Quelle: SWR, 16. Juni 2023, der Artikel als .pdf
Von Björn Widmann
In Ecuador ist eine lebende Frau für tot erklärt worden – und erst im Sarg hat sie sich bemerkbar gemacht. Forensiker Dr. Mark Benecke erklärt, wie man den Tod sicher erkennt.
Es ist eine fast unglaubliche Geschichte: Eine 76 Jahre alte Frau wird in Ecuador für tot erklärt und in einen Sarg gelegt. Während der Totenwache beim Bestatter klopft sie plötzlich von innen an den Sarg und zeigt: Ihr habt mein Ableben zu früh angenommen.
Als bei der Totenwache plötzlich Geräusche aus dem Sarg einer Frau zu hören sind, öffnen ihre Angehörigen den Deckel und sind entsetzt. Jetzt ist Bella wirklich tot.
Da fragt man sich doch zwangsläufig, wie man denn merkt, ob jemand tot ist. Und vor allem: Wie merken eigentlich die Profis, ob sie es mit einer Leiche zu tun haben oder ob doch noch Leben in ihrem Gegenüber steckt?
Viele Geschichten über tot erklärte Lebende
Berichte darüber, dass Lebende für tot erklärt werden, gab es in den letzten Jahrhunderten immer mal wieder, sagt der Kölner Forensiker Dr. Mark Benecke im Gespräch mit SWR3. Oft seien diese Geschichten aber nicht mehr überprüfbar.
Ganz anders bei Bella aus Ecuador – ihre Geschichte ging um die Welt. Und das zu Recht, sagt Benecke: „Die Aufbahrung dient gerade dazu, ein mögliches Wiedererwachen zu bemerken.“
Versehentlich für tot erklärt werden bei uns nahezu ausgeschlossen
Allerdings ist eine Geschichte wie die von Bella in der heutigen Zeit eher eine krasse Ausnahme: „In einem modernen Krankenhaus kann das nicht passieren, weil da viele Lebenszeichen gut gemessen werden“, sagt der Forensiker.
Er kann sich aus den letzten 30 Jahren nur an Wiedererwachte erinnern, die danach trotzdem sehr schnell verstorben seien. „Oder es geschah in armen Ländern, in denen die medizinische Ausbildung nicht so gut war.“
Ist man tot, wenn das Herz nicht mehr schlägt?
Wir kennen es aus vielen Filmen und Serien: Jemand liegt im Krankenhaus, im Hintergrund piept das EKG-Gerät – und plötzlich ist ein langer Ton zu hören und auf dem Display ist kein Herzschlag mehr zu sehen. Der Patient ist tot.
Aber wie ist das im wahren Leben, wenn kein Herzschlag mehr gemessen wird? Wird man dann automatisch für tot erklärt? Nein, sagt Benecke – die Messung der Gehirnleistung ist ausschlaggebend: „Hier bestimmen mehrere Ärzt:innen unabhängig voneinander, ob die Person nichts mehr empfinden, spüren, wahrnehmen kann.“ Das ist zum Beispiel bei Menschen wichtig, die Organe spenden: „Die Person wird erst zu Organentnahme freigegeben, wenn Einigkeit herrscht.“
Wie stellen Polizisten fest, ob jemand tot ist?
Außerhalb von Krankenhäusern gibt es andere sichere Anzeichen, dass ein Mensch nicht mehr lebt. Zum Beispiel, wenn Polizisten oder der Rettungsdienst gerufen werden, wenn jemand nicht mehr ansprechbar ist.
Hier gilt zum Beispiel die Leichenstarre als sicheres Todesanzeichen, sagt Benecke: „Muskeln, beziehungsweise Gelenke sind nicht mehr beweglich, bis die Fäulnis durchschlägt – und das Absinken der Körpertemperatur auf Raumtemperatur.“
Körpertemperatur kein sicherer Hinweis auf Tod
Auch die Körpertemperatur kann ein Zeichen für das Ableben eines Menschen sein. „Letzteres ist neuerdings aber schwierig, weil es so heiß geworden ist.“ Also richtet man sich außerhalb von Kliniken und Arztpraxen doch eher nach der Leichenstarre. „Und Totenflecke, also das Absinken des Blutes Richtung Erdmittelpunkt“, sagt Benecke.
Ob Körpertemperatur, Leichenstarre und Totenflecke bei der armen Bella in Ecuador fachkundig überprüft wurden, ist nicht klar. Die Klinik in der Stadt Babahoyo hat bisher keine Stellungnahme zu dem Fall abgegeben.
Gibt es Krankheiten, die einen tot aussehen lassen?
Aber: Medien in Ecuador berichten, Bella habe an Katalepsie gelitten. Das bedeutet, dass sich Bellas Muskelspannung erhöht hat und sie in einer – möglicherweise auch sehr unbequemen – Stellung im Bett lag, weil sie ihren Körper nicht mehr bewegen konnte.
Aber kann ein Arzt eine Katalepsie wirklich mit einer Leichenstarre verwechseln? Das kommt ganz auf den Fachmann oder die Fachfrau an, sagt Forensiker Benecke. „In vielen Kulturen gilt ein Priester als Fachmann, ein Coroner, Bestatter:innen oder Dorf-Älteste.“ Das habe manchmal gravierende Folgen, denn „da schwankt das Wissen und die Messleistung“, sagt Benecke.