2014 10 Taetowiermagazin: You're never too old
Quelle: Tätowiermagazin 10/2014, Seite 144
Kolumne mit Mark Benecke
Jeanne Youngson ist meine älteste Freundin. Sie hat mir ihr Geburtsjahr nie verraten, aber die neunzig dürfte sie ganz locker (und geliftet) erreicht haben. Kennengelernt habe ich sie in den 1990ern in Manhattan, wo früher noch die Kuh flog. Es gab Vampyr-Parties in leerstehenden Schlachthäusern und Fetisch-Nächte in einem Laden, der ausgerechnet »Manhole« hieß. Transvestiten standen auf der 14. Straße vor einer Kirche, in der alte Damen Bingo spielten, und die Rocky Horror Picture Show lief noch jeden Freitag und Samstag im »Village East«-Kino.
Mittendrin war Jeanne. Genauer gesagt: oben drüber. Sie besaß damals – nur zum Spielen, wohlgemerkt – eine Wohnung direkt am Washington Square Park, Hausnummer Eins an der Fifth Avenue. No kidding, ich war öfters dort. Die heute bestimmt zehn Millionen Dollar teure Bude war bis zur Decke vollgestopft mit Dracula-Nippes jeder Art. Denn Jeanne war Miterfinderin des Dracula-Tourismus nach Transylvanien – dreißig Jahre vor Twilight. Unter einem Schrank fand ich dort Original-Filmrollen von Laurel und Hardy (Dick & Doof): Jeannes schon 1974 verstorbener Gatte, zweimaliger Academy-Award-Gewinner (1951 und 1954), hatte sie dort vergessen …
Gerade nun trudelte eine Mail von ihr ein. Meine an Marotten bereits reiche Freundin hatte sich ein Tattoo stechen lassen.
»Ich habe eine Tätowierstube am Sheridan Square (im New Yorker Greenwich Village) gewählt«, las ich verblüfft. »Das schien mir nicht so tacky wie die auf der 6th Avenue. Ich hatte dabei eine meiner ersten Mitglieder aus dem Count Dracula Fan Club im Kopf: Adrienne Tollin. Die hatte einen Drachen auf den Rücken – und was für einen! Mit ihr und ihrem Gemahl bin ich früher manchmal zu Tätowierausstellungen nach Coney Island gefahren. «Es dauerte nicht lange, dann wollte Jeanne auch ein Hautbild.
»Meine jüngere Freundin Lydia«, so Jeanne, »ist Ärztin, arbeitet meist in Arabien und half mir. Zur Feier ihrer Scheidung, am Abend vor ihrem Geburtstag, einem Freitag, den Dreizehnten, hatte Lydia sich eine 13 stechen lassen. Sie kennt sich also aus. Letztes Jahr habe ich mir das Motiv ›Mom‹ stechen lassen, als Erinnerung an meine Zeit bei der Navy. Zum Stacheldraht-Tattoo kannst du dir deinen Teil selbst denken.
Dieses Jahr fand ich jedenfalls Mickey gut. Ich habe früher einen Artikel über ihn geschrieben. In der New York Public Library lagen damals alte Zeichnungen von Walt Disney, die später gestohlen wurden. Da mich der Bibliothekar mochte und ich ihn, wurde ich mit Mickey Mouse gut bekannt. Wussest du, dass Mickey ursprünglich ›Mortimer‹ heißen sollte?
Wie dem auch sei, mehr kann ich dir gar nicht mehr erzählen. Der Tätowierer hat nicht mit mir geredet und meine Schwester hat hinterher auch nichts gesagt. Sie hat wohl endlich eingesehen, dass ich mein eigenes Ding durchziehe.
Jetzt fahre ich nach Florida und dort, in Disneyland, treffe ich hoffentlich noch einmal Mickey. Letztes Mal hat er mich zum Abschied geküsst! Ist wohl meine zweite Kindheit …«
Well, my dear Jeanne – have safe and fun travels. Enjoy the childhood that you may have missed before. Thank you for being an inspiration, and keep on mingling past and present for us youngsters. Love and peace from the old world –
Yours –
You Know Who*
* extra in Englisch, damit Jeanne es lesen kann.