"Menschen und Maden - ich mag beide gerne"

Quelle: Veggie Journal, Nr. 19 (04/2016), Seiten 14 bis 17

Von Katharina Weiss

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Wo er sich ans Werk macht, käme jede Hilfe schon zu spät: Dr. Mark Benecke ist Deutschlands berühmtester Kriminalbiologe. Sein Arbeitsplatz ist der Schauplatz von Verbrechen – und das Kriminallabor.

Doch als wäre ein solcher Job nicht bereits fordernd genug, findet der Wahl-Kölner noch für allerlei Anderes Zeit im Alltag: Er kandidierte als Kölner OB für Die PARTEI, überprüfte Adolf Hitlers Zähne und Schädeldecke auf ihre Echtheit, studierte an der Academy des FBI, ist Vorsitzender der deutschen Dracula-Gesellschaft und hat dank zahlloser Tattoos ein so außergewöhnliches Auftreten, dass er regelmäßig in Polizeikontrollen gerät. Und wenn das Veggie Journal ein Interview mit ihm führt, liegt nahe, was in dem tierlieben Forensiker außerdem steckt: ein überzeugter Veganer.

Veggie Journal: Mark, dein Facettenreichtum ist ja erstaunlich. Einerseits bist du eine Kapazität der Kriminalbiologie, andererseits auch etwas Freak: Experte für Vampirforschung, Grufti mit Vorliebe für Tattoos und Blutsaugerposen. Und dann engagierst du dich auch politisch und isst keine Tiere ... Steckt da etwa ein Heiliger im Teufelskostüm?
Mark: (lacht) Geil, also „heilig“ hat mich echt noch niemand genannt – obwohl ich sehr lange Messdiener war. Nein, ich hasse Fassaden und Gelaber, ich mache einfach, was mich interessiert und basta. Das ist halt vielleicht etwas breiter gefächert, offen sichtbar und nicht nur in meinem Kopf, weil mir sonst sofort langweilig wird. Mehr ist es nicht. Ich weiche auch gar nicht so viel von der ein oder anderen Norm ab, ich habe z.B. ziemliche Angst vor Altersarmut und putze mir die Zähne mit einer elektrischen Zahnbürste.

Also bewahrst du deine Authentizität – vor allem auch, wenn du mit den Medien zu tun hast? Schließlich bist du das Gesicht in TV-Formaten wie Galileo oder auch n-tv, wenn ein Experte der Kriminalistik gebraucht wird.
Ich mache alles, wozu ich was Sinnvolles beitragen kann und was mir Spaß macht. Ich hatte noch nie eine Glotze, mir macht die Produktion aber mächtig Freude. Hinter den Kulissen habe ich interessante Dinge gelernt. Beispielsweise, dass die meisten „Promis“ freundlich und geerdet sind, wenn sie für irgendwas brennen, auch wenn man das in Klatschspalten nicht immer sofort sieht. Ich verstehe mich z.B. mit Michaela Schaffrath, Jan Böhmermann oder Stefan Raab so gut, dass wir, ohne befreundet zu sein, am Set ehrlich miteinander Spaß haben können. Ich habe aber auch FreundInnen in Subkulturen, darunter Sexarbeiterinnen, ProgrammiererInnen oder kauzige InsektenfreundInnen. Es gibt einen sozialen, freundlichen Wesenskern, sozusagen menschliche Güte – und das ist das Einzige, was mich mit anderen verbindet oder, wenn sie diesen liebevollen Kern nicht mehr erreichen können, nicht. Der Rest ist mir wurscht.

Was genau macht du denn eigentlich ein Kriminalbiologe so in seinem Arbeitsalltag?
Spuren suchen und untersuchen – vor allem von Tatorten. Ich werde als öffentlich bestellter Sachverständiger herangezogen, um biologische Spuren bei Gewaltverbrechen auszuwerten. Oft geht‘s dabei um Fliegen und Maden: Ich bin Spezialist für forensische Entomologie, bei der mittels der Leichenbesiedlung durch Insekten Hinweise gesammelt werden, z.B. auf Leichenliegezeit oder Todesumstände. Ich arbeite aber auch mit Blutspuren, DNA und allen möglichen schrägen Fällen.

Apropos schräg: Ich habe gehört, du wolltest früher mal Koch werden? Wie kam es zu diesem Umschwung im Lebenslauf?
Wir „kochen“ im Labor auch, nur mit anderen Zutaten. Das ist schon sehr ähnlich, kein Witz. Aber mein heutiger Job hat sich durch Zufall ergeben. Ich habe mich an der Uni einfach in alle Fächer eingeschrieben, die ich interessant fand. Am nettesten waren die Biologen, und sie haben auch als Einzige eine Party vor Semesterbeginn geschmissen. Da bin ich geblieben. Etwa zu jener Zeit wurde die aktuelle Methode des genetischen Fingerabdrucks entwickelt und ich wollte mehr über diese Technik lernen. Das konnte ich nur in der Rechtsmedizin. Dort arbeitete auch meine damalige Chefin als Biologin ... und zack! So kam eins zum anderen.

Hast du da nicht einen sinnlichen gegen einen eher „unsinnlichen“ Beruf eingetauscht?
Mark: (lacht) Also, die Gerüche sprechen schon mal Nase, Geschmack und allerlei Gehirnbereiche an. Sperma und Blut in Textilien, besonders dunklen, muss man auch ertasten lernen, es reicht nicht, sich auf die Tatortlampe zu verlassen. Lupen und Kameras sind auch superwichtig – hier ist vorausschauendes Sehen, eine weitere Sinnevermischung, gefragt. Feinmotorik musst du auch noch üben, denn wenn der Insektenflügel unter deinem Vergrößerungsgerät wegweht oder du mit der Pinzette zu fest zugreifst, ist der Sachbeweis schnell zerbrochen oder verloren. Meine Sinne werden also gefordert. Am Ende kommt auch noch der Balance-Akt zwischen Einfühlung und Sachkunde dazu, wenn die Angehörigen etwas berichten. Ich will sie nicht abwürgen, wenn sie weinen, aber wir müssen auch über die Spuren, nicht vorwiegend über Gefühle reden. Das machen KollegInnen, die sich damit besser auskennen.

Allerdings wirst du schon oft gefragt, ob es dein Beruf war, der dich zum Veganer gemacht hat.
Mein Beruf hat damit nix zu tun. Ich habe schon früher nie Wurst gegessen. Aber Kotelett oder so schon. Als Student hatte ich dann eh kein Geld, da konnte ich mir kein Fleisch leisten, damals gab’s das ganze Billigfleisch auch noch nicht. Wenn im Essen Fleisch drin war, hat es mich damals zwar nicht gestört, aber die türkischen Buden, die mich im Studium mit durchgefüttert haben, hatten immer Linsensuppe, Salat und Brot am Start. Finde ich bis heute saugeil. Von da war es nur noch ein sehr kleiner Schritt zum Vegetarier bzw. Veganer.

Erzählst du nicht immer wieder von einer Berufserfahrung, die dich in deinem Pflanzenfresser-Dasein bestärkt zu haben scheint?
Ja, ich hatte mal einen Fall, in dem eine nette, harmlose Sexarbeiterin von einem Kunden sehr stark blutend und extrem verprügelt tot liegen gelassen wurde. Seitdem kann ich den Geruch in Metzgereien nicht mehr ertragen. Ich habe aus dem Fall gelernt, wie hirnverbrannt künstlich die Grenze ist, die viele Menschen zwischen Tier- und Menschentötung ziehen. Da gibt es nämlich keine.

Wurde am Tatort die Ähnlichkeit zwischen Mensch und Tier zu deutlich?
Der Geruch, auch die Schnittflächen – das ist bei Wirbeltieren genau gleich wie bei Menschen. Bei großen menschlichen Knochen sieht das für jeden aus wie Kotelett oder Rippchen. Es ist ja auch dasselbe. Ob man nun ein Schwein, eine Kuh oder einen Menschen zerstückelt da liegen hat: Das Gewebe sieht genauso aus, von der Fettschicht her, der Haut, den Knochen und Muskeln ... Ein echtes Schlüsselerlebnis bezüglich meiner Ernährung war eher die Arbeit mit lebenden Tieren: Im Studium habe ich Verhaltensexperimente mit wirbellosen Meerestieren gemacht.

Oh toll, Kraken?
Genau – auf einer völlig einsamen Insel. Der Prof und meine Mitstudierenden waren cool. Aber die Tiere auch: Kraken sind sehr schlau, haben einen starken Spieltrieb und dank ihrer Augen und der schnell wechselnden Hautfärbung auch mehr Ausdrucksspielraum als z.B. Meerschweinchen. Bei den Experimenten guckten die Tintenfische sogar im Nachbar-Aquarium ab. Sie haben gepfuscht, um schneller herauszubekommen, was wir gerade von ihnen wollten – etwa ein rotes Quadrat anzufassen, ein Glas aufzuschrauben und so weiter. Nach ein paar Monaten haben wir die Tiere zurück ins Meer gebracht – und fast alle Studierenden haben geheult. Klar, wir freuten uns, dass sie wieder nach Hause konnten, aber wir hatten auch Freunde verloren. Meerestiere kamen mir seither nie wieder auf den Teller.

Findet sich deswegen unter deinen vielen Tattoos auch ein Oktopus?
Ich habe sogar drei, ganz fett auf den Rippen (aua!), darunter den „Traum der Fischersfrau“ von Hokusai. Ja, ich denke, es hängt mit den damaligen, mega-eindrucksvollen Erfahrungen mit den Tieren zusammen. Wenn sich sogar Tintenfische und Menschen nahezu anfreunden können – was ist dann noch alles möglich? Die Tiere sind sogar zu uns auf die Hand gekommen und haben sich aus dem Wasser nehmen lassen! Das ist so, als würde ich einer Krake vertrauen, die mich ohne Sauerstoffflasche mit ihren acht Armen mal kurz mit unter Wasser nimmt und mir ihre Höhle zeigen will. Ich vertraue ihr dabei, dass sie einschätzen kann, wann ich wieder Luft brauche.

Zugegeben bin ich erleichtert, dass ihr die Kraken wieder freigelassen habt. Tierversuche sind ja ein enormer Streitpunkt: notwendig oder nicht? Was sagst du als Naturwissenschaftler dazu?
Wir haben mit den Kraken gespielt, das heißt: Lernexperimente gemacht. Das war manchmal für die Tiere langweilig, aber es ging um eine Frage, die ich auch heute noch mit „Tierversuchen“ unterstützen würde, nämlich die Frage, ab welcher Evolutionsstufe Vermeidungslernen funktioniert und wie lange es abgespeichert bleibt. Wir Menschen können schon ein bisschen gestaltend in die Umwelt eingreifen ... Immerhin schreibe ich auf einem Laptop und fahre gleich mit der Straßenbahn zu einem Vortrag, der über einen Beamer mit Strom an die Wand gestrahlt wird. Ich möchte auch gerne geheilt werden, wenn ich eine bescheuerte Krankheit habe.

Was hieltest du denn in Zukunft für ein vertretbares Vorgehen hinsichtlich Tierversuchen?
Eine mögliche Leitlinie wäre vielleicht diese: Keine Tierversuche für Kosmetik, es reicht jetzt ein für alle Mal. Tierversuche in der Medizin endlich mit riesigen Geldsummen umstellen auf Versuche an gezüchteten Zellen – richtig Geld reinpumpen, weltweit. Zeitlich begrenzte, artgerechte Lernversuche in Kooperation mit Tieren, die nicht „gezähmt“ oder vorgeführt werden: kein Problem. Ich musste als Kind auch langweilige Sachen machen. Solange ich dabei artgerecht behandelt werde, passt das schon mal.

Als Tierschützer hat man dich ja auch schon bei Kampagnen von PETA gesehen: „Niemand stirbt gern. Rette Leben. Go Veggie“ lautet da ein Slogan auf einem Poster mit dir – immerhin Fachmann für Verstorbene. Nun hast du sogar Ingrid Newkirk, der Mitbegründerin von PETA, versprochen, ihren letzten Willen auszuführen: Nach ihrem Tod sollen Newkirks einzelne Körperteile wie Delikatessen in verschiedene Länder versandt werden, die Leber z.B. nach Frankreich. Damit engagierst du dich für einen Tierschutz, der auf Schock und Protest setzt.
Ja, denn ich verstehe einfach nicht, warum das Umdenken länger dauert. Wirklich jeder halbwegs gesunde Mensch weiß und sieht ganz genau, mit welch speziesistischem Faschismus wir liebe, coole Tiere wie beispielsweise Kühe zu mit Kot verdreckten Sklaven machen. Auch, dass fast das gesamte Fleisch aus Massentierhaltung kommt, weiß jeder in Zentraleuropa, und wie es im Tierknast aussieht, hat auch jeder schon gesehen. Warum sich also daran nichts ändert, ist mir schleierhaft. Aber es gibt ja auch immer wieder Genozide, insofern ist es vielleicht einfach dasselbe – das meine ich todernst. Dass aber gerade Deutsche nicht kotzen, wenn schon wieder Tötung durch Arbeit und Ausbeutung im Megastil bei uns stattfindet, ist schon bizarr. Man muss aber auch das Gute sehen: Dass Angela Merkel die Energiewende angeschoben hat, hat auch kein Mensch geahnt. Einfach am Ball bleiben ... Mehr geht nicht.

Bist du, um solche verkrusteten Denkweisen und Strukturen aufzubröckeln, auch selbst politisch aktiv – wenn auch komödiantisch-subversiv? Schließlich bist du Vorsitzender des Landesverbands Nordrhein-Westfalen von Die PARTEI, hast 2015 für das Amt des Oberbürgermeisters von Kölns kandidiert und den dritten Platz hinter Henriette Reker und Jochen Ott (SPD) erreicht.
Genau: einfach mal was machen. Wir lernen von den WählerInnen sehr viel. Die haben uns nicht aus Quatsch ins Europaparlament, in Lübeck und Krefeld ins Stadtparlament und in vielen Städten auffallend nah an die OberbürgermeisterInnen-Ämter gewählt. Ich bin erstaunt, wie vielfältig Menschen denken und bin auch zu Pegida in Dresden und Berlin gelatscht – es war grauenhaft, meine Videos davon sind bei YouTube zu finden. Die Welt ist nun mal auch ziemlich vielschichtig und verwoben, da sollte man schon mal mitweben.

Wie meinst du das?
Wir haben WählerInnen, die einfach irgendwas anderes als das Bestehende wollen, andere vertrauen mir so wie die Tintenfische im Wissen, dass ich wirklich Gutes will, andere hoffen auf Macht – jeder will was anderes. Es ist darum gut, einfach mal den Finger in die Masse zu stecken, so wie wir es auch machen, wenn wir die Temperatur-Unterschiede in sogenannten Madenteppichen gegenüber der Außentemperatur auf Leichen prüfen: Notfalls einfach mal mit einem Handschuh reinfassen. Man merkt dann schon, was Sache ist. Die „Mitarbeiter“ – ob Menschen oder Maden, ich mag beide gerne – sind meist schon viel länger am Werk als man dachte.

Mit herzlichem Dank an Katharina Weiss und die Redaktion für die Freigabe und die Genehmigung zur Veröffentlichung.


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