Quelle: Thüringer Allgemeine, 29. November 2019, https://www.thueringer-allgemeine.de/leben/vermischtes/ta-podcast-hollitzer-trifft-mit-kriminalbiologen-benecke-dna-test-ist-super-weihnachtsgeschenk-id227776533.html
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In seinem Podcast „Hollitzer trifft“ spricht TA-Chefredakteur Jan Hollitzer diesmal mit Deutschlands bekanntestem Kriminalbiologen Mark Benecke: “DNA-Test ist ein super Weihnachts-Geschenk"
Episode 12: „So lange wird es Menschen nicht mehr geben.“
Vorspann
Hollitzer: Hallo bei „Hollitzer trifft“. Ich treffe heute Madendoktor Mark Benecke im Peckhams, einem kleinen Café in der Nähe des Domplatzes in Erfurt. Der wird eine Rolle spielen, genauso wie der Weihnachtsmarkt, denn Mark Benecke hat sich den Kult-Weihnachtsmarktbaum Rupfi auf sein Bein tätowieren lassen. Was es damit noch auf sich hat, werdet ihr erfahren und ich werde mit ihm über seine Sicht auf die Welt sprechen, denn die ist voller Spurenträger, will heißen, überall befinden sich — aus seiner Sicht – DNA-Partikel, Keime und andere Hinweise auf Dinge, große Dinge, die er in Zusammenhänge setzt und natürlich auch oft als Forensiker damit Fälle entschlüsselt. Und er wird mir etwas darüber verraten, warum er Priester des Dudeism ist und natürlich seinen Lieblingskeim, über den werden wir natürlich auch sprechen.
Im Café
Hollitzer (räuspert sich): Ich bin ein bisschen erkältet.
MB: Das sind viele zur Zeit.
H: Hast du irgendeine Geheimwaffe, gibt es irgendwelche besonderen Fliegen, die einsetzen kann? Du warst doch auf einem Fliegengipfel in Namibia?
MB: Ja, das stimmt. Aus Fliegen ist bisher nichts gewonnen worden. Meine Frau legt sich einfach ins Bett. Das schlägst du vor als optimales -? Ja, einfach ins Bett legen.
H: Ausruhen.
MB: Ausruhen. Tipp meiner Frau. Die ist aus dem Eichsfeld, hinter den sieben Bergen, da muss sie es ja wissen. Die kennen da noch so Geheimtechniken.
H: Ja, ich komme aus dem Unstrut-Hainich-Kreis, das ist direkt daneben. Aus Mülhausen.
MB: Dann bist du nicht so verstossen wie das Eichsfeld? Das Eichsfeld ist ja so ganz verstossen.
H: Das ist genau die Grenze. Die Mülhäuser und die Eichsfelder —
MB: Sind beide ausgegrenzt.
H: Ja, guter Konkurrenzkampf. Wo kommst du her aus‘m Eichsfeld?
Ines: Aus Langefelde.
H: Das ist ja gleich hinter‘m Buckel. Da gibt es so eine Wetterscheide.
MB: Und eine kulturelle Scheide offenbar auch.
H: Warum bist du denn in Erfurt?
MB: Ich bin immer gerne in Erfurt, weil es hier so super ist und deswegen poste ich ja auch die ganze Zeit Erfurt-Content. Aber heute eröffne ich mit dem Oberbürgermeister den Weihnachtsmarkt und bringe Rupfi zurück. Rupfi kehrt zurück nach einem Jahr und es gibt noch zusätzlich eine schöne Überraschung.
H: Sieht ja wirklich gerade so aus als ob du Erfurter Marken-Botschafter bist.
MB: So komme ich mir auch so langsam vor und bin ich auch sehr gerne. Mein genetischer Vater ist in Erfurt geboren, meine Frau Ines kommt ja auch aus‘m Eichsfeld, aber das ist ja auch Thüringen, auch wenn viele das abstreiten. Wir sind super gerne hier. Ich bin gerne Botschafter. Ich habe eine Puffbohne auftätowiert, ich habe Rupfi auftätowiert, also mehr geht schon fast nicht mehr.
H: Wo hast du denn Rupfi auftätowiert?
MB: Rupfi ist am Bein auftätowiert. Haben wir auch direkt gemacht.
H: Vielen Dank – ich habe gerade Milchkaffee bekommen. Für die Hörer da draußen.
MB: Der ist am Bein auftätowiert, das haben wir direkt gemacht, nachdem Rupfi umgelegt wurde. Da gibt es ja auch ein schönes Video davon wie ich gerade im selben Moment ankomme und Rupfi ganz langsam zu Boden gleitet an seinem letzten Tag und danach ist noch viel passiert. Kaum hatte ich das Tattoo, kam natürlich der Holzmichel, der Rupfi übernommen hat. Dann habe ich gehört, dass das Gartenbauamt in Erfurt aus den Zapfen von Rupfi kleine Mini-Rupfis hat erblühen lassen.
H: Ich glaube tausend Stück.
MB: Davon möchte ich natürlich auch einen haben. Wenn es eine Stadt gibt, deren Marken-Botschafter ich sein möchte, dann Erfurt.
H: Wie hast du das denn damals überhaupt mitbekommen mit dem Weihnachtsbaum, dass es den gibt?
MB: Ich war im Hotel und da lag eine Zeitung. Meine Frau lacht mich immer aus, ich bin alt und ich lese noch Zeitungen, also auf Papier. Und dann stand das da: “Rupfi wird umgelegt". Da hab' ich gesagt „Wenn du jetzt sofort alles stehen und liegen lassen, in dieser Sekunde, dann schaffen wir das“ und dann sind wir da hin und dann hab ich schon die Kamera laufen lassen als wir aus der Bahn ausgestiegen sind und just ist dieses absolut sekundengenaue Video entstanden. Das war reiner Zufall, aber natürlich war schon meine Aufmerksamkeit darauf gelenkt, weil ich es natürlich die beste Story ever finde.
Ich weiß gar nicht, ob euch das hier in der Region so bewusst ist: Die Leute schätzen ja das Unperfekte, ja eigentlich immer, aber wenn man das auch noch sympathisch rüberbringen kann, dann natürlich auch da. Und dann gab es die eine Fraktion, die sich den satten, perfekten Weihnachtsbaum wünscht und dann aber auch eine sehr große Mengen von Menschen, die das unperfekte, schräge, nicht ganz vollkommene lieben und dazu gehöre ich natürlich auch.
Deswegen war meine Aufmerksamkeit sowieso schon darauf gerichtet. Und dadurch, dass ich die Puffbohne auftätowiert habe, werde ich sowieso immer auf Sachen aus Erfurt angesprochen, kommt natürlich auch dazu. Also immer, wenn was passiert, dann sagen die Leute —
H: Naja, die satten und perfekten Weihnachtsbäume aus Thüringen, die schmücken dann eher Berlin immer.
MB: Das ist richtig.
H: Einer aus Thüringen, der sich gerade wieder aufgemacht hat zum Brandenburger Tor.
MB: Genau. Und Rupfi 2, Martin heißt der ja jetzt -
H: Wollte ich gerade fragen, du bist schon wieder gut informiert.
MB: Ja, ich war gestern Abend schon bei der Generalprobe – der hat ja sogar den Weg durch Hessen angetreten. Es ist nicht nur ein Botschafter, der die Teile Thüringens zusammenbringt, sondern sogar auch noch ein westliches Bundesland, das ist ja auch schön.
H: Meinst du, es steht ihm genau so eine Karriere bevor wie Rupfi? Ich habe ihn ehrlich gesagt noch gar nicht gesehen.
MB: Der Martin ist so eine Geschichte für sich. Ich war zufällig hier als gerade aufgestellt wurde. Da stand ein Fahrradfahrer mit Fahrradhelm daneben und hat super laut geflucht und dann bin ich zu dem hingegangen und hab gesagt „Ich mache immer so kleine Mini-Videos, willste mal erzählen, was dich gerade so aufregt?“ Da hat er mich mit nem Todesblick angeguckt – ich möchte jetzt nicht zitieren, was er gesagt hat – und hat gesagt, er ist schon wieder so zerrupft. Also er hat einen Stich ins Herz bekommen. Den müssen wir noch erreichen, dass eben auch das Unvollkommene viel Schönes in sich bergen kann.
H: Botschafter des Unvollkommenen.
MB: Stimmt, unvollkommenen, aber würdigen schön und liebevoll.
H: Gibt es denn einen veganen Stand auf dem Domplatz?
MB: Nüsschen gibt es eigentlich immer.
H: Ich habe nur gelesen, ihr musstet gestern unterwegs nochmal irgendwo anhalten, weil das einzige vegane Restaurant in Erfurt leider geschlossen hatte.
MB: Ja, aber da haben wir auch gute Nachrichten. Wir sind jetzt heute ganz viel rumgelaufen und haben gesehen, es gibt z.B. hier jetzt auch – wir sitzen hier auch auf einer schönen Couch mitten in Erfurt in einem kleinen Café – gibt es eigentlich immer ein veganes Gericht. Das ist nur in unserer App [für Veganer*innen], der „Happy Cow“, die ich immer bediene, da ist das noch nicht so durchgeschlagen, aber ich habe schon ganz viele Sachen eingespeist und ab in ca. ein, zwei Wochen werden auch die amerikanischen Gäste wissen, dass es zwar nicht rein vegane, aber zumindest leicht veganisierte Cafés und Restaurants gibt.
H: Bist du schon immer Veganer?
MB: Schon sehr lange, ja. Vegetarier bin ich „schon immer“. Als ich kleiner war, wusste ich nicht, dass es vegan gibt.
H: Das hat nichts damit zu tun, dass du mal ein Schlüsselerlebnis hattest mit deiner jetzigen Berufung als Forensiker.
MB: Doch. Ne, mit meinem Beruf hat es nichts zu tun. Ich habe früher im Nebenfach Psychologie studiert und mit Tintenfischen gearbeitet. Das geht ja jedem Menschen so: Wenn du merkst, das sind freundliche Lebewesen, dann willst du sie nicht mehr essen. Die meisten Leute haben früher Häschen gehabt und eines Tages lagen sie dann zum Essen auf dem Tisch. Das ist der Klassiker von einer Generation vor mir. Und bei meiner Generation sind es meistens Kühe oder Rehe und die Kids heute wissen das ja eh heute. Schlüsselerlebnis würde ich das nicht nennen, aber es war schon eine Grundeinstellung.
Mit meinen Eltern im Auto habe ich immer diese Viehtransporte auf der Autobahn gesehen. Das fand ich auch immer blöd. Nur den Schritt zu machen, zu sagen, ich möchte das auch nicht mehr verzehren, das dauert bei den meisten Leuten, bei mir natürlich auch, recht lange.
H: Bei Tintenfischen denke ich jetzt an diesen Schlangen-Seestern oder wie das Ding heißt —
MB: Ah, der Schlangenstern.
H: Der nach dir benannt ist.
MB: Genau, das ist kein Tintenfisch. Schlangensterne isst keiner, da ist zu wenig dran. Stimmt, der ist nach mir benannt. In derselben Veröffentlichung haben sie auch noch einen weiteren, den finsteren Stern, eine zweite Art, die auch neu entdeckt ist, nach Rammstein benannt, weil die wissen, dass ich großer Rammstein-Fan bin. Der eine ist Astrophiura markbeneckii und der andere ist Astrosomba rammsteinienses. Auch ein schöne Moment, fast so schön wie die Eröffnung des Weihnachtsmarktes in Erfurt.
H: Wenn du Rammstein-Fan bist, hier in der Kunsthalle in Erfurt sind gerade ein paar Kunstwerke von Till Lindemann ausgestellt, direkt am Fischmarkt.
MB: Oh, dann sollten wir da noch schnell hingehen.
H: Ist ein wenig gewöhnungsbedürftig, aber gut naja -
MB: Och naja was heißt gewöhnungsbedürftig. Ich bin ja schon dran gewöhnt. Das ist kein Problem.
H: Kennst du Kunstwerke von ihm schon?
MB: Ich besitze welche von ihm.
H: Was hast du denn von ihm?
MB: Er hat mir mal was geschenkt, möchte ich keine Details dazu nennen.
H: Okay, vielleicht kann ich es mir ein bisschen vorstellen, weil ich auch schon in der Kunsthalle war.
MB: Es ist ein eingelegtes Tier.
H: Ein eingelegtes Tier, okay. Er hat dort auch sehr viel mit Genitalien und sowas -
MB: Ja, Genitalien, gut.
H: Oder ein schwarzes Bild mit einem toten Vogel drauf und es heißt dann „Spatz“.
MB: Ich weiß, was er macht. Ja klar, ich finde das super. Danke für den Hinweis, da werden wir noch vorbeigeistern.
H: Warum du so oft in Thüringen bist, habe ich mich oft gefragt. Du hast ja auch an der Jenaer Erklärung mitgemacht. Das Eichsfeld ist vielleicht so ein Magnet.
MB: Nein, überhaupt nicht. Das Eichsfeld ist gar kein Magnet. Das liegt tatsächlich daran, dass Jena hat eine sehr gutes Institut für Zoologie und Ernst Häckel hat ja da gelebt. Da war auch eine Ausstellung über Ernst Häckel. Ich bin einer der wenigen, die noch die „Kunstformen der Natur“ sehr gut kennen, ich habe noch ein Original davon. Ich bin auch schon ganz ganz lange, bestimmt 15 oder 20 Jahre Mitglied beim Ernst-Häckel-Haus, das ist ein Verein, der die Villa Medusa usw. fördert, und Medusen finde ich natürlich auch total geil und die ganze künstlerische Darstellung oder populärwissenschaftlich sollte ich besser sagen, finde ich auch sehr, sehr gut.
Ich fand das ohne Quatsch oder Augenzwinkern super eindrucksvoll, dass Ernst Häckel damals im Volkshaus diese populären Veröffentlichungen oder Vorträge gehalten hat und ich durfte dann – das ist schon ganz lange her, bestimmt 10 Jahre – durfte ich auch mal im Volkshaus sprechen, da hatte ich echt Gänsehaut. Da zu stehen wo Ernst Häckel stand.
Im Ausland ist der nicht so bekannt und dann hat er ja auch komische Äußerungen gemacht, die man heute nicht machen würde und nicht mehr gut findet, also z.B. das ganze Rassekonzept ist ja heute widerlegt. Wir wissen ja heute, dass es keine Menschenrassen gibt, aber das dachte man ja damals noch, aber gleichzeitig hat er so eine krass geile Popularisierung gemacht durch – heute wären das soziale Medien – er hat es damals durch diese sehr schönen künstlerischen Darstellungen gemacht und hat die auch in einzelnen Bänden ausgeliefert über eine lange Zeit. Ihr würde bei der Zeitung vielleicht sagen „eine Story“ oder die Boulevard-Zeitung würde sagen „eine Kampagne“, der hat das über eine ganz lange Zeit gemacht und das war total gut einfach. Er hat dann sehr gute und richtige Inhalte sachlich korrekt rübergebracht. Bei den Zeichnungen hat er das ein bisschen hingedreht, die Symmetrie usw., das wissen wir heute. Das würde ich z.B. nicht machen in der Populärwissenschaft, Sachen hindrehen, damit sie schöner oder besser aussehen, aber gut —
H: Du machst ja auch in dem Sinne keine Auftragsarbeiten in dem Sinne so richtig, oder?
MB: Doch.
H: Dieses bezahlte. Oft wird ja die Wissenschaft dafür kritisiert, dass sie dahingehend forscht, wer auch der Auftraggeber ist.
MB: Ach so, aus der Nummer bin ich raus. Er hat es hingedreht, weila es schöner aussah, damit es symmetrischer wird auf den Bildern. Inhaltlich stimmte das schon, nur die Zeichnungen waren zu symmetrisch, das war das Problem oder er hat Zwischenglieder, also Zwischenstadien einfach ausgefüllt, es war trotzdem korrekt, aber er hat es halt so nicht gesehen.
Bei mir ist das Problem nicht gegeben, weil ich objektiv arbeiten muss. Ein Auftraggeber oder eine Auftraggeberin, die zu uns kommen, müssen in einem Aufklärungsgespräch aufgeklärt werden, dass ich, um es mal flappsig zu sagen, für die Gegenseite gratis mitarbeite. Wer mir den Auftrag gibt, muss mir zwingend den Auftrag erteilen, sonst nehme ich den nicht an, dass ich die Wahrheit objektiv vollständig darstelle und auch nichts im Bereich der Standardabweichung ein bisschen hin- und herschiebe. Das ist eine Besonderheit an meiner Arbeit.
H: Ist das für jemanden schon mal richtig nach hinten losgegangen?
MB: Das ist eigentlich nicht so. Wenn das, sagen wir mal, um größere Sachen geht, die aus dem Bereich Organisierte Kriminalität, wo dann ein schnieker Anwalt kommt und so ganz freundlich und ernst sich auch gerne am Flughafen trifft oder sowas, sind die ganz höflich und sagen — ich kann dir das gar nicht vormachen — ich übersetze mal „Okay, haben wir verstanden, schönen Tag noch, schönes Leben noch, auf Wiedersehen.“
Das wird dann ganz höflich abgelehnt, weil die natürlich jemanden brauchen, der ein parteiisches Gutachten macht und das mache ich aber nicht und bei der Polizei oder so ist das so, da spricht man vorher darüber, was ganz klar Phase ist, die sind ja nicht blöd, die sind ja selber Spurenkundler und Spurenkundlerin, die haben sowieso Zusatzinformationen, die ich nicht habe.
Das heißt, wenn ich beauftragt werde, hat es auch einen Sinn für alle Beteiligten. Da geht es eher darum, das Geld nicht zu verschwenden. Da geht es nicht darum, ob man für eine zu arbeitet oder nicht, sondern man will einfach keine unsinnigen Gutachten haben. Deswegen bin ich da fein raus. Ein einziges Mal in meinem gesamten Leben, ich mache das seit 27 Jahren, hat mal jemand versucht mich zu bestechen. Den hab ich einfach rausgeschmissen und dann war gut. Seitdem hat das nie wieder jemand versucht.
H: Was wollte der denn?
MB: Das war ein Hundebiss und wir können ja über DNA-Spuren zeigen, ob der Speichel übertragen wird von einem Tier, einer Ratte, einem Hasen, einem Hund, von egal was und dann haste Speichel von einem Tier, wo z.B. der Tierhalter sagt „Nein, das kann gar nicht sein, das ist ein ganzer lieber Hund, der beißt nicht.“ Und dann sagt man „Aber der Speichel ist da in der Wunde, ich weiß nicht, was wir da jetzt lange diskutieren müssen, a. Die Wunde, b. der Speichel“. Und die wollten, dass ich aussage, dass der Speichel in der offensichtlichen Wunde nicht da ist.
H: Und wieviel haben sie dir geboten?
MB: 500 Mark oder Euro, ich weiß nicht.
H: Ist schon etwas her.
MB: Ja, ist schon etwas her.
H: Wie teuer ist so ein DNA-Test?
MB: Die Chemikalien kosten vielleicht 50 Dollar oder so pro Test. Dann brauchste aber natürlich eine Positiv-Kontrolle, eine Blind-Kontrolle, die eigentlichen Kontrolle, dann nimmste das auch an mehreren Stellen, dann machste noch ein Gutachten, das kostet halt Zeit. Dann wird es halt teurer.
H: Mh.
MB: Der DNA-Test ist heutzutage kein Problem mehr. Du kannst heute preiswert – du kannst z.B. heute deinen ethnischen Hintergrund, alle Menschen sind ja Migranten und Migrantinnen, es gibt ja keinen nicht-migrierten Menschen auf der Erde, kannste dir über die letzten 5000 bis 10000 Jahre für 60 Dollar machen lassen. Haben wir im Labor alle gemacht, habe ich letztes Jahr allen zu Weihnachten geschenkt, fanden alle super. Auch die Eltern von meiner Mitarbeiterin, das kostet nichts mehr.
H: Und das kann man einfach irgendwo beauftragen?
MB: Ja, du nimmst einfach einen Watte-Tupfer, der ist DNAfrei, dann legst du das selber in eine Art Papp-Träger, damit das nicht verschmutzt. Dann machste die Papp-Schachtel zu, dann trocknet das in der Schachtel und dann kannste das schon in die Post schmeißen. Dann wird das in der DNA-Fabrik anonym gemacht und du anonymisierst das mit einem Code und -
H: Wo schickt man das hin?
MB: Eine Firma heißt z.B. MyHeritage und es gibt auch noch zwei, drei andere, die das machen.
H: Also wer noch kein Weihnachtsgeschenk hat, aber vielleicht wirds auch etwas eng jetzt.
MB: Das Kit kriegt man noch. Die Bestellung für diese Schachtel, das passt schon und das Einsenden der Proben macht man dann nach Weihnachten.
H: Aber echt gut, ich brauche noch ein paar.
MB: Das ist wirklich ein Supergeschenk, du kannst gleichzeitig deinen Stammbaum einpflegen und da das schon Millionen von Menschen gemacht haben, hast du natürlich ein riesiges Netz an Stammbäumen. Die haben alle Stammbäume gekauft aus den skandinavischen Ländern, aus Kirchenbüchern, von den Mormonen, die haben Abermillionen von Stammbäumen, die jetzt über die DNA-Daten verknüpft werden und das ist in der westlichen Welt umspannend.
Natürlich nicht Indien oder die afrikanischen Länder, da interessiert das momentan keinen und da haben die kein Geld für, die haben andere Probleme. Das ist schon richtig cool. Da kannste richtig rauskriegen mit wem du vor endloser Zeit verwandt warst oder aus welcher Linie du stammst, falls du dich für ein Königskind hältst.
H: Da muss man sich ja nochmal ganz neu kennenlernen, wenn man das dann liest. Oder es erklären sich einige Attitüden, die man hat.
MB: Und es erklären sich auch mögliche Soldatenkindergeschichten. Wenn die Ur-Oma mal erzählt hat, dass die Mama möglicherweise noch mit jemand anderem Geschlechtsverkehr hatte und in der Familie noch ein Kind gezeugt hat, was nicht genetisch vollständig verwandt ist aus der Linie. Das ist auch ganz lustig. Damit kannst du im Grunde auch Vaterschaften testen.
H: Ganz lustig ist das sicher nicht.
MB: Kommt drauf an, manchmal ist es nicht so schlimm. Früher war das sehr schambehaftet, aber heutzutage denke ich mal, kann man es auch als Gesprächsgrundlage nehmen und sagen „Das ist jetzt nicht der Weltuntergang, aber ich können wir da nicht mal einfach drüber reden?“ Es kommt drauf an, wo du lebst, aber in einer vernünftigen Familie sollte man im Jahr 2019 offen darüber reden können. Das finde ich jetzt nicht so schlimm.
H: Ich habe mal irgendwo gelesen, als es darum ging, sorgfältig zu arbeiten, dass in deiner Zeit in Amerika, sind sie ganz anders vorgegangen bei DNA-Tests. War das ein Fingernagel oder so, der in ganz viele Teile aufgespaltet wurde, weil überall was drauf sein konnte?
MB: Ja genau, das macht man in Deutschland manchmal auch und das kostet aber alles Geld und es ist ja Steuergeld, wenn es das Landes- oder Bundeskriminalamt macht. Wie jeder weiß, möchten die Menschen nicht mehr Steuern zahlen, sondern weniger und das führt natürlich dazu, dass du da nicht so viel Geld ausgeben kannst. Und als ich in den USA noch gearbeitet habe, in der Rechtsmedizin als Biologe in den 90ern, da war das mit der DNA noch sehr faszinierend und du wolltest auf der technischen Seite noch das letzte rauskitzeln. Heute kannst du das hauptsächlich im Labor, weil du eh allerkleinste Mengen nachweisen kannst.
Aber früher musstest du das vorbereiten, damit du die kleinsten Mengen überhaupt findest, indem du die Spur zerspalten hast. Z.b. jemand wurde an einem Kragen am T-Shirt angefasst bei einem Raub. Dann hättest du den Kragen in 50 Teile zerspalten und 50 verschiedene Tests gemacht, um die Erbsubstanz vom Täter, die nur an einer einzigen Ecke dran ist und an 49 Ecken vielleicht nicht, rauszukriegen, weil sonst vervielfältigst du nur die Erbsubstanz von dem, der das Hemd an hatte.
Und solche Sachen haben sehr viel Spaß gemacht, da haste dann auch rumgefrickelt. Früher gab es z.B. bei den Uhren diese Kronen mit den Zacken als man die noch aufgezogen hat, die gibt es heute manchmal noch —
H: Ich hab noch so eine aber ich habe heute die andere an. Die hab ich von meinem Vater geerbt.
MB: Da bleibt natürlich auch Erbsubstanz drin. Du lernst eine ganz andere Welt kennen. Überall, wo eine Ritze oder Spalte ist, wo ein Haar, eine Hautschuppe, mit Schweiß, über die Schleimhautzellen, die im Speichel oder im Schweiß herumschwimmen, verteilte DNA, allein beim Sprechen, das ist total super.
H: Wenn ich eine feuchte Aussprache hätte, würde das schon reichen?
MB: Auf jeden Fall. Du kannst auch noch ganz andere Sachen machen. Ich habe für die Zeitschrift Kriminalistik, die von den Landeskriminalamtsdirektoren und -direktorinnen herausgegeben wird, die mögen gerne so Sachen, die auf Kongressen vorgestellt werden und dann stelle ich sowas vor, wenn mir sowas über die Füße läuft. Und da haben wir letztes Jahr auf einem Kongress gehört, dass wir darüber, dass man so viel wischt auf den modernen Handys, da hinterlässt du die Abbauprodukte aus den Medikamenten, die du genommen hast. Das heißt, wenn du ein Handy sicherstellst, kannst du rauskriegen, welche Medikamente derjenige genommen hat. Das ist natürlich total interessant.
H: Verrückt.
MB: Ja, super verrückt. Aber du musst halt daran denken: In dem Moment, wo du daran tatscht, es falsch anfasst oder falsch lagerst, verschmierst das natürlich, wird abgerieben oder überlagert. Aber wenn du das schön in einen Träger reinlegst, das gibt es auch für Messer oder diese Wattestäbchen, gibt es so Papp-Träger und dann kannste echt alles machen, das macht echt richtig Spaß.
H: Ein bisschen beängstigend. Ich habe nur mal gehört, dass die total keimverseucht sind.
MB: Da kannste aber einfach — ich hab immer Isopropylalkohol dabei, das kann man jetzt nicht sehen, hier ist ein weißes Fläschchen, da steht EtOH drauf, da ist aber Isopropylalkohol drin. DAs benutze ich etwa zwanzig mal am Tag und sprühe alles mögliche ab. Da kommt man auch ohne Grippe durch den Winter, wenn man Glück hat.
H: Da bist du ein bisschen vorsichtig, weil du weißt, was uns alles so umgibt?
MB: Ja, nee, es ist eher so, wir arbeiten 365 Tage durch, meine Frau und ich, das ist immer blöd, wenn man flach liegt und ne Grippe hast. So ist das ja nicht schlimm solange du ein gesundes Immunsystem hast, bist du ja gegen Keime recht unempfindlich. Halbwegs.
H: Hast du einen Lieblingskeim?
MB: Serratia marcescens ist sehr schön. Das ist das Blutströpfchen-Bakterium. Der erzeugt einen roten Tropfen, der ist schön blutrot, hellblutrot, nicht wie Raucherblut oder altes Blut, sondern schönes frisches Blut. Der hat auch früher zu christlichen Wundern geführt. Das ist dann auf heiligem Brot, wenn das irgendwo gelagert wurde und der Priester hat dann eine Formel gesagt, katholische Priester können das ja umwandeln in den Leib Jesus Christus, da gibt es natürlich immer Leute, die das nicht glauben und dann sind natürlich die Gläubigen traurig und dann ist dann das Bakterium natürlich durch Zufall da drauf gekommen und wenn das länger gelagert wurde, hattest du da Blutstropfen drauf. Dann können natürlich die Gläubigen sagen „Siehste, es ist doch das Blut von Jesus Christi“. Und es sieht einfach schön aus. Es kann auch die ganze Leiche knallrot färben. Das sieht ganz faszinierend aus.
H: Ich finde faszinierend wie leidenschaftlich du von Keimen redest. Aber das ist wohl auch der Grund dafür, warum du ganze Hallen voll machst und sich Menschen auf einmal für Tod, Leichen, Verwesung und allem möglichen Kram interessieren.
MB: ich glaube nicht, dass es reicht, dass du selbst von etwas begeistert bist. Es muss schon etwas in Schwingung bringen, sozusagen die musikalischen Saiten müssen bei den anderen Leuten auch da sein, die man –
H: Und da sich jeder mit dem Tod beschäftigt, ist es –
MB: Genau. Und viele Leute haben auch schon was erlebt. Das darf man wirklich nicht vergessen. Es gibt eine sehr, sehr hohe Anzahl von Leuten, die sexuellen Missbrauch oder häuslichen Missbrauch, also Gewalt erlebt haben oder seelischen oder sonstigen Missbrauch. Dann gibt es viele Leute, bei denen relativ unerwartet jemand gestorben ist in der Familie, das kann auch die Oma gewesen sein. Die kann ja auch für ein Kind total unerwartet sterben, Autounfälle, Traumata jeder Art und dann werden die Leute sehr oft, sagen wir mal, da wird ein Schleier weggezogen, der Gänseblümchen- und Glücks-Pony-Schleier, der wird dann sehr rapide weggezogen.
Oder eine Scheidung reicht auch schon, wenn du noch ganz klein bist. Das sind Menschen, die dann auch manchmal etwas nachdenklicher werden und dann gerade in den finsteren Regionen mal etwas näher nachgucken wollen, weil die zu recht vermuten, dass da noch etwas ist. Da ist ja auch einiges, aber da guckst du normalerweise nicht hin.
H: Hilfst du manchen Menschen damit auch indem du so viel erklärst oder versachlichst?
MB: Beides, genau.
H: Und ziehst so ein bisschen Emotionen raus.
MB: Genau, perfekt, alles drei, so ist es. Das Versachlichen beruht darauf, dass du die Emotionen, es ist klar, dass die Gefühle haben, das ist normal, das hat jeder Mensch, darüber wollen wir aber jetzt nicht reden, weil die nicht das Fundament darstellen. Das Fundament sind die Spuren, Sperma, Haare, Urin, Insekten, Speichel, irgendsowas. Das ist da, Holz, Stein, das können wir messen. Ihre Gefühle oder was das sozial, kulturell oder politisch bedeutet, das können andere Leute bewerten, die haben davon Ahnung, z.B. Journalisten und Journalistinnen, von mir auch aus Priester oder Politiker und Politikerinnen, die sind für die Auslegung zuständig, aber davon habe ich keine Ahnung.
Ich kann dir aber beim Messen helfen, ist das Blut oder kein Blut, ist das Blut oder rostiges Wasser, ist das Blut oder Blutströpfchenbakterium, lohnt sich das, eine DNA-Analyse zu machen, lohnt sich die Form anzugucken. Ich glaube, dieses Konzentrieren, das ist vielleicht noch das Vierte, dass du dich mal auf eine Sache konzentrierst ist auch gut, weil dann sind die anderen Dinge, die dich sonst so beschäftigen, mal ausgeblendet. Also vier Dinge sind es vielleicht, die hilfreich und interessant sind.
H: Du hast ja fast eine Bewegung damit geschaffen, oder? Ihr markiert ja die Menschen zu.
MB: Die Markierten. Die Ines –
H: Wenn ich jetzt sagen würde, ich will auch ein Markierter sein, dann zückst du dein Gerät und legst los?
Ines: Dann sagst du mir, was du möchtest, dann zeichnet er das auf und dann tätowiere ich das.
MB: Also wenn wir das okay finden. Wir machen natürlich nichts, was wir nicht in Ordnung finden.
H: Schon auch prominent lassen sich die Leute markieren, auch auf dem Finger –
MB: Die Leute, die sich die Hände tätowieren, die haben sich das überlegt. Wir machen das ja nicht auf Parties.
H: Ich meinte das so: Die sind dann auch bekennend.
MB: Total bekennend, teilweise auch an Stellen, die ich sehr interessant finde. Z.B. vorne oben am Schlüsselbein, wo das häufig gesehen wird. Im Sommer sehen es viele Leute oder auch dein Partner oder deine Partnerin wirds die ganze Zeit sehen.
Ines: Ganz viel auch am Handgelenk.
MB: Am Handgelenk haben es sehr viele Leute. Dazu muss man auch sagen, mit dem Handgelenk und dem Unterarm, das fällt mir auch auf, da sind viele Leute, die sich da auch die Schnitte zugefügt haben. Und dann –
H: Die sich geritzt haben?
MB: Geritzt oder auch richtig geschnitten. Nicht nur das normale Ritzen, sondern schon mehr
H: Das habe ich gesehen. Eine Unterschrift war auch direkt auf so einer Narbe.
MB: Haben wir öfter. Und ich finde das super, weil a. sie zeigen sie dann, viele Leute schämen sich ja normalerweise dafür und zweitens ist das ein Schritt, ich will das nicht Heilung nennen, aber ein Akzeptieren und Integrieren in den Alltag und gleichzeitig etwas positives rüberlegen. Kein Pflaster, sondern etwas, das da bleibt und die tauschen sich mit anderen aus. Auf einmal werden Dinge normal, über die man reden kann. Wie wir vorhin über die Vaterschaften geredet haben.
Ich finde das persönlich überhaupt nicht schlimm, also wenn meine Mutter oder meine Oma zu mir kommen würde und sagen würde, weißte, da war halt Krieg, alles war im Chaos und ich wusste nicht, was los war und die Entscheidung habe ich halt getroffen, dann würde ich eher sagen, voll gut, dass du es ansprichst. Was geht mich das an, was für Entscheidungen getroffen wurden vor dreißig Jahren und so ist es hier auch. Dieses den nächsten Schritt machen, weitergehen, dem Ganzen eine positive Bedeutung geben, das finde ich super. Aber Bewegung würde ich es nicht nennen. Es ist eher eine sehr soziale freundliche Gruppe.
H: Du hast dich auch anderen Bewegungen angeschlossen, habe ich gelesen, für die ich auch ziemliche Sympathien hege, Dudeism.
MB: Dudeism, das ist eine echte Bewegung.
H: Mein Lieblingsfilm ist „The Big Lebowski“.
MB: Sweeet. Aber bist du schon so alt? Du siehst nicht so alt aus.
H: Ich bin 80er Jahrgang.
MB: Ach so, da biste noch in der Lebowski-Gruppe, cool. Finde ich gut.
H: Was bist du für ein Jahrgang?
MB: 1970.
H: Du siehst aber auch nicht so aus.
MB: Liebe Hörerinnen und Hörer, wir haben uns beide gut gehalten.
H: Wir haben uns super gehalten.
MB: Bitte per Chiffre Briefe an die Redaktion.
H: Es war totaler Zufall als ich damals den Film gesehen habe. Das war zu einer Zeit, da war ich ganz oft im Kino und ich hatte im Prinzip schon jeden Film gesehen, der lief und das war der letzte, der übrig blieb. Und wir hatten aber total Bock ins Kino zu gehen. Und dann waren wir im Kinosessel von vorne bis hinten total geflasht.
MB: Der lief im normalen Programm damals?
H: Das war total skurril, die Musik war super –
MB: In welcher Stadt?
H: Hier in Erfurt.
MB: Geil.
H: Und das hat sich bis heute gehalten.
MB: Hast du eine Lieblingsfigur?
H: Der ist unerreichbar. Mitleid mit Walter hat jeder, so traurig, aber klar, der Dude.
MB: Der Dude, stimmt. Sehr schön gezeichnete Figur.
H: Obwohl ja viele auch sagen, er ist ein richtiger Buddhist, das kommt auch im Dudeism auch ein bisschen durch.
MB: Der Journalist, der dazu schon mehrere Bücher gemacht hat und der diese, ich bin ja dudeistischer Priester, der auch diese Priesterkarten herausgibt usw. –
H: Musstest du dazu irgendetwas belegen, dass du Priester wirst?
MB: Nö, eigentlich nicht. Das ist ja eigentlich der ganze Gag, entweder du bist es oder du bist es nicht und dann kriegst du halt den Ausweis und den Aufkleber. Musst du halt bezahlen, aber kostet nicht viel.
H: Glaubst du daran oder ist das eine fixe Sache?
MB: Ich finde das ist eine super Lebenseinstellung. Wie du schon sagst, Bewegung wäre eigentlich ein ganz guter Begriff, auch nicht in dem Sinne wie wir das in Deutschland begreifen, aber ich meine, wenn die –
H: Es gibt ja 160 000 Priester.
MB: Wenn die das Dude-Fest machen, da ist schon was los. Es ist eher an den Buddhismus als ein Taoismus angelehnt und es bleibt ja immer mit Augenzwinkern. Wenn du die Bücher von dem Journalisten durchliest, es ist immer genügend Augenzwinkern dazwischen als dass es so ernst werden kann, dass auf einmal kleingärtnerische Kriege entstehen über die wahre Auslegung, aber du kannst dich daran komplett orientieren. Damit sind wir auch wieder bei den Markierten, du darfst halt manche Dinge nicht ernst nehmen.
Wenn du manche Dinge ernst nimmst, die dich seelisch zersetzen, dann hast du verloren. Du musst in der Lage sein, Dinge gehen zu lassen und zu sagen Fuck it. Das ist jetzt halt so. In der Psychologie oder Psychiatrie oder Sozialarbeit würde man sagen, es ist radikale Akzeptanz. Du sagst einfach „Ett is wie et iss“. Das kannst du jetzt nicht ändern, aber ich muss mich nicht mein ganzes restliches Leben von dem Ereignis zerfressen lassen, dass es schief gegangen ist. Auch ohne mein Einwirken oder mit ungewolltem Einwirken. Deswegen finde ich das eine ganz gute Idee.
H: Ich überlege gerade, woher das kommt. Das ist ja ein bisschen paradox bei dir. Einerseits bist du ja komplett an den Fakten orientiert, total akribisch in der Wissenschaft , das heißt in der Naturwissenschaft. Geisteswissenschaftler hätten vielleicht nicht das Problem, sich noch irgendwas zu suchen. Und ist das da dein Ausgleich dich für sowas dann zu begeistern oder begeistern zu lassen?
MB: Dadurch, dass da nichts ausgelegt wird, im Dudeismus z.B. oder auch im Donaldismus, du legst ja die Dinge nicht aus, du leitest daraus –
H: Was für einen -ismus noch?
MB: Donaldismus, das gibt es auch noch, dass du an den Werken des Zeichners Carl Barks und der Übersetzerin Dr. Erika Fuchs, wird konstruiert, das sind Überlieferungen aus Entenhausen und die sind wörtlich zu nehmen. Daraus kannst du das komplette Universum, also das Klima, den Strom usw. ableiten.
Und in beiden Fällen – das ist interessant, das hat auch noch nie jemand gefragt – das fällt mir gerade ein, es sind keine auslegenden Forschungen. Also Dudeismus ist eine innere Haltung, es gibt weder eine echte Vorschrift noch eine Auslegung wie die Welt ist und das ist im Donaldismus genauso. Du erforscht den Donaldismus und Ende. Du leitest daraus auch nichts ab. Außer, dass man halt sich besser freundlich und sozial verhält als unfreundlich und unsozial, aber gut, das ist ja eine Platitüde. Es sind beides nicht-auslegende Sachen.
Während, wenn das etwas wäre, was im strengen religiösen Sinne Vorschriften z.B. über dein Sozialverhalten, sexuelle Identität, Essensgewohnheiten, Lebensrhythmus, das würde ich ablehnen, da hast du recht. Das würde diese Grenze durchbrechen. Weil das faktisch natürlich nonsens ist. Während das andere eher freundliche, sympathische Meinungen sind. Sagt der Dude übrigens auch „It‘s just your opinion, man“. Es ist nur deine Meinung. Meinungen sind Meinungen, kannste gerne haben, aber die ist keine Tatsache.
H: Wann hat eigentlich dein Leben nach dem Tod begonnen?
MB: Das hat mit dem neuen Buch begonnen, das so heißt.
H: Aber der Titel muss ja einen tieferen Sinn haben.
MB: Das kam so. Es sollte eigentlich heißen „Ein Freak unter Normalos“. Dann habe ich gesagt, okay, wenn das vorne drauf steht, bin ich raus. Das finde ich total behämmert. Ich finde weder, dass ich ein Freak bin, noch weiß ich was Normalos sein sollen. Ab wann ist irgendjemand ein Normalo, was soll das bedeuten, das verstehe ich nicht. Menschen sind halt verrückt und bunt und traurig und von mir aus auch mal normal, aber dafür gibt ja keine Maßstab. Dann haben sie lange hin und her überlegt und dann kamen sie auf „Mein Leben nach dem Tod“ und angefangen hat es, dass ich mich mit dem Thema beschäftige im Biologie-Studium.
Da habe ich ein Buch geschrieben, das gibt es auch noch, das heißt „Der Traum vom ewigen Leben“, heute heißt es „Memento mori“ und da geht darum, warum ist das Sterben überhaupt erfunden worden? Lebewesen müssen nicht sterben, das ist nicht nötig. Bakterien können sich teilen, dann hast du keine Leiche und hast zwei neue Bakterien. Und das ist weit verbreitet. Sterben ist extra eingeführt worden für sexuelle Vermehrung, damit du möglichst verschiedenartige Erbsubstanz-Mischungen auf dem Markt hast, weil natürlich keiner vorhersagen kann wie sich die Zukunft klimatisch und wirtschaftlich und sonstwie entwickelt und dann brauchst du alle möglichen Varianten: große, kleine, dicke, dünne, alte, junge. Deswegen muss man die haben. Es ist Unsinn zu denken, zu gäbe bessere oder schlechtere Möglichkeiten, das stimmt halt nicht.
H: Eingeführt worden klingt so institutionell. Von der Evolution?
MB: Die Evolution, wer auch immer es war (lacht).
H: Oder wer es eingeführt hat.
MB: Ich tippe auf die Evolution. Andere tippen auf andere. Das hat bis heute recht erfolgreich, weil es durch eine Anpassung an neu entstehende Lebensräume nach Vulkanausbrüchen, nach Klimakatastrophen, nach Meteoriteneinschlägen oder auch nur nach langen Wintern, extremen Dürreperioden erlaubt, aber es hat auch Nachteile. Du brauchst immer sexuelle Vermehrung dadurch. Und die sexuelle Vermehrung erzeugt auch wieder hohe Kosten. Biologische Kosten. So gesehen weiß man nicht, wie es mittelfristig ausgeht. Es wäre auch vorstellbar, dass auf der Erde alles wieder zurückfällt auf weniger sexuelle bis gar keine sexuelle Fortpflanzung. Wir werden es nicht mehr erleben.
H: Aber wir habe der Evolution ja eh schon längst einen Schnitt durch die Rechnung gemacht mit der medizinischen Weiterentwicklung, oder?
MB: Ja gut, aber so lange wird es Menschen nicht mehr geben. Wir haben jetzt bald 10 Milliarden und dann sind auch viele Ressourcen verbraucht, vor allem die Landfläche und Wasser, das ist schon langsam sehr begrenzt. Menschen wird es noch eine Zeitlang geben, es gab ja auch mal eine Zeit die menschliche Population war ja schon mal sehr ausgedünnt, ungefähr 10.000 Menschen gab es ja zwischendurch nur noch. Es geht schon noch auf und ab, aber in den Maßstäben der Erdgeschichte sind wir Menschen nur, freundlich gesagt, eine kleine Blüte, die dann bald wieder verwelkt.
H: Wir tun ja auch viel dafür, dass es uns nicht mehr so lange gibt.
MB: Würde aber wahrscheinlich auch so passieren. Es gibt ja auch wirklich die außerirdischen Faktoren, Sonnenstürme, Astroiden oder auch alles innerirdische, Vulkane. Als damals der Vulkan ausgebrochen ist, der das Jahr ohne Sommer bewirkt hat, wo die ganzen Gruselgeschichten herkommen, Frankenstein, Dracula usw. wenn das heute passieren würde, in dem Umfang, dann würden richtig viele Leute sterben. Das darf man auch nicht vergessen. Es bleibt spannend. Da hat mein Leben nach dem Tod jedenfalls angefangen als ich aufgeschrieben habe, wie das mit der sexuellen Fortpflanzung ist.
H: Und eine große Tour hast du gerade noch am Laufen.
MB: Das ist die ewige Tour. Ich bin ja immer am rumreisen.
H: Und wer das verfolgen will, dem kann ich nur empfehlen, schaut mal auf Facebook bei Dr. Mark Benecke vorbei.
MB: Und auf Insta gibt es auch immer noch lustige Schnappschüsse.
H: Ein ständiges Reisetagebuch.
MB: Genau.
H: Okay, aber sonst biste auch ein ernsthafter Mensch oder kannst auch kannst du ein ernsthafter Mensch sein? Obwohl es da auch einen kleinen Widerspruch gibt zwischen, sage ich jetzt mal ganz ketzerisch, der PARTEI und der Kandidatur für das Oberbürgermeisteramt ist das Bürgermeisteramt in Würzburg?
MB: Oberbürgermeister, auch in Köln war es Oberbürgermeister.
H: Das heißt, du probierst es jetzt überall.
MB: Nein, nur wo die Menschen das wollen. Unser Motto ist ja „Wir wollen, was du willst oder wir wollen, was ihr wollt“. Wenn das keiner will, mache ich das auch nicht. In Würzburg sind die zu mir gekommen, in Köln auch. In Köln hätte es ja beinahe geklappt, da bin ich Dritter geworden.
H: 7%?
MB: Mehr sogar. 7, irgendwas. Aber in manchen Stadtteilen auch noch viel mehr, gerade,wo viele Migrantinnen und Migranten, da hatten wir rocket high, also viel viel mehr.
H: Was würdest du denn machen, wenn klappt?
MB: Ich würde das so machen wie der Österreichische Kanzler, der macht ja eigentlich auch nichts. Der hat seinen Fachberaterstab und hat selber – ich weiß nicht, ob er Ahnung hat oder nicht -
H: Könnte das jetzt einige Wähler verschrecken, wenn sie das hören?
MB: Nö, das dürfen sie ruhig hören. Ich würde das dann so machen, die Leute, die sich mit dem Jeweiligen auskennen, z.B. mit Gartenbau am Grüngürtel in Köln oder in Würzburg mit dem Boxbeutel, die bleiben eh länger da als der Oberbürgermeister, die gesamte Verwaltung ist eh lebenslang da.
H: Also ein paar Spezialisten-Berater.
MB: Dann verlässt man sich auf die Spezialisten und fertig und ich kann dann Blumensträuße an alte Damen überreichen und sowas und meine Forderungen durchsetzen. Sehr wichtig in allen Städten interessanterweise - kommt in allen Städten in Deutschland sehr gut an, stilettofreundliches Pflaster in der Altstadt. Das kommt in jeder deutschen Innenstadt an.
H: Was denkst du, was hier in Erfurt los war, in der Gasse hier und eins weiter, wo die Engelsburg ist, da haben die das mittelalterliche Pflaster rausgenommen. Da sind die Leute hier fast auf die Barrikaden gegangen.
MB: Und dann?
H: Haben sie es trotzdem rausgemacht. Das war unter Denkmalschutz, du kannst ja alle verstehen, die da drüber mit Gehstock müssen oder Rollstuhl oder Kinderwagen – Katastrophe. Und andere sagen dann wieder „Ihr zerstört unsere mittelalterlich anmutende Altstadt“.
MB: In Köln hat man das so gelöst, da gibt es eine alte römische Straße, die römischen Straßen sind ja noch katastrophaler als die aus dem Mittelalter, das sind ja nur Gesteinsbrocken, die krumm und schief liegen und da ist es einfach an so einer Straße, die nicht genutzt wird und die endet in einer Treppe. Da kommt also auch gar keiner mit Kinderwagen, Fahrrad oder Rollstuhl drauf, dort langzugehen und dann kann man sich das angucken, wenn man möchte, mit den Kindern auf den Steinen spielen und dann kann man wieder die glattasphaltierte Straße daneben benutzen und dann ist alles wieder gut.
Ihr braucht hier mehr kölsche Lösungen in Erfurt.
H: Aber kein Kölsch.
MB: Ja, das mit dem Kölsch ist in der Tat, ich verstehe das als jemand, der viel in der Welt unterwegs ist, dass das Kölsch vielen Menschen fremd bleibt. Das kann ich nachvollziehen.
H: Hast du wirklich ernsthafte politische Interessen oder ist das Protest?
MB: Das ist kein Protest. Martin, unser charismatischer Leiter -
H: Martin Sonneborn.
MB: Martin Sonneborn, ist im Europaparlament und Nico Semsrott ja auch und die sind extrem ernst. Wirklich zitierbar, ich meine jetzt auch in einer Print-Veröffentlichung zitierbar. Der Martin ist der ernsteste Mensch auf der Erde, den ich kenne. Ich kenne niemanden, der ernster ist als er. Es gibt ja – ich weiß nicht, von wem das ist, Tolstoi oder so, der sagt „Satiriker sind enttäuschte Idealisten“ - müsste man mal googeln, aber es kann sein, dass es von Tolstoi ist oder Karl Kraus.
H: Spricht ja dann doch etwas für Protest. Dass er sich dagegen wehrt.
MB: Sagen wir so, es ist so, dass man vielleicht angezwickt oder angestochen ist, aber ich würde es nicht Protest nennen, sondern eher ein etwas ruppiges Geradeziehen in die Richtung, die eigentlich auch jeder erkennt. Ein typisches Beispiel ist, jedem ist klar, dass ein Kapitalismus, der die ganze Umwelt ausbeutet dazu führt, dass es dann keine Menschen und damit auch keinen Kapitalismus mehr gibt. Also eine sinnlose kreisförmige Bewegung.
Während man ja auch einen sozialen marktwirtschaftlichen Kapitalismus in gewissen Grenzen durchführen könnte und das einfach mal Geradezurücken und den Leuten ins Gesicht zu sagen in einer durchaus satirischen Weise wie der Martin das macht, würde ich nicht als Protest ansehen, sondern jeder weiß ja, dass es stimmt. Sie möchten es nur nicht laut sagen deswegen sind die auch immer so, dass sie sich eher auf die Lippe beißen oder sonstwas machen anstatt einfach mal böse zu werden. Die stehen dann jedesmal wie angewurzelt da die Leute oder grinsen so verlegen, aber bei echtem Protest – Protest erzeugt ja Gegenprotest und so schaukelt sich das hoch.
Und so ist das hier bei uns nicht so. Bei uns ist eher so, dass die Leute sagen „Oh Fuck“. Da ist kurz mal der Sonnenstrahl durch die Gardine gekommen. Eine Protestbewegung würde anders funktionieren. Wir machen auch zu viele Faxen.
H: Hast du das in Erfurt mitbekommen? Mit den abgehangenen Wahl-Plakaten, die dann wieder aufgehangen werden mussten?
MB: Nee. In Nordrhein-Westfalen haben wir das Problem auch gehabt.
H: Von der PARTEI, da stand drauf „Möhring will mit Höcke bumsen“.
MB: Wirklich? Das habe ich nicht mitbekommen.
H: Was natürlich rein inhaltlich gemeint war, dass die CDU mit einer Zusammenarbeit mit der AfD liebäugelt und die Stadtverwaltung hat die Plakate abhängen lassen. Ohne, dass sich irgendjemand darüber beschwert hätte von einer der beiden Parteien. Du musst natürlich irgendeine offizielle Beschwerde einreichen, dass deine Persönlichkeitsrechte verletzt oder sonst irgendwas -
MB: Sachbeschädigung oder irgendwas.
H: Genau und da hat sich die PARTEI dagegen gewährt und das war nicht rechtens.
MB: Aha.
H: Die totale Posse, auch ganz peinlich für die Stadtverwaltung. Zumal man ja auch sagen muss, andere auch inhaltlich wirklich menschenverachtende Plakate bleiben dann einfach hängen.
MB: Habe ich auch schon gesehen.
H: Das hat auf jeden Fall für viel Gelächter gesorgt.
MB: Lachen ist das beste in dem Fall. Wir haben in Nordrhein-Westfalen gerade dasselbe Problem. Da wurde das auch gemacht und da läuft jetzt auch die Beschwerde von den PARTEI-Leuten. Ich bin ja der Vorsitzende des größten PARTEI-Verbandes in Deutschland.
H: NRW?
MB: Nordrhein-Westfalen, ich mische mich da nicht ein in diese Details. Ich verschenke lieber beim Landespartei-Tag T-Shirts -
H: Du hast deine Schergen dafür.
MB: Noch nicht mal. Ich mische mich einfach nicht ein. Wenn es keiner macht, macht es eben keiner. Ich hab da keine Schergen. Entweder es kümmert sich jemand oder es kümmert sich eben keiner. Und ich verteile lieber Glitzer-Weihnachtskarten, das macht mir viel mehr Spaß. Da konnte jeder Aufklapp-Weihnachtskarten mit Glitzer haben, dann bekommt jeder nur eine oder auch zwei. Dann stellen sich alle ganz brav an, alle total betrunken, aber da herrscht dann Ordnung, wenn es um Glitzer-Weihnachtskarten geht, dann sind die Menschen in ihrem Ich getroffen und möchten sich dann ordentlich benehmen. Sowas macht mir mehr Spaß. Oder wir haben mal in gestrickten Bikinis, also alle – Männer wie Frauen – haben wir vor dem Bundestag protestiert gegen irgendwas. Sowas gefällt mir besser.
H: Gibt es etwas, das dich momentan total begeistert in der Forschungswelt? Du sprichst ja bei Radio Eins ganz viel über verrückte Forschungsergebnisse, was ist denn da so das Skurrilste, was momentan untersucht wird?
MB: Skurril ist schwierig. Wir sitzen ja gerade noch im November 2019, es ist der Philip K. Dick-Monat, also der Monat in dem Blade Runner spielt, von dem einzigen Science Fiction Autor, der wirklich zum Großteil die Sachen richtig vorhergesehen hat, personalisierte Werbung durch Augenerkennung usw. Das ist alles ernsthafte Kolonialisierung vom Planeten, was ja jetzt auch ernsthaft mal versucht wird. Oder fliegende Autos und lauter Sachen, die so absurd klangen als er das in den 60er Jahren geschrieben hat, dass man gedacht hat „Okay, der ist süß, aber er hat sie nicht mehr alle.“
Er hatte sie auch nicht mehr alle, das kommt noch dazu. Jetzt spielt der Film genau jetzt und da haben wir die ganze Zeit so Sachen rausgekramt, die dazu passen und es ist tatsächlich so, ich finds nicht skurril, aber es ist extrem crazy, weil das Gehirn der Leserinnen und Leser und Zuhörerinnen und Zuhörer im Radio total sprengt. Die erste künstliche Intelligenz hat jetzt z.B. diesen Monat in einem Multiplayer-Spiel, wo du eine riesige Community von Spielern hast, dass man die runtergeregelt hat auf die Leistungsfähigkeit von Menschen, die ist heruntergedreht worden auf die Verzögerungszeiten, die Menschen im Gehirn haben, ist sie trotzdem besser. Es gibt jetzt das erste Gerät, die erste Maschine, die erste Software – es geht nicht um Schach oder Go, das ist schon lange vorbei, da sind die Maschinen und die Software eh schon besser -
H: League of Legends oder sowas.
MB: Ja, genau, das finde ich z.B. total abgefahren oder auch die Mini-Gehirne, die jetzt gebaut werden. Dass man aus echten Zellen Mini-Gehirne auf Chips baut, aber mit echten menschlichen Zellen oder Mäuse oder Ratten. Das finde ich schon echt verrückt. Und die funktionieren auch, natürlich haben die noch keine hohe Leistungsfähigkeit, aber sie leben, sie verarbeiten die Daten richtig, sie haben eine richtige Datenausgabe, sie erweitern sich so wie sie sich erweitern sollen. Ich finds nicht skurril, aber ich war sehr, sehr verblüfft.
H: Die würden dann noch auf deine Schaben passen, mh? Ihr habt doch so viele Schaben. So eine Schabe mit Gehirn.
MB: Genau. Das ist tatsächlich so. Das ist wahrer als du denkst, was du da gerade sagst. Die scheinbar sehr einfachen Gehirne, also z.B. bei Fauchschaben sind viel leistungsfähiger als man meint. Wir sehen das ja, weil wir ja mit denen zusammenleben. Ich sehe die ja seit 20 Jahren schon immer und wir schleppen ja auch immer welche mit rum auf Tour und die haben ein viel krasseres Sozialverhalten und viel krassere Lernfähigkeiten als man denen zutraut. Die nehmen anderen Sinnesinput wahr, die nehmen Schwingungen wahr oder Wärme, die können ja nicht auf Reden reagieren wie Hunde oder auf Mimik oder auf Gestik. Das hat bei mir bestimmt 10 oder 15 Jahre gedauert bis ich das überhaupt gerafft habe.
Das heißt auch, unser Hauptproblem ist oft auch, dass wir nicht die Leistungsfähigkeit von dem betreffenden Tier messen, sonst würde auch kein Mensch mehr Tiere essen. Wenn du dir mal anguckst, selbst Hühner, die wirklich nicht die Allerschlausten sind, selbst die können jede Menge. Man muss sie halt nur mal lassen. Oder Kühe. Die meisten Menschen erleben das nicht, aber Kühe können ein super Sozialverhalten zum Menschen haben oder Schweine, das wissen jetzt mehr Leute. Das heißt, man kann normal mit denen zusammenleben, weil die sich ja sowieso auf Menschen einstellen können, müssen sie nicht, aber wenn sie wollen. Und Menschen können auch lernen —
(Unterbrechung im Café)
Man könnte nicht nur auf der rein nervlichen Ebene und der Maschinen-Ebene und Leistungsebene, sondern auch auf der Freundlichkeits-Ebene könnten Menschen den Schritt machen und raffen, dass man sich sehr wohl mit Tieren freundlich umgeben kann. Das finde ich z.B. auch etwas sehr Modernes. Das war ja früher schwer möglich, da haben die Leute alle prekär gelebt oder Subsistenzwirtschaft betrieben, da hatten die wenige Möglichkeiten, sich um so etwas Gedanken zu machen.
H: Gibt es einen Prominenten oder historischen Fall, den du gerne untersuchen würdest? Was ja immer wieder kommt ist was mit Hitler. Da sagste ja, der ist jetzt mit Sicherheit tot, sonst würde er ohne Ober- und Unterkiefer rumlaufen. Lenin hast du, glaube ich, auch identifiziert.
MB: Lenin habe ich angeguckt und die Fälle kommen früher oder später manchmal zu einem, manchmal nicht. Diese Erfahrung haben auch andere Kollegen gemacht, z.B. Professor Prokop, der Chef der Ostberliner Rechtsmedizin. Den kannte ich noch, dessen Biografie habe ich geschrieben. Der war auch so einer, der gerne wie ich, rumgefummelt hat, rumgebastelt und rumexperimentiert hat. Dann legen dir manchmal Leute so ältere Fälle vor.
Ich finde alle Fälle gleich spannend. Nur weil ein Fall z.B. eine gute Geschichte liefert, die Menschen gerne weitererzählen oder die man gut berichten kann oder sich in irgendeiner Crime-Zeitschrift gut anhört, sind die für mich nicht spannender als andere Fälle. Ohne Blabla, ich wüsste keinen Fall, der auch nur Ansätze von Langeweile in sich geborgen hat. Die sind immer spannend, wenn du dir die Spuren anguckst. Die Spuren sind immer unerwartet. Ich weiß nicht, was für Spuren hier auf der Vase sind, keine Ahnung. Könnte man einen Kurs draus machen. Das ist immer spannend.
H: Du läufst ja dann durch die Welt und siehst nur Spuren – oder Spurenträger.
MB: Viel, Spurenträger hauptsächlich. Genau, da hast du recht. Spuren sieht man nicht immer sofort. Meine Frau leidet darunter, die muss halt alle zwanzig Schritte stehenbleiben und dann mache ich Fotos. Ich musste sehr lachen, wir haben das vorhin beim Frühstück gesehen. Da war tatsächlich ein kleines Kind mit der Mutter unterwegs und die sind an der Scheibe vor dem Laden vorbeigelaufen wo wir saßen und Kaffee getrunken haben, und da war das wirklich genauso. Und ich so „Oh man, ich bin ja genauso“. Und das Kind ist zwei Schritte gegangen und dann war da wieder eine Oberfläche, die hat es angetatscht, dann wieder zwei Schritte, irgendwo hinter geguckt, wieder zwei Schritte gegangen —
H: Aber man muss neugierig bleiben in deinem Job.
MB: Sein, man muss neugierig sein.
H: Sein und dann bleiben. Das kommt ja auch aus dem Buddhismus. Die Welt mit Kinderaugen zu sehen. Der Anfänger-Geist.
MB: Genau, richtig. Anfänger-Geist ist ein sehr guter Begriff in dem Sinn, dass du nie davon ausgehst, dass die Erfahrung, die du hast, aber jetzt was mit dem Fall zu tun hat. Ich kann immer sagen „Ich weiß alles über Kaffee, ich weiß alles über Blumen, ich weiß alles über Zucker“ und die Wahrheit ist: Stimmt aber gar nicht. Egal wieviel du weißt, heißt ja nicht, dass jetzt diese Blume oder dieser Kaffee oder dieser Zucker in deine Erfahrungswelt fallen. Es sieht aber vielleicht so aus, aber dann hast du die falsche Grundannahme eingeführt. Das stimmt. Man darf Erfahrung haben, man darf sie nur nicht anwenden ohne diesen unbekümmerten, grundannahmenfreien Blick.
H: Okay, ich bin kurz davor mich markieren zu lassen, aber –
MB: Kann ja noch werden. Das ist ein Prozess.
H: Das ist ein Prozess. Ich muss darüber nachdenken, wo. Aber da du ja deine Maschine immer dabei hast, ist das ja kein Problem.
MB: Dann können wir das mal schnell machen.
H: Dann können wir das demnächst mal machen. Gibt es da eigentlich irgendwelche Auflagen für mobiles Tätowieren?
MB: Meinst du auf unserer Seite?
H: Es muss ja alles steril sein.
MB: Ist es ja auch. Das ist kein Problem. Du hast ja eine winzige Oberfläche, du gehst nicht tief rein, das ist Kinderkram.
(Ines im Hintergrund ist nicht zu verstehen.)
H: Aber es gibt ja für alles Auflagen.
MB: Sie ist in Thüringen ausgebildete Kosmetikerin. Da gibt es wenig Auflagen, weil das ein so geringer Eingriff ist. Was jetzt kommt Ende des Jahres ist, Tattoo-Entfernungen dürfen nur noch Fachärzte und Fachärztinnen machen.
H: Da gibt es auch viel Schindluder, das da getrieben wird.
MB: Ja, aber wird jetzt schlimmer werden, weil die Fachärzte und Fachärztinnen können das nicht. Bei Hautärzten brauchst du in Köln ein halbes Jahr, um einen Termin zu bekommen. Der wird bestimmt keine Tattoo-Entfernungen machen, der hat was anderes zu tun. Das wird jetzt absolut in den Untergrund gehen. Das ist die dümmste Regelung, von der ich in den letzten zehn Jahren gehört habe.
H: Bist du in irgendeinem Tätowierer-Verband?
MB: Ich bin bei ProTattoo und bei anderen auch noch. Beim Bundesverband der Tätowierer, aber unabhängig davon, das ist kein Lobby-Statement, sondern das ist eher ein Statement aus der Erfahrung, wir wissen das von Drogen, wir wissen das von Kindern, die heimlich rauchen, wenn die Eltern das verbieten. Wir wissen das von allem: Wenn es verboten wird und die Leute es machen wollen, machen sie es heimlich. Fremdgehen ist auch nicht sympathisch, machen die Leute aber auch.
Das wird dann einfach in den Untergrund gedrängt und das ist in dem Fall wirklich total behämmert. Und dann sollen nächstes Jahr evtl. bestimmte Farben verboten werden. Das betrifft aber nicht das Setting des Tätowierens an sich, das ist davon nicht betroffen. Da wissen sie, dass es dann endgültig im Hinterzimmer landet, wo es schon mal war und das wollen sie dann wirklich letztlich nicht. Aber wenn das so weitergeht, kann das auch wieder passieren. Dann haben wir halt 100 Jahre – das passiert ja manchmal. Dann drückt einer eine Taste und dann bist du wieder 100 oder 150 Jahre in der Vergangenheit. Das kann immer mal passieren.
H: Prohibition —
MB: Ja, genau.
H: - der Tätowierer.
MB: Exactly. Und den Rest der Geschichte kennen wir.
H: Vielen Dank, dass das heute geklappt hat und maximale Erfolge bei der Weihnachtsmarkteröffnung. Da dieser Podcast ja später ausgestrahlt wird, was kommt denn heute noch für eine Überraschung?
MB: Erst kommen die ganzen Engel, das in dem Fall Schauspielerinnen, nicht irgendwie christliche Engel aus dem Dom, sondern das sind Schauspielerinnen von einem Jugend-Theater, das ist schonmal sehr lustig, mit so Wichteln, die machen also Faxen. Dann kommt der echte Rupfi zurück. Die haben die Spitze aufbewahrt.
H: In den Märchenwald soll der, oder? Das habe ich irgendwo gelesen.
MB: Der kommt in den Märchenwald.
H: Bei dir war das sogar, auf Facebook. Du hast gespoilert.
MB: Ich habe gespoilert, und dann kommt der Holzmichel, der hat aus dem Rest von Rupfi was gebastelt. Das ist dann auch nochmal eine Überraschung. Dann das, was du gesagt hast, mit den Markenbotschafter, das kommt drauf an, aber ich glaube, da könnte noch was kommen.
H: Ach so, (unveständlich) Markenbotschafter?
MB: Irgendsowas, ich weiß aber nicht, ob das kommt. Das ist noch nicht sicher, das wollen sie mir nicht sagen.
H: Wir lassen uns überraschen. Ich vermute, es gibt Glühwein.
MB: Glühwein gibt es sowieso. Von Streuobstwiesen, nicht alkoholischen Glühwein, sehr lecker. Streuobst-Birnen und Streuobst-Äpfel haben wir gestern schon genascht aus Thüringen. Thüringische Produkte.
H: Gut, dann vielen Dank und einen schönen ersten Advent schon.
MB: Sehr gerne, wünsche ich dir auch.
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