich dabei selbst. Wegen des Platins war das Feuerzeug aber recht teuer; darüberhinaus hielt es nicht lange, da das Metall durch Verunreinigungen im Wasserstoff schnell verschmutzte.

Lexikontext (hier: Rohfassung) von Mark Benecke, Internationale Kriminalbiologische Beratung, forensic@benecke.com, www.benecke.com; aus: René Zey (Hrsg.): Lexikon der Forscher und Erfinder, Rowohlt, Reinbek, 1997, ISBN 3-499-16516-3

 

Eijkmann, Christiaan

Geboren am 11. 8. 1858, Nijkerk, gestorben 5. 11. 1930, Utrecht; niederländischer Hygieniker

Als siebtes Kind eines Privatschulinhabers studierte Eijkman ab 1875 in Amsterdam Medizin. Nach seiner Promotion 1883 arbeitete Eijkman als Militärarzt in den damaligen niederländischen Kolonialgebieten Java und Sumatra im heutigen Indonesien. Er kehrte dann nach Europa zurück und lernte unter anderem bei Robert Koch in Berlin. Von 1888-1896 leitete Eijkman das pathologische Labor im indonesischen Djakarta; 1898 wurde er als Professor für Hygiene und gerichtliche Medizin an die Universität Utrecht berufen, wo er bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1928 blieb. Zusammen mit Sir Frederic Gowland Hopkins erhielt er 1929 den Nobelpreis für Medizin.

Eijkman war wegen einer schweren Malariaerkrankung gezwungen gewesen, nach Europa zurückzukehren, wo er sich nach seiner Militärzeit in die Bakteriologie einarbeitete. Er kehrte dann nach Indonesien zurück, um die Krankheit Beri-Beri zu untersuchen - ursprünglich auf der Suche nach dem ansteckenden Erreger der "Seuche". Durch Beobachtung von Hühnern, die mit Reis aus einer Krankenhausküche gefüttert wurden und dabei Beri-Beri-ähnliche Symptome entwickelten, schloß Eijkaman entgegen der ursprünglichen Vermutung auf eine in der Nahrung liegende Ursache, die nichts mit einem Krankheitskeim zu tun hat.

Weitere Experimente Eijkmans, wiederum durch Verfüttern von gekochtem Reis an Hühner, ließen darauf schließen, daß bis dahin unbekannte sogenannte "Beinährstoffe" lebenswichtig seien bzw. daß deren Fehlen krankheitsauslösend sei. Diese Nahrungsbestandteile, ab 1914 Vitamine genannt, wurden bald genau charakterisiert und konnten klinisch eingesetzt werden; so konnte Beri-Beri durch Gabe eines Vitamines der B-Gruppe und Rachitis durch ein A-Vitamin geheilt werden.

Eijkmanns Probe
Eine Methode, die der Bestimmung des Gehaltes von Coli-Darmbakterien in Trinkwasser dient. In einer von Eijkman entwickelten Nährlösung aus gelöstem Traubenzucker und Pepton vermehren sich Colibakterien noch bei 46°C, während andere Bakterien nicht weiterwachsen; der sogenannte Colititer wird dann maßanalytisch bestimmt.

Lexikontext (hier: Rohfassung) von Mark Benecke, Internationale Kriminalbiologische Beratung, forensic@benecke.com, www.benecke.com; aus: René Zey (Hrsg.): Lexikon der Forscher und Erfinder, Rowohlt, Reinbek, 1997, ISBN 3-499-16516-3

 

Einstein, Albert

Geboren am 3. 1879, Ulm, gestorben am 18. 4. 1955, Princeton; deutsch-schweizerisch-US-amerikanischer theoretischer Physiker

Einstein, Sohn eines Kaufmannes, besuchte ab 1890 mit insgesamt durchschnittlichen Leistungen eine katholische Oberschule in München. Als seine Eltern 1894 nach Mailand übersiedelten, ging Einstein in die Schweiz, wo er 1901 schweizer Staatsbürger wurde. Nach dem Studium der Mathematik und Physik an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich (ab 1897) arbeitete er von 1902-1909 als Gutachter am Berner Eidgenössischen Amt für geistiges Eigentum sowie als Nachhilfelehrer. 1905 hatte Einstein an der Universität Zürich promoviert, an die er 1909 er als Professor für theoretische Physik berufen wurde. 1911/1912 lehrte er an der Universität Prag und 1913 an der technischen Hochschule in Zürich. Als Einstein 1914 hauptamtlicher Mitarbeiter der Preußischen Akademie der Wissenschaften wurde, zog er nach Berlin.

Wegen Hitlers Machtübernahme legte Einstein 1933 alle Ämter in Deutschland nieder und emigrierte in die USA, wo er - seit 1930 am California Institute of Technology lehrend - fortan am Institute for Advanced Studies in Princeton arbeitete; 1940 wurde Einstein amerikanischer Staatsbürger. Der Nobelpreis für Physik wurde ihm 1921 für seine Deutung des Fotoeffektes zugesprochen. Einstein war lebenslang aktiver Pazifist, gab aber durch seine briefliche Warnung vor der Gefahr einer möglichen deutschen Atombombe an den amerikanischen Präsidenten Franklin Delano Roosevelt am 2. 8. 1939 den Anstoß zum amerikanischen Atombombenprojekt. Einsteins Arbeiten veränderten das Weltbild der klassischen Physik von Grund auf und machten ihn zum bedeutendsten Physiker des 20. Jahrhunderts. Seine bekanntesten Arbeiten sind die 1905 entwickelte spezielle Relativitätstheorie und die 1914-1916 formulierte allgemeine Relativitätstheorie.

Die spezielle Relativitätstheorie beinhaltet den festen Zusammenhang von Energie, Masse und Lichtgeschwindigkeit als Äquivalente in der Formel «Energie ist gleich Masse mal Quadrat der Lichtgeschwindigkeit». Wegen des gleichbleibend hohen Wertes der Lichtgeschwindigkeit muß bereits einer kleinen Masse ein hoher Energiebetrag innewohnen - die «Atomenergie». Mit zunehmender Geschwindigkeit eines Körpers wird dieser schwerer, bis er bei der nicht überschreitbaren Lichtgeschwindigkeit unendlich schwer wird; die Lichtgeschwindigkeit sollte nach Einstein auch die höchstmögliche Informationsübertragungsrate darstellen. (Heute zeigen Experimente, daß subatomaren Teilchen die Lichtgeschwindigkeit durch «tunneln» überschreiten können.)

Die Grundidee der speziellen Relativitätstheorie - die Zeit ist eine relative Größe und vergeht in einem bewegten System langsamer - erweiterte Einstein in der allgemeinen Relativitätstheorie auf sich gegeneinander beschleunigt bewegende Systeme. Dabei gilt, daß im vierdimensionalen Raum (drei Raumdimensionen plus eine Zeitdimension) wegen der Gravitation keine geraden Linien vorkommen können; Zeit und Raum verändern sich in Abhängigkeit von der Stärke der Schwerkraft. Als Einsteins daraus abgeleitete Vorhersage, daß auch das Sternenlicht durch das Schwerefeld der Sonne abgelenkt werden müsse, 1919 durch eine britische Sonnenfinsternisexpedition experimentell bestätigt wurde, machte ihn dies berühmt. Die mithilfe der klassischen Physik unverständliche Beobachtung, daß die Energie von Elektronen nicht von der Intensität des sie aus einem Metall schlagenden Lichtes abhängt (Fotoeffekt), erklärte Einstein 1905 mit der bis dahin kaum beachteten Quantentheorie Max Karl Ernst Ludwig Plancks.

Einsteins mathematische Erstanalyse der Brownschen Molekularbewegung stammt ebenfalls von 1905 und erlaubt die Bestimmung der Größe von Molekülen und Atomen. Insgesamt zeigte Einstein endgültig, daß die Natur und damit auch elektromagnetische Strahlung aus Teilchen wie Atomen und Molekülen beziehungsweise Quanten «korpuskulär» aufgebaut ist; er entfernte sich zudem von der Vorstellung des Äthers als ein die Welt erfüllendes Trägermedium.
Obwohl er die Quantenmechanik wesentlich vorangebracht hatte, wich Einstein zuletzt von der modernen Physik ab, indem er die «Kopenhagener Deutung» Niels Hendrick David Bohrs und Werner Karl Heisenbergs mit der philosphisch inspirierten Begründung ablehnte, daß jene dem Zufall eine zu große Rolle einräumte. Die von Einstein in seinen letzten Lebensjahrzehnten begonnene Suche nach einer «einheitlichen Feldtheorie», die vor allem elektromagnetische Strahlen und Gravitation gleichzeitig beschreiben kann, ist bis heute ebenso unvollendet wie die direkte Messung der durch Einsteins Theorien vorhergesagten Gravitationsfelder.

Lexikontext (hier: Rohfassung) von Mark Benecke, Internationale Kriminalbiologische Beratung, forensic@benecke.com, www.benecke.com; aus: René Zey (Hrsg.): Lexikon der Forscher und Erfinder, Rowohlt, Reinbek, 1997, ISBN 3-499-16516-3

 

Fahrenheit, Daniel Gabriel

Geboren am 24. 5. 1686, Danzig, gestorben am 16. 9. 1736, Den Haag; deutscher Physiker und Instrumentenbauer

Fahrenheit ging 1701 nach Amsterdam, ursprünglich, um wie sein Vater Kaufmann zu werden. Bis sich Fahrenheit dort nach ausgiebigen Reisen durch Europa 1717 niederließ, arbeitete er als Glasbläser und Instrumentenbauer. 1724 wurde Fahrenheit Mitglied der Royal Society in London. Im 17. Jahrhundert war das Thermometer noch ein ungenaues Meßinstrument; Fahrenheits größte Leistung besteht in der Entwicklung eines eichbaren Thermometers. Zunächst füllte Fahrenheit das Thermometer mit Alkohol, ab 1718 mit gereinigtem Quecksilber. Die Einteilung des Meßgerätes nahm er seit 1714 an drei Punkten vor: Der Nullpunkt war durch eine Kältemischung aus Wasser, Salmiak und Eis gegeben (dadurch sollten im Winter negative Temperaturen vermieden werden), es folgte der Schmelzpunkt des Eises und zuletzt, als oberer Eichpunkt, der Siedepunkt des Wassers. Die Eichung erlaubte die Serienproduktion von Thermometern, die untereinander vergleichbare Temperaturwerte lieferten. Fahrenheits Temperaturmeßmethode setzte sich vor allem in den englisch- und niederländischsprechenden Ländern durch, während in der übrigen Welt die von Anders Celsius vorgeschlagene Skala benutzt wurde bzw. wird.

Außerdem entwickelte Fahrenheit Meßgeräte für den Luftdruck (Barometer) sowie zur Messung des speziellen Gewichtes bzw. der Dichte von Flüssigkeiten und Feststoffen (Aräometer und Pyknometer). Das ebenfalls von ihm konstruierte Hysobarometer erlaubt die Höhenmessung mittels Luftdruckbestimmung durch den - mit zunehmender Höhe sinkenden - Siedepunkt verschiedener Flüssigkeiten. Auch kleinere Erfindungen und technische Verbesserungen wie eine Wasserrohrmühle und eine Zentrifugalpumpe zählen zu Fahrenheits Verdiensten, für welche er durch die Londoner Königliche Gesellschaft geehrt wurde.

Fahrenheit-Skala
Zwischen den drei Eichpunkten der Fahrenheit-Temperaturskala liegen 212 gleiche Teilstrecken (Grade). Die Fahrenheitsche Kältemischung hat 0°F, die menschliche Körpertemperatur beträgt 96°F, der Dampfpunkt des Wassers liegt bei 212°F. Eine Temperaturveränderung um 1°C entspricht einer Temperaturveränderung von 9/5°F; umgekehrt errechnen sich die Grad Celsius aus den Grad Fahrenheit durch: 5/9 mal (y Grad Fahrenheit minus 32).

Lexikontext (hier: Rohfassung) von Mark Benecke, Internationale Kriminalbiologische Beratung, forensic@benecke.com, www.benecke.com; aus: René Zey (Hrsg.): Lexikon der Forscher und Erfinder, Rowohlt, Reinbek, 1997, ISBN 3-499-16516-3

 

Faraday, Michael

Geboren am 22. 9. 1791, Newington (heute zu London), gestorben am 25. 8. 1867, Hampton Court (heute zu London); englischer Physiker und Chemiker

Faraday war Sohn eines Schmiedes und erhielt nur eine minimale Schulausbildung. Er arbeitete zunächst als Zeitungsjunge, dann als Buchbinder. 1813 wurde er Assistent Sir Humphrey Davys an der Royal Institution, mit dem er zwei Jahre durch Europa reiste. 1824 wurde Faraday Mitglied der Royal Society und 1825 Direktor des Laboratoriums der Royal Institution, an der er von 1827-1861 als Professor für Chemie arbeitete. Faraday, der 1812 Davys Vorlesungen gehört hatte, band eine selbstangefertigte, illustrierte Mitschrift derselben in Leder und bewarb sich damit erfolgreich um eine Assistentenstelle. Zunächst beschäftige sich Faraday mit chemischen Fragen - so gelang ihm 1823 die Darstellung flüssigen Chlors unter Druck sowie 1824 bei der Analyse von Ölen die Entdeckung des Benzols. Außerdem entwickelte er rostfreie Stahllegierungen und Glassorten mit bestimmten optischen Eigenschaften. Faradays wichtigste Entdeckungen liegen auf dem Gebiet der Elektrizität und der damit verbundenen Umwandlung von Naturkräften (z.B. Magnetismus und Elektrizität) ineinander, wobei er auch von seiner religiösen Weltsicht angetrieben wurde.

1821 entdeckte er, daß sich ein beweglicher stromdurchflossener Leiter um einen festen Magneten dreht und umgekehrt - die Urform des Elektromotors. Die von ihm 1831 nachgewiesene Induktion (Beeinflussung), bei der beim Öffnen und Schließen eines Stromkreises in einem um diesen herum angeordneten Draht je ein Stromstoß ausgelöst wird, führte zur Konstruktion des ersten Dynamos. Dieser bestand aus einer rotierenden Kupferscheibe, deren Rand zwischen den Polen eines Permanentmagneten durchlief; von der Scheibe konnte elektrischer Strom abgeleitet werden. Faraday besaß bis zuletzt keine ausgesprochenen mathematikkentnisse, was er durch seine intuitive Fähigkeit zur anschaulichen Darstellung wettmachte.

Die magnetischen Kraftlinien etwa stellte er durch Eisenfeilspäne dar, die sich dem Feld entlang anordnen. Faraday lehnte die Fernwirkung ab und wurde zum Begründer der klassischen Feldtheorie mit nahwirkendem Wechselspiel zwischen Molekülen. Er führte die Begriffe Elektrolyse (elektrische Spaltung geschmolzener Salze), Elektrolyt (stromleitende(r) Flüssigkeit bzw. Feststoff), Elektrode (metallene Stromzuführungen), Kathode (negativ geladene Elektrode), Anode (positiv geladene Elektrode) , Anion (negativ geladenes Teilchen (Ion)) und Kation (positives Ion) ein und entdeckte 1845 den Diamagnetismus. Zwei seiner berühmten Werke sind die 29bändigen «Experimental researches in electricity» (1831-1852) sowie Faradays Weihnachtsvorlesungen für Jugendliche, die 1874 als «Naturgeschichte einer Kerze» erschienen.

Faradaykäfig
Ein von leitfähigem Material umgebener Raum, der dadurch von elektrischen Feldern abgeschirmt ist. Meßinstrumente werden auf diese Weise künstlich vor Beeinflussung geschützt; Autos und Flugzeuge sind ebenfalls Faradaykäfige.

Faradaysche Gesetze
Für die Elektrolyse geltende Regeln, die besagen, daß (1) die Masse der während der Elektrolyse an einer Elektrode freigesetzten Substanz proportional zur Elektrizitätsmenge ist, welche die Lösung durchflossen hat und (2) die durch eine bestimmte Elektrizitätsmenge freigesetzte Masse proportional ist zum Atomgewicht des freigesetzten Elementes und umgekehrt proportional zu dessen Wertigkeit.

Lexikontext (hier: Rohfassung) von Mark Benecke, Internationale Kriminalbiologische Beratung, forensic@benecke.com, www.benecke.com; aus: René Zey (Hrsg.): Lexikon der Forscher und Erfinder, Rowohlt, Reinbek, 1997, ISBN 3-499-16516-3

 

Forßmann, Werner Theodor Otto

Geboren am 29. 8. 1904, Berlin, gesorben am 1. 6. 1979, Schopfheim (Breisgau); deutscher Chirurg und Urologe

Forßmann, Sohn eines Verischerungsangestellten, begann 1922 sein Medizinstudium in Berlin und legte 1928 sein Staatsexamen ab. Ab 1929 arbeitete er zunächst als Assistenzarzt in der Chirurgie des Auguste-Viktoria-Krankenhaus in Eberswald, wechselte aber noch im gleichen Jahr an die Berliner Charité. 1932 begann Forßmann eine Facharztausbildung als Urologe in Mainz. 1933-1935 und 1938 bis 1939 arbeitete er als Chirurg und Urologe in Berlin, 1935-1938 als Oberarzt in Dresden. Nach amerikanischer Kriegsgefangenschaft wurde Forßmann 1956 Honorarprofessor in Mainz und ab 1964 in Düsseldorf, wo er von 1958-1970 auch Chefarzt des Evangelischen Krankenhauses und ab 1964 Professor an der Medizinischen Akademie war. 1956 erhielt Forßmann den Nobelpreis für Medizin.

Schon während seines Studiums und Staatsexamens beschäftigte sich Forßmann mit der Diagnostik von Herzkrankheiten. Er versuchte, die dazu notwendigen, gefährlichen Injektionen ins Herz zu umgehen; 1929 gelang ihm dies, als er einer Leiche einen biegsamen Schlauch durch die Armvene bis in das Herz vorschob. Die Ungefährlichkeit des Eingriffes bewieser im Selbstversuch. Er konnte auch zeigen, daß es möglich ist, Kontrastmittel in das Herz zu füllen.

Wegen dieser Versuche wurde Forßmann von seinem Vorgesetzten, Ferdinand Sauerbruch, entlassen («Zirkuskunststückchen»). Obwohl Forßmann seine Experimente 1931 auf dem Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie vorstellte, erkannte niemand die Bedeutung seiner Entdeckungen. Als Basis für eine Habilitation wurden die Forschungsergebnisse abgelehnt. Erst zehn Jahre später griffen die amerikanischen Ärzte André Cournand und Dickinson Richards die Methode der Herzkatheterisierung auf und entwickelten sie weiter. 1956 erhielt Forßmann völlig überraschend zusammen mit den beiden genannten Medizinern den Nobelpreis. Im Alter profilierte sich Forßmann als Kritiker der Schulmedizin. Er warnte schon früh vor den Wirkungen des Contergans und lehnte sowohl die erste Herztransplantation durch Christiaan Barnard im Jahr 1967 als auch die Papstenzyklika «Humanae vitae» über Empfängnisverhütung ab.

Lexikontext (hier: Rohfassung) von Mark Benecke, Internationale Kriminalbiologische Beratung, forensic@benecke.com, www.benecke.com; aus: René Zey (Hrsg.): Lexikon der Forscher und Erfinder, Rowohlt, Reinbek, 1997, ISBN 3-499-16516-3

 

Flemming, Walter

Geboren am 21. 4. 1843, Sachsenberg bei Schwerin, gestorben am 4. 8. 1905, Kiel; deutscher Anatom

Flemming legte 1868 das medizinische Staatsexamen ab, arbeitete ein Jahr als Assistent und leistete 1870/1871 im deutsch-französischen Krieg als Feldarzt seinen Militärdienst ab. 1872 wurde Flemming Professor an der Universität Prag; von 1876 bis 1901 hatte er den Lehrstuhl für Anatomie in Kiel inne. In den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts begannen die Zytologen - darunter Flemming und Paul Ehrlich - damit, synthetische Farbstoffe zur Anfärbung durchsichtiger Zellstrukturen zu benutzen. Eduard Adolf Strasburger führte solche Versuche mit pflanzlichen Zellen durch, während Flemming mit tierischem Gewebe arbeitete. Zuerst fielen die sich besonders stark anfärbenden Zellbestandteile auf, die Flemming nach dem griechischen Wort für Farbe (chroma) Chromatin nannte.

Durch die mikroskopische Auswertung der Färbeversuche gelang es nach und nach, die verschiedenen Zustände des Chromatins, das heißt der DNS, während des Zellzyklus darzustellen. In seinem Hauptwerk «Zellsubstanz, Kern und Zellteilung» beschrieb Flemming 1882 meisterhaft diese Entdeckungen. Er betonte besonders die Gleichartigkeit der Zellteilungsvorgänge bei Tieren und Pflanzen. Die von Flemming eingeführten Begriffe Aster (für das sternartige Gebilde bei der Chromosomentrennung), Mitose (für die Chromosomenverdopplung und Aufteilung) sowie Chromatin sind noch heute gebräuchlich. Die genetische Bedeutung der Beobachtungen Flemmings und seiner Kollegen blieben verborgen, bis 20 Jahre später Johann Gregor Mendels Vererbungsregeln wiederentdeckt wurden.

Flemmingsche Lösung
Eine Chrom-Osmium-Essigsäure-Lösung, die der Fixierung (unter anderem Haltbarmachung) von Zellen bei der Mikroskopie dient. Dabei werden die Proteine der Zelle dauerhaft verändert, während Fettgebilde und DNS erkennbar bleiben.

Lexikontext (hier: Rohfassung) von Mark Benecke, Internationale Kriminalbiologische Beratung, forensic@benecke.com, www.benecke.com; aus: René Zey (Hrsg.): Lexikon der Forscher und Erfinder, Rowohlt, Reinbek, 1997, ISBN 3-499-16516-3

 

Galen (lateinisch: Claudius Galenus)

Geboren 129, Pergamon (Kleinasien) (?), gestorben 199, Rom (?); römischer Arzt griechischer Herkunft.br>

Galen wurde zunächst von seinem Vater, einem bekannten Architekten, in Philosophie, Mathematik und Naturlehre unterrichtet. Etwa ab dem 17. Lebensjahr wandte er sich ganz der Medizin zu, bereiste die oströmischen Provinzen und vollendete seine Studien in Alexandria. In Pergamon arbeitete er ab 158 als Gladiatorenarzt, um von etwa 161 an als Arzt (vor allem der Aristokraten und des Kaiserhauses) und als Schriftsteller in Rom zu wirken. Galen war neben Hippokrates der bedeutendste Arzt der Antike. In seinen - nach eigenen Angaben - über 400 Werken vereinigte er dessen Humoralpathologie und klinische Diagnostik mit der Aristoteleschen Physiologie und Anatomie sowie den medizinischen Ansichten und Erkenntnissen seiner eigenen Zeit. Durch das gesamte Mittelalter bis in die Neuzeit hinein beherrschte Galens heilkundliches Gesamtsystem die ärztliche Ausbildung und Praxis.

Galens anatomische Beschreibungen der Muskeln und Muskelfunktionsgruppen sowie des Nervensystems verdienen auch heute noch hohe Achtung. Manche der an Säugetieren gewonnenen Entdeckungen - Leichen wurden seinerzeit nicht seziert - sind jedoch nicht auf den Menschen übertragbar. Der oft überhebliche und anmaßende Galen war einer der letzten Repräsentanten der wissenschaftlichen Medizin der Antike. So ermittelte er durch Experimente, welche Lähmungen beim Durchtrennen des Rückenmarks von Versuchstieren auftreten. Krankheiten und Arzneimittel stufte er nach Intensitäten ab und stellte damit die Pharmakologie und Therapie auf eine methodische Basis. Das physiologische System von Galen fußt auf der Säftelehre von Erasistratos sowie der Theorie der Elemente von Aristoteles. Den Harnfluß ordnete Galen richtig dem Harnleiter und der Harnblase zu, der Blutkreislauf blieb ihm hingegen unbekannt - Galen nahm eine Blutströmung vom Zentrum zur Peripherie des Körpers an. Neben medizinischen Schriften veröffentlichte Galen auch mathematische und philosophische Abhandlungen, wobei er die Lehren der Peripatetiker mit denen der Stoiker zu vereinen suchte.

Galenische Arzneimittel
Extrakte und Tinkturen aus nicht aufgereinigten Drogen - die Wirkstoffe bleiben also in ihrer natürlichen Zusammensetzung mit allen Begleitstoffen erhalten.

Galenische Diagnostik und Therapie
Galen empfahl zur medizinischen Diagnose Puls- und Harnuntersuchungen. Die Krankheitserscheinungen selbst bekämpfte er mit Mitteln, die den Symptomen jeweils entgegengesetzt wirkten (später Allopathie genannt). Sein therapeutisches Augenmerk richtete Galen vor allem auch auf die Regelung der gesamten Lebensweise (Diätik).

Lexikontext (hier: Rohfassung) von Mark Benecke, Internationale Kriminalbiologische Beratung, forensic@benecke.com, www.benecke.com; aus: René Zey (Hrsg.): Lexikon der Forscher und Erfinder, Rowohlt, Reinbek, 1997, ISBN 3-499-16516-3

 

Galilei, Galileo

Geboren am 15. 2. 1564, Pisa, gestorben am 8. 1. 1642, Arcetri bei Florenz; italienischer Mathematiker, Physiker, Astronom und Philosoph

Galileo war Sohn eines Musikwissenschaftlers und besuchte die Klosterschule von Vallombrosa. Von 1581-1585 studierte er in Pisa zunächst Medizin, dann Mathematik und Physik. Ab 1589 arbeitete Galilei als Mathematikprofessor an der Universität Pisa und wechselte 1592 an die Universität Padua, bis der Großherzog von Toskana in Florenz Galilei 1610 als Hofmathematiker und -philosoph einstellte. 1616 wurde Galilei vom Papst erstmalig Schweigen bzw. Nichtzustimmung zu den Lehren von Nikolaus Kopernikus auferlegt. Dies sah man durch Galileis Hauptwerk «Dialogo [...] sopra i due massimi Sistemi del Mondo» (Dialog über die zwei hauptsächlichen Weltsysteme, 1632) gebrochen, so daß die Inquisition Galilei am 22. 6. 1633 dazu verurteilte, seine von Ptolomäus abweichenden, heliozentrischen Ansichten zu widerrufen. Im selben Jahr wurde der gläubige Katholik Galilei zu unbefristetem Hausarrest in seinem Landhaus in Arcetri verbannt.

Galileo begründete die klassische Mechanik und läutete durch die mathematische Erklärung natürlicher Vorgänge ein neues Zeitalter der Wissenschaft ein. So untersuchte er die verschiedenen Einflüsse, die auf eine Bewegung - zum Beispiel den Pendelschlag oder den freien Fall - wirken. Galileis berühmtestes Gedankenexperiment zeigt mathematisch, daß alle Gegenstände gleich schnell zur Erde fallen, wenn sie nicht durch den Luftwiderstand aufgehalten werden (1609); der beim freien Fall zurückgelegte Weg wächst mit dem Quadrat der Zeit. Dies stand im Gegensatz zur aristotelischen Lehre, die besagte, daß die Fallgeschwindigkeit mit dem Gewicht eines Körpers proportional steige. Um die Wirkung der Schwerkraft zu verkleinern, ließ Galilei Kugeln auf geneigten Ebenen rollen («De motu accelerato», vor 1590); den Schiefen Turm von Pisa nutzte er zu Versuchszwecken nicht. Bereits 1581 hatte Galilei - angeregt durch einen hängenden, mehrarmigen Leuchter im Dom von Pisa - beobachtet, daß die Dauer einer Pendelschwingung immer gleich ist, unabhängig davon, wie weit das Pendel ausschlägt. Zur Zeitmessung bei diesen Experimenten nutzte Galilei in Ermangelung einer geeigneten Uhr seinen Pulsschlag und tropfendes Wasser.

Durch die Zerlegung in Bewegungskomponenten konnte Galilei unter anderem Geschoßbahnen erklären und rief damit die Ballistik ins Leben. Mit dem von René Descartes, Gottfried Wilhelm Leibniz und Isaak Newton verbessertem mathematischen Rüstzeug gelang der Mechanik später der notwendige Schritt von einer geometrischen zur algebraischen Beschreibung ihrer Phänomene. Die Beobachtung von Sternen und Planeten mittels eines 1609 nachgebauten Fernrohres brachte Galilei die Ansicht Aristoteles´ zum Wanken, daß der Himmel vollkommen sei: Galilei fand auf der Sonne Flecken und auf dem Mond Gebirgszüge. Erste Ergebnisse seiner astronomischen Beobachtungen veröffentlichte Galilei in «Sidereus nuncius» («Sternenbote», 1610), darunter der Sternenreichtum der Milchstraße und die Saturnringe. Ab 1597 setzte sich Galilei für das kopernikanische Weltbild ein - dessen heliozentrische Auffassung des Alls wurde unter anderem von Galileis Beobachtung der vier um Jupiter laufenden Monde (von Johannes Kepler «Galileische Satelliten» genannten) bestätigt.

1634 veröffentlichte Galilei im Kreise seiner Schüler das für die Physik bedeutende Werk «Unterredungen und mathematische Demonstrationen über zwei neue Wissenszweige, die Mechanik und die Fallgesetze betreffend». Dieses wie die übrigen von Galilei auf italienisch (statt üblicherweise lateinisch) verfaßten Bücher zeichnen sich durch einen klaren und schönen Stil aus, der gelegentlich als Wissenschaftsprosa bezeichnet wird. Die dabei zum Teil verwendete Dialogform erlaubte es Galilei, besser auf die Argumente der Gegner eingehen zu können. Während er in Italien eine große Laienleserschaft hatte, stand Galilei im Ausland anfangs eher als Symbol für die Meinungsfreiheit - zusammengefaßt in dem nicht von Galilei stammenden Ausspruch «Und sie bewegt sich doch!».

Galileisches Bezugssystem
Mehrdimensionale Koordinatenysteme, in denen die Newtonsche Physik gilt. Mittels Galileitransformationen werden die Raumkoordinaten sowie die Zeit eines sogenannten Intertialsystems auf ein Bezugssystem umgerechnet. Inertialsysteme bewegen sich gleichförmig geradlinig zueinander; für einen in einem Inertialsystem befindlichen Beobachter bleiben zeitliche Abläufe physikalischer Vorgänge unverändert (Galilei-Invarianz). Bei sehr hohen Geschwindigkeiten werden Galileitransformationen durch ein anderes mathematisches Verfahren - Lorentztransformationen - ersetzt.

Lexikontext (hier: Rohfassung) von Mark Benecke, Internationale Kriminalbiologische Beratung, forensic@benecke.com, www.benecke.com; aus: René Zey (Hrsg.): Lexikon der Forscher und Erfinder, Rowohlt, Reinbek, 1997, ISBN 3-499-16516-3

 

Geiger, Hans (eig. Johannes)

Geboren am 30. 9. 1882, Neustadt an der Weinstraße, gestorben am 24. 9. 1945, Potsdam; deutscher Physiker

Geiger studierte Mathematik und Physik in München und Erlangen, wo er 1906 promovierte. Nach einer fünfjährigen Assistenzzeit bei Ernest Rutherford in Manchester kehrte er 1912 nach Deutschland zurück, wo er Leiter des Labors für Radioaktivität der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt in Berlin wurde. 1925 ging er als Professor nach Kiel, wechselte 1929 nach Tübingen und übernahm 1936 das Physikalische Institut der TH Berlin-Charlottenburg. Von 1926-1933 war Geiger zusammen mit Karl Scheel Herausgeber des 24bändigen «Handbuch für Physik». Die Royal Society ehrte Geigers Leistungen 1938 mit der Verleihung der Hughes-Medaille. Während des Zweiten Weltkrieges arbeitete Geiger am deutschen Versuch, eine Atombombe zu konstruieren.

Als Mitarbeiter von Rutherford war Geiger ab 1907 in die noch junge Forschungsrichtung der Radioaktivität eingeführt worden; er bestimmte 1908 zusammen mit Rutherford die Halbwertzeit von Radium sowie die Anzahl der Alphateilchen, die von einem Gramm dieses Elementes pro Sekunde ausgesendet wurden. Durch Versuchsreihen, in denen Geiger und Ernest Marsden die Streuung von Alphateilchen an dünnen Metallfolien nachwiesen, bereiteten sie das Rutherfordsche Atommodell und die Rutherfordsche Streuformel vor. Durch weitere Streuversuche fand Geiger 1913, daß die Ordnungszahl eines Elementes gleich seiner Kernladungszahl ist. 1911 formulierten M. Nuttall und Geiger eine Regel, die die Beziehung zwischen der Halbwertzeit eines Teilchens und dessen Radioaktivität in Luft angab.

Durch die systematische Weiterentwicklung von Zählmethoden für energiegeladene Teilchen entstand 1913 der Spitzenzähler, der als nach ihm benannter «Geigerzähler» bekannt wurde. Zusammen mit seinem Schüler Erwin Wilhelm Müller verbesserte Geiger dieses Gerät, bis es 1928 seine endgültige Qualität als «Zählrohr» erreichte, das zu einem der wesentlichen Meßgeräte der Kernphysik wurde. Dabei machte sich Geiger nicht nur durch die Erfindung des Zählers verdient, sondern auch durch dessen Anwendung in vielen physikalischen Gebieten. 1924/1925 erbrachte Geiger zusammen mit Walther Wilhelm Georg Bothe den Nachweis der strengen Gültigkeit des Energie- und Impulssatzes für den atomaren Einzelprozeß.

Geiger-Müller-Zähler
Zwischen der Wand einer Röhre und einem darin aufgespannten Draht liegt eine Spannung von mehreren 1000 Volt. Die Spannung ist so bemessen, daß es zwischen Wand und Draht über das dazwischenliegende Gas nicht zu einer Entladung kommt. Tritt aber ein energiereiches Teilchen - zum Beispiel als Röntgenstrahl - in den Zylinder ein, so entstehen im Gas lawinenartig Elektronen (Stoßionisation). Sie bewirken einen kurzen Stromstoß, der zum Beispiel als Klicken hörbar und/oder elektrisch gezählt wird. Je nach Spannung mißt das Gerät die Anzahl oder die Energie der auslösenden Teilchen. Der Geiger-Müller-Zähler wird nicht nur in der Kernphysik eingesetzt, sondern zum Beispiel auch in der Geophysik oder zur Messung von Ultrastrahlung.

Lexikontext (hier: Rohfassung) von Mark Benecke, Internationale Kriminalbiologische Beratung, forensic@benecke.com, www.benecke.com; aus: René Zey (Hrsg.): Lexikon der Forscher und Erfinder, Rowohlt, Reinbek, 1997, ISBN 3-499-16516-3

 

Gell-Mann, Murray

Geboren am 15. 9. 1929, New York; amerikanischer Physiker

Gell-Mann begann 1944 sein Studium an der Universität Yale; 1948 wechselte er an das Massachusetts Institute of Technology, wo er 1951 promovierte. Nach einem kurzen Aufenthalt am Institute for Advanced Research, setzte Gell-Mann seine Forschungen 1952 bei Enrico Fermi an der Universität Chicago fort. 1955 nahm Gell-Mann seine Arbeit am California Institute of Technology auf, wo er 1956 Professor für theoretische Physik wurde. 1969 erhielt er den Physik-Nobelpreis und war später Mitgründer der Experimentier-Universität in Santa Fe.

Gell-Mann beschäftigte sich mit der Einteilung von physikalischen Partikeln, die kleiner als Atome sind, den sogenannten Elementarteilchen. Dazu zählen neben Protonen und Neutronen zum Beispiel Mesonen, Hyperonen und Quarks. Zwei dieser Teilchen - K-Mesonen und die schweren Hyperonen - zeigen im Experiment ein seltsames Verhalten: Während beide Teilchen durch starke Wechselwirkungen, entstehen, zerfallen sie unerwartet durch die lansamere schwache Wechselwirkung. Sie haben also eine gleichsam erhöhte Lebensdauer. Dies trug den beiden Partikeln die Bezeichnung «strange particles» (seltsame Teilchen) ein. Insgesamt faßte Gell-Mann die Elementarteilchen in Zweier- und Dreiergruppen zusammen, innerhalb derer sich nur die Ladung unterscheidet.

Um Elementarteilchen wie K-Mesonen und Hyperonen besser beschreiben zu können, fügte Gell-Mann 1953 unabhängig von T Nakano und Kasuhiko Nishijima den Quantenzahlen eine weitere, die «Strangeness» oder «strangeness number», hinzu. Die Strangeness beschreibt die Eigenschaft der seltsamen Teilchen, ein verschobenes Ladungszentrum zubesitzen, das bei allen Prozessen erhalten bleibt. Gell-Mann entwickelte die Gruppierung subatomarer Teilchen konsequent fort, was ihm schließlich auch die Vorhersage noch nicht entdeckter Elementarpartikel erlaubte: die zunächst nur theoretisch geforderten Quarks (so benannte nach einem Nonsens-Wort von James Joyce) sollten zum Beispiel nur Bruchteile der elektrischen Ladung besitzen - 1994 wurde das letzte der zwölf vorhergesagten Quarks entdeckt. Zusammen mit Yuval Ne´eman beschrieb Gell-Mann das von den beiden 1961 entwickelte Klassifizierungsschema für kleinste Materiebausteine (das sogenannte Oktettmodell) in dem 1964 erschienenen Buch «Eightfold way».

Gell-Mann schlug 1994 in seinem Buch «Das Quark und der Jaguar» den Bogen von den Elementarteilchen zu Sprache, Wetter, Kultur, Wirtschaftswesen, Sternformationen usw.. Sowohl auf der Ebene der physikalischen Teilchen als auch auf biologisch-molekularem Niveau sollen zufällige Unregelmäßigkeiten dafür sorgen, daß komplexe Systeme entstehen. Winzige Abweichungen von der Gleichverteilung können dabei selbstschöpferisch zu vorherrschenden Erscheinungsformen werden.

Lexikontext (hier: Rohfassung) von Mark Benecke, Internationale Kriminalbiologische Beratung, forensic@benecke.com, www.benecke.com; aus: René Zey (Hrsg.): Lexikon der Forscher und Erfinder, Rowohlt, Reinbek, 1997, ISBN 3-499-16516-3

 

Glauber, Johann Rudolph

Geboren am 1604, Karlstadt (Hessen), gestorben am 10. 3. 1670; deutscher Chemiker

Glauber war Sohn eines Barbiers; er besuchte die Lateinschule und ging dann auf Wanderschaft. Zu dieser Zeit war er unter anderem als Apotheker und Spiegelmacher tätig; im übrigen eignete er sich sein Wissen autodidaktisch an. Nach Aufenthalten in den Niederlanden in den Jahren 1640-1644 und 1646-1650 übersiedelte er 1656 endgültig nach Amsterdam, wo er als «Chymist» arbeitete. Glauber entwickelte zahlreiche chemisch-technische Prozesse und Apparaturen, zum Beispiel zur Herstellung des «Spiritus fumans Glauberi», der roten rauchenden Salpetersäure. Er kannte die trockene Steinkohledestillation sowie trockene und nasse Erzaufschlußverfahren; zudem stellte er Aceton und Benzol her. Zu den von Glauber neuentwickelten oder verbessserten Substanzen zählen Kali-Mineraldünger, Schädlingsbekämpfungs- und Holzschutzmittel. Durch ein von ihm ersonnenen Verfahren zur Salzsäureherstellung mittels Einwirkung von Schwefelsäure auf Kochsalz entstand als Nebenprodukt das «Glaubersalz».

Bei allen chemischen und technischen Entwicklungen hatte Glauber stets auch deren Vermarktung und Herstellung in großem Maßstab im Auge. Er ging davon aus, daß ein gelenkter Export und eine verbesserte Rohstoffausnutzung den generellen Lebensstandard heben würden, konnte dies aber wegen der Zersplitterung Deutschlands in Kleinstaaten nicht in die Tat umsetzen. Glauber beschäftigte fünf oder sechs Arbeiter in seinen Laboratorien und starb als reicher Mann, vermutlich - wie viele seiner Kollegen in den kommenden Jahrhunderten - an einer chronischen Vergiftung durch die Laborchemikalien. Während Glauber als einer der ersten Chemietechnologen der Neuzeit gilt, blieb er in seinen theoretischen Denkansätzen den Lehren von Paracelsus und M. Sendivogius verhaftet. Zu Glaubers bekanntesten Werken - er verfaßte etwa 40 Bücher - zählen «Glauberus concentratus» von 1668 und die vierbändigen gesammelten Werke («Opera omnia»), die 1651-1656 erschienen.

Glaubersalz
Die chemische Verbindung Natriumsulfat ist ein farbloses bzw. weißes Salz, für das Glauber über 50 Verwendungsmöglichkeiten beschrieb. Er nannte es «Sal mirabilis» (später auch «Mirabilit» und «Glaubersalz») und hielt es für ein Allheilmittel. Auch heute noch sprechen einige Menschen dem «Wundersalz» heilende Kraft zu; schulmedizinisch wird es allenfalls als (osmotisch wirkendes) Abführmittel eingesetzt.

Lexikontext (hier: Rohfassung) von Mark Benecke, Internationale Kriminalbiologische Beratung, forensic@benecke.com, www.benecke.com; aus: René Zey (Hrsg.): Lexikon der Forscher und Erfinder, Rowohlt, Reinbek, 1997, ISBN 3-499-16516-3

 

Guericke (Gericke), Otto von

Geboren am 20. 11. 1602, Magdeburg; gestorben am 11. 5. 1686, Hamburg; deutscher Naturforscher und Politiker

Guericke, Kind reicher Patrizier, studierte 1617-1620 in Leipzig Jura und setzte die Studien 1620 in Helmstedt und 1621/22 in Jena fort. 1623 ging er nach Leiden, wo er zusätzlich Naturwissenschaften, Mathematik und Festungsbau studierte. Er kehrte 1626 nach Magdeburg zurück, wo er als Politiker und ab 1630 als Ratsbaumeister arbeitete. Nach der Zerstörung Magedeburgs 1631 wurde Guericke als Ingeneur 1632 schwedischer und 1632 kursächsischer Offizier, um 1646-1678 einer der vier Bürgermeister Magdeburgs zu werden. Seit seiner Adelung 1666 schrieb er sich nicht mehr Gericke, sondern Guericke. Als die Pest ausbrach, setzte sich Guericke 1681 in Hamburg zur Ruhe.

Nach einer experimentell nie geprüften Aussage von Aristoteles sollte die «Natur das Vakuum (die Leere) scheuen» - der «horror vacui». Guericke nahm das Vakuum jedoch als vorhanden an und konstruierte 1650 Luftpumpen aus Handfeuerspritzen mit Ventilklappen. Mit diesen versuchte er zunächst, wassergefüllte Holzfässer luftleer zu pumpen, später (WANN) führte er mit großem Aufwand Schauexperimente mit Metallgefäßen durch. Bei diesen Experimenten gelang es weder 50 Männern, einen Kolben gegen das angelegte Vakuum aus einem Zylinder zu ziehen noch konnten zwei Gespannen zu je acht Pferden 1657 die luftleeren «Magdeburger Halbkugeln» auseinanderziehen.

1672 schrieb Guericke seine schon 1663 vollendeten Versuchergebnisse als Teil des Buches «Experimenta nova, ut vocantur, Magdeburgica de vacuo spatio» nieder. Guericke ging es in dieser Schrift über den Raum im allgemeinen und über kosmische Physik vor allem - in Anlehnung an Nikolaus Kopernikus - um ein neues physikalisches Weltbild. Dererlei kosmische Überlegungen führten Guericke zur Konstruktion einer Schwefelkugel als Modell der Erde, an der er die auf sie wirkenden Kräfte, zum Beispiel die Anziehungskraft, zu erklären versuchte und auch durch Reibungselektrizität veranschaulichte. Guericke nahm eine stoffliche, wiegbare Luftatmosphäre um die Erde an, deren Druck sich nach oben hin verringert.

Die Entdeckung des Vakuums erbrachte weitere experimentell-naturwissenschaftliche Versuchsergebnisse, zum Beispiel daß Schall im luftleeren Raum nicht geleitet wird, eine Kerze erlischt und ein Tier darin stirbt. Desweiteren erlaubte die neuentdeckte Arbeitsfähigkeit des Luftdruckes die Konstruktion eines Manometers und eines Barometers, das auch erfolgreich für Wettervorhersagen eingesetzt wurde; auch ein Luftgewehr wurde gebaut. Auch eine astronomische Überlegung Guerickes konnte später bestätigt werden: Die Ansicht, daß Kometen als Mitglieder des Sonnensystems periodisch wiederkehren.

Lexikontext (hier: Rohfassung) von Mark Benecke, Internationale Kriminalbiologische Beratung, forensic@benecke.com, www.benecke.com; aus: René Zey (Hrsg.): Lexikon der Forscher und Erfinder, Rowohlt, Reinbek, 1997, ISBN 3-499-16516-3

 

Haitham, Abu Ali al-Hasan ibn al-Hasan ibn al-Hasan (lateinisch: Alhazen)

Geboren 965, Basra, gestorben um 1040, Kairo; arabischer Physiker und Mathematiker

Um Haithams Leben ranken sich zahlreiche Geschichte, unter anderem, daß er dem Fatimidenkalifen Hakim versprochen haben soll, den Nil zu begradigen bzw. die Nilfluten zu bändigen. Danach WANN soll er in Kairo als Schreiber tätig gewesen sein; in seiner Geburtsstadt Basra hat Haitham möglicherweise zunächst als Wesir gearbeitet.

Haithams Hauptintresse galt der Optik. Sein überlieferter Ruhm gründet sich auf ein mathematisches Problem, das ab dem 17. Jahrhundert als «Alhazensche Aufgabe» bezeichnet wurde: Zwei Punkten liegt eine spiegelnde Oberfläche gegenüber; gesucht ist der Punkt auf der Oberfläche des Spiegels, der einen Lichtstrahl, welcher aus einem der gegebenen Punkte austritt, auf den anderen reflektiert. Haitham betrieb schon vor Galileo Galilei Experimantalphysik. So prüfte er mathematische Hypothesen der geometrischen Optik mithilfe speziell erbauter Apparate. Obwohl er das qualitative Experiment auf diese Weise in die Wissenschaft einbrachte, führte Haitham die heute üblichen quantitativen Auswertungen nicht durch. In seinem nahezu 200 Bücher umfassenden Werk beschäftigte er sich unter anderem mit Vergrößerungslinsen und dem Sehvorgang. Im «Kitab al-manazir» beschreibt er Licht als Form der Bewegung, die in verschiedenen Substanzen verschiedene Geschwindigkeiten hat. Desweiteren befaßte sich Haitham mit Absorption, Reflexion und Brechung sowie den Farben, die er als physikalisch wirklich vorhanden annahm. Weitere Beobachtungen aus der Optik gelten der Camera obscura und der sphärischen Aberration sowie dem Bau des Auges.

Wie Ptolemäus vermutete Haitham, daß die Erde von einer (lichtbrechenden) Lufthülle umgeben sei und schätzte deren Dicke durch die Untersuchung der Dämmerung auf etwa 17 Kilometer. Ende des 12. Jahrhunderts wurde sein Hauptwerk in Spanien als «Opticae thesaurus Alhazeni» (umgangssprachlich als «Große Optik» bezeichnet) ins Lateinische übersetzt und 1572 gedruckt. Obwohl Haithams Lehren auch im Orient weiterbearbeitet wurden (zum Beispiel von at-Tusi und Qutb ad-din asch-schirazi), übten sie vor allem im Abendland eine nachhaltige Wirkung aus (zum Beispiel auf Roger Bacon, W Snell, René Descartes u.v.a.).

Neben der Optik schrieb Haitham über Logik, Poetik, Ethik, Musik und Theologie, wobei die Musiktheorie als eine der vier klassischen mathematischen Disziplinen neben Arithmetik, Geometrie und Astronomie stand. Wie seine Kommentare zu Galen und Aristoteles ist Haithams Werk bis auf die «Optik» und ein Buch über die Dämmerung verloren. Haitham prüfte in einer Zeit, in der man sich zur Untermauerung seiner wissenschaftlichen Thesen in der Regel auf Autoritäten berief, kritisch die Ansichten seiner Vorgänger. Nicht zuletzt dies machte ihn zum bedeutendsten Universalgelehrten des Mittelalters.

Lexikontext (hier: Rohfassung) von Mark Benecke, Internationale Kriminalbiologische Beratung, forensic@benecke.com, www.benecke.com; aus: René Zey (Hrsg.): Lexikon der Forscher und Erfinder, Rowohlt, Reinbek, 1997, ISBN 3-499-16516-3

 

Harden, Sir Arthur

Geboren am 12. 10. 1865, Manchester ; gestorben am 17. 6. 1940, London; englischer Biochemiker

Nach seinem Studium am Owens College in Manchester arbeitete Harden an der Universität Erlangen, an der er 1888 promovierte. Er kehrte danach als Dozent ans Owen College zurück und arbeitete von 1897-1930 in der Abteilung für Biochemie des Jenner (später: Lister) Institute for Preventive Medicine in London, deren Leitung er 1907 übernahm. Für seine Arbeiten über die Phosphorionenanlagerung an Zucker wurde Harden zusammen mit Hans von Euler-Chelpin 1929 der Nobelpreis für Chemie zugesprochen.

Harden untersuchte und charakterisierte - angeregt von Eduard Buchners Entdeckung, daß Zuckerlösungen auch von abgestorbenen Hefezellen vergärt werden können - die daran beteiligten Moleküle, die Enzyme. Enzyme bestehen aus einem Protein- («Eiweiß-») und einem Nichtproteinanteil; nur wenn ein Enzym komplett zusammengesetzt ist, funktioniert es schnell und gut. 1904 zeigte Harden mittels Dialyse, daß ein Hefeextrakt seine Gärwirkung verliert, wenn man die kleineren Enzymbausteine von den größeren trennt. Darüberhinaus wurden die großen Enzymbausteine durch Kochen zerstört, während die kleinen Bausteine dies überstanden. Von Euler-Chelpin untersuchte die nicht hitzeempfindlichen Enzymteile, die sogenannten Coenzyme («Zusätze zum Hauptenzym»), näher und stellte dabei fest, daß in ihnen auch die von Christiaan Eijkman entdeckten Vitamine enthalten sind. Dies erklärte, warum Vitamine, wenn auch nur in kleinsten Mengen lebensnotwendig sind - sie vervollständigen die Struktur der Enzyme.

Harden beobachtete, daß der Abbau des Zuckers durch lebloses Hefeextrakt sich nach einiger Zeit stark verlangsamte. Die Vermutung, daß die darin enthaltenen Enzyme in ihren eigenen chemischen Reaktionen abgebaut würden, bestätigte sich nicht - 1905 bewies Harden, daß das scheinbar verbrauchte Gärungsenzym durch die Zugabe von Phosphat wieder voll funktionsfähig wurde. Damit begann zugleich die Aufklärung des sogenannten Intermediärstoffwechsels, u.a. durch Sir Hans Adolf Krebs und Otto Heinrich Warburg.

Lexikontext (hier: Rohfassung) von Mark Benecke, Internationale Kriminalbiologische Beratung, forensic@benecke.com, www.benecke.com; aus: René Zey (Hrsg.): Lexikon der Forscher und Erfinder, Rowohlt, Reinbek, 1997, ISBN 3-499-16516-3

 

Helmont, Johan Baptista von

Geboren am 12. 1. 1579, Brüssel, gestorben am 30. 12. 1644, Vilvoorde (bei Brüssel); flämischer Arzt und Chemiker.br>

Helmonts Familie gehörte zum flämischen Landadel; Helmont studierte von 1906-1916 Magie und Medizin in Löwen, wo er 1599 seine Abschlußprüfung bestand und den medizinischen Doktortitel erwarb. 1606 begann Helmont, in Vilvoorde als Arzt zu arbeiten und richtete sich ein Labor ein; nach einer Anklage 1623 wurde er 1625 wegen «Ketzerei, Arroganz und Beziehungen zu Lutherianern und Calvinisten» von der spanischen Inquisition verdammt, zum Widerruf gezwungen und 1630 als «Anhänger des monströsen Aberglaubens der Paracelsischen Schule» verurteilt. Man verhaftete Helmont 1634 und stellte ihn bis 1636 unter Hausarrest, bis er 1642 von der Inquisition rehabilitiert wurde.Mit Helmont verbindet sich der Übergang von der scholastischen, auf Dogmen begründeten Wissenschaft zur experimentellen Forschung. Um nachzuweisen, daß nicht die vier Elemente Luft, Feuer, Wasser, Erde grundlegend seien, sondern alleine das Wasser (und die Luft), züchtete Helmont eine Weide in einer abgewogenen Mengen Erde.

Nach fünf Jahren wog der Baum 80 kg, während das Gewicht der Erde nahezu unverändert geblieben war. Helmonts schlußfolgerte unrichtig, daß sich das Gießwasser in pflanzliche Substanz umgewandelt habe (die Gewichtszunahme ist vor allem auf das von der Pflanze «veratmete» Kohlendioxid zurückzuführen); dennoch ist dies der erste wissenschaftliche Versuch, bei dem eine quantitative Methode - das heißt exakte Messungen - eingesetzt wurden. Zudem bewies das Experiment, daß sich Pflanzen nicht von Erde als Hauptnahrungsquelle ernähren. Helmont schuf darüberhinaus den Begriff «Gas». Er zeigte, daß es mehrere «luftartige» Substanzen gibt und daß sich diese recht leicht komprimieren lassen beziehungsweise ausdehnen. Deshalb nannte er sie «chaos», auf flämisch «Gas».

Vor allem das bei der Verbrennung von Holz entstehende «Gas sylvestre» interessierte Helmont; er erkannte es aber nicht als Kohlendioxid. Aus gärendem Wein gewann er Kohlenmonoxid und -dioxid, aus brennendem Schwefel erhielt er Schweldioxid und aus Ammoniumchlorid Chlorwasserstoffgas. Antoine Laurent Lavoisier griff die Bezeichnung «Gas» ein Jahrhundert später auf und führte sie in den Sprachgebrauch ein. Obwohl Helmont ein ausgesprochener Anhänger der Lehren Paracelsus´ war, lehnte er die Paracelsische Prinzipienlehre ab. Krankheiten faßte Helmont iatrochemisch auf, das heißt, er betrachtete sie als Störungen der chemischen Vorgänge im Körper. Daher empfahl er zur Therapie vor allem chemische Mittel. Helmont war ein oft konservativer Denker; so war er von der Existenz des «Steins der Weisen» fest überzeugt und glaubte an die «Urzeugung», zum Beispiel die spontane Entstehung von Mäusen aus verschmutztem Stroh. Die heilende Wirkung von Reliquien erklärte er durch magnetische Kräfte.

Die Auseinandersetzung mit der Inquisition rührte angeblich von einer Auseinandersetzung Helmonts mit einem Jesuiten her; schwerwiegender dürfte neben seinen alchimistischen und mystischen Vorstellungen gewesen sein, daß er angeblich göttliche Erscheinungen mit irdischen Vorgängen erklärte. Nach Helmonts Tod veröffentlichte sein Sohn dessen oft schwer verständliche Schriften, darunter das Hauptwerk «Ortus medicinae» von 1648.

Lexikontext (hier: Rohfassung) von Mark Benecke, Internationale Kriminalbiologische Beratung, forensic@benecke.com, www.benecke.com; aus: René Zey (Hrsg.): Lexikon der Forscher und Erfinder, Rowohlt, Reinbek, 1997, ISBN 3-499-16516-3

 

Hippokrates

Geboren um 460 v. Chr., Kos, gestorben um 370 v. Chr., Larissa, griechischer Arzt

Hippokrates Großvater und Vater sollen Ärzte gewesen sein; seine Familie führte ihre Herkunft auf den Gott der Heilkunst, Asklepios, zurück. In Ägypten soll Hippokrates Medizin studiert haben. Manche Quellen sehen in Demokrit und Herodikos von Selymbria zwei Lehrer von Hippokrates. Hippokrates lehrte und arbeitete als wandernder Arzt (Periodeut) und gründete auf Kos eine medizinische Unterrichtsstätte.

Die hippokratische Medizin faßte Krankheiten als unausgewogene Mischung (Dyskrasis) der vier Körpersäfte - Schwarze und Gelbe Galle, Schleim und Blut - auf; ein Mensch war gesund, wenn die Säfte in einem für die betreffende Person typischen Gleichgewicht standen (Sukrasis). Die im Herzen liegende «eingepflanzte Wärme» sollte die Elemente verbinden. Das «humoralpathologische Viererschema», das heißt die Viersäftlehre, hing eng mit der Vorstellung des Empodekles von Akraga zusammen, die alles Seiende auf die Elemente Luft, Erde, Feuer und Wasser zurückführte. Die Hippokratiker konnten durch die Säftelehre Gesundheit und Krankheit theoretisch erklären und wandten sich damit von religiös-magischen Erklärungsansätzen ab; daher betrachtet man die hippokratische Schule als Beginn der wissenschaftlichen Medizin.

Als Aufgabe des Arztes galt den Hippokratikern, das Gesamtverhalten des Organismus zu unterstützen und die «Heilkräfte der Natur» zu fördern. Therapeutisch wandten sie das Prinzip «contraria contrariis» an - Fieber wurde so mit Kälte behandelt. Besonderen Wert legten die Hippokratiker auf die Krankheitsverhinderung; dabei berücksichtigten sie auch Umwelteinflüße, denen sie eine eigene Abhandlung widmeten («Über Luft-, Wasser- und Ortsverhältnisse»). Eine gemäßigte Diät, Sauberkeit und Ruhe für den Kranken sowie besondere Sauberkeit des Arztes waren weitere Kennzeichen der hippokratischen Therapie. Auf Anatomie, Morphologie und operative Chirurgie wurde nur sehr geringer Wert gelegt.

Die umfangreiche, etwa 60 Werke umfassende Schriftensammlung, die unter Hippokrates Namen erschien («corpus hippocraticum», nach 100 v. Chr.), ist eine Zusammenstellung ärztlichen Wissens aus den etwa fünf bis sechs Jahrhunderten seit dem Wirken Hippokrates´; den Kern der Texte bilden Arbeiten der hippokratischen Schulen von Kos und Knidos des fünften bis vierten Jahrhunderts v. Chr.. Historische Bedeutung hat der ethische Anspruch, den die Hippokratiker dem ärztlichen Tun zumaßen.

Hippokratischer Eid
Ein dem Hippokrates zugeschriebenes, aber sicher nicht von ihm stammendes Arztgelöbnis, das den Arzt einem hohen ethischen Verantwortungsbewußtsein unterstellt. Der hippokratische Eid war das Vorbild der heutigen Leitlinien ärztlichen Handelns, die allerdings nicht im eigentlichen Sinne geschworen, sondern mit der Approbation stillschweigend anerkannt werden.

Lexikontext (hier: Rohfassung) von Mark Benecke, Internationale Kriminalbiologische Beratung, forensic@benecke.com, www.benecke.com; aus: René Zey (Hrsg.): Lexikon der Forscher und Erfinder, Rowohlt, Reinbek, 1997, ISBN 3-499-16516-3

 

Keller, Friedrich Gottlob

Geboren am 27. 6. 1816, Hainichen, gestorben am 8. 9. 1895, Krippen bei Schandau; deutscher Erfinder

Keller wuchs als eines von zehn Kindern eines armen Weber- und Blattbindemeisters heran. Mit 18 Jahren ging er einige Monate lang auf Wanderschaft und bildete sich autodidaktisch in technischen Fragen fort. Nach der Zerstörung seiner Papiermühle (1850) und dem Bankrott lehnte er alle Stellenangebote ab, siedelte mit seiner Familie nach Krippen über und arbeite dort als Mechaniker und Erfinder. Keller ist der Erfinder des «Holzschliffpapieres» und damit der Mitbegründer der Massenproduktion von Papier überhaupt. Kellers Erfindung ermöglichte zusammen mit der Entwicklung des chemischen Aufschlusses der Zellulose für holzfreies Papier (etwa 1850-1870) den Aufstieg der industriellen Papierproduktion.

Als um 1840 ein neuer Papierrohstoff gesucht wurde, versuchte Keller, zu diesem Zweck Holzfasern einzusetzen. Bis dahin bestand Papier aus Textilfasern, der steigende Bedarf konnte dadurch jedoch nicht mehr gedeckt werden. Zur Verwendung von Holzfasern wurde Keller durch die Anschauung papierner Wespennester angeregt. Er zerkleinerte das Holz mittels eines Schleifsteines, nachdem seine Versuche, es chemisch zu zerlegen, gescheitert waren. 1843 gelang Keller auf diese Weise erstmals die Herstellung eines Papieres auf Holzbasis; ab 1844 versuchte er ohne jeden finanziellen und organisatorischen Rückhalt, seine Idee industriell umzusetzen.

Obwohl er 1846 mit dem Direktor der Bautzener Papierfabriken einen Vertrag über die Rechte am Holzschliffverfahren geschlossen hatte, trat er die Beteiligung bald ohne Gewinn wieder an diesen ab. Erst um 1892 wurde die Urheberschaft Kellers an dem mittlerweile weitverbreiteten Papierherstellungsverfahren wiederentdeckt und verhalf ihm nach einer öffentlichen Sammlung zu einer monatlichen Zusatzrente. Zahlreiche kleinere Erfindungen Kellers brachten trotz ihres praktischen Nutzens keinen wirtschaftlichen Erfolg, zum Beispiel eine Meßkluppe zur Berechnung des Durchmessers von Baumstämmen, ein Bleistiftspitzer und ein Apparat zur Knopflochherstellung.

 

Laënnec, Théophile René Hyacinthe

Geboren am 17. 2. 1781, Quimper (Finistère), gestorben am 13. 8. 1826, Kerlouanec; französischer Arzt

Laënnec studierte bis 1804 Medizin und praktizierte fortan als Arzt und wurde 1822 Professor in Paris. Laënnecs bekannteste Leistung ist die Erfindung des Stethoskopes. Dieses ärztliche Hörgerät verstärkt verschiedene Körpergeräusche, zum Beispiel der Darm- und Lungenfunktion (etwa das Rasseln des Atems) sowie des Herz- und Pulsschlages. Dieses allgemeinmedizinische Routineverfahren bezeichnet man nach dem lateinischen Wort «auscultare» (horchen) eingedeutscht als «Auskultation». Ursprünglich als Notlösung gedacht, um beim Abhören von Patienten nicht unnötig mit deren Körper in Berührung zu kommen, nutzte Laënnec zunächst seinen gerollten Notizblock als Hörhilfe. Die dabei entstandene Papierrolle entwickelte er zu einem Holzzylinder weiter; heute verwendet man schalleitende Schläuche mit Ohrstücken. 1819 veröffentlichte Laënnec seine Erfindung in «De l´auscultation médiate...».

Laënnec selbst starb während einer Tuberkulosererkrankung. Die bis Mitte des 19. Jahrhunderts weit verbreitete Therapie des Aderlasses mittels Blutegeln hatte er verurteilt, vermutlich wegen der damit verbundenen Infektionsgefahr - das von Blutegeln aufgenommene Blut und damit möglicherweise darin enthaltene Erreger kann monatelang unverändert bleiben. Zahlreiche medizinische Krankheitsbilder und -erscheinungen sind nach Laënnec benannt, darunter die Laënnec-Zeichen (sagoartige, zähklebrige Perlen im Auswurf beim Laënnec-Katarrh, einer Bronchitis), der Laënnec-Abszeß bei Tuberkulosekranken, die Laënnec-Leberzirrhose und der Laënnec-Lungeninfarkt

Lexikontext (hier: Rohfassung) von Mark Benecke, Internationale Kriminalbiologische Beratung, forensic@benecke.com, www.benecke.com; aus: René Zey (Hrsg.): Lexikon der Forscher und Erfinder, Rowohlt, Reinbek, 1997, ISBN 3-499-16516-3

 

Leveran, Charles Louis Alphonse

Geboren am 18. 6. 1845, Paris, gestorben am 18. 5. 1922, Paris; französischer Arzt

Laveran wuchs als Sohn einer Kommandeurstochter und eines Stabsarztes auf; der Vater war zugleich Professor an der Militärschule in Val-de-Grâce. Seine Studienzeit begann Laveran in Paris; er wechselte 1863 an die Strasburger École Imperiale du Service de Santé Militaire, wo er 1867 promovierte. Im deutsch-französischen Krieg war Laveran ab 1870 als Sanitätsoffizier in Metz, ging dann an das Spital in Lille und das St.-Martinskrankenhaus in Paris und wurde 1874 Agrégé an der Ecole du Val-de-Grâce, wo er 1878 den Lehrstuhl seines Vaters übernahm. Im gleichen Jahr wurde Laveran in Bône in Algerien stationiert; er kehrte 1883 nach Frankreich zurück und war von 1884-1894 Professor für Militähygiene in Val-de-Grâce. Nach kurzen Arbeitsaufenthalten als Chefarzt des Krankenhauses in Lille sowie als Leiter des Gesundheitsmates in Nantes ließ er sich pensionieren und trat 1896 dem Pariser Pasteurinstitut bei.

Laveran war Mitglied zahlreicher wissenschaftlicher Gesellschaften und erhielt 1889 den Bréantpreis der Französischen Akademie der Wissenschaften, deren Mitglied er 1901 wurde. 1908 gründete er die Société de Pathologie Exotique und wirkte bis 1919 als deren Präsident. Weitere Ehrungen Laverans waren seine Ernennung zum Kommandeur der Ehrenlegion (1912) und den Nobelpreis für Medizin (1907). Laveran ist der Entdecker des Malariaerregers Plasmodium malariae, einem begeißelten Einzeller (flagellater Protist), der im Blut des Menschen lebt. Noch heute ist die Malaria eine der bedeutendsten Infektionskrankheiten des Menschen. Wegen seines Lebenswerkes wird Laveran auch gelegentlich als «Vater der Parasitologie» bezeichnet.

Bei zahlreichen Autopsien von an Malaria verstorbenen Soldaten in Algerien war Laveran (wie auch zuvor schon seinem deutschen Kollegen Achille Kelsch) aufgefallen, daß das Blut Malariakranker einen dunkles Pigment enthielt, das auch die Leber braun färbte. Bei der daraufhin angestellten Untersuchung hunderter Blutproben von gesunden sowie von an Malaria erkrankten und verstorbenen Soldaten entdeckte Laveran 1880 den Krankheitserreger mittels eines schwachen Mikroskopes und ohne die Möglichkeit zu mikroskopischer Anfärbung der Blutbestandteile. Obwohl sich Louis Pasteurs Theorie der Krankheitsentstehung durch Mikroorganismen bereits durchgesetzt hatte, wurde Laverans Entdeckung mit größtem Mißtrauen aufgenommen, unter anderem deshalb, weil man nicht glaubte, daß Flagellaten (Geißeltierchen) im Blut überleben können.

Weitere Argumente gegen Laverans Beobachtung waren die Vermutungen, daß die Zusammensetzung der Luft oder des Bodens am Ort der Krankheitsentstehung oder ausschließlich Bakterien (und nicht Flagellaten) für dieInfektion entscheidend sein müßten. Erst weitere Blutuntersuchungen Laverans 1882 am San Spirito-Krankenhaus in Rom sowie ein Zusammentreffen mit Pasteur 1884 brachten allmählich die Anerkennung der wissenschaftlichen Fakten. Der englische Armeearzt Ronald Ross zeigte Ende des 19. Jahrhunderts, daß der Malariaerreger durch die Stechmücke Anopheles von Mensch zu Mensch übertragen wird.

Ein großer Verdienst Laverans sind auch seine Forschungen um weitere von Einzellern ausgelöste Tropenkrankheiten, vor allem die von der Tsetsefliege übertragenen Schlafkrankheit sowie die Leishmaniose. Seine Therapiemethoden, unter anderem die Gabe von Natriumarsenit und dem Farbstoff Trypanrot, waren allerdings für die Anwendung am Menschen zu gefährlich. In etwa einem Dutzend Buchveröffentlichungen stellte Laveran seine Entdeckungen vor, zum Beispiel in «Trypanosomes et trypanosomiases» (1904, mit F. Mesnil), «Minion d´´tudes de la amladies du sommeil» (1906) und «Le progres de la pathologie exotique» (1910).

Lexikontext (hier: Rohfassung) von Mark Benecke, Internationale Kriminalbiologische Beratung, forensic@benecke.com, www.benecke.com; aus: René Zey (Hrsg.): Lexikon der Forscher und Erfinder, Rowohlt, Reinbek, 1997, ISBN 3-499-16516-3

 

Lister, Joseph Lord

geboren am 4. 1827, Uptonhouse (Essex), gestorben am 7. 10. 1912, Walmer (Kent); englischer Chirurg

Lister war Sohn eines Weinhändlers und studierte von 1846 bis 1852 in London Medizin. 1853 wechselte er nach Edinburgh, wo er zunächst hospitierte und 1855 Assistent des Chirurgen J Syme wurde. 1860 nahm Lister eine Professur an der Universität Glasgow an, wo er 1861 Leiter der chirurgischen Klinik wurde. 1869 löste er Syme als Leiter des Edinburgher Königlichen Krankenhauses ab und von 1877-1893 arbeitete Lister als Professor am Kings College in London. Ab 1891 leitete Lister zudem das von ihm mitinitiierte British Institute of Preventive Medicine, das nach dem Vorbild des Institute Pasteur in Paris aufgebaut war. Von 1885 oder 1895 bis 1900 war Lister Präsident der Royal Society, 1897 wurde er zum Baron (Lord Lister of Lyme Regis) geadelt.

1866 berichtete Lister erstmalig in einem Brief von der antiseptischen Wundbehandlung mit Phenol, 1867 folgte eine ausführliche Abhandlung über diese und ähnliche Methoden der Infektionsvorbeugung. Damit wurde er Vater der Wundentzündungsabwehr . Ausgehend von Pasteurs Theorie der baktereiellen Krankheitserreger führte Lister Vorkehrungen ein, um die Erreger chemisch abzutöten - Lister war aufgefallen, daß Infektionen vor allem bei Operationen und offenen Wunden entstanden, aber nur selten bei reinen Knochenbrüchen. Seine Methode, Antisepsis genannt, bestand darin, das Operationsfeld, die Operationsbestecke sowie das Naht- und Verbandsmaterial mit einer fünfprozentigen Phenollösung abzureiben. Da er auch in der Luft eine hohe Anzahl krankheitserregender Keime annahm (was nicht der Fall ist), benutzte er während der Operationen Phenolsprays, die mittels mechanischer Sprühpumpen und später als Wasserdampf-Phenol-Apparate betrieben wurden. Bei der Wundnachbehandlung setzte Lister als äußere Abschlußschicht phenolgetränkte «Okklusionsverbände» ein. Insgesamt erkannte er, daß die entscheidenden Erreger von außen kommen.

Besondere Bedeutung haben Listers systematische und andauernde Untersuchungen der verschiedenen Anwendungsarten antiseptischer Techniken, die damit über die Entdeckung des Chlorkalk als reines Händedesinfektionsmittel durch Ignaz Philipp Semmelweis´ hinausgeht. Lister konnte die Antisepsis gegen den anfänglichen Widerstand konservativer Kollegen durchsetzen; auch deutsche Chirurgen griffen Listers Ideen auf und konnten damit die Sterblichkeit nach operativen Eingriffen erheblich senken. Heute kommt die Antiseptik nur noch bei der Operationsvorbereitung zum Einsatz, während die Eingriffe selber aseptisch, das heißt mithilfe dampfsterilisierter Instrumente, ablaufen - eine physikalische anstelle der chemischen Methode der Keimtötung. (Phenol wird wegen seiner krebserregenden und hautreizenden Wirkung nicht mehr verwendet.). Auch im operativen Bereich selbst brachte Lister die Chirurgie voran, etwa durch die Abdeckung von Amputationsstümpfen, bei der Brustkrebsbehandlung, der Knochen- und Blasenchirurgie sowie bei der Gefäßabschnürung während Operationen. Entzündungen hatten Lister bereits früh interessiert: seine frühesten Arbeiten behandeln die mikroskopische Untersuchung von Entzündungsstadien.

Lexikontext (hier: Rohfassung) von Mark Benecke, Internationale Kriminalbiologische Beratung, forensic@benecke.com, www.benecke.com; aus: René Zey (Hrsg.): Lexikon der Forscher und Erfinder, Rowohlt, Reinbek, 1997, ISBN 3-499-16516-3

 

Medelejew (Mendeleev), Dmitrij Iwanowitsch

Gebroen am 8. 2. 1834, Tobolsk, gestorben 2. 2. 1907, St. Petersburg; russischer Chemiker

Mendelejews Vater war Gymnasiallehrer, erblindete aber und verstarb 1849; die Mutter Mendelejews eröffnete daher eine Glasfabrik, die jedoch abbrannte. Daraufhin zog die Mutter mit ihrem jüngsten Kind nach Petersburg, wo Mendelejew seine 1850 begonnene Schulausbildung 1855 abschloß. 1857 wurde er Privatdozent an der Petersburger Universität, ab 1859 ging er zwei Jahre nach Frankreich und Deutschland, wo er unter anderem Robert Wilhelm Bunsens Vorlesungen hörte. Zurück in Petersburg lehrte Mendelejew organische Chemie; er promovierte 1865 und übernahm zunächst die Professur für technische und ab 1867 für allgemeine Chemie. Mendelejew gab 1890 aus Protest gegen die schlechte Behandlung von Studenten seinen Lehrstuhl ab und arbeitete ab 1893 bis zu seinem Tod als Direktor des Amtes für Maße und Gewichte. Schon die ersten wissenschaftlichen Arbeiten Mendelejews - sie stehen auf der Basis der Atomtheorie von Charles Frédéric Gerhardt - befassen sich mit physikalischer Chemie. So entwickelte Mendelejew eine empirische Formel zur Wärmeausdehnung, setzte Molekularadhäsion und Reaktivität in einen Zusammenhang und fand die absolute Siedetemperatur (1869 von Th Andrews als «kritische» Temperatur bezeichnet).

Bei seiner Suche nach einem einheitlichen Systematisierungsprinzip der 63 zur damaligen Zeit bekannten chemischen Elemente fand Mendelejew 1869, daß diese periodisch angeordnet werden können. Die Anordnung erfolgt sowohl nach dem Atomgewicht als auch nach der periodisch steigenden bzw. fallenden Wertigkeit der Elemente (daher der Name «Periodensystem der Elemente»). Mendelejew veröffentliche im gleichen Jahr die erste Abhandlung zu diesem Thema («Über den Zusammenhang zwischen den Eigenschaften und dem Atomgewicht der Elemente»), 1870 erschien Julius Lothar Meyers nahezu identische Tabelle und 1871 legte Mendelejew die ausführliche Arbeit «Über das natürliche System der Elemente» vor. Mendelejew ließ darin Lücken für noch zu entdeckende Elemente frei; zudem sagte die Eigenschaften dreier dieser «Eka-Elemente» voraus. Trotz deutscher Übersetzungen von Mendelejews Arbeiten blieb die Anerkennung zunächst aus - bis 1875 das Gallium (Eka-Aluminium) und nachfolgend die beiden anderen Elemente Scandium (Eka-Bor) und Germanium (Eka-Silizium) samt deren vorhergesagten Eigenschaften entdeckt wurden. Mendelejews spätere Untersuchungen, zum Beispiel über die Elastizität von Gasen und die «Untersuchung wäßriger Lösungen nach dem spezifischen Gewicht» (1887) blieben ohne tiefgehende Resultate.

Zeitlebens befaßte sich Mendelejew auch eingehend mit der wirtschaftlichen Entwicklung seines Landes und der Ausbeutung der Naturschätze. Er widmete sich zudem der Wetterkunde und dem Schiffbau, der Kunst und der kritischen Auseinandersetzung mit dem Spiritismus. 1887 stieg Mendelejew alleine in einem Ballon auf, um eine Sonnenfinsternis zu fotografieren und 1891 entwickelte er einen neuen Zolltarif. Von seinen Büchern ist Mendelejews «Lehrbuch der organischen Chemie» (1861), vor allem aber «Grundlagen der Chemie» zu nennen (1869, achte Auflage 1906; englische Übersetzung 1905). Die «Grundlagen» gelten als eines der besten und originellsten Bücher, die je über Chemie geschrieben wurden. Mendelejew war Mitglied der bedeutendsten wissenschaftlichen Akademien, Ehrendoktor zahlreicher Universitäten sowie Träger der Davy-Medaille (1882 zusammen mit L Meyer) und der Copley-Medaille (1905) der Royal Society. Den Nobelpreis für Chemie erhielt er 1906 mit einer fehlenden Stimme nicht und die Mitgliedschaft in der Petersburger Akademie der Wissenschaften war ihm wegen seiner fortschrittlichen politischen Haltung verwehrt.

Lexikontext (hier: Rohfassung) von Mark Benecke, Internationale Kriminalbiologische Beratung, forensic@benecke.com, www.benecke.com; aus: René Zey (Hrsg.): Lexikon der Forscher und Erfinder, Rowohlt, Reinbek, 1997, ISBN 3-499-16516-3

 

Montagnier, Luc

Geboren am 18. 8. 1932, Chabris/Indre-et-Loire; französischer Virologe

Montagnier studierte nach dem Besuch der Schule seiner Heimatstadt in Poitiers Medizin; 1955 wurde er Assistent an der Pariser Sorbonne, wo er 1960 zum Dr. med. promovierte. Ab 1965 leitete er das Radiumlabor am nationalen wissenschaftlichen Forschungszentrum in Paris, bis er 1982 die Virologische Abteilung des Institut Pasteur - ebenfalls in Paris - übernahm. Bei der routinemäßigen Überprüfung von Blutkonserven stieß Montagnier 1984 auf ein virales Partikel, das human immunodeficiency virus (HIV). Menschen, die von diesem oder dem ähnlichen HIV-2 Virus befallen sind, sterben leicht an Krankheiten, die das Immunsystem des gesunden Körpers abwehren könnte.
Zuvor hatte sich Montagnier darum bemüht, mithilfe von Tierversuchen den Zusammenhang zwischen der Krebsentstehung und dem Befall mit Retroviren zu klären. Retroviren sind einzelsträngige Ribonukleinsäurestränge (RNA), die von einem Hüllprotein umgeben sind. Ihre RNA wird nach Eindringen in die Wirtszelle von dieser in doppelsträngige Desoxyribonukleinsäure (DNA), die «normale» Form der Erbsubstanz, umgeschrieben. Retroviren vermehren sich in der Wirtszelle und befallen weitere Zellen - gegebenenfalls ein neues Individuum. Dabei können versehentlich Erbinformationen verschleppt werden, die unter Umständen krebserzeugend sind. Es gibt auch weitere Möglichkeiten, wie Retroviren Krebs erzeugen können, zum Beispiel durch den Einbau von Erbinformation an der falschen Stelle der Wirts-DNA. Retroviren können eine von vielen Ursachen für Krebs sein; der HIV-Virus ist ebenfalls ein Retrovirus.

Um die Entdeckung des HIV (und die sich daran anschließenden Vermarktungsmöglichkeiten zum Beispiel eines Medikamentes) entbrannte ein heftiger Prioritätsstreit zwischen Montagnier und dem Amerikaner Robert Charles Gallo. Gallo hatte Anfang der 80er Jahre das von ihm HTLV III benannte Virus gefunden, das mit HIV identisch ist. Er entwickelte daraufhin den ersten HIV-Test, der auch zur Überprüfung von Blutkonserven wichtig war. Nach einer genauen Überprüfung der Sachlage im Jahr 1991 trat Gallo von seinem Anspruch auf die Erstentdeckung von HIV zurück; die französische und amerikanische Regierung hatten sich schon 1987 geeinigt, alle Einkünfte aus der Entdeckung zu teilen. Seit den 70er Jahren verbreitet sich die Krankheit AIDS (1982 allgemeingültig so benannt), von der man heute allgemein annimmt, daß sie durch das HIV-Virus ausgelöst sei. Die Verbreitung des Virus und seine biologischen Eigenschaften sind genau bekannt; manche Forscher gehen allerdings davon aus, daß HIV nicht die (alleinige) Ursache des Krankheitsbildes AIDS ist. Noch heute - Ende der 90 Jahre - gibt es kein einwandfreies Medikament gegen AIDS und keinen Impfschutz gegen das sich schnell verändernde HIV-Virus.

 

Owen, Sir Richard

Geboren am 20. 7. 1804, Lancaster, gestorben am 18. 12. 1892, Sheen Lodge bei Richmond upon Thames; britischer Anatom und Paläontologe

Nach der Grammar School trat Owen in eine Apothekerlehre ein; zur gleichen Zeit beteiligte er sich bereits an Leichensektionen und nahm Unterricht bei einem Chirurgen. 1824 begann Owen sein Medizinstudium an der Universität Edinburgh, bis er 1825 nach London an das St. Batholomäus Krankenhaus ging, wo er die Sektionen leitete. 1835 wurde Owen Professor am Royal College of Surgeons und ab 1856 Direktor der naturhistorischen Abteilung des Britischen Museums. 1884 wurde Owen zum «Sir» ernannt. Bereits am Royal College of Surgeons, spätestens aber nach einer Begegnung mit Cuvier im Jahre 1930 begeisterte sich der Mediziner Owen für die zoologische Systematik. Er sezierte fortan soviele Tiere wie möglich.

Daraus resultierten zahlreiche vergleichend-anatomische und zoosystematische Darstellungen, zum Beispiel über Kopffüßler, Monotremata, Lungenfische sowie das Fingertier (Aye-Aye). Anhand von Zahnfunden schloß Owen auf die Ernährungsgewohnheiten ausgestorbener Tiere. Unter anderem durch diese Studien sowie durch von Charles Robert Darwin aus Südamerika besorgte Skelette fossiler Säugetiere gelangte Owen zur Paläontologie. Er prägte im Jahr 1842 den Begriff Dinosaurier und bereitete 1854 die ersten lebensgroßen, allerdings noch recht ungenauen, Rekonstruktionen dieser «Schreckenechsen» vor. 1863 erkannte Owen als erster die Bedeutung des Archäopterix.

Bereits 1935 beschrieb Owen die Einlagerung von Trichinen in Muskeln; er erkannte die Trichinen jedoch nicht als Krankheitsverursacher. Owens bedeutendste Forschungsleistung dürfte die Unterscheidung zwischen den Begriffen Homologie und Analogie sein. Analog sind Organe, die bei verschiedenen Tierarten dieselbe Funktion haben, aber von unterschiedlichen Körperstrukturen gebildet werden (zum Beispiel die Grabklauen von Maulwurfsgrillen im Gegensatz zu denen echter Maulwürfe). Homologie liegt vor, wenn Organe mit gleicher Funktion von denselben Körperbereichen abstammen (zum Beispiel Vogel- und Fledermausflügel). Als letzter Naturphilosoph im Sinne Lorenz Okens vertrat Owen die Ansicht, daß die Evolution vitalistisch zu deuten sei. Im Gegensatz dazu sah Darwin in zufälligen Mutationen und nicht in inneren Kräften den Antrieb zur Fortentwicklung der Arten.

Lexikontext (hier: Rohfassung) von Mark Benecke, Internationale Kriminalbiologische Beratung, forensic@benecke.com, www.benecke.com; aus: René Zey (Hrsg.): Lexikon der Forscher und Erfinder, Rowohlt, Reinbek, 1997, ISBN 3-499-16516-3

 

Paracelsus, Phillippus Theophrastus (eig. Phillipp Aureolus Theophrast Bombast von Hohenheim)

Geboren am 11. 11.(?) 1493, Einsiedeln, gestorben am 24. 9. 1541, Salzburg; schweizer Arzt, Naturforscher und Philosoph

Seinen ersten Medizinunterricht soll Paracelsus von seinem Vater erhalten haben, der an der Bergakademie lehrte; 1510 begann er sein Medizinstudium in Basel. Nach dem Bakkalaureat in Wien und seiner Promotion an der italienischen Universität Ferrara im Jahr 1517 (beides historisch ungesichert) durchreiste Paracelsus Europa. 1524/1525 arbeitete er in Salzburg und 1526/1527 in Basel als Arzt. Weitere Orte seines Schaffens waren 1529 Nürnberg, um 1538 Kärnten und um 1540 Salzburg.

Paracelsus kämpfte lebenslang gegen die seinerzeit herrschende scholastisch verstandene und gelehrte Medizin, zum Beispiel die Säftelehre (Humoralpathologie). Als Stadtarzt und Professor in Basel versuchte Paracelsus, in seinen Vorlesungen seine «reformatio medicinae» durchzusetzen; er verbrannte sogar öffentlich die Schriften Galens und Avicennas, ließ aber zugleich Hippokrates´ Lehren gelten. Paracelsus schrieb seine Bücher und hielt seine Vorträge in deutscher Sprache, was damals in den Wissenschaften völlig unüblich war. Wegen seines sehr streitbaren Charakters oft angefeindet, war Paracelsus´ Wirken von einigen Niederlagen gekennzeichnet. So wurde der Druck vieler seiner Bücher bis zu seinem Tod verhindert; daher erschien Paracelsus´ umfangreiches Werk im wesentlichen posthum. Paracelsus stand an der Schwelle zu einer Medizin und Chemie, die das Experiment als Grundlage hatte. Seine Therapieerfolge durch die Verwendung von chemischen Medikamenten - vor allem Metallen - machten Paracelsus berühmt. Diese Form der Alchimie hatte nicht die Umwandlung von Elementen zum Ziel, sondern die Arzneimittelherstellung bzw. die Verlängerung des Lebens. Daraus entstand im 17. Jahrhundert die «Iatrochemie», die den Menschen als chemisches System auffaßte und daher auch mit Chemikalien kurierte.

Gedankliche Grundlage von Paracelsus Lehren waren die vier Elemente Luft, Wasser, Feuer und Erde sowie die arabischen Prinzipien Mercurius (das Flüchtige), Sulfur (das Brennbare) und Sal (der Rückstand). Den Stoffwechsel - Sublimierung, Verbrennung und Veraschung - vermutete er im Magen, den er als «Archäus» oder «inneren Alchimisten» bezeichnete. Wenn der Körper - als kleiner «Kosmos» im wirklichen Kosmos - in Geist, Seele oder Körper gestört ist, wird er krank.

Paracelsus setzte als erster das Opiumextrakt Laudanum zur Schmerzbekämpfung sowie Arsen zur Syphilistherapie ein. Da Paracelsus von der Wirksamkeit der Metalle besonders überzeugt war, setzte er auch giftige Quecksilber- und Antimonsalze ein. Paralytische Zustände brachte Paracelsus richtig mit Kopfverletzungen in Zusammenhang; eine Ursache des Kretinismus sah er im Kropf. Zudem beschäftigte sich Paracelsus mit Heilquellen, Berufskrankheiten von Bergarbeitern und der Chirurgie. Insgesamt war Paracelsus kein moderner Mediziner oder Erneuerer, sondern der mittelalterlichen Denkweise verhaftet. Paracelsus und seine zahlreichen Schüler vertraten eine spekulative Kosmologie mit astrologischen, alchimistischen und okkultistischen Anteilen und sahen den Menschen - vergleichbar dem Humanismus und der Renaissance - als Bezugspunkt der göttlichen Schöpfung.

 

Pasteur, Louis

Geboren am 27. 12. 1822, Dole, gestorben am 28. 9. 1895, Villeneuve-l´Étang; französischer Chemiker und Mikrobiologe

Pasteur war Sohn eines Gerbers und lebte ab 1825 in Arbois. Ab 1838 besuchte er zunächste eine Schule in Paris und dann in Besançon, wo er nach dem ersten Teil seiner Abschlußprüfung (1840) ab 1841 als Hilflehrer arbeitete. 1842 schloß er in Dijon seine Schulausbildung ab, ging an das Lycée Saint-Louis in Paris und anschließend an die Pariser École normale supérieur, wo er 1846 die Lehramtsprüfung für Physik ablegte. Schon zu dieser Zeit hatte Pasteur an der Sorbonne in Paris Chemievorlesungen von Jean Baptiste André Dumas und Antoine Jérôme Balard gehört. Nach seiner Promotion in Paris 1847 wurde er 1848 Physiklehrer in Dijon und folgte 1849 einem Ruf an die Strasburger Universität. 1854 wechselte Pasteur an die Universität Lille und ging 1859 als Leiter des wissenschaftlichen Zweiges der École normale zurück nach Paris, wo er 1863 Professor für Naturwissenschaften an der Pariser École des Beaux-Arts und 1867 Lehrstuhlinhaber für Chemie an der Sorbonne wurde. Als Träger der Rumford-Medaille der Londoner Royal Society war Pasteur ab 1873 Mitglied der Pariser Medizinischen Akademie und ab 1887 Sekretär der Akademie der Wissenschaften. 1888 gründete er in Paris das Pasteurinstitut.

Pasteur gilt wegen seiner Entdeckungen um die Entstehung und Übertragung von Infektionskrankheiten sowie deren Bekämpfung durch die Vernichtung infektiösen Materials sowie die aktive Schutzimpfung als einer der berühmtesten Naturwissenschaftler der Geschichte. Die Idee, daß Mikroorganismen Auslöser von Krankheiten sein könnten, kam Pasteur 1865 bei der Untersuchung von Seidenraupen in Südfrankreich, unter denen die epidemische Fleckenkrankheit ausgebrochen war. Pasteur wandte die dabei gemachte Entdeckung, daß Krankheitserreger vom einen zum anderen Individuum übertragen werden können, 1867 auf den Milzbrand der Rinder an und zeigte, daß auch Dauerformen (Sporen) des Milzbrandbakteriums infektiös sind.

Studien zur Geflügelcholera (ab 1878) zeigten Pasteur, daß die Ansteckungskraft von in Kultur genommenen Erregern abnehmen kann. Daraufhin spritzte er gesunden Haustieren abgeschwächte oder durch Hitzebhandlung abgetötete Erregerkulturen ein (1881) und schützte die Tiere so erfolgreich vor einer Neuansteckung - eine im Vergleich zu Edward Jenners Verfahren wesentlich verbesserte Methode der Impfung. Auch gegen die Hühnerpest, den Schweinerotlauf und die Tollwut entwickelte Pasteur Schutzimpfungen, wobei er zur Herstellung des Tollwutimpfstoffes - in Ermangelung des damals nicht darstellbaren Erregers - getrocknete Wirbelsäulen befallener Tiere verwandte.
Frühe Versuche Pasteurs galten der mikroskopischen Untersuchung versauerten Weines. Dabei war ihm aufgefallen, daß in normal vergorenem Wein andere Hefezellen leben als in saurem Wein. Er zeigte, daß der eine Hefezelltyp die erwünschte alkoholische Gärung, der andere Zelltyp jedoch eine Milchsäuregärung durchführte. Dies erklärte zugleich die Natur von Gärungen als biologischer (und nicht rein anorganisch-chemischer) Vorgang, der vor allem unter Sauerstoffabschluß abläuft.

Auch die falsche Theorie der Entstehung von Mikroorganismen aus unbelebter Materie konnte Pasteur um 1864 durch elegante Versuche endgültig widerlegen. Eine weitere herausragende Leistung Pasteurs war 1848 die mechanische Trennung von Weinsäurekristallgemischen, die aus Molekülen bestanden, von denen jedes einzelne die Schwingungsebene polarisierten Lichtes nach rechts oder links drehte. Diese Versuche schufen die Voraussetzung für die Entwicklung der Lehre spiegelbildlich aufgebauter Moleküle (Stereochemie).

Pasteurisieren
Pasteur schlug nach der Entdeckung von Mikroorganismen in sauer gewordenem Wein und Bier die Haltbarmachung von Getränken durch deren kurzfristige Erwärmung auf unter 100°C vor. Dadurch blieben Farbe, Aroma und Nährwert der Lebensmittel erhalten. Da beim Pasteurisieren nur lebende Organismen, aber nicht immer deren Dauerformen absterben, bewirkt die Pasteurisierung nur eine vorübergehende Konservierung. Während Weine heute zum Beispiel chemisch mit Schwefelsalzen haltbargemacht werden, benutzt man Pasteurs Konservierungsmethode hauptsächlich für Milch.

Pasteureffekt
Heute als Glykolyse bezeichneter Stoffwechselvorgang, der von Pasteur in Hefen beobachtet wurde und in tierischem Gewebe häufig in Muskeln auftritt. Bei Sauerstoffmangel werden Zucker mit erniedrigter Energieausbeute ohne Verwendung von Sauerstoffmolekülen abgebaut (vergärt). Hefezellen können ihren Stoffwechsel in einer sauerstoffreichen Umgebung auf Zellvermehrung und in einer sauerstoffarmen Umgebung auf Gärung umschalten.

Lexikontext (hier: Rohfassung) von Mark Benecke, Internationale Kriminalbiologische Beratung, forensic@benecke.com, www.benecke.com; aus: René Zey (Hrsg.): Lexikon der Forscher und Erfinder, Rowohlt, Reinbek, 1997, ISBN 3-499-16516-3

 

Pauling, Linus Carl

Geboren am 28. 2. 1901, Portland, gestorben am 20. 8. 1994, Big Sur; amerikanischer Chemiker und Molekularbiologe

Pauling war Sohn eines Apothekers und begann 1917 seine Ausbildung in chemischer Verfahrenstechnik am Oregon State College in Portland, die er 1922 abschloß. Er wechselte im selben Jahr an das California Institute for Technology (Caltech), wo er als Dozent arbeitete und 1925 promovierte. Ein Studienaufetnhalt in den Jahren von 1926 bis 1927 führte Pauling in die Labors der europäischen Quantenphysiker Arnold Sommerfeld, Erwin Schrödinger und Niels Henrik Bohr; nach seiner Rückkehr an das Caltech (1927) arbeitete er dort von 1929-1994 als Professor für Chemie und chemische Technologie und von 1936-1958 zugleich auch als Direktor der dem Caltech angeschlossenen Gates and Crellin Laboratories.

1967 folgte er einem Ruf an die University of California in San Diego und wechselte 1969-1973 an die Universität Stanford in Palo Alto. Zeitlebens hatte Pauling Gastprofessuren in aller Welt inne; 1973 gründete er in Palo Alto ein eigenes molekularbiologisches und -medizinisches Forschungsinstitut. Im Zweiten Weltkrieg arbeitete Pauling von 1942-1945 in der Abteilung für Explosivstoffe der Studienkommission für Nationale Sicherheit, wofür ihm 1948 die Ehrenmedaille des Präsidenten verliehen wurde; nach Abwurf der Atombombe war Pauling einer der Mitgründer der Pugwash- beziehungsweise der Friedensbewegung.

Die Amerikanische Gesellschaft für Chemie wählte Pauling 1949 zu ihrem Präsidenten, 1951 wurde er Vizepräsident der amerikanischen Philosophischen Gesellschaft und von 1963-1967 stand er dem Center for the Study of Democratic Institutions in Santa Barbara vor. Zu Paulings Auszeichnungen gehören der Langmuirpreis der Amerikanischen Gesellschaft für Chemie (1931), die Ehrendoktorwürden zahlreicher Universitäten (zum Beispiel 1959 die der Berliner Humboldt-Universität) sowie die Nobelpreise für Chemie (1954) und Frieden (1962). Paulings Arbeiten zur chemischen Bindung, der Biochemie und der medizinischen Chemie veränderten die Denkweise über molekulare Strukturen von Grund auf. Seine prinzipielle Leistung dabei ist die physikalische Deutung chemischer Strukturen.

Das Zustandekommen chemischer Bindungen zwischen einzelnen Atomen konnte Pauling durch die Anwendung quantenmechanischer Vorstellungen Louis-Victor de Broglies erstmals schlüssig erklären: Die Elektronen zweier Atome sollten danach in Wellenform einen stabilen Zustand - die chemische (kovalente) Bindung - anstreben. Dabei kann die elektrische Ladung ungleich auf die beteiligten Atome verteilt sein. Atome mit höherer ziehen die Bindungselektronen stärker an, was bei Atomen verschiener Elektronegativität eine Ladungsverschiebung (Polarität) verursacht; anhand ihrer Elekronagativitäten lassen sich Energie und Charakter von Atombindungen abschätzen. Die Stabilität bestimmter organischer Moleküle begründete Pauling mit Elektronenverschmierungen (Resonanz), die eine energetische Stabilisierung des Moleküls bewirken. Seine diesbezüglichen, bis heute gültigen Vorstellungen faßte er 1939 in dem grundlegenden Buch «Die Natur der chemischen Bindung» beziehungsweise 1967 in «Die chemische Bindung» zusammen. Auch Paulings Lehrbücher, vor allem «General Chemistry» von 1947 (deutsch: «Chemie») fanden weite Verbreitung.

Den Nobelpreis für Chemie erhielt Pauling für seine herausragenden Untersuchungen zur Struktur von Biomolekülen - eine Übertragung seiner frühen Theorien auf kompliziertere Moleküle aus lebenden Geweben. So untersuchte Pauling 1936 den Blutfarbstoff Hämoglobin und fand 1940 in den roten Blutkörperchen von an Sichelzellanämie Erkrankten eine veränderte Hämoglobinform. Diese Entdeckung brachte die Erforschung von Krankheiten auf molekularer Ebene ins Rollen, ein Wissenschaftszweig, den Pauling ab 1973 auch in seinem eigenen Institut betrieb.

Durch seine in den frühen fünfziger Jahren aus Röntgenbeugungsdaten entwickelte Hypothese, daß Eiweiße in Schraubenform (helikal) angeordnet sein können, bereitete Pauling unter anderem die gedankliche Grundlage für die Strukturaufklärung der Desoxyribonukleinsäure durch Francis Crick und James Dewey Watson (1953). Darüberhinaus arbeitete er über die Proteinstruktur (besonders deren Drehrichtung) im Zusammenhang mit der Entstehung und Fortenwicklung des Lebens sowie an einer Molekulartheorie der Anästhesie.

Nach dem Zweiten Weltkrieg bis an sein Lebensende war Pauling ein entschiedener und aktiver Gegner von Kernwaffen und überreichte den Vereinten Nationen 1958 einen von 11000 Wissenschaftlern aus aller Welt unterschriebenen Aufruf zur Einstellung jeglicher Atomtests. Als 1962 ein internationales teilweises Teststoppabkommen inkrafttrat, erhielt Pauling 1963 der Friedensnobelpreis für 1962.

Lexikontext (hier: Rohfassung) von Mark Benecke, Internationale Kriminalbiologische Beratung, forensic@benecke.com, www.benecke.com; aus: René Zey (Hrsg.): Lexikon der Forscher und Erfinder, Rowohlt, Reinbek, 1997, ISBN 3-499-16516-3

 

Pettenkofer, Max Joseph von

Geboren am 3.12.1818, Lichtenheim (bei Neuburg/Donau), gestorben am 10. 2. 1901, München; deutscher Chemiker und Hygieniker

Pettenkofer - Sohn eines Bauern im Donaumoos - studierte in München Pharmazie und Medizin; 1843 schloß er sein Studium ab. Danach beschäftigte er sich in Würzburg mit Chemie und wechselte dann nach Gießen ins Labor Justus von Liebigs. 1847 ernannte man Pettenkofer zum Professor für medizinische Chemie an der Universität München, deren Rektor er 1865 wurde. Im gleichen Jahr wurde er, ebenfalls in München, erster deutscher Professor für Hygiene und erbaute dort von 1876-1879 das erste Hygieneinstitut. 1883 verlieh man Pettenkofer den erblichen Adel; 1890-1899 war er Präsident der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. 1893 legte er seine Professur nieder und 1901 beendete er eigenhändig sein Leben.

Pettenkofers anerkanntestes Arbeitsgebiet war die von ihm selbst definierte und mit Inhalt gefüllte Wissenschaft der Hygiene. Er setzte die Hygiene als eigenständigen Bereich der Medizin durch, sah aber auch den damit verbundenen wirtschaftlichen Aspekt. Daher sprach er auch Verwaltung und Ingenieure an und entwickelte eine «Gesundheitstechnik», die zum Beispiel bei der Sanierung Münchens zum Einsatz kam. Zeitlebens hatte sich Pettenkofer vor allem für Chemie und Physiologie interessiert. So entwickelte er bei von Liebig den Gallensäurenachweis und arbeitete am Königlichen Hauptmünzamt in München erfolgreich an chemischen Fragen. 1844 entdeckte Pettenkofer das Kreatinin, einen wichtigen Bestandteil des Muskelgewebes, zudem arbeitete über eine verbesserte Methode zur Zementherstellung (1847), der Herstellung von Leuchtgas aus Holz (1851) sowie, zusammen mit C. von Voit, Stoffwechselbilanzen (um 1860).

In seiner zweiten Lebenshälfte widmete sich Pettenkofer der Epidemiologie. Im Gegensatz zu seinen früheren Arbeiten haben diese Untersuchungen nur noch historischen Wert. Pettenkofer glaubte nicht, daß die Cholera, die 1854 auch in München ausbrach, alleine von einem Erreger ausgelöst werde, sondern maß der Boden- und Grundwasserbeschaffenheit die Hauptbedeutung zu («Untersuchungen und Beobachtungen über die Verbreitung der Cholera», 1855). Im Zusammenhang mit dem berühmten Zwiestreit mit Robert Koch über die Ursache der Cholera schluckte Pettenkofer 1892 sogar eine ganze Kultur von Cholerabakterien. Obwohl Pettenkofer nicht erkrankte, brach seine Krankheitstheorie zusammen, weil das epidemieauslösende «lokalistische» Element chemisch nicht gefunden werden konnte. 1884 entdeckte Koch endgültig den Choleraerreger. - Die heute in der Epidemiologie unumgängliche Ortsbesichtigung und ausgiebige statistische Erfassung und Auswertung des Seuchengeschehens wurde von Pettenkofer und seinen Schülern eingeführt. Pettenkofer arbeitete streng naturwissenschaftlich-experimentell. Auch seine Untersuchungen zu Kleidung, Heizung, Kanalisation und Wasserversorgung tragen experimentelle Züge. Wie sein Lehrer von Liebig war Pettenkofer ein Positivist, das heißt er erkannte ausschließlich sichtbare, zum Beispiel in Experimenten gewonnene Tatsachen als Erkenntnisquelle an.

Lexikontext (hier: Rohfassung) von Mark Benecke, Internationale Kriminalbiologische Beratung, forensic@benecke.com, www.benecke.com; aus: René Zey (Hrsg.): Lexikon der Forscher und Erfinder, Rowohlt, Reinbek, 1997, ISBN 3-499-16516-3

 

Priestley, Joseph

geboren am 13. 3. 1733, Fieldhead, gestorben am 6. 2. 1804, Northumberland; englischer Naturforscher und Theologe

Priestley war Sohn eines Tuchmachers und besuchte während seines Theologistudiums in Deventry (1752-1755) auch philosophische und naturwissenschaftliche Vorlesungen. Bis 1761 arbeitete er in Needham und Nantwich als Hilfsprediger; als er dieses Amt wegen seiner freigeistigen Haltung aufgeben mußte, wurde Pristley Fremdsprachen- und Literaturlehrer in Warrington. Währenddessen erlernte er auch - im wesentlichen autodidaktisch - die Grundzüge der Chemie. Mit einer Arbeit über die Geschichte der Elektrizitätslehre wurde Priestley 1766 Ehrendoktor der juristischen Abteilung der Universität Edinburgh; danach übernahm er eine Stelle als Pfarrer in Leeds (ab 1767) und Biringham (ab 1779). Von 1773-1779 arbeitete Priestley beim Earl of Shelbourne als Bibliothekar, Hauslehrer und Reisebegleiter.

Nachdem sein Haus 1791 von Reaktionären durch Brandstiftung zerstört worden war, siedelte Priestley nach London über und wanderte 1794 in die Vereinigten Staaten aus. Dort schlug er ein Angebot für eine Professur aus und wurde in Northumberland Bauer. Priestley war Ehrenbürger von Paris und Mitglied der französischen gesetzgebenden Versammlung. Die Royal Society wählte ihn 1766 zu ihrem Mitglied, 1772 wurde er in die französische Académie des Sciences aufgenommen.

Priestleys naturwissenschaftliche Arbeit galt ab 1767 vor allem der Chemie der Gase, für deren Untersuchung er besondere Geräte und Verfahren entwickelte sowie vorhandene Apparaturen verbesserte (Experiments and observations on different kinds of air«, sechs Bände, 1774-1786). Dabei gelang Priestley die Erstbeschreibung von sieben gasförmigen Verbindungen: Ammoniak, Chlorwasserstoff und Sauerstoff (alle 1774) sowie Schwefeldioxid (1775), Siliziumtetrafluorid (1775), Distickstoffmonoxid (Lachgas, 1776) und Kohlenmonoxid (1779). Carl Wilhelm Scheele entdeckte den Sauerstoffs vermutlich zur selben Zeit wie Priestley, konnte seine Arbeit aber erst später veröffentlichen. Während Antoine Laurent Lavoisier aufgrund der Entdeckung des Sauerstoffes durch Priestley die unrichtige Phlogistontheorie ablehnte, blieben Priestley und Scheele von dieser Annahme überzeugt. Sie vermuteten, deß bei der Verbrennung eine von Johann Joachim Becher 1669 als «brennliche Erde» und von Georg Ernst Stahl erstmals 1697 als «Phlogiston» bezeichnete Substanz entweiche. Priestley erkannte außerdem, daß Pflanzen bei Tage Kohlenmonoxid aufnehmen und Sauerstoff abgeben.

Seine naturwissenschaftliche Tätigkeit wirkte auch auf die von ihm vertretenen philosophischen Standpunkte ein. So entstand neben Schriften wie «History and present state of discoveries relating to vision, light and colours» (1772) auch eine physiologische Erklärung des Bewußtseins («Hartleys Theory of the human mind on the principle of the association of ideas», 1775). Seine politische Einstellung war entschieden von freiheitlichen Idealen geprägt («An essay on the first principles of government and on the nature of political, civil and religious liberty», 1768), was ihn zu einem begeisterten Anhänger der Französischen Revolution machte und schließlich aus England vertrieb. Er befaßte sich auch mit Bildungspolitik («The Rudiments of English grammar», 1761) und bezog gegen die herrschende Lehre stehende theologische Positionen. So faßte er die Kirchengeschichte als Verfälschung des Christentums auf («An history of the corruption of christianity», 1782) und lehnte die Dreieinigkeits- und Versöhnungslehre ab; in Amerika wurde Priestley Anhänger der Lehre von der Wiederbringung aller. Pristley gilt als einer der Hauptvertreter des englischen Materialismus, der von John Lockes sensualistischer Erkenntnistheorie ausging.

Lexikontext (hier: Rohfassung) von Mark Benecke, Internationale Kriminalbiologische Beratung, forensic@benecke.com, www.benecke.com; aus: René Zey (Hrsg.): Lexikon der Forscher und Erfinder, Rowohlt, Reinbek, 1997, ISBN 3-499-16516-3

 

Prigogine, Ilya

Geboren am 25. 1. 1917, Moskau; belgischer Physikochemiker

Ilya Prigogine lebte bis zu seinem fünften Lebensjahr in Moskau. In den Revulotionswirren floh er mit seiner Familie nach Europa und fand 1929 in Belgien, wo er Ende der 30er Jahre in Brüssel das Chemiestudium begann, eine neue Heimat. Er promovierte 1941 und arbeitete ab 1947 als Professor an der Freien Universität Brüssel. Nachdem Prigogine 1959 an die Universität Austin in Texas gewechselt hatte, wurde er 1961 Professor in Chicago und nahm 1970 einen Ruf nach Austin an, wo er Vorsitzender des Ilya-Prigogine-Zentrums für Statistische Mechanik wurde. 1977 erhielt er den Nobelpreis für Chemie. Das Hauptarbeitsgebiet Prigogines war die Beschreibung nichtumkehrbarer physikalischer Vorgänge, wie sie in allen lebenden Systemen, nicht aber in den Annahmen der klassischen Thermodynamik, vorkamen. Darauf aufbauend entwickelte sich die sogenannte Chaosforschung, die vollends mit dem im 18. und 19. Jahrhundert geprägten Bild der Natur brach.Prigogine gelang es, auch solche Vorgänge zu fassen, die sich außerhalb der bis dahin betrachteten, umkehrbaren Gleichgewichtszustände abspielten.

Wird etwa ein Pendel mit zunehmender Anstoßkraft in Gang gesetzt, so schwingt es ab einer bestimmten Stärke in nicht mehr in vorhersagbarer Weise. Auch lebende Organismen befinden sich ständig außerhalb jeden physikochemischen Gleichgewichtes: Sie sind auf dauernde Energiezufuhr (Sonnenlicht, Nahrung) angewiesen, um zu wachsen, sich fortzubewegen und so weiter. Daher nennt man diesen Zustand «Fließgleichgewicht». In den fünfziger Jahren entdeckte Prigogine, daß auch derartige, nichtlineare Prozesse («disipative Strukturen») eine Art selbstorganisierte Ordnung entwickeln. 1977 faßte er seine diesbezüglichen Erkenntnisse in «Self-organization in non-equilibrium, from dissipative structures to order through fluctuations» zusammen. Prigogines Arbeiten waren von Lars Onsager inspiriert, der die Untersuchung nichtumkehrbarer Prozesse in die Wissenschaft eingeführt hatte. Aufbauend darauf kritisierte Prigogine bereits ab etwa 1950 die klassische Thermodynamik, die davon ausging, daß es für die Grundgesetzte der Materie keine Zeitrichtung gäbe.

Die Zusammenfassung aller Arbeiten Prigogines ist die Chaostheorie, die ihren Durchbruch in der breiten Öffentlichkeit 1984 mit dem Buch «Order out of chaos - man´s new dialogue with nature» (geschrieben von Prigogine und seiner Kollegin Isabelle Stengers) erlebte. Chaotische - das heißt hier: vom Gleichgewicht entfernte, aber selbstorganisierte - Zustände finden sich in anorganischen chemischen Reaktionen, die periodisch ablaufen können, ebenso wie bei zoologischen Begebenheiten, zum Beispiel dem Nestbau von Insektenstaaten. Auch die Entstehung von Galaxien, die Evolution der lebenden Organismen sowie soziologische Fragen wurden erfolgreich mittels chaostheoretischer Betrachtungen dargestellt. Die verallgemeinerten Konzepte des Chaos wurzeln tief in teils mythischen Vorstellungen. Inwieweit die Chaostheorie ein grundlegendes Umdenken in der Physik bewirken kann, ist - wie auch im Falle der «Fuzzy Logic» - unklar.

Lexikontext (hier: Rohfassung) von Mark Benecke, Internationale Kriminalbiologische Beratung, forensic@benecke.com, www.benecke.com; aus: René Zey (Hrsg.): Lexikon der Forscher und Erfinder, Rowohlt, Reinbek, 1997, ISBN 3-499-16516-3

 

Pythagoras (Pythagoras von Samos)

Geboren um 570 v. Chr., Samos, gestorben um 500 v.Chr., Metapont (Süditalien) (?); griechischer Philosoph

Es gibt praktisch keine gesicherten Berichte über das Leben Pythagoras´. Vermutlich unternahm er ausführliche Reisen nach Ägypten, Babylonien und in den Osten; bei Anaximander oder Thales soll er studiert haben. 532/531 v. Chr. ging er wegen der politischen Verhältnisse unter dem Tyrannen Polykrates nach Unteritalien, wo er in Kroton einen mystischen Bund schuf. Wegen seiner Aristokratie nahestehenden Einstellung wurde Pythagoras samt dessen Schule Ende des fünften Jahrhunderts v. Chr. (529 v. Chr.?) unter Dionysos I. aus Unteritalien vertrieben. Seinen Anhängern galt Pythagoras als Verkörperung des Gottes Apoll. Die Pythagoreer sahen die Welt als auf Zahlen und deren Beziehungen untereinander beruhend an. Aus den damit verbundenen Untersuchungen leiteten sich wertvolle mathematische Erkenntnisse, vor allem in der Musiktheorie und der Geometrie, sowie astronomische Beobachtungen ab.

Die bekannteste Untersuchung Pythagoras´ bzw. der Pythagoreer war die streng mathematische Herleitung eines Lehrsatzes am rechtwinkligen Dreieck. Als wissenschaftlich ebenso wertvolle Leistung gilt die Entdeckung, daß die Tonhöhe von Saiten in mathematisch einfach ausdrückbaren Zahlenverhältnissen zu deren Länge stehen. Tonsysteme konnten auf diese Weise mittels «konsonanter Intervalle» berechnet werden. Bekannte einfache Proportionen herrschen zum Beispiel in den Intervallen Oktave (2:1), Quinte (3:2) und Quart (4:3); Ganztonsysteme verhalten sich wie 9:8 und Terzen wie 81:64. Die pythagoreischen Arbeiten über Tonphänomene haben als einzige der griechischen Ansichten bis heute Platz in der modernen Physik. Die Entdeckung, daß die Quadratwurzel von zwei nicht als Verhältnis ganzer Zahlen dargestellt werden kann, sondern eine «irrationale Zahl» ist, soll von den Pythagoreern (erfolglos) geheimgehalten worden sein.

Vor diesen bedeutenden Entdeckungen arbeiteten die Pythagoreer in erster Linie empirisch und ohne höhere Abstraktion. So unterschieden sie Dreieck- (1, 3, 6 usf.), Rechteck- (1, 2, 6 usf.) und Quadratzahlen (1, 4, 9 usf.) gemäß der Anordenbarkeit ihrer in Punkten ausgedrückten Größe. Zugleich grenzten sie ungerade von geraden Zahlen ab. Die mystische Bedeutung der Zahlen sollte auch im All gelten. Die dazugehörigen Himmelsbeobachtungen führten Pythagoras als ersten Griechen zu der Feststellung, daß Morgen- und Abendstern identisch seien - Pythagoras nannte den heute als Venus bekannten Planeten Aphrodite - sowie zur Entdeckung, daß die Mondumlaufbahn um einen bestimmten Winkel gegen den Erdäquator geneigt ist.

Satz des Pythagoras
Die Aussage, daß das Quadrat der Hypothenuse eines rechtwinkligen Dreiecks gleich der Summe der Kathetenquadrate ist. Bereits auf babylonischen Keilschrifttafeln aus der Zeit um 2000-1500 v. Chr. finden sich «pythagoreische» Berechnungen, die vermutlich der Konstruktion rechter Winkel dienten. Pythagoras´ Verdienst besteht vermutlich in der mathematischen Ausarbeitung des Lehrsatzes, von dem mittlerweile über 100 Beweise bekannt sind.

Pythagoreer
Von Pythagoras geführter Kult, dessen Kennzeichen neben Geheimhaltung, Askese und Mystik eine besondere Ausrichtung auf Astronomie und Mathematik war. Auf dem Weg zum Transzendenten sollte es notwendig sein, die Zahlengeheimnisse als Nachvollzug der göttlichen Weltordnung zu ergründen.

Lexikontext (hier: Rohfassung) von Mark Benecke, Internationale Kriminalbiologische Beratung, forensic@benecke.com, www.benecke.com; aus: René Zey (Hrsg.): Lexikon der Forscher und Erfinder, Rowohlt, Reinbek, 1997, ISBN 3-499-16516-3

 

Réaumur, René-Antoine Ferchault de

Geboren am 28. 2. 1683, La Rochelle, gestorben am 18. 10. 1757, Schloß Bermondière; französischer Naturforscher.

Reaumur studierte als Sohn eines Richters Jura und beschäftigte sich zugleich mit Technik und Naturwissenschaften. 1703 ging er nach Paris, wo er 1708 mit einer mathematischen Arbeit in die Akademie der Wissenschaften aufgenommen wurde. Besonders bekannt wurde Réaumur durch die Einführung einer standardisierbaren Temperaturmeßmethode (1730), die heute nur noch selten in Frankreich benutzt wird. Réaumur griff bei seinen Temperaturmessungen auf Arbeiten Guillaume Amontons zurück, kannte aber die Temperaturskala, die Daniel Gabriel Fahrenheit zirka 15 Jahre zuvor entwickelt hatte, nicht. Réaumur war ein ausgesprochen vielseitiger Naturwissenschaftler, der sich besonders mit biologischen und technischen Fragen befaßte. Seine weitgefaßten Interessen spiegeln sich auch darin, daß er ab 1711 im Auftrag der französischen Akademie der Wissenschaften als Herausgeber einer Enzyklopädie arbeitete - das Werk erschien von 1761-1783 als «Descriptions des arts er métiers» und umfaßte 121 Lieferungen.

Réaumur lieferte darüberhinaus zahlreiche Forschungbeiträge zu biologischen Detailproblemen seiner Zeit. So zeigte er, daß die Verdauung ein chemischer und kein mechanischer Vorgang ist, indem er 1752 Nahrung in Metallhülsen füllte, diese mit Drahtnetzen verschloß und an eine Möwe verfütterte. In der von dem Vogel ausgewürgten unverdauten Metallhülse befand sich teils aufgelöste Nahrung, die nur durch die chemische Einwirkung des Magensaftes zersetzt sein konnte. Dies bestätigte die Auffassung SS Sylvius´.

1750 baute Réaumur eine Brutmaschine und vertrat in einer bis Ende des 18. Jahrhunderts vieldiskutierten Frage die richtige Meinung, daß Korallen Tiere und keine Pflanzen sind. Auch als Insektenkundler hatte Réaumur einen Namen; unter anderem beschrieb er als erster den Aufbau des Bienestaates aus Königin, Arbeiterinnen und Drohnen. Praktische Bedeutung hatten Réaumurs Untersuchungen zur Herstellung schmiedbaren Stahls und der Kristallisation von Glas («Reaumursches Porzellan»).

Réaumur-Skala
Mittels der Ausdehnung von Alkohol maß Réaumur die Temperatur auf einer in 80 Teile zerlegten Skala. Der Eispunkt lag bei 0°, der Siedepunkt bei 80°C. Ein Temperaturunterschied von einem Grad Celsius entspricht 4/5 Grad Reaumur (Einheit: R), umgekehrt entspricht 1Grad Réaumur 5/4 Grad Celsius.
Lexikontext (hier: Rohfassung) von Mark Benecke, Internationale Kriminalbiologische Beratung, forensic@benecke.com, www.benecke.com; aus: René Zey (Hrsg.): Lexikon der Forscher und Erfinder, Rowohlt, Reinbek, 1997, ISBN 3-499-16516-3

 

Rhazes (Rhases, Rasi) (eig. Abu bakr Mohammed Ibn Zakarija, gen. ar-Razi)

Geboren 865 (?), Raj (bei Teheran), gestorben 925, Raj; persischer Arzt

In seiner Geburtsstadt beschäftigte sich Rhazes vor allem mit Astronomie, Mathematik, Alchimie und Musik. Ab etwa seinem 30. Lebensjahr wurde er Arzt an einem Krankenhaus in Bagdad. Im Anschluß an ausgedehnte Reisen kehrte er vermutlich nach Raj zurück. Rhazes ist der bedeutendste Autor der arabisch-islamischen Periode des Mittelalters. Seine Texte befassen sich mit Medizin, Naturwissenschaften und Philosophie. Berühmt sind seine zahlreichen klinischen Beobachtungen, darunter die (vermutliche) Erstbeschreibung der Pocken und Masern als zwei getrennte Krankheiten in «Kitab al-gudari wa-l-hasba» und die Beschreibung der allergischen, chronischen Nasenentzündung. Rhazes´ Ruhm als Arzt gründet sich vor allem auf eines seiner großen Sammelwerke, und zwar das posthum von seinen Schülern herausgegebene «Kitab al-hawi» (lateinisch: «Liber continens» oder kurz «Continens» - Inhalt der Medizin), das Ende des 13. Jahrhunderts ins Lateinische übersetzt wurde. Ein anderes beliebtes Buch war das neunte Buch der «al-Kitab al-Mansuri fi t-tibb», das als Lehrbuch diente. Klinische Anwendungen wie der Gipsverband waren Rhazes bekannt und wurden von ihm nicht nur beschrieben, sondern auch eingesetzt. Insgesamt soll Rhazes 237 Abhandlungen - davon 165 Bücher - verfaßt haben.

Auf philosophischem Gebiet verknüpft Rhazes seine Anschauung von Wesen und Struktur der Materie mit einer Atomlehre, die im Widerspruch zu derjenigen der Vertreter des orhodoxen Islam stand. Dabei hebt Rhazes die Materie als Grundbedingung des realen Seins auf dieselbe Stufe wie die vier anderen Seinsvoraussetzungen: Der absolute Raum, die absolute Zeit, der Schöpfergott und die Weltseele. Als Alchimist arbeitete Rhazes erstmalig streng methodisch und systematisierte alle Substanzen, indem er sie in tierisch, pflanzlich und mineralisch unterteilte. Seine chemischen Versuchsprotokolle sind so gut, daß man sie noch heute wiederholen kann. Die Lehren Rhazes´, besonders die alchimistischen Schriften, wirkten bis ins 17. Jahrhundert auch auf die europäische Wissenschaft ein.

Lexikontext (hier: Rohfassung) von Mark Benecke, Internationale Kriminalbiologische Beratung, forensic@benecke.com, www.benecke.com; aus: René Zey (Hrsg.): Lexikon der Forscher und Erfinder, Rowohlt, Reinbek, 1997, ISBN 3-499-16516-3

 

Ries, Adam

Geboren am 1492, Staffelstein (Franken), gestorben am 30. 3. 1559, Annaberg (Sachsen); deutscher Rechenmeister und Bergbaubeamter.

Ries arbeitete als Rechenmeister und Rechenlehrer in Zwickau, Erfurt und ab 1522/23 in Annaberg sowie 1529-1537 zusätzlich in Marienberg. Dort gründete er etwa 1525 eine Rechenschule und wurde 1528 auch Beamter. 1539 wurde Ries der ehrenvolle Titel des Kurfürstlich-Sächsischen Hofarithmetikus zuteil. Die sprichwörtliche Bezeichnung «nach Adam Riese» geht auf die populären Rechenbücher von Ries zurück, die sich vor allem mit dem praktische Rechnen befaßten. Das berühmteste Buch, bereits 1518 konzipiert, erschien von 1550 bis ins 17. Jahrhundert in über hundert Auflagen: Die «Rechenung nach der lenge auff den Linihen und Federn». Die Linienrechnung, d. h. das Rechnen mit dem Abakus (Rechenbrett), wurde - einer Tradition aus der Frührenaissance folgend - noch gelehrt, während das Federrechnen (schriftliches Rechnen mit der Feder als Schreibwerkzeug) sich erst langsam ausbreitete.

Dieses Buch behandelt die Grundrechenarten, den Dreisatz, kaufmännisches Rechnen (mit Gewinnkalkulation), die Umrechnung verschiedener Münz- und Maßeinheiten, die Berechnung von Hohlräumen usw.. Die Beispiele entstammen oft dem täglichen Leben und werden von Übungsaufgaben begleitet. Dabei führte Ries auch mehrere Vereinfachungen und Vereinheitlichungen in den Rechenformeln ein; z.B. soll das Wurzelzeichen seine Erfindung sein. Auch andere Bücher von Ries, etwa eine Zusammenstellung von Tabellen für Kaufleute (1536) fand weite Verbreitung. Ries´ anspruchsvollere Einführung in die Algebra wurde nicht gedruckt, ist aber als Handschrift erhalten. Insgesamt hatten die Riesschen Rechenbücher lange Zeit einen großen Einfluß auf den Mathematikunterricht deutscher Schulen. In seiner verantwortungsvollen Tätigkeit als Beamter prüfte Ries u.a. die Abrechnungen der erzfördernden Zechen, wirkte im Münzprägewesen mit und arbeitete an der Leipziger und Zwickauer Brotordnung, die gerechte Brotpreise festsetzte.

Lexikontext (hier: Rohfassung) von Mark Benecke, Internationale Kriminalbiologische Beratung, forensic@benecke.com, www.benecke.com; aus: René Zey (Hrsg.): Lexikon der Forscher und Erfinder, Rowohlt, Reinbek, 1997, ISBN 3-499-16516-3

 

Rous, Francis Peyton

Geboren am 5. 10. 1879, Baltimore, gestorben am 16. 2. 1970, New York; amerikanischer Pathologe und Virologe

Rous studierte bis 1905 an der John-Hopkins-Universität Medizin und wechselte 1909 als Professor an das Rockefeller-Institut für medizinische Forschung in New York. 1966 wurde ihm der Nobelpreis für Medizin zugesprochen. Schon zu Beginn seiner Forschungsarbeit untersuchte Rous Krebsgeschwulste von Hühnern; es sollte dabei überprüft werden, wodurch die Tumoren - Sarkome - verursacht wurden. Rous hatte die Idee, daß dies eine Substanz sein könnte, die kleiner als die eigentlichen (ansteckenden) Krebszellen ist. So filterte er eine Aufschwemmung von Krebszellen durch ein Sieb, das nur winzige Partikel, aber keine Zellen durchließ. Das entstandene zellfreie Filtrat konnte immer noch Krebs erzeugen. 1911 veröffentlichte Rous diese Beobachtung, allerdings noch ohne die Erreger Viren zu nennen. Erst 25 Jahre später wurde das «Rous-Sarkom-Virus» im Rahmen der aufblühenden Virusforschung als krebserregendes Partikel berühmt. Rous arbeitete er noch aktiv in seinem Labor, als er im Alter von 87 Jahren zusammen mit Ch B Huggins den Nobelpreis erhielt.

Rous-Sarkom-Virus
Dieses krebserregende Partikel, das - biologisch gesehen - weder lebt noch tot ist, speichert die Erbinformation nicht wie normale Zellen durch das Biomolekül Desoxyribonukleinsäure (DNS), sondern auf der ähnlich gebauten Ribonukleinsäure (RNS). Erst 1970 wurde das Enzym gefunden, welches in befallenen Zellen die Virus-Erbinformation in DNS übersetzt. Diese DNS wird dann in die Chromosomen der sogenannten «Wirtszellen» eingebaut und verändert sie so, daß daraus Krebsgeschwüre entstehen.

Lexikontext (hier: Rohfassung) von Mark Benecke, Internationale Kriminalbiologische Beratung, forensic@benecke.com, www.benecke.com; aus: René Zey (Hrsg.): Lexikon der Forscher und Erfinder, Rowohlt, Reinbek, 1997, ISBN 3-499-16516-3

 

Römer, Ole (Olaf, Olaus)

Geboren am 25. 9. 1644, Århus, gestorben am 19. 9. 1710, Kopenhagen; dänischer Astronom

Ab 1662 studierte Römer an der Universität Kopenhagen Mathematik und Astronomie. 1671 begleitete er J Picard in das Observatorium T Brahes. Er wurde 1672 an die Pariser Akademie berufen, wo er bis 1681 blieb. Im selben Jahr übernahm Römer die Leitung der Sternwarte in Kopenhagen, wo er auch Bürgermeister und Vorsitzender des parlamentarischen Rates wurde. Römer war ein einfallsreicher Instrumentenbauer. 1689 konstruierte er z.B. die «machina domestica», ein in Meridianrichtung orientiertes, höhenverstellbares Fernrohr. Dies erlaubte die Ermittlung von Gestirnpositionen anhand deren Durchgangszeit durch den Meridian (Längengrad). 1704 wurde dieses Meßgerät zur «rota meridiana» weiterentwickelt, die bis in unser Jahrhundert hinein (verändert) Anwendung fand.

Insgesamt konstruierte Römer nahezu alle wichtigen astronomischen Instrumente, die vor allem im 19. Jahrhundert eingesetzt wurden. Heute ist Römer vor allem bekannt für die Berechnung der Lichtgeschwindigkeit in den Jahren 1675/1676. Römer hatte beobachtet, daß der Planet Jupiter die vier Jupitermonde entgegen der berechneten Vorhersage früher verfinstert, wenn sich die Erde dem Jupiter nähert. Umgekehrt werden die Monde später als berechnet dunkel, wenn sich die Erde von Jupiter entfernt. Dies erklärte Römer, indem er annahm, daß das Licht eine endliche Geschwindigkeit habe: Das Licht läuft dann länger, wenn Jupiter und Erde weit voneinander entfernt sind und weniger lang, wenn sie auf ihrer Umlaufbahn näher aneinander liegen. Dies stand im Gegensatz zur damals herrschenden Ansicht von Aristoteles und René Descartes und wurde zunächst auch von Römers Zeitgenossen nur zögernd anerkannt. Mit 220.000 Kilometern pro Sekunde hatte Römer die Lichtgeschwindigkeit recht genau bestimmt - die tatsächliche Geschwindigkeit beträgt 300.000 km/sek. Im Jahr 1728 verbrannten fast alle unveröffentlichten Protokolle Römers; Johann Gottfried Galle bearbeitete später einige der erhaltenen Beobachtungen.

Lexikontext (hier: Rohfassung) von Mark Benecke, Internationale Kriminalbiologische Beratung, forensic@benecke.com, www.benecke.com; aus: René Zey (Hrsg.): Lexikon der Forscher und Erfinder, Rowohlt, Reinbek, 1997, ISBN 3-499-16516-3

 

Röntgen, Wilhelm Conrad

Geboren am 27. 3. 1845, Lennep (heute zu Remscheid), gestorben am 10. 2. 1923, München; deutscher Physiker

Röntgen besuchte als Sohn eines Fabrikanten in Apeldoorn die Schule; 1862 ging er an die Technische Schule in Utrecht, vor der er wegen eines Streiches verwiesen wurde. Röntgen wurde daraufhin - ohne Abitur bzw. Aufnahmeprüfung - von der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich aufgenommen, wo er 1868 Diplom-Maschinenbauingenieur wurde. Röntgen promovierte 1869 an der Universität Zürich und habilitierte 1874 in Straßburg. 1875 erhielt er eine Professur in Hohenheim (Mathematik und Physik), 1876-1879 in Straßburg und Gießen (theoretische Physik), 1888 in Würzburg und 1890 in München. Neben zahlreichen anderen Auszeichnungen verlieh man Röntgen 1901 den ersten Nobelpreis für Physik.

1895 wiederholte Röntgen Versuche von Lenard und Crookes, die das schwache Leuchten (Lumineszenz) von Substanzen beschrieben, wenn man diese mit Kathodenstrahlen bestrahlte. Obwohl Röntgen seinen Funkeninduktor mit lichtundurchlässiger Pappe abdunkelte, durchdrangen bestimmte Strahlen - von Röntgen «X-Strahlen» genannt - die Verdunklung und brachten Bariumplatincyanürkristalle zum fluoreszieren. Auch in einen Nachbarraum verbrachte oder hinter eine dünne Metallplatte gelegte Kristalle leuchteten unter dem Einfluß der X-Strahlen. Fieberhaft an seiner Entdeckung arbeitend, veröffentlichte Röntgen - sechs Tage nach der erfolgreichen Durchleuchtung einer Hand am 22.12.1895 - die erste wissenschaftliche Mitteilung zum Thema («Über eine neue Art von Strahlen»). Da Röntgen seine Untersuchungen zügig fortsetzte und keine Patente für seine Entdeckung anmeldete, wurden bereits 1896 erste medizinische und technische Anwendungen verwirklicht. Röntgen selbst nahm zunächst an, daß die X-Strahlen longitudinale Ätherwellen seien, bis man fand, daß es sich um kurzwellige elektromagnetische Strahlen handeln müsse.

Vor der Entdeckung der X-Strahlen hatte sich Röntgen sehr erfolgreich mit der spezifischen Wärme von Gasen und der Drehung der Polarisationsebene von Licht in Gasen beschäftigt. 1888 gelang ihm zusammen mit AA Eichenwald der Nachweis, daß bewegte Ladungen in einem Dielektrikum ebenso magnetisch wirken wie ein gewöhnlicher Leitungsstrom; Hendrik Antoon Lorenz nannte diesen Strom später «Röntgenstrom». 1904 lehnte Röntgen die Präsidentschaft der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt ebenso ab wie einen Adelstitel, der ihm von Bayerischen König angetragen wurde und eine Forschungsprofessur an der Akademie der Wissenschaften in Berlin im Jahr 1911. Seine Unterschrift unter den Aufruf «An die Kulturwelt», der zu Beginn des ersten Weltkrieges erschien, soll Röntgen später bedauert haben. Ab 1920 arbeitete Röntgen nur noch in der Staatlichen Physikalisch-Metronomischen Sammlung; er starb, durch die Inflation nach dem Ersten Weltkrieg verarmt, als armer Mann.

Röntgenstrahlen
Die wichtigste Anwendung der im deutschsprachigen Raum so genannten Röntgenstrahlen war und ist die Durchleuchtung lebender Körper. Weichteile erscheinen schwach, harte Teile wie Knochen und Metall dagegen deutlich auf dem Röntgenfilm oder -schirm. Durch röntgendichte Kontrastmittel, die in den Körper eingebracht werden, können auch sonst röntgendurchlässige Gewebe dargestellt werden. Die unsichtbaren Röntgenstrahlen werden in der Praxis auch zur Therapie (zum Beispiel von Krebs), zur Materialprüfung, bei der Strukturaufklärung auch komplizierter organischer Kristalle sowie der Echtheitsprüfung von Gemälden verwendet. [Als elektromagnetische Strahlen zeigen Röntgenstrahlen Reflexion, Brechung, Interferenz und Polarisation; sie haben dieselben physikalischen Eigenschaften wie die kurzwelligere radioaktive Strahlung.]

Röntgenastronomie
1962 wurde die erste kosmische Röntgenstrahlenquelle entdeckt - Scorpius X-1 im Sternbild Skorpion. Seither durchforschen Röntgensatelliten (Uhuru (1979), Einstein-Observatorium (HEAO-2, 1978), ROSAT (1990)) das All nach weiteren Röntgensternen, Röntgendopplersternen usw., die als «Schwarze Strahler» extrem hohe Temperaturstrahlung aussenden. Es stellt sich zunehmend heraus, daß fast alle Sterne Röntgenstrahlung erzeugen; dies macht die Röntgenastronomie zu einem Bestandteil der normalen astrophysikalischen Forschung.]

Lexikontext (hier: Rohfassung) von Mark Benecke, Internationale Kriminalbiologische Beratung, forensic@benecke.com, www.benecke.com; aus: René Zey (Hrsg.): Lexikon der Forscher und Erfinder, Rowohlt, Reinbek, 1997, ISBN 3-499-16516-3

 

Rutherford, Ernest, Lord Rutherford of Nelson

Geboren am 30. 8. 1871 Brightwater (bei Nelson; Neuseeland), gestorben am 19. 10. 1937 Cambridge; englischer Physiker

Rutherford wuchs in einer kinderreichen Familie als Sohn einer Lehrerin und eines Farmers auf. 1893 schloß er seine Studien ab und 1895 erhielt er ein Stipendium für die Universität Cambridge, wo er u.a. bei Sir Joseph John Thompson arbeitete. 1898 wurde Rutherford als Professor an die Universität Montreal berufen, bis er 1907 als Physikprofessor nach Manchester wechselte. 1919 übernahm er die Leitung des Cambridger Cavendish-Laboratoriums und zugleich eine Professur für Naturphilosophie an der Royal Institution. Die Royal Society, deren Präsident Rutherford von 1925-1930 war, verlieh ihm 1903 die Rumfordmedaille, 1908 wurde er mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet und 1914 geadelt.

Rutherford wird häufig als der bedeutendste Experimentalphysiker - mindestens seit Michael Faraday - bezeichnet und gilt als Wegbereiter oder «Vater» der modernen Atomphysik. Am Uran beobachtete er Strahlen, die Gase elektrisch aufluden (ionisierten). 1798 unterschied Rutherford dabei nach Durchdringungsvermögen (Energiegehalt) und Ladung positive Alpha- und negative Betastrahlen, 1900 entdeckte er die neutralen Gammastrahlen. (Heute spricht man auch von Alpha,- Beta- und Gammateilchen.) Durch Vorarbeiten von Cookes sowie von R. und Frederick Soddy wurde klar, daß sich radioaktive Elemente beim Zerfall umwandeln. Dies führte Soddy und Rutherford 1902 zur Formulierung des Zerfallsgesetzes. Otto Hahn arbeitete ab 1905 in Rutherfords Labor an der Identifikation von Elementen aus den Zerfallszwischenstufen. Der radioaktive Zerfall zeigte, daß das Atom nicht die unzerstörbare Grundeinheit der Materie ist, wie es seit Demokrit angenommen wurde.

Aus Kanada nach England zurückgekehrt, arbeitete Rutherford u.a. mit Radium, das ihm die Wiener Akademie der Wissenschaften lieh. Hans Geiger und Ernest Marsden entdeckten 1911 in Rutherfords Labor, daß einige Alphateilchen beim Durchstrahlen einer sehr dünnen (etwa 2000 Atome dicken) Goldfolie stark abgelenkt werden. Daraus entwickelte er 1911 eine Streuformel sowie ein Atommodell, das auch heute noch in Schulen gelehrt wird. Niels Henrik Bohr entwickelte das Rutherfordsche Atommodell 1913 unter Berücksichtigung der klassischen Elektrodynamik fort; Henry Moseley schloß aus den Frequenzen radioaktiver Strahlen auf die Kernladungszahl der sie aussendenden Substanzen und ordnete sie demgemäß in das Periodensystem der Elemente.

Rutherfords Ansehen gründet sich auch auf die Erfolge seiner zahlreichen berühmten Mitarbeiter, die er individuell förderte und zu gemeinsamer Arbeit anspornte. So hatte Marsden ursprünglich Wasserstoff mit Alphateilchen beschossen, 1919 wiederholte Rutherford diese Versuche mit Stickstoffgas. Die dabei entstehenden Protonen interpretierte Rutherford richtig als Produkte einer künstlichen Kernumwandlung des Stickstoffes in Sauerstoff - die «Transmutation» der Alchimisten (die Elementumwandlung) war damit gelungen.

Obwohl Rutherford ein Pionier der Kernphysik war und auch die Errichtung von Teilchenbeschleunigern betrieb, glaubte er nicht an die kontrollierte Nutzung der Kernenergie, die erst ein Jahr nach seinem Tod durch Otto Hahn gezeigt werden konnte. Rutherford wählte 1931 bei seiner Ernennung zum Peer seinen Geburtsort Nelson als Namensbestandteil und band die Zerfalls- und Wachstumskurve radioaktiver Stoffe in sein Wappen ein.

Rutherfordsches Atommodell
Nach dieser veralteten Atombeschreibung - gelegentlich auch anschaulich als «planetarisches» Atommodell bezeichnet - umkreisen nahezu masselose Elektronen (die Atomhülle) einen winzigen, schweren Atomkern aus Protonen und Neutronen. Jedes positiv geladene Proton hat dabei die 1836fache Masse eines negativ geladenen Elektrons. Die Umlaufgeschwindigkeit der Elektronen ist gerade so groß, daß sich deren elektrostatische Anziehung zum Kern gegen ihre Fliehkraft aufhebt; dadurch ist das kugelrunde Rutherfordsche Atom stabil.

Rutherfordsches Zerfallsgesetz
Der Zerfall (radioaktiver) Elemente erfolgt über atomare Zwischenstufen. Nach einer bestimmten Zeit ist die Hälfte des Ausgangsmaterials in eine solche Zwischenstufe übergegangen; diese Zeit nannte Rutherford die «Halbwertzeit». Obwohl sie auf atomarer Ebene nur eine Zerfallswahrscheinlichkeit angibt, ist die Halbwertzeit von wiegbaren Mengen radioaktiver Substanzen immer gleich und damit vorhersagbar.

Lexikontext (hier: Rohfassung) von Mark Benecke, Internationale Kriminalbiologische Beratung, forensic@benecke.com, www.benecke.com; aus: René Zey (Hrsg.): Lexikon der Forscher und Erfinder, Rowohlt, Reinbek, 1997, ISBN 3-499-16516-3

 

Sacks, Oliver Wolf

Geboren am 9. 7. 1933, London; englischer Neurologe

Sacks wuchs zusammen mit seinen Geschwistern in London auf; die Eltern waren Ärzte. Nach dem Abschluß der St. Paul´s School ging Sacks 1951 ans Queen´s College in Oxford, wo er sein Medizinstudium begann. 1958 legte er am Middlesex Hospital in London sein Examen ab und spezialisierte sich dort auf Chirurgie und Neurologie. 1960 wechselte Sacks zunächst an die Abteilung für Parkinsonkranke des Mount Zion Krankenhauses in San Francisco und arbeitete von 1962 - 1965 an der Neurologischen Klinik der University of California in Los Angeles. Seit 1966 ist Sacks Professor für Klinische Neurologie am Albert Einstein College of Medicine im New Yorker Stadtteil Bronx sowie Berater mehrerer New Yorker Altenheime und Krankenhäuser.

Berühmt wurde Sacks durch seine Arbeit mit Parkinsonkranken und sich daraus ergebende Fallschilderungen. Sacks behandelte eine Gruppe von Parkinsonpatienten, die sich diese Krankheit bei einer 1916/1917 ausgebrochenen Epidemie zugezogen hatten, mit einer Vorstufe des für die Signalübertragung zwischen Nerven nötigen Moleküls Dopamin - 1960 war der Nachweis gelungen, daß es dem Körper von Parkinsonkranken an diesem Neurotransmitter mangelt. Hohe Dosen der Substanz bewirkten, daß die Patienten vorübergehend aus ihrer Erstarrung, Sprachunfähigkeit und «Bewußtseinsgerinnung» erwachten. (Dies sind einige von vielen möglichen Parkinsonschen Krankheitsbildern. Eine bekanntere Erscheinung ist die Schüttellähmung, bei der der Körper beständig zittert, solange er nicht bewegt wird.) Der teilweise nur Stunden oder Tage dauernde Zustand des «Erwachens» erweiterte das Allgemeinwissen über Gehirnkrankheiten sowie das Verständnis des Zusammenspiels von Körper und Geist erheblich.

Neben seinen Berichten über Parkinsonpatienten («Awakenings», 1973; deutsch: «Bewußtseinsdämmerungen») fand Sacks durch weitere neurologische Fallgeschichten - zum Beispiel «Eine Anthropologin auf dem Mars» (1995) und «The man who mistook his wife for a hat» (1985, deutsch: «Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte») - sowie Bücher zur Kopfschmerzkrankheit Migräne («Migraine: The evolution of a common disorder», 1970; deutsch: «Migräne. Evolution eines häufigen Leidens», 1985), zu Taubheit und anderen Erkrankungen viele Leser. Das Thema des Weckens unter Dopamineinfluß setzten Film («Zeit des Erwachens»), Theater («L´homme qui» von Peter Brook) und Kammeroper («Der Mann, der seine Frau...» von Michael Nyman) um. Im Mittelpunkt der Sacksschen Schilderungen stehen - im Gegensatz zu der in der heutigen Wissenschaft herrschenden, quantitativen Betrachtungsweise - stets Einzelpersonen. Da seine Fallgeschichten nicht nur wissenschaftlich-analytisch, sondern zugleich erzählend sind, ermöglichte Sacks auch Nichtmedizinern einen Einblick in nervliche Erkrankungen und damit zusammenhängende Probleme wie der Farb- und Bewegungswahrnehmung.

Lexikontext (hier: Rohfassung) von Mark Benecke, Internationale Kriminalbiologische Beratung, forensic@benecke.com, www.benecke.com; aus: René Zey (Hrsg.): Lexikon der Forscher und Erfinder, Rowohlt, Reinbek, 1997, ISBN 3-499-16516-3

 

Sauerbruch, Ernst Ferdinand

Geboren am 3. 7. 1875 Barmen (heute zu Wuppertal), gestorben am 2. 7. 1951, Berlin; deutscher Chirurg

Da sein Vater früh verstorben war, wuchs Sauerbruch bei seinem Großvater auf, der Schuhfabrikant war. 1895 machte Sauerbruch Abitur und begann das Studium der Naturwissenschaften an der Universität Marburg. Er wechselte dann an die Medizinische Fakultät der Universität Leipzig, wo er - nach kurzem Studienaufenthalt in Jena - 1901 Arzt wurde. In der Nähe von Erfurt arbeitete er kurz als Landarzt, bevor er Assistent am Kasseler Diakonissenkrankenhaus wurde. Er wechselte im gleichen Jahr als Assistent an die Chirurgie des Erfurter Krankenhauses, an dem er 1902 Erster Assistenzarzt wurde. Ab 1903 arbeitete Sauerbruch kurz im Krankenhaus Berlin-Moabit und ging noch im selben Jahr an die Chirurgische Universitätsklinik in Breslau. Dort habilitierte er sich 1905 als Chirurg und wechselte anschließend an das Klinikum Greifswald. Sauerbruch wurde 1908 Professor und Oberarzt in Marburg und ab 1910 am Kantonsspital in Zürich. Von 1918-1928 arbeitete er an der Universität München, danach an der Charité in Berlin.

Berühmt wurde Sauerbruch für die Einführung eines Verfahrens, das die operative Öffnung des Brustkorbes erlaubte. Normalerweise bedingt eine Öffnung der Brustraumes, daß sich Luft im Brustfellraum ansammelt und dadurch den dort herrschenden Unterdruck aufhebt - die Lunge fällt zusammen (Pneumothorax). Sauerbruch konstruierte 1904 eine große Kammer, in der ein Unterdruck von etwa 0,9 Kilopascal herrschte; darin konnten Brustoperationen - was die Druckverhältnisse betrifft - gefahrlos stattfinden. Wenig später wurde das «Druckdifferenzverfahren» dahingehend verändert, daß nicht außen ein Unterdruck erzeugt, sondern die Lunge mit etwa 0,1 Kilopascal Überdruck von innen stabilisiert wurde. Dieses Verfahren, meist kombiniert mit einer vorübergehenden Stillegung der Atemmuskulatur, wird bis heute angewendet.

Um die Lunge von Tuberkolosekranken zu heilen, lähmte Sauerbruch deren Zwerchfell; waren die Lungen schon zu stark verwachsen, entfernte er Teile der Rippen, um einen therapeutischen (künstlichen) Pneumothorax erzeugen zu können. Auch in die Herz-, Magen- und Speiseröhrenchirurgie brachte Sauerbruch bedeutende Verbesserungen ein. Nicht zuletzt durch die Weltkriege fanden die von ihm entwickelten bewegbaren Prothesen weite Verbreitung.
1911 erschien Sauerbruchs «Technik der Thoraxchirurgie», die in den folgenden Auflagen «Chirurgie der Brustorgane» hieß (1920-1925, zweibändig) und ab 1937 als «Thoracic surgery» auch in englischer Sprache verlegt wurde. Im Jahr seines Todes erschienen Sauerbruchs heiter-melancholische Lebenserinnerungen («Das war mein Leben»), die sehr hohe Auflagen erzielten und 1954 verfilmt wurden.

Sauerbruchhand
Sauerbruch machte Prothesen amputierter Glieder beweglich, indem er über Züge die Muskelreste am Amputationsstumpf mit weiter entfernt liegenden Körperteilen verband - bei der Sauerbruchhand zum Beispiel die Oberarmmuskulatur mit künstlichen Fingergliedern. Bewegungen der Muskelreste werden über die Züge weitergeleitet und erlauben nach einem Training sinnvolle, willkürliche Bewegungen der künstlichen Glieder. Die Idee der Sauerbruchhand wurde auch bei anderen Prothesentypen (Beinprothesen etc.) angewendet.

Lexikontext (hier: Rohfassung) von Mark Benecke, Internationale Kriminalbiologische Beratung, forensic@benecke.com, www.benecke.com; aus: René Zey (Hrsg.): Lexikon der Forscher und Erfinder, Rowohlt, Reinbek, 1997, ISBN 3-499-16516-3

 

Schönbein, Christian Friedrich

Geboren am 18. 10. 1799, Metzingen, gestorben am 29. 8. 1868, Baden-Baden; deutscher Chemiker

Schöbein bildete sich als Sohn eines Färbers nach der Volksschule autodidaktisch in Chemie, Physik und Sprachen. Er studierte von 1821-1823 an den Universitäten Tübingen und Erlangen und arbeiete bereits ab 1823 als Lehrer in Keilhau und ab 1825 im englischen Epsom. In London bildete er sich zugleich naturwissenschaftlich fort; 1827 studierte er ein Jahr an der Pariser Sorbonne. Die Universität Basel, an die Schönbein 1828 als gewechselt hatte, ernannte ihn 1830 zum Doktor h.c. und berief ihn 1835 zum Professor für Physik und Chemie. 1840 wurde Schönbein Baseler Ehrenbürger und ab 1848 war er Mitglied des Stadtrates. Unter anderen wählten die wissenschaftlichen Akademien in Berlin, Paris und London Schönbein zum Mitglied. Zunächst beschäftigte sich Schönebein mit elktrochemischen Fragen und entdeckte dabei, daß Metalle wie Eisen von einer schützenden Oxidhaut umgeben, d.h. für chemische Reaktionen «passiviert» werden.

Den an seinen elektrischen Apparaten auftretenden merkwürdigen Geruch führte Schönbein 1839 auf ein bei der elektrischen Zerlegung von Wasser entstehendes Gas zurück. Auch die Oxidation von Phosphor brachte dieses - aus drei statt zwei Sauerstoffatomen pro Molekül bestehende - Gas hervor, welches Schönbein fortan nach dem griechischen Wort für Geruch «Ozon» nannte. Er versuchte auch, bei langsamen Oxidationen die Zwischenstufen zu fixieren und stellte fest, daß sauerstoffhaltige Verbindungen besser reagieren - der «aktivierte Sauerstoff». Das von ihm selbst vermutete Antozon konnte Schönbein nicht finden.

Die Schießbaumwolle soll Schönbein beim Experimentieren in der heimischen Küche gefunden haben, als ihm eine Lösung aus Salpeter- und Schwefelsäure über die Schürze seiner Frau lief. Über dem Ofen zum Trocknen aufgehangen, soll die zu Nitrozellulose umgewandelte Schürze verpufft sein. Schönbein verkaufte zwar das Rezept für dieses rauchlose Schießpulver, es wurde aber wegen dessen überleichter Explosivität nur bis etwa 1860 hergestellt. Erst Sir James Dewar und Sir Frederick August Abel stellten mit dem Cordit ein brauchbares rauchloses Schießpulver her. Schönbein formulierte 1849 eine Theorie galvanischer Prozesse und beschrieb als erster die sich ändernde Verteilung chemischen Verbindungen in der Erdkruste. Daher gilt er heute als Mitbegründer der Geochemie. Bei seinen Versuchen ging Schönbein qualitativ vor und betrieb kaum quantitative Auswertungsmethoden.

Er untersuchte Biooxidationen und brachte die papierchromatographie vorwärts. Inhaltlich näherte er sich dem Energieerhaltungssatz sowie dem elektrischen Potentialbegriff. Einigen neueren chemischen Ansichten hingegen verschloß sich Schönbein; zum Beispiel glaubte er weder an die Elementnatur des Chlors (wie Sir Humphrey Davy sie nachgewiesen hatte) noch an die Atomtheorie. Schönbein war unter anderem mit Michael Faraday, F Wöhler, Justus von Liebig und JJ Berzelius gut befreudet und pflegte ab 1821 engen Kontakt zum Philosophen FWJ Schelling. Neben zahlreichen Briefdokumenten zeugen über 300 wissenschaftliche Originalarbeiten von Schönbeins Wirken.

Lexikontext (hier: Rohfassung) von Mark Benecke, Internationale Kriminalbiologische Beratung, forensic@benecke.com, www.benecke.com; aus: René Zey (Hrsg.): Lexikon der Forscher und Erfinder, Rowohlt, Reinbek, 1997, ISBN 3-499-16516-3


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Mark Benecke, Jahrgang 1970. Studium der Zoologie, Genetik und Psychologie bis 1995 in Köln; ab 1996 Promotionsstudium zum Doctor rerum medicinalis am Institut für Rechtsmedizin der Universität Köln. Zahlreiche Beiträge für Fachzeitschriften, Tages- und Wochenzeitungen (u.a. “Die Zeit”, “Süddeutsche Zeitung”, “Mikrokosmos”), Mitherausgeber der “Annals of Improbable Research” (Cambridge).


Lesetipps

  • Fakten-Checking (Humboldt — Die Zeitschrift des Humboldt-Gymnasiums Berlin-Tegel)