Quelle: Donaukurier 1/2021, 2./3. Jan. 2021, S. 17
Von Anja Witzke
Köln – Woher er den Spitznamen Dr. Made hat? So genau weiß Mark Benecke das nicht mehr. Vermutlich stammt er aus der Zeit, als er in der Rechtsmedizin in Köln an seiner Doktorarbeit geschrieben hat. Ein Journalist (RTL? Bild? Focus?) hat ihm den verpasst. Vermutlich deshalb, weil seine Arbeit oft mit Maden und Insekten in verwesenden Leichen zu tun hat. Der Kriminalbiologe ist Deutschlands einziger öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für biologische Spuren. Darüber hat er viele Bücher geschrieben. Sein neuestes Werk ist jedoch ganz anderer Natur. Es trägt den etwas altertümlich anmutenden Titel „Kat Menschiks und des Diplom-Biologen Doctor Rerum Medicinalium Mark Beneckes Illustrirtes Thierleben“ und handelt von feenhaften Glühwürmchen, beschämten Hunden, verspielten Oktopussen und Haustieren, die Menschen essen.
Herr Benecke, Sie arbeiten als Kriminalbiologe. War das Ihr allererster Berufswunsch oder gab es mal eine Alternative?
Mark Benecke: Als ich klein war, gab es diesen Beruf ja noch gar nicht. Heute kennt man aus dem Fernsehen viele CSI-Serien (Crime Scene Investigation) oder liest über spurenkundliche Abenteuer. Mein Lieblingsfach in der Schule war Chemie – damit war ich weit und breit der einzige. Und ich las als Kind öfter Sherlock Holmes. Aber: Bei der Berufswahl hat der Zufall eine große Rolle gespielt. Ich habe Biologie und Psychologie studiert und brauchte dafür ein Genetik-Praktikum. Das habe ich in der Rechtsmedizin gemacht, denn nur da konnte man damals genetische Fingerabdrücke lernen. Das finde ich bis heute spannend, denn man kann damit beispielsweise unterscheiden, ob man einen Bio-Androiden oder einen echten Menschen vor sich hat – ein typisches Science-Fiction-Thema. Außerdem habe ich gern Comics gelesen – und Spiderman studiert lebenslang Biochemie.
Sie haben einige Bücher über Ihre Arbeit als Forensiker geschrieben. Aber jetzt haben Sie zusammen mit Kat Menschik ein ganz ungewöhnliches Tierlexikon herausgegeben. Schon der Titel verrät: Ihr Thierbuch (mit „h“) ist eine Hommage an „Brehms Thierleben“ aus dem 19. Jahrhundert. Steht das bei Ihnen im Regal? Und hat es den Grundstein für Ihr Interesse an der Tierwelt begründet?
Ja, der Brehm steht in allen möglichen Ausgaben vor und hinter mir in Regalen. Stimmt, ist eine Hommage an alle alten Tierbücher – auch die vergessenen. Das war ein richtiges Literaturgenre. In meinen Quellenangaben sind sie alle zu finden: Konrad Gesner, Philipp Leopold Martin, Adolf Müller, Johann Friedrich Blumenbach, Friedrich Wilhelm Brendel und und und.
Seit den 90er Jahren wächst meine Sammlung – und nimmt viele Regalmeter ein. Die Bücher hatten richtig hohe Auflagen, waren herrlich bebildert. Aber heute ist es so, als ob es sie nie gegeben hätte. Ich möchte sie einfach retten. Die letzten Ausgaben, die es noch gibt, befinden sich in irgendwelchen Bibliotheken – und dort interessieren sie keinen. Vielleicht auch, weil sie oft in Fraktur geschrieben sind und kaum einer das noch lesen kann. Und: Sie sind nie übersetzt worden.
Aber in anderen Ländern gibt es doch vielleicht auch wichtige Nachschlagewerke in diesem Bereich.
Guter Einwand. Im Französischen gibt es Guillaume Rondelet und Jean-Henri Fabre. Den Gesner gibt es auch auf Lateinisch, aber das kann ja auch keiner mehr. Und dann ist es oft so, dass es sich bei den Lesern um Kulturwissenschaftler und Forscher handelt, die sich eher für Bizarrerien interessieren: Meerfräulein oder Monstrositäten. Die Autoren haben aber nichts erfunden, das stimmt schon alles, was in diesen Büchern steht. Es spiegelt den Stand der damaligen Forschung wider. Unser Buch bezieht sich darauf.
Welches Tier hat Ihr Interesse an der Tierwelt begründet?
Ich bin in einem Plattenbau aufgewachsen, da gab es vor dem Haus einen Fahrradständer und ein Gebüsch, in dem nichts lebte. Unter den Kieselsteinen gab es aber Asseln, die ich spannend fand. Und was uns damals als Kinder nicht aufgefallen ist: Auf der anderen Seite war eine riesige Grünfläche, wo unzählige Vögel beheimatet waren. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen, wie sich die Welt damals angehört hat.
In Ihrem Buch beschreiben Sie auch Vögel: den Ostsibirischen Korjakenknacker, den Plaudervogel, Pfeilstörche oder nekrophile Enten. Wie haben Sie denn Ihre Auswahl getroffen?
Ich habe nur das aufgeschrieben, was ich interessant fand. Das Schöne war, dass der Verlag keinerlei Vorgaben gemacht hatte.
Man erfährt Erstaunliches: Beispielsweise, dass Stare auf dem Berliner Alexanderplatz das Geräusch der S-Bahn-Türennachmachen. Warum machen die das?
Sie spielen und lernen sich zu tarnen oder andere zu ärgern. Vor ein paar Tagen waren wir auf dem Westfriedhof in Köln, wo der Bund für Naturschutz viele Vogelkästen angebracht hat. Da haben wir uns einen Gartenschläfer angeschaut, der sich in so einem Vogelkasten verkrochen hatte. Wir sind auch auf einen Eichelhäher gestoßen, der Raubvögel imitiert – damit die denken: Oh, da ist schon ein anderer Raubvogel, ich suche mir ein anderes Revier. Das ist die eigentliche Funktion. Die Tiere lernen etwas, was ihnen nützt zum Überleben, zur Paarungsoder Nahrungssuche. Die Stare auf dem Alexanderplatz haben dort keine Feinde, also wird dieses spielerische Leerlaufprogramm an anderen Geräuschen erprobt.
Wie kommen die Meerjungfrauen in ein modernes Tierbuch?
Die Meerjungfrauen tauchten immer wieder in verschiedenen Tierbüchern auf. Gesner listet die Meerfräulein in seinem Buch von 1556 zwischen Fischen und allem anderen aus dem Meer kommentarlos auf – bei der Gruppe der lebend gebärenden und mit Lungen atmenden Wasserwesen. Und er war durch und durch ein Gelehrter. Also recherchierte ich – und fand einfach die Geschichte sehr spannend, auf Amazon Prime läuft die Serie „Siren“. Natürlich können diese Meerjungfrauen auch Robben gewesen sein.
Haben Sie auch Tiere zu Hause?
Fauchschaben – die sind pflegeleicht, haben einen Glanz wie poliertes Holz und können sich tagelang mit sich selbst beschäftigen. Und Regenwürmer in einer Wurmkiste. Die machen Humus aus unserem Bioabfall.
Warum leben Sie vegan?
Das hat sich aus vielen Quellen gespeist. Ich habe als Kind schon keine Würstchen gegessen. Später war der Weg zum Veganer durch die Forschung an Tieren fast logisch. Auch durch meine Beschäftigung mit der Aufheizung der Erde. Es ging mir schon früh um Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung. Ich habe zum Beispiel lange an Leder festgehalten, weil die ersten Outdoor-Klamotten aus GoreTex ja Sondermüll produzierten. Mittlerweile gibt es ja umweltverträglichere, fair trade Ersatz-Textilien.
Sie sind nicht nur Mitglied der Sherlock-Holmes-Gesellschaft, sondern auch Vorsitzender der Transylvanian Society of Dracula. Wie kommt man dazu?
Meine Nachbarin in New York war Jeanne Youngson. Sie war mit dem Hollywood-Film-Produzenten und zweifachen Oscar-Gewinner Robert Youngson verheiratet, der ihr bei seinem Tod 1974 zwei Wohnungen hinterließ. In der einen lebte sie damals noch, die andere in der Fifth Avenue verwandelte sie in ein Dracula-Museum. Irgendwann löste sie es auf und ich schickte alle Ausstellungsstücke zur „Tanz der Vampire“-Produktion nach Wien. Dabei erzählte sie mir von ihren Reisen nach Transsilvanien, wo sich jährlich Vampirforscherinnen und -forscher trafen. Das hat mich so interessiert, dass ich mir das anschauen wollte. Es ist aber längst nicht mehr so mystisch wie früher, und das Reisen dorthin wird auch immer beschwerlicher. Aber mit meiner Frau zusammen habe ich Bücher geschrieben über Menschen, die sich für echte Vampire halten.
Im Storch-Kapitel deuten Sie eine mögliche Fortsetzung an. Welche Tiere finden wir denn im nächsten Tierbuch?
Falls das Buch Erfolg haben sollte, hat der Verlag schon Teil 2 versprochen. Wir machen mal ein Orakel: Ich gehe jetzt an mein Bücheregal und schlage eins der alten Tierbücher auf. Moment: Riesenschlangen! Weitere Kandidaten: Bachforelle, Weberknecht und Wüstenwaran. Ich bin selbst schon gespannt.
ZUR PERSON
Mark Benecke wurde 1970 geboren. Seit über 20 Jahren ist der Kölner Kriminalbiologe international auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Forensik aktiv und hat sich insbesondere der Entomologie verschrieben. Nach seiner Promotion an der Uni Köln im Institut für Rechtsmedizin absolvierte er diverse fachspezifische Ausbildungen auf der ganzen Welt, so zum Beispiel beim FBI. Als Deutschlands einziger öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für biologische Spuren untersuchte er unter anderem Adolf Hitlers Schädel. Er ist Vorsitzender der Deutschen Dracula-Gesellschaft und Mitglied des Komitees des Nobelpreises für kuriose wissenschaftliche Forschungen. Er veröffentlichte diverse Sachbücher, Kinderbücher und Experimentierkästen. „Kat Menschiks und des DiplomBiologen Doctor Rerum Medicinalium Mark Beneckes Illustrirtes Thierleben“ ist im Galiani Verlag erschienen, umfasst 160 Seiten und kostet 20 Euro.
Von Mensch und Tier: In Anlehnung an das zoologische Nachschlagewerk „Brehms Tierleben“ und als Hommage an alle vergessenen Bücher dieses Genres haben der Kriminalbiologe Mark Benecke und die Zeichnerin Kat Menschik nun „Kat Menschiks und des Diplom-Biologen Doctor Rerum Medicinalium Mark Beneckes Illustrirtes Thierleben“ herausgegeben. Fotos: Ines Benecke, benecke.com, Galiani Verlag Berlin
— Mit vielem Dank an die Redaktion für die Erlaubnis zur Verwendung. —