Quelle: Quelle: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (darin: Wissenschaft), Nr. 49 vom 9. Dezember 2001, Seite 66, klick hier für's .pdf
Ein High-Tech-Ritter im Kampf gegen Schläger, Jeeps und Bären
Von Mark Benecke
Am heutigen Sonntag tritt Troy Hurtubise gegen einen Grizzly an. Er ist sicher, zu überleben: dank seines Schutzanzugs.
Troy Hurtubise ist ein bekannter Hobby-Tüftler. Vor ein paar Jahren bat er seinen kleinen Sohn, doch einmal den Arm in die silberne Röhre zu stecken, die Papa in seiner Garage zusammengezimmert hatte. Als das Kind nur lachte, obwohl Vater Hurtubise einen Flammenwerfer auf den Arm-Schutz richtete, war die Welt ein bißchen besser geworden. Denn erstens hatte damit ein neues System perfekt hitzeableitender Metallschichten das Licht der Welt erblickt. Und zweitens war endlich das I-Tüpfelchen auf Hurtubises Lebenswerk gesetzt: Feuerfestigkeit für seinen Grizzlybären-Schutzanzug.
Der passionierte Bärenfreund hatte 1988 für eine frühe Version des Anzugs bereits den Spaßnobelpreis erhalten (Ig Noble Prize). Damals schleppte Hurtubise das sperrige Anzugsmodell Ursus Mark V auf die Bühne des Sanders Theater der Harvard-Universität. In hellbrauner Fransenlederjacke stand der Naturbursche neben seinem Gebilde und bot den versammelten Akademikern an, seine Entwicklung jederzeit zu verschenken, wenn ein Forscher sie benötigte. Er selbst wolle nur gerade soviel Geld erwirtschaften, um damit zurück zu den Bären in die Wildnis Kanadas zu gehen. Harter Stoff in den Vereinigten Staaten, deren Bewohner die Kanadier eh für merkwürdige Hinterwäldler halten.
Doch Hohn und Spott können Hurtubise nicht anfechten - seine Leidenschaft macht ihn dafür unempfänglich. Mehr als eine Viertelmillion hat er mittlerweile in seine Ausrüstung gesteckt, die anfangs hauptsächlich aus Schutzstücken für Eishockeyspieler bestand. Gegen einen wild rasenden, sechshundert Kilogramm schweren Bären würde das aber nichts helfen. Hurtubise wußte das aus eigener Erfahrung, denn mit neunzehn Jahren hätte ihn seine Bärenliebe fast den Kopf gekostet. Nur eine ordentliche Ladung Flüche und Zähneknirschen hatte das Tier damals vertrieben. Um beim nächsten Mal in Ruhe winterschlafende Pelz-Ungetüme betrachten zu können, entwickelte Hurtubise im Laufe der folgenden Jahre hochdruckgefüllte Luftpolster, nagelneue Werkstoffe und zuletzt auch Gelenke, die den Anzug beweglicher machen. Hauptmanko des Ursus V war nämlich, daß niemand wieder aufstehen konnte, der darin zu Boden ging. Immerhin, der Autor kann es bezeugen, hielt bereits dieses Modell schon dem Aufprall eines achtzig Stundenkilometern schnellen Jeeps sowie einer Gruppe mit Baseball-Schlägern prügelnder Männer stand. "Die einzige Schwachstelle", grübelt Hurtubise, "ist die Sichtscheibe meines Titan-Helms."
Heutzutage kann sich jedermann zum fleischgewordenen Robocop umwandeln: Der neueste Ursus VII bietet sogar Landminen Paroli. Neben einem Feuerlöscher sind auch ein sprachgesteuerter Bordcomputer und zwei Fallschirme eingebaut. Derartige Entwicklungen liegen durchaus im Trend: Das Pentagon finanziert mehrere Projekte von "Exoskeletten", also von technischen Erweiterungen des menschlichen Körpers, die Soldaten oder Rettungsteams mehr Sprung- und Widerstandskraft verleihen sollen. Am heutigen Sonntag ist es nun endlich soweit: Hurtubise testet irgendwo in Kanada zum ersten Mal seit siebzehnJahren wieder die Begegnung mit seinen Freunden - aus Kostengründen allerdings mit dem alten Anzugsmodell.
Die Leser der Sonntagszeitung sind aufgefordert, ihm die Daumen zu drücken. Im Gegenzug gibt Hurtubise einen Tip: "Wenn Sie einem Bären begegnen, nehmen sie eine Dose Cola und schütteln sie kräftig. Öffnen Sie langsam den Verschluß - das Zischgeräusch wird den Angreifer vertreiben. Das ist sogar besser als der Anzug: Kostet nur sechzig Cent, und den Rest können Sie trinken."
Mit großem Dank an die Redaktion für die Erlaubnis zur Veröffentlichung.