Quelle: weekend.at, 10. März 2023
Von Gert Damberger
Umweltschützer und Welternährungsorganisation raten zu Insekten als Proteinquelle. Der
Kriminalbiologe Mark Benecke hat da einen gewichtigen Einwand.
Ein neues Schreckgespenst geht um im Schnitzelland Österreich: Jetzt wollen uns die Brüsseler Bürokraten sogar zwingen, Insekten zu essen! Dieser „EU-Wahnsinn“, ereiferte sich Manfred Haimbucher, seines Zeichens oberösterreichischer FPÖ-Landeschef, ruiniere „den Feinkostladen Österreich“. „Ich will nicht, dass ich beim Einkauf prüfen muss, ob das gewählte Produkt frei von Mehlwürmern, Heuschrecken und Grillen ist“ schrieb Haimbucher in seiner Presseaussendung.
Grillen und Larven
Aktueller Anlass für den Aufschrei war eine neue EU-Durchführungsverordnung, die es erlaubt, nach den bereits 2021 zugelassenen Mehlwürmern und Wanderheuschrecken nun auch noch Grillen und Getreideschimmelkäfer-Larven zu verarbeiten. Zwei Firmen, die Ess-Insekten züchten, hatten den entsprechenden Antrag gestellt, die EU-Lebensmittelbehörde prüfte genau auf Unbedenklichkeit und gab grünes Licht.
Lebensmittel-Zusatz
Die Hausgrille, im Volksmund auch „Heimchen“ genannt, dürfen Hersteller jetzt in einer Unmenge an Lebensmitteln verwursten. In Crackers beispielsweise, aber auch in Brot, Fertigsuppen, in Fleisch- und Milchsurrogaten, Teigwaren, Fertigpizzen, Molkepulver und sogar in Süßigkeiten. Überall dort eben, wo Lebensmitteltechniker zur Geschmacksverstärkung gerne Proteinpulver hineinrühren.
Milliarden essen Insekten
Insektenverzehr ist eindeutig eine Frage von Kultur und Erziehung. Rund 2.000 Insektenarten gelten weltweit als essbar und für rund zwei Milliarden Menschen sind sie eine willkommene Proteinquelle, ja sogar eine Delikatesse. In Thailand etwa sind frittierte Schaben ein beliebter Snack, die indigenen Völker Lateinamerikas laben sich an Wasserwanzen sowie deren Eiern und in Nigeria kommen gekochte Termiten auf den Tisch. Gebratene Ameisen werden in Kolumbien als Aphrodisiakum geschätzt und südlich des Äquators vertilgen Menschen die im Überfluss vorhandenen Heuschrecken – quasi als nachhaltige Schädlingsbekämpfung.
Superfood
Ernährungstechnisch ist nichts gegen den Insektengenuss einzuwenden. Die Krabbeltiere bestehen aus hochwertigem Eiweiß, enthalten ungesättigte Fettsäuren, Vitamine und Spurenelemente wie Eisen, Magnesium, Selen oder Zink. Nahrungsergänzungsmittel kann man sich da sparen. Immer wieder taucht der Vorschlag auf, die Massentierhaltung durch Insektenzucht zu ersetzen. Milliarden von Nutztieren könnte man so das traurige Schicksal ersparen, nur deshalb herangepäppelt zu werden, um getötet und gegessen zu werden.
Ressourcenschonend
Insektenhaltung wäre vergleichsweise billig und würde wenig Wasser und Boden verbrauchen. Und dann die Treibhausgase! Die herkömmliche Viehwirtschaft erzeugt fast die Hälfte aller landwirtschaftlichen Emissionen. Rinder und Schafe furzen Methan, ein besonders klimaschädliches Gas und auch durch Tiermist und Gülle werden Riesenmengen an Methan und Lachgas freigesetzt. Insektenfarmen emittieren hingegen fast nichts. Die Welternährungsorganisation FAO spricht sich offen für Nahrungsinsekten aus, auch in Hinblick auf die Notwendigkeit, eine wachsende Weltbevölkerung zu ernähren. Trotz der gewaltigen kulturellen Widerstände wagen sich auch in den Ländern der nördlichen Hemisphäre seit einiger Zeit Start-Ups an die Zucht von Heimchen, Maden und anderen Leckerbissen.
Auch Insekten fühlen
So gut und umweltfreundlich es auch klingen mag, den Eiweißhunger der Menschheit mit Kerbtieren zu stillen, es gäbe auch große Schattenseiten. Nicht nur den, dass ja schließlich auch die Krabbler keine bewusstlosen Biomaschinen sind, sondern Wesen, die Schmerz fühlen, Angst empfinden und planmäßig handeln können (Bienen zum Beispiel). Einen interessanten Einwand gegen Insektenzucht machte unlängst der deutsche Biologe und Buchautor Mark Benecke. Jede Insektenart habe ihre Feinde – zum Beispiel Milben und andere Parasiten – und könne natürlich auch krank werden, sagt der Wissenschaftler. In einer großen Insektenfarm müsste man sämtliche Feindorganismen ausschalten und gleichzeitig die Zuchtinsekten verschonen. „Jede Art der Massenzucht endet darin, dass Medikamente und Gifte eingesetzt werden“ (siehe Interview).
Bekennender Veganer
Der schillernde Medienstar Benecke verdankt seinen Spitznamen „Dr. Made“ seinem Beruf als forensischer Entomologe und Gutachter. Jede Leiche wird nämlich von Insekten „besiedelt“ und an Hand dieses fortschreitenden Befalls kann ein Spezialist den genauen Todeszeitpunkt bestimmen, zum Beispiel den eines Mordopfers. „Dr. Made“ ist bekennender Veganer, isst keinerlei Tiere und nicht mal Insekten. In seiner Welt verputzen die Maden die Menschen, nicht umgekehrt.
„Dr. Made“ warnt vor Insektenfarmen
Sie sind gegen das Züchten von Ess-Insekten. Warum?
Jede Tier- und Pflanzen-Zucht in großem Maßstab ist anfällig für Erreger. Das ist ja auch in der Tierzucht so, deshalb müssen Schweine und Rinder ja mit vielen Medikamenten behandelt werden. Anders ließen sich große Stall-Anlagen gar nicht betreiben. Oder denken Sie an die Monokulturen im Wald, wo die einheitsgezüchteten Bäume dann von Käfern befallen oder vom Wind umgeknickt werden. Bei riesigen Insekten-Zuchten wird es besonders bizarr: Gegen Insekten als Schädlinge in der Insekten-Zucht müssten dann Insektenvertilgungsmittel eingesetzt werden. Das möchte ich sehen …
Viele Leute denken, dass Insektentöten „ethischer“ wäre, weil diese Tiere keine Schmerzen empfinden. Was sagen Sie dazu?
Wir lernen im Gegenteil immer mehr darüber, was die angeblich niederen Tiere wahrnehmen, von magnetischen Feldern über die für Menschen unsichtbare Ausrichtung des Lichtes, über deren Verständnis von Raum und Zeit bis zu Gruppen-Verhalten. Wieso Insekten jetzt ausgerechnet keine Schmerzen haben sollten, begreife ich nicht. Vielleicht ist es eine Ausrede.