Aus dem Institut für Rechtsmedizin der Universität zu Köln
(Direktor: Prof. Dr. med. M. Staak)
Von Dipl.-Biol. Mark Benecke, ALS
Quelle: Archiv für Kriminologie 199, 167-176 (1997) (Dies ist eine Rohfassung -- Originalfassung über jede Universitätsbibliothek oder den Autor erhältlich. Scientist, go get the real version!).
Einführung
Die auf Leichen lebenden Gliederfüßer (Arthropoden) können Todesermittlungen durch verschiedene aus jenen ableitbare Schlüsse unterstützen. Neben der Bestimmung der Leichenliegezeit sogar skelettierter Körper (z.B. Lord et al. 1994) ist ein Strauß weiterer Untersuchungen möglich, beispielweise zur postmortalen Verlagerung einer Leiche und zur Intoxikation eines Körpers (Goff & Lord 1994), ggf. auch hier noch nach bereits erfolgter Skelettierung. Auch in in Arbeitsprozessen (Nuorteva 1977), Fällen von Kindesvernachlässigung (Lord 1990), hygienisch-rechtsmedizinischen Fragen (Benecke, eingereicht) und bei der Ermittlung weit von Tatort entfernt lebender Täter (Webb et al. 1983, Prichard et al. 1996) wurden arthropodenkundliche Untersuchungen erfolgreich angewendet. Mittlerweile sind neben den notwendigen Wachstumskurven der Tiere (Reiter 1984, Nishida 1984, Smith 1986) auch viele der möglichen Abweichungen statistisch erfaßt (Schoenly 1992, Schoenly et al. 1996, Introna et al. 1989).
Während im franko-belgischen Raum und in den U.S.A. bereits polizeiliche entomologische Abteilungen eingerichtet wurden (u.a. bei der französischen Gendarmerie Nationale und beim FBI; siehe auch Leclercq et al. 1973, Leclercq et al. 1988, Lord 1990, Nuorteva 1977, Héduin et al. 1996, Catts & Goff 1992), fehlt im deutschsprachigen Raum zumindest unter Wissenschaftlern häufig das Bewußtsein oder die technische Ausstattung, um die enormen Möglichkeiten der rechtsmedizinisch angewandten Insekten- und Spinnenkunde zu nutzen.
Der entscheidende Schritt vor der fachkundigen Bestimmung der Tiere ist dabei die richtige Asservierung des Tiermaterials. Nur eine sachgemäße Aufbewahrung ermöglicht dem insektenkundlich Arbeitenden später die richtige Artbestimmung anhand eines oder mehrerer der folgenden Merkmale der Tiere, von denen im Einzelfall jedes entscheiden kann, ob die Bestimmung möglich ist oder nicht: Größe, Körperanhänge (Borsten, Antennen, Spirakel), Farbe, Verhärtungsgrad der Körperhülle. Um möglichen natürlichen Variationen Rechnung zu tragen, müssen zudem genügend Tiere derselben Art von einer Leiche (und, sofern Tatortarbeit möglich ist, aus der Umgebung) gesammelt werden. Wünschenswert ist darüberhinaus eine gute fotografische Dokumentation der Funde an der Leiche. Die Erfahrung lehrt, daß am Fundort meist keine Makroaufnahmen mit gleichzeitig abgelichtetem Millimetermaßstab gemacht werden, oder daß der Fotograf nicht die Arthropoden, sondern die unter ihnen liegenden Bereiche scharfstellt. Die sichere Bestimmung von Insekten anhand von Fotos ist zwar nahezu unmöglich, in Einzelfällen erlauben gute Aufnahmen jedoch Aussagen zu stark eingegrenzten, aber dennoch z.B. in einem Gerichtsverfahren relevanten Fragen wie dem ungefähren Zeitpunkt der Verbringung von Leichen ins Freien (Benecke, unveröffentlicht). Gute Übersichtsfotos können zudem die Lokalisation der Tiere dokumentieren. Diese Ortsinformation kann dabei helfen, für Arthropoden zugängliche von nichtzugänglichen Oberflächenbereichen einer Leiche darzustellen.
Sammel- und Aufbewahrungsmethoden
a. Allgemeines
Die grundsätzlich richtige Art, jeden Gliederfüßer für die forensisch-entomologische Untersuchung aufzubewahren, ist die Lagerung in einem mit 70% Ethanol gefüllten Schnappdeckelgläschen. Auch durchsichtige Kleinbildfilmdöschen oder verschraubbare Plastikreagenzgläser mit rundem Boden haben sich gut bewährt. 1,5 mL-Eppendorf-Reagiergefäße und Zentrifugengläschen können wegen des spitz zulaufenden Bodens schlecht verwendet werden, da in diesem häufig Teile der Tiere durch Adhäsionskräfte festgehalten werden.
Ist am Leichenfundort kein 70% Ethanol zur Hand, kann für die Dauer einiger Tage auch problemlos Rum, Klarer o. dgl. in einem beliebigen verschließbaren Gefäß eingesetzt werden. 70% Alkohol hindert einerseits Pilze, Hefen, Baktien und andere Insekten an der Zerstörung des Asservates und hält die Tiere anderereits geschmeidig. Die Beweglichkeit der Körper- und Beinglieder, die beim Trocknen rasch verlorengeht, ist in der rechtsmedizinisch angewandten Entomologie beispielsweise wichtig, um die Existenz von lateral an der Hinterseite des Brustkorbes befindlichen Hypopleuralborsten von Fliegen zu prüfen. Dieser Borstensaum (Abb. 1) ist häufig schwer einsehbar, erlaubt jedoch die sichere Unterscheidung von Schmeißfliegen (Calliphoriden) und Musciden, zwei an Leichen häufigen Fliegenfamilien, die sich äußerlich gelegentlich täuschend ähneln, aber verschiedene Wachstumsraten und ökologische Umfelder repräsentieren können. Alkohol ist (neben Tiefkühlung der Tiere in situ) auch ein geeignetes Lagerungsmittel, um ggf. später DNA-Profile zur Artbestimmung herzustellen (Post et al. 1993, Sperling et al. 1994). Bei den Untersuchungen des Autors hat sich im Zusammenhang mit der DNA-Analyse auch folgende Rezeptur als Lagerungsflüssigkeit für wirbellose Tiere bewährt:
100 mM Trishydroxymethylaminoethan (Tris)
100 mM Ethylendiamintetraessigsäure (EDTA)
2% Natriumdodecylsulfat (SDS)
10 mM Kochsalz (NaCl).
Sofern dies wünschenswert erscheint, lassen sich Maden vor der Überführung in Alkohol durch Begießen mit heißem Wasser (80°C) töten. Die nach dem Schlupf zurückbleibenden braunen Tönnchen können trocken gelagert werden, in der Praxis hat sich aber auch hier die Verwendung von Alkohol bewährt, weil die abgesprengten Tönnchendeckel im Trockenen durch elektrostatische Anziehung im Plastikgefäß festgehalten werden.
b. Sammeln der Tiere
Maden können mit gummibehandschuhten Händen oder einer Pinzette in jedwedes saubere verschließbare Gefäß überführt werden. In den meisten Fällen ist eine Trennung der Maden von verschiedenen Bereichen der Leiche nicht notwendig, da ohnehin zahlreiche der Maden durchmustert werden müssen und Artunterschiede dabei ins Auge stechen. Dennoch sei darauf hingewiesen, daß Fliegenweibchen ihre Eier als Eiballen an einer oder wenigen Stellen ablegen und daher Maden gleicher Eltern anfangs in fleckenartiger Verteilung vorgefunden werden. Es kann die spätere Bestimmung erleichtern, wenn die Tiere jedes Fleckens in separate Gefäße gebracht werden. Neben Maden sollten auch geschlüpfte Tiere unbedingt aufgesammelt werden. Diese sind leichter zu bestimmen und geben rasch erste Hinweise auf die zu erwartende Leichenfauna. Adulttiere, vor allem Käfer, finden sich meist unter trockeneren Bereichen der Leiche, häufig im oder unter dem Haarschopf. Fliegen können bei Temperaturen unter 12°C-15°C nicht selten mit der Hand oder in einem umgestülpten Gläschen gefangen werden, wenn sie auf einer Hautpartie der Leiche rasten bzw. in beginnende Kältestarre fallen.
Tot vorgefundene Adulttiere sind in der Regel ebensogut zu bestimmen wie frisch gesammelte, da die anatomisch bedeutsamen Merkmale erhalten bleiben, wenngleich insgesamt eine Schrumpfung (Vertrocknungsartefakt) möglich ist. Dies gilt auch für frischtote Maden (Abb. 2). Bei Adulttieren, vor allem bei bereits verstorbenen, sollte eine Federstahlpinzette, ein Pinsel o. dgl. zum Aufsammeln benutzt werden, damit die Tiere nicht zerbrechen bzw. damit relevante Körperanhänge nicht abbrechen. Es gilt jedoch die Regel, daß selbst ein kleiner Bruchteil eines Tieres noch zur erfolgreichen Bestimmung genügen kann (etwa ein einzelner Flügel: Benecke 1996b). Auch die verlassenen Tönnchen von aus der Puppe geschlüpften Tieren können zur Bestimmung herangezogen werden (z.B. Reiter & Wollenek 1983).
Beschriftung - Je detaillierter die Fundorte und-zeitpunkte der Tiere festgehalten sind, umso genauer kann die Analyse später durchgeführt werden. Während es im Sektionssaal genügen mag, die Leichennummer mit einem wasserfesten Filzstift auf allen verwendeten Gefäßen zu notieren - Detailinformationen finden sich auch später noch in den Akten -, ist es im Freiland notwendig, Datum, Witterung, Fundort und Name des Untersuchers zu dokumentieren. In der entomologischen Praxis ist es üblich, auf die häufig nicht lösungsmittelbestsändigen Filzmarker zu verzichten und stattdessen einen mit Bleistift deutlich lesbar beschrifteten, kleinen Zettel zu den in Alkohol gelagerten Tieren zu fügen. Tiere, die auf eine Insektennadel gespießt und im Insektenkasten gelagert werden, müssen mithilfe kleiner beschrifteter Pappschildchen, die unter dem Tier mit derselben Nadel aufgenommen werden, markiert werden.
Alle für die Lagerung notwendigen Gläschen, Nadeln, Papp-plättchen und Kästen sind in Fachversänden erhältlich (z.B. Firma K&K GbR, Ratingen).
c. Zucht
Ein Teil der Maden sollte, nachdem deren Länge und/oder deren Einzelgewicht erfaßt wurde (vgl. Wells & LaMotte 1995), in Alkohol aufbewahrt und ein weiterer Teil zu erwachsenen Tieren aufgezogen werden. Bei der Hälterung müssen - ohne an dieser Stelle auf weitere Details eingehen zu können - folgende grundsätzliche Bedingungen beachtet werden:
Feuchtigkeit - Die meisten Insekten- uns Spinnezuchten sind erfolglos, weil die Tiere vertrocknen. Es ist unabdinglich, ein Stückchen feuchtes Papier (Kleenex, Taschentuch) oder feuchte Erde in das Zuchtgefäß zu bringen. Obgleich Feuchtigkeit für die Entwicklung der Tiere zwingend notwendig ist, sollen vor allem verpuppte Tiere nicht direkt mit Wasser in Berührung kommen. Daher empfiehlt es sich, das feuchte Tüchlein mit einem schmalen Streifen Klebeband unter den Deckel des Gefäßes zu kleben oder die in Abb. 3 dargestellte Apparatur zu benutzen.
Sauerstoff - Arthropoden sind wie der Mensch auf Sauerstoff zur Atmung angewiesen. Zuchtbehälter müssen daher immer Atemöffnungen aufweisen. Die Öffnungen dürfen aber den Durchtritt von Maden (die ihre Umgebung intensiv erkunden) nicht erlauben. Unter Lufabschluß kommt es nicht nur zu Erstickungen der Tiere, sondern es bildet sich zudem Schimmel, der die toten Tiere zerstört.
Nahrung - Maden, deren Darm noch nicht entleert ist (der gefüllte Darm ist von oben deutlich als dunkler Schimmer zwischen dem Fettgewebe sichbar, vgl. z.B. Abb. in Reiter & Hajek 1984), sollten mit feuchten Fleischstückchen (für Schmeißfliegen) oder altem Käse (für Piophiliden) gefüttert werden. Vor allem frühe Leichenbesiedler sind in ihrer Nahrungswahl nicht sehr anspruchsvoll; es empfiehlt sich aber, jüngere Tieren (bis etwa 1 cm Länge) mit autolytischem feuchtem Fleisch zu füttern, da sie dieses mit ihren kleinen Kiefern besser aufnehmen können als Frischfleisch.
Maden können sich vor allem in späteren Entwicklungsstadien auch ohne zusätzliche Fütterung verfrüht verpuppen (z.B. Smirnov & Zhelochovtsev 1926), weisen in diesen Fällen aber nach dem Schlüpfen eine geringere Körpergröße als der Durchschnitt der Art auf. Diese Fehlerquellen - artefizielle Entwicklungsdauer und Körpergröße - sollen bei der Zucht ausgeschlossen werden, um eine evtl. gewünschte Rückrechnung der Todeszeit anhand der Standardwachstumskurven zu ermöglichen. Größere Maden, deren Darm bereits entleert ist, befinden sich kurz vor der Verpuppung und sollten in ein sauberes Gefäß, das lediglich trockene Rindenstückchen, trockene Blätter, ein zerknülltes sauberes Papierttuch o.ä. enthält, gebracht werden: Die Tiere verkriechen sich gerne in Spalten, wo sie sich verpuppen und schließlich ausschlüpfen. Geschlüpfte Tiere benötigen noch einige Zeit, um die Flügel zu entfalten und ihr Chitinaußenskelett zu härten. Um diese Phase zu fördern (ausgehärtete Tiere zerbrechen bei der Bestimmung meist nicht), sollten nach dem Schlupf wenige Tropfen Zuckerwasser als erste Mahlzeit auf den Boden des Wohngefäßes getropft werden. Umgebungsbedingungen - Als Zuchttemperatur hat sich in unserem Labor ein Bereich um 18°C-28°C bewährt. Wichtig für die spätere Rückrechnung der Todeszeit ist dabei die dauernde Aufzeichnung der Temperatur mittels eines Schreibers oder zumindest das mehrtägige Ablesen und Niederschreiben derselben. Für einen kontinuierlichen (und damit besser reproduzierbaren) Entwicklungsgang ist es sehr hilfreich, wenn keine tageszeitlichen oder sonstigen Temperaturschwankungen auftreten. Während viele leichenassoziierte Fliegen ihre maximale Wachstumsgeschwindigkeit bei Temperaturen über 30°C erreichen (Schumann 1971, Reiter 1984), wird die Entwicklung unterhalb von 12°C extrem verlangsamt oder vorübergehend gestoppt (z.B. Hédouin et al. 1996). Einzelheiten zur Wirkung von Kältephasen und Hitze auf die Entwicklung von Fliegen finden sich in Rosales et al. 1994 und Davison 1969, Turner & Howard (1992) untersuchten die Wärmeabgabe von Madenschichten. Desinfektionsmitteldämpfe und Insektizide können das Wachstum der Tiere hemmen oder verändern. Daher sollten im Zuchtraum nur geringste Mengen dieser Substanzen ausgebracht werden. (In unserem entomologischen Labor werden die Tische und Geräte mit 70% Ethanol desinfiziert, die Insektenkästen für getrocknete Tiere sind mit Mottenpapier ausgeschlagen und in einem geschlossenen Schrank untergebracht, um sogenannten "Museumskäfern" (Dermestiden), die jede trockene Arthropodensammlung unweigerlich zerstören, Einhalt zu gebieten.)
Unter den genannten Bedingungen sind Zuchten in jedem Fall erfolgreich, wenn maximal zehn Larven mit entleertem Darm in ein frisches, sauberes Gefäß (Abb. 3) gebracht werden. Dort werden die Tiere - abgesehen von der regelmäßigen (z.B. zweitäglichen) Anfeuchtung des Tuches - sich selbst überlassen. Jüngere Tiere müssen mit Futter herangezogen werden (s.o.). Um den züchterischen Aufwand zu minimieren, sollten nach den ersten Larvalhäutungen von Fliegenlarven nur etwa 10-30 Tiere eines Eiballens bzw. einer Leiche weitergezüchtet werden. Eine tage- oder wochenweise Fixierung von Maden verschiedener Entwicklungsstadien kann sehr hilfreich sein: Mißlingt die Zucht der Adulttiere, so können die Maden mit den heute verfügbaren Schlüsseln oft nur in einem bestimmten Stadium (z.B. Larvalstadium 4) sicher bis zur Art bestimmt werden.
Protokoll - In einem Zuchtprotokoll sollte täglich der Entwicklungsstand der Tiere - soweit erkennbar - niedergeschrieben werden. Im Falle einer Entwicklungsarretierung können nur anhand des Protokolls bei der Auswertung zu berücksichtigende Faktoren erkannt werden. Es genügt in der Regel, nur die offensichtlichsten Entwicklungsstadien zu dokumentieren: Fressende Larve, Darm schimmer dunkel durch Fettgewebe; Larve weiß, nahe Verpuppung, Darm entleert; Larve dunkelt; Tönnchen hell; Tönnchen dunkel; Schlupf; Tier agil (vgl. Abb. 4). In Einzelfällen können weitere Entwicklungsstufen dargestellt werden, beispielsweise das genaue Larvalstadium (siehe hierzu Smith 1986). Kleine, durchsichtige Zuchtgefäße (Abb. 2) erleichtern die routinemäßige, protokollierte Anzucht von Tieren.
d. Fang
Im Sektionssaal können alle Tiere mit einer Pinzette in ein durchsichtiges Plastik-"Histologieschälchen" mit Deckel gebracht werden. Vorsicht: Maden sind sehr flink und überklettern den Gefäßrand meist ohne Schwierigkeiten! Adulte Käfer ab einer Größe von etwa 4 mm bleiben in Reagenzgläsern sicher gefangen, da sie die glatten Wände nicht erklettern können.
In Wohnungen sollten Spalten im Beton, Hohlräume hinter Fußleisten, Bilderrahmen etc. zumindest in demjeniger Zimmer abgesucht werden, in dem die Leiche gefunden wurde. Im Freiland entnommene Proben aus der Umgebung der Leiche (z.B. Fallaub, Erde) aus dem Umkreis von etwa einem bis zwei Meter können dabei helfen, zur Verpuppung abgewanderte Tiere zu entdecken und zudem einen ersten Einblick in die natürlich vorkommende Arthropodenfauna am Leichenfundort zu erhalten. Besonders oft nur wenige Millimeter messende Käfer werden häufig erst bei einer zweiten Durchmusterung der Erd-/Streulaubproben unter heller Beleuchtung entdeckt.
Fliegen aus kleineren Zuchtgläsern können - da jene meist mangels Raum noch flugunlustig sind - leicht gefangen werden, indem ein Reagenzglas mit der Öffnung nach unten über sie gebracht wird. Die Fliegen erklettern die innere Gefäßwand und können auf diese Art sogleich asserviert werden.
Betäubung - Arthropoden aus Zuchten können durch Kälte (Kühlschrank) oder Kohlendioxid (z.B. Kalk mit Salzsäure versetzen und entstehendes CO2 über einen Schlauch weiterleiten) vorübergehend betäubt werden. In kleineren Gefäßen genügt es, die Tiere mitsamt dem Behältnis fünf bis zehn Sekunden lang kräftig zu schütteln.
e. Artbestimmung
Die endgültige Bestimmung der Tiere kann nur von einem/einer mit der Bestimmungstechnik vertrauten und mit bestmöglichen Bestimmungsschlüsseln ausgestatteten Untersucher/Untersucherin durchgeführt werden. Ein gutes Binokular sowie ein Präparierbesteck sind weitere Voraussetzungen für die entomologische Analyse. Ohne diese Hilfen ist die Artbestimmung hoffnungslos, und aus Erfahrung hüten sich selbst geübte Entomologen davor, ihnen unbekannte Familien vorschnell bis zur Art zu bestimmen.
Zur Bestimmung eignen sich adulte Tiere, Maden und (leere) Tönnchen (siehe auch Abb. 2). Einzelheiten dazu können der Kürze halber nicht dargestellt werden, es soll aber auf die folgenden nützlichen Werke hingewiesen werden: Smith 1986 (vor allem zur Bestimmung von leichenassoziierten Fliegen(larven)), Freude/Harde/Lohse 1964-1983, Koch 1985, Catts & Haskell 1990, Chinery 1993, Hoffmann/Wipking/Cölln 1996 (Beispiel für eine detaillierte Großstadtarthropodenökologie), Schumann 1971, Reiter & Wollenek 1983 sowie die trefflich bebilderten Bestimmungsbände der Royal Entomological Society (London). Mittlerweile ist die Artbestimmung auch anhand von DNA-Profilen möglich (z.B. Sperling et al. 1994, Guglich et al. 1994, Replogle et al. 1994). Hier besteht aber noch erheblicher Forschungsbedarf.
Um eine ökologisch unzutreffende Analyse auszuschließen, müssen die Tiere beim geringsten Zweifel zusätzlich von einem auf eine bestimmte Tiergruppe (z.B. Schmeißfliegen; Speck- und Pelzkäfer; usw.) spezialisierten Zoologen nachbestimmt und die Bestimmungsergebnisse in jedem Fall mit den örtlichen ökologischen Verhältnisse abgeglichen werden. Die lokale Fauna muß also in Bezug auf die für die Untersuchung relevanten Arthropodenfamilien mituntersucht werden.
Weitere rechtsmedizinisch-kriminalistisch nützliche Grundinformationen zur Sammlung, Aufbewahrung und Zucht von Gliederfüßern an Land und im Wasser finden sich in Haskell & Williams 1990, Haskell 1990, Chinery 1973, Lord & Burger 1983, Basden 1947, Vance et al. 1995 und Borror 1981; viele weiterführende Details sind in der hervorragenden Zusammenstellung zu nahezu allen Fragen der forensischen Entomologie von Smith (1986) zusammengestellt worden.
Zusammenfassung
Aus dem Entwicklungsgang einer von einer Leiche stammenden Arthropodenzucht läßt sich ein Beitrag zur Leichenliegezeitbestimmung herleiten; die Bestimmung der am Leichenfundort herrschenden Fauna erlaubt weitere Schlüsse zum Tathergang. Der Asservierung des Insekten- und Spinnenmaterials kommt dabei eine entscheidende Rolle zu. In der Regel sollten erwachsene Tiere in 70% Ethanol oder 70% Brennspiritus eingelegt und kühl gelagert werden, während Juvenilstadien zum Teil herangezüchtet und zum Teil ebenfalls in Alkohol aufbewahrt werden sollen. Es werden zwei Zuchtapparate vorgestellt, grundlegende Zuchthinweise gegeben und auf ein Übersicht über die bestehenden Literaturquellen gegeben.
Summary
Use of entomological evidence in medico-legal questions allows a wide range of applications, e.g. estimation of post-mortem intervals, investigation of taking away a corpse to another location and many others. An important point is to store and eventually breed carrion-assotiated arthropods in the right way. As a rule all arthropods should be stored cool in 70% ethanol at the crime scene to allow subsequent species determination. Basic breeding instructions are outlined, two breeding devices are described, and an overview on useful literature is given.
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Schlüsselwörter: Forensische Entomologie, Arthropoden, Todeszeitbestimmung, Ökologie, Sammel- und Zuchttechnik
Abbildungen
Abb.1: Die seitlich hinten am Brustkorb von Schmeißfliegen (Calliphoriden) befindlichen Hypopleuralborsten (Hy) sind ein hilfreiches Bestimmungsmerkmal. Um sie sichtbarzumachen, sollte das fixierte Tier noch beweglich sein, was durch die Aufbewahrung in 70% Ethanol gewährleitet wird. Sw: Schwingkölbchen. Vereinfacht nach Chinery 1984 und Catts in Catts & Haskell 1990.
Abb. 2: Zur Bestimmung heranziehbare, charakteristische Körpermerkmale von Fliegen, hier am Beispiel von Schmeißfliegenmaden (Calliphoriden). a-e: Lucilia sericata; f: Calliphora erythrocephala. a: Kiefer einer Made aus dem dritten Larvalstadium (Seitenansicht), b: Spirakel am Hinterende einer Made aus dem dritten Larvalstatium (Aufsicht), c: Kiefer (wie a) aus dem ersten Larvalstaium, d: vorne seitlich an der Made befindlicher Körperanhang, e: drittes Larvalstadium, Ansicht von hinten, f: Habitusbild (Länge: 1,6 cm). Maßstriche: 0,5 cm. Schematisch, verändert nach Smith 1986 und Chinery 1984
Abb. 3: Zwei Apparaturen zur Aufzucht von Fliegenmaden. A: Methode nach Benecke. Auf den Lappen werden täglich etwa 10 mL autoklaviertes Wasser getropft. B: Gefäß nach Nuorteva. Die Fliegen sammeln sich hier im Anflugbehältnis. Als Substrat im Behälter dient feuchte Erde.
Abb. 4: Drei der offensichtlichen Entwicklungsstadien in der Schmeißfliegenentwicklung. Oben: Ei kurz vor Auskriechen der Made; mitte: fressende Larve (Stadium 2) mit durchschimmernden, blutgefülltem Magen/Darm; unten: gedunkeltes Tönnchen (Puparium). Maßstrich: 1 mm. Verändert nach Catts in Catts & Haskell 1990.