Dr. Mark Benecke im Crossinterview mit Sven Friedrich (Solar Fake)

Quelle: Gothic (Magazin) Nr. 91, Januar 2023 (die letzte jemals erschienene Ausgabe), S. 16-18

MARK: Lieber Sven, Du hast mich vor ein paar Jahren mal gefragt, wie Ines und ich es aushalten, dass so viele Menschen Tier-Produkte verwenden und so unendlich viel Leid einfach schulterzuckend in Kauf nehmen. Das treibt Dich offenbar um — uns auch. Welche Lösungen hast Du für Dich gefunden, so dass du nicht dauernd traurig bist, wenn Du Schinken, Leder und Eiernudeln siehst?

SVEN: Das stimmt. Was mich an Euch so fasziniert ist, dass Ihr trotz allem immer freundlich und offen auf jeden zugeht und so viel positive Energie verbreitet.

Ich habe leider keine wirkliche Lösung gefunden, außer dass ich Menschen von Tag zu Tag immer schlimmer und unerträglicher finde. Das Gute ist, ich kann mich zurückziehen und Songs darüber schreiben, die dann wiederum Leute gut finden, die ähnlich drauf sind. Tatsächlich bin ich im Supermarkt meistens traurig, wenn ich sehe, was Leute völlig bedenkenlos aufs Band an der Kasse legen...

Ihr scheint da irgendwie ein besseres Konzept zu haben... Kannst Du das den Lesern und mir verraten?

Ich sehe es als Ansporn an, Informationen zusammenzusuchen und denen, die danach fragen, zu liefern. Den meisten Menschen sind Tiere völlig egal, denn sie gruseln sich vor jeder Art von Video aus der Massen-Haltung, essen die tot gefolterten Lebewesen aber trotzdem. Deswegen versuche ich — vom veganen Straßenmarkt bis zum Europa-Parlament —  einfach als Tatsachen-Raussucher zu arbeiten. Das ist mein Eckchen, in dem ich nicht zu traurig werde, trotz der totalen Gleichgültigkeit derjenigen, die offen lügen und sagen, sie mögen Tiere, obwohl ihre Handlungen (also Tierprodukte zu verwenden) beweisen, dass das nicht stimmt. Katzen streicheln und Hühner oder Kühe totfoltern lassen.. nee. 

Die zweite meiner Techniken ist, leckere Gerichte zu fotografieren und ins Netz zu stellen, Ja, ich stelle Essens-Fotos ins Netz (irres Lachen). Das soll die Menschen einfach ermuntern, sich umzustellen. Wo wir gerade dabei sind: Welches pflanzliche Koch-Rezept begeistert Dich? Und warum?

Selbst gemachte vegane Mayonnaise.

Warum ausgerechnet die?

Die fasziniert mich vor allem, weil ich es manchmal hinbekomme und manchmal nicht, obwohl ich alles immer gleich mache... Es ist zum verrückt werden. Also man nimmt ungesüßte Sojamilch, mischt die mit etwas Salz, Pfeffer, evtl. Zitronensaft und etwas Essig, Pürierstab rein und dann vorsichtig Sonnenblumenöl dazu kippen.

Das wird manchmal schön fest, manchmal wird das einfach nur flüssige Pampe... Wenn es klappt, kann man auch köstliche Aioli draus machen, in dem man noch geriebenen Knoblauch dazu tut... Davon abgesehen bin ich nicht sehr mäkelig und mag eigentlich alles, was vegan ist, aus jeder Region der Welt...

Hast Du eine Spezialität, die Du besonders magst? Oder kannst Du irgendwas besonders gut kochen?

Kaiserschmarrn, Pfannkuchen, Plinsen und dergleichen, also Mehlspeisen von Polen bis Bayern, alles von zwei meiner Omas (ich hatte vier... Patchwork-Familie) erlernt, die aus Ostpreußen und Oberbayern kamen. Nom nom nom! Ines macht sich dann immer Erbsen- oder Kicher-Erbsen-Püree, ihr ist das viel zu zuckrig. Gut für mich, ich verputze dann immer ganze Berge.

Kichererbsen brauchen Sonne, Gothics angeblich nicht. Auf dem Amphi in Köln hast auch Du mir zu meiner Verblüffung gesagt, dass auch Du keine Sonne magst. Wäre es da nicht besser, wenn Du in den Norden zögest statt im heißen, sonnigen Spanien zu leben? Oder magst Du das Licht und die Helligkeit, bloß die grelle Sonne nicht?

Ja, ganz genau. Natürlich finde ich es schön, wenn die Sonne scheint, aber ich schau mir das dann lieber von einem schattigen Plätzchen aus an. Ich mag es auch, wenn es warm ist. Aber so wie es auch die Spanier tun, setze ich mich der Sommer-Sonne nach Möglichkelt nur kurz aus und verlege die Freiluft-Aktivitäten auf den Morgen und den Abend. Das hilft auch gegen Hautkrebs.

Wie ist das bei Dir, magst Du eher die Helligkeit oder die Dunkelheit? Und kannst Du besser am Tage arbeiten, wenn es turbulent zugeht oder eher in der Nacht, wenn alles still ist?

Ich mag es am liebsten völlig dunkel — auch keine LED, nix — und total leise. Nur Blättertascheln von Bäumen oder Regen finde ich noch beruhigender. Beim Arbeiten geht das alles nicht, da begeben ich mich mitten rein, ins Auge des Sturmes. Da ist dann zwar ringsrum ein Riesen-Remmidemmi, aber ich kenne meinen Platz und werde sozusagen nicht weg geweht. Mich stört es daher auch nicht, wenn Kinder in Sitzreihen über mich drüber kraxeln oder im Labor alles hin und her rennt. Solange ich die Übersicht habe, ist es fein.

Mit der Sonne als solcher musste ich schon früh zurecht kommen, als ich in den Tropen kriminalbiologische Labore aufgebaut und Trainings durchgeführt habe. Ich habe Tropen-Kleidung und einen Tropen-Hut... alles so UV-dicht wie möglich. Manchmal fangen die Studierenden, zumindest im Urwald, aber auch erst abends an zu arbeiten. Die Sonne geht dort auch früher unter als in Deutschland. Da geht es dann meist.

Apropos Hautkrebs: Du siehst auf der Bühne aus, als ob du zwanzig wärest — erst beim näher ran gehen erscheinen Deine Falten. Was ist Dein Geheimnis?

Hahaha, Abstand halten und hoffen, dass die Leute im Alter nicht mehr so scharf sehen können.

Aber im Ernst: Keine Ahnung.

Ich denke, der Lebenswandel hat viel damit zu tun, wie alt man sich fühlt und damit verbunden wie alt man wirkt. Ich habe ein doch recht aufregendes und abwechslungsreiches Leben, in dem nie Langeweile aufkommt. Das schient zu helfen.

Wir haben übrigens in unserer Band ein Ritual. Und zwar sehen wir, wenn wir nachts nach einem Konzert ins Hotel kommen ungelogen immer noch die ein oder andere Folge Medical Detectives auf Vox an und freuen uns dann jedes mal, wenn Du da Sachen erklärst. Klar, das ist ewig her und Du wirkst da noch sehr jung, aber trotzdem schon unglaublich erfahren. Aber wenn man Dich heutzutage sieht und die beiden Marks vergleicht, hat sich vor allem die Gestaltung Deiner Haut stark verändert. Älter geworden bist Du nicht. Wie und wann fing das mit den Tattoos an und was bedeuten sie Dir? Hast Du ein Lieblingsmotiv oder ändert sich das ständig? Hast Du noch Ideen und Platz für neue Motive?

Ein sehr gutes Ritual! Was Du vor dem Schlafen lernst, prägt sich besser ein — hat zumindest mein Opa behauptet. Wir drehen für die Serie seit über zwanzig Jahren, es gibt auch neue Folgen, aber laufen natürlich seltener, weil es so viele alte gibt. Die Tätowierungen hatte ich immer schon, aber zuerst auf dem Rücken und auf den Oberarmen, das war früher so, die Tätowiererinnen und Tätowierer haben damals nicht Hände oder Gesicht als erstes tätowiert, für kein Geld der Welt.

Platz für neue Bilder hätte ich schon, aber auf die Nieren-Gegend kommt mir nix, ich werde immer schmerzempfindlicher. Ich habe dafür unter einer Achsel und an einer anderen angeblich sehr empfindlichen Stelle Tätowierungen, haha. Das muss reichen.

Vor ein paar Monaten hat mir Henk Schiffmacher, ein Urgestein der Szene aus den Niederlanden, auf meinen Wunsch hin „irgendwas* ins Gesicht tätowiert - er entscheide sich dann für drei Punkte. Sie bedeuten laut meinen Mitstreiterinnen am betreffenden Tag (sie haben einfach demokratisch abgestimmt) für „Kuchen, Kaffee, Kekse*, weil mich das am besten beschreibt.

Lieblings-Motive habe ich nicht, aber unter Galerie kannst Du beim Grassi-Museum für Völkerkunde in Leipzig ein paar von mir anklicken und dann poppen deren Geschichten auf.

Da wir gerade von Szenen sprechen: Interessiert Dich das gruftige Szene-Leben oder bist Du in erster Linie Musiker und nicht in schweiß-getränkten Clubs als Zuschauer anzutreffen?

Es gab mal eine Zeit, so in den 90ern bis in die 2000er hinein, da war ich wirklich viel in Berliner Clubs unterwegs. Es war schon eine krasse Zeit, weil man quasi an jedem Wochentag auf eine schwarze Party gehen konnte und dort tatsächlich auch an einem Montag, Dienstag oder Mittwoch viele Leute angetroffen hat. Naja, aber irgendwann gab es dann in Berlin immer weniger Clubs, später dann nur noch einen… wenn die Vielfalt weg fällt, wird es halt langweilig.

Was aber bemerkenswert ist, dass es montags immer noch den Dark Monday im Duncker Club gibt. Seit 1993 und damals war ich da schon. Die Party ist auf jeden Fall legandär! Hier in meiner Gegend in Spanien gibt es tatsächlich gar nichts, wo ich überhaupt hingehen könnte... Wie ist das bei Dir? Hast oder hattest Du einen Lieblings-Club? Warst Du früher generell viel in Clubs und auf Konzerten? Wenn ich mir Deinen Auftrittskalender so anschaue, erübrigt sich wohl die Frage, ob Du momentan noch viel in Clubs zum tanzen bist, oder?

Als ich in den 1990ern in Manhattan gelebt habe, war ich nur auf Vampyr-Parties. Das waren oft auch Gothics, aber eher viktorinisch, wegen dem damals bekannten Film 'Interview mit einem Vampir'. Es gab welche, die sich für Vampire hielten und Zaun-Gäst:innen.

Der winzige Gothic-Club im Studierenden-Viertel Köln, kannte mich nur als den stillen Jungen, der an der Bar alte Bücher gelesen hat (kein Witz). Ich frage mich bis heute, warum sie mir das erlaubt haben.

Danke nochmal! Ich bin echt über Konzerten und Festivals so richtig rein gerutscht, beispielsweise war ich bei allen Amphi-Festivals, auch schon dem ersten in Gelsenkirchen. In der Menge konnte ich leichter untertauchen, ich kannte auch keinerlei Regeln oder "Standards" aus der Szene. Gab es Deiner Beobachtung nach Grund-Werte in der schwarzen Szene, die sich geändert haben?

Hmm, für die ganze Szene kann ich das sehr schwer beurteilen.

Unter unseren Fans sehe ich eine starke Tendenz zum Veganismus, Vegetarismus und Tierschutz. Das freut uns als Band natürlich sehr, weil wir eben das sehr unterstützen und auch bei Konzerten immer wieder Spenden für den Tierschutz sammeln. In meiner Anfangszeit in der Szene war das überhaupt noch kein Thema. Zumindest in unserem kleinen Solar Fake-Kosmos hat sich das sehr positiv entwickelt. Auch dass es sehr gewertschätzt wird, dass unsere Merch-Klamotten immer bio und fairtrade sind und meist sogar aus recyceltem Material. Da ist ein sehr starkes Bewusstsein entstanden und das finde ich super.

Aber Du hast ia einen viel umfassenderen Blick auf die Szene, bist mit so vielen Bands und Künstlern befreundet und in regem Austausch... gibt es aus Deiner Sicht Dinge, die sich zum Guten oder zum Schlechten hin entwickelt haben? Und wo geht es Deiner Meinung nach hin?

Ich habe mal mit der ORKUS! eine Aktion gestartet, in der Bands ihre Umwelt-Aktionen beschreiben sollten. Das hat gar nicht geklappt. Nur die Lord-of-the-Lostis haben mit haltbarem, fairem und Öko-Merch wie Du und veganem Catering mitgemacht. Da tut sich aber sonst fast nichts.

Auf Fan-Seite verstehe ich immer mehr, welche Persönlichkeits-Formen sich in der schwarzen Szene mischen, von den bekannten Depressionen bis hin zu sehr nachdenklichen oder früh vernachlässigten Menschen, die dann unglaublich sozial werden.

Vor allem begeistert mich bei Gothics das Sanfte, das vor allem die Securities immer wieder überrascht. Das hat sich nicht geändert und zieht sich wie ein schwarzes Samt Band durch die Jahrzehnte.

Welches ist in diesem Zusammenhang Dein Lieblings-Klischee über die schwarze Szene?

Zum Thema Sarg: Du bist ja Musiker, welches Lied möchtest Du als letztes Lied hören, falls Du es Dir dann aussuchen könntest?

Oh, das ist aber eine interessante Frage.. Und schwer auch, well ich sicher ne ganze Playlist bräuchte. Aber ganz zum Schluss vielleicht Siamese Twins von The Cure, weil mit dem Lied für mich alles angefangen hat. Das hat mich damals so fasziniert und mir ganz neue Welten in der Popmusik eröffnet. Ja, das wäre es wohl...

Hast Du auch so einen Song? Und wäre es Dir wichtig, welche Lieder auf Deiner Beerdigung oder der „Abschiedsparty" zu hören sind? Wenn ja, welche dürfen nicht fehlen?

Dass alle Satanisten sind, das hat sich irgendwie so in der allgemeinen Wahrnehmung festgesetzt und ist dabei so weit von der Realität weg wie nur möglich. Klar gibt es viele spirituelle Leute in der schwarzen Szene, aber einen Satanisten hab ich tatsächlich noch nie getroffen, soweit ich weiß. Und ich hab echt viele Leute getroffen...

Was ist Dein Lieblings-Klischee?

Haha, doch, beim WGT waren schon mal Satanist:innen im Heidnischen Dorf, es gab sogar mal einen Vortrag von einem Superbekannten, der sich ein Ohr abgeschnitten hat. Ich find's eher lustig, dass das alles außer in Comics null Bedeutung in der schwarzen Szene hat, aber wenn es mal jemanden Interessiert, dann darf's auch einen kleinen Vortrag oder eine Vorführung geben, so soll das sein. Echte Vorurtelle kenne ich keinem oder halt, doch: Dass Gruftis im Sarg schlafen. 

Ich habe es mal eine Nacht lang bei meiner schweizwischen  MAD HEIDI-Freundin Claudia Rindler, Spezialistin für Horror-Makeups und hochgradig niedliche Seifen (yep), ausprobiert. Ist wirklich sehr gemütlich im Sarg, kein Scherz. Ich schlafe allerdings auch sowieso immer im Schlafsack, weil ich's gerne eingemummelt mag; Ich habe je einen verschieden dicken für Sommer, Herbst, Winter und Frühling. Der Sarg ist sozusagen der perfekte Schlafsack.

Vermutlich wird sich meine Trauer-Gemeinde eher im Netz zusammen finden, weil ich so viel rumgurke und so viele Menschen an verschiedenen Orten kenne. Ich würde sagen: Sie sollen es sich selber aussuchen. Ob sich dann noch jemand an Leonard Cohen oder Billie Eilish erinnert, zwei ganz große Depressive mit erstklassiger Musique, das muss sich dann zeigen... Vielleicht eine Gedenk-Playlist mit Musik, die meine Freund:innen und Fans gut finden, das wäre was.

Ich war übrigens noch selbst bei Leonard Cohen und Depeche Mode, auch bei David Bowie und Pink Floyd auf Konzerten. Damals habe ich mir nichts dabei gedacht — vor allem nicht, dass ich mal einer der letzten gewesen sein werde, die sie noch live gesehen haben. Hast Du ähnliche Erfahrungen mit Künstlern oder Festivals gemacht, die Dich im Nachhinein oder nach deren Tod immer wieder geflashed haben?

Mir geht es so mit Prodigy und Linkin Park. Gerade bei Linkin Park ist das im Nachhinein noch so krass, weil Chester Bennington in seinen Texten so unglaublich nah und intim seine Sichtweisen klargemacht hat. Und natürlich haben mich die Texte immer sehr angesprochen, aber wie ernst und wichtig die waren, wird einem erst bewusst, wenn es zu spät ist... Nehmen wir an, Deine Geburtsstadt Rosenheim möchte Dir ein Denkmal setzen und Du hättest Gelegenheit dem Künstler, der deine Statue erschafft, Wünsche und Vorstellungen mit zutellen. Wie sähe Deine Statue aus?

Um Goths Willen, bitte keine Statuen oder Straßen-Namen.

Ich möchte nur im Hier und Jetzt leben, nicht erstarrt als Erinnerung, die vielleicht komisch verformt oder hingebogen wird. Die Zukunft und der Raum gehört denen, die dann leben. Aufgewachsen bin ich in Köln, es wäre also cool, vielleicht ein paar Körnchen für die dort lebenden Straßentauben und meine geliebten Alexandersittiche am Rhein-Ufer raus zu legen. Hoffentlich gibt es die coolen Tiere dann noch.



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