Dresdner Kulturmagazin, Nov. 2021, digital: https://www.dresdner.nu/interviews/Das-Plaetschern-der-Dinge-Im-Interview-mit-Dr-Mark-Benecke-Foto-Beneckecom.617FEE6C.655A.html.php
Der bekannte Kriminalbiologe im Gespräch mit DRESDNER-Autor Matthias Hufnagl über Hoffnung, den Glauben ans Humane und dunkle Musik.
Ist die Kriminalbiologie für dich auch ein Vehikel, um mit der Öffentlichkeit über Insekten und Artensterben ins Gespräch zu kommen?
Dr. Mark Benecke: Leider nicht. Entsprechende Umweltberichte gibt es seit 50 Jahren. Das Artensterben war da zwar noch nicht das Hauptthema, aber durchaus schon bekannt. Wenn das seit über zwei Generationen nicht geklappt hat, wird der Kniff über die Kriminalbiologie jetzt auch nicht gelingen.
Im Interview mit der Online-Plattform »Vegpool« hast du sinngemäß gesagt, dass die auf der Erde vom Menschen angerichteten Schäden irreparabel sind und das Ganze für uns nicht gut ausgehen wird. Ist der Drops also gelutscht, oder gibt es noch Hoffnung?
Das ist eine Frage der Zeit. Wir haben aktuelle Datensammlungen, in denen nichts von »rasch zu beseitigen« steht. Verhalte dich vernünftig und gemäß den Daten, mehr kann ein Mensch sowieso nicht tun. Ändert was und hört mit dem dummen Gelaber auf: So à la Ich esse weniger oder nur noch Biofleisch, weiß aber nicht, wie man den Energieanbieter ummeldet. Das macht der Energieanbieter für dich, du Lügner, und das mit dem Biofleisch ist Bullshit. Hoffnung ist keine Währung. Außer, wenn man sich über die Religion das innere Gerüst stärkt. Aber hoffen ist etwas anderes als handeln.
Im August 2020 erschien dein Buch »Viren für Anfänger – die wichtigsten Fragen und Antworten zu Corona«. Gab es den obliagtorischen Gegenwind?
Meine Frau Ines moderiert das alles. Ich sende zwar über die sozialen Medien, lese aber nichts. Das würde mich in den Wahnsinn treiben. Trotzdem fanden wir es interessant, die in großer Zahl anbrandenden Hasswellen zu sehen. Aus Neugierde haben wir immer geschaut, wo sie herkommen. So bekamen wir einen tiefen Einblick in die Welt der Hassenden. Diese Gruppe besteht zu einem Drittel aus Unwissen, einem Drittel aus Veränderungsunwilligen und ein letztes Drittel ist Abzockerei und staatliche Destabilisierung.
Wie geht man damit um?
Ich habe gerade erst gepostet, dass wir die Grippeimpfung gemacht haben. Keine Reaktion. Das ist beruhigend. Daran sieht man, dass sich die Wut und das Unverständnis nicht gegen das richten, was wir vermitteln. Es ist gut erkennbar, wo das alles herkommt. Es sind Gruppen, mit denen wir umgehen können. Mit Veränderungsunwilligen bin ich sogar in Sendungen gegangen, um mich sachlich zu unterhalten. Das war durchaus angenehm. Mit denen, die Destabilisierung betreiben wollen, kann man nicht reden. Dafür müssten sie ihre Rolle verlassen, was das Geschäftsmodell zerstören würde. Für alles, was in Zukunft noch kommt, ist es dennoch gut, dass sich diese Leute erkennbar und ihrer Gruppe gemäß verhalten.
Wie schwer ist es, sich bei all den krassen Kriminalfällen den Glauben ans Humane zu bewahren?
Wenn wir Fälle bearbeiten, bei denen es Spuren gibt, finde ich sie gar nicht so krass. Auch die Täter oder Täterinnen reden ja mit uns. Weil sie sich ungerecht behandelt fühlen, oder weil ihre Lebensgeschichte aus ihrer Sicht vom Gericht nicht gewürdigt wurde. Der Klassiker sind Serientaten. Täter hätten gerne, dass man sich ihre Geschichte länger anhört als nur ein paar Tage vor Gericht. Sie würden gerne mal über ein ganzes Jahr lang erzählen, vieles ist ihnen ja selbst nicht klar. So gesehen haben wir eine Brücke – auch zu Opfern und, sehr, sehr wichtig: Zu den Angehörigen der Opfer. Die Fälle als solche finde ich aber normal.
Inwiefern?
In meinem Arbeitszimmer steht viel kriminalistische Literatur seit dem 18. Jahrhundert, wenn nicht sogar früher. Streng genommen ändern sich Menschen nicht, Verbrechen bleiben immer gleich – natürlich entsprechend den wirtschaftlichen Gegebenheiten. Kriminalfälle sind das Plätschern der Dinge, wie sie schon immer geplätschert sind. Interessanter ist, dass sich Menschen oft vormachen, im Alltag selbstlos zu handeln. Die Geschichte mit dem fehlenden Klopapier während Corona ist ein einfaches, aber erschreckendes Beispiel – aussagekräftiger als jeder Kriminalfall, den ich je gesehen, gehört oder gelesen habe: Es gab keine Klopapierknappheit. Hätten sie nicht gehortet, wäre die angebliche Verknappung gar nicht erst entstanden. Im Nachhinein war es vielleicht lustig, in dem Moment aber ein Beispiel dafür, dass Menschlichkeit immer nur solange stattfindet, wie es der betreffenden Gruppe nutzt. Das finde ich viel anstrengender als Kriminalfälle.
Im gerade erschienenen Buch »Potzblitz, 31 + 1 erleuchtende Liebeserklärungen an meinen Liveclub« schreibst du über ein Konzert der südafrikanischen Band »Die Antwoord«. Warum?
Die Vorgabe war, über Cluberlebnisse zu schreiben. Das WGT (Anm. d. Red.: Wave Gothic Treffen) hätte ich mir dafür zwar zurechtbiegen können, aber eigentlich ist das ein großes Treffen, bei dem alle hin und her schwirren und viel im Freien sind. Geschichten über kleine Clubs, wo der Schweiß von der Decke tropft, wollte ich den an diesem Buch beteiligten Bands überlassen. Daher entschied ich mich für etwas Eigentümliches. Bei dem von mir beschriebenen Konzert stimmte sehr wenig, was die meisten Zuschauerinnen und Zuschauer aber gar nicht bemerkten. Das Publikum war innerlich weit weg von der Band. Das hatte ich so noch nie erlebt. Die Leute waren dort, weil es anscheinend gerade cool war, sich dieses Konzert anzusehen. Die Mitglieder von Die Antwoord sind aber nicht cool, sondern verzweifelte Kinder. Da lag ein spannendes Missverständnis in der Luft, und darüber habe ich geschrieben.
Bedingen sich Faszination für dunkle Musik und das Interesse an Kriminalbiologie gegenseitig?
Ich arbeite ja international und kenne weltweit viele Forensiker und Forensikerinnen. Da bin ich der einzige, der offen Gothic ist. Die Datenlage gibt also keinen übergreifenden Zusammenhang her (lacht). So fühle ich mich einfach am wohlsten. Aggrotech ist für mich beruhigend, auch wenn das sicher viele anders sehen. Die meisten Kollegen und Kolleginnen im kriminalistischen Bereich sind ohnehin hochgradig überangepasst, da sie der Meinung sind, alles andere könnte Einfluss auf ihre fachliche Bewertung ausüben. Mir ist das egal.
Vielen Dank für das Gespräch!
Dr. Mark Benecke kommt mit seinem Programm »Mumien in Palermo« am 25. November ins Stromwerk im Kraftwerk Mitte. Mehr unter www.home.benecke.com/