Lichtstrahlen in Moll

Quelle: Sonic Seducer 31(6) 2023 (Juni 2023)

Von Christoph Kutzer

Mit „Some Velvet Morning“ (2018) und „We Want It Darker“ (2021) haben die promovierte Musikwissenschaftlerin Dr. Bianca Stücker und Kriminalbiologe Dr. Mark Benecke bereits zwei gelungene gemeinsame Cover-Operationen vorzuweisen. Für „Songs Of Love And Sorrow“ taten sich die beiden ein weiteres Mal zusammen, um sich liebevoll dreier vollkommen unterschiedlicher Songs anzunehmen. Im Interview erwiesen sich die in verschiedenste Projekte involvierte Musikerin und Deutschlands vielseitig interessierter Vorzeigeforensiker als ausnehmend humorvolle und kurzweilige Gesprächspartner.

Foto: Chelsea B.

Eure erste offizielle Kooperation war „Some Velvet Morning“. Wie und wo habt ihr euch kennengelernt und das gemeinsame Musizieren ins Auge gefasst?

Mark Benecke: Das war vor zehn(tausend) Jahren. Da war ich Vampir in Biancas knorkem Lied „Starry Night“. Sie hatte ungefähr eine Million Kompars:innen eingeladen und in einem winzigen Auto die wohlschmeckende Verpflegung für alle untergebracht, außerdem Federn, Klimperzeug, Musikinstrumente, Nebelmaschine, Schminke oder wie das heißt und noch sehr viel mehr. Es war wie beim Ausdehnungszauber von Harry Potter, wo es im Zelt oder Koffer innen größer ist als außen.

Bianca Stücker: Zwölftausend! Mittlerweile schon vor zwölftausend Jahren. Aber in unserem Alter vergeht die Zeit ja so schnell, man sollte jetzt schon an die Weihnachtsgeschenke denken. Allerdings muss die Verpflegung damals jemand anderes unter- und mitgebracht haben, denn ich habe null Talent für Verpflegung. Ich bin froh, dass heut zutage so vieles tiefgekühlt verkauft wird. Vor zwölftausend Jahren war das noch viel schwieriger.

MB: In deiner Gegenwart fühle ich mich immer noch jung, wie eine Fledermaus im ersten Mondlicht.

BS: Ansonsten: alles richtig erinnert! Es war übrigens ein Video für The Violet Tribe, ein denkwürdiges Tanz- und Musizierensemble, das sich nach knapp vierzig tumultösen Shows und zwei Alben wieder auflöste.

Wie habt ihr den Schritt vom berühmt berüchtigten „Wir sollten unbedingt mal was zusammen machen“ zum freudigen „Die CD ist fertig“ geschafft?

BS: Es war eher umgekehrt: Auf einmal war die CD fertig! „Some Velvet Morning“ wurde damals noch von Winus Rilinger, einem gemeinsamen Bekannten, produziert, der die Idee dazu hatte, und zack, da war es direkt passiert. Wir hatten gar keine Zeit, uns überhaupt vorzunehmen, mal etwas zusammen zu machen! Und danach konnte man es ja praktisch schon Gewohnheit nennen.

Lee Hazlewood und Nancy Sinatra sind nicht unbedingt Goth-Ikonen. Der Song hat aber einen schrägen Zauber, der schon zur Szene passt. Verfolgt ihr insgeheim ein pädago gisches Konzept, das darauf abzielt, den Horizont der Leute zu weiten?

MB: Ab jetzt ja. Ich finde Lee & Nancy recht gloomig. Die beiden sind immer ein bisschen dysthym: Sie wirken gedämpft und um jeden Sonnenstrahl kämpfend, immer mit bemühtem Lachen, wie in einem Bötchen auf pechschwarzem Meer.

BS: Innerlich haben sie im Grunde schon die angenehm entgleiste Version von Lydia Lunch vorweggenommen!

MB: Auch äußerlich, sie bewegen sich wie in Zeitlupe... Steht in diesem Zusammenhang auch „Der Hund von Baskerville“ im Raum? Ich fürchte, es herrscht eine Menge Aufklärungsbedarf darüber, dass Cindy und Bert einst Black Sabbath gecovert haben…

Foto: Chelsea B.

BS:Unbedingt. Denn erst wenn wir Cindy und Bert covern, die Black Sabbath gecovert haben, schließt sich der Kreis.

Da „Some Velvet Morning“ euch nicht in den Goth-Olymp katapultiert hat, kam dann die Idee auf, das Image radikal einzudüstern, richtig? „We Want It Darker“! Was für eine Ansage…

MB: Klar, sie kommt ja vom Großmeister Leonard Cohen, den ich zum Glück noch live sehen durfte. Bei ihm hieß es „You Want It Darker“. Er war schwerst depressiv. Sein Sohn erzählte, dass Leonard Cohen am Ende nur noch deswegen Musik gemacht hat, um von seinen Rückenschmerzen und Depressionen abgelenkt zu sein. Bei seinen Konzerten konnte Cohen oft nicht mehr stehen, noch nicht mal sitzen, und hat dann im Knien gesungen, ich hab’s mit eigenen Augen gesehen. Die Leute im Publikum dachten, er gehe vor ihnen auf die Knie. Und das alles nur, weil eine Vertraute Cohen sein ganzes Geld abgeluchst hatte. Sonst wäre er nicht mehr auf Tournee gegangen. Finster.

Die Songs von Leonard Cohen haben eine Menge für den Freund düsterer Klänge und Gedanken zu bieten?

BS: Auf jeden Fall. Ich habe mir ein Leonard-Cohen-Album gekauft, nachdem ich im Kino mehrmals – zumindest nehme ich an, dass es mehrmals war; in Filme, die ich gut fand, ging ich für gewöhnlich immer mehrmals – „Natural Born Killers“ gesehen habe. Zur gleichen Zeit hörte ich ansonsten hauptsächlich Christian Death. Es musste also alles irgendwie zusammenhängen: Film, Cohen, Finsterkram!

MB: Die Sisters Of Mercy haben sich nach einem Lied von Cohen benannt. Bei einer Preisverleihung in Spanien hat er hauptsächlich vom Suizid seines örtlichen Lehrers berichtet. Im Chelsea Hotel in New York, das jetzt übrigens wieder geöffnet ist, hat er mit Janis Joplin getextet „We are ugly but we have the music“. Der langsam gedrehte, schwarzweiße Western „McCabe & Mrs. Miller“ von 1971 mit Cohens Musik ist auch in jeder Hinsicht niederdrückend und bedrängend. Mehr an tief empfundener, Klamauk- und großer Gesten-freier Schwärze als bei Leonard Cohen gibt es schwerlich. Er ist der manchmal vergessene Urkeim unserer Szene, übrigens auch im Bereich von BDSM. Hört euch mal den „Master Song“ an.

Bianca, du hast ja durchaus ein Faible für Glitzerndes, für Verspieltes. Ist es manchmal schwierig, diesen Spieltrieb im Zaum zu halten, um die Schwere der Musik nicht zu gefährden?

Foto: Chelsea B.

BS: Nicht nur ich, nicht nur ich! Mark und ich bringen uns gegenseitig zu jedem Treffen glitzernde Dinge mit, Einhörner, Büchlein mit Sinnsprüchen und funkelnden Vogelabbildungen, glänzende Starbucks-Gefäße, so etwas.

MB: Ich habe Bianca meine Lieblings-Thermostasse geschenkt, sie verläuft von violett nach pink. Selten habe ich so ein schönes Glitzern in den Augen eines Menschen gesehen!

BS: Und gegen glitzernde Töne ist selbstverständlich ebenfalls nichts zu sagen, Hackbrett und Cembalo klingen ja ein bisschen wie ein Lichtstrahl, der sich in den Kristallanhängern eines Kronleuchters bricht. Wichtig ist dabei nur, dass man solche Instrumente in Moll spielt, dann kann nichts passieren.

Sucht Mark als gelernter Spurensucher im Zweifelsfall einfach alle überflüssigen Spuren und löscht sie bei günstiger Gelegenheit?

MB: Ich suche nur kriminalbiologische Spuren. Biancas Hexenstüberl der Musik nebst der vielen Tonspuren durchschaue ich nicht. Bei ihr im Studio, das aussieht wie eine englische Teestube im Jahr 1750, steht ein echtes Spinett neben irgendwelchem Computerzeugs, drumherum fliegen echte Wellensittiche. Ich halt mich da raus!

BS: Richtig, richtig. Mark befördert das Anhäufen zahlreicher Spuren sogar eher: „Mach alles übereinander“, empfahl er bei seinen letzten Gesangsaufnahmen. „Mach alle Instrumente mit rein!“

MB: Das stimmt. Ich mag es klanglich gerne mal fett – wie bei Riesen-Orgeln in Domen oder Biancas magischem Spurensalat.

Mark, hast du ein Instrument gelernt? Soweit ich mich erinnern kann, wurden früher Blockflöten an alle Haushalte verteilt und Kinder gezwungen, einmal die Woche für eine Stunde gruppenweise hineinzublasen?

Foto: Chelsea B.

MB: Korrekt, Blockflöte war’s. Danach Quer flöte. Kann ich bis heute noch anblasen. (hüstelt). So heißt das wirklich. Das war aber alles eher Zufall, weil ich auf einer Schule war, auf der du neben Sport und Kunst auch Musik als Hauptfach im Abi nehmen konntest. Goldene Zeiten!

Ich bin mit damals so genannten Ballett-„Mädchen“, Fagottisten, einer professionellen Blockflötenspielerin – das gibt es tatsächlich – späteren Jazz-Berühmtheiten und so weiter dauernd in Berührung gewesen. Wir wusste alle nicht, dass das vielleicht etwas ungewöhnlich ist. Umgekehrt haben die Musiker:innen mit Fußballer:innen zusammen Unterricht gehabt – reiche, kluge, arme, verrückte, lustige, langweilige Menschen mit drögen, künstlerischen, bettelarmen Leuten. Das war cool, niemand hielt sich für anders. Alle waren irgendwie Spinner.

BS: Das könnte deine heutige Liebe zu meiner Blockflöte erklären!

… einem Instrument, das häufig geschmäht wurde.

BS:Völlig zu Unrecht. Wer weiß beispielsweise, ob es eine dermaßen florierende Mittelalterszene mit Bataillonen von Sackpfeifern gäbe, wenn sie nicht vorher schon Blockflötengrundkenntnisse gehabt hätten! Die Block flöten - grundkenntnisse ermöglichen den Sackpfeifeneinsteigern den Zugang zu den brachialen Lautstärken, die sie künftig hervorbringen werden. Schön ist das! Von Mark habe ich vor einigen Jahren übrigens mal eine gelbe Biene-Maja-Blockflöte geschenkt bekommen.

Seid ihr einander so unähnlich, dass ihr euch gut ergänzt? Klischeevorstellung Nr. 1: Die latent chaotische Multiinstrumentalistin wird vom kühl und strukturiert denkenden Wissenschaftler im Zaum gehalten…

MB: Mich treibt eher der Staub der nicht nur latent chaotischen Multiinstumentalistin in den Wahnsinn, der schon öfters in Interviews Thema war. Bianca staubt nämlich ihr Hackbrett nie ab, Nie! Warum? Ich habe sogar das Bedürfnis, anderen ihre Schlieren von der Brille zu putzen, aber unter die gefährlichen Saiten des Stückerschen Dulcimers darf ich nicht fassen, dann verstellt sich alles.

Schlimm!

BS: Ja, das ist schlimm. Ich besitze allerdings neuerdings, oder was heißt neuerdings, seit ein oder zwei Jahren, einen Akkusauger, nein, eigentlich zwei, einen für zu Hause, einen fürs Studio. Beide Akkusauger verfügen über ganz verschiedenartige Aufsätze für alle sich im Haushalt bietenden Gelegenheiten. Man kommt damit in alle Winkel, unter jeden Vorsprung, in die schmalsten Aussparungen hinein. Nur mit dem Hackbrett bin ich lieber vorsichtig, sonst hat man es gerade gestimmt, und zack, kann man wieder von vorne anfangen.

Ansonsten ist der einzige Unterschied zwischen uns, dass ich mir Haare anklebe und Mark sich nicht.

MB: Bianca trägt Leichenhaare als Extensions. Sie möchte aber glauben, dass diese von glücklichen, lebenden Menschen stammen.

Klischeevorstellung Nr. 2: Die glamouröse Diva wird durch den kühl und strukturiert denkenden Wissenschaftler geerdet. Oder gibt es doch zwei Diven unter euch?

MB: Eher zwei Prinzessinnen. Das neueste Megading sind kleine Kutschen mit echten Rädern, die ich von Bianca hin und wieder erhalte. Zuvor waren es rosa Schatzkisten mit Schlüssel und Sternen drin.

Amy Winehouse wurde immer wieder als Diva bezeichnet. Gab es Hemmungen, einen Song von ihr zu covern – und dann gleich noch einen der bekanntesten? Da wird ja doch verglichen...

Foto: Chelsea B.

BS: Doch, ja, Hemmungen gab es, aus genau diesem Grund. Und es war auch noch meine Idee! Meine Idee, meine Hemmungen! Die Hemmungen habe ich dann aber überwunden, weil das Original zwar an sich schon vollkommen perfekt ist, sich allerdings ebenso perfekt in den Zusammenhang einfügte, der sich durch die wirklich traurigen, die größten Ängste und Verluste behandelnden Texte ergab. Also dachte ich: Ist egal, wir machen da jetzt einfach was draus, womit man nicht rechnet – und schon hatte sich das charakteristische Klavier in ein Cembalo verwandelt und der ganze andere Klimbim gesellte sich ebenfalls in Windeseile dazu.

Womit wir beim neuen Werk wären. „Songs Of Love And Sorrow“. Die drei Songs vereint, dass sie jeweils Liebe und Seelenpein vereinen?

BS: Richtig. Und ich würde sagen, es geht noch weiter: Die Texte aller drei Stücke transportieren ein regelrecht archaisches Empfinden von Verlust. Den ungebändigten Schmerz des Zurückgelassenseins. In einer Intensität, dass es kaum auszuhalten ist, wenn man sie sich genau anhört. Diese schreckliche Hilflosigkeit hat aber auch etwas Positives: Wenn man sich in die Situation eines Verlassenen oder Hinterbliebenen hineinversetzt, macht man sich bewusst, wie wertvoll es ist, einen oder mehrere Menschen um sich haben zu dürfen, die einem etwas bedeuten.

Wie fanden ausgerechnet diese drei Kandidaten zusammen?

BS: „Gloomy Sunday“ begleitet mich schon, seit ich es das erste Mal von Gitane Demone gehört habe. Da war ich fünfzehn. Ich liebte Gitane und ich liebte dieses Lied! Mark ist Dead-Can-Dance-Fan und kannte darum „I Am Stretched On Your Grave“ in der Liveversion, genau wie ich. Und „Back To Black“ rundete die ganze Sache dann einfach sehr passend ab.

MB: Die drei Lieder geben uns den Vorwand, wieder tiefschwarze Videos zu drehen. Eins davon ist schon erschienen.

„Gloomy Sunday“ stand mal im Ruf, Menschen zum Suizid zu bewegen. Ist melancholische Musik nicht eigentlich ein Ventil, um gegebenenfalls dunkle Gefühle rauszulassen und so am Leben zu bleiben?

MB: Das ist unbekannt. Wir haben ja gehirnsprengend viele Suizide weltweit – in Deutschland gibt es fast fünfzigmal mehr Selbsttötungen als Morde. Meine bisherige Erfahrung besonders auf Gothic-Festivals ist, dass es erleichternd wirkt, zu sehen, dass viele Menschen ähnlich fühlen und wie sie damit – oft ganz natürlich – und selbstverständlich umgehen und gegenüber dem Tod entspannter werden als viele, die nichts so sehr fürchten, als nach einem langen Leben zu sterben.

Im Gegensatz zu „Some Velvet Morning“ handelt es sich bei den Originalen nicht um Duette. Macht das die Sache einfacher, weil man sich nicht von einer Vorlage lösen muss?

BS: Das gehen wir tatsächlich eher pragmatisch an: Erst mal so viel wie möglich aufnehmen und dann schauen, wie es sich am besten arrangieren lässt. Aus „Back To Black“ hätte sich sogar recht leicht ein Duett machen lassen, aber die Idee haben wir dann wieder verworfen.

Letztlich gehe ich beim Arrangieren und Mischen danach, was ich intuitiv am schönsten oder passendsten finde – und komme auf diese Weise zu einem nicht immer schon zu Anfang vorhersehbaren Ergebnis.

Der Form-Follows-Function-Remix ist geradezu tanzbar. Seid ihr im Club eher Hörer und Beobachter der Tanzfläche oder selbst bewegungsfreudig?

MB: Als ich das letzte Mal auf einer BDSM-Party auf einer Art Schrottplatz mit brennenden Rohren getanzt habe, sagte eine autistische Freundin (schonungslose Ehrlichkeit!) zu mir: „Mark, das kannst du nicht so gut, lass es besser.“ Tja! Der „Wednesday“-Tanz aus der Netflix-Serie den ich mit meiner Frau und Bianca bei Tiktok tanzte, erfreute sich dann aber doch ungewöhnlich großer Beliebtheit. Es geht auf und ab. Bianca muss gar nicht tanzen, sie kann schon mit ganz kleinen Bewegungen ihres Körpers die Menge verzaubern, sie veranstaltet sogar selbst einmal im Jahr ein fantastisches Tanz-Festival.

BS: Tanzen im Club fand ich schon immer gut, Unterhalten ist ja auch Quatsch bei den Laut - stärken. Außerdem finde ich gut, dass sich in der Szene jeder so bewegt, wie er meint. Seltsamkeit ist ausdrücklich erlaubt, besser geht es doch gar nicht! Und beim „Wednesday“-Tanz waren wir alle besonders seltsam. Läuft also wirklich bei uns!

Ihr tanzt jedenfalls auf vielen Hochzeiten. Wie funktioniert es, so viele Dinge zu tun, sie gut zu machen, euch nicht zu verzetteln und auch nicht nur getrieben zu fühlen?

BS: Ich muss ehrlich sagen, dass ich mich tatsächlich schon fast mein ganzes Leben eher getrieben fühle. Das muss aber nicht automatisch negativ sein. Oft ist es im Gegenteil sehr schön, wenn ich am liebsten alle Dinge gleichzeitig tun möchte, weil es ja schöne Dinge sind, die ich mir alle so ausgesucht habe. Tatsächlich verzettele ich mich selten, weil ich mir für alles, was wichtig ist, Fristen und Termine setze. Auch für Kleinigkeiten. Schwierig ist es für mich eher, einfach mal nichts zu tun. Das bleibt eine Herausforderung.

Ist die vielseitige Beschäftigung mit allen möglichen Dingen der Grund dafür, dass es anstelle eines Albums mehrere Kleinformate von euch gibt?

BS: Das hat eher logistische Gründe, wir schreiben zwar immer haufenweise Mails, aber Termine zum Aufnehmen oder Fotosmachen oder für Videodrehs zu finden, ist gar nicht so leicht, und bei einem ganzen Album wäre der Aufwand noch größer. Also hauen wir – zumindest bisher – einfach mal ab und zu ein paar Kleinigkeiten raus.

MB: Es sollen Perlen werden, Black Pearls – nicht das Schiff, sondern glitzernde Kleinode. Ich habe beispielsweise ein sehr schönes Video mit Dennis Ostermann im Kitkat-Club in Berlin zum „Master Song“ von Cohen gemacht, remixed von der Patenbrigade: Wolff. Als nächstes kommt ein Video mit Finja in einem riesigen, verrosteten Industriepark, davor haben Bianca und ich das gesamte Hotel „Friends“ in Düsseldorf für ein Video nutzen dürfen.

Bei aller Düsternis spielt auch Humor eine Rolle. Ich empfinde beispielsweise die neuen Fotos als sehr ästhetisch, aber auch als geschmackvoll over the top. Totes Brautpaar, Badevergnügen im Styx…

Foto: Chelsea B.

MB: Mit Bianca in der Badewanne ist es eher anstrengend. Die Wassertemperatur! Die Rosen piksen! Das Greenscreen-Tuch in der Wanne fusselt! Meine Kleidung wird durchsichtig! Und so weiter. Ich habe mir jetzt – und das ist kein Witz – einige „Ja, Schatz“-Buttons gekauft, die trage ich, wenn ich mit Bianca humorige oder – Gott behüte – romantische Dinge aufführe. Nicht umsonst heißt es in einem früheren Lied von uns: „Look, Don’t Touch“, so ist sie. Schwierig zu zweit in der Wanne! Schräg humorig ist auch ihre Fixierung auf Haare, über die sie jederzeit gerne spricht.

BS: Das stimmt, auch heute ja erst wieder (lacht). Ich weise einfach gern auf meine Ersatzteile hin, das beugt hässlichen Gerüchten vor.

MB:Wer über dich hässliche Gerüchte verbreitet, kriegt es mit meinen Dämonen zu tun!

Ein Zimmer voller Instrumente: Das ist der Traum jedes Musikers. Und der Alptraum jeder Putzfrau. Bianca: Wie löst du dieses Problem?

BS: Gar nicht. Ich sauge mit dem bereits erwähnten Akkusauger drumherum, das muss reichen!

Da muss ich doch nochmal auf die Spurensuche zurückkommen. Mark: wie groß ist die Versuchung, den vorhandenen Staubspuren investigativ auf den Grund zu gehen?

MB: Oh mein Goth, zum Glück ist unser Gespräch hier zu Ende. Googelt mal „Benecke Navel Lint Study“, das ist eine Studie von mir zu Fusseln und Fasern in Bauchnäbeln. Aber wie gesagt, bei Bianca gilt: Look, don’t touch...

Foto: Chelsea B.

Foto: Chelsea B.

Wellnessflair und Busverkehr:

Die Doktorin im Arbeitseinsatz

Bianca Stücker ist Autorin, Musikerin, Tätowiererin und Tänzerin, hat Musikwissen-schaft, Kunstgeschichte und Geschichte studiert und besitzt ein Kirchenmusikexamen. Viele Beschäftigungsfelder, viele Möglichkeiten, den Lebensunterhalt zu bestreiten. Manchmal unter denkwürdigen Bedingungen. Hier informiert Bianca über Erfahrungen aus ihrem Berufsleben:

Lesung in der Sauna

Ich war engagiert worden, in einem Ruheraum einer Saunalandschaft etwas vorzulesen – die Gäste traten zunächst nackt ein, hüllten sich dann jedoch in ihre mitgebrachten Bademäntel oder Handtücher. Es war interessant! Das Gleiche ereignete sich noch ein zweites Mal, allerdings dann mit drei Tanzauftritten, das war etwas anstrengender als die Lesung, denn die Tanzkostüme verfügten über reichhaltigen Klimbimbesatz, der in der tropischen Atmosphäre schnell sehr schwer und klamm wurde.

Erfindung einer Gothic-Party

Den ersten Termin der Veranstaltungsreihe be-stritt ich als DJ sehr optimistisch mit nur sechs gebrannten CDs. Später brachte ich dann ein paar mehr mit.

Konzert bei der Castle Party/Polen

Wir kamen auf die Idee, am gleichen Abend wieder zurückzufahren. Schwierigkeit: Die einzige hellwache Person im Bandbulli konnte nicht fahren, bot aber allen anderen hilfsbereit ihre Guaranakaugummis an. Vierundzwanzig Stunden später kamen wir überraschend heil wieder in Deutschland an.

Eine legendäre Unterhaltung

Mein Mann sprach mit der Mitarbeiterin der Autovermietung am Flughafen in San Francisco, als wir mit dem Violet Tribe dort spielten. Ich saß am Steuer. Mein Mann: „What is with the Mautstraßen?“ Die Mitarbeiterin überlegte einen Moment und glaubte dann erraten zu haben, was er gern wissen wollte: „Yes, she can drive.“

Es gab auch eine Reihe obskurer Jobs, zu denen ich nur aus Neugier und auch konsequent nur einen Tag lang erschien. Etwa: Ein Tag bei McDonald’s, ein Tag in der Pathologie und ein Tag als Tanzlehrerin in einer Schule für angehende Justizvollzugsbeamte.

www.bianca-stuecker.com

Zikaden und Patenbrigaden:

Der Doktor in Bild und Ton

Mark Benecke ist nicht nur ein großer Freund der Schwarzen Szene und ihrer Musik, er trat in der Vergangenheit auch immer wieder als Inter-pret in Erscheinung oder hatte Gastauftritte in Clips. Für uns kommentiert er einige der Veröffentlichungen und Videos, an denen er beteiligt war.

In Strict Confidence: „Seven Lives“ mit Annie Bertram (2004)

Ein Video, gedreht in einem verfallenen Krankenhaus. Dennis von In Strict ist nicht nur Musiker, sondern auch ein toller Fotograf. Bei diesem Dreh stand allerdings die liebe Annie an der Kamera – das Ergebnis ist denkwürdig. Normalos, die Dennis nicht kennen, glauben, es wären Spezial-Effekte und wir würden uns ineinander verwandeln. Dennis hat im Gegenzug im Kitkat-Club ein liebevoll-einfühlsames Video für unsere Cohen-Platte gedreht. Mir laufen bis heute Schauer über den Rücken, wenn ich es sehe.

Patenbrigade: Wolff: „Baustoff (Popmusik für Rohrleger)“ (2009)

Die Brigadist:innen sind die coolsten Menschen der Erde. Sie machen wenige Worte, aber sehr viel fantastische Musique. Und schicke Klamotten. Und ich bin ihr Brigade-Arzt auf der Bühne und verarzte (das heißt zerstöre) ihre Synthesizer, auch wieder live beim Wave Gotik Treffen 2023. Eine komplette Schallplatte mit mir nur über Baustellen-Unfälle zu machen – das bringt nur eine einzige Band, nämlich P:W.

Sara Noxx: „Where The Wild Roses Grow“ (2010)

Sara Noxx: „Jeanny“ (2016)

Sara Noxx: „Vampire“ mit Silent View & Annie Bertram (2020)

Hundert Prozent magisch. Noxx hat sehr starke Gefühle, das spiegelt sich bei ihr schon in kleinsten Mimik- und Gestik-Änderungen wieder, es war sehr aufregend. Mit Annie haben wir ein Video auf einem verlassenen, russischen Gelände gedreht. Das war außerirdisch schön, und Silent View haben völlig unerwartete Bilder erzeugt. Ganz großer Respekt.

Hell-O-Matic: „Maggots“ (2015)

Thomas ist nicht nur Rockstar, der beim WGT schon auf der Bühne einen (Backstage ange-kündigten) Kampf mit einem seiner Bandmitglieder ausgetragen hat, sondern auch ein milder, einsichtiger Mensch, der das Schöne schön darstellt. Im Fetisch-Foto-Bereich hat er eine cleane Stilrichtung erfunden, die lange der Standard war. Er spielt auch in einem sehr lustigen Video als Gast mit, vielleicht entdeckt es jemand von euch?

Noisuf-X: „Killer“ (2018)

Das krasseste Tonstudio, das ich je gesehen habe. Ich habe dem Noisuf-Mastermind versprochen, nichts zu verraten, nur so viel: Höchstqualitativer Minimalismus in unerwarteter Form. Ihr werdet es vermutlich nie sehen, aber stellt euch ein Raumschiff an einem Ort vor, an dem ihr es am allerwenigsten erwartet.

Massiv in Mensch: „Magicicada“ (2022)

Menschlich, freundlich, gütig. Wir haben unsere gemeinsame Liebe und das Erstaunen über Grillen (Zikaden), die viele Jahre – teils fast zwei Jahrzehnte – in den Vereinigten Staaten als Larven in der Erde leben, in harte, Elektro-Musik gegossen. Fetzt, zirpt, tanzbeint, und zwar sechsbeinig!

Es gibt auch noch allerlei Hörspiele (John Sinclair), Dokumentar-Filme (Schweinchen; Tom Bombadil) und Video-Kommentare (Kettensägen-Massaker 2) mit mir, aber das erzähle ich dann ein andermal. Jetzt ist erst mal Amphi- und WGT-Saison, juhuuu, ich freue mich.

www.home.benecke.com


Songs of Love and Sorrow

Bianca Stücker & Mark Benecke


Wie Rosen und Glitzer gegen Traurigkeit helfen

Songs of Love & Sorrow, 2023


We want it darker

A tribute to Leonard Cohen


WGT 2023

Schlaglichter


Songs of Love and Sorrow

Sonic Seducer / Interview


Bianca Stücker & Mark Benecke

Orkus!-Interview