Quelle: Magazin Todesursache, Seiten 6 bis 11
Interview: Marion Döbber
Er ist ein renommierter Kriminalbiologe und international bekannter Forensiker: Dr. Mark Benecke. Viele kennen ihn aus den Medien, durch Facebook und Instagram oder von Vorträgen und Veranstaltungen. Im Interview mit dem Magazin Todesursache berichtet er über seinen Weg zum Kriminalbiologen, die internationale Zusammenarbeit und warumer künstliche Intelligenz nicht fürchtet.
Wie ist dein Berufswunsch Kriminalbiologe entstanden?
Ich hatte schon als Kind einen Detektiv-Kasten. Als ich klein war, gab es den Beruf "Kriminalbiologe" allerdings so nicht. Die naturwissenschaftliche Kriminalistik war in Deutschland gestorben, weil die sehr stark in die Rassenhygiene übergegangen war. Also der Begriff Kriminalbiologie im zweiten Weltkrieg im deutschsprachigen Raum – das war Rassenhygiene. Inhaltlich ist das natürlich Quatsch. Bekannt war dann über lange Zeit nur die Kriminaltechnik bei der Polizei. Im Zuge der genetischen Fingerabdrücke Anfang der 1980er Jahre änderte sich dann.
Mein Beruf ist übrigens ursprünglich von Arthur Conan Doyle und Edgar Alan Poe erfunden worden, also durch Romanautoren. Die Sherlock Holmes-Geschichten kannte ich, weil ich die als Kind gelesen hatte. Vieles, was dann für mich folgte, waren glückliche Fügungen. Ich fand die Erfindung der genetischen Fingerabdrücke spannend. Die passierte in einer Zeit, als der Film Blade Runner lief. Darin geht es um nachgebaute, intelligente Menschen — sozusagen das, was wir seit diesem Jahr als recht gute KIs haben. Diese künstlichen Intelligenzen, die jetzt auf einmal reden, Bilder malen und super geile Gedichte schreiben und Songtexte, die sind schon richtig gut. Und damals habe ich mich gefragt „Kann man Androiden vielleicht durch genetische Fingerabdrücke von nicht-künstlichen Menschen unterscheiden?“: „Was ist ein Android?“ und „Was ist keine künstliche Intelligenz, was ist ein echter Körper und ein künstlich erschaffener?“. So bin ich da reingestolpert.
Durch Zufall war ich bei einem Seminar über Pflanzengenetik, wo eine Teilnehmerin mir am Rande von Untersuchungen genetischer Fingerabdrücke bei Menschen in der Rechtsmedizin erzählte. Ich war so begeistert, dass ich mich durchgefragt habe, weil ich das unbedingt machen wollte. Und dann bin ich im Leichenkeller gelandet, denn die Biologen galten in der Medizin unausgesprochen als Menschen zehnter Klasse. Wir haben wirklich im Keller gearbeitet, bei den Leichen in einem alten Affenstall, der nicht mehr benutzt wurde. So fing es an, war also in der Tat reiner Zufall.
Heute bist du ein international anerkannter Experte und überall vernetzt. Wie lange warst du in Amerika?
Angestellt war ich in New York, also in Manhattan, in der Rechtsmedizin als Biologe von 1997 bis 99. Aber ich bin nach wie vor öfter in den USA. Hier mal ein paar Beispiele: Nach 9/11, als die Flugzeuge in die beiden Türme des World Trade Center reingeflogen sind und alles zusammengebrochen ist, bin ich eine Woche später dorthin geflogen. Ich dachte, jetzt redest du mal mit den Kollegen und Kolleginnen, damit sie nicht ins Trauma reinschlittern, was natürlich trotzdem passiert ist. Heute arbeitet nur noch ein einziger von damals in dem Labor. Wir waren zu dem Zeitpunkt ein sehr junges Team, das nach meiner Zeit die Spuren 9/11 damals betreuen musste. Von allem, was größer war als eine Fingerkuppe vom kleinen Finger, wurde seinerzeit ein genetischer Fingerabdruck gemacht. Und das war sehr, sehr viel Material. Bis vor ein paar Jahren sind auch noch Knochen-Splitter der World Trade Center-Leichen auf benachbarten Hochhaus-Dächern in Süd-Manhattan gefunden worden.
Auch später war und bin ich durch die Kongresse und durch solche kollegialen Kontakte häufiger dort. Darüber schreibe ich auch immer und mache Fotos, damit andere, die sich dafür interessieren, auch etwas davon haben. Bei Interesse: Ist leicht googlebar. Übrigens bin ich vor kurzem erneut als International Membership Representative für die North American Forensic Entomology Association (NAFEA) gewählt worden und somit der internationale Kontakt für alle, die nicht aus Nordamerika sind. Ich habe auch sehr viel mit Lateinamerika zu tun, weil ich in Kolumbien und Peru schon gearbeitet habe. Darüber hinaus auf den Philippinen und in Vietnam. Da habe ich die beiden ersten DNA Labore für genetische Fingerabdrücke aufgebaut, die es überhaupt gab in den 1990er Jahren in den Ländern jeweils also nicht in den Städten, sondern in den Ländern.
Hat es mit deinen vielen Kontakten und deiner internationalen Bekanntheit zu tun, dass eine spezielle Fliege nach dir benannt ist?
Ins Internationale bin ich gewissermaßen reingerutscht, als ich sehr jung war, weil ich wortwörtlich der Einzige war, der dort arbeiten wollte. Und jetzt sind meine Kolleginnen und Kollegen dort halt älter und es passieren viele tolle Dinge. Zum Beispiel hat die Kollegin Marta Wolff mit ihrem Team ein besonderes Tier im Fledermaus-Kot in einer kolumbianischen Höhle entdeckt und nach mir benannt: Die Waffen-Fliege Ptecticus benecki. Marta weiß aufgrund unseres langen Kontaktes, dass ich Dunkelheit und Fledermäuse mag und ist so auf die Idee gekommen. Das war sehr, sehr schön. Das war außerdem eine Art Rückverneigung dafür, dass ich mal ein Tier, das ich an einem verfaulenden Schwein in Lateinamerika entdeckt und von meiner Mitarbeiterin als neue Art beschrieben wurde, zurück in ihr Heimatland gebracht habe. Es heißt nach ihr Pseudolycoriella martita.
Das ist eher unüblich, weil sonst alle Forscherinnen und Forscher neue entdeckte Arten behalten und in ihrem Labor oder Museum ausstellen. Das hassen die Lateinamerikaner natürlich, wenn jemand etwas mitnimmt und dann die Ehre für sich abgreift. Ich bin derjenige gewesen, der das dann mal zurückgebracht hat, nachdem es bestimmt war. Das war mein aufrichtiges Zeichen des uneingeschränkten Respektes für die Arbeit meiner Kolleginnen und Kollegen weltweit.
Es gibt übrigens auch einen ausgestorbenen Schlangenstern, der nach mir benannt ist: Astrophiura markbeneckeii.
Legt ihr auch Kulturen an, wie man es etwa aus dem Bereich der Schimmel-Analyse kennt? Züchtet ihr zum Beispiel Insekten?
Das ist eine sehr gute Frage, weil gerade bei den Schimmel-Leuten und bei den unterschiedlichen Laboren, die Leitungswasser und alles mögliche untersuchen, diese Zucht früher eine große Rolle gespielt hat. Ich bin ja öffentlich bestellt und vereidigt für mein Fach. Also habe ich eher mit lebenden oder technischen Sachen zu tun und bin auch bei Sachverständigentreffen dabei. Da sitzen dann Spezialisten wie beispielsweise für Schallleitung in Beton usw. Und ich bin auch der Einzige, der in Deutschland für mein Fach dafür bestellt und vereidigt ist. Deswegen finden die Anderen mich immer so ein bisschen exotisch.
Durch ungewohnte Fälle, die bei uns landen — religiöse Wunder beispielsweise — kriege ich allerdings auch mit, wie die anderen Spezialistinnen und Spezialisten arbeiten. Und wir haben halt alle das Problem, dass wir häufig sehr kleine Labore sind. Also das Züchten an sich ist bei uns ein bisschen in den Hintergrund getreten mittlerweile, weil wir sehr viel mit Erbgut und Kleinst-Mengen machen können. Wir machen aber immer noch viele Experimente.
Welche speziellen Experimente führt ihr durch?
Gerne beispielsweise Blutspuren-Nachstellungen. Das heißt, wir haben manchmal sehr, sehr wenige Blutspuren von Fundorten, teilweise auch sehr viele. Die sind aber uninteressant, weil die direkt an der Wunde sind. Dann ist oft rasch klar, dass die aus der Wunde rausgelaufen sind. Interessanter sind Blutspuren, die etwas weiter weg und sehr klein sind. Das stellen wir – so gut es geht – nach. Das ist dann echt ein Blutbad. Da steht alles – also das Labor, die Küche – unter Blut am Ende, da ist auch richtig was zu putzen. Also ich habe im Badezimmer-Metallschrank bestimmt – ohne Quatsch – 25 Riesen-Handtücher liegen. Von den Mikrofaser-Putzlappen wollen wir gar nicht erst anfangen. Also da habe ich bestimmt 50. Wenn die Studierenden kommen und den Schrank aufmachen, dann fragen sie: „Wozu brauchst du die 25 riesigen Handtücher?“ Meine Antwort darauf: „Das werdet ihr noch sehen“. Diese Experimente machen wir gerne, weil sie so schön aussagekräftig sind.
Und im Bereich der Insekten?
Bei den Insekten entwickeln sich die Techniken natürlich auch weiter. Das neueste Projekt meiner Mitarbeiterin ist jetzt zum Beispiel, Teile der Tiere mit so einer Art Silikon abzuformen. Das hat schon mit Werkzeugspuren super geklappt und ist auch in der Zeitschrift Kriminalistik veröffentlicht.
Oder wir haben Fälle, wo Leute glauben, Insekten leben unter der Haut, um ein Beispiel rauszugreifen. Da sammeln wir dann die Spuren, stellen sie zusammen und sortieren das. Anschließend gucken wir, ob wir da über einen längeren Zeitraum von 30 Jahren eine Regelmäßigkeit finden. Dazu hat es auch jüngst auch eine Veröffentlichung von uns gegeben, wie gesagt, alles auf unserer Webseite nachzulesen. Wir versuchen, nicht so ein Routine-Labor zu sein, sondern schwierige und neue Spurengruppen zu untersuchen.
Gibt es einen absolut neuen Technik-Trend – Stichwort KI?
Natürlich, da gibt es mega viel. KI hat dieses Jahr ja den Durchbruch geschafft. Das wird kommen. Da gibt es jeden Tag neue Entwicklungen. Die wird tief in die Forensik eindringen. Da bin ich sicher.
Ich nenne mal ein Beispiel: Wenn ich einen Ausstrich mit Spermien und Vaginalzellen oder irgendwelches Pulver oder Holzspäne habe – so in die Richtung – dann könnte man das selbstverständlich selber mikroskopieren. Das ist allerdings sehr viel Arbeit. Hier könnte man natürlich super mit einer KI arbeiten. Das ist überhaupt kein Problem. Es braucht nur ein automatisiertes Mikroskop – die Software ist ein Kinderspiel, denn die macht die Industrie. Aus meiner Sicht ist das absolut realistisch und kostet nicht viel. Die optischen Systeme sind meistens auch schon mehr oder weniger vorhanden. Und dann baut man die entsprechende KI dahinter und jedes einzelne Spermium kann einzeln in ein Gefäß gelasert werden. Das wird garantiert kommen und dann kann man direkt automatisch die Vervielfältigungsreaktion machen. Ich meine die PCR, die jetzt seit Corona jeder kennt. Damit kann man auch Erbgut aus Einzelzellen untersuchen, auch Hautzellen. Das ist super viel Arbeit, die einzelnen Hautzellen oder Spermien zu finden, und da kann KI viel leisten durch Sortieren und Steuern der Vervielfältigung.
Dann ist Touch DNA ein großes Thema. Das heißt, es ist irgendwas berührt worden, aber nur so wenig Zellmaterial übertragen worden, dass es nur sehr wenig Erbgut ist. Wie untersuche ich das, so dass ich das trotzdem rausbekomme, was Verunreinigung ist und was tatortbezogenes Erbgut? Auch da sehe ich zukünftig gute KI-Entwicklungen.
Die Besonderheit bei uns im Fach ist, dass wir immer versuchen, Methoden weltweit zu standardisieren, also dass jedes Labor auf der Welt es gleich macht. So werden die Spuren vergleichbar, wenn Fälle länderübergreifend oder Spuren verschickt worden sind und sich so rausstellt, das war ein internationaler Fall. Beispiel: Ich habe einen Tatort in Deutschland und ich habe einen Tatort in Frankreich. Ich möchte die Spuren vergleichen, dann muss es aber auch mit derselben Technik untersucht sein, weil sonst verschieden wirkende Ergebnisse rauskommen. Die deuten zwar vielleicht auf denselben Täter und Täterin hin, aber das Gericht sagt „Nein. Das kann zwar sein, aber das können wir jetzt nicht so gut vergleichen“. Also das ist eine Besonderheit und deswegen dauert es bei uns immer länger, bis die Techniken dann da sind. Weil sie übergreifend funktionieren müssen. Das betrifft auf KI — sie muss gerichtsfest arbeiten.
Erwartest du weitere Entwicklungen in der Forensik?
Auf jeden Fall. Das wird nie enden in der Forensik, weil die Forensik immer Honig aus den industriellen, technischen Bereichen saugt, aus den neuen Wissensbereichen und aus den, sagen wir mal ingenieurtechnisch angewendeten Bereichen. Das braucht man immer nur forensisch anwenden. Also insofern denke ich mal, da ist jetzt keine große Steigerung, außer durch KI, mehr möglich. Außer du hast halt kein Geld. Wenn man jetzt an Bulgarien oder an Albanien denkt, da haben die Leute natürlich keine Kohle und können die Spuren gar nicht erst sichern. Dann nützt auch keine KI mehr etwas.
Was muss ein Kriminalbiologe mitbringen, um seinen Job gut zu machen?
Für den Job an sich muss man einfach neugierig sein. Also da reicht es offen zu sein und alles für möglich zu halten. Das gilt aber für alle Naturwissenschaften. Im Kriminalistik-Bereich, sagen wir mal aus Erfahrung gesprochen, braucht man zwei Sachen. Das erste ist, dieses Todes-Ding darf dich nicht so anfassen. Wenn einen das die ganze Zeit anfrisst und man nachts wachliegt und so, dann muss man was anderes machen. Das ist es nicht wert, wenn man nicht mehr schlafen kann. Und das zweite ist, dass man in meinem Bereich einfach sehr gerne mit Spuren arbeiten muss. Das heißt sortieren, kleinen Kram angucken, in Ruhe was machen, zählen. Also alles, was die meisten anderen langweilig finden. Das sind die Hauptdinge. Außerdem ist es wichtig, Spaß an der bildlichen Darstellung zu haben. Wer mit Begeisterung fotografiert, der ist in dem Job genau richtig. Das halte ich persönlich sogar für die allerwichtigste spurenkundliche Technik
Und die, die viel fotografieren, haben hinterher natürlich wesentlich mehr Material, weil die wissen, wo lag was, wann, an welcher Stelle, bevor wir da durchgegangen sind, bevor jemand was verändert hat. Das wäre es eigentlich schon. Wenn jemand dieses Paket mitbringt, dann kann eigentlich nicht viel schiefgehen.
Kriminalbiologe und Forensiker Dr. Mark Benecke | Daten, Zahlen und Fakten
Ausbildung:
Dipl. Biol. Dr. rer. medic. Mark Benecke an der Universität zu Köln mit einer Dissertation über genetische Fingerabdrücke.
Wichtige Eckdaten und Stationen:
Dr. Mark Benecke ist ein international anerkannter Kriminalbiologe und Forensiker.
Er hat eine beeindruckende Karriere in der forensischen Wissenschaft und der Kriminalistik aufgebaut und gilt als einer der führenden Experten auf dem Gebiet.
Nach seiner Promotion an der Uni Köln im Institut für Rechtsmedizin absolvierte er diverse fachspezifische Ausbildungen auf der ganzen Welt, so zum Beispiel beim FBI. Als Deutschlands einziger öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für biologische Spuren untersuchte er unter anderem Adolf Hitlers Schädel.
Dr. Benecke hat an zahlreichen Gerichtsverfahren als Sachverständiger teilgenommen und sein Wissen in der forensischen Entomologie eingesetzt, um zur Aufklärung von Verbrechen beizutragen.
Er ist ein gefragter Redner und hat weltweit Vorträge über forensische Themen gehalten, wodurch er dazu beigetragen hat, die Bedeutung der Wissenschaft in der Kriminalistik zu betonen.
Weiter ist er als Autor tätig und hat Bücher veröffentlicht, die sich mit verschiedenen Aspekten der Kriminalbiologie und Forensik befassen.
Zudem veröffentlicht er zahlreiche wissenschaftliche Artikel, diverse Sachbücher sowie Kinderbücher und Experimentierkästen.
Er ist bekannt für seine lebhafte Persönlichkeit und seine Fähigkeit, komplexe wissenschaftliche Konzepte einem breiten Publikum verständlich zu vermitteln.