Quelle: PeTA, veröffentlicht am 14. Juni 2019
Ein Gastbeitrag von Mark Benecke
Warum nicht einfach Insekten essen? Mein Kollege Louis Sorkin aus dem New Yorker Naturkundemuseum veranstaltete ein Insekten-Buffet zur Jubiläumstagung der Entomologen. Dave Gordon führte Kindern und mir beim Insektentag in Washington live vor, dass in Reis gekochte Larven gar nicht auffallen. Der japanische Kollege Kenichi Nonaka schenkte mir bei einem Kongress in Brasilien seine Broschüre über die Vorzüge von Wespen als Nahrung, und die mexikanische Biologin Ramos-Elorduy trug die Nährwerte essbarer Insekten zusammen.
Tatsächlich sind manche Insekten wie Schaben, Grillen und Wespen leicht zu züchten. Ihre Körper enthalten fast alles, was der Mensch ernährungstechnisch braucht. Schön anrichten kann man sie auch.
Die Tiere sterben uns weg
Doch das ist Geschichte. Wir haben im Jahr 2017 nicht nur das größte Insektensterben seit – im wahrsten Sinne des Wortes – Menschengedenken erlebt, sondern es sterben uns, noch weniger beachtet, auch die Amphibien weg. Das sind zwei riesige Tiergruppen.
Es ist in etwa so, als würde ich am Rand bemerken, dass Australien und Asien von der Erdoberfläche verschwinden, doch niemanden würde es kümmern. Komisch, oder?
Im Jahr 2018 sind wir soweit, dass wir uns für einen dystopischen Landbau entscheiden müssen, der auf der einen Seite gegen Wüstenstaub (Peking) und auf der anderen gegen Wassermassen (Salzwasserspiegel) kämpft. Um die Erde weiter zu besiedeln, müssen wir sie wie verrückt düngen, Wildkräuter töten und Tiere in Horror-Knästen züchten. Geht alles. Es muss aber nicht sein. Wir könnten auch von Tieren lernen und Pflanzen essen.
Bessere Roboter dank Tüpfel-Schaben
Soeben haben meine Kolleg*innen Tom Weihmann, Pierre-Guillaume Brun und Emily Pycroft beispielsweise herausgefunden, dass Tüpfel-Schaben eine zuvor unbemerkte Gangart beherrschen (1). Das ermöglicht es, Roboter erstens sicherer und zweitens mit viel weniger Energie laufen zu lassen. Find ich sehr geil: Ich mag Schaben und Roboter.
Je länger ich mit wirbellosen Tieren zusammenlebe und arbeite, umso mehr verstehe ich auch, dass es nicht nur um das – zwingend notwendige – Mitgefühl geht. Schweine und Kühe trauern und haben Angst, mit und ohne uns. Das ist leicht zu begreifen.
Alle Tiere sind wichtig und unersetzlich
Doch auch Tiere ohne Knochen sind im Kreislauf des Lebens unersetzlich. Sie sind zudem sehr lehrreich. Ich etwa lebe seit zwanzig Jahren mit Fauchschaben zusammen. Es hat erstmal zehn Jahre gedauert, bis ich verstanden habe, dass sie viel besser als erwartet lernen, wann und wie und wo es Futter und Action geben könnte, welcher nächtliche Streit um den besten Sitzplatz sich lohnt und welcher nicht, und dass sie Überlebenstricks – von guten Verstecken bis hin zu Geschlechtswechseln – beherrschen, die ein bis zwei Forscher*innen-Leben füllen könnten.
Keine Gründe, um Insekten zu essen
Es gibt also viele Gründe, von Tieren zu lernen und sie fair zu behandeln. Es gibt aber keinen einzigen Grund, Tiere zu essen, zu quälen, einzusperren oder in eine auch für Menschen ressourcenkatastrophale Gewinnkette einzuspannen. Das gilt für Wirbeltiere, deren industrielle Nutzung mehr Wasser und Energie kostet sowie Treibhausgase erzeugt, als es bei ruhigem Denken verständlich sein kann. Es gilt aber auch für Insekten.
Massenzucht von Insekten funktioniert genauso wenig wie die Zucht von anderen Tieren
Selbst die schon erprobte und angeblich probate Fischzucht in Meeresbecken endete wie die Zucht von Schweinen und Kühen: Mit Krankheit und Rohstoffverschwendung. Mit Insekten ist es genauso: „Monokulturen“ und industrielle Tierzucht, das wissen wir aus jedem einzelnen Experiment, klappen nicht. Der Grund ist bekannt. Massenzucht stellt die Grundlage dessen, wie Leben auf der Erde seit Jahrmillionen aufgebaut ist – nämlich in Kreisläufen, durch Vielfalt und Kooperation –, auf den Kopf.
Bewiesen: Tierfutterherstellung hat Auswirkungen auf Insekten
Das ist ein paar Jahrzehnte lang zwar bemerkt, aber aus dem Wunsch nach mehr und immer mehr verdrängt worden. Im Jahr 2018 sind die Verwüstungen durch die industrielle Tierproduktion nun aber so sauber dokumentiert, dass es keine Nebelwände mehr geben kann. Die Auswirkungen des lebensverneinenden Landbaus, meist zur Tierfutterherstellung, auf Insekten haben unter anderem meine Krefelder Kolleg*innen um Martin Sorg wissenschaftlich dargestellt: Bienenfleißig und trotz des rituellen, die Tatsachen verneinenden Gegenwindes haben sie das mit dem atemraubenden Insektensterben spurenkundlich aufgezeichnet und bewiesen (2).
Es ist Zeit, erwachsen zu werden
Wir sind zu viele Menschen. Das ist, wie es ist. Aber Tiere und deren „Produkte“ können wir künftig nicht mehr essen und „verwerten“. Die aufwändige und störanfällige „Tierproduktion“ zerstört unsere Lebensgrundlage sonst noch schneller, als wir es umfassend begreifen und dokumentieren, geschweige denn beheben können.
Egal, ob Schabe, Stinktier, Schlange, Schwein oder Chinchilla: Wir müssen die uns umgebende Lebenswelt ernst nehmen, von ihr lernen und sie verstehen – aber nicht aufessen und ausbeuten.