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Quelle: Mitteldeutsche Zeitung, 22. November 2022
WISSENSCHAFT Mark Benecke löst mit Hilfe von Larven und Fliegen Verbrechen. Hier erklärt er, wie das funktioniert und warum die Tiere kein guter Nahrungstrend sind.
LEUNA/MZ - Mark Benecke ist einer der bekanntesten Wissenschaftler in Deutschland. Er ist promovierter Kriminalbiologe, Schwerpunkt auf forensische Entomologie. Er hilft also Ermittlern, anhand der Spuren von Insekten Kriminalfälle zu lösen. Neben bei ist er bei Wissenschaftssendungen im Radio und in Podcasts zu hören und er berichtet live vor Ort über seine Arbeit - so etwa am Mittwoch 19.30 Uhr im CCE in Leuna. Robert Briest sprach mit ihm vorab, über die Geheimnisse, die Insekten verraten, ihren Einsatz als Lebensmittel und wie Wissenschaftler ihre Erkenntnis unter das Volk bringen können.
Was verraten denn Käfer auf den Leichen über diese?
Mark Benecke: Es sind nicht nur Käfer, sondern auch Fliegen. Bei denen kann man etwa schauen, ab wann sie eine Leiche besiedelt haben. Das muss nicht unbedingt der Todeszeitpunkt sein. Wunden von Menschen, die stark vernachlässigt sind, können schon vorher von Insekten besiedelt werden. Insekten können auch zeigen, ob die Leiche vorher an einem ande-ren Ort war. Wenn sie etwa in einen Teppich eingewickelt im See gefunden wird, an ihr aber Tiere sind, die nur am Waldrand vorkommen. Und die Insekten könnten Gifte aus den Leichen aufgenommen haben, die man noch nachweisen kann, auch wenn die Leiche selbst schon stark verfault ist.
Das heißt, die Insekten sagen mehr über den Toten aus, als über den zuvor Lebenden?
Ja. Wenn man stirbt, sind sich die meisten Menschen körperlich sehr ähnlich. Die Umwandlung in neues Leben verläuft immer ähnlich.
Wie kann man sich Ihre Arbeit als Kriminalbiologe vorstellen? Rufen Sie die Polizisten sofort zum Tatort?
Früher, als ich damit angefangen habe, gab es das tatsächlich oft, dass Kolleginnen sofort angerufen haben. Sie wollten sicher auch testen, ob die Technik, Tiere zu untersuchen, wirklich funktioniert. Das war so vor 30 Jahren. Dann haben wir angefangen, Trainings zu machen, damit die Kollegen die Dokumentation vor Ort selbst machen können. Heute kriegen wir die kniffeligen Fälle meist später auf den Tisch.
Sie ziehen ihre Erkenntnisse aus der Entwicklung von Leben auf den Toten, haben schon in vielen Länder gearbeitet mit ganz anderer Flora und Fauna, anderen klimatischen Bedingungen. Wie universell einsetzbar ist denn die forensische Entomologie?
Das hängt davon ab, welche Messungen über die Umweltbedingungen wir erhalten. Es gibt ja weltweit unterschiedliche Arten, die auf, in oder unter Leichen sein können, auch Tiere, die Tiere auf Leichen fressen. Deshalb arbeiten wir als großes Netzwerk von Fachleuten, die auch örtlich unterschiedliche Lebewesen kennen. Ich arbeite glücklicherweise schon seit 30 Jahren in dem Feld und mit vielen Kolleginnen und Kollegen zusammen. Mit deutschen Kenntnissen allein könnte man keinen Fall in Peru bewerten.
In vielen Interviews berichten Sie, dass Ihr Ansatz der forensischen Entomologie und auch die dafür betriebene Aufzucht von Larven in Laborräumen, anfangs auf wenig Gegenliebe bei Kollegen stieß. Erfahren Sie mittlerweile mehr professionelle Akzeptanz?
Studenten finden das immer spannend. Die Kurse sind voll. Wenn es dann aber ernst wird, sieht es anders aus. Es ist einfach so: Entweder man ekelt sich davor mit Larven auf Leichen zu arbeiten, oder nicht. Polizistinnen und Polizisten haben auch heute Insekten nicht gern auf den Dienststellen. Deshalb haben wir ja die Trainings, damit sie nur das Notwendige dokumentieren und sammeln müssen und wir machen dann den Rest.
Mit Ausnahmen von Schmetterlingen oder Bienen haben Insekten auch in der Bevölkerung nicht das beste Image ...
Das hat sich stark geändert. Wir machen zusammen mit dem Nabu seit Jahren Insektenzählungen. Da können Leute Fotos von Insekten einschicken. Dafür hat sich eine große Fanbasis gebildet. Insekten sind die neuen Eulen. Von Blauen Holzbienen oder Hummeln gab es sehr viele Einsendungen, in diesem Jahr auch sehr viele Gottesanbeterinnen und Spinnen. Und denen, die man noch von Insekten überzeugen muss, würde ich sagen: Wir sind als Menschen nur Gast auf dem Planeten der Spinnen und Insekten. Wer sagt, wir sind die Größten, soll sich die Umwelt angucken, in der wir leben.
Insekten tauchen immer wieder als möglicher Essenstrend für die Zukunft auf, gerade als Proteinlieferant. Was halten Sie als Veganer davon?
Das bringt nichts. Ich war dazu neulich auch auf einer Konferenz in Magdeburg. Da würde es nur wieder neue Monokulturen geben, wie jetzt bei den Fichten, die sterben. Monokulturen funktionieren nicht, sie sind immer Scheiße. Man braucht Vielfalt, wie im Wald den Mischwald. Das ist experimentell bewiesen.
Zuletzt konnte man, Stichwort Corona- und Klimakrise, allerdings den Eindruck bekommen, dass wissenschaftliche Erkenntnisse in Teilen der Bevölkerung ihren Stellenwert verloren haben. Wissenschaft, wie auch der Journalismus, in einigen Gruppen ein Glaubwürdigkeitsproblem hat ...
Finde ich nicht. Wir haben sehr gute Erfahrungen während Corona gemacht, hatten da den größten wissenschaftlichen Kanal, auf dem wir nur Zahlen und Messungen ohne Fremdworte erklärt haben, ohne Meinung. Es gibt immer Menschen, die wollen etwas glauben oder nicht. Für die ist es wie die Frage, was die beste Band oder beste Fußballclub ist. Die kann man nicht erreichen. Aber die, die Tatsachen interessieren, haben wir erreicht, auch die verunsicherten Menschen.
Gerade in Personenkreisen, die die Corona-Pandemie oder den Klimawandel nicht für real halten, gibt es die Tendenz, Fakten und Meinungen gleichzusetzen. Wie gehen Sie damit als Wissenschaftler um?
Gar nicht. Tatsachen, Behauptungen und Meinungen sind nicht das Gleiche. Wenn ich behaupte, Sie sind ein Echsenmensch vom Mars und Sie sagen Nein und ich: Doch, dann kommen wir nicht weiter. Wenn jemand auf seiner Meinung ohne Messungen beharrt, dann sage ich lieber, lass uns eine Limo kaufen und wir reden über was anderes.
Sie sind auf verschiedensten Kanälen unterwegs, um ihre Arbeit, aber auch andere wissenschaftliche Erkenntnisse zu erklären: Youtube, Podcast, Radio, Liveshows wie jetzt in Leuna. Was empfehlen Sie denn Forschern, die weniger Entertainmenttalent haben, wie sie ihr Wissen besser an die Öffentlichkeit vermitteln können.
Niemand braucht Unterhaltungstalent für solche Vorträge. Das kann man lernen. Es ist ganz einfach und lässt sich leicht lernen, wenn man vier Punkte beachtet, klappt das. Erstens: Keine Fremdwörter verwenden, nicht mal Mikroskop oder Statistik. Zweitens: nur Bilder zeigen, keinen Text. Drittens: nur Fragen beantworten, die gestellt wurden. Und viertens: Beweg deinen Arsch raus zu den Leuten, die die Fragen stellen - notfalls auch 700 Kilometer. Oder stell das Material zumindest barrierefrei zur Verfügung.
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