Cohen ist nicht nur der Übervater der Sisters, sondern von allen Goths

ORKUS! Nr. 8 / 2020 (Juni—August), S. 140—144

Das Interview ist hier als .pdf erhältlich

„COHEN IST NICHT NUR DER ÜBERVATER DER SISTERS, SONDERN VON ALLEN GOTHS.“ Mark Benecke

Text: Claudia Zinn-Zinnenburg; Fotos: Jara Reker

Wie war das mit frühen Vögeln, die Würmer fangen? Oder war es ein Spatz in der Hand, der besser sein soll als eine Taube auf dem Dach? Jedenfalls zwei wunderbare Paradiesvögel in Form von Bianca Stücker und Mark Benecke haben sich wieder zusammengetan und Musik gemacht. Musik „gemacht“? Na ja, kreiert, gezaubert eben. Zwar erscheint die EP „We Want It Darker. A Tribute to Leonard Cohen“ erst im Oktober, aber wir haben die Lunte schon vorab gerochen und den beiden (vielleicht mit Gewalt?) viiiiiele Informationen herausgepresst. 

Wie der Titel es schon mehr als erahnen lässt, ist es ein Tribut an Leonard Cohen. Selten hat man den Doktor so viele Zitate aus dem Gedächtnis zitieren sehen, und so legt er uns auch gleich mal für die Einleitung einen salbungsvollen Vorschlag vor: „There’s a crack in everything; that’s how the light gets in.“ („Anthem“). Damit erübrigt sich eigentlich auch unsere Frage, inwiefern Leonard Cohen „gruftig“ ist. Wir stellen sie aber trotzdem.

„In diesem Moment sind sehr viele Blüten ein letztes Mal erblüht.“

Orkus: Ist Leonard Cohen eigentlich gruftig? The Sisters of Mercy haben sich ja nach einem Song von ihm benannt ... Falls das ein Gradmesser wäre.

Bianca Stücker: Ich glaube, allein die etwas abgründigen Texte passen gut zu all den atmosphärischen Eigenheiten, die die Szene so ausmachen. UND! da ich durch die Sisters mit elf Jahren („This Corrosion“! 1987 in den Charts!) gruftig sozialisiert wurde, mir daraufhin ein EXTREM gruftiges schwarzes Sweatshirt (!) kaufte, eine Sisters-Anstecknadel mit einem Foto aus einem Bravo-Artikel bastelte (Motiv: Andrew Eldritch und Patricia Morrison) und fortan noch wunderlicher wirkte als je zuvor, ist das AUF JEDEN FALL ein Gradmesser. (grinst)

Mark Benecke: „Noch wunderlicher“ kann ich mir bei einer bereits blühend wunderlichen Persönlichkeit schwer vorstellen, aber gut. Wunder gibt es immer wieder – und dann noch so wunderschöne. Äh ... jetzt zu deiner Frage: Wer die letzten Auftritte der Sisters gesehen hat – Meister Eldritch hinter einer undurchdringlichen Nebelwand auf der Bühne – und weiß, dass die Band seit Jahrzehnten kein neues Stück mehr geschrieben hat, die und der hat einen guten Begriff von „Gothic“. 

Cohen ist nicht nur der Übervater der Sisters, sondern von allen Goths. Er ist wie der Balrog im Herrn der Ringe: Älter und mächtiger als alles, was danach kam.

Ein Beispiel bitte!

MB: Wo Dave Gahan wie Christus mal kurz klinisch tot war und dann wieder auferstanden ist, hat Cohen sein Leben lang gelitten und ist immer weiter in Schmerzen und Finsternis gerutscht. Als er im Kloster war, hat ihn seine Kurzzeit-Affäre und Managerin um sein gesamtes Geld gebracht. Cohen hat nur deshalb seine letzte Welt-Tour gemacht, um die Erde nicht abgebrannt zu verlassen. 

Vor Gericht hat er dann vor genau zehn Jahren einen der dichterischsten Sätze gesagt, die möglicherweise je vor Gericht gesagt wurden: 

„I want to thank the court, in the person of your honour for the cordial, even-handed and elegant manner in which these proceedings have unfolded. It was a privilege and an education to testify in this courtroom.“ 

Stellt Euch das mal live im Gerichtssaal von einem gebeugten, alten Mann in Anzug und Krawatte mit feinem Lächeln, harten Beziehungs-Störungen und einer Erinnerung an Zeiten, als er mit tea and oranges lebte, vor ...

Wann seid ihr mit dem Werk von Leonard Cohen erstmals in Kontakt gekommen? Was war der erste Song oder die erste Platte, die ihr von ihm gehört habt?

MB: Gehört zu meinem Urgedächtnis. Vielleicht ein Überbleibsel aus der Hippie- Zeit von Verwandten? „Suzanne“ war ja Ende der Sechzigerjahre ein mega weit verbreitetes Lied. Ich habe Cohen als alten Mann live gesehen (er war alt, ich auch, aber er war älter), da habe ich etwas wirklich Eindrucksvolles erlebt. Grauhaarige Menschen erinnerten sich an das Lied und die Hälfte von ihnen sang – wohlgemerkt, alle saßen und es gab keinen Alkohol – einfach mit. Sie konnten und wollten nicht anders. In diesem Moment sind sehr viele Blüten ein letztes Mal erblüht.

Der „Master Song“ ist meiner Auffassung nach das schönste BDSM-Lied, und als Cohen, der von Depressionen und mörderischen Rückenschmerzen wortwörtlich zu Boden geworfen wurde (ich habe das bei einem seiner letzten Auftritte mit eigenen Augen gesehen), „You Want It Darker“ aufgenommen hat, da habe ich echte, unausweichliche Finsternis gespürt. Das war aber natürlich lange nach dem „Master Song“, der 1967 veröffentlicht wurde. 

Als ich in den Neunzigerjahren im East Village in New York gelebt habe, habe ich seine „Lady in the Moon“ aus dem „Master Song“ kennengelernt:

„Then I think you’re playing far too rough

for a lady who’s been to the moon.“

Mein Skarabäus-Gift-Ring war kaputt gegangen und ich suchte jemanden, der ihn repariert. Die Inhaberin eines schrottigen Ladens um die Ecke, im Untergeschoss der damals noch täglich von Räucherkerzenduft durchwehten Ecke 2nd Avenue und St. Marks Place, war die Lady in the Moon. No shit.

BS: Ich durch „Natural Born Killers“! Ich glaube, im Film kommen zwei Stücke vor – es waren also zwei erste Songs. (lächelt)

MB: Ah, Filme! Da gibt es ja auch noch den fantastischen Film „McCabe & Mrs. Miller“ voller Cohen-Lieder. Wer depressive Western mit unausweichlichem Ausgang mag, ist in, mit und bei diesem komischerweise unbekannten Film finster und tiefschwarz aufgehoben.

In den (fast) 50 Jahren seiner Musikkarriere veröffentlichte er 14 Studioalben, schrieb Gedichte und Bücher. Inwiefern seid ihr mit dem „Gesamtwerk Leonard Cohen“ vertraut?

MB: Es gibt ja neuerdings wieder einiges an neuem Material, zum Beispiel seine Liebesgeschichte aus Griechenland, die er im Real-Life erlebte, zuletzt als Doku 2019 von Nick Broomfield als „Marianne & Leonard: Words of Love“ rausgebracht – yep, das ist der Regisseur der Wahnsinns-Dokumentationen „Kurt & Courtney“ (1998) über, well, Kurt Cobain und Courtney Love, die er zeitweise für die Mörderin Kurts hält, und „Biggie & Tupac“ (2002), in dem einer der harten Hip-Hopper von seiner Mutter als das Muttersöhnchen, das er war, beschrieben wird. 

Mir gefällt Cohens Musik besser, auch die angeblich „über- oder unterproduzierten“ Platten („über-/ unterproduziert“ ist ein höflicher Begriff englischsprachiger Musik-Journalistinnen und -Journalisten für: „Gefällt mir überhaupt nicht, aber der Mann ist ein Gott, da schreibe ich lieber mal ‚über-/unterproduziert‘, das hört sich nicht so harsch an“). 

Cohens Gedichte hat er ja teils vertont, ich nehme daher das Beste aus beiden Welten zusammen – Musik plus Gedicht = seine Lieder.

„Dance Me to the End of Love“ wäre ein möglicher „Anspieltipp“ (auch ein tolles Wort). Oder „Closing Time“:

„Because of a few songs

Wherein I spoke of their mystery,

Women have been exceptionally kind

To my old age.

They make a secret place In their busy lives

And they take me there. 

They become naked

In their different ways 

And they say,

‚Look at me, Leonard

Look at me one last time.‘ 

Then they bend over the bed 

And cover me up

Like a baby that is shivering.“

Wer außer Cohen hat sich jemals getraut, so etwas vorzutragen? Hammer. Zuletzt vielleicht noch „Treaty“, ebenfalls aus Cohens Spätwerk:

„I’m sorry for the ghost I made you be.

Only one of us was real –

And that was me.“

Mir läuft’s kalt runter bloß beim Tippen dieser Zeilen.

Fünfzig Jahre ... das ist eine Zeitspanne, auf die nicht viele Bands oder Solokünstler zurückblicken können. Könnt ihr euch das für euch auch vorstellen? 

BS: Ein paar davon sind ja schon rum. Ging relativ schnell. Insofern! (lächelt)

MB: Als ich Bianca vor 49 Jahren kennengelernt habe, hätte ich auch nicht gedacht, dass die Zeit bis zu unserem 50-jährigen im Jahr 2020 so schnell vergeht. Da sie aber viele Instrumente spielt – sie hat sich jetzt sogar zwei (!) Nyckelharpas gekauft –, wird’s nie langweilig. Von mir aus kann’s auch nochmal fünfzig Jahre lang so weitergehen. Bianca tanzt auch sehr eindrucksvoll Tribal Fusion, singt total schön und liebt ihre Wellensittiche. Es ist also immer was los.

BS: Oh, Dankeschön! Die Wellensittiche waren übrigens bei den Aufnahmen des Doktorgesanges persönlich anwesend – ich nehme alles zu Hause auf, weil hier das Cembalo steht und es sich so schlecht wegtragen lässt. Das Heim musste also zum Studio werden. Das hat allerdings zur Folge, dass sich hin und wieder Gezwitscher (auch: Gezeter, Gekeife) auf einigen Spuren wiederfindet.

Wikipedia behauptet, dass es über 1.300 verschiedene Cover-Songs von Leonard Cohen gibt. Fällt euch ohne zu googeln irgendeiner ein?

BS: Um zu schauen, wie andere Leute die Songs covern, habe ich mir vor Beginn der Aufnahmen, der Instrumentenverteilung usw. eine ganze Menge YouTube-Videos angeschaut – und war ziemlich erstaunt, dass in erster Linie sehr junge Mädchen die Sachen gern zu covern schienen! Wie ist das wohl zu erklären? Bezieht sich aber möglicherweise nur auf „unsere“ beiden Lieder, die restlichen 1298 habe ich vernachlässigt. (lächelt)

MB: Gewiss „Chelsea Hotel #2“. Ich war neulich mal dort, es wird gerade renoviert. Im Hotel Chelsea hat auch Arthur C. Clarke, der Autor von „2001: A Space Odyssey“, gewohnt. Und natürlich Janis Joplin, von der Cohen in diesem Lied singt. Megatrauriges Lied. Cohen hat nix daraus gelernt, ich versuche es wenigstens. Mein Video zum Chelsea Hotel aus New York ist auf YouTube.

Wie lang war die ursprüngliche Liste an Cohen-Songs, die ihr gerne gecovert hättet?

BS: Ich habe, ehrlich gesagt, noch nie zuvor darüber nachgedacht, einen Cohen-Song zu covern, bis Mark auf diese Idee kam. (lacht)

MB: Da ich nicht singen kann, warte ich immer, bis Bianca und die Remix-Expertinnen und -Expertinnen wieder aufnahmefähig sind. Ready when you are, harrharrharr.

Und nach welchen Kriterien habt ihr die beiden Hauptsongs „Chelsea Hotel“ (1974 aus „New Skin for the Old Ceremony“) und „Master Song“ (aus dem Debütalbum „Songs of Leonard Cohen“, 1967) schließlich ausgewählt?

MB: Ich durfte mir was wünschen: Bianca hatte „Some Velvet Morning“, unser letztes Lied, ausgesucht. So geht es seit Jahren immer hin und her. – Ich brauche in Wahrheit nur einen Vorwand, um mit Dr. Stücker was zu unternehmen. Essen gehen, ein Ausflug oder ähnliches klappt mit ihr nicht, weil sie so viele Vorlieben und Abneigungen hat und auch ihre hässliche Heimatstadt nicht verlassen „kann“, das heißt will. 

Also singen wir einfach zusammen in der ihr vertrauten Umgebung, das heißt in der Nähe ihres verstaubten, schrammelig-schönen Hackbrettes, ihren Zimbeln und dem liebevoll dekorierten Studio-Mikrofon.

BS: Also, dafür haben wir uns aber schon verhältnismäßig oft in anderen Städten getroffen. Sogar in anderen BUNDESLÄNDERN! (grinst) Das Hackbrett sollte ich allerdings mal saubermachen, ich weiß.

„Chelsea Hotel“ im Detail: Leonard beschreibt darin ein Treffen mit Janis Joplin, mit der er eine Affäre hatte. Geschrieben hat er den Song nach ihrem Tod, was dem Ganzen noch mal eine zusätzliche Melancholie verleiht. Wie geht es euch damit? 

BS: Ich habe die Atmosphäre des Liedes als sehr besonders empfunden: Die Melancholie wirkt wie ein fast flüchtiges Innehalten, ausgelöst durch ihren Tod. Dass er betont, er würde eigentlich „gar nicht so oft an sie denken“, macht die Stimmung noch zerbrechlicher. Das hat mir sehr gefallen, ich kannte das Lied vorher gar nicht.

MB: Ich kann darüber nicht schreiben, ohne zu heulen. Da ich gerade in der zweiten Klasse der DB auf der Heimkehr vom WGT sitze, soeben meinen Gehstock in den Bahngleisen im Schotter verloren habe und eh schon dünnhäutig bin, lasse ich es lieber mal.

Oh! .... Auch ohne Hintergrundwissen ist der Song ganz klar ein Liebeslied ... ein Nachdenkliches, Trauriges ... Was ist es für euch?

BS: Für mich ist es ein Liebeslied, das von der (vielleicht gar nicht unangenehmen) Wehmut lebt, die entsteht, wenn man sich an jemand Besonderen, im Alltag aber beinahe Vergessenen, erinnert.

MB: Also gut: Er ist total beziehungsgestört und braucht umso mehr Abstand, je näher er einem Menschen kommt. Zwischendurch blitzen aber die schönsten Sternlein auf: „We are ugly but we have the music.“ Hargh!

Wie geht ihr damit um, wenn euch eine melancholische, traurige Stimmung überkommt?

BS: Das kommt drauf an: Es gibt ja eine Art von „süßer Melancholie“, die vielleicht schon durch eine Herbststimmung oder etwas Ähnliches ausgelöst werden kann, oder echte Trauer oder ein schlimmes Stimmungstief ... Das sind ja sehr unterschiedliche Dinge.

MB: Ja, okay, aber wie gehst du damit um?

BS: Wenn es schlimm ist, hilft mir tatsächlich oft Musikmachen. Für mich war das letzte Jahr insgesamt nicht sehr erfreulich, was dazu geführt hat, dass ich sehr schnell sehr viel aufgenommen habe und das Ganze noch im November als fertige CD erschienen ist („Fate & Wisdom“, zusammen mit Rafaela Schützner).

"Musikalischer Geniestreich" - Sonic Seducer ✨ Er ist Deutschlands bekanntester Kriminalbiologe, Vampirexperte und Insektenliebhaber: Dr. Mark Benecke. Zusam...

Könnt ihr mit Liebesliedern eigentlich was anfangen?

MB: Ich kann mit Liebe viel anfangen.

BS: Ich mit Liedern! (lächelt) Und wenn beides zusammen kommt: umso schöner! (lächelt)

Das Hotel Chelsea gibt’s ja wirklich ... DAS Künstlerhotel schlechthin. Was verbindet ihr damit?

MB: Ich hab um die Ecke gelebt und will immer wieder hin. Ines kennt das schon. Zum Glück gibt’s in der Nähe einen mexikanischen Laden, der jedes Gericht der Erde – von osteuropäischer Gemüsesuppe mit Essig, stilvoll im Styropor-Schälchen serviert, bis hin zu sensationellen Burritos auf einem Papp-Teller-Bett, die wie in Mittelamerika schmecken und chinesischen Verrücktheiten aller Art – köstlich kochen kann. Da Ines mit Essen immer zu ködern ist, klappt es meist auch.

Einige Szenen von „Léon, der Profi“ wurden dort gedreht. Kennt/mögt ihr den Film?

MB: Eine Wahnsinns-Geschichte, die sich heute niemand mehr zu drehen trauen würde.

Okay, das waren wirklich viele Fragen für einen Song. Weiter geht es mit dem „Master Song“. Ja, worum geht es da eigentlich?

MB: Das sind alle für BDSMler und -innen direkt verständliche Anspielungen auf das, was in Cohens Nachrufen („Schmerzensmann“, „Poet des Scheiterns“, „Erfüllung immer in der dunkelsten Stunde der Nacht, wo nur die Leuchtfeuer der Sehnsucht noch Licht spenden“ – Süddeutsche Zeitung) vorsichtig umschifft wurde. Probiert es aus:

„And now I hear your master sing

You kneel for him to come

His body is a golden string

That your body is hanging from.“

Da stecken sooo viele Möglichkeiten und Details drin ... Inwiefern ist für euch eine christliche Deutung mit Trinität und Co. möglich? Könnte der „golden string“ so etwas wie das Damoklesschwert sein?

BS: Da ich beide Stücke vorher gar nicht kannte, habe ich mir tatsächlich Interpretationen durchgelesen – und da gibt es ja eine Menge Spielraum! Im Zweifelsfall muss es wohl jeder für sich selbst deuten, denn der Meister hat sich nicht ganz eindeutig dazu geäußert, soweit ich weiß. Da ist der Doktor aber garantiert genauer informiert, ahne ich!

MB: Lassen wir Cohen antworten: 

„Sounded like the truth

Seemed the better way

Sounded like the truth

But it’s not the truth today.“

Noch ein Gedanke, bevor es wirklich zu weit geht: Meister werden zu Geknechteten und umgekehrt. So eine Art ... Rad der Fortuna?

MB: Genau, und die Wirklichkeit von BDSM: Der oder die Sub bestimmt die Regeln. Das Video haben wir deshalb auch im KitKat in Berlin gedreht, hehehe.

Generell sind die beiden Songs ruhig und stimmungsvoll. War das einfacher oder schwieriger für euch als die doch deutlich elektronischere Version von „Some Velvet Morning“?

BS: Für mich war es etwas ganz anderes, denn bei „Some Velvet Morning“ habe ich nur gesungen und zu einigen Versionen auch ein bisschen gespielt, aber die Musik hat Winus Rilinger gemacht. Nun waren Musik und Produktion meine Aufgabe, und Marks Wunsch war: Diese beiden Lieder sollten es werden – mit Hackbrett! (lächelt) So sei es, dachte ich, und habe mich dann mal drangesetzt. Die Basis ist für beide dann eine Begleitung aus Cembalo und Hackbrett geworden. Es hat ein bisschen gedauert, bis ich die passende Begleitung gefunden hatte – einerseits wollte ich, dass der Charakter den Originalversionen ähnlich ist, andererseits sollten unsere natürlich deutlich anders klingen. Für alle Aufnahmen galt (Gesang und Instrumente): Ich habe so lange herumprobiert, bis es vom Gefühl her „richtig“ klang.

Bianca, deine Stimme klingt in beiden Songs ganz besonders intensiv und kraftvoll. Wie bist du rangegangen?

BS: Ganz lieben Dank! Insgesamt hatte ich die Vorstellung, dass jeweils „eine Geschichte erzählt“ wird, darum ist auch die Musik relativ reduziert. Bei der Abfolge der einzelnen Parts habe ich mich an den Originalversionen orientiert, aber die Gestaltung ist anders, und beim „Chelsea Hotel“ sind z. B. zwischendurch ein ganzer Haufen Backings hinzugekommen. Mark fand die Idee des „Erzählens“ auch gut – der Text steht bei Cohen ja sehr im Vordergrund. Und das haben wir dann versucht umzusetzen.

Mark, wie ging es dir? Bei „Chelsea Hotel“ scheinst du ja vor allem im Hintergrund zu flüstern, singen hört man dich dafür im „Master Song“ wieder ...

BS: Gesungen hat er beim „Chelsea Hotel“ aber auch! (lacht)

MB: Claudia hat mich gefragt, Schatz! Aber du hast wie immer Recht.

BS: Hab ich nämlich auch! (grinst)

Oh, Verzeihung! ... Wie ging es dir denn jetzt beim Singen der BEIDEN Songs? 

MB: Bianca hat mir Tricks verraten, beispielsweise den Mund beziehungsweise die Kiefer, oder wie das bei Musikantinnen heißt, weit und locker zu machen. Biancas Prinzessin-Lillifee-Mikrofon hat mir auch geholfen und Glück gebracht.

Hand aufs Herz: Wie viele Takes hat es gebraucht, bis die Stimmen so eingesungen waren, dass sie gepasst haben?

BS: Ein paar haben wir schon gemacht, der Doktor mit formschönen Meisen-Servietten zwischen Ohr und Kopfhörer. Beim „Master Song“ ging es aber echt schnell, und das bei neun Strophen, NEUN!! Der Mann hat sich ein Lied mit NEUN STROPHEN gewünscht! Da erkennt man den echten Fan. Für mich war es komplizierter, mich nicht irgendwo mal zu vertun! (grinst)

MB: Stimmt, ist mir dann auch aufgefallen. Ich konnte es auswendig, das machte es leichter, hahaha.

Welche besonderen Instrumente kamen zum Einsatz? Besonders beim „Master Song“ glaube ich zahlreiche eher ungewöhnliche Sachen rauszuhören.

BS: Die Basis sind dabei wieder Cembalo und Hackbrett, aber bei mir zu Hause liegen ja noch mehr komische Sachen rum, die Geräusche machen. (lacht) Auch damit habe ich mich am Original orientiert, dort tauchen nämlich zwischen den Strophen immer wieder etwas psychedelisch tönende Instrumente auf. Daran angelehnt verwendet habe ich: Nyckelharpa, Blockflöten, Streichpsalter, Rauschpfeife und in Glockenspiel. Das Glockenspiel hat Chelsea gespielt, mit der ich den ganz kleinen eygennutz Verlag betreibe, wo erst im Frühjahr die Neuausgabe von Marks „Dem Doktor seine Seiten“ erschienen ist. Namensmäßig regelrecht

unvermeidbar war, dass Chelsea außerdem bei „Chelsea Hotel“ eine der Backing-Stimmen eingesungen hat. Es ist nicht zu übersehen: Alles hängt mit allem zusammen! (lächelt)

Dennis Ostermann hat, wie auch schon für „Some Velvet Morning“, den Videodreh übernommen. Erzählt doch mal ...

MB: Dennis ist wie ein Zauberer, der äußerlich nicht zu erkennen ist – vergleiche die laufende Serie „The Magicians“. Dennis lebt in einem Dorf im Nichts und wenn er in zivil durch die Gegend schlurcht, würde ihn niemand für den großartigen Gothic-Ton-, Video- und Verwandlungskünstler halten, der er ist. Ich durfte in seinem Video (mit Annie Bertram) von „Seven Lifes“ auftauchen, und er hat für Bianca und mich „Some Velvet Morning“ in einem Ruhrpott-Rock-Keller gedreht (Making-of ist auf YouTube!) und tausend wunderschöne Ideen dafür gehabt. Er ist einfach der Beste.

Es wird auch zahlreiche Remixe geben! Zum Beispiel von Patenbrigade Wolff. Welche Beziehung habt ihr zu dieser Band?

MB: Ich bin der Brigade-Arzt der Band und habe im K17 schon ein Keyboard der Band auf der Bühne auseinander gelötet sowie in der agra beim WGT und anderswo das dicke Rohr gehalten, durch das sich stets schmackhaftes Bier in die vorderen Reihen des Publico ergießt. Große Verehrung! Außerdem gibt’s ’ne komplette Platte, auf der ich echte Baustellen-Unfälle vorlese, die die Jungs dann vertont haben. Zudem erhielt ich den P:W-Schallplattenunterhalter-Ausweis und darf somit auch im Osten (Steelbruch Eisenhüttenstadt, Dark Flower, agra 4.2...) auflegen.

Was ist dein Lieblings-Patenbrigade-Wolff-Song?

MB: „Fehler 404“, „Dreh mir die Zeit zurück“ (mit Antje), „Demokratischer Sektor“, „Feind hört mit“, „Gefahrstoffe“ (mit Miss Noxx). Es gibt nur gute Stücke von P:W. Ich möchte auch an das fantastische Konzert von Kontrast mit P:W im Jahr 2018 erinnern.

Also eine Menge ... Dann gibt es noch einen Remix von einer großen, bekannten Band. Es ist OOMPH! Wie kamt ihr mit Dero in Kontakt?

MB: Ich hatte mit der Leiche seiner Religionslehrerin zu tun. Fünfundzwanzig Jahre später saßen wir bei Lord of the Losts Zehnjährigem in Hamburg im Backstage und standen dort auf der Bühne. Falls ihr Orkus! sammelt: Dero hat hier mehrere ehrliche und weise Interviews gegeben und auch über Depressionen gesprochen ... diese Interviews darf ich euch empfehlen.

Was mögt ihr an OOMPH! besonders?

MB: In der Sekunde, in der die Jungs auf der Bühne treten, verschwindet die restliche Welt. Muss man erlebt haben, um es zu verstehen, vermute ich.

Was gibt es noch an Remixen, von denen ich noch nichts weiß?

BS: Die, von denen wir selber noch nichts wissen. (grinst) Das liegt daran, dass noch nicht alles fertig ist – ich möchte z. B. auch noch einen Alternativ-Mix machen, dafür gibt es schon Cello-Aufnahmen von Christoph Kutzer, der bereits bei „Some Velvet Morning“ als Gastmusiker dabei war.

MB: Ich werde vielleicht noch diejenigen Musikussinnen und Musikanten ansprechen, die ich iin einem zerschrotteten Keller bei einem Gläschen Absinth treffe. Das hat bisher immer gut funktioniert, hehehe. Andererseits sind die bisherigen Remixe bereits atemberaubend schön. Uns fällt auf jeden Fall noch reichlich schwarzer Schabernack ein.



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