Literaturseiten München: Ganz tief unten

Quelle: Literaturseiten München, Februar 2012

Von Michael Berwanger

Wir haben das an dieser Stelle ja schon oft erörtert. Es gibt nichts Schlimmeres als die Realität. Kein Autor kann sich ausdenken, was in Wirklichkeit an Brutalität oder bestialischem Verhalten von Menschen in ihrem krankhaften Wahn verbrochen wird. Und so hat Mark Benecke [...] mal wieder zur Feder oder doch eher zur Tastatur seines Rechners gegriffen und in elf Kapiteln schier unglaubliche Fälle von Verbrechen zusammengetragen, im wahrsten Sinne seziert, durchleuchtet und bewertet.

Mark Benecke ist nicht einfach nur Autor, sondern einer der bekanntesten und gefragtesten forensischen Biologen, die es in Deutschland gibt. Nach eigener Angabe versessen auf alles, was uns „Normalos“ eher den Ekel die Kehle hochtreibt: Käfer, Gewürm, Schimmel und Bakterien. [...] 

Normalerweise sollte das Aussehen von Autoren, die hier besprochen werden, keine Rolle spielen, aber diesmal sei explizit eine Ausnahme gemacht: Mark Benecke, ein großer schlanker Anfangsvierziger ist flächendeckend tätowiert (nebenbei bemerkt auch Vorsitzender des Vereins ProTattoo), trägt diverse Piercings, meist einen Walrossschnauzbart und schwarze Mäntel. Umgangssprachlich würde man ihn als Gruftie bezeichnen. Seine Frau steht ihm da nur wenig nach: mit rot gefärbten Haaren, Piercings und ebenfalls schwarzen Klamotten ist sie ein wunderbares Pendant zu ihrem Mann Mark. Lassen Sie sich vom Schein nicht trügen.

Mark Benecke ist Spezialist für forensische Entomologie, studierte Biologie, Zoologie und Psychologie, er promovierte über den genetischen Fingerabdruck und absolvierte diverse polizeitechnische Ausbildungen im Bereich der Rechtsmedizin in den USA. Benecke wird als öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger herangezogen, um biologische Spuren bei vermuteten Gewaltverbrechen mit Todesfolgen auszuwerten. Dazu ist er Autor mehrerer populärwissenschaftlicher Bücher, Gastherausgeber für die Forensic Science International und Mitglied im Wissenschaftsrat der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften. Dass er darüber hinaus noch die Punkband Die Blonden Burschen gegründet hat und NRW-Vorsitzender der Partei Die PARTEI ist, komplettiert das Bild aufs Schönste. 

Jetzt hat er also nach „Mordspuren“, „Mordmethoden“ und „So arbeitet die moderne Kriminalbiologie“ seinen neuesten Band „Aus der Dunkelkammer des Bösen“ bei Lübbe veröffentlicht. Diesmal geht er mehr auf die psychologischen Gründe und Verwerfungen der Täter ein. [...]

So schreibt er als erster umfassend über den Kolumbianer Luis Alfredo Garavito Cubillos, der zwischen 1992 und 1997 etwa 300 (in Worten: dreihundert) Jungen gefoltert und danach getötet hat (nicht haben soll). Dabei beleuchtet er sowohl die Psyche des Täters als auch die einer Gesellschaft, die solche Szenarien nicht rechtzeitig erkennen will. Im Eingangskapitel berichtet er von seinen Untersuchungen, die er beim FSB (ehemals KGB) in den Räumen des Moskauer Archivs unternommen hat. Forschungsgegenstand waren die Zähne und die Schädeldecke Adolf Hitlers. Zum Leidwesen der Russen konnte er beweisen, dass die archivierte Schädeldecke nicht Hitler gehört haben kann. [...] Der Fall Josef Fritzl sei – nach Aussage der Beneckes – kein Einzelfall. Sie arbeiten exakt heraus, welche psychischen Störungen zu solchen Untaten führen und belegen mit weiteren Fällen, wie etwa dem der Täter Wolfgang Priklopil (der Peiniger von Natascha Kampusch) oder Viktor Mokhov, dass solche Störungen häufiger vorkommen, als uns recht sein kann. In den anderen Kapiteln werden u. a. Lustmord, Nekrophilie und tödliche Zwiste unter Nachbarn beleuchtet, das ganze Grausen also, das der Mensch in der Realität für seinen Mitmenschen bereit hält auf 430 Seiten. Nichts für schlechte Nerven.

Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Agentur


Sie erraten nie, wovor sich dieser Mann ekelt

Sein Business: verwesende Leichen. Sein Leben: höchst spannend und skurril. Gestern veröffentlichte Kriminalbiologe Dr. Mark Benecke (49) seine Autobiografie „Mein Leben nach dem Tod“ (Bastei Lübbe).

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