Bianca Stücker & Mark Benecke 🦇 Flüssig wie Pech an einem heißen Sommerabend

Quelle: Orkus! Heft 10 (September / Oktober) 2020, Seiten 138-140

Mark Benecke und Bianca Stücker sind sich einig: „We Want It Darker“ heißt es Ende Oktober, wenn ihre Leonard-Cohen-Tribute-EP herauskommt. Wir durften es bereits genießen und verwickeln uns schon zu Beginn des Interviews in eine amüsante Diskussion zwischen den beiden. In musikalischer Hinsicht hat hier wirklich ein Topf den perfekten Deckel gefunden. Auch wenn das Geschirr vielleicht ein paar Beulen hat. Ein sehr offenes Gespräch über die Finsternis, die in uns allen haust, seelische und körperliche Wunden und Alchemie.

Orkus: Das Mini-Album „We Want It Darker“ beginnt extrem stimmungsvoll mit den Lyrics des gleichnamigen Cohen-Songs. Es zieht einen sofort in die düstere Welt hinein. Wie seid ihr an das Intro rangegangen?

Mark Benecke: Bianca hatte größere Mengen Spinnweben in ihrem Kopf und auf ihrem völlig verstaubten Harpsichord, was auch immer das ist, angesammelt.

Bianca Stücker: FALSCH! Man KÖNNTE in das Intro natürlich irgendwelche Harpsichörde hineingeheimnissen, es ist aber keins drin. Das Intro: Rein synthetisch, abgesehen von dir, mir und der Nyckelharpa. (lächelt) Harpsichchord heißt übrigens Cembalo, und das haben Sie ja schon gelegentlich besichtigt, Herr Doktor. Es wäre tatsächlich höchstwahrscheinlich sehr verstaubt, hat aber glücklicherweise einen Deckel.

Mark Benecke: Der Rest lief dann flĂĽssig wie Pech an einem heiĂźen Sommerabend. Leider war Bianca zu viel allein und wollte dann noch irgendwelche lebensbejahenden Melodien einspielen. Das konnte ich ihr aber ausreden und dem gepflegten TrĂĽbsal seinen Raum lassen.

BS: Ähm, ja. Das ist richtig. Es lag aber am Original: „You Want It Darker“ besteht aus einem recht prägnanten Bass, einer Art Hammondorgel und einem Gospelchor – einem GOSPELCHOR! – ,folglich verleitete mich dies zuerst zu einer Art, ähm, Soulpop-Version. Kein Witz! Irgendwas kann man damit irgendwann vielleicht mal anstellen, wenn wir gerade alle supergut drauf sind, haha! (grinst)

MB: Es ist immer gruselig, wenn Biancas Manie abklingt. Ich habe jetzt schon Angst davor.

BS: Ach, da hast du doch schon seit zehn Jahren Angst davor. Ist aber bisher nie passiert! (lacht)

MB: Da hast du wie immer recht, Schatz.

Ich stelle mir vor, eine der großen Challenges beim Covern von bereits sehr guten Songs ist, dass man irgendwie die Waagschale halten muss/will/soll zwischen „man erkennt, was es ist, es hält sich an das Original“ und eben genau das Gegenteil: „Es lässt eigene Interpretationen zu“. Wie ging es euch damit?

MB: Hab ich schon vor Jahren gelernt: Lass die Profis machen, was sie können und wollen. In Biancas Fall sind das musikalische Stimmungen mit achtzig Millionen Instrumenten, die neunzig Millionen Jahre alt sind und hundert Millionen Tonspuren. Zack! Besonders krass fand ich, wie pfiffig sie unsere Gesangsteile gegeneinander verschoben hat. Dazu braucht frau wirklich ein Megafeingefühl. Könnt ich nicht, Respekt!

BS: Ähm, ja. Das ist auch richtig. Hundert Millionen Spuren. Das stimmt schrecklicherweise wirklich. (lacht) Aber genau die Sache mit der Wiedererkennbarkeit und der eigenen Interpretation hat mir am Anfang etwas Kopfzerbrechen bereitet. Ich hatte dann recht bald das Gefühl, es könnte gut sein, die Grundstimmung der Stücke aufzugreifen, nach Möglichkeit sehr ähnlich wiederzugeben, aber vollkommen andere Mittel zu wählen.

Statt Gitarre und einer Gesangsstimme wurden es dann für „Chelsea Hotel No. 2“ und den „Master Song“ Hackbrett und Cembalo, haufenweise Backings und wirklich eine ganze Menge anderer eigentümlicher Instrumente. Zusammengefasst wurde das Ganze durch die Idee, dass der Text im Mittelpunkt steht – im Sinn von: „Wir erzählen eine Geschichte“. Damit konnte sich Mark auch direkt anfreunden.

MB: Bin halt ein Mann des Wortes.

Letztes Mal hast du, Mark, angesprochen, dass Leonard Cohen Zeit seines Lebens gelitten hat und diese Schmerzen eben in Form von Musik kanalisierte. Ihr beide scheint voller positiver Lebensenergie zu sein – erkennt ihr euch da dennoch in gewisser Weise wieder?

MB: Bianca redet wie eine Oma immer von irgendeinem Uralt-Grufti, den sie verehrt, noch älter als Chris Pohl, ich, Robert Smith und Andrew Eldritch zusammen. Sie ist also auf jeden Fall tief in der Schwärze verloren. Sie hat sogar gruselige, schwarze Haar-Extensions, die sie regelmäßig „austauschen“ muss. Wenn ich sie nicht dauernd mit Glitzerzeug versorgen würde, sähe es vielleicht noch finsterer aus. BS: Alles vollkommen richtig! Und er meint Rozz Williams.

Den „Master Song“ haben wir bereits als BDSM-Song „entlarvt“: Wie steht ihr zu dem Thema persönlich? Könnt ihr damit was anfangen?

MB: Ich ja, Bianca nicht. Ich halte sogar ab und zu Vorträge dazu, wie Menschen sich nicht beim Sex töten. Sehr gerne war ich auch regelmäßiger Gast der schönen Veranstaltungsreihe in einem interessanten Kellergewölbe in Karlsruhe, bei der Mozart von Umbra et Imago auflegte und in den Nebenräumen dies und das geschah.

Letztes Mal haben wir sehr kurz die Videos angeteasert. Da müsst ihr uns nun aber bitte nun mehr darüber erzählen ... Außer, dass Dennis Ostermann dafür verantwortlich ist.

BS: Genau, ein Video hat wieder Dennis Ostermann gedreht, da kann also schon mal gar nichts schiefgehen! (lächelt) Das zweite Video wird ein bisschen experimenteller, daran sind die junge Fotografin Jara Reker, Chelsea, die auch auf der EP kurz zu hören ist, der Lichtdesigner Dennis Feichtner und ich beteiligt. Und da es das Video zu „Chelsea Hotel“ wird, spielt es – Überraschung, Überraschung – in einem Hotel!

MB: Und zwar in einem meiner Lieblingshotels. Das echte Chelsea Hotel in Manhattan wird ja immer noch renoviert (schaut Euch gerne mein Youtube-Video dazu an). Das Video von Dennis ist unfassbar geworden, er hat tapfer im KitKat in Berlin aus einem Berg an wunderschönem Irrsinn, tropfenden Kerzen, Gestängen, Latexmasken und Seilen eine märchenhafte Geschichte gezaubert – mit „Doktor Cohen“ an der Bar, im Nebel und mit einigen mehr oder weniger entkleideten Personen sowie unseren Stars Flammenkuss und Romualdo im Rücken.

Was war beim Videodreh die größte Herausforderung?

MB: Im KitKat das Chaos. Die Kamera brauchte ruhige Bilder, es waren aber lauter coolste Menschen aus dem Nichts hervorgeploppt, die mit dabei sein wollten. Es gab kein Drehbuch, keine Requisitenlisten, keine DarstellerInnen-Briefings, nichts. Dennis musste schauen, was passen könnte. Für einen auf dem Dorf lebenden Südwestdeutschen nicht die angenehmste Aufgabe, so ein Sack Flöhe, harrrharr. Außerdem durften wir uns nicht den Kopf stoßen, es ist im KitKat-Keller teils etwas eng, hüstel ...

Und dann sollte unser Bondage-Team auch perfekt im Bild sein und musste das ganze zweimal drehen. Wahnsinnig cool, so viele tolle Menschen, echt! Beim Hotel-Dreh war es etwas einfacher, weil das superlässige Hotel mit liebreizendem Team durch Nach-Corona-Einwirkungen fast leer war und die Räume luftig, glitzrig und weit. Hier war die größte Herausforderung, nicht einfach für immer dort wohnen zu bleiben... es gibt sogar eine Bühne mit verstimmtem Flügel dort, ein Traum.

Mark, bist du da perfektionistisch veranlagt oder gibst du dich 100%ig in die Hände des Regisseurs?

MB: Ich halte mich tatsächlich komplett raus und mache nur die Aspie-Sachen, also Lippensynchronisation prüfen und so. Das war beim „Master Song“ besonders schwierig, weil ich mit doppelter Geschwindigkeit singen musste (fragt nicht) und alles so traumhaft wirkte. Beim „Chelsea Hotel“-Video hat Bianca ja das Heft in der Hand gehabt. Wer sie kennt, weiß: Besser nicht einmischen, sie hat einen Doktortitel in elektronischer Musik (kein Witz, ich habe das Vorwort für ihre Doktorarbeit geschrieben) und wie gesagt immer noch eine Tonspur unter Kiel. Wer hier mitbasteln will, geht im Rausch der Töne und Bilder für immer verloren.

Bianca, über den „Alchemical Strings Remix“ müssen wir noch sprechen! Wie ist dieser zustande gekommen? Was sind „alchemical strings“? ;)

BS: Ach, ich wollte einfach auch noch einen Remix machen, der anders klingt als die Originalversion. (lächelt) Hier hat unser Gast-Cellist Christoph Kutzer mitgewirkt, und da ich seit letztem Herbst so nyckelharpabegeistert bin, musste ich natürlich auch noch zwanghaft mitfiedeln. (grinst) Das sind also schon mal die „Strings“. Der Rest ist dann irgendwie industrialpoppig geworden, wenn man das so sagen kann – also auch schon irgendwie alchemistisch!

Und warum jetzt „alchemistisch“?

BS: „Alchemical“ hat eigentlich zwei Ursachen: einmal ist es eine Anspielung auf das Electro-Projekt Form Follows Function, bei dem wir die Musik als „Alchemical Electro“ bezeichnen, und zum zweiten beschäftigt mich das Thema Alchemie in historischer Hinsicht schon eine ganze Weile. Letztes Jahr habe ich für das Album „Fate & Wisdom“ einen alten, alchemistischen Text aus dem 17. Jahrhundert vertont: „Aus den vier Elementen kommen alle ding [sic]“ – ich mag die wirklich oberpsychedelische alchemistische Bildsprache sehr, sie ist so stark chiffriert, dass sie nicht einmal von allen Eingeweihten verstanden wurde. Und es gibt zwei Ebenen: eine chemisch-praktische, die als Vorläufer der Chemie gilt, und eine philosophische, die nicht auf die Veredelung von Metallen, sondern auf die des Menschen aus war. Ein sehr ersprießliches und ergiebiges Thema also.

„BEIDES GEHT, LICHT UND DUNKELHEIT. ICH MAG DUNKELHEIT.“

Zum Abschluss ein paar Zitate von Leonard Cohen.

“Hoffnung ist viel zu passiv. Wir brauchen Willen.“ – Da steckt auch eine gewisse Macher-Mentalität dahinter. Seht ihr euch selbst als „Macher“?

MB: Meinen Kram will ich erledigen, pünktlich und möglichst gut. Keine Ausreden, kein Gelaber. Andere können es halten, wie sie möchten, ich ziehe keine Menschen mit, die vielleicht keinen Bock haben, und Oberbabo will ich auch nicht sein.

BS: Das halte ich auch so. Kram erledigen! Gute Sache, danach ist man immer ganz zufrieden! (lächelt) Sind wir dann jetzt „Macher“?

MB: Macher unseres irren Krams zumindest, harrharr.

„Children show scars like medals. Lovers use them as secrets to reveal. A scar is what happens when the word is made flesh.“ – Wie geht ihr mit euren Narben um? Seien die nun seelisch oder körperlich ...

MB: Habe über meine drüber tätowiert. Sie waren nach einigen Jahren auch nicht mehr so deutlich zu sehen. Ich mag Narben, wenn sie geheilt sind, und ich bewundere viele meiner MARKierten Fans, die ihre Narben nicht aufdringlich, aber auch nicht verschämt, zeigen, auch quer übers Handgelenk. Für Nicht-Gothics: Ich rede von Selbstverletzung und Suizid-Versuchen.

BS: Früher habe ich sie versteckt, jetzt halte ich das nicht mehr für nötig, weder die körperlichen, noch die seelischen. Ich glaube, dass Menschen einander besser helfen können und glücklicher werden, wenn sie aufrichtig sind und nichts zu verbergen haben.

„There is a crack in everything. That’s how the light gets in.“ – Ich glaube das ist eines der schönsten Zitate überhaupt ... muss man ein bisschen „zerstört“ sein oder ... „Lebenserfahrung“ haben, um eben das Positive in sich aufnehmen zu können?

MB: Es gibt auch Menschen, die sonnig durch die Welt schreiten und meist gute Laune verbreiten. Denen wünsche ich nicht, dass sie – nur, um vielleicht tiefgründiger zu werden –, an irgendetwas zerbrechen oder Risse kriegen. Beides geht, Licht und Dunkelheit. Ich mag Dunkelheit.

„How can I begin anything new with all of yesterday in me?” – Geht es euch manchmal so, dass die Vergangenheit Ballast ist, der euch festhält und daran hindert, weiterzugehen? Wie überwindet ihr das?

MB: Das habe ich von meinen KlientInnen, den sogenannten „Angehörigen der Opfer“, gelernt, und auch von überlebenden Opfern selbst: Finde einen Weg, wie das Vergangene Sinn ergibt, irgendeinen, den du auch glauben und leben kannst. Dann wird’s ein Teil von dir und raubt dir nicht mehr die Gedanken an ein gutes und schönes Jetzt.

BS: Ich versuche mich nach schmerzlichen Erfahrungen möglichst rasch neu zu sortieren und einen Weg zu finden, konstruktiv weiter- oder etwas anderes zu machen. Gelingt nicht immer gleich, aber oft schaffen neue Pläne immerhin neue Perspektiven.

„People used to say my music was too difficult or too obscure, and I never set out to be difficult or obscure. I just set out to write what I felt as honestly as I could, and I am delighted when other people feel a part of themselves in the music.“ – Das könnte eben so gut eine Beschreibung für unsere Szene sein, oder?

MB: Jau. Wie ich schon seit meinem ersten WGT jedes Mal sage, wenn ich aufs agra-Gelände komme: Endlich normale Menschen – und ab sofort ergänze ich angesichts dieses Zitates von Cohen: Und normale Musik.



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