2004 SeroNews: Mediterranian Society of Forensic Sciences (MAFS/SIMEF) Workshop, 10.-13. Juni 2004
Quelle: SeroNews 9:100-102, (Heft III/2004)
Mediterranian Society of Forensic Sciences (MAFS/SIMEF) Workshop, 10.-13. Juni 2004
Von Mark Benecke
 
Das im Süden traditionelle Chaos begann diesmal schon am Kölner  Airport, wo man mir um 4:30 Uhr morgens mitteilte, dass mein Flug um  6:00 "wegen Feiertagsverkehr, Sie verstehen" ausfallen würde. Achtzehn  Stunden später hatte ich nichtsdestotrotz den Kongress-Ort, der irgendwo  in Italien liegt (ich war nur 24 Stunden dort und habe nichts außer dem  Kongress-Saal gesehen), erreicht.
 
Da alle Programmpunkte - die vorsichtshalber schon gleich ohne  Uhrzeit aufgelistet waren - ohne erkennbares System auch noch laufend  verschoben wurden, will ich versuchen, anhand meiner Notizen rein  schlaglichtartig einige spannende Momente zu skizzieren.
 
Der Kongress-Präsident des vergangenen Jahres, Said Louahlia  (SeroNews 8(3):90-92 (2003)), hatte die verwirrende Aufgabe, den eine  Woche nach unserer letztjährigen Abreise stattgefundenen Terror-Anschlag  an fünf Orten in Casablanca zu schildern. Die Identifizierung erfolgte  mangels technischer Mittel auf vorwiegend traditionelle Weise: Die durch  Ammonium-Nitrat/TATP-Explosion* meist abgetrennten Köpfe (oder  Gesichter) der Opfer und Terroristen wurden einfach mit Fotografien  derer Verwandten verglichen (Abb. 1).
 
In extremem Gegensatz dazu schilderten die DNA-Kollegen erster  Stunde Bruce Budowle vom FBI (Fig. 2, im Hintergrund) und Ranajiit  Chakraborty (Fig. 3) die Front der forensisch-molekularen Forschung,  darunter die vollautomatisierte Anwendung von SNPs (short nucleotide  polymorphisms) und Neues zum Pyrosequencing bzw. MS mittels  Elektrospray-Ionisierung. Letztere erlaubt die DNA-Typisierung ohne  Fragmentlängen-Messung, sondern stattdessen durch reines Zusammenzählen  der Häufigkeit der vier Basen. Außerdem verriet er einige knorke Tricks,  wie man mit Anthrax-Post gefüllte Säcke schnell und effizient testen  kann: Schlauch rein, Pumpe an (Fig. 4).
 
Chakraborty stellte vor allem das Problem dar, dass unsere  angeblich "zufälligen" Populations-Stichproben für die Allel-Datenbanken  natürlich alles andere als zufällig sind. Seine Ausführungen dazu, wie  geografisch verdichtete Verwandtschaften die gesamte Statistik  beeinflussen, waren allerdings eine derartige Formel-Flut, dass auch  beim tapfersten Zuhörer die Klappe fiel.
 
Die südländischen KollegInnen ließen sich aber nicht aus der Ruhe  bringen und sorgten durch italienisches Gestikulieren (Fig. 5),  Unmengen sehr starken Kaffees (Fig. 2) und eine tätowierte  Simultan-Übersetzerin (Fig. 6) für Ruhe.
 
Wie immer schämte man sich als Deutscher, im Vergleich zu den  KollegInnen fürchterlich schlecht angezogen zu sein - selbst angesichts  der Opfer der Antrax-Briefe in den USA saß die Sonnenbrille der  italienischen ZuhörerInnen korrekt an Ort und Stelle, d.h. dem  Scheitel-Ansatz (Fig. 7).
 
Auch das mediterrane Frühstück ließ - zumindest bei mir als  Naschkatze - keine Wünsche offen. Statt fiesem Käse, Fleischwurst und  ähnlichem Quatsch gab es Süßwaren bis zum Abwinken: Gebackene Äpfel an  Pudding und Kiwi - lecker (Fig. 8)!
 
Im übrigen fand es eine sehr gute Poster-Ausstellung im Freien  statt (Fig. 9), die unter anderem den Einfluss der sich ändernden Klimas  auf forensisch bedeutsame Insekten, Y-chromosomale Haplogruppen und  Tötungen mit dem giftigen Carbamat "Temik" umfassten.
 
Kollege Dragan Primorac berichtete darüber hinaus von den fast  150 Massen-Gräbern, die er in Kroatien bearbeitet hat und dabei sehr  interessante Beobachtungen zur Extrahierbarkeit von DNA machen konnte.  Wer sich mit Knochen plagt und wie ich glaubte, dass Phenol und  Chloroform out sind, sollte unbedingt mit ihm sprechen (E-mail:  dragan.primorac@st.htnet.hr). Auch die rumänischen Kollegen vollbrachten  unter schlimmen Bedingungen Großes, indem sie eine Multiplex zum  Vaterschafts-Ausschluss sauber auf einem Silbergel darstellten (Fig.  10).
 
Ich staune immer wieder, wie die KollegInnen der MAFS es  schaffen, ihre Kongresse gleichsam als Wundertüte anzubieten. Man weiß  zwar nie, was in der nächsten halben Stunde passieren wird, aber die  wissenschaftlichen Inhalte können sich -- auch dank der handverlesenen  Gäste aus dem Ausland -- mit denen einer deutschen Frühjahrstagung oft  messen. Abgesehen davon ist das babylonische Sprachgewirr aus  marokkanischer, italienischer, spanischer und tunesischer Sprache nicht  nur akustisch, sondern auch kulturell ein Quell forensischer Freude.  Schöne Insekten gibt es gratis dazu (Fig. 11 - nein, nicht das  Film-Poster von "Mikrokosmos", sondern eine beim Abendessen vor einer  Lampe fotografierte Mantis).
 
Wer genügend innere Ruhe hat, dem sei daher die nächste  SIMEF/MAFS-Tagung herzlich empfohlen: Im kommenden Juni (also 2005) im  strengen, schönen Monastir.
 
Mark Benecke (http://www.benecke.com/) arbeitet international als Kriminalbiologe.
 
ANFO: Ammonium-Nitrat (Kunstdünger) plus ein Schuss Öl; TATP: Triazeton-Triperoxid aus Azeton, Säure und Wasserstoffperoxid. Beides recht einfach herzustellen und nicht sonderlich empfindlich gegen versehentliche Zündung/Explosion. "Schmutzige" Bomben...da die Bestandteile in jeder Apotheke zu haben sind, kann ich mittlerweile nicht einmal mehr Eisen-III-Chlorid in der Apotheke an der Ecke kaufen, ohne ernsthaft gefragt zu werden, "ob ich eine Bombe bauen wolle" (O-Ton "Paradies-Apotheke", Köln, Severinstraße, die mir die harmlose Substanz dann trotz gegenteiliger Versicherung nicht verkaufte).
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